Urteil des EuG vom 15.06.1999

EuG: kommission, verwaltungsrat, kündigung, rechnungshof der europäischen gemeinschaften, kausalzusammenhang, leiter, veröffentlichung, gericht erster instanz, vernehmung von zeugen, rücktritt

URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)
15. Juni 1999
„Außervertragliche Haftung - Mittelmeerprogramme - Bericht des Rechnungshofes - Kritik an der Klägerin“
In der Rechtssache T-277/97
Ismeri Europa Srl
Sergio Ristuccia und Gian Luigi Tosato, Rom, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Alex Schmitt, 7,
Val Sainte-Croix, Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Rechnungshof der Europäischen Gemeinschaften
und Paolo Giusta, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift: Rechnungshof, 12, rue
Alcide de Gasperi, Luxemburg-Kirchberg,
Beklagter,
wegen Ersatz des Schadens, der der Klägerin angeblich aufgrund der vom Rechnungshof im Sonderbericht
Nr. 1/96 über die Mittelmeerprogramme, zusammen mit den Antworten der Kommission (Bemerkungen
gemäß Artikel 188c Absatz 4 Unterabsatz 2 des EG-Vertrags) (ABl. 1996, C 240, S. 1), ihr
gegenübererhobenen Beanstandungen entstanden ist, nach den Artikeln 178 und 215 EG-Vertrag (jetzt
Artikel 235 EG und 288 EG),
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten M. Jaeger sowie der Richter K. Lenaerts und J. Azizi,
Kanzler: A. Mair, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Februar 1999,
folgendes
Urteil
Sachverhalt
1.
Die Hilfen der Europäischen Union zugunsten von Drittländern des Mittelmeerraums fügen sich in
ein Gesamtkonzept ein, das als neue Mittelmeerpolitik bezeichnet wird. Globale Ziele dieses
Gesamtkonzepts sind auf der Wirtschaftsebene die Förderung des Entstehens einer Zone
wirtschaftlichen Wohlstands rings um das Mittelmeer und auf der politischen Ebene die Unterstützung
des Demokratieprozesses und des Prozesses der regionalen Integration in diesen Ländern.
2.
Die Mittelmeerprogramme sind Ausdruck des Willens der Gemeinschaft, eine multilaterale
Zusammenarbeit mit den Drittländern des Mittelmeerraums und zwischen diesen aufzubauen. Sie
wurden geschaffen, weil diese Politik nicht im Rahmen der Finanzprotokolle, bei denen es sich um
bilaterale zwischenstaatliche Abkommen handelt, verwirklicht werden konnte.
3.
Die Konzeption der Mittelmeerprogramme soll eine dezentralisierte Zusammenarbeit auf der
Grundlage neuer Instrumente ermöglichen. Dabei sollen Partner der Europäischen Union und der
Mittelmeerländer, die zu Netzen mit 4 bis 8 Netzteilnehmern zusammengeschlossen sind, von ihnen
selbst ausgearbeiteteVorhaben durchführen. Sie decken folgende Bereiche ab: Gemeindeverwaltung
(MED-Urbs), Hochschulwesen (MED-Campus), Medien (MED-Media), Forschung (MED-Avicena) und
Wirtschaft (MED-Invest). Die Kommission gewährt den Netzen die zur Durchführung ihrer Vorhaben
erforderliche finanzielle Unterstützung und technische Hilfe.
4.
Da der Kommission keine Ressourcen für die Verwaltung der Mittelmeerprogramme zur Verfügung
standen, hat sie die Agence pour les Réseaux Transméditerranées (Agentur für die
transmediterranen Netze, im folgenden: ARTM) mit der Verwaltung und Mittelbewirtschaftung der
Programme betraut. Bei der ARTM handelt es sich um eine Organisation ohne Erwerbszweck nach
belgischem Recht, die zur Wahrnehmung dieser Aufgabe von der Kommission gegründet wurde. Mit
der technischen Überwachung wurden Büros für technische Hilfe beauftragt, bei denen es sich meist
um Beraterbüros handelte.
5.
Die Vorhaben werden von einem Ausschuß, dem sogenannten Mittelbindungsausschuß, genehmigt,
dem Vertreter der ARTM und Vertreter des Büros für technische Hilfe angehören. Die Letztgenannten
nehmen ohne Stimmrecht an den Sitzungen teil und sind zuständig für die Stellungnahme zu den
technischen Aspekten. Den Vorsitz im Ausschuß führt der verantwortliche Verwaltungsrat der
Kommission.
6.
Nach Ansicht des beklagten Rechnungshofes gab es bei der Finanzverwaltung der
Mittelmeerprogramme eine Reihe schwerwiegender Unregelmäßigkeiten und Mängel. Er nahm daher
am 30. Mai 1996 den Sonderbericht Nr. 1/96 über die Mittelmeerprogramme, zusammen mit den
Antworten der Kommission (Bemerkungen gemäß Artikel 188c Absatz 4 Unterabsatz 2 des EG-
Vertrags) (ABl. C 240, S. 1; im folgenden: Sonderbericht 1/96) an.
7.
Nach den Feststellungen des Beklagten hat die Art und Weise der Vertragsvergabe sowie die
Mitwirkung derselben Beraterfirmen an der Konzeption der Programme, an der Vorbereitung der
Finanzierungsvorschläge, an der Verwaltung der ARTM und an der technischen Überwachung der
Programme zu erheblichen Interessenkonflikten geführt, was eine angemessene Verwaltung der
Gemeinschaftsmittel beeinträchtigt habe.
8.
Die Ressourcen und Verfahren, welche die Kommission zur Verfügung gestellt habe, um die
Durchführung der Mittelmeerprogramme zu überwachen und ihre dezentralisierte Verwaltung zu
kontrollieren, seien unzureichend gewesen. Nachdem sie die erwähnten Interessenkonflikte erkannt
habe, sei sie lange nicht in der Lage gewesen, Abhilfe zu schaffen.
9.
Der Beklagte führt hierzu im einzelnen wie folgt aus:
„... Bis April 1995 waren zwei der vier Verwaltungsratsmitglieder der ARTM zugleich Leiter der Büros für
technische Hilfe (nämlich von FERE Consultants und Ismeri), welche mit der Überwachung der
Mittelmeerprogramme betraut waren.
... Dieselben Büros für technische Hilfe haben an der Konzeption der Mittelmeerprogramme mitgewirkt,
und zwar bis zum Stadium der Vorbereitung der Entwürfe für die Finanzierungsvorschläge, obwohl
diese Aufgabe den Kommissionsdienststellen obliegt. So hat FERE Consultants für die Mitwirkung an
der Vorbereitung der MED-Urbs-Programme und an Teil B des MED-Invest-Programms einen Betrag von
323 000 ECU erhalten, während Ismeri Europa für die Mitwirkung an der Vorbereitung des MED-
Campus-Programms einen Betrag von 199 960 ECU erhielt. Diese Aufträge wurden ebenfalls in
direkter Absprache vergeben.
... Die Bedingungen, unter denen die Vergabe der Aufträge erfolgte, sowie die Tatsache, daß
dieselben Beratergesellschaften an der konzeptuellen Entwicklung der Programme, der Ausarbeitung
der Finanzierungsvorschläge und der Überwachung der Programme beteiligt und außerdem im
Verwaltungsrat der ARTM vertreten waren, haben zur Vermischung von Interessen geführt, die einer
wirtschaftlichen Verwaltung der Finanzmittel der Gemeinschaft und der Gleichberechtigung bei der
Vergabe öffentlicher Aufträge entgegensteht. Hier sind zwei besonders schwerwiegende Fälle
hervorzuheben:
a) Nach Zustimmung des Mittelbindungsausschusses (comité d'engagement) hat die ARTM Verträge
in direkter Absprache an die Büros für technische Hilfe vergeben, die von zwei
Verwaltungsratsmitgliedern der ARTM geleitet wurden ... Im ersten Fall handelt es sich um einen am
14. Dezember 1992 zwischen der ARTM und FERE Consultants geschlossenen Vertrag über einen
Betrag von 547 750 ECU, im zweiten Fall um einen am 21. Dezember 1992 zwischen der ARTM und
Ismeri geschlossenen Vertrag über einen Betrag von 748 900 ECU. In beiden Fällen hatten die
Unterzeichner zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit der ARTM zwei der vier
Verwaltungsratsposten bei der ARTM inne. Ferner ist zu erwähnen, daß die beiden durch die
erwähnten Verträge begünstigten Firmen an den Sitzungen der Mittelbindungsausschüsse (comités
d'engagement), welche die betreffenden Verträge genehmigt haben, teilnahmen.
b) Dieselben Büros für technische Hilfe erhielten im Rahmen der Durchführung des MED-Invest-
Programms den Auftrag für die Durchführung von zwei Vorhaben, ohne daß eine Ausschreibung oder
Auswahl stattgefunden hatte. Für die Durchführung dieser Aufgaben erhielten sie 270 000 ECU bzw.
405 000 ECU.
...
Nachdem die Kommission schließlich erkannt hatte, welche Risiken diese Situation in sich barg,
beantragte sie, daß die Leiter der Büros für technische Hilfe, welche mit der Überwachung der
Programme beauftragt worden waren, aus dem Verwaltungsrat der ARTM ausscheiden sollten. Aus
den Sitzungsprotokollen des Verwaltungsrats der ARTM geht hervor, daß die betreffenden Personen
den Aufforderungen der Kommission nicht Folge leisten wollten. Es dauerte mehr als anderthalb Jahre,
bis sie schließlich nachgaben, allerdings unter Voraussetzungen, die zumindest als zweifelhaft
bezeichnet werden müssen. Aus dem Sitzungsprotokoll der Generalversammlung vom 11. Oktober
1994 geht hervor, daß die beiden betreffenden Verwaltungsratsmitglieder nur unter folgenden
Bedingungen zum Rücktritt bereit waren:
- Die Kommission sollte FERE Consultants mit der technischen Hilfe für das MED-Invest-Programm
beauftragen.
- Ismeri Europa sollte erneut den Auftrag über die technische Hilfe für das MED-Campus-Programm
erhalten.
Darüber hinaus knüpften die beiden Leiter der Büros für technische Hilfe ihren Rücktritt an die
Forderung, einen Nachfolger ihrer Wahl vorschlagen zu können. Nachdem all diese Bedingungen
erfüllt worden waren, legten die beiden Verwaltungsratsmitglieder schließlich im April 1995 ihr Amt
nieder.
... Angesichts des schwerwiegenden Charakters dieser Feststellungen hat der Hof die Kommission
unverzüglich informiert, um sie in die Lage zu versetzen, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen und
die Notwendigkeit rechtlicher Schritte gegen die Verantwortlichen zu prüfen. Ende November 1995
haben die zuständigen Kommissionsdienststellen dem Hof mitgeteilt, daß sie beabsichtigen, die mit
der ARTM geschlossenen Verträge nach ihrem Auslaufen im Januar 1996 nicht zu verlängern und die
ARTM aufzulösen. Ferner teilten sie dem Hof ihre Absicht mit, die Verträge mit den Büros für
technische Hilfe ebenfalls nicht zu verlängern und eine Untersuchung einzuleiten mit dem Ziel, die
Verantwortlichen festzustellen und in Zusammenarbeit mit dem Juristischen Dienst der Kommission die
Notwendigkeit rechtlicher Schritte zu prüfen.“
10.
Am 26. September 1996 legte der Beklagte den Sonderbericht 1/96 nach Artikel 206 Absatz 1 EG-
Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 276 Absatz 1 EG) dem Ausschuß für Haushaltskontrolle des
Parlaments vor. In der Folge erhielt im Rahmen der in Artikel 188c Absatz 4 Unterabsatz 4 EG-Vertrag
(nach Änderung jetzt Artikel 248 Absatz 4 Unterabsatz 4 EG) vorgesehenen Unterstützung auch die
Kommission Einsicht in die Untersuchungsakten des Beklagten.
11.
Am 17. Juli 1997 nahm das Parlament in der Plenarsitzung die Entschließung zu dem Sonderbericht
1/96 (ABl. C 286, S. 263) an. Es heißt dort u. a.,
„... daß an zwei Büros für technische Hilfe zusammen 62 Prozent der Gesamtausgaben für technische
Hilfe im Rahmen der Programme geflossen sind, und daß bis April 1995 zwei der vier
Verwaltungsratsmitglieder der ARTM zugleich Leiter der beiden erwähnten Büros waren, und somit
über mehrere Jahre hinweg ein offensichtlicher Fall von Interessenvermischung vorlag,
... daß die ARTM gemäß den Weisungen der Kommission Verträge freihändig an diese Büros für
technische Hilfe vergeben hat, wobei die Leiter der beiden durch die erwähnten Verträge
begünstigten Firmen zugleich Verwaltungsratsmitglieder der ARTM waren,
... daß dieselben Büros für technische Hilfe im Rahmen der Durchführung des MED-Invest-Programms
den Auftrag für die Durchführung von zwei Vorhaben im Wert von 270 000 ECU bzw. 405 000 ECU
erhielten, ohne daß eine Ausschreibung oder Auswahl stattgefunden hätte,
... daß dieses Verfahren zu einer Interessenvermischung und einem möglichen Eingreifen von
externem Personal in Bereiche geführt hat, die der Beschlußfassung durch die Kommission
unterliegen, auch wenn letztere den Vorsitz in den Mittelbindungsausschüssen führte und dort ein
Vetorecht besaß,
... daß somit Bedienstete der Kommission an der Entstehung und am Funktionieren eines Systems
mitgewirkt haben, das eine korrekte Verwaltung der Gemeinschaftsmittel beeinträchtigte, zu
zusätzlichen Kosten und zu erheblichen Entgleisungen führte,
... daß Bedienstete der Kommission es außerdem hingenommen haben, daß die erwähnten
Verwaltungsratsmitglieder der ARTM durch die Interessenvermischung in einer Situation waren, die
womöglich nach dem Strafrecht der betreffenden Mitgliedstaaten strafbar ist,
... daß der Fall insgesamt in mehrfacher Hinsicht von exemplarischer Bedeutung ist und daß dabei die
Kommission, deren Glaubwürdigkeit auf dem Spiel steht, energische Maßnahmen treffen muß; daß zu
diesem Zweck eingehende Nachprüfungen erforderlich sind, um sicherzustellen, daß vergleichbare
Probleme bei anderen Kooperationsprogrammen mit anderen geographischen Räumen nicht
auftreten“.
Vorprozessuales Verfahren
12.
Ismeri Europa Srl (im folgenden: Klägerin) ist eine Gesellschaft, deren Zweck die Planung und
Durchführung von Dienstleistungen im Bereich der interdisziplinärenProjektforschung und
Projektkonzeption auf wirtschaftlichem, sozialem, rechtlichem und administrativen Gebiet mit
Schwerpunkt in Europa ist.
13.
Im Rahmen der Vorarbeiten für den Sonderbericht 1/96 begaben sich zwei Sachbearbeiter des
Beklagten vom 16. bis 19. Juni 1995 zum Sitz der Klägerin nach Rom. Nach diesem Besuch
beantwortete die Klägerin die Fragen, die ihr der Beklagte in zwei ausführlichen Fragebögen gestellt
hatte. Ein Fragebogen betraf die Aufgabe der Klägerin in ihrer Eigenschaft als Büro für technische
Hilfe für das MED-Invest-Programm, der andere ihre Rolle als Koordinatorin eines Vorhabens des MED-
Invest-Programms in Marokko. In den Fragebögen wurde die Klägerin u. a. aufgefordert, die
Ergebnisse der Vorhaben, an denen sie beteiligt war, zu evaluieren. Der Antwort der Klägerin waren
ausgesprochen umfangreiche Unterlagen beigefügt.
14.
Die Kommission, die den Sonderbericht 1/96 am 6. Oktober 1995 formlos vom Beklagten erhalten
hatte, übersandte eine Kopie dieses Berichts an die ARTM. Die Antworten der ARTM, die sich vor allem
mit den Interessenkonflikten befaßten, übersandte die Kommission dem Beklagten. Als diese
Antworten verfaßt wurden, war die Klägerin noch Gründungsmitglied der ARTM.
15.
Am 31. Januar 1997 übersandte die Klägerin ein Schreiben an den Beklagten, in dem sie diesen
erstmals aufforderte, eine Berichtigung des Sonderberichts 1/96 zu veröffentlichen. Sie war der
Ansicht, daß der Bericht Unrichtigkeiten über sie enthalte und daß der Beklagte sie vor der
Veröffentlichung hätte anhören müssen.
16.
Am 7. März 1997 erwiderte der Direktor der Direktion „Beziehungen zu den Gemeinschaftsorganen,
Öffentlichkeitsarbeit und Juristischer Dienst“ des Beklagten, daß der Sonderbericht keine
Unrichtigkeiten enthalte und daß die Verfahrensvorschriften beachtet worden seien.
17.
Mit Schreiben vom 24. April 1997 bestritt die Klägerin, daß diese Antwort ordnungsgemäß zustande
gekommen sei, da aus ihr nicht hervorgehe, daß ihr Schreiben den Mitgliedern des Rechnungshofes
vorgelegt worden sei.
18.
Am 9. Juni 1997 bestätigte der genannte Direktor schriftlich, daß das Verfahren im Zusammenhang
mit der Antwort vom 7. März 1997 ordnungsgemäß gewesen sei.
19.
Am 12. Juni 1997 übersandte die Klägerin jedem Mitglied des Rechnungshofes ein Schreiben, in
dem sie erneut ihre Auffassung ausführlich darlegte.
20.
Am 18. Juli 1997 erwiderte der Präsident des Rechnungshofes, daß kein Anlaß bestehe, den
Sonderbericht 1/96 zu überprüfen. Im übrigen verwies er auf das Schreiben vom 7. März 1997.
Verfahren und Anträge der Parteien
21.
Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 20. Oktober 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen
ist, die vorliegende, auf die Artikel 178 und 215 Absatz 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 235 EG und 288
Absatz 2 EG) gestützte Klage erhoben.
22.
Die Klägerin betragt,
- die Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen anzuordnen;
- den Beklagten zu verurteilen, die Urteilsformel im zu
veröffentlichen sowie den Betrag von 200 000 ECU oder einen anderen, in das Ermessen des Gerichts
gestellten Betrag als Ausgleich für die Schädigung des Rufs der Klägerin zu zahlen;
- den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 943 725 ECU als Ersatz für den ihr durch die
Auflösung der Verträge entstandenen Schaden sowie einen in das Ermessen des Gerichts gestellten
Betrag als Ersatz für den entgangenen Gewinn zu zahlen;
- den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin Zinsen in gesetzlicher Höhe sowie einen Betrag als
Inflationsausgleich zu zahlen;
- dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
23.
Der Beklagte beantragt,
- die Klage als unzulässig, hilfsweise als unbegründet abzuweisen;
- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Zulässigkeit
24.
Der Beklagte hält die Klage für unzulässig. Dabei unterscheidet er zwischen den von der Klägerin
geltend gemachten Schäden.
25.
Der Beklagte macht bezüglich des Antrags auf Schadenersatz wegen der Kündigung eines am 17.
Februar 1997 mit der Generaldirektion Regionalpolitik und Kohärenz (GD XVI) der Kommission
geschlossenen Vertrags FEDER (im folgenden: Vertrag FEDER), wegen der Nichtvergabe eines
Auftrags durch die Kommission, wegen der Kündigung eines Vertrags mit der Agence pour les réseaux
de coopération interrégionale (Agentur für die interregionalen Kooperationsnetze) (im folgenden:
ARCI) und wegen des entgangenen Gewinns jeweils besondere Einreden geltend.
Antrag auf Ersatz des durch die Kündigung des Vertrags FEDER entstandenen Vermögensschadens
26.
Der Beklagte erhebt zwei Unzulässigkeitseinreden: Die erste ist auf die vertragliche Natur des
Schadens gestützt, die zweite, hilfsweise vorgetragene Einrede ist mit einem formellen Mangel der
Klage begründet. Aus Gründen der Kohärenz ist zunächst die letztgenannte Einrede zu prüfen.
- Zur Unzulässigkeitseinrede, die auf die unzureichende Darlegung des Kausalzusammenhangs
zwischen der Pflichtwidrigkeit und dem behaupteten Schaden gestützt wird
27.
Der Beklagte trägt vor, in der Klageschrift sei nicht dargelegt worden, daß zwischen dem von der
Klägerin behaupteten pflichtwidrigen Verhalten und dem ihr durch die Kündigung des fraglichen
Vertrages angeblich entstandenen Schaden ein Kausalzusammenhang bestehe. Die Klage sei daher
unzulässig.
28.
Nach Artikel 19 der EG-Satzung des Gerichtshofes und nach Artikel 44 § 1 Buchstabe c der
Verfahrensordnung des Gerichts muß die Klageschrift den Streitgegenstand und eine kurze
Darstellung des Klagegrundes enthalten.
29.
Diese Darstellung muß aus sich selbst heraus hinreichend klar und deutlich sein, um dem
Beklagten die Vorbereitung seiner Verteidigung und dem Gericht - gegebenenfalls auch ohne weitere
Informationen - die Entscheidung über die Klage zu ermöglichen. Um die Rechtssicherheit und eine
ordnungsgemäße Rechtspflege zu gewährleisten, ist es für die Zulässigkeit einer Klage daher
erforderlich, daß sich die tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die sich die Klage stützt,
zumindest in gedrängter Form, aber zusammenhängend und verständlich unmittelbar aus der
Klageschrift ergeben (siehe Urteile des Gerichtshofes vom 13. Dezember 1990 in der Rechtssache C-
347/88, Kommission/Griechenland, Slg. 1990, I-4747, Randnr. 28, und vom 31. März 1992 in der
Rechtssache C-52/90, Kommission/Dänemark, Slg. 1992, I-2187, Randnrn. 17 f., Urteile des Gerichts
vom 18. September 1996 in der Rechtssache T-387/94, Asia Motor France u. a./Kommission, Slg. 1996,
II-961, Randnr. 106, und vom 29. Januar 1998 in der Rechtssache T-113/96, Dubois et Fils/Rat und
Kommission, Slg. 1998, II-125, Randnr. 29).
30.
Eine Klage auf Ersatz der von einem Gemeinschaftsorgan angeblich verursachten Schäden genügt
diesen Erfordernissen nur, wenn sie Angaben enthält, anhand deren sich das dem Organ vom Kläger
vorgeworfene Verhalten bestimmen läßt, die Gründe angibt, aus denen nach Auffassung des Klägers
ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten und dem angeblich erlittenen Schaden besteht,
sowie Art und Umfang dieses Schadens bezeichnet (siehe z. B. Urteil Dubois et Fils/Rat und
Kommission, Randnr. 30, und Beschluß des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T-262/97,
Goldstein/Kommission, Slg. 1998, II-2175, Randnr. 22).
31.
Im vorliegenden Fall wird in der Klageschrift dargelegt, daß die Veröffentlichung des Sonderberichts
durch den Beklagten die Kommission veranlaßt habe, den Vertrag FEDER zu kündigen. Die Klageschrift
stellt daher zusammenhängend undverständlich dar, worin nach Auffassung der Klägerin der
Kausalzusammenhang zwischen dem dem Beklagten vorgeworfenen Verhalten und dem behaupteten
Schaden besteht. Wenn sich aus der Akte Umstände ergeben, die dem Vorbringen der Klägerin
möglicherweise widersprechen, spricht dies nicht gegen die Zulässigkeit der Klage, sondern
gegebenenfalls gegen deren Begründetheit.
32.
Die Klageschrift genügt folglich den Formerfordernissen der genannten Vorschriften, und die
Einrede ist somit zurückzuweisen.
- Zur Unzulässigkeitseinrede, die auf den vertraglichen Charakter des behaupteten Schadens gestützt
wird
33.
Der Beklagte trägt vor, die Klägerin habe im vorliegenden Fall gegen ihren Vertragspartner, d. h.
gegen die Gemeinschaft, eine Klage aus außervertraglicher Haftung mit der Begründung erhoben,
daß diese den Vertrag gekündigt habe. Die Kündigung dieses Vertrages falle aber in den in Artikel
215 Absatz 1 EG-Vertrag geregelten Bereich der vertraglichen Haftung. Da die vorliegende Klage auf
Schadenersatz vertraglichen Ursprungs gerichtet sei, sei sie unzulässig (Beschluß des Gerichts vom
18. Juli 1997 in der Rechtssache T-180/95, Nutria/Kommission, Slg. 1997, II-1317, Randnrn. 39 und 40).
34.
Die in Artikel 215 Absatz 2 EG-Vertrag vorgesehene außervertragliche Haftung, auf die die Klage
gestützt ist, trifft zwar die Gemeinschaft. Sie wird jedoch für „den durch [die] Organe ... verursachten
Schaden“ übernommen. Sie setzt demnach voraus, daß das Organ, dem die Schadensursache
zuzurechnen ist, feststeht.
35.
Im vorliegenden Fall macht die Klägerin als Schaden die Kündigung des mit der Kommission
geschlossenen Vertrags FEDER durch die Kommission geltend. Sie bestreitet die Rechtmäßigkeit
dieser Kündigung weder in formeller noch materieller Hinsicht. Mit der Klage soll dem Beklagten
lediglich zur Last gelegt werden, daß er den Sonderbericht 1/96 veröffentlichte und hierdurch die
Kommission veranlaßte, den in Rede stehenden Vertrag zu kündigen.
36.
Das dem Beklagten vorgeworfene Verhalten hat folglich mit der Erfüllung der Pflichten aufgrund des
Vertrages zwischen der Klägerin und der Gemeinschaft nichts zu tun. Die geltend gemachte Haftung
ist somit außervertraglicher Natur.
37.
Die Einrede ist daher zurückzuweisen.
Antrag auf Ersatz des durch Nichtvergabe eines Auftrags entstandenen Vermögensschadens
38.
Die Klägerin macht als Schaden geltend, daß ihr die Möglichkeit genommen worden sei, bei der von
der Kommission in Santiago de Chile durchgeführten wichtigen Ausschreibung betreffend die
Errichtung eines Technologieparks in Chile (Vorhaben CHI/B7-3011/94/172) einen Zuschlag zu
erhalten.
39.
Der Beklagte beruft sich auf den vertraglichen Ursprung des Schadens. Er ist der Auffassung, daß
ihm das von der Kommission herbeigeführte schädigende Ereignis nicht zuzurechnen sei und die Klage
daher unzulässig sei. In der Klageschrift werde nicht ausreichend dargestellt, worin der
Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und dem ihm vorgeworfenen Sachverhalt, d. h. der
Veröffentlichung des Sonderberichts 1/96, bestehe. Aus Gründen der Kohärenz ist zunächst die
letztgenannte Einrede zu prüfen.
- Zur Unzulässigkeitseinrede, die auf die unzureichende Darstellung des Kausalzusammenhangs
zwischen der Pflichtverletzung und dem behaupteten Schaden gestützt wird
40.
Der Beklagte ist der Ansicht, die Klägerin habe in der Klageschrift nicht mit der erforderlichen
Klarheit und Deutlichkeit dargestellt, worin der Kausalzusammenhang zwischen dem angeblich
rechtswidrigen Verhalten und dem Schaden bestehe, der sich aus der Nichtvergabe eines Auftrags
durch die Kommission ergebe. Die Klägerin habe überdies keinerlei Unterlagen der Kommission
vorgelegt, aus denen sich nähere Angaben zu diesem Auftrag und zu den Gründen ergäben, weshalb
sie den Auftrag nicht erhalten habe. Der betreffende Antrag sei daher unzulässig.
41.
Nach der Klageschrift soll die Veröffentlichung des Sonderberichts 1/96 durch den Beklagten die
Kommission veranlaßt haben, die Klägerin unter den Bewerbern für den fraglichen Auftrag nicht zu
berücksichtigen. Aus den Unterlagen, die der Klageschrift als Anlage beigefügt sind, ergibt sich, daß
die Klägerin an der Ausschreibung teilgenommen hatte. Die Klägerin legt ferner dar, daß sie bei der
Auswahl wahrscheinlich zu den aussichtsreichsten Bietergesellschaften gehört hätte. Die Klägerin tritt
hierfür Beweis an durch den Antrag, die Vorlage der entsprechenden Urkunden durch die Kommission
anzuordnen.
42.
Diese Darstellung ist hinreichend klar und deutlich, um dem Beklagten die Vorbereitung seiner
Verteidigung und dem Gericht die Entscheidung über die Klage zu ermöglichen. Die Klage genügt
daher insoweit den Erfordernissen des Artikels 19 der EG-Satzung des Gerichtshofes und des Artikels
44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung des Gerichts.
43.
Die Einrede ist somit zurückzuweisen.
- Zur Unzulässigkeitseinrede, die auf den vertraglichen Charakter des behaupteten Schadens gestützt
wird
44.
Der Beklagte trägt vor, wenn der Schaden wegen Nichtvergabe eines Auftrags als Schaden
vertraglichen Ursprungs angesehen werden müßte, wäre der im vorliegenden Fall auf die
außervertragliche Haftung gestützte Schadenersatzantrag unzulässig.
45.
Der behauptete Schaden besteht darin, daß die Kommission der Klägerin keinen Auftrag erteilt hat.
Dem Beklagten wird von der Klägerin zur Last gelegt, daß er durch die Veröffentlichung des
Sonderberichts 1/96 die Kommission veranlaßt habe, ihr den fraglichen Auftrag nicht zu erteilen. Der
Schaden hat folglich mit der Erfüllung von Vertragspflichten nichts zu tun. Die insoweit bestehende
Haftung ist damit außervertraglicher Natur.
46.
Die Einrede ist daher zurückzuweisen.
- Zur Unzulässigkeitseinrede, die darauf gestützt wird, daß der Schaden dem Beklagten nicht
zugerechnet werden kann
47.
Der Beklagte trägt vor, die Klage sei unzulässig, weil der geltend gemachte Schaden, d. h. die
Nichtvergabe des Auftrags, durch die Kommission verursacht worden sei. Der Sonderbericht 1/96 sei
nicht rechtsverbindlich und habe infolgedessen die Handlungsfreiheit der Kommission in keiner Weise
eingeschränkt.
48.
Diese Einrede geht dahin, daß die Handlungsfreiheit der Kommission den Kausalzusammenhang
zwischen der Handlung des Beklagten, d. h. der Veröffentlichung des Sonderberichts 1/96, und dem
angeblichen Schaden, d. h. der Nichtvergabe des Auftrags, unterbrochen habe. Sie stellt das
Vorliegen eines Kausalzusammenhangs, also einer der Sachvoraussetzungen für die außervertragliche
Haftung der Gemeinschaft, in Frage. Sie ist daher nicht bei der Zulässigkeit, sondern bei der
Begründetheit des Rechtsstreits zu prüfen.
49.
Der Beklagte zitiert zur Stützung seiner Einreden zwei Urteile des Gerichtshofes (Urteile vom 27.
März 1980 in der Rechtssache 133/79, Sucrimex und Westzucker/Kommission, Slg. 1980, 1299,
Randnrn. 22 und 23, und vom 10. Juni 1982 in der Rechtssache 217/81, Interagra/Kommission, Slg.
1982, 2233, Randnr. 8), in denen eine Schadensersatzklage für unzulässig erklärt wurde, weil das
schädigende Ereignis nicht dem beklagten Organ zugerechnet werden konnte. Diese Urteile ergingen
jedoch in Verfahren, in denen die Schadensersatzklage gegen die Gemeinschaft gerichtet war, obwohl
die beschwerende Entscheidung von einer nationalen Stelle erlassen worden war, die zur
Durchführung einer Gemeinschaftsregelung tätig wurde. Da Artikel 178 EG-Vertrag in Verbindung mit
Artikel 215 EG-Vertrag den Gemeinschaftsgerichten nur die Zuständigkeit für Klagen auf Ersatz
derjenigen Schäden verleiht, die die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft auslösen können,
führt die Zurechnung eines Schadens zu einer nationalen Stelle zur Unzuständigkeit der genannten
Gerichte und infolgedessen zur Unzulässigkeit der Klage (siehe auch in diesem Sinn Urteile des
Gerichtshofes vom 26. Februar 1986 in der Rechtssache 175/84, Krohn/Kommission, Slg. 1986, 753,
Randnrn. 18 und 19, und vom 7. Juli 1987 in den Rechtssachen 89/86 und 91/86, L‘Étoile commerciale
und CNTA/Kommission, Slg. 1987, 3005, Randnrn. 17 und 18).
50.
Im vorliegenden Fall dagegen stellt sich die Frage der Zurechenbarkeit des Schadens
ausschließlich zwischen zwei Gemeinschaftsorganen. Deren Haftung aber fällt in die Zuständigkeit der
Gemeinschaftsgerichte.
51.
Die Einrede ist daher zurückzuweisen.
Antrag auf Ersatz des Vermögensschadens, der durch die Kündigung eines mit der ARCI
geschlossenen Vertrages entstanden ist
52.
Die Klägerin macht als Schaden die am 16. Juli 1997 erfolgte Kündigung eines am 23. Dezember
1996 mit der ARCI geschlossenen Vertrages geltend.
53.
Der Beklagte erhebt gegenüber der auf Ersatz dieses Schadens gerichteten Klage die Einrede der
Unzulässigkeit, weil der Schaden ihm nicht zugerechnet werden könne und weil die Klageschrift nicht
mit der erforderlichen Klarheit und Deutlichkeit darstelle, worin der Kausalzusammenhang zwischen
dem angeblichen haftungsbegründenden Ereignis und dem Schaden bestehe.
54.
Aus Gründen der Kohärenz ist zunächst die zweite Einrede zu prüfen.
- Zur Unzulässigkeitseinrede, die auf die unzureichende Darstellung des Kausalzusammenhangs
zwischen der Pflichtverletzung und dem behaupteten Schaden gestützt wird
55.
Der Beklagte ist der Auffassung, die Klägerin habe nicht mit der erforderlichen Klarheit und
Deutlichkeit dargestellt, worin der Kausalzusammenhang zwischen dem angeblich rechtswidrigen
Verhalten und dem Schaden bestehe, der durch die Kündigung eines Vertrages mit der ARCI
entstanden sei.
56.
Das von der Klägerin vorgelegte Schreiben, so der Beklagte, gebe keinen Aufschluß über den
Kündigungsgrund. Die Klägerin sei überdies mit der Beendigung des Vertrags einverstanden gewesen.
Schließlich sei dieser Vertrag mit der Klägerin am 23. Dezember 1996, also nach der Veröffentlichung
des Sonderberichts 1/96, geschlossen worden, so daß jeder Kausalzusammenhang zwischen dem
Sonderbericht 1/96 und einem etwaigen, durch die Kündigung entstandenen Schaden völlig
unwahrscheinlich, wenn nicht sogar unmöglich sei.
57.
Der Beklagte kommt daher zum Ergebnis , daß die Klage unzulässig ist.
58.
In der Klageschrift wird dargelegt, daß die Veröffentlichung des Sonderberichts 1/96 durch den
Beklagten die ARCI veranlaßt habe, den fraglichen Vertrag zu kündigen. Die Klageschrift stellt daher
zusammenhängend und verständlich dar, worin nach Auffassung der Klägerin der
Kausalzusammenhang zwischen dem dem Beklagten vorgeworfenen Verhalten und dem angeblichen
Schaden besteht. Wenn sich aus der Akte Umstände ergeben, die dem Vorbringen der
Klägerinmöglicherweise widersprechen, spricht dies nicht gegen die Zulässigkeit der Klage, sondern
gegebenenfalls gegen deren Begründetheit (siehe oben, Randnr. 31).
59.
Die Klage genügt folglich den Formerfordernissen der in den Randnummern 28 bis 30 genannten
Vorschriften, und die Einrede ist daher zurückzuweisen.
- Zur Unzulässigkeitseinrede, die darauf gestützt wird, daß der Schaden dem Beklagten nicht
zugerechnet werden kann
60.
Der Beklagte führt aus, die Klage sei unzulässig, weil die ARCI den geltend gemachten Schaden, d.
h. die Kündigung des Vertrages, verursacht habe, und zwar entweder aufgrund eigenen Entschlusses
oder aufgrund eines Einschreitens der Kommission. Zudem habe der Beklagte keinerlei Möglichkeit
gehabt, die ARCI zur Vornahme dieser Maßnahme zu zwingen. Der Sonderbericht 1/96 sei nicht
rechtsverbindlich und habe infolgedessen die Handlungsfreiheit der Kommission und der ARCI in
keiner Weise eingeschränkt.
61.
Mit dieser Einrede soll entsprechend der oben in den Randnummern 47 bis 51 geprüften Einrede
behauptet werden, daß die Handlungsfreiheit der ARCI und der Kommission den Kausalzusammenhang
zwischen der Handlung des Beklagten, d. h. der Veröffentlichung des Sonderberichts 1/96, und dem
angeblichen Schaden, d. h. der Kündigung des Vertrages, unterbrochen habe. Sie stellt daher das
Vorliegen eines Kausalzusammenhangs, also eine der Sachvoraussetzungen für die außervertragliche
Haftung der Gemeinschaft, in Frage. Sie ist daher nicht bei der Zulässigkeit, sondern bei der
Begründetheit des Rechtsstreits zu prüfen.
62.
Die Einrede ist daher zurückzuweisen.
Antrag auf Ersatz eines Vermögensschadens wegen entgangenen Gewinns
63.
Der Beklagte erhebt die Einrede der Unzulässigkeit, weil die Klägerin nicht mit der erforderlichen
Klarheit und Deutlichkeit dargestellt habe, worin der Schaden und worin der Kausalzusammenhang
zwischen dem angeblichen haftungsbegründenden Ereignis und dem Schaden bestehe.
- Zur Unzulässigkeitseinrede, die auf die unzureichende Darstellung des Schadens in der Klageschrift
gestützt wird
64.
Der Beklagte führt aus, der Antrag auf Ersatz des durch eine verminderte Geschäftstätigkeit der
Klägerin entstandenen Schadens sei unzulässig, da weder der Schadensbetrag noch Tatsachen
angegeben worden seien, anhand deren sich Art und Umfang des Schadens beurteilen ließen (Urteil
des Gerichts vom 10. Juli 1990 in der Rechtssache T-64/89, Automec/Kommission, Slg. 1990, II-367,
Randnrn. 73 bis 77).
65.
Auch unter Berücksichtigung der in den Randnummern 28 bis 30 dargelegten Grundsätze
ermangelt ein auf irgendeine Schadensersatzleistung gerichteter Antrag der notwendigen
Bestimmtheit und ist deshalb unzulässig (Urteil vom 2. Dezember 1971 in der Rechtssache 5/71,
Zuckerfabrik Schöppenstedt/Rat, Slg. 1971, 975, Randnr. 9, Urteil Automec/Kommission, Randnr. 73,
sowie Urteil des Gerichts vom 29. Oktober 1998 in der Rechtssache T-13/96, TEAM/Kommission, Slg.
1998, II-4073, Randnr. 27).
66.
Die Klägerin hat in ihrer Klageschrift dargelegt, daß sich der Schaden wegen entgangenem Gewinn
aus der Nichtvergabe des Auftrags CHI/B7-3011/94/172 (siehe Randnrn. 38 bis 51), aus der
Verhinderung der Teilnahme an dem von der Kommission durchgeführten Ausschreibungsverfahren
und demgemäß aus dem Verlust von Gewinnchancen ergebe. Er äußere sich in der Beeinträchtigung
der immateriellen Unternehmenswerte und in der Unmöglichkeit, neue geschäftliche Erfahrungen zu
sammeln. Die Bilanz der Klägerin weise einen Umsatz von 2 000 bis 2 500 Mio. LIT auf. In bezug auf
diese Angaben sei der Schaden zu ermitteln, der in der Form verminderter Geschäftstätigkeit durch
den Sonderbericht 1/96 verursacht worden sei.
67.
Obwohl die Klägerin die Höhe des angeblichen Schadens nicht beziffert hat, hat sie die Einzelheiten
angegeben, die es erlauben, dessen Art und Umfang zu beurteilen. Dem Beklagten war es somit
möglich, sich zu verteidigen, und das Gericht kann über die Klage entscheiden. Daher beeinträchtigt
das Fehlen von Zahlenmaterial in der Klageschrift nicht die Verfahrensrechte, zumal die Klägerin
dieses Material in ihrer Erwiderung vorgelegt und somit dem Beklagten die Möglichkeit gegeben hat,
zu ihm sowohl in der Gegenerwiderung als auch in der mündlichen Verhandlung Stellung zu nehmen
(siehe in diesem Sinn Urteil des Gerichtshofes vom 9. Dezember 1965 in den Rechtssachen 29/63,
31/63, 36/63, 39/63 bis 47/63, 50/63 und 51/63, Laminoirs de la Providence u. a./Hohe Behörde, Slg.
1965, 1197, 1230).
68.
Die Klägerin hat im vorliegenden Fall in ihrer Erwiderung eine Aufstellung gebracht, aus der
hervorgeht, daß ihr Umsatz, der von 1993 bis 1995 jährlich um fast 8 % zunahm, in 1996 und 1997 im
Vergleich zu 1995 stark zurückging, und zwar um 55 %. Dieser Rückgang könne auf 683 742 ECU
jährlich beziffert werden.
69.
Die Einrede ist daher zurückzuweisen.
- Zur Unzulässigkeitseinrede, die auf die unzureichende Darstellung des Kausalzusammenhangs
zwischen der Pflichtverletzung und dem behaupteten Schaden in der Klageschrift gestützt wird
70.
Der Beklagte trägt vor, die Klägerin habe nicht mit der erforderlichen Klarheit und Deutlichkeit den
Kausalzusammenhang zwischen dem ihm vorgeworfenen rechtswidrigen Verhalten und dem
entgangenen Gewinn dargestellt. Die Klägerintrage lediglich vor, daß ihr Umsatz zurückgegangen sei,
mache aber keine Angaben über die Gründe dieses Rückgangs.
71.
Zum einen würde die Klägerin den Ersatz desselben Schadens in Wirklichkeit zweimal verlangen,
wenn man davon ausgehe, daß die Kündigung des Vertragss FEDER und des mit der ARCI
geschlossenen Vertrages zu einem Rückgang ihres Umsatzes beigetragen hat.
72.
Zum anderen sei das Vorbringen der Klägerin, sie könne wegen des Sonderberichts 1/96 nicht
mehr wie früher im Bereich der Hilfe und der Evaluierung von Gemeinschaftsprogrammen arbeiten, zu
widerlegen. Erstens nämlich seien die beiden genannten Verträge geschlossen worden, obwohl der
Sonderbericht 1/96 bereits veröffentlicht und daher allen Beteiligten bekannt war. Zweitens sei bei
einer Prüfung der Ausgaben im Rahmen des Europäischen Sozialfonds, die von den Prüfern des
Beklagten vom 2. bis 6. Februar 1998 in Italien vorgenommen worden sei, festgestellt worden, daß die
Klägerin im September und Oktober 1997 zusammen mit einem anderen Unternehmen zwei
Gutachteraufträge über 800 Mio. LIT und 1,2 Mrd. LIT erhalten habe, die in vollem Umfang aus Mitteln
der Gemeinschaft finanziert worden seien. Das Gesamtvolumen dieser beiden Verträge aber sei im
Verhältnis zum Jahresumsatz der Klägerin beträchtlich.
73.
Der Beklagte zieht hieraus den Schluß, daß die Klage auch insoweit unzulässig ist.
74.
In der Klageschrift ist dargelegt, weshalb der Schaden wegen entgangenem Gewinn seine Ursache
in dem Sonderbericht 1/96 hat. Dieser für die Klägerin ungünstige und von einem angesehenen
Gemeinschaftsorgan erstellte Bericht sei nämlich im
veröffentlicht worden und habe so in allen Mitgliedstaaten und insbesondere in den Kreisen, die in
Politik und Wirtschaft eine wichtige Rolle spielen, allgemeine Verbreitung gefunden.
75.
Weiterhin unterscheidet die Klageschrift deutlich zwischen dem Schaden, der aus dem
entgangenen Gewinn besteht, und dem, der die Folge der Kündigung der mit der Kommission und der
ARCI geschlossenen Verträge ist. Diese beiden Schäden sind in der Klageschrift Gegenstand
unterschiedlicher Darlegungen und Bewertungen. Sie werden danach unterschieden, wie gewiß sie
sind, denn der aus der Kündigung der Verträge entstandene Schaden wird anders als der bloße
entgangene Gewinn als „Verlust“ bezeichnet.
76.
Diese Darstellungen sind somit hinreichend klar und deutlich, um dem Beklagten die Vorbereitung
seiner Verteidigung und dem Gericht die Entscheidung über die Klage zu ermöglichen.
77.
Im übrigen ist das von dem Beklagten in der Gegenerwiderung vorgebrachte Argument, daß die
Klägerin im September und Oktober 1997 beträchtliche Aufträge erhalten habe, die aus Mitteln der
Gemeinschaft finanziert worden seien, für die Prüfung der Zulässigkeit der Klage ohne Bedeutung. Es
stellt nämlich dieSchlüssigkeit und somit die formelle Ordnungsmäßigkeit der Klage nicht in Frage,
sondern betrifft gegebenenfalls deren Begründetheit.
78.
Die Klageschrift entspricht somit den Erfordernissen des Artikels 19 der EG-Satzung des
Gerichtshofes und des Artikels 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung des Gerichts.
79.
Die Einrede ist daher zurückzuweisen.
80.
Der Beklagte erhebt die Einrede der Unzulässigkeit, weil in der Klageschrift nicht mit der
erforderlichen Klarheit und Deutlichkeit Art und Umfang des angeblichen immateriellen Schadens
dargelegt worden sei. Im übrigen sei die Bezifferung des Anspruchs in der Erwiderung auf 200 000
ECU ein unzulässiger neuer Antrag und nicht hinreichend deutlich.
81.
Neben den in den Randnummern 28 bis 30 und 65 dargelegten Grundsätzen gilt, daß der Antrag
auf Ersatz eines immateriellen Schadens, sei er nun auf eine symbolische Entschädigung oder auf
einen tatsächlichen Schadenersatz gerichtet, die Art des behaupteten Schadens unter
Berücksichtigung des dem Beklagten vorgeworfenen Verhaltens erläutern und zumindest annähernd
die Höhe dieses Schadens beziffern muß (siehe in diesem Sinn Beschluß des Gerichts vom 15. Februar
1995 in der Rechtssache T-112/94, Moat/Kommission, Slg. ÖD 1995, II-135, Randnr. 38, und Urteil des
Gerichts vom 29. Januar 1998 in der Rechtssache T-157/96, Affatato/Kommission, Slg. ÖD 1998, II-97,
Randnr. 49).
82.
Die Klägerin hat in der Klageschrift dargelegt, daß der ihr entstandene immaterielle Schaden darin
bestehe, daß sie durch die Veröffentlichung des von ihr als verleumderisch bezeichneten
Sonderberichts 1/96 in ihrer Ehre und im Ansehen verletzt worden sei. Sie führt, wie in Randnummer
74 dargelegt, aus, daß diese Verletzung von einem angesehenen Gemeinschaftsorgan herrühre und
Gegenstand einer Veröffentlichung im geworden sei, das
die Autorität eines amtlichen Publikationsorgans habe, in allen Mitgliedstaaten allgemeine
Verbreitung finde und sich insbesondere an die Kreise wende, die in Politik und Wirtschaft eine
wichtige Rolle spielen. Eine solche Verletzung der Ehre und des Ansehens störe ernsthaft die
unternehmerische Betätigung einer Gesellschaft, die, wie die Klägerin, zu den kleinen oder mittleren
Unternehmen zähle.
83.
Obwohl die Klägerin die Höhe des angeblichen Schadens nicht beziffert hat, hat sie die Einzelheiten
angegeben, die es erlauben, dessen Art und Umfang zu beurteilen. Dem Beklagten war es somit
möglich, sich zu verteidigen, und das Gericht kann über die Klage entscheiden. Daher beeinträchtigt
das Fehlen von Zahlenmaterial in der Klageschrift, wie in Randnummer 67 dargelegt,
dieVerfahensrechte nicht, zumal die Klägerin dieses Material in ihrer Erwiderung vorgelegt und somit
dem Beklagten ermöglicht hat, zu ihm sowohl in der Gegenerwiderung als auch in der mündlichen
Verhandlung Stellung zu nehmen (siehe in diesem Sinn Urteile Laminoirs de la Providence u. a./Hohe
Behörde und TEAM/Kommission, Randnr. 29).
84.
Die Klägerin hat in ihrer Erwiderung den immateriellen Schaden erschöpfend untersucht. Sie hat
zunächst fünf Bemessungskriterien entwickelt, die auf das Ausmaß des Schadens, auf seine Schwere,
auf seine Vermeidbarkeit, auf die vermögensmäßige Leistungsfähigkeit seines Verursachers und auf
die Person des Geschädigten abstellen. Sie hat sodann in Anlehnung an das Urteil des Gerichts vom
26. Oktober 1993 in der Rechtssache T-59/92 (Caronna/Kommission, Slg. 1993, II-1129, Randnr. 107)
einen Betrag von 200 000 ECU vorgeschlagen. Sie hat sich schließlich bereit erklärt, einen vom
Gericht für angemessen erachteten Betrag zu akzeptieren.
85.
Die auf die unzureichende Darlegung des Schadensumfangs in der Klageschrift gestützte Einrede
ist daher zurückzuweisen.
86.
Aus diesem Vorbringen der Klägerin geht weiter hervor, daß die in der Erwiderung vorgeschlagene
Bezifferung nur den in der Klageschrift gestellten Antrag auf Ersatz des immateriellen Schadens näher
bestimmen soll, aber kein neuer Antrag ist.
87.
Die Einrede, die darauf gestützt wird, daß die Bewertung des immateriellen Schadens mit 200 000
ECU einen neuen Antrag darstellt und daher unzulässig ist, ist daher zurückzuweisen.
88.
Der Beklagte bestreitet ferner, daß die gesundheitlichen Beschwerden des Leiters der Klägerin von
dieser als immaterieller Schaden geltend gemacht werden könnten. Der Antrag sei daher insoweit
mangels hinreichender Angaben unzulässig.
89.
Das Vorbringen des Beklagten verkennt jedoch, daß die Formerfordernisse des Artikels 19 der EG-
Satzung des Gerichtshofes und des Artikels 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung des Gerichts
nur dem Beklagten die Vorbereitung seiner Verteidigung und dem Gericht die Entscheidung über die
Klage ermöglichen sollen. Der in Rede stehende Antrag entspricht diesen Erfordernissen. Der
Umstand, daß er möglicherweise unbegründet ist, macht ihn nicht unzulässig.
90.
Die Einrede ist daher zurückzuweisen.
91.
Der Beklagte macht schließlich geltend, daß die Schadenersatzanträge nicht hinreichend zwischen
dem immateriellen Schaden und dem Vermögensschaden unterschieden. Er nimmt Bezug auf die
Nummern 68 und 72 der Erwiderung.
92.
Die Klägerin verweist zwar in Nummer 68 der Erwiderung für die Beurteilung des immateriellen
Schadens auf die Nummern 58 bis 61 und 64 der Erwiderung. DieNummern 58 bis 61 befassen sich
aber mit dem Kausalzusammenhang zwischen dem Sonderbericht 1/96 und sämtlichen Schäden; in
Nummer 64 führt die Klägerin aus, alle für deren Bemessung erforderlichen Umstände dargelegt zu
haben. Sie betreffen daher auch den immateriellen Schaden. Die neun Nummern, die auf die fragliche
Nummer 68 folgen, bezwecken überdies die Verdeutlichung und die Bewertung dieses Schadens.
93.
In Nummer 72 der Erwiderung legt die Klägerin dar, warum ihre Stellung und ihre Tätigkeit bei der
Bemessung des immateriellen Schadens zu berücksichtigen seien. Sie sei ein geachteter
Wirtschaftsteilnehmer und unterhalte Geschäftsbeziehungen in erster Linie mit den
Gemeinschaftsorganen. Sie erklärt zwar, daß der bei einer Ehrverletzung erlittene Vermögensschaden
schwerer wiege, wenn der dieser Verletzung zugrunde liegende Sachverhalt in der Umgebung bekannt
werde, in der der Verletzte seiner Erwerbstätigkeit nachgehe. Diese Bezugnahme auf den
Vermögensschaden ist jedoch nur beiläufig erfolgt.
94.
Die Einrede ist daher zurückzuweisen.
Begründetheit
95.
Die Haftung der Gemeinschaft im Rahmen des Artikels 215 Absatz 2 EG-Vertrag ist kumulativ an
mehrere Voraussetzungen geknüpft: Das den Gemeinschaftsorganen vorgeworfene Verhalten ist
rechtswidrig; es ist ein Schaden entstanden; zwischen dem Verhalten und dem Schaden besteht ein
Kausalzusammenhang (Urteile des Gerichtshofes vom 27. März 1990 in der Rechtssache C-308/87,
Grifoni/EAG, Slg. 1990, I-1203, Randnr. 6, und des Gerichts vom 18. September 1995 in der
Rechtssache T-168/94, Blackspur u. a./Rat und Kommission, Slg. 1995, II-2627, Randnr. 38).
96.
Die Klägerin ist der Auffassung, der Beklagte habe rechtswidrig gehandelt, weil er sie nicht
angehört und im Sonderbericht 1/96 verleumderische Behauptungen über sie aufgestellt habe.
97.
Die Klägerin trägt vor, der Sonderbericht 1/96 enthalte ihr gegenüber schwerwiegende
Beanstandungen. Wegen ihres Rechts auf Anhörung hätte der Beklagte ihr die Möglichkeit geben
müssen, vor Verabschiedung des Berichts Stellung zu nehmen, sowie den Bericht aufgrund der
Stellungnahme, die sie nach der Veröffentlichung abgegeben habe, erneut prüfen müssen.
98.
Der Beklagte führt aus, der Klagegrund sei gegenstandslos, da die Klägerin die Möglichkeit gehabt
habe, sich sowohl vor als auch nach der Verabschiedung des Sonderberichts 1/96 zu äußern.
Hilfsweise trägt er vor, daß der Klagegrund nicht durchgreife, da das Recht auf Anhörung nur in
gerichtlichen Verfahren und insolchen Verwaltungsverfahren gegeben sei, die zu einer
Zwangsmaßnahme führen könnten. Der Sonderbericht 1/96 aber enthalte keine Entscheidung,
sondern lediglich eine Stellungnahme. Höchst hilfsweise legt er dar, daß der Klagegrund unerheblich
sei, da die Verletzung des Rechts auf Anhörung für den geltend gemachten Schaden nicht kausal
gewesen sei.
99.
Das zuletzt genannte Argument des Beklagten ist als erstes zu prüfen.
100.
Eine Pflichtverletzung als solche führt nicht zu einer Haftung der Gemeinschaft, die einen Anspruch
des Klägers auf Ersatz der geltend gemachten Schäden begründete. Eine Haftung der Gemeinschaft
setzt voraus, daß der Kläger nicht nur die Rechtswidrigkeit des dem betreffenden Organ zur Last
gelegten Verhaltens und das Vorliegen eines Schadens, sondern auch den Kausalzusammenhang
zwischen diesem Verhalten und dem Schaden beweist (siehe Urteile des Gerichtshofes vom 17.
Dezember 1981 in den Rechtssachen 197/80 bis 200/80, 243/80, 245/80 und 247/80, Ludwigshafener
Walzmühle u. a./Rat und Kommission, Slg. 1981, 3211, Randnr. 18, und vom 14. Januar 1993 in der
Rechtssache C-257/90, Italsolar/Kommission, Slg. 1993, I-9, Randnr. 33, Urteil des Gerichts vom 13.
Dezember 1995 in den Rechtssachen T-481/93 und T-484/93, Exporteurs in Levende Varkens u.
a./Kommission, Slg. 1995, II-2941, Randnr. 80). Außerdem muß sich der Schaden nach ständiger
Rechtsprechung hinreichend unmittelbar aus dem gerügten Verhalten ergeben (vgl. Urteil des
Gerichtshofes vom 4. Oktober 1979 in den Rechtssachen 64/76, 113/76, 167/78, 239/78, 27/79, 28/79
und 45/79, Dumortier Frères u. a./Rat, Slg. 1979, 3091, Randnr. 21, Urteile des Gerichts vom 11. Juli
1996 in der Rechtssache T-175/94, International Procurement Services/Kommission, Slg. 1996, II-729,
Randnr. 55, und vom 25. Juni 1997 in der Rechtssache T-7/96, Perillo/Kommission, Slg. 1997, II-1061,
Randnr. 41).
101.
Im vorliegenden Fall folgt der von der Klägerin geltend gemachte Schaden aus der Verabschiedung
und der Veröffentlichung des Sonderberichts 1/96 durch der Beklagte. Unterstellt, der Beklagte wäre
verpflichtet gewesen, die Klägerin vor der Verabschiedung und der Veröffentlichung dieses Berichtes
zu hören oder ihre Stellungnahme eingehender zu prüfen, ist es unter den Umständen des
vorliegenden Falls doch ausgeschlossen, daß eine solche Anhörung oder Prüfung zu einer inhaltlichen
Änderung oder Berichtigung des Berichts, wie er veröffentlicht wurde, hätte führen können.
102.
Der Beklagte hätte nämlich auch bei Beachtung eines allfälligen Rechts auf Anhörung seine
Beurteilungsbefugnis und das Recht behalten, an seiner Auffassung festzuhalten. Wie der Beklagte
das Vorbringen der Klägerin beurteilt, geht aus seinem in Randnummer 16 genannten
Antwortschreiben vom 7. März 1997 hervor, mit dem er auf die in Randnummer 15 genannte
Aufforderung des Anwalts der Klägerin erwiderte, eine Berichtigung des Sonderberichts 1/96 im
zu veröffentlichen. Der Beklagte weist dort eingehend
und Punkt für Punkt die Ausführungen der Klägerin zur Fehlerhaftigkeit der sie betreffenden Passagen
im Sonderbericht 1/96 zurück und teilt ihr mit, daß derBericht nicht zu berichtigen sei. Selbst wenn die
Klägerin sich vor der Verabschiedung des Sonderberichts 1/96 hätte äußern können, hätte der
Beklagte seine Ansicht daher nicht geändert. Ebenso belegt der Wortlaut dieses Schreibens
hinreichend deutlich, daß der Beklagte auch nach einer noch gründlicheren Prüfung der
Stellungnahme der Klägerin keine Berichtigung des Sonderberichts 1/96 vorgenommen hätte.
103.
Ebenso belegt der Wortlaut dieses Schreibens, selbst unterstellt, daß der Beklagte verpflichtet
gewesen wäre, den Bericht aufgrund der Stellungnahme der Klägerin erneut zu prüfen, und daß diese
Verpflichtung mit dem Schreiben vom 7. März 1997 nicht hinreichend erfüllt worden wäre, zur Genüge,
daß der Beklagte auch nach einer noch gründlicheren Prüfung der Ausführungen der Klägerin keine
Berichtigung des Sonderberichts 1/96 vorgenommen hätte.
104.
Daß der Beklagte die Klägerin nicht vor der Verabschiedung und der Veröffentlichung des
Sonderberichts 1/96 aufgefordert hat, hat daher ebensowenig wie eine unzureichende Prüfung der
Stellungnahme der Klägerin den in der Klageschrift behaupteten Schaden hervorrufen oder
vergrößern können.
105.
Der Klagegrund einer Verletzung des Rechts auf Anhörung ist daher zurückzuweisen, ohne daß eine
Prüfung der Frage erforderlich wäre, ob der Klägerin dieses Recht im vorliegenden Fall zusteht.
Zum Grundsatz der Verleumdung
106.
Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe in dem Sonderbericht 1/96 Beanstandungen gegen sie
erhoben, die nicht begründet seien. Der Beklagte habe zum ersten Mal in einem an das Parlament
gerichteten Sonderbericht schwere Beanstandungen erhoben, die sich unmittelbar und namentlich
auf nicht zu den Gemeinschaftsorganen gehörende Personen bezogen hätten. Diese
Anschuldigungen seien auf eine parteiische und verzerrte Tatsachenwürdigung gestützt.
107.
Eine Behauptung könne unabhängig davon verleumderisch sein, ob die angeführte Tatsache
zutreffe oder nicht. Eine Äußerung könne verleumderisch sein, selbst wenn die wiedergegebene
Tatsache wahr oder teilweise wahr sei. So könne nach italienischem Recht nicht nur eine falsche oder
sachwidrige Behauptung, sondern auch eine Unterstellung den Ruf eines anderen schädigen oder
gefährden.
108.
Der Rechnungshof hat nach Artikel 188c Absatz 2 Satz 1 EG-Vertrag die Rechtmäßigkeit und
Ordnungsmäßigkeit der Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaft zu prüfen und sich von der
Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführungzu überzeugen. Nach Absatz 4 legt er seine Beurteilungen im
Rahmen des Jahresberichts oder im Rahmen von Sonderberichten vor.
109.
Im Bemühen um eine wirkungsvolle Erfüllung dieser Aufgabe kann sich der Rechnungshof
ausnahmsweise, vor allem aber bei schweren Störungen, die die Rechtmäßigkeit und
Ordnungsmäßigkeit der Einnahmen und Ausgaben oder die Erfordernisse der Wirtschaftlichkeit der
Haushaltsführung ernsthaft berühren, veranlaßt sehen, den festgestellten Sachverhalt vollständig
offenzulegen und damit unmittelbar beteiligte Dritte namentlich zu nennen. Diese Nennung ist
insbesondere erforderlich, wenn das Verschweigen der Namen zu Verwechslungen Anlaß geben oder
gar Zweifel an der Identität der beteiligten Personen hervorrufen könnte, wodurch die Interessen von
Personen beeinträchtigt werden könnten, die von der Untersuchung des Rechnungshofes betroffen,
mit seinen Beanstandungen aber nicht gemeint sind.
110.
Die Beurteilung Dritter, die unter solchen Umständen erfolgt, unterliegt in vollem Umfang der
Nachprüfung durch das Gericht. Sie kann eine Pflichtverletzung darstellen und somit gegebenenfalls
eine außervertragliche Haftung der Gemeinschaft begründen, wenn entweder die Tatsachen falsch
dargestellt werden oder die Bewertung richtiger Tatsachen fehlerhaft oder parteiisch ist.
Zu den spezifischen Rügen der Verleumdung
111.
Die Klägerin bestreitet, sich durch eine Interessenverquickung eine privilegierte Stellung verschafft
und den Aufforderungen der Kommission nicht Folge geleistet zu haben. Außerdem habe es der
Beklagte versäumt, die hervorragenden Ergebnisse der Arbeiten zu berücksichtigen, zu denen die
Klägerin beigetragen habe.
- Zur Interessenverquickung
112.
Angesichts des Grundsatzes der Gleichbehandlung im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge,
des Bestrebens um eine wirtschaftliche Verwaltung der Finanzmittel der Gemeinschaft sowie der
Verhütung von Betrug ist es in hohem Maße zu beanstanden und nach dem Recht mehrerer
Mitgliedstaaten strafbar, wenn demjenigen ein öffentlicher Auftrag erteilt wird, der bei der Evaluierung
und der Auswahl der Angebote für diesen Auftrag mitwirkt.
113.
Stellt der Rechnungshof im Rahmen der Erfüllung seiner Aufgaben solche schwerwiegenden
Störungen fest, so ist er verpflichtet, sie offenzulegen.
114.
Im vorliegenden Fall legte der Sonderbericht 1/96 in den Nummern 50 bis 55 und im Anhang 3 dar,
daß die Klägerin im Verwaltungsrat der ARTM vertreten war, da ihr Leiter einer der vier
Verwaltungsratsmitglieder der ARTM war, und daß sie an der Konzeption der Mittelmeerprogramme,
und zwar bis zum Stadium der Vorbereitung der Entwürfe für die Finanzierung, sowie an deren
Überwachungmitgewirkt hatte. Zur selben Zeit aber wurden ihr als Büro für technische Hilfe im
Rahmen dieser Programme Aufträge über einen Gesamtbetrag von 2 088 700 ECU erteilt.
115.
Die Klägerin bestreitet den im übrigen vom Beklagten ausführlich belegten Sachverhalt nicht. Sie ist
jedoch der Auffassung, ein Interessenkonflikt liege nicht vor. Die Kommission habe nämlich ihre
Entscheidungsbefugnis behalten, und die ARTM habe nur die Vorbereitung und Ausführung zur
Aufgabe gehabt.
116.
Dieses Argument ist jedoch nicht stichhaltig. Selbst wenn es zuträfe, hat die Klägerin doch
zumindest an den Sitzungen teilgenommen, in denen die Entscheidungen über die Evaluierung und
die Auswahl der Vorhaben, mit denen sie betraut wurde, getroffen wurden.
117.
Der in Nummer 52 Buchstabe a des Sonderberichts 1/96 genannte Vertrag über technische Hilfe
für die Durchführung des MED-Campus-Programms, der am 21. Dezember 1992 zwischen der ARTM und
der Klägerin geschlossen wurde und eine Vergütung von 748 900 ECU vorsah, war von der ARTM
vorgeschlagen worden, deren Gründungsmitglied die Klägerin war und von deren vier
Verwaltungsratsmitgliedern eines der Leiter der Klägerin war.
118.
Darüber hinaus wurde der in Nummer 52 Buchstabe b des Sonderberichts 1/96 genannte Vertrag,
der am 12. Juli 1993 zwischen der ARTM und der Klägerin geschlossen wurde und eine Vergütung von
405 000 ECU vorsah, freihändig vergeben, ohne daß eine Ausschreibung oder Auswahl stattgefunden
hätte.
119.
Die Klägerin war folglich in der Lage, auf den Entscheidungsprozeß Einfluß zu nehmen und somit
aufgrund ihrer Stellung und der Stellung ihres Leiters ihre Privatinteressen zu fördern. Sie befand sich
daher in einem Interessenkonflikt.
120.
Auch wenn die Kommission, wie die Klägerin vorträgt, im Mittelbindungsausschuß ein Vetorecht
hatte, verfügte doch auch der Leiter der Klägerin im Verwaltungsrat der ARTM über ein Stimmrecht. In
den oben genannten Fällen aber wurden die der Klägerin vorgeschlagenen Vorhaben angenommen,
ohne daß die Kommission dem widersprochen hätte.
121.
Die Klägerin trägt weiter vor, daß die Kommission während der Anlaufphase der
Mittelmeerprogramme mit den sie unterstützenden Beratergesellschaften unmittelbare
Vereinbarungen getroffen habe, daß diese Gesellschaften anschließend aufgefordert worden seien,
sich an der neu gegründeten ARTM zu beteiligen, daß sie selbst diese zusätzliche Arbeitsbelastung im
Interesse einer guten Zusammenarbeit auf sich genommen habe und daß sie niemals versucht habe,
hieraus einen Vorteil zu ziehen.
122.
Unstreitig mußte die Kommission während der Anlaufphase Aufträge freihändig an Beraterbüros
vergeben, zu denen auch die Klägerin zählte. Der Sonderbericht 1/96 verweist hierzu in Nummer 51 auf
den Vertrag zwischen der Kommission und der Klägerin vom 10. August 1992, der eine Vergütung von
199 960 ECU vorsah und die Vorbereitung der Entwürfe für die Finanzierungsvorschläge im Rahmen
des MED-Campus-Programms zum Gegenstand hatte. Dieser Vertrag wurde vor der Gründung der
ARTM, deren Gründungsmitglied die Klägerin war, am 24. September 1992 geschlossen.
123.
Dieses Argument ist jedoch nicht stichhaltig. Die Interessenverquickung stellt an sich und objektiv
eine schwerwiegende Störung dar, ohne daß es auf die Absichten und die Gut- oder Bösgläubigkeit
der Beteiligten ankäme. Die Präsenz der Büros für technische Hilfe - also auch der Klägerin - im
Verwaltungsrat der ARTM war objektiv nicht zu rechtfertigen. Der Beklagte hatte daher diesen
Umstand offenzulegen, ohne sich die Frage stellen zu müssen, ob diese schwerwiegende
Regelwidrigkeit nur die Folge mangelnder Weitsicht oder die Folge einer eindeutigen Betrugsabsicht
war. Diese Frage ist für die vom Rechnungshof durchgeführte Finanzkontrolle unerheblich, aber für die
Konsequenzen von Bedeutung, die die Kommission gegebenenfalls aus dem Sonderbericht 1/96 zu
ziehen hat.
124.
Der Beklagte hat folglich weder seine Pflichten verletzt noch dadurch, daß er im Sonderbericht 1/96
eine bestehende Interessenverquickung, an der auch die Klägerin beteiligt war, offenlegte, die
Tatsachen unzutreffend oder parteiisch gewürdigt.
125.
Der Klagegrund ist daher zurückzuweisen.
- Zur Weigerung des Beklagten, den Aufforderungen der Kommission nachzukommen
126.
Die Klägerin beanstandet folgende Darstellung in Nummer 56 des Sonderberichts 1/96:
„... Aus den Sitzungsprotokollen des Verwaltungsrats ... geht hervor, daß die betreffenden Personen
den Aufforderungen der Kommission nicht Folge leisten wollten. Es dauerte mehr als anderthalb Jahre,
bis sie schließlich nachgaben, allerdings unter Voraussetzungen, die zumindest als zweifelhaft
bezeichnet werden müssen.“
127.
Die Klägerin ist der Auffassung, daß diese Darstellung eine regelrechte Verfälschung der Tatsachen
sei. Es treffe nicht zu, daß die betreffenden Personen sich geweigert hätten auszuscheiden. Auch sei
der Rücktritt nicht zu Bedingungen erfolgt, die zu beanstanden wären.
128.
Das Gericht stellt fest, daß die Kommission die ARTM am 28. Mai 1993 von ihrem Wunsch in Kenntnis
setzte, daß die Leiter der Büros für technische Hilfe den Verwaltungsrat dieser Agentur verlassen, da
ihrer Ansicht nach die Präsenz dieser Leiter zu Bedenken und zu immer nachdrücklicheren Fragen
bestimmter Dritter Anlaß gab.
129.
Dieser Aufforderung wollte die ARTM anfänglich entsprechen. In einem internen Vermerk vom 14.
Juni 1993 wurde zu diesem Zweck ein vorläufiger Plan und ein genauer Zeitrahmen vorgelegt, nach
dem die vorgesehene Umbildung im Januar 1994 abgeschlossen sein sollte. Dieses Vorhaben wurde
von dem Verwaltungsrat der ARTM in den Sitzungen vom 1. Juli 1993 und 5. Oktober 1993 bestätigt.
Bereits am 18. Juni 1993 wurden Schritte für die Ernennung der neuen Verwaltungsratsmitglieder
eingeleitet.
130.
In der Folge wurde jedoch nicht nur der vorgesehene Zeitrahmen nicht eingehalten. Die ARTM
zeigte sich auch bei der Umbildung des Verwaltungsrats zögerlich und machte diese Umbildung von
der Einhaltung mehrerer, nach und nach vorgebrachter Bedingungen abhängig.
131.
Im Zusammenhang mit der Bewerbung der ARTM im Rahmen der Ausschreibung, die für die
Fortführung und die Überwachung der Mittelmeerprogramme durchgeführt wurde, schrieb der
Präsident der ARTM am 18. Mai 1994 an die Kommission, daß der Verwaltungsrat nur zurücktreten
werde, wenn die ARTM den Auftrag erhalte.
132.
Sie erhielt diesen Auftrag; der entsprechende Vertrag wurde am 1. September 1994 unterzeichnet.
Gleichwohl nahm die ARTM die versprochene Umbildung des Verwaltungsrats nicht vor. Die
Generalversammlung der ARTM vom 11. Oktober 1994 bestätigte im Gegenteil den Leiter der Klägerin
für weitere zwei Jahre in seinem Amt. Das Protokoll der Generalversammlung ergibt, daß der Leiter zum
Rücktritt unter der Bedingung bereit war, daß zum einen die Klägerin erneut den Auftrag über die
technische Hilfe für das MED-Campus-Programm erhielte und zum anderen ihr Leiter bei seinem
Rücktritt einen Nachfolger seiner Wahl vorschlagen könnte. Dies wurde durch einen internen Vermerk
der ARTM vom 12. Januar 1995 bestätigt.
133.
Auch diese beiden Bedingungen wurden ganz offensichtlich erfüllt. Zum einen erhielt die Klägerin
mit einem von der Kommission am 18. Januar 1995 unterzeichneten Vertrag für das Jahr 1995 erneut
den Auftrag über die technische Hilfe für das MED-Campus-Programm. Zum anderen geht aus der
Stellungnahme der ARTM vom 12. Januar 1995 zum Entwurf des Sonderberichts 1/96 hervor, daß einer
der neuen Verwaltungsratsmitglieder der ARTM ein früherer Mitarbeiter der Klägerin ist.
134.
Unter diesen Umständen ist der Leiter der Klägerin schließlich im April 1995 aus dem
Verwaltungsrat der ARTM ausgeschieden.
135.
Die Klägerin trägt vor, der Sonderbericht 1/96 deute das Verhalten der ARTM seit dem Jahr 1994
falsch, da die Kommission im Januar 1994 auf den Rücktritt des Verwaltungsrats der ARTM verzichtet
habe. Sie verweist insoweit auf das Protokoll des Verwaltungsrats der ARTM vom 21. Januar 1994, in
dem es unter Nummer 3.6. „Entwicklung des Verwaltungsrats“ heißt:
„Die Kommission hat vor einigen Monaten verlangt, daß der Verwaltungsrat der ARTM dahingehend
geändert wird, daß die Büros für technische Hilfe für die Programme nicht zugleich im Verwaltungsrat
vertreten sind. Die Kommission und die Mitglieder des Verwaltungsrates sind der Auffassung, daß
diese Aufforderung heute keinen Sinn mehr hat.“
136.
Zunächst ist die Aussage- und Beweiskraft dieser Urkunde fragwürdig. Die Urkunde erläutert nicht,
weshalb die Aufforderung der Kommission keinen Sinn mehr hat. Sie sagt nichts darüber, welcher
Vertreter der Kommission aus welchem Grund diesen Standpunkt vertreten hat. Sie stammt ferner von
der ARTM und nicht von der Kommission.
137.
Die Urkunde steht zweitens im Widerspruch zu anderen Urkunden späteren Datums, die sowohl von
der ARTM als auch von der Kommission stammen.
138.
Die Erwähnung des Problems der Präsenz der Vertreter der Büros für technische Hilfe im
Verwaltungsrat der ARTM im genannten Schreiben des Präsidenten der ARTM an die Kommission vom
18. Mai 1994 sowie die Ankündigung ihres Rücktritts für den Fall der Auftragserteilung wären sinnlos,
wenn die Kommission tatsächlich bereits im Januar 1994 darauf verzichtet hätte, daß diese Rücktritte
erfolgen. Dieses Schreiben wurde überdies an Frau Y. von der GD I gerichtet, die ausweislich des
Protokolls der Sitzung des Verwaltungsrats der ARTM vom 21. Januar 1994, in dem der zitierte Passus
enthalten ist, an dieser Sitzung teilnahm. Es ist daher widersprüchlich, wenn die ARTM vier Monate
nach dieser Sitzung an die Kommission schreibt, ohne diese angebliche Änderung des Verhaltens zu
erwähnen, und ihr anbietet, unter bestimmten Voraussetzungen dem Verlangen nachzukommen, auf
das die Kommission doch verzichtet haben soll.
139.
Die ARTM weist überdies in ihrer Stellungnahme zum Entwurf des Sonderberichts 1/96 darauf hin,
daß die Kommission verlangt habe, daß die Vertreter der Büros für technische Hilfe den
Verwaltungsrat der Agentur verließen, und daß sie anfänglich hiermit einverstanden gewesen sei. Sie
erwähnt jedoch keinen Verzicht der Kommission auf diesen Rücktritt, sondern erklärt zudem eindeutig,
daß der Aufschub des Rücktritts das Ergebnis ihrer eigenen Initiative sei.
140.
Die Kommission vertritt in ihrer dem Sonderbericht 1/96 als Anhang beigefügten Stellungnahme die
Auffassung, daß es viel zu lange gedauert habe, bis die Vertreterder Büros für technische Hilfe aus
dem ARTM-Verwaltungsrat ausgeschieden seien, nachdem sie diesen Schritt längst angekündigt
hätten. Sie bestätigt somit in keiner Weise die Bemerkung, die in der fraglichen Urkunde enthalten ist.
141.
Die Klägerin erklärt den angeblichen Verzicht der Kommission auf die Umbildung des
Verwaltungsrats der ARTM mit dem Umstand, daß die bis dahin von dieser wahrgenommenen
Aufgaben, also die Verwaltung der Mittelmeerprogramme, im Jahre 1994 im Wege einer
Ausschreibung, an der die ARTM habe teilnehmen können, neu vergeben werden sollten. Diese
Begründung ist jedoch nicht schlüssig, wie der Beklagte zu recht ausführt. Die Interessenverquickung,
die ihre Ursache in der Präsenz der Vertreter der Büros für technische Hilfe im Verwaltungsrat der
ARTM hat, wird durch die Teilnahme der ARTM an einer Ausschreibung, die die Vergabe der Verwaltung
dieser Programme zum Gegenstand hat, nicht verhindert oder beseitigt. Dieses Problem bleibt
vielmehr in gleicher Weise bestehen, da es der ARTM gelang, diesen Auftrag zu erhalten.
142.
Die Darlegungen in Nummer 56 des Sonderberichts 1/96 nehmen nach alledem nicht nur auf
richtige Tatsachen Bezug, sondern würdigen diese mit der Feststellung, daß die Bedingungen, unter
denen der Rücktritt des Leiters der Klägerin erfolgte, zu beanstanden seien, auch objektiv und
vollständig. Dieser aufgrund eines Interessenkonflikts gerechtfertigte Rücktritt war von immer wieder
neuen Bedingungen abhängig gemacht worden. Zunächst war er daran geknüpft, daß die ARTM mit
der Verwaltung der Mittelmeerprogramme beauftragt würde. Dann wurde er von den beiden
Bedingungen abhängig gemacht, daß die Klägerin erneut den Auftrag über die technische Hilfe für
das MED-Campus-Programm erhalte und daß der Leiter der Klägerin einen Nachfolger seiner Wahl
vorschlagen könne. Erst nachdem diese Bedingungen erfüllt waren, erklärte der Leiter der Klägerin im
April 1995 seinen Rücktritt. Zwischen Mai 1993, als die Kommission diesen Rücktritt verlangt hatte,
und April 1995, als er erfolgte, erhielt die Klägerin zwei Aufträge über die technische Hilfe für das MED-
Campus-Programm, und zwar den ersten im Januar 1994 für das Jahr 1994 mit einer Vergütung von
610 800 ECU und den zweiten am 18. Januar 1995 für das Jahr 1995 mit einer Vergütung von 720 000
ECU.
143.
Der Klagegrund ist daher zurückzuweisen.
- Zu der vom Beklagten versäumten Berücksichtigung des Beitrags, den die Klägerin zu den
Arbeitsergebnissen leistete
144.
Die Klägerin beanstandet, daß der Beklagte die mit den Mittelmeerprogrammen in der Anlaufphase
erzielten Ergebnisse im Sonderbericht 1/96 überhaupt nicht erwähnt habe. Sie ist der Ansicht, daß
diese sehr positiv gewesen seien. Sie stützt diese Feststellung auf die Ergebnisse einer im Auftrag der
Kommission durchgeführten Befragung der Netzteilnehmer, die in der Entschließung des Parlaments
vom 17. Juli 1997 zu dem Sonderbericht 1/96 genannt wird. In denErgebnissen der unabhängigen
Prüfer, die die in der Anlaufphase ausgeführten Tätigkeiten zu bewerten gehabt hätten, werde sogar
mit Nachdruck betont, daß die Aufgaben der Klägerin als Büro für technische Hilfe zu verstärken seien.
145.
Der Rechnungshof prüft nach Artikel 188c Absatz 2 EG-Vertrag die Rechtmäßigkeit und
Ordnungsmäßigkeit der Einnahmen und Ausgaben und überzeugt sich von der Wirtschaftlichkeit der
Haushaltsführung der Gemeinschaft. Seine Zuständigkeit ist daher grundsätzlich auf die
Finanzverwaltung beschränkt. Ohne daß auf die Frage einzugehen wäre, ob diese Zuständigkeit sich
auch auf die Beurteilung grundlegender politischer Entscheidungen erstreckt, ist festzustellen, daß
sie unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung eindeutig die Kontrolle der
Mittel umfaßt, mit denen diese Entscheidungen ausgeführt werden.
146.
Im vorliegenden Fall hatte der Beklagte schwerwiegende Störungen in der Finanzverwaltung der
Mittelmeerprogramme aufgedeckt, die sich vor allem in einem Interessenkonflikt der Klägerin zeigte.
Die Verquickung von Interessen im Bereich der öffentlichen Aufträge aber stellt als solche eine
Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Verwaltung der Finanzmittel der Gemeinschaft und der
Gleichberechtigung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge dar, ohne daß es darüber hinaus
erforderlich wäre, daß hierdurch ein quantifizierbarer Vermögensschaden entstanden ist. Die
Beurteilung der Qualität der von der Klägerin erbrachten Arbeit und der mit ihr erzielten Ergebnisse ist
somit kein Kriterium, das geeignet wäre, die Erheblichkeit der Feststellungen des Beklagten in Frage
zu stellen.
147.
Der Klagegrund ist daher zurückzuweisen.
148.
Aus alledem folgt, daß die Klage insgesamt abzuweisen ist.
Kosten
149.
Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem
Antrag des Beklagten die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Dritte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Jaeger Lenaerts
Azizi
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. Juni 1999.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
M. Jaeger
Verfahrenssprache: Italienisch.