Urteil des EuG vom 23.10.2002

EuG: staatliche beihilfe, kommission, minderung, markt, gericht erster instanz, klagegrund, mitgliedstaat, steuerrecht, erlass, spanien

URTEIL DES GERICHTS (Dritte erweiterte Kammer)
23. Oktober 200
„Staatliche Beihilfen - Entscheidung über die Einleitung des Verfahrens nach Artikel 88 Absatz 2 EG -
Nichtigkeitsklage - Zulässigkeit - Steuerliche Maßnahme - Selektiver Charakter - Schutzwürdiges Vertrauen -
Ermessensmissbrauch“
In den verbundenen Rechtssachen T-346/99, T-347/99 und T-348/99
Territorio Histórico de Álava - Diputación Foral de Álava,
Territorio Histórico de Guipúzcoa - Diputación Foral de Guipúzcoa,
Territorio Histórico de Vizcaya - Diputación Foral de Vizcaya,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte A. Creus Carreras und B. Uriarte Valiente,
Kläger,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
Valero Jordana als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
wegen Nichtigerklärung der Spanien mit Schreiben vom 29. September 1999 bekannt gegebenen
Entscheidung der Kommission über die Einleitung des Verfahrens nach Artikel 88 Absatz 2 EG gegen den
spanischen Staat wegen steuerlicher Beihilfen in Form einer Minderung der Bemessungsgrundlage für die
Körperschaftsteuer in den Territorios Históricos von Álava, Vizcaya und Guipúzcoa (ABl. 2000, C 55, S. 2)
erlässt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten M. Jaeger sowie der Richter R. García-Valdecasas und K. Lenaerts, der
Richterin P. Lindh und des Richters J. Azizi,
Kanzler: B. Pastor, Hilfskanzlerin
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. April 2002,
folgendes
Urteil
Rechtlicher Rahmen
1.
Die Verfahrensregeln, die der EG-Vertrag auf dem Gebiet staatlicher Beihilfen aufstellt,
unterscheiden sich je nach bestehenden und neuen Beihilfen. Während bestehende Beihilfen unter
Artikel 88 Absätze 1 und 2 EG fallen, unterliegen neue Beihilfen zunächst Absatz 3 und später Absatz 2
dieser Vorschrift.
2.
Hinsichtlich der bestehenden Beihilfen verleiht Artikel 88 Absatz 1 EG der Kommission die Befugnis
zur fortlaufenden Überprüfung in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten. Im Rahmen dieser
Überprüfung schlägt die Kommission den Mitgliedstaaten die zweckdienlichen Maßnahmen vor, die
durch die fortschreitende Entwicklung und das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlich
werden. Wenn sie, nachdem sie den Beteiligten eine Frist zur Äußerung gesetzt hat, feststellt, dass
eine Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt nach Artikel 87 unvereinbar ist oder dass sie missbräuchlich
angewandt wird, entscheidet sie sodann nach Artikel 88 Absatz 2 EG, dass der betreffende Staat die
Beihilfe binnen einer von ihr bestimmten Frist aufzuheben oder umzugestalten hat.
3.
Die neuen Beihilfen müssen der Kommission gemäß Artikel 88 Absatz 3 EG vorab mitgeteilt werden
und dürfen nicht durchgeführt werden, bevor die Kommission eine abschließende Entscheidung
erlassen hat. Nach derselben Vorschrift leitet die Kommission unverzüglich das in Artikel 88 Absatz 2
EG vorgesehene Verfahren ein, wenn sie der Auffassung ist, dass ein Vorhaben mit dem
Gemeinsamen Markt unvereinbar ist.
4.
Artikel 1 der am 16. April 1999 in Kraft getretenen Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22.
März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [88 EG] (ABl. L 83, S. 1,
nachfolgend: Beihilfeverfahrensverordnung oder BVV) enthält folgende für die vorliegenden
Rechtssachen relevante Definitionen:
„a) .Beihilfen‘ alle Maßnahmen, die die Voraussetzungen des Artikels [87] Absatz 1 [EG] erfüllen;
b) .bestehende Beihilfen‘
i) ... alle Beihilfen, die vor Inkrafttreten des Vertrages in dem entsprechenden Mitgliedstaat
bestanden, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die vor Inkrafttreten des Vertrages eingeführt
worden sind und auch nach dessen Inkrafttreten noch anwendbar sind;
ii) genehmigte Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die von der Kommission oder
vom Rat genehmigt wurden;
...
v) Beihilfen, die als bestehende Beihilfen gelten, weil nachgewiesen werden kann, dass sie zu dem
Zeitpunkt, zu dem sie eingeführt wurden, keine Beihilfe waren und später aufgrund der Entwicklung
des Gemeinsamen Marktes zu Beihilfen wurden, ohne dass sie eine Änderung durch den betreffenden
Mitgliedstaat erfahren haben. Werden bestimmte Maßnahmen im Anschluss an die Liberalisierung
einer Tätigkeit durch gemeinschaftliche Rechtsvorschriften zu Beihilfen, so gelten derartige
Maßnahmen nach dem für die Liberalisierung festgelegten Termin nicht als bestehende Beihilfen;
c) .neue Beihilfen‘ alle Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die keine bestehenden
Beihilfen sind, einschließlich Änderungen bestehender Beihilfen;
...
f) .rechtswidrige Beihilfen‘ neue Beihilfen, die unter Verstoß gegen Artikel [88] Absatz 3 [EG]
eingeführt werden;
...“
5.
Gemäß Artikel 2 Absatz 1 BVV „teilen die Mitgliedstaaten der Kommission ihre Vorhaben zur
Gewährung neuer Beihilfen rechtzeitig mit“. Nach Artikel 3 BVV darf eine neue Beihilfe „nicht
eingeführt werden, bevor die Kommission eine diesbezügliche Genehmigungsentscheidung erlassen
hat oder die Beihilfe als genehmigt gilt“. Gemäß Artikel 4 Absatz 4 BVV entscheidet die Kommission,
das Verfahren nach Artikel 88 Absatz 2 EG (nachfolgend: förmliches Prüfverfahren) zu eröffnen, wenn
sie nach einer vorläufigen Prüfung feststellt, dass die angemeldete Maßnahme Anlass zu „Bedenken
hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt“ gibt.
6.
Gemäß Artikel 6 Absatz 1 BVV enthält eine „Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen
Prüfverfahrens ... eine Zusammenfassung der wesentlichen Sach- und Rechtsfragen, eine vorläufige
Würdigung des Beihilfecharakters der geplanten Maßnahme durch die Kommission und Ausführungen
über ihre Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt“.
7.
Nach Artikel 7 Absatz 1 BVV wird das „förmliche Prüfverfahren ... durch eine Entscheidung nach den
Absätzen 2 bis 5 dieses Artikels abgeschlossen“. Die Kommission kann entscheiden, dass die
angemeldete Maßnahme keine Beihilfe darstellt (Artikel 7 Absatz 2), dass die angemeldete Beihilfe mit
dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist (Artikel 7 Absatz 3), dass die angemeldete Beihilfe als mit dem
Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden kann, wenn bestimmte Bedingungen beachtet
werden (Artikel 7 Absatz 4), oder dass die angemeldete Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt
unvereinbar ist (Artikel 7 Absatz 5).
8.
Hinsichtlich nicht angemeldeter Maßnahmen bestimmt Artikel 10 Absatz 1 BVV: „Befindet sich die
Kommission im Besitz von Informationen gleich welcher Herkunft über angebliche rechtswidrige
Beihilfen, so prüft sie diese Informationen unverzüglich.“ Nach Artikel 13 Absatz 1 BVV kann auf diese
Prüfung eine Entscheidung zur Eröffnung eines förmlichen Prüfverfahrens ergehen.
9.
Das Verfahren bei bestehenden Beihilferegelungen ist in den Artikeln 17 bis 19 BVV geregelt.
Gemäß Artikel 18 schlägt die Kommission, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass eine bestehende
Beihilferegelung mit dem Gemeinsamen Markt nicht oder nicht mehr vereinbar ist, dem betreffenden
Mitgliedstaat zweckdienliche Maßnahmen vor. Stimmt der Mitgliedstaat den vorgeschlagenen
Maßnahmen nicht zu, kann die Kommission gemäß Artikel 19 Absatz 2 ein förmliches Prüfverfahren
nach Artikel 4 Absatz 4 einleiten.
10.
In den vorliegenden Rechtssachen geht es um steuerliche Beihilfen, die nach dem Steuerrecht der
Territorios Históricos von Álava, Vizcaya und Guipúzcoa in Form einer Minderung der
Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer (nachfolgend: Minderung der
Steuerbemessungsgrundlage) gewährt werden sollen.
11.
Artikel 26 der Norma Foral Nr. 24/1996 von Álava vom 5. Juli 1996, Artikel 26 der Norma Foral Nr.
3/1996 von Vizcaya vom 26. Juni 1996 und Artikel 26 der Norma Foral Nr. 7/1996 von Guipúzcoa vom 4.
Juli 1996 bestimmen:
„1. Unternehmen, die ihre Betriebstätigkeit aufnehmen, wird vor dem Ausgleich negativer
Steuerbemessungsgrundlagen aus vorhergehenden Veranlagungszeiträumen in vier aufeinander
folgenden Veranlagungszeiträumen ab dem ersten Veranlagungszeitraum, in dem innerhalb von vier
Jahren nach Aufnahme der Betriebstätigkeit positive Bemessungsgrundlagen erzielt werden, eine
Ermäßigung von 99, 75, 50 bzw. 25 % der anhand ihres Jahresergebnisses ermittelten positiven
Bemessungsgrundlage gewährt.
...
2. In den Genuss dieser Ermäßigung kommen die Steuerpflichtigen, die folgende Voraussetzungen
erfüllen:
[-] Die Betriebstätigkeit wird mit einem eingezahlten Kapital von mindestens 20 Millionen [ESP]
aufgenommen.
...
[-] Die neue Tätigkeit wurde zuvor nicht schon einmal unmittelbar oder mittelbar unter einer anderen
Rechtspersönlichkeit ausgeübt.
...
[-] In den ersten zwei Jahren der Tätigkeit werden Sachanlageinvestitionen in Höhe von mindestens
80 Millionen [ESP] getätigt, wobei alle Investitionen in geschäftsbezogene, nicht zur Nutzung an Dritte
verpachtete oder abgetretene Anlagen getätigt werden müssen. Zu diesem Zweck gelten als
Sachanlageinvestitionen auch durch Leasing erworbene Güter, sofern eine Verpflichtung zur
Ausübung der Kaufoption eingegangen wird.
[-] In den sechs Monaten nach Aufnahme der Betriebstätigkeit werden mindestens zehn
Arbeitsplätze geschaffen, und die durchschnittliche jährliche Beschäftigtenzahl bleibt von da an bis zu
dem Geschäftsjahr, in dem der Anspruch auf Ermäßigung der Bemessungsgrundlage endet, auf
diesem Stand.
...
[-] Es liegt ein Geschäftsplan für einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren vor.
3. ...
4. Der Mindestinvestitionsbetrag und die Mindestanzahl neu geschaffener Arbeitsplätze gemäß Absatz
2 ... schließen jede weitere Steuervergünstigung für diese Investitionen oder für die Schaffung dieser
Arbeitsplätze aus.
5. Die Ermäßigung gemäß diesem Artikel ist bei der Finanzverwaltung zu beantragen, die dem
antragstellenden Unternehmen nach Prüfung der Erfüllung der eingangs aufgestellten
Voraussetzungen gegebenenfalls eine vorläufige Genehmigung erteilt, die durch die Diputación Foral
von [Álava/Vizcaya/Guipúzcoa] bestätigt werden muss.
...“
Angefochtene Entscheidung
12.
Aufgrund einer 1996 eingereichten Beschwerde untersuchte die Kommission die Anwendung der
Minderung der Steuerbemessungsgrundlage nach dem Steuerrecht des Territorio Histórico de Álava
auf das Unternehmen Daewoo Electronics Manufacturing España SA (Demesa). Mit der Entscheidung
1999/718/EG vom 24. Februar 1999 über die staatliche Beihilfe Spaniens zugunsten der Demesa (ABl.
L 292, S. 1) stellte sie fest, dass die Gewährung dieser Steuervergünstigung an das betroffene
Unternehmen eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe darstelle.
13.
Dann prüfte die Kommission die im Steuerrecht des Territorio Histórico de Álava eingeräumte
Minderung der Steuerbemessungsgrundlage allgemein unter dem Blickwinkel der Artikel 87 EG und 88
EG. Gleichartige, in den Territorios Históricos von Vizcaya und Guipúzcoa geltende Steuermaßnahmen
wurden ebenfalls geprüft (nachfolgend für die drei Historischen Gebiete des Baskenlands: streitige
Steuermaßnahmen).
14.
Im Verlauf dieser Prüfung erließ die Kommission die Entscheidung SG (99) D/7814 über die
Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens hinsichtlich der nach dem jeweiligen Steuerrecht der
Territorios Históricos von Álava, Vizcaya und Guipúzcoa vorgesehenen Minderung der
Steuerbemessungsgrundlage (nachfolgend: angefochtene Entscheidung). Die angefochtene
Entscheidung wurde Spanien mit Schreiben vom 29. September 1999 bekannt gegeben und gemäß
Artikel 26 Absatz 2 BVV im vom 26. Februar 2000 (ABl. C
55, S. 2) auf Spanisch mit einer Zusammenfassung in der Sprache der jeweiligen Sprachausgabe des
Amtsblatts veröffentlicht.
15.
In der angefochtenen Entscheidung stuft die Kommission die Minderung der
Steuerbemessungsgrundlage auf der Grundlage folgender Erwägungen vorläufig als staatliche Beihilfe
im Sinne des Artikels 87 Absatz 1 EG ein:
„[D]ie ... Beihilfemaßnahme ... besteht aus einer Minderung der Steuerbemessungsgrundlage (100 %)
um 99 %, 75 %, 50 % und 25 % und erfüllt die vier in Artikel 87 [EG-Vertrag] niedergelegten Kriterien.
Bei der Minderung der Steuerbemessungsgrundlage handelt es sich insbesondere um eine
spezifische bzw. selektive Maßnahme, da sie bestimmte Unternehmen begünstigt. Denn die
Beihilfemodalitäten haben unter anderem zur Folge, dass die vor dem Inkrafttreten der
Provinzialgesetze Mitte Mai 1996 gegründeten Unternehmen, die keine Investitionen von über 80
[Millionen] ESP (480 810 EUR) tätigen, nicht mehr als 10 Arbeitsplätze schaffen und kein eingezahltes
Kapital von über 20 [Millionen] ESP (120 202 EUR) ausweisen, keinen Anspruch haben. Außerdem sind
die betreffenden steuerlichen Beihilfen weder durch die Natur noch durch den inneren Aufbau des
Systems gerechtfertigt, sondern sie sollen ein Anreiz zur Gründung und Inbetriebnahme bestimmter
neuer Unternehmen sein.“ (ABl. 2000, C 55, S. 3, Nr. 4.1)
16.
Die Selektivität der Minderung der Steuerbemessungsgrundlage ergibt sich nach Ansicht der
Kommission auch aus einem gewissen Ermessen, über das die Steuerverwaltungen der betroffenen
Historischen Gebiete bei der Gewährung des fraglichen Steuervorteils verfügten (ABl. 2000, C 55, S.
5).
17.
Die Kommission stellt fest, dass Spanien seine Pflicht zur vorherigen Anmeldung gemäß Artikel 88
Absatz 3 EG nicht erfüllt habe, und bewertet dann die Vereinbarkeit der streitigen
Steuervergünstigung mit dem Gemeinsamen Markt. Sie kommt zu dem Schluss, dass an dieser
ernsthafte Zweifel beständen, und entscheidet, das förmliche Prüfverfahren einzuleiten (ABl. 2000, C
55, S. 3, Nrn. 4.2 und 4.3).
18.
Nach Erlass der angefochtenen Entscheidung prüfte die Kommission ferner besonders die
Gewährung der nach dem Steuerrecht des Territorio Histórico de Álava eingeführten Minderung der
Steuerbemessungsgrundlage an ein bestimmtes Unternehmen. Diese Prüfung wurde mit der
Entscheidung 2000/795/EG der Kommission vom 22. Dezember 1999 über die staatliche Beihilfe
Spaniens zugunsten von Ramondín SA und Ramondín Cápsulas SA (ABl. 2000, L 318, S. 36)
abgeschlossen.
Verfahren und Anträge der Parteien
19.
Mit Klageschriften, die am 6. Dezember 1999 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben
die Kläger die vorliegenden Klagen erhoben.
20.
Das Territorio Histórico de Álava, Kläger in der Rechtssache T-346/99, beantragt,
- die Klage für zulässig zu erklären;
- die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie die Minderung der
Steuerbemessungsgrundlage nach Artikel 26 der Norma Foral Nr. 24/1996 von Álava als staatliche
Beihilfe im Sinne des Artikels 87 EG einstuft;
- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
21.
Das Territorio Histórico de Guipúzcoa, Kläger in der Rechtssache T-347/99, beantragt,
- die Klage für zulässig zu erklären;
- die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie die Minderung der
Steuerbemessungsgrundlage nach Artikel 26 der Norma Foral Nr. 7/1996 von Guipúzcoa als staatliche
Beihilfe im Sinne des Artikels 87 EG einstuft;
- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
22.
Das Territorio Histórico de Vizcaya, Kläger in der Rechtssache T-348/99, beantragt,
- die Klage für zulässig zu erklären;
- die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie die Minderung der
Steuerbemessungsgrundlage nach Artikel 26 der Norma Foral Nr. 3/1996 von Vizcaya als staatliche
Beihilfe im Sinne des Artikels 87 EG einstuft;
- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
23.
Mit gesonderten Schriftsätzen, die am 26. Januar 2000 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen
sind, hat die Kommission gemäß Artikel 114 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts in den drei
Rechtssachen jeweils eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben. Mit Beschlüssen des Gerichts (Dritte
erweiterte Kammer) vom 6. Juli 2000 ist die Entscheidung über diese Einreden dem Endurteil
vorbehalten worden.
24.
Die Kommission beantragt in den drei Rechtssachen,
- die Klage für unzulässig zu erklären;
- hilfsweise, die Klage für unbegründet zu erklären;
- dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
25.
Mit Beschluss des Präsidenten der Dritten erweiterten Kammer des Gerichts vom 12. Januar 2001
sind die Rechtssachen T-346/99, T-347/99 und T-348/99 verbunden worden.
26.
Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte erweiterte Kammer) beschlossen, die
mündliche Verhandlung zu eröffnen. Im Rahmen prozessleitender Maßnahmen gemäß Artikel 64 der
Verfahrensordnung ist den Klägern eine schriftliche Frage gestellt worden, die sie fristgemäß
beantwortet haben.
27.
Die Parteien haben in der Sitzung vom 10. April 2002 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts
beantwortet.
Zur Zulässigkeit
28.
Die Kommission macht geltend, die angefochtene Entscheidung sei ein vorbereitender Akt, der die
Rechtsstellung der Kläger nicht verändere. Sie stelle deshalb keine anfechtbare Handlung im Sinne
des Artikels 230 EG dar. Wenn die Entscheidung über die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens
endgültige Rechtswirkungen hinsichtlich der Einstufung einer Maßnahme als staatliche Beihilfe
erzeugte, so würde die Möglichkeit einer Klage gegen diese Einstufung innerhalb der gesetzlichen
Frist die Klage gegen die endgültige Entscheidung über den Beihilfecharakter der Maßnahme
unzulässig machen, da es sich dann nur um die Wiederholung eines früheren endgültigen Aktes
handelte.
29.
Weiter habe der Gerichtshof in seinem Urteil vom 14. Februar 1990 in der Rechtssache C-301/87
(Frankreich/Kommission, Slg. 1990, I-307) entschieden, dass die Kommission den Mitgliedstaat
anweisen könne, die Beihilfe auszusetzen, bevor sie die Prüfung der Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem
Gemeinsamen Markt abgeschlossen habe. Diese Anordnung, die in einem anderen Verfahren als dem
des Artikels 88 Absatz 2 EG ergehe, unterscheide sich von der Entscheidung über die Einleitung des
förmlichen Prüfverfahrens und könne im Gegensatz zu dieser Gegenstand einer Klage sein (Urteil
Frankreich/Kommission, Randnr. 18). Dass der Gerichtshof es für erforderlich gehalten habe, zu
verlangen, dass die Aussetzungsanordnung Gegenstand eines Verfahrens und einer Entscheidung
sei, die sich vom Verfahren und der Entscheidung über die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens
unterschieden, lasse erkennen, dass diese Anordnung nicht bereits aus der Einstufung der in der
Entscheidung über die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens untersuchten Maßnahme als Beihilfe
folge.
30.
Schließlich hätten die spanischen Zentral-, Regional- und Provinzbehörden in dem Verfahren, das
dem Erlass der angefochtenen Entscheidung vorausgegangen sei, im Unterschied zu den
Entscheidungen, die Gegenstand der Urteile des Gerichtshofes vom 30. Juni 1992 in den
Rechtssachen C-312/90 (Spanien/Kommission, Slg. 1992, I-4117) und C-47/91 (Italien/Kommission, Slg.
1992, I-4145) und vom 9. Oktober 2001 in der Rechtssache C-400/99 (Italien/Kommission, Slg. 2001, I-
7303, nachfolgend: Urteil Tirrenia) gewesen seien, niemals geltend gemacht, dass es sich bei den
streitigen Steuermaßnahmen um bestehende Maßnahmen handele.
31.
Die Kläger erwidern unter Berufung auf die in Randnummer 30 genannten Urteile, dass eine
Entscheidung über die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens eine anfechtbare Handlung sei, da sie
unmittelbare und endgültige Rechtswirkungen erzeuge. Die Kommission sei nicht befugt gewesen, das
förmliche Prüfverfahren einzuleiten, da die streitigen Steuermaßnahmen nicht die Merkmale einer
staatlichen Beihilfe aufwiesen.
32.
Im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung waren die streitigen
Steuermaßnahmen von den Klägern bereits durchgeführt worden. Die Kläger sind nämlich stets der
Ansicht gewesen, dass die mit diesen Maßnahmen eingeführte Minderung der
Steuerbemessungsgrundlage keine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG sei.
33.
Eine Entscheidung über die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens erzeugt insbesondere
hinsichtlich der Aussetzung der fraglichen Maßnahme eigenständige Rechtswirkungen (Urteil Tirrenia,
zitiert oben in Randnr. 30, Randnrn. 62 und 69). Das gilt nicht nur dann, wenn die in der Durchführung
begriffene Maßnahme vom betroffenen Mitgliedstaat als bestehende Beihilfe angesehen wird, sondern
auch dann, wenn dieser der Ansicht ist, die von der Entscheidung über die Einleitung betroffene
Maßnahme falle nicht unter Artikel 87 Absatz 1 EG (Urteil Tirrenia, zitiert oben in Randnr. 30, Randnrn.
59, 60 und 69).
34.
Eine Entscheidung, über eine in der Durchführung begriffene und von der Kommission als neue
Beihilfe eingestufte Maßnahme das förmliche Prüfverfahren einzuleiten, ändert - insbesondere im
Hinblick auf die Fortführung der fraglichen Maßnahme - zwangsläufig deren rechtliche Bedeutung
sowie die Rechtslage der beihilfebegünstigten Unternehmen. Bis zum Erlass einer solchen
Entscheidung können der Mitgliedstaat, die beihilfebegünstigten Unternehmen und die anderen
Wirtschaftsbeteiligten davon ausgehen, dass die Maßnahme als allgemeine Maßnahme, die nicht
unter Artikel 87 Absatz 1 EG fällt, oder als bestehende Beihilfe durchgeführt werden darf. Dagegen
bestehen nach Erlass einer solchen Entscheidung zumindest erhebliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit der Maßnahme, die unbeschadet der Möglichkeit, eine gerichtliche einstweilige
Anordnung zu beantragen, den Mitgliedstaat veranlassen müssen, die Maßnahme auszusetzen, da die
Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens es ausschließt, dass eine sofortige Entscheidung ergeht, mit
der die Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt würde und die es erlauben würde, die
Durchführung der Maßnahme fortzusetzen. Eine solche Entscheidung könnte auch vor einem
nationalen Gericht geltend gemacht werden, das alle Konsequenzen aus dem Verstoß gegen Artikel
88 Absatz 3 Satz 3 EG zu ziehen hätte. Schließlich kann sie zudem die von der Maßnahme
begünstigten Unternehmen veranlassen, neue Zahlungen oder Vorteile zurückzuweisen oder
Rückstellungen vorzunehmen, die für etwaige spätere Ausgleichszahlungen erforderlich sind. Auch die
Geschäftskreise werden in ihren Beziehungen zu den Beihilfeempfängern deren geschwächte Rechts-
und Finanzlage berücksichtigen (Urteil Tirrenia, zitiert oben in Randnr. 30, Randnrn. 59 und 69; Urteil
des Gerichts vom 30. April 2002 in den Rechtssachen T-195/01 und T-207/01, Government of
Gibraltar/Kommission, Slg. 2002, II-2309, Randnr. 85).
35.
Im Unterschied zu einer an einen Mitgliedstaat gerichteten Aussetzungsanordnung, die unmittelbar
verbindlich ist und deren Nichtbeachtung es der Kommission erlaubt, nach Artikel 12 BVV sofort den
Gerichtshof anzurufen, damit dieser feststellt, dass die Nichtbeachtung eine Vertragsverletzung
darstellt, erzeugt zwar die Entscheidung, über in der Durchführung begriffene und von der Kommission
als neue Beihilfen eingestufte Maßnahmen das förmliche Prüfverfahren einzuleiten, Rechtswirkungen,
aus denen der betreffende Mitgliedstaat und gegebenenfalls die Wirtschaftsbeteiligten selbst die
Konsequenzen ziehen müssen. Dieser Unterschied auf der Verfahrensebene wirkt sich jedoch nicht
auf die Bedeutung dieser Rechtswirkungen aus (Urteil Tirrenia, zitiert oben in Randnr. 30, Randnr. 60).
36.
Daraus folgt, dass die angefochtene Entscheidung eine Handlung ist, gegen die gemäß Artikel 230
EG Klage erhoben werden kann.
37.
Ferner sind die Kläger von der angefochtenen Entscheidung im Sinne des Artikels 230 Absatz 4 EG
unmittelbar und individuell betroffen. Die angefochtene Entscheidung betrifft Steuermaßnahmen,
deren Urheber die Kläger sind, und sie hindert sie überdies daran, ihre eigenen Befugnisse, die ihnen
nach innerstaatlichem spanischem Recht unmittelbar zustehen, in der von ihnen gewünschten Weise
auszuüben (siehe in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 30. April 1998 in der Rechtssache T-
214/95, Vlaams Gewest/Kommission, Slg. 1998, II-717, Randnrn. 29 und 30, und vom 6. März 2002 in
den Rechtssachen T-127/99, T-129/99 und T-148/99, Diputación Foral de Álava u. a./Kommission, Slg.
2002, II-1371, Randnr. 50).
38.
Nach alledem sind die Klagen zulässig.
Zur Begründetheit
39.
Die Kläger stützen ihre Klage auf fünf Klagegründe. Mit dem ersten wird ein Verstoß gegen Artikel 87
Absatz 1 EG geltend gemacht, mit dem zweiten ein Verstoß gegen Artikel 88 Absätze 2 und 3 EG. Der
dritte wird auf Ermessensmissbrauch gestützt, der vierte auf einen Verstoß gegen den Grundsatz des
Vertrauensschutzes. Mit dem fünften wird schließlich ein Verstoß gegen Artikel 253 EG gerügt.
40.
Mit dem ersten Klagegrund bestreiten die Kläger, dass die mit den streitigen Steuermaßnahmen
eingeführte Minderung der Steuerbemessungsgrundlage eine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel
87 Absatz 1 EG ist.
41.
Die Kommission muss das förmliche Prüfverfahren einleiten, wenn sie bei einer ersten Prüfung die
Frage, ob das untersuchte Vorhaben eine Beihilfe im Sinne des Artikels 87 Absatz 1 EG darstellt, nicht
ohne Schwierigkeiten beantworten kann; dies gilt zumindest dann, wenn sie bei dieser ersten Prüfung
nicht die Überzeugung gewinnen konnte, dass das betreffende Vorhaben jedenfalls mit dem
Gemeinsamen Markt vereinbar wäre, wenn es eine Beihilfe sein sollte (Urteil des Gerichtshofes vom 2.
April 1998 in der Rechtssache C-367/95 P, Kommission/Sytraval und Brink's France, Slg. 1998, I-1719,
Randnr. 39; Urteil des Gerichts vom 15. September 1998 in der Rechtssache T-11/95, BP
Chemicals/Kommission, Slg. 1998, II-3235, Randnr. 166).
42.
Deshalb bestimmt Artikel 6 BVV, dass die Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen
Prüfverfahrens eine „vorläufige Würdigung des Beihilfecharakters der geplanten Maßnahme durch die
Kommission“ enthält.
43.
Folglich ist die Einstufung als staatliche Beihilfe in einer Entscheidung über die Einleitung des
förmlichen Prüfverfahrens nicht endgültig. Die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens soll es der
Kommission gerade ermöglichen, alle Stellungnahmen einzuholen, die erforderlich sind, um eine
endgültige Entscheidung in diesem Punkt fällen zu können (siehe in diesem Sinne Urteil des
Gerichtshofes vom 3. Mai 2001 in der Rechtssache C-204/97, Portugal/Kommission, Slg. 2001, I-3175,
Randnr. 33; Urteil des Gerichts vom 25. Juni 1998 in den Rechtssachen T-371/94 und T-394/94, British
Airways u. a. und British Midland Airways/Kommission, Slg. 1998, II-2405, Randnr. 59).
44.
Um eine Vermischung von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu vermeiden und die
Kompetenzverteilung zwischen der Kommission und dem Gemeinschaftsrichter zu beachten, müssen
der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung über die Einleitung des förmlichen
Prüfverfahrens durch das Gericht zwangsläufig Grenzen gesetzt sein (siehe in diesem Sinne Urteil des
Gerichtshofes vom 11. November 1981 in der Rechtssache 60/81, IBM/Kommission, Slg. 1981, 2639,
Randnr. 20). Der Gemeinschaftsrichter hat sich nämlich einer abschließenden Entscheidung über von
der Kommission nur vorläufig behandelte Fragen zu enthalten.
45.
Stellen die Kläger bei einer Klage gegen eine Entscheidung über die Einleitung des förmlichen
Prüfverfahrens die Bewertung der Kommission betreffend die Einstufung der streitigen Maßnahme als
staatliche Beihilfe in Frage, ist deshalb die Kontrolle durch den Gemeinschaftsrichter auf die Prüfung
beschränkt, ob der Kommission ein offenkundiger Beurteilungsfehler unterlaufen ist, als sie der
Meinung war, sie habe bei einer ersten Prüfung der betroffenen Maßnahme diese Frage nicht ohne
Schwierigkeiten beantworten können (siehe Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 19.
Dezember 2001 in den Rechtssachen T-195/01 R und T-207/01 R, Government of Gibraltar/Kommission,
Slg. 2001, II-3915, Randnr. 79).
46.
Die Kläger machen erstens geltend, die durch die streitigen Steuermaßnahmen eingeführte
Minderung der Steuerbemessungsgrundlage sei eine allgemeine Steuermaßnahme.
47.
Zunächst habe die Kommission die Spezifität der streitigen Steuermaßnahmen aus ihrem
regionalen Charakter abgeleitet. Die Territorios Históricos von Álava, Vizcaya und Guipúzcoa besäßen
seit dem 19. Jahrhundert eine von der spanischen Verfassung anerkannte und geschützte
Steuerautonomie. Diese Autonomie werde durch die angefochtene Entscheidung implizit in Frage
gestellt.
48.
Ferner gelte die Minderung der Steuerbemessungsgrundlage für alle neu gegründeten
Unternehmen unabhängig von ihrem Tätigkeitsbereich und dem Ursprung der Investition, wenn sie die
in der Regelung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllten. Diese Voraussetzungen seien „horizontal“
und objektiv gefasst. Die Begrenzung des Anwendungsbereichs der Minderung der
Steuerbemessungsgrundlage sei besonders deshalb gerechtfertigt, weil sie erforderlich sei, um das
mit den streitigen Steuermaßnahmen verfolgte Ziel, nämlich die Förderung von Investitionen und die
Schaffung von Arbeitsplätzen, zu erreichen.
49.
Ebenso wenig könne die Kommission die Spezifität der streitigen Steuermaßnahmen aus einem
angeblichen Ermessen der Steuerverwaltung bei der Gewährung der Minderung der
Steuerbemessungsgrundlage ableiten. Denn die Steuerverwaltung prüfe nur, ob die in den streitigen
Steuermaßnahmen vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt seien, ohne insoweit über irgendein
Ermessen zu verfügen. Sie könne die begünstigten Unternehmen nicht auswählen oder den Umfang
der „Beihilfe“ von besonderen Eigenschaften der Unternehmen abhängig machen.
50.
Gemäß Artikel 87 Absatz 1 EG gilt eine Maßnahme nur als staatliche Beihilfe, wenn sie „bestimmte
Unternehmen oder Produktionszweige“ begünstigt. Die Spezifität oder die Selektivität einer Maßnahme
ist damit eines der Merkmale des Begriffes der staatlichen Beihilfe (Urteil des Gerichtshofes vom 1.
Dezember 1998 in der Rechtssache C-200/97, Ecotrade, Slg. 1998, I-7907, Randnr. 40; Urteil
Diputación Foral de Álava u. a./Kommission, zitiert oben in Randnr. 37, Randnr. 144, und Urteil des
Gerichts vom 29. September 2000 in der Rechtssache T-55/99, CETM/Kommission, Slg. 2000, II-3207,
Randnr. 39).
51.
Die Kommission hat sich in der angefochtenen Entscheidung auf zwei Gesichtspunkte gestützt, um
die Minderung der Steuerbemessungsgrundlage vorläufig als selektive Maßnahme im Sinne des
Artikels 87 Absatz 1 EG zu qualifizieren, nämlich zum einen auf die Voraussetzungen für die Gewährung
des fraglichen Steuervorteils, die „unter anderem zur Folge [hätten], dass die vor dem Inkrafttreten
der Provinzialgesetze Mitte Mai 1996 gegründeten Unternehmen, die keine Investitionen von über 80
[Millionen] ESP (480 810 EUR) tätigen, nicht mehr als 10 Arbeitsplätze schaffen und kein eingezahltes
Kapital von über 20 [Millionen] ESP (120 202 EUR) ausweisen, keinen Anspruch haben“ (ABl. 2000, C
55, S. 3, Nr. 4.1), und zum anderen auf das Ermessen, über das die Steuerverwaltungen der
betroffenen Historischen Gebiete bei der Gewährung des Steuervorteils verfügen sollen (ABl. 2000, C
55, S. 5).
52.
Entgegen den Ausführungen der Kläger hat sich die Kommission also in der angefochtenen
Entscheidung bei ihrem vorläufigen Schluss auf die Selektivität der Minderung der
Steuerbemessungsgrundlage nicht auf die Feststellung gestützt, dass die streitigen
Steuermaßnahmen nur für einen Teil des spanischen Staatsgebiets, nämlich die Historischen Gebiete
des Baskenlands, gälten. Die Kläger können daher nicht behaupten, die angefochtene Entscheidung
stelle die Rechtsetzungszuständigkeit der drei Historischen Gebiete des Baskenlands für
Steuermaßnahmen in Frage.
53.
Aus den streitigen Steuermaßnahmen ergibt sich sodann, dass der Anspruch auf Minderung der
Steuerbemessungsgrundlage nur neu gegründeten Unternehmen zuerkannt wird und damit alle
anderen Unternehmen von der fraglichen Vergünstigung ausgeschlossen werden. Zudem müssen
diese neu gegründeten Unternehmen über ein eingezahltes Kapital von mindestens 20 Millionen ESP
verfügen, eine Investition in Höhe von mindestens 80 Millionen ESP tätigen und die Schaffung von
mindestens zehn Arbeitsplätzen gewährleisten. Auf dieser Grundlage durfte die Kommission vorläufig
davon ausgehen, dass die durch die streitigen Steuermaßnahmen eingeführte Minderung der
Steuerbemessungsgrundlage auch dann „bestimmten Unternehmen“ im Sinne des Artikels 87 Absatz
1 EG vorbehalten war, wenn, wie die Kläger behaupten, die hier streitigen Steuermaßnahmen ihren
Anwendungsbereich anhand objektiver und horizontaler Kriterien festlegen (siehe Urteil des Gerichts
vom 6. März 2002 in den Rechtssachen T-92/00 und T-103/00, Diputación Foral de Álava u.
a./Kommission, Slg. 2002, II-1385, Randnr. 50).
54.
Ferner verlöre Artikel 87 Absatz 1 EG jede praktische Wirksamkeit, wenn davon auszugehen wäre,
dass die Verfolgung eines wirtschafts- oder industriepolitischen Zieles wie die Ermunterung zu
Investitionen eine Maßnahme aus dem Anwendungsbereich dieser Vorschrift ausnehmen kann. Im
Einklang mit einer ständigen Rechtsprechung ist daher festzustellen, dass die streitigen
Steuermaßnahmen der Einstufung als staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG nicht
wegen des mit ihnen verfolgten Zweckes entgehen können (Urteile des Gerichtshofes vom 26.
September 1996 in der Rechtssache C-241/94, Frankreich/Kommission, Slg. 1996, I-4551, Randnr. 20,
und vom 17. Juni 1999 in der Rechtssache C-75/97, Belgien/Kommission, „Maribel“, Slg. 1999, I-3671,
Randnr. 25; Urteil CETM/Kommission, zitiert oben in Randnr. 50, Randnr. 53).
55.
Die Kläger machen allerdings geltend, die mit den streitigen Steuermaßnahmen eingeführte
Minderung der Steuerbemessungsgrundlage sei durch das Wesen oder den Zweck des
Steuersystems gerechtfertigt, weil sie objektiven, einheitlich geltenden Kriterien folge und der
Verwirklichung des Zieles diene, das mit den Steuerbestimmungen, durch die sie eingeführt worden
sei, verfolgt werde.
56.
Außerdem sei das Steuersystem der Historischen Gebiete, das seine Grundlage in der spanischen
Verfassung finde, als solches durch das Wesen und den Zweck des allgemeinen spanischen Systems
gerechtfertigt.
57.
Im Übrigen seien die tatbestandlichen Voraussetzungen der fraglichen Steuermaßnahme für die
Wirksamkeit des Steuersystems, zu dem die Maßnahme gehöre, erforderlich oder zweckmäßig. Der mit
der Minderung der Steuerbemessungsgrundlage angestrebte Investitionsanreiz sei in einem Gebiet,
das sonst nur wenige Wirtschaftsbeteiligte anziehe, erforderlich. Ferner sei die allgemeine Steuerlast
im Baskenland höher als im Rest Spaniens.
58.
Eine staatliche Maßnahme, die durch das Wesen oder die allgemeinen Zwecke des Systems, zu
dem sie gehört, gerechtfertigt ist, erfüllt, selbst wenn sie einen Vorteil für die durch sie Begünstigten
begründet, die Voraussetzung der Selektivität nicht (Urteil „Maribel“, zitiert oben in Randnr. 54,
Randnr. 33, und Urteil des Gerichtshofes vom 8. November 2001 in der Rechtssache C-143/99, Adria-
Wien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke, Slg. 2001, I-8365, Randnr. 42).
59.
Wird eine Steuermaßnahme durch das Wesen oder den Zweck des Steuersystems gerechtfertigt,
so wird darauf abgestellt, dass diese Maßnahme im Rahmen des Steuersystems, zu dem sie gehört,
sachgerecht ist (Urteil vom 6. März 2002 in den Rechtssachen T-127/99, T-129/99 und T-148/99,
Diputación Foral de Álava u. a./Kommission, zitiert oben in Randnr. 37, Randnr. 164).
60.
Mit keinem der von den Klägern vorgebrachten Argumente wird jedoch der Nachweis erbracht, dass
die Begrenzung des Kreises der durch den fraglichen Steuervorteil potenziell Begünstigten im Rahmen
des baskischen Steuersystems sachgerecht wäre.
61.
Zunächst eignet sich der Umstand, dass die streitigen Steuermaßnahmen objektiven Kriterien und
Voraussetzungen folgen, nicht als Nachweis dafür, dass die Begrenzung des Kreises der durch den
fraglichen Steuervorteil Begünstigten im Rahmen des baskischen Steuersystems sachgerecht wäre
(siehe Urteil Adria-Wien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke, zitiert oben in Randnr.
58, Randnr. 53).
62.
Sodann lässt sich daraus, dass die spanische Verfassung den baskischen Stellen steuerliche
Kompetenzen zuerkennt, nicht ableiten, dass jeder von diesen Stellen gewährte Steuervorteil durch
das Wesen oder den Zweck des Steuersystems gerechtfertigt wäre. Denn die von innerstaatlichen
(dezentralisierten, föderalen, regionalen oder sonstigen) Einrichtungen der Mitgliedstaaten
erlassenen Maßnahmen fallen unabhängig von der Rechtsstellung und Bezeichnung dieser
Einrichtungen ebenso wie Maßnahmen der Bundes- oder Zentralstellen unter Artikel 87 Absatz 1 EG,
wenn dessen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind (Urteil des Gerichtshofes vom 14. Oktober 1987 in der
Rechtssache 248/84, Deutschland/Kommission, Slg. 1987, 4013, Randnr. 17; Urteil vom 6. März 2002
in den Rechtssachen T-127/99, T-129/99 und T-148/99, Diputación Foral de Álava u. a./Kommission,
zitiert oben in Randnr. 37, Randnr. 142).
63.
Im Übrigen berufen sich die Kläger im Wesentlichen auf wirtschaftspolitische Ziele, die außerhalb
des baskischen Steuersystems liegen. Eine Maßnahme kann aber der Einstufung als staatliche
Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG nicht wegen des mit ihr verfolgten wirtschaftlichen Zieles
entgehen (siehe die oben, in Randnr. 54 zitierte Rechtsprechung).
64.
Der Kommission ist daher in der angefochtenen Entscheidung bei ihrer vorläufigen Beurteilung der
durch die streitigen Steuermaßnahmen eingeführten Minderung der Steuerbemessungsgrundlage als
selektive Maßnahme im Sinne des Artikels 87 Absatz 1 EG kein offensichtlicher Beurteilungsfehler
unterlaufen, da die Minderung der Steuerbemessungsgrundlage nur neu gegründeten Unternehmen
zugute kommt, die verschiedene besondere Voraussetzungen erfüllen (siehe oben Randnr. 53), ohne
dass sie durch das Wesen oder den allgemeinen Zweck des Systems, zu dem sie gehört,
gerechtfertigt wäre.
65.
Deshalb ist nicht weiter zu prüfen, ob die Kommission auf der Grundlage der ihr zum Zeitpunkt des
Erlasses der angefochtenen Entscheidung zur Verfügung stehenden Informationen mit gutem Grund
feststellen konnte, dass die baskische Steuerverwaltung bei der Gewährung der Minderung der
Steuerbemessungsgrundlage über ein gewisses Ermessen verfügte und dieses angebliche Ermessen
auch geeignet war, den streitigen Steuermaßnahmen einen selektiven Charakter zu verleihen (siehe
oben, Randnr. 16).
66.
Zweitens machen die Kläger geltend, die Kommission habe nicht nachgewiesen, dass die durch die
streitigen Steuermaßnahmen eingeführte Minderung der Steuerbemessungsgrundlage eine
Wettbewerbsverzerrung mit sich bringe und den innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtige. Der
Schluss, dass eine Maßnahme eine staatliche Beihilfe darstelle, sei nur erlaubt, wenn sie sich
tatsächlich und spürbar auf den Wettbewerb auswirke (Urteile des Gerichtshofes vom 25. Juni 1970 in
der Rechtssache 47/69, Frankreich/Kommission, Slg. 1970, 487, Randnr. 16, Deutschland/Kommission,
zitiert oben in Randnr. 62, Randnr. 18, und vom 2. Februar 1988 in den Rechtssachen 67/85, 68/85
und 70/85, Van der Kooy u. a./Kommission, Slg. 1988, 219, Randnr. 58).
67.
Im Fall einer angeblichen Beihilferegelung kann sich die Kommission darauf beschränken, die
Merkmale der fraglichen Regelung zu untersuchen, um zu beurteilen, ob sie den Begünstigten
gegenüber ihren Wettbewerbern einen spürbaren Vorteil sichert und ihrem Wesen nach vor allem
Unternehmen zugute kommt, die sich am Handel zwischen den Mitgliedstaaten beteiligen (Urteil
„Maribel“, zitiert oben in Randnr. 54, Randnr. 48, und Urteil des Gerichtshofes vom 7. März 2002 in der
Rechtssache C-310/99, Italien/Kommission, Slg. 2002, I-2289, Randnr. 89). In einem Fall wie dem
vorliegenden, in dem die angebliche Beihilferegelung nicht angemeldet wurde, muss die Begründung
der abschließenden Entscheidung der Kommission und erst recht die Entscheidung über die
Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens keine aktualisierte Würdigung der Auswirkungen der
Regelung auf den Wettbewerb und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten enthalten (siehe Urteil
„Maribel“, zitiert oben in Randnr. 54, Randnr. 48).
68.
In der angefochtenen Entscheidung durfte die Kommission aber vorläufig davon ausgehen, dass die
streitigen Steuermaßnahmen, die die Gewährung der Minderung der Steuerbemessungsgrundlage um
25 bis 99 % faktisch auf neu gegründete Unternehmen beschränken, die zudem verschiedene
besondere Voraussetzungen erfüllen, die Wettbewerbsposition der durch den fraglichen Steuervorteil
begünstigten Unternehmen, zu denen normalerweise am Handel zwischen den Mitgliedstaaten
beteiligte Unternehmen gehören, verbessern. Außerdem kann mit gutem Grund vertreten werden,
dass der fragliche Steuervorteil die Möglichkeiten der in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen
und mit den Empfängern dieses Vorteils in Wettbewerb stehenden Unternehmen, ihre Erzeugnisse auf
den spanischen Markt zu exportieren, beeinträchtigen kann.
69.
Das in Randnummer 66 dargestellte Vorbringen der Kläger ist daher ebenfalls zurückzuweisen.
70.
Nach alledem konnte die Kommission, ohne einen offensichtlichen Beurteilungsfehler zu begehen,
der Auffassung sein, dass es ihr nicht gelungen sei, bei einer ersten Prüfung ohne Schwierigkeiten die
Frage zu beantworten, ob die betreffende Steuervergünstigung eine staatliche Beihilfe im Sinne des
Artikels 87 Absatz 1 EG darstelle.
71.
Daher ist der auf einen Verstoß gegen Artikel 87 Absatz 1 EG gestützte Klagegrund zurückzuweisen.
72.
Die Kläger weisen darauf hin, dass die Kommission die Minderung der Steuerbemessungsgrundlage
deshalb als rechtswidrige Beihilfe eingestuft habe, weil die Anmeldepflicht des Artikels 88 Absatz 3 EG
nicht beachtet worden sei. Da die streitigen Steuermaßnahmen keine staatliche Beihilfe im Sinne des
Artikels 87 Absatz 1 EG darstellten, habe es für Spanien auch keine Anmeldepflicht gegeben.
73.
Diesem Vorbringen ist nicht zu folgen. Denn da die Kommission der Auffassung sein durfte, dass es
ihr nicht gelungen sei, bei einer ersten Prüfung ohne Schwierigkeiten die Frage zu beantworten, ob
die betreffende Steuervergünstigung eine staatliche Beihilfe im Sinne des Artikels 87 Absatz 1 EG
darstelle, durfte sie auch vorläufig feststellen, dass Spanien dadurch gegen Artikel 88 Absatz 3 EG
verstoßen hatte, dass es die streitigen Steuermaßnahmen nicht vorab bei ihr angemeldet hatte. Jede
andere Auslegung von Artikel 88 Absatz 3 EG brächte die Gefahr mit sich, die Pflicht zur vorherigen
Anmeldung neuer Beihilfen ihrer praktischen Wirksamkeit zu berauben.
74.
Sodann machen die Kläger geltend, die Kommission habe gegen Artikel 88 Absatz 2 EG verstoßen,
da sie die Minderung der Steuerbemessungsgrundlage in der angefochtenen Entscheidung
vorbehaltlos als staatliche Beihilfe eingestuft habe. Sie habe in der angefochtenen Entscheidung
somit in diesem Punkt abschließend entschieden. Damit seien die Verfahrensrechte der Kläger aus
Artikel 88 Absatz 2 EG verletzt worden.
75.
Die Kommission muss das förmliche Prüfverfahren einleiten, wenn sie bei einer ersten Prüfung die
Frage, ob das untersuchte Vorhaben eine Beihilfe im Sinne des Artikels 87 Absatz 1 EG darstellt, nicht
ohne alle Schwierigkeiten beantworten kann; dies gilt zumindest dann, wenn sie bei dieser ersten
Prüfung nicht die Überzeugung gewinnen konnte, dass das betreffende Vorhaben jedenfalls mit dem
Gemeinsamen Markt vereinbar wäre, wenn es eine Beihilfe sein sollte (Urteile Kommission/Sytraval und
Brink's France, zitiert oben in Randnr. 41, Randnr. 39, und BP Chemicals/Kommission, zitiert oben in
Randnr. 41, Randnr. 166). Die Entscheidung über die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens enthält
also eine vorläufige Bewertung des Vorhabens im Hinblick auf seine Einstufung als staatliche Beihilfe
und in Bezug auf seine Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt.
76.
Deshalb bestimmt Artikel 6 Absatz 1 BVV, dass die Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen
Prüfverfahrens zum einen „eine vorläufige Würdigung des Beihilfecharakters der ... Maßnahme durch
die Kommission“ und zum anderen „Ausführungen über ihre Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit
mit dem Gemeinsamen Markt“ enthält.
77.
Dass die Kommission in der angefochtenen Entscheidung keine ausdrücklichen Vorbehalte
hinsichtlich der Einstufung der Minderung der Steuerbemessungsgrundlage als staatliche Beihilfe
formuliert hat, belegt also keineswegs, dass diese Einstufung nicht vorläufig war (siehe Urteil des
Gerichtshofes vom 14. November 1984 in der Rechtssache 323/82, Intermills/Kommission, Slg. 1984,
3809, Randnr. 21). Die Kommission muss nämlich in einer Entscheidung über die Einleitung des
förmlichen Prüfverfahrens Bedenken nur hinsichtlich der Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem
Gemeinsamen Markt ausdrücklich äußern.
78.
Dass die Einstufung einer staatlichen Maßnahme als staatliche Beihilfe in einer Entscheidung über
die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens immer vorläufig ist, ergibt sich auch aus Artikel 7 Absatz 2
BVV, nach dem die Kommission nach Abschluss des förmlichen Prüfverfahrens feststellen kann, dass
die Maßnahme keine Beihilfe darstellt.
79.
Schließlich folgt aus den nach Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens abgegebenen
Stellungnahmen der Kläger, die dem Gericht auf eine schriftliche Frage übermittelt worden sind, dass
die Kläger selbst der Ansicht waren, die Kommission habe die Minderung der
Steuerbemessungsgrundlage in der angefochtenen Entscheidung vorläufig als staatliche Beihilfe
eingestuft. In ihren Stellungnahmen fordern sie die Kommission nämlich auf, das Verfahren mit der
Entscheidung abzuschließen, dass die fragliche Steuervergünstigung keine staatliche Beihilfe
darstelle.
80.
In der mündlichen Verhandlung haben die Kläger ferner behauptet, der Begriff der staatlichen
Beihilfe habe mit der Zeit eine gewisse Entwicklung erfahren; dieses Phänomen werde in Artikel 1
Buchstabe b Ziffer v BVV anerkannt. Zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Steuermaßnahmen
habe die Kommission eine Steuervergünstigung, wie sie Gegenstand der angefochtenen
Entscheidung sei, nicht als eine selektive Maßnahme betrachtet. Aufgrund der Änderung der von der
Kommission im Laufe der Zeit angewandten Selektivitätskriterien müsse die Minderung der
Steuerbemessungsgrundlage, wenn sie denn eine staatliche Beihilfe darstelle, als bestehende
Beihilfe angesehen werden. Folglich sei die angefochtene Entscheidung, die ein für neue Beihilfen
vorgesehenes Verfahren einleite, rechtswidrig.
81.
Die Kläger stützen ihr Vorbringen auf die Entscheidung 93/337/EWG der Kommission vom 10. Mai
1993 über eine Steuerbeihilferegelung für Investitionen im Baskenland (ABl. L 134, S. 25) und auf die
Entscheidung 96/369/EG der Kommission vom 13. März 1996 über eine steuerliche Beihilfe in Form
einer Abschreibungsregelung zugunsten der deutschen Luftverkehrsunternehmen (ABl. L 146, S. 42).
Die im am 12. Dezember 1998 veröffentlichte Mitteilung
der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im
Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung (ABl. C 384, S. 3) habe zum ersten Mal die Änderung
der Selektivitätskriterien, die die Kommission bei ihrer Beurteilung von Steuermaßnahmen unter dem
Blickwinkel des Artikels 87 Absatz 1 EG anwende, zutage treten lassen.
82.
Gemäß Artikel 1 Buchstabe b Ziffer v BVV sind bestehende Beihilfen „Beihilfen, die als bestehende
Beihilfen gelten, weil nachgewiesen werden kann, dass sie zu dem Zeitpunkt, zu dem sie eingeführt
wurden, keine Beihilfe waren und später aufgrund der Entwicklung des Gemeinsamen Marktes zu
Beihilfen wurden, ohne dass sie eine Änderung durch den betreffenden Mitgliedstaat erfahren
haben“.
83.
Zunächst lassen die von den Klägern vorgebrachten Gesichtspunkte nicht darauf schließen, dass
sich die Selektivitätskriterien, die die Kommission bei ihrer Beurteilung von Steuermaßnahmen unter
dem Blickwinkel des Artikels 87 Absatz 1 EG anwendet, nach dem Erlass der streitigen
Steuermaßnahmen geändert hätten. In den beiden oben in Randnummer 81 zitierten Entscheidungen
hielt die Kommission die geprüften Steuermaßnahmen für selektiv und stufte sie als mit dem
Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfen ein. In diesen Entscheidungen gibt es keinen
Anhaltspunkt dafür, dass die Kommission die streitigen Steuermaßnahmen als nicht unter Artikel 87
Absatz 1 EG fallende allgemeine Maßnahmen angesehen hätte, wenn sie sie zum Zeitpunkt ihres
Erlasses hätte prüfen müssen. Die Mitteilung der Kommission vom 12. Dezember 1998, die sich
weitgehend auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts stützt, enthält Klarstellungen
zur Anwendung der Artikel 87 EG und 88 EG auf Steuermaßnahmen. Die Kommission gibt darin jedoch
keine Änderung ihrer Entscheidungspraxis bei der Beurteilung von Steuermaßnahmen im Hinblick auf
die Artikel 87 EG und 88 EG bekannt.
84.
Selbst wenn die Kläger eine Änderung der Entscheidungspraxis der Kommission nachgewiesen
hätten, wäre dem auf das Bestehen der streitigen Steuermaßnahmen gestützten Vorbringen nicht zu
folgen. Die Kläger legen nämlich nicht dar, dass die Änderung der von der Kommission angewandten
Selektivitätskriterien eine Folge der „Entwicklung des Gemeinsamen Marktes“ im Sinne des Artikels 1
Buchstabe b Ziffer v BVV sei. Die Eigenschaft einer staatlichen Maßnahme als bestehende oder als
neue Beihilfe kann aber nicht von der subjektiven Einschätzung der Kommission abhängen und ist
unabhängig von einer etwaigen früheren Verwaltungspraxis der Kommission zu bestimmen (Urteil
Government of Gibraltar/Kommission, zitiert oben in Randnr. 34, Randnr. 121).
85.
Folglich ist auch der zweite Klagegrund zurückzuweisen.
86.
Die Kläger machen geltend, die Kommission habe ihr Ermessen missbraucht, da sie die
Handlungsbefugnisse, die ihr in den Artikeln 87 EG und 88 EG verliehen seien, in Wirklichkeit zur
Verfolgung von Steuerharmonisierungszwecken benutzt habe.
87.
Die angefochtene Entscheidung stehe mit einer pauschalen Vorgehensweise der Kommission im
Zusammenhang, mit der das baskische Steuersystem insgesamt in Frage gestellt werden solle. Die
Kommission versuche, eine bestimmte steuerliche Harmonisierung unter Einsatz der Politik der
staatlichen Beihilfen zu verwirklichen, anstatt den angemessenen, vom EG-Vertrag dafür
vorgesehenen Weg über das Verfahren nach den Artikeln 96 EG und 97 EG zu beschreiten.
88.
Eine Entscheidung ist nur dann ermessensmissbräuchlich, wenn aufgrund objektiver, schlüssiger
und übereinstimmender Indizien anzunehmen ist, dass sie ausschließlich oder zumindest vorwiegend
zu anderen als den angegebenen Zwecken getroffen wurde (Urteile des Gerichts vom 23. Oktober
1990 in der Rechtssache T-46/89, Pitrone/Kommission, Slg. 1990, II-577, Randnr. 71, und vom 6. März
2002 in den Rechtssachen T-92/00 und T-103/00, Diputación Foral de Álava u. a./Kommission, zitiert
oben in Randnr. 53, Randnr. 84).
89.
Die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens soll es der Kommission ermöglichen, alle
Stellungnahmen einzuholen, die erforderlich sind, um eine endgültige Entscheidung über die
Einstufung der geprüften Maßnahme und ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt fällen zu
können (siehe in diesem Sinne Urteile Portugal/Kommission, zitiert oben in Randnr. 43, Randnr. 33,
und British Airways u. a. und British Midland Airways/Kommission, zitiert oben in Randnr. 43, Randnr.
59).
90.
Die Kläger bringen keinen objektiven Anhaltspunkt dafür vor, dass das von der Kommission mit dem
Erlass der angefochtenen Entscheidung verfolgte wahre Ziel ein anderes als das gewesen wäre,
solche Stellungnahmen einzuholen. Das ganze Vorbringen der Kläger baut auf subjektiven
Spekulationen über etwaige dem Erlass der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende Motive
auf.
91.
Der auf einen Ermessensmissbrauch gestützte Klagegrund ist daher ebenfalls zurückzuweisen.
92.
Die Kläger machen geltend, das Steuerrecht der Historischen Gebiete (Norma Foral Nr. 18/1993 von
Álava, Norma Foral Nr. 5/1993 von Vizcaya, Norma Foral Nr. 11/1993 von Guipúzcoa) und das
spanische Recht (Gesetz Nr. 22/1993 vom 29. Dezember 1993 über Steuermaßnahmen, die Reform
der Rechtsstellung des öffentlichen Dienstes und den Schutz vor Arbeitslosigkeit) hätten bereits 1993
Steuermaßnahmen enthalten, die der von der angefochtenen Entscheidung betroffenen Minderung
der Steuerbemessungsgrundlage entsprochen hätten. Da die Kommission weder die spanische
Regelung noch die Normas Forales von 1993 in Frage gestellt habe, hätten die Kläger
berechtigterweise darauf vertrauen dürfen, dass der von der angefochtenen Entscheidung betroffene
Steuervorteil kein selektives Element enthalte, das zur Anwendung von Artikel 87 Absatz 1 EG führen
könnte.
93.
Nach ständiger Rechtsprechung kann jeder, bei dem die Gemeinschaftsverwaltung begründete
Erwartungen geweckt hat, Vertrauensschutz für sich beanspruchen. Dagegen kann niemand einen
Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes geltend machen, wenn die Verwaltung ihm
keine bestimmten Zusicherungen gemacht hat (siehe u. a. Urteil des Gerichts vom 14. September
1995 in der Rechtssache T-571/93, Lefebvre u. a./Kommission, Slg. 1995, II-2379, Randnr. 72).
94.
Die Kläger stützen sich bei ihrem Vorbringen aber nur auf eine angebliche Untätigkeit der
Kommission im Hinblick auf bestimmte, 1993 erlassene Steuermaßnahmen, von denen sie nicht einmal
behaupten, dass sie bei der Kommission angemeldet worden seien.
95.
Die etwaige Untätigkeit der Kommission im Hinblick auf Steuermaßnahmen, die der durch die
streitigen Steuermaßnahmen eingeführten Minderung der Steuerbemessungsgrundlage entsprechen,
kann aber nicht einer konkreten Zusicherung durch die Kommission gleichgestellt werden, dass der
von der angefochtenen Entscheidung betroffene Steuervorteil keine staatliche Beihilfe sei. Zudem
konnte die Untätigkeit der Kommission gegenüber den den streitigen Steuermaßnahmen
entsprechenden Steuermaßnahmen und auch gegenüber den streitigen Steuermaßnahmen selbst
bei den Klägern keine begründeten Erwartungen dahin entstehen lassen, dass die Kommission nicht
das förmliche Prüfverfahren über die streitigen Steuermaßnahmen einleiten werde.
96.
Auch der auf einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes gestützte Klagegrund ist
daher zurückzuweisen.
97.
Die Kläger machen geltend, die angefochtene Entscheidung sei nicht hinreichend begründet.
Erstens habe die Kommission darin nicht geprüft, inwieweit die Minderung der
Steuerbemessungsgrundlage als durch das Wesen oder den Zweck des baskischen Steuersystems
gerechtfertigt angesehen werden könnte. Zweitens habe die Kommission die potenziellen
Auswirkungen der streitigen Steuermaßnahmen auf den Wettbewerb und den Handel zwischen den
Mitgliedstaaten nicht konkret untersucht. Drittens sei die Bewertung der Vereinbarkeit der Maßnahme
mit dem Gemeinsamen Markt nicht hinreichend begründet.
98.
Wie bekannt, muss die nach Artikel 253 EG vorgeschriebene Begründung der Natur des
betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den
Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die
Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und der Gemeinschaftsrichter seine
Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich
einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts
den Erfordernissen des Artikels 253 EG genügt, nicht nur anhand ihres Wortlauts zu beurteilen ist,
sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden
Gebiet (Urteil Kommission/Sytraval und Brink's France, zitiert oben in Randnr. 41, Randnr. 63).
99.
Beschließt die Kommission, das förmliche Prüfverfahren einzuleiten, so kann die Entscheidung über
die Einleitung nach Artikel 6 BVV auf eine Zusammenfassung der wesentlichen Sach- und
Rechtsfragen, eine „vorläufige Würdigung“ des Beihilfecharakters der fraglichen staatlichen
Maßnahme und Ausführungen über die Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem
Gemeinsamen Markt beschränkt werden; danach bemisst sich der Umfang der Pflicht zur Begründung
einer Entscheidung über die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens.
100.
Somit muss die Einleitungsentscheidung es den Betroffenen erlauben, sich in wirksamer Weise am
förmlichen Prüfverfahren zu beteiligen, in dem sie ihre Argumente geltend machen können. Hierfür
genügt es, dass die Beteiligten erfahren, welche Überlegungen die Kommission zu der vorläufigen
Ansicht veranlasst haben, dass die in Rede stehende Maßnahme eine neue, mit dem Gemeinsamen
Markt unvereinbare Beihilfe darstellen könnte (Urteil Government of Gibraltar/Kommission, zitiert oben
in Randnr. 34, Randnr. 138).
101.
In der angefochtenen Entscheidung führt die Kommission klar aus, aus welchen Gründen sie
vorläufig zu dem Schluss kommt, dass die Minderung der Steuerbemessungsgrundlage eine staatliche
Beihilfe sei (ABl. 2000, C 55, S. 3, Nr. 4.1, und S. 5, Nr. 1). Sodann legt sie die Gründe dar, aus denen
sie der Ansicht ist, dass es Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit dieser Steuervergünstigung mit
dem Gemeinsamen Markt gebe (ABl. 2000, C 55, S. 3, Nr. 4.3, und S. 6, Nr. 3).
102.
Die Begründung der angefochtenen Entscheidung hat es den Klägern somit ermöglicht, von den
Gründen Kenntnis zu nehmen, die die Kommission zu dieser Entscheidung veranlasst haben, und sie
ermöglicht es dem Gemeinschaftsrichter, die Rechtmäßigkeitskontrolle durchzuführen.
103.
Im Übrigen zeigen die von den Klägern nach Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens abgegebenen
Stellungnahmen, dass sie sich über die Gedankengänge der Kommission in der angefochtenen
Entscheidung im Klaren waren.
104.
Daher ist festzustellen, dass die angefochtene Entscheidung hinreichend begründet ist.
105.
Auch der letzte Klagegrund ist daher zurückzuweisen.
106.
Nach alledem werden die Klagen abgewiesen.
Kosten
107.
Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die Kläger unterlegen sind, sind ihnen entsprechend dem Antrag der
Kommission außer ihren eigenen Kosten auch die der Kommission aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Dritte erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Kommission.
Jaeger
García-Valdecasas
Lenaerts
Lindh Azizi
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 23. Oktober 2002.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
K. Lenaerts
Verfahrenssprache: Spanisch.