Urteil des EuG vom 27.02.2003

EuG: kommission, verordnung, recht auf akteneinsicht, spanien, erlass, gatt, stempel, gericht erster instanz, ausstellung, unverzüglich

URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)
27. Februar 2003
„Zölle - Einfuhr von Rindfleisch aus Südamerika - Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 -
Antrag auf Erlass von Einfuhrabgaben - Verfahrensrechte - Besondere Umstände“
In der Rechtssache T-329/00
Bonn Fleisch Ex- und Import GmbH
Rechtsanwalt D. Ehle, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
Beistand von Rechtsanwalt M. Núñez-Müller, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 25. Juli 2000 zur Feststellung, dass der Erlass
der Einfuhrabgaben in einem bestimmten Fall nicht gerechtfertigt ist (REM 49/99),
erlässt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten M. Jaeger sowie der Richter K. Lenaerts und J. Azizi,
Kanzler: D. Christensen, Verwaltungsrätin
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. September 2002,
folgendes
Urteil
Rechtlicher und tatsächlicher Rahmen
1.
Der Rat eröffnete gemäß Artikel 1 Absatz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 3392/92 vom 23. November
1992 zur Eröffnung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für gefrorenes Rindfleisch des
KN-Codes 0202 sowie für Waren des KN-Codes 0206 29 91 (1993) (ABl. L 346, S. 3) für das Jahr 1993
ein Gemeinschaftszollkontingent für gefrorenes Rindfleisch (auch „GATT-Kontingent“ genannt) und
setzte den auf dieses Kontingent anwendbaren Einfuhrzoll auf 20 % fest.
2.
Am 22. Dezember 1992 erließ die Kommission die Verordnung (EWG) Nr. 3771/92 mit
Durchführungsbestimmungen zu der Einfuhrregelung gemäß Verordnung Nr. 3392/92 (ABl. L 383, S.
36). Um am Kontingent teilhaben zu können, mußten die Marktbeteiligten bei den zuständigen
Behörden eines Mitgliedstaats einen Antrag auf Beteiligung stellen (Artikel 3). Nach Mitteilung dieser
Anträge an die Kommission entschied diese so rasch wie möglich, inwieweit den Anträgen
stattgegeben werden konnte (Artikel 5 Absatz 1). Die Einfuhr der Mengen durch die Marktbeteiligten,
die entsprechende Einfuhrrechte erhalten hatten, war an die Vorlage einer Einfuhrlizenz gebunden
(Artikel 6 Absatz 1). Diese Lizenzen wurden auf Antrag auf die Namen der Marktbeteiligten ausgestellt,
die Einfuhrrechte erhalten hatten (Artikel 6 Absatz 2). Der Lizenzantrag konnte nur in dem
Mitgliedstaat gestellt werden, in dem der Antrag auf Beteiligung gestellt worden war (Artikel 6 Absatz
3).
3.
Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3771/92 verweist auf die Verordnung (EWG) Nr. 3719/88 der
Kommission vom 16. November 1988 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Einfuhr- und
Ausfuhrlizenzen sowie Vorausfestsetzungsbescheinigungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABl. L
331, S. 1). Nach dieser Verordnung in ihrer maßgeblichen Fassung wurden alle Lizenzen in mindestens
zwei Exemplaren erteilt, von denen das erste dem Antragsteller ausgehändigt wurde und das zweite
bei der erteilenden Stelle verblieb (Artikel 19 Absatz 1). Auf Antrag des Lizenzinhabers konnten die
zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten auf Vorlage des Exemplars Nr. 1 der Lizenz eine oder mehrere
Teillizenzen erteilen, wobei auch diese Teillizenzen in zwei Exemplaren ausgestellt wurden, nämlich das
eine für den Antragsteller und das andere für die erteilende Stelle (Artikel 20 Absatz 1). Die
Teillizenzen hatten für die Menge, über die sie erteilt wurden, dieselbe rechtliche Wirkung wie die
entsprechende Lizenz (Artikel 10).
4.
Entgegen der früheren Rechtslage machte die Verordnung Nr. 3719/88 die Einfuhrlizenzen teilbar
und die dadurch verliehenen Rechte übertragbar. Die Übertragung konnte während der
Geltungsdauer der fraglichen Lizenz vorgenommen werden und geschah durch Eintragung des
Namens und der Anschrift des Übernehmers in der Lizenz oder gegebenenfalls in der Teillizenz. Sie
wurde mit dem Dienststempel der erteilenden Stelle bestätigt und wurde vom Zeitpunkt der
Eintragung an wirksam, wobei der Übernehmer sein Recht weder weiter- noch auf den Lizenzinhaber
zurückübertragen konnte (Artikel 9).
5.
Damit wurden die Lizenzen und Teillizenzen sowie die darin verbrieften Einfuhrrechte zu einem unter
den Marktbeteiligten handelbaren Gut; es entstand ein entsprechender Markt. Einige Vorschriften der
Verordnung Nr. 3719/88 sollten den Gefahren einer Umgehung des Einfuhrsystems für die
Agrarerzeugnisse entgegenwirken.
6.
Artikel 28 lautete wie folgt:
„(1) Soweit dies für die ordnungsgemäße Anwendung dieser Verordnung erforderlich ist, erteilen die
zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten einander Auskünfte über Lizenzen und Teillizenzen sowie in
ihrem Zusammenhang festgestellte Unregelmäßigkeiten und Verstöße.
(2) Die Mitgliedstaaten unterrichten die Kommission unverzüglich über festgestellte, diese
Verordnung betreffende Unregelmäßigkeiten und Verstöße.
(3) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission unter Angabe der Anschriften die Stellen mit, die
Lizenzen und Teillizenzen ausstellen ...
(4) Ferner übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission Abdrucke der amtlichen Stempel und
gegebenenfalls der Trockenstempel der beteiligten Stellen. Die Kommission unterrichtet umgehend
die anderen Mitgliedstaaten.“
7.
Um ganz allgemein die Beachtung der gesamten Zoll- und Agrarregelung sicherzustellen, erließ der
Rat am 19. Mai 1981 die Verordnung (EWG) Nr. 1468/81 betreffend die gegenseitige Unterstützung
der Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der
Kommission, um die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und der Agrarregelung zu gewährleisten
(ABl. L 144, S.1), die durch die Verordnung EWG Nr. 945/87 des Rates vom 30. März 1987 (ABl. L 90, S.
3) geändert wurde.
8.
Artikel 14a Absatz 1 der Verordnung Nr. 1468/81 bestimmt:
„Wenn von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats festgestellte Handlungen, die den Zoll-
oder Agrarregelungen zuwiderlaufen oder zuwiderzulaufen scheinen, von besonderem Interesse auf
Gemeinschaftsebene sind, insbesondere
- wenn sie sich auf andere Mitgliedstaaten erstrecken oder erstrecken könnten oder
- wenn die genannten Behörden der Ansicht sind, dass ähnliche Handlungen auch in anderen
Mitgliedstaaten erfolgt sein könnten,
erteilen diese Behörden der Kommission von sich aus oder auf begründeten Antrag der Kommission
so rasch wie möglich alle zweckdienlichen Auskünfte, gegebenenfalls durch Übersendung von
Schriftstücken oder von Kopien oder Auszügen von Schriftstücken, die zur Kenntnis der Tatbestände
im Hinblick auf die Koordinierung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten durch die Kommission
erforderlich sind.
Die Kommission teilt diese Auskünfte den zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten mit.“
9.
Die Klägerin, die sich mit dem Import von Rindfleisch befasst, erwarb im Oktober 1993 von der
spanischen GESTA SL drei Einfuhrteillizenzen, die auf den 18. und 19. Oktober 1993 datiert waren und
angeblich von den zuständigen spanischen Behörden erteilt wurden (im Folgenden: streitige
Teillizenzen). Diese Teillizenzen hatten die Nummern 36 20511395, 36 20511526 und 36 20511571.
Die italienische Balestrero Srl mit Sitz in Genua fungierte bei diesem Erwerb als Vermittlerin. Die
spanischen Firmen Carnicas Sierra Ascoy SA, Jaime Salva Xumetra und Productos Valent SA wurden als
Inhaber der fraglichen Einfuhrlizenzen genannt.
10.
Die streitigen Teillizenzen betrafen die Einfuhr von Rindfleisch im Rahmen des durch die Verordnung
Nr. 3392/92 eröffneten GATT-Kontingents.
11.
Im Dezember 1993 beantragte die Klägerin die Überführung von vier Partien südamerikanischen
Rindfleischs in den zollrechtlich freien Verkehr und legte zu diesem Zweck die streitigen Teillizenzen
vor. Auf die Vorlage der Teillizenzen hin genehmigte das Zollamt Siegburg (Deutschland) die
Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr und vereinnahmte gemäß Artikel 1 Absatz 3 der
Verordnung Nr. 3392/92 den ermäßigten Zollsatz von 20 %.
12.
Die zuständigen spanischen Behörden stellten auf Antrag einer niederländischen Firma auf
Überprüfung der Echtheit von Lizenzen für die Einfuhr von Rindfleisch im Rahmen des GATT-Kontingents
fest, dass sie diese Lizenzen nicht erteilt hatten und dass es sich somit um Fälschungen handelte. Mit
Telefax vom 20. August 1993 informierten die zuständigen spanischen Behörden die Kommission
hierüber.
13.
Mit Rundschreiben vom 28. September 1993 unterrichtete die Kommission die zuständigen
Behörden aller Mitgliedstaaten und forderte sie auf, hinsichtlich der Einfuhr von Rindfleisch besonders
wachsam zu sein und der Kommission alle aufgedeckten oder vermuteten Unregelmäßigkeiten
mitzuteilen.
14.
Spanien informierte die Kommission erneut mit Schreiben vom 22. April 1994 über die Fälschung
zahlreicher Einfuhrlizenzen betreffend das GATT-Kontingent und fügte zum Vergleich die echten und
gefälschten Stempel und Unterschriften bei.
15.
Die Kommission übermittelte den Behörden der Mitgliedstaaten am 2. Mai 1994 (Mitteilung AM
40/94) Exemplare gefälschter Lizenzen und Abdrucke von gefälschten und echten Stempeln und
Unterschriften.
16.
Weiter übermittelte die Kommission am 14. Juni 1994 den zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten
die ihr von Spanien am 13. Mai 1993 zugesandte Liste der 1993 ordnungsgemäß ausgestellten
Lizenzen und Teillizenzen für die Einfuhr von gefrorenem Rindfleisch. In dieser Mitteilung vom 14. Juni
1994 bat die Kommission die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, die Ordnungsmäßigkeit der
Lizenzen und Teillizenzen betreffend das GATT-Kontingent zu überprüfen, die den Zollstellen 1993 bei
der Einfuhr von Rindfleisch vorgelegt worden waren.
17.
Das Zollkriminalamt (ZKA) Köln teilte der Kommission mit Schreiben vom 22. August 1994 mit, dass
es auf drei Lizenzen von 1993 gestoßen sei, die in der Liste der gültigen Lizenzen nicht aufgeführt
seien. Die spanischen Behörden, denen die Kommission Fotokopien der fraglichen Dokumente
gesandt hatte, teilten am 24. Oktober 1994 mit, dass diese falsch seien.
18.
Mit Schreiben vom 21. Dezember 1995 und 8. August 1996 bat das ZKA Köln die Kommission, sich
hinsichtlich der streitigen Teillizenzen an die zuständigen spanischen Behörden zu wenden, damit
diese die vorläufigen Ergebnisse der Untersuchung bestätigten, dass sie die Teillizenzen mit den
Nummern 36 20511395, 36 20511526 und 36 20511571 nicht ausgestellt hätten.
19.
Die zuständigen spanischen Behörden antworteten mit Schreiben vom 11. Februar 1997, dass sie
die streitigen Teillizenzen nicht ausgestellt hätten und dass diese somit falsch seien. Sie bestätigten
diese Ansicht in ihrer Antwort vom 7. Juli 1997 auf eine Frage des Hauptzollamts Köln-Deutz sowie in
ihrer Antwort vom 1. August 1997 auf eine Frage der Kommission und wiesen darauf hin, dass es
keine diesen Teillizenzen entsprechenden Lizenzen gebe.
20.
Die Staatsanwaltschaft Genua leitete am 11. September 1997 ein Verfahren gegen die Inhaber der
Firma Balestrero und einen argentinischen Vermittler namens Colle Garcia ein. Die Klägerin konnte in
diesem Verfahren als Nebenklägerin Erklärungen abgeben. Mit Urteil vom 4. Mai 1998 wurden die
Angeklagten Balestrero Colle Garcia u. a. wegen Fälschung der der Klägerin verkauften streitigen
Teillizenzen zu Haftstrafen verurteilt.
21.
Da die von der Klägerin auf der Grundlage der streitigen Teillizenzen nach Deutschland eingeführten
Erzeugnisse nicht mehr unter die zollrechtliche Vorzugsbehandlung fielen, verlangten die deutschen
Zollbehörden von der Klägerin am 29. März 1996 die Zahlung der bei der Einfuhr geschuldeten
Abgaben, nämlich 363 248,34 DM.
22.
Am 10. Juli 1996 beantragte die Klägerin beim Hauptzollamt Köln-Deutz den Erlass der
Einfuhrabgaben auf der Grundlage des Artikels 13 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 des
Rates vom 2. Juli 1979 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (ABl. L
175, S. 1). Diese Verordnung war zwar seit dem 1. Januar 1994 nicht mehr in Kraft; ihre materiell-
rechtlichen Vorschriften galten jedoch für vor ihrem Außerkrafttreten entstandene Sachverhalte fort
(in diesem Sinn Urteil des Gerichtshofes vom 7. September 1999 in der Rechtssache C-61/98, De
Haan, Slg. 1999, I-5003, Randnr. 13).
23.
Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 sah vor:
„Die Eingangsabgaben können ... bei Vorliegen besonderer Umstände ... erlassen werden, sofern der
Beteiligte nicht in betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat.“
24.
Nach Artikel 4 Nummer 2 Buchstabe c der Verordnung (EWG) Nr. 3799/86 der Kommission vom 12.
Dezember 1986 zur Durchführung der Artikel 4a, 6a, 11a und 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79
(ABl. L 352, S. 19) galt „die gutgläubige Vorlage von Papieren zur Erlangung einer
Zollpräferenzbehandlung für zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldete Waren, wenn sich diese
Papiere später als falsch, gefälscht oder für die Gewährung einer Zollpräferenzbehandlung ungültig
erweisen“, für sich allein nicht als besonderer Umstand im Sinne des Artikels 13 der Verordnung Nr.
1430/79.
25.
Für das Verfahren des Erlasses der Einfuhrabgaben galten im vorliegenden Fall die Verordnung
(EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften
(ABl. L 302, S. 2, im Folgenden: Zollkodex oder ZK) und ihre in der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der
Kommission vom 2. Juli 1993 (ABl. L 253, S. 1) vorgesehenen Durchführungsbestimmungen (im
Folgenden: Durchführungsbestimmungen oder DB-ZK) geregelt.
26.
Nach den Durchführungsbestimmungen legt der Mitgliedstaat, zu dem die zuständige Zollbehörde
gehört, den Fall der Kommission vor, wenn diese Behörde nicht in der Lage ist, nach den Artikeln 899
ff. DB-ZK zu entscheiden, die eine bestimmte Anzahl von Umständen festlegen, bei denen der Erlass
gewährt oder nicht gewährt werden kann, und „wenn die Begründung des Antrags auf einen
besonderen Fall schließen [lässt], der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine
betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt“ (Artikel 905
Absatz 1 DB-ZK). Die der Kommission übermittelte Vorlage muss alle für eine vollständige Prüfung des
Falles notwendigen Angaben sowie eine Erklärung enthalten, die von demjenigen unterzeichnet ist,
der den Erlass beantragt, und in der dieser bestätigt, „dass er die Vorlage einsehen konnte, und
angibt, dass er nichts hinzuzufügen hat bzw. welche zusätzlichen Angaben darin aufgenommen werden
sollten“ (Artikel 905 Absatz 2 DB-ZK).
27.
Artikel 906a DB-ZK Durchführungsbestimmungen bestimmt:
„[D]ie Kommission [teilt], wenn sie eine Entscheidung zu Lasten des ... den Erlass beantragenden
Beteiligten treffen will, diesem in einem Schreiben alle der Entscheidung zugrunde liegenden
Argumente mit und übersendet ihm alle Unterlagen, auf die sie die Entscheidung stützt. Der ... den
Erlass beantragende Beteiligte nimmt innerhalb eines Monats, gerechnet vom Datum dieses
Schreibens, schriftlich Stellung. Hat er seine Stellungnahme nicht innerhalb dieser Frist abgegeben,
so wird davon ausgegangen, dass er auf das Recht zur Stellungnahme verzichtet.“
28.
Nach Anhörung einer Sachverständigengruppe, die aus Vertretern der Mitgliedstaaten besteht und
im Rahmen des Ausschusses zur Prüfung des Falles zusammentritt, „entscheidet die Kommission, ob
die besonderen Umstände ... den Erlass rechtfertigen oder nicht“ (Artikel 907 Absatz 1 DB-ZK).
29.
Im vorliegenden Fall teilte das Hauptzollamt Köln-Deutz der Klägerin mit Schreiben vom 15. Juni 1999
die Absicht des deutschen Finanzministeriums mit, nach Artikel 905 Absatz 1 DB-ZK die Kommission zu
befassen. Die Klägerin wurde zur Stellungnahme aufgefordert, die sie mit Schriftsatz vom 30. Juni 1999
abgab.
30.
Mit Schreiben vom 18. Oktober 1999 befasste Deutschland die Kommission mit dem Antrag der
Klägerin auf Erlass der Einfuhrabgaben.
31.
Mit Schreiben vom 7. Dezember 1999 beantragte die Klägerin Einsicht in die Akte der Kommission.
32.
Mit Schreiben vom 12. Mai 2000 teilte die Kommission der Klägerin ihre vorläufige Beurteilung mit,
dass die Voraussetzungen für einen Erlass der Einfuhrabgaben nicht vorlägen. Sie räumte ihr nach
Artikel 906a DB-ZK die Möglichkeit ein, die Akte an Ort und Stelle einzusehen und innerhalb einer Frist
von einem Monat Stellung zu nehmen.
33.
Am 26. Mai 2000 hatte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Gelegenheit, die Akte in den
Räumen der Kommission einzusehen. Das Verzeichnis der Aktenstücke, zu denen die Klägerin Zugang
hatte, ist einer Erklärung ihres Prozessbevollmächtigten vom 26. Mai 2000 beigefügt.
34.
Mit Schriftsatz vom 8. Juni 2000 nahm die Klägerin zum Schreiben der Kommission vom 12. Mai 2000
Stellung.
35.
Die Sachverständigengruppe, die aus Vertretern der Mitgliedstaaten besteht, ist nach Artikel 907
Absatz 1 DB-ZK am 3. Juli 2000 im Rahmen des Ausschusses zur Prüfung des Antrags der Klägerin auf
Erlass der Abgaben zusammengetreten.
36.
Am 25. Juli 2000 übermittelte die Kommission Deutschland ihre Entscheidung zur Feststellung, dass
der Erlass der Einfuhrabgaben in einem bestimmten Fall nicht gerechtfertigt ist (REM 49/99), mit der
sie den Erlass der Einfuhrabgaben auf Rindfleisch aus Südamerika ablehnte (im Folgenden:
angefochtene Entscheidung). Darin vertritt die Kommission die Ansicht, „dass die Umstände des
vorliegenden Falls weder für sich genommen noch gemeinsam zu den Fällen mit besonderen
Umständen im Sinne des Artikels 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 zu rechnen sind“ (Randnr. 36
der angefochtenen Entscheidung).
Verfahren und Anträge der Parteien
37.
Die Klägerin hat am 25. Oktober 2000 die vorliegende Klage erhoben.
38.
Die Klägerin beantragt,
- die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;
- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
39.
Die Kommission beantragt,
- die Klage als unbegründet abzuweisen;
- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
40.
Die Kommission hat nicht innerhalb der gesetzten Frist eine Gegenerwiderung eingereicht.
41.
Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte Kammer) die mündliche Verhandlung
eröffnet. Im Rahmen prozessleitender Maßnahmen hat es den Parteien schriftliche Fragen gestellt und
sie aufgefordert, bestimmte Dokumente vorzulegen.
42.
Die Parteien haben in der Sitzung vom 10. September 2002 mündlich verhandelt und mündliche
Fragen des Gerichts beantwortet; in der Sitzung hat das Gericht die Kommission aufgefordert, bis zum
7. Oktober 2002 verschiedene Unterlagen einzureichen. Nach Einreichung der erbetenen Unterlagen
hat der Präsident der Dritten Kammer die mündliche Verhandlung am 25. Oktober 2002 geschlossen.
Zur Begründetheit
43.
Ihre Klage stützt die Klägerin auf zwei Gründe: Verletzung der Verfahrensrechte und Verstoß gegen
Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79.
44.
Die Klägerin macht geltend, dass ihre Verfahrensrechte im Verwaltungsverfahren verletzt worden
seien. Erstens sei die Akte, zu der sie in den Räumen der Kommission am 26. Mai 2000 Zugang
gehabt habe, unvollständig gewesen. Sie nennt mehrere relevante Unterlagen, die sich nicht in der
von ihr eingesehenen Akte befunden hätten. Sie weist darauf hin, dass sie in ihrem Schreiben vom 7.
Dezember 1999 „Einsicht in alle relevanten Akten aller Dienststellen der Kommission“ beantragt habe.
45.
Das Gericht erinnert daran, dass nach ständiger Rechtsprechung insbesondere angesichts des
Beurteilungsspielraums, über den die Kommission bei der Anwendung der auf Billigkeitserwägungen
beruhenden Generalklausel des Artikels 13 der Verordnung Nr. 1430/79 verfügt, die Wahrung des
Rechts auf Anhörung in einem Verfahren des Erlasses von Einfuhrabgaben von besonderer
Bedeutung ist (siehe u. a. Urteil des Gerichts vom 10. Mai 2001 in den Rechtssachen T-186/97, T-
187/97, T-190/97 bis T-192/97, T-210/97, T-211/97, T-216/97 bis T-218/97, T-279/97, T-280/97, T-
293/97 und T-147/99, Kaufring u. a./Kommission, Slg. 2001, II-1337, Randnr. 152, im Folgenden: Urteil
Türkische Fernsehapparate).
46.
In einem Verwaltungsverfahren betreffend den Erlass von Einfuhrabgaben verlangt jedoch die
Wahrung der Verfahrensrechte lediglich, dass der Betroffene zu den Gesichtspunkten - einschließlich
der Unterlagen - sachdienlich Stellung nehmen kann, auf die die Kommission ihre beschwerende
Entscheidung stützt. Die Kommission muss also nicht von Amts wegen Einsicht in sämtliche Unterlagen
gewähren, die möglicherweise einen Zusammenhang mit dem konkreten Fall aufweisen, mit dem sie
im Rahmen eines Erlassantrags befasst ist. Ist der Betroffene der Auffassung, dass solche Unterlagen
nützlich sind, um zu belegen, dass bei ihm besondere Umstände und/oder keine offensichtliche
Fahrlässigkeit oder betrügerische Absicht vorliegen, obliegt es ihm, entsprechend den von den
Gemeinschaftsorganen auf der Grundlage des Artikels 255 EG erlassenen Vorschriften Einsicht in
diese Unterlagen zu beantragen (Urteil des Gerichts vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache T-205/99,
Hyper/Kommission, Slg. 2002, II-9141, Randnr. 63).
47.
Der Grundsatz der Wahrung der Verfahrensrechte erlegt der Kommission eine Reihe von
Verfahrenspflichten auf, verlangt aber auch gewisse Bemühungen von Seiten des Betroffenen. Wenn
dieser also der Auffassung ist, dass seine Verfahrensrechte im Rahmen des Verwaltungsverfahrens
nicht oder nicht ausreichend gewahrt werden, obliegt es ihm, alles zu unternehmen, um die Wahrung
seiner Verfahrensrechte zu sichern, oder zumindest der zuständigen Verwaltung rechtzeitig hiervon
Mitteilung zu machen (Urteil Hyper/Kommission, zitiert in der vorstehenden Randnr., Randnr. 59).
48.
Im vorliegenden Fall hat die Kommission der Klägerin mit Schreiben vom 12. Mai 2000 ihre vorläufige
Beurteilung mitgeteilt, dass die Voraussetzungen für einen Erlass der Einfuhrabgaben nicht vorlägen.
Entsprechend dem Antrag der Klägerin vom 7. Dezember 1999 räumte sie ihr die Möglichkeit ein, die
Akte an Ort und Stelle einzusehen und innerhalb einer Frist von einem Monat Stellung zu nehmen. So
hatte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 26. Mai 2000 Gelegenheit, die Akte in den Räumen
der Kommission einzusehen. Das Verzeichnis der Aktenstücke, zu denen die Klägerin Zugang hatte, ist
einer Erklärung ihres Prozessbevollmächtigten vom 26. Mai 2000 beigefügt.
49.
Es ist festzustellen, dass die Klägerin nicht geltend macht, sie habe während des
Verwaltungsverfahrens keinen Zugang zu bestimmten Unterlagen gehabt, auf die die Kommission die
angefochtenen Entscheidung gestützt habe.
50.
Ferner ist festzustellen, dass die Klägerin in ihrer Stellungnahme vom 8. Juni 2000 zur vorläufigen
Beurteilung des Erlassantrags durch die Kommission vom 12. Mai 2000 nicht geltend gemacht hat,
dass ihr bei der Einsichtnahme in die Akte Unterlagen vorenthalten worden seien. Nach
Einsichtnahme in die Akte in den Räumen der Kommission am 26. Mai 2000 hat die Klägerin bei der
Kommission auch nicht Einsicht in weitere Unterlagen beantragt.
51.
Aus den in den Randnummern 45 bis 47 dargelegten Gründen ist das auf die angebliche
Unvollständigkeit der Akte gestützte Vorbringen zurückzuweisen.
52.
Die Klägerin bestreitet zweitens die Vertraulichkeit bestimmter Unterlagen. Die Kommission gebe
nicht eindeutig an, nach welchen Gesichtspunkten sie vertrauliche von nichtvertraulichen Unterlagen
unterscheide. Bei mehreren Schriftstücken erscheine die Vertraulichkeit nicht gerechtfertigt. Nur
Unterlagen, deren Kenntnis oder Vervielfältigung dem gemeinschaftlichen Interesse Schaden zufügen
könne, könnten als vertraulich angesehen werden.
53.
Im Übrigen müssten die wirklich vertraulichen Unterlagen, wenn sie nicht als solche zugänglich
gemacht würden, wenigstens von der Kommission in nichtvertraulicher Weise zusammengefasst
werden, so dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin von ihrem wesentlichen Inhalt Kenntnis
nehmen könne.
54.
In ihrer Erwiderung führt die Klägerin ferner aus, dass das Recht auf Akteneinsicht auch das Recht
umfasse, von den eingesehenen Unterlagen Kopien zu fertigen. Das sei praktisch erforderlich, um
diese Unterlagen richtig auswerten zu können (z. B. Erfordernis einer Übersetzung oder der Beiziehung
von Sachverständigen), und ergebe sich aus verfahrensrechtlichen Vorschriften des deutschen
Rechts (Verfahren vor den Finanzgerichten) und des Gemeinschaftsrechts (Beschluss 94/90/EGKS, EG,
Euratom der Kommission vom 8. Februar 1994 über den Zugang der Öffentlichkeit zu den der
Kommission vorliegenden Dokumenten [ABl. L 46, S. 58], der u. a. die Frage der Kopierkosten regele).
55.
Nach Ansicht der Kommission dient das Vorbringen der Klägerin zur Vertraulichkeit bestimmter
Schriftstücke lediglich dazu, eine angebliche Verletzung eines Rechts auf Anfertigung von Kopien zu
begründen. Sie bestätigt, dass der Klägerin verwehrt worden sei, bestimmte Aktenstücke zu
fotokopieren; sie hätte deren Inhalt allerdings abschreiben können. Das Recht auf Akteneinsicht
umfasse jedoch keinen Anspruch auf Anfertigung einer Kopie von Aktenstücken.
56.
Das Gericht stellt fest, dass zum einen aus dem Verzeichnis der Unterlagen, zu denen die Klägerin
im Verwaltungsverfahren Zugang hatte, und zum anderen aus den Ausführungen der Kommission in
ihrer Klagebeantwortung sowie der Klägerin in ihrer Erwiderung hervorgeht, dass die Klägerin am 26.
Mai 2000 Einsicht in von der Kommission als vertraulich eingestufte Unterlagen hatte und lediglich
daran gehindert wurde, Fotokopien davon anzufertigen.
57.
Mit einer Ausnahme handelt es sich bei sämtlichen fraglichen Unterlagen, die dem Gericht auf eine
prozessleitende Maßnahme hin übermittelt worden sind, um Schriftwechsel zwischen den
Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und der Kommission auf der Grundlage der Verordnung Nr.
1468/81 (siehe oben, Randnr. 8). Dieser Schriftwechsel hat nach Artikel 19 der Verordnung Nr.
1468/81 „vertraulichen Charakter“ und fällt „unter das Berufsgeheimnis“. Die Ausnahme ist ein
Schreiben der Staatsanwaltschaft (arrondissementsparket) Den Haag an die Kommission vom 10. Mai
1994 über ein laufendes Strafverfahren. Auch sein Inhalt ist vertraulich (siehe Artikel 4 Absatz 2 der
Verordnung [EG] Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über
den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der
Kommission [ABl. L 145, S. 43]).
58.
Daraus folgt, dass die Unterlagen, die die Klägerin im Verwaltungsverfahren nicht fotokopieren
durfte, von der Kommission zu Recht als vertraulich eingestuft worden sind.
59.
Entgegen dem Vorbringen der Klägerin umfasst das Recht auf Akteneinsicht im Rahmen eines
Verfahrens des Erlasses von Einfuhrabgaben nicht das Recht des betroffenen Unternehmens, von
vertraulichen Unterlagen Fotokopien anzufertigen. Grundsätzlich hat ein Betroffener nicht einmal das
Recht, vertrauliche Unterlagen vollständig einzusehen. Im Allgemeinen ist sein Recht auf Akteneinsicht
bei vertraulichen Unterlagen auf die Einsicht in eine nicht vertrauliche Version oder
Zusammenfassung der betreffenden Unterlagen beschränkt (in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom
15. März 2000 in den Rechtssachen T-25/95, T-26/95, T-30/95 bis T-32/95, T-34/95 bis T-39/95, T-42/95
bis T-46/95, T-48/95, T-50/95 bis T-65/95, T-68/95 bis T-71/95, T-87/95, T-88/95, T-103/95 und T-104/95,
Cimenteries CBR u. a./Kommission, Slg. 2000, II-491, Randnrn. 142 bis 144 und 147).
60.
Damit ist der erste Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.
Vorbemerkungen
61.
Nach ständiger Rechtsprechung ist Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 (siehe oben,
Randnr. 23) eine auf Billigkeitserwägungen beruhende Generalklausel (u. a. Urteil des Gerichtshofes
vom 15. Dezember 1983 in der Rechtssache 283/82, Schoellershammer/Kommission, Slg. 1983, 4219,
Randnr. 7; Urteil Türkische Fernsehapparate, zitiert in Randnr. 45, Randnr. 216).
62.
Nach dieser Bestimmung hat der Abgabenpflichtige, der das Vorliegen besonderer Umstände und
das Fehlen offensichtlicher Fahrlässigkeit oder einer betrügerischen Absicht nachweist, Anspruch auf
Erlass der Zölle (Urteile des Gerichts vom 19. Februar 1998 in der Rechtssache T-42/96, Eyckeler &
Malt/Kommission, Slg. 1998, II-401, Randnr. 134, und Urteil Türkische Fernsehapparate, zitiert in
Randnr. 45, Randnr. 217).
63.
Jedoch ist der Erlass von Einfuhrabgaben, der nur unter bestimmten Voraussetzungen und in
besonders vorgesehenen Fällen gewährt werden kann, eine Ausnahme von der sonstigen normalen
Regelung für Einfuhren; die entsprechenden Vorschriften sind folglich eng auszulegen (Urteil des
Gerichtshofes vom 11. November 1999 in der Rechtssache C-48/98, Söhl & Söhlke, Slg. 1999, I-7877,
Randnr. 52).
64.
Nach der Rechtsprechung ist das Vorliegen besonderer Umstände nachgewiesen, wenn sich der
Antragsteller im Einzelfall im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern, die die gleiche Tätigkeit
ausüben, in einer außergewöhnlichen Lage befindet (Urteile des Gerichtshofes vom 25. Februar 1999
in der Rechtssache C-86/97, Trans-Ex-Import, Slg. 1999, I-1041, Randnrn. 21 und 22, und De Haan,
zitiert in Randnr. 22, Randnrn. 52 und 53) und wenn er ohne diese Umstände den Nachteil, der in der
Nacherhebung der Zölle liegt, nicht erlitten hätte (Urteil des Gerichtshofes vom 26. März 1987 in der
Rechtssache 58/86, Coopérative agricole d'approvisionnement des Avirons, Slg. 1987, 1525, Randnr.
22; Urteil Türkische Fernsehapparate, zitiert in Randnr. 45, Randnr. 218). Artikel 13 Absatz 1 der
Verordnung Nr. 1430/79 findet somit Anwendung, wenn es angesichts des Verhältnisses zwischen
Wirtschaftsteilnehmer und Verwaltung unbillig wäre, den Wirtschaftsteilnehmer einen Schaden tragen
zu lassen, den er bei rechtem Gang der Dinge nicht erlitten hätte (Urteil Eyckeler & Malt/Kommission,
zitiert in Randnr. 62, Randnr. 132).
65.
Der zweite Klagegrund gliedert sich in zwei Teile, die sich auf die beiden Tatbestandsmerkmale des
Artikels 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 beziehen. Im Rahmen des ersten Teils trägt die
Klägerin vor, sie sei gutgläubig gewesen; ihr könne keine offensichtliche Fahrlässigkeit vorgeworfen
werden. Im zweiten Teil macht sie das Vorliegen eines besonderen Umstands im Sinne von Artikel 13
Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 geltend.
Erster Teil: Gutgläubigkeit der Klägerin und Fehlen offensichtlicher Fahrlässigkeit
66.
Die Klägerin legt eine Reihe von Umständen dar, die ihre Gutgläubigkeit belegen und gleichzeitig
ausschließen sollen, dass sie offensichtlich fahrlässig gehandelt habe. Sie weist jedoch darauf hin,
dass ihr in der angefochtenen Entscheidung keine offensichtliche Fahrlässigkeit vorgeworfen werde.
67.
Die Kommission macht geltend, die Klägerin hätte die Unregelmäßigkeit der streitigen Teillizenzen
erkennen müssen. Die Klägerin habe offensichtlich fahrlässig gehandelt, was die Anwendung von
Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 ausschließe.
68.
Das Gericht stellt fest, dass die Kommission in der angefochtenen Entscheidung den Antrag auf
Erlass der Einfuhrabgaben abgelehnt hat, weil „die Umstände des vorliegenden Falls weder für sich
genommen noch gemeinsam zu den Fällen mit besonderen Umständen im Sinne des Artikels 13 der
Verordnung ... Nr. 1430/79 zu rechnen sind“ (Randnr. 36 der angefochtenen Entscheidung). Die
Kommission hat sich, wie sie in der mündlichen Verhandlung auch eingeräumt hat, in der
angefochtenen Entscheidung zu der anderen Voraussetzung des Erlasses der Abgaben - dass der
Beteiligte nicht in betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat - nicht geäußert.
69.
Der erste Teil des in Rede stehenden Klagegrunds ist somit gegenstandslos und deshalb
zurückzuweisen.
Zweiter Teil: Vorliegen besonderer Umstände im Sinne des Artikels 13 Absatz 1 der Verordnung (EWG)
Nr. 1430/79
- Vorbemerkung
70.
Im Rahmen dieses Teils macht die Klägerin geltend, die Kommission habe einen Beurteilungsfehler
begangen, als sie in der angefochtenen Entscheidung die Ansicht vertreten habe, dass im
vorliegenden Fall keine besonderen Umstände im Sinne des Artikels 13 Absatz 1 der Verordnung Nr.
1430/79 vorlägen.
71.
Hierzu erinnert das Gericht daran, dass die Kommission bei der Beurteilung, ob nach Lage des
Falles besondere Umstände im Sinne von Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 vorliegen,
sämtliche relevanten Tatsachen berücksichtigen muss (Urteile Eyckeler & Malt/Kommission, zitiert in
Randnr. 62, Randnr. 133, Türkische Fernsehapparate, zitiert in Randnr. 45, Randnr. 222, und
Hyper/Kommission, zitiert in Randnr. 46, Randnr. 93). Auch wenn sie dabei über einen
Beurteilungsspielraum verfügt, muss sie bei dessen Ausübung das Interesse der Gemeinschaft an der
Beachtung der Zollbestimmungen und das Interesse des gutgläubigen Importeurs daran, keine
Nachteile zu erleiden, die über das normale Geschäftsrisiko hinausgehen, wirklich gegeneinander
abwägen. Daher darf sie sich bei der Prüfung, ob ein Erlassantrag begründet ist, nicht darauf
beschränken, das Verhalten der Importeure zu berücksichtigen. Sie muss auch die Auswirkungen
ihres eigenen Verhaltens (Urteile Eyckeler & Malt/Kommission, zitiert in Randnr. 62, Randnr. 133,
Türkische Fernsehapparate, zitiert in Randnr. 45, Randnr. 225, und Hyper/Kommission, zitiert in
Randnr. 46, Randnr. 95) sowie des Verhaltens der nationalen Zollbehörden (Urteil des Gerichts vom 7.
Juni 2001 in der Rechtssache T-330/99, Spedition Wilhelm Rotermund/Kommission, Slg. 2001, II-1619,
Randnr. 57) auf die entstandene Lage würdigen.
72.
Anhand dieser Grundsätze ist das Vorbringen der Klägerin zu prüfen, dass im gegebenen Fall
besondere Umstände im Sinne des Artikels 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 vorlägen. Dazu
trägt die Klägerin zunächst vor, dass nicht nachgewiesen sei, dass die streitigen Teillizenzen gefälscht
seien. Die Klägerin verweist außerdem auf die Auswirkungen des Verhaltens Spaniens und der
Kommission auf die entstandene Lage.
- Die streitigen Teillizenzen stellten keine Fälschungen dar
73.
Die Klägerin macht zunächst geltend, die Kommission habe in den Randnummern 16 bis 20 der
angefochtenen Entscheidung nicht den Nachweis erbracht, dass die streitigen Teillizenzen gefälscht
seien. Die Kommission stütze sich für ihre Behauptung, dass die streitigen Teillizenzen gefälscht seien,
ausschließlich auf die Feststellungen der zuständigen spanischen Behörden und auf das Urteil des
Tribunale Genua vom 4. Mai 1998. Weiter gehende Ermittlungen habe die Kommission nicht
durchgeführt.
74.
Nach Ansicht der Klägerin sind die streitigen Teillizenzen nicht gefälscht. Sie wiesen nämlich die
richtige Unterschrift und den damals gültigen Stempel auf. Es handele sich um falsche Teillizenzen, an
deren Ausstellung spanische Beamte mitgewirkt hätten. Die gesamte Korrespondenz zwischen der
Kommission und Spanien sei für Spanien ausschließlich von Frau M. geführt worden. Frau M., deren
Unterschrift die streitigen Teillizenzen trügen, sei keine neutrale Informationsquelle.
75.
In der mündlichen Verhandlung hat sich die Klägerin ferner auf die Niederschrift über die Anhörung
von Frau M. gestützt, die am 24. Oktober 2001 auf Ersuchen des Oberlandesgerichts Köln
stattgefunden hat. Bei dieser Anhörung habe Frau M. erklärt, dass die Unterschrift auf dem
spanischen Schreiben an die Kommission vom 22. April 1994 (siehe oben, Randnr. 14) die ihre sei,
während sie zuvor behauptet habe, es handele sich um eine nachgeahmte Unterschrift.
76.
Das Gericht erinnert daran, dass nach Artikel 905 Absatz 2 DB-ZK die „der Kommission [von der
Zollbehörde, bei der der Erlassantrag gestellt wurde,] übermittelte Vorlage ... alle für eine
vollständige Prüfung des Falles notwendigen Angaben enthalten“ muss. Folglich ist es grundsätzlich
Aufgabe der betreffenden nationalen Zollbehörde, eine vollständige Vorlage zusammenzustellen, die
es der Kommission ermöglicht, eine Entscheidung zu treffen. Jedoch kann die Kommission nach Artikel
905 Absatz 2 DB-ZK „zusätzliche Angaben anfordern, wenn sich herausstellt, dass die von dem
Mitgliedstaat mitgeteilten Angaben nicht ausreichen, um in voller Kenntnis der Sachlage über den Fall
zu entscheiden“.
77.
Im vorliegenden Fall konnte die Kommission in der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage
der ihr übermittelten Unterlagen, insbesondere der Erklärungen der zuständigen spanischen
Behörden und des Urteils des Tribunale Genua vom 4. Mai 1998 feststellen, dass es sich bei den
streitigen Teillizenzen um Fälschungen handele. Insoweit bedurfte es keiner weiteren Untersuchung
durch die Kommission.
78.
Spanien hat nämlich nicht nur festgestellt, dass die streitigen Teillizenzen falsch seien (falsos),
sondern sie im Schreiben vom 11. Februar 1997 an J. Poncet von der Einheit zur Koordinierung der
Betrugsbekämpfung der Kommission auch ausdrücklich als Fälschungen (falsificaciones) bezeichnet.
Sie haben in ihren Antwortschreiben vom 7. Juli 1997 auf eine Anfrage des Hauptzollamts Köln-Deutz
sowie vom 1. August 1997 auf eine Frage der Kommission bestätigt, dass die Teillizenzen falsch und
nicht von den zuständigen spanischen Behörden erteilt worden seien.
79.
Außerdem wird im Urteil des Tribunale Genua vom 4. Mai 1998 festgestellt, dass die Teillizenzen mit
den Nummern 36 20511395, 36 20511526 und 36 20511571 gefälscht seien.
80.
Schließlich haben die deutschen Behörden selbst in ihrem Schreiben vom 15. Juni 1999 (siehe
oben, Randnr. 29) die Ansicht vertreten, dass die streitigen Teillizenzen gefälscht worden seien.
81.
Hinsichtlich des Vorbringens, ein oder mehrere spanische Beamte hätten an der Ausstellung der
streitigen Teillizenzen mitgewirkt, hat das Gericht in seinem Urteil Spedition Wilhelm
Rotermund/Kommission (zitiert in Randnr. 71, Randnrn. 57 und 58) ausgeführt, dass die aktive
Beteiligung eines Beamten der betreffenden Zollbehörden an einem Zollvergehen einen besonderen
Umstand im Sinne des Artikels 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 darstellen kann, aufgrund
dessen ein Anspruch auf Erlass der Angaben besteht. Eine solche Beteiligung ist jedoch anders als in
jener Rechtssache im vorliegenden Fall nicht dargetan. Vielmehr beruht das gesamte Vorbringen der
Klägerin zur Mitwirkung der Frau M. oder anderer spanischer Beamter an der Erteilung der streitigen
Teillizenzen auf bloßen Vermutungen; ihm liegt kein objektiver Anhaltspunkt zugrunde. Jedenfalls
enthält die Niederschrift über die Anhörung von Frau M., der die Klägerin in der mündlichen
Verhandlung großes Gewicht beigemessen hat, nichts, was auf irgendeine Beteiligung spanischer
Beamter bei der Ausstellung der streitigen Teillizenzen hindeuten würde. Außerdem hat die Klägerin
auf Befragen in der mündlichen Verhandlung ihr Vorbringen zur Unterschrift auf dem Schreiben vom
22. April 1994 zurückgenommen. Mit diesem Schreiben hat nämlich Spanien der Kommission die „auf
den falschen Lizenzen nachgeahmte Unterschrift [der Frau M.]“ übermittelt. Die Unterschrift auf dem
Schreiben ist jedoch eine authentische Unterschrift der Frau M.
82.
Schließlich folgt daraus, dass die gefälschten Teillizenzen eine Nachahmung der Unterschrift der
Frau M. aufweisen, kein Grund zu der Annahme, dass diese spanische Beamtin keine neutrale
Informationsquelle ist.
83.
Der erste von der Klägerin geltend gemachte Umstand ist nicht hinreichend belegt und stellt somit
keinen besonderen Umstand im Sinne des Artikels 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 dar,
aufgrund dessen ein Anspruch auf Erlass der Abgaben bestünde.
- Auswirkungen des Verhaltens der Kommission und der nationalen Behörden auf die entstandene
Lage
84.
Die Klägerin weist darauf hin, dass die nationalen Behörden verpflichtet seien, der Kommission
Abdrucke der amtlichen Stempel der die Einfuhrlizenzen erteilenden Stellen sowie die Unterschriften
der zur Erteilung solcher Lizenzen befugten Personen zu übermitteln. Die Kommission müsse die
anderen Mitgliedstaaten darüber unterrichten.
85.
Zum einen hätten die zuständigen spanischen Behörden der Kommission und den anderen
nationalen Behörden nicht rechtzeitig den Stempel und die Unterschriften mitgeteilt, die 1993 für die
Einfuhrlizenzen verwendet worden seien. Zum anderen habe sich die Kommission nicht bemüht, für die
Einhaltung dieser Verpflichtungen zu sorgen.
86.
Nach Ansicht der Klägerin hätte die Kommission das Inverkehrbringen der streitigen Teillizenzen
verhindern können, wenn sie, nachdem sie von Spanien am 20. August 1993 über einige
Unregelmäßigkeiten informiert worden sei, unverzüglich eine Untersuchung durchgeführt hätte und
die anderen Mitgliedstaaten umfassender unterrichtet hätte. Unter diesen Umständen sei es unbillig,
die Klägerin einen Schaden tragen zu lassen, den sie bei rechtem Gang der Dinge, nämlich wenn die
zuständigen spanischen Behörden und die Kommission ihren Verpflichtungen nachgekommen wären,
nicht erlitten hätte (Urteil Eyckeler & Malt/Kommission, zitiert in Randnr. 62, Randnr. 132).
87.
Die Kommission erwidert, sie habe das Zollkontingent mit der erforderlichen Sorgfalt verwaltet.
Nach den ersten spanischen Hinweisen im Telefax vom 20. August 1993 habe die Kommission die
Mitgliedstaaten mit Schreiben vom 28. September 1993 über das Auftreten gefälschter Lizenzen
informiert und sie ausdrücklich zu erhöhter Wachsamkeit aufgefordert.
88.
Es liege auch kein Fehlverhalten Spaniens durch unterlassene Unterrichtung vor. Die zuständigen
spanischen Behörden hätten die Kommission nämlich unverzüglich nach Feststellung der ersten
Fälschungen am 20. August 1993 informiert. Im Zeitpunkt der Einfuhren im Dezember 1993 hätten
Spanien überhaupt noch keine Hinweise auf die Fälschung der drei streitigen Teillizenzen und auf die
zum Nachteil der Klägerin begangenen Straftaten vorgelegen. Sie hätten laufend bei der Aufklärung
des Sachverhalts kooperiert und die erforderlichen Informationen an die Kommission sowie an
Deutschland und Italien weitergeleitet.
89.
Das Gericht erinnert zunächst daran, dass die Kommission nach Artikel 211 EG und dem Grundsatz
der guten Verwaltung verpflichtet war, eine ordnungsgemäße Durchführung des GATT-Kontingents
sicherzustellen (siehe in diesem Sinne Urteil Eyckeler & Malt/Kommission, zitiert in Randnr. 62, Randnr.
165).
90.
Dabei erlegen die Verordnungen Nr. 1468/81 und Nr. 3719/88 den Mitgliedstaaten und der
Kommission Verpflichtungen zur gegenseitigen Unterrichtung auf, deren Beachtung „die Verhinderung
und Ermittlung von Zuwiderhandlungen“ gegen die Zollregelungen (siehe zweite
Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1468/81) und insbesondere gegen die Regelung in Bezug
auf das GATT-Kontingent zu erleichtern geeignet ist.
91.
So haben nach Artikel 28 Absatz 4 der Verordnung Nr. 3719/88 „die Mitgliedstaaten der Kommission
Abdrucke der amtlichen Stempel und gegebenenfalls der Trockenstempel der [an der Ausstellung der
Einfuhrlizenzen und der Teillizenzen] beteiligten Stellen“ zu übermitteln. Nach derselben Vorschrift
unterrichtet die „Kommission ... umgehend die anderen Mitgliedstaaten“.
92.
Ferner bestimmt Artikel 14a der Verordnung Nr. 1468/81, dass die zuständigen Behörden eines
Mitgliedstaats, wenn sie „Handlungen [feststellen], die den Zoll- oder Agrarregelungen zuwiderlaufen
oder zuwiderzulaufen scheinen, ... der Kommission von sich aus oder auf begründeten Antrag der
Kommission so rasch wie möglich alle zweckdienlichen Auskünfte“ erteilen. Nach derselben Vorschrift
ist die Kommission verpflichtet, „diese Auskünfte den zuständigen Behörden der anderen
Mitgliedstaaten“ mitzuteilen.
93.
Die Beachtung dieser Verpflichtungen durch die Mitgliedstaaten und die Kommission ist für die
praktische Wirksamkeit der angezogenen Bestimmungen, die Zuwiderhandlungen gegen die
Zollregelungen verhindern und aufdecken sollen, von zentraler Bedeutung. Zum einen würde nämlich
die Aufdeckung von Fälschungen durch die Zollbehörden der Mitgliedstaaten behindert, wenn diese
nicht über Abdrucke der amtlichen Stempel verfügten, die die anderen Mitgliedstaaten für die
Ausstellung von Einfuhrlizenzen und Teillizenzen verwenden. Zum anderen ist es unumgänglich, dass
ein Mitgliedstaat, der Unregelmäßigkeiten feststellt, unverzüglich der Kommission alle Informationen
übermittelt, die es erlauben, andere nicht ordnungsgemäße Lizenzen oder Teillizenzen ausfindig zu
machen, und dass diese umgehend die anderen Mitgliedstaaten darüber informiert.
94.
Ganz allgemein ermöglichen es die vorgenannten Bestimmungen der Kommission, bei den
Mitgliedstaaten alle für die Wahrnehmung ihrer Kontrollaufgabe hinsichtlich des GATT-Kontingents
erforderlichen Informationen einzuholen.
95.
Um zu überprüfen, ob Artikel 28 Absatz 4 der Verordnung Nr. 3719/88 im vorliegenden Fall beachtet
worden ist, hat das Gericht erstens die Kommission mit Schreiben vom 28. Juni 2002 aufgefordert, die
ihr von Spanien auf der Grundlage dieser Bestimmung übermittelten Abdrucke der amtlichen Stempel
vorzulegen, die zu dem Zeitpunkt galten, als die Klägerin die streitigen Teillizenzen gekauft hatte. Die
Kommission ist ferner gebeten worden, unter Beifügung schriftlicher Belege nachzuweisen, dass sie
die anderen Mitgliedstaaten nach Artikel 28 Absatz 4 der Verordnung Nr. 3719/88 von diesen
Abdrucken unterrichtet hatte.
96.
Mit Schreiben vom 22. Juli 2002 hat die Kommission dem Gericht ein spanisches Schreiben vom 18.
März 1986 (Mitteilung 28/86) übermittelt, mit dem der Kommission der Trockenstempel (sello en seco)
der Generaldirektion für Außenhandel übermittelt wurde, der zur maßgeblichen Zeit für die Lizenzen für
die Einfuhr von Agrarerzeugnissen verwendet worden sei. Dem dem Gericht übermittelten Schreiben
war jedoch weder der fragliche Trockenstempel noch ein Abdruck des amtlichen Stempels beigelegt.
97.
Hingegen geht aus der von der Kommission vorgelegten „Zusammenfassung der 125.
gemeinsamen Tagung des Verwaltungsausschusses .Handelsmechanismen‘ vom 15. und 16. April
1986“ hervor, dass in dieser Sitzung „an die Mitgliedstaaten Exemplare der von den
Stempelherstellern der spanischen Behörden hergestellten Stempel verteilt“ worden sind.
98.
Da das Gericht „die Abdrucke der amtlichen Stempel“ nicht erhalten hat, hat es die Kommission in
der mündlichen Verhandlung erneut aufgefordert, die Stempel vorzulegen, die zur maßgeblichen Zeit
von Spanien für die Ausstellung der Einfuhrlizenzen für das GATT-Kontingent verwendet wurden. Es hat
die Kommission ferner aufgefordert, ihm Kopien der spanischen Einfuhrlizenzen zu übermitteln, die
1993 für die Einfuhr von Rindfleisch im Rahmen des GATT-Kontingents ordnungsgemäß ausgestellt
worden sind.
99.
Auf diese Aufforderung hin hat die Kommission dem Gericht mit Schreiben vom 7. Oktober 2002 eine
Kopie des Trockenstempels übermittelt, der dem Schreiben der spanischen Behörden vom 18. März
1986 beigelegt war (siehe oben, Randnr. 96) und den Mitgliedstaaten während der Tagung vom 15.
und 16 April 1986 übergeben worden war (siehe oben, Randnr. 97).
100.
Es ist jedoch festzustellen, dass der Abdruck des Trockenstempels nicht dem Stempel auf den
ordnungsgemäß ausgestellten Lizenzen entspricht, die dem Gericht übermittelt worden sind. Die
Kommission weist in ihrem Schreiben vom 7. Oktober 2002 darauf hin, dass sie die spanischen
Behörden hierzu befragt habe und diese „bestätigt [hätten], dass der 1986 mitgeteilte Stempel nicht
jener war, der 1993 in Verwendung stand“; sie hätten weiter erklärt, dass auf dem Stempel von 1986
das „Ministerio de Economia y Hacienda“ genannt werde, während der von 1993 auf das „Ministerio
de Industria, Comercio y Turismo“ laute.
101.
In dem Schreiben vom 7. Oktober 2002 heißt es weiter, dass „eine Kopie des richtigen Stempels,
der 1993 in Spanien in Verwendung stand, der Kommission am 22. April 1994 [von Spanien] mitgeteilt“
worden sei.
102.
Es ist festzustellen, dass Spanien der Kommission mit Schreiben vom 22. April 1994 tatsächlich den
Stempel übermittelt hatte, der 1993 in Verwendung stand. Dieses Schreiben diente jedoch dazu, die
Kommission darüber zu informieren, dass der Stempel von 1993 nicht mehr verwendet werde. Es
enthält einen Abdruck des neuen Stempels für 1994 sowie des alten Stempels und es wird darin
ausgeführt, dass der „aktuelle Stempel der Ausgabestelle die Inschrift Ministerio de Comercio y
Turismo und nicht Ministerio de Industria, Comercio y Turismo (alter Stempel, der 1993 verwendet
wurde)“ trage.
103.
Aus dem Vorstehenden folgt, dass Spanien die Verpflichtungen aus Artikel 28 Absatz 4 der
Verordnung Nr. 3719/88 missachtet hat. Es hat der Kommission nämlich den Stempel, der 1993 für die
Ausstellung der Einfuhrlizenzen für das GATT-Kontingent verwendet worden war, erst mitgeteilt, als
dieser Stempel nicht mehr in Verwendung stand.
104.
Zweitens ist hinsichtlich der Verpflichtung zur gegenseitigen Unterrichtung nach Artikel 14a der
Verordnung Nr. 1468/81 daran zu erinnern, dass Spanien die Kommission mit Telefax vom 20. August
1993 auf die Existenz falscher spanischer Lizenzen und Teillizenzen für die Einfuhr von Rindfleisch im
Rahmen des GATT-Kontingents von 1993 aufmerksam gemacht hatte.
105.
Jedoch hat die Kommission gegen ihre Sorgfaltspflicht verstoßen, da sie die nationalen Behörden
der anderen Mitgliedstaaten nicht unverzüglich auf das Problem der Fälschung spanischer Lizenzen
und Teillizenzen aufmerksam gemacht hat. Die Kommission hat nämlich den zuständigen Behörden
aller Mitgliedstaaten erst am 28. September 1993 den Inhalt des Telefax vom 20. August 1993
mitgeteilt.
106.
Eine sofortige Unterrichtung der Behörden der anderen Mitgliedstaaten durch die Kommission war
im vorliegenden Fall besonders geboten, als die Kommission selbst davon ausging, dass die
Fälschung der Lizenzen und Teillizenzen, von der im Telefax vom 20. August 1993 gesprochen wird,
kein Einzelfall sei. Die Kommission verwies in ihrer Mitteilung vom 28. September 1993 nämlich auf „die
zunehmende Anzahl von Unregelmäßigkeiten bei der Einfuhr von Rindfleisch in die Gemeinschaft“.
107.
Es bleibt zu prüfen, ob die Kommission im vorliegenden Fall ihrer Pflicht zur ordnungsgemäßen
Verwaltung des GATT-Kontingents durch Einholung „alle[r] zweckdienlichen Auskünfte“ im Sinne des
Artikels 14a der Verordnung Nr. 1468/81 bei den spanischen Behörden und durch deren Weitergabe
an die anderen Mitgliedstaaten nachgekommen ist.
108.
Hier ist zunächst von Belang, dass das Telefax vom 20. August 1993, mit dem Spanien die
Kommission über die Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten unterrichtet und ihr eine Kopie der
gefälschten Unterlagen übermittelt hatte, nicht „alle zweckdienlichen Auskünfte“ im Sinne des Artikels
14a der Verordnung Nr. 1468/81 enthielt. Nach dieser Vorschrift war Spanien nämlich verpflichtet, der
Kommission alle in ihrem Besitz befindlichen Informationen mitzuteilen, die das Aufspüren eventueller
weiterer gefälschter spanischer Lizenzen oder Teillizenzen ermöglichen könnten. Spanien war somit im
vorliegenden Fall verpflichtet, neben dem für die Ausstellung der Einfuhrlizenzen und der Teillizenzen
verwendeten amtlichen Stempel - die bereits nach Artikel 28 Absatz 4 der Verordnung Nr. 3719/88 zu
übermitteln waren - auch die Unterschrift der Person oder der Personen, die zur Ausgabe solcher
Lizenzen und Teillizenzen befugt waren, sowie die Nummern der Lizenzen und Teillizenzen, die bereits im
Rahmen des GATT-Kontingents 1993 ausgegeben worden waren, zu übermitteln.
109.
Ihrer Verpflichtung zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Anwendung des GATT-Kontingents
kommt die Kommission nur nach, wenn sie unverzüglich die nach Artikel 14a der Verordnung Nr.
1468/81 erhaltenen Informationen an die anderen Mitgliedstaaten weitergibt und zudem dafür sorgt,
dass die Mitgliedstaaten ihre Verpflichtungen nach dieser Bestimmung beachten. Die Aufgabe, die der
Kommission aus ihrer Verpflichtung erwächst, die ordnungsgemäße Anwendung des GATT-Kontingents
sicherzustellen, beschränkt sich nämlich nicht auf die passive Weiterleitung der Informationen, die die
zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats ihr übermitteln. Wenn also ein Mitgliedstaat die
Kommission von der Entdeckung gefälschter Einfuhrlizenzen und/oder Einfuhrteillizenzen unterrichtet,
hat die Kommission unverzüglich bei dem Mitgliedstaat, aus dem die gefälschten Lizenzen und
Teillizenzen zu stammen scheinen, alle Auskünfte einzuholen, die das Auffinden weiterer gefälschter
Papiere erleichtern können. Die Kommission ist verpflichtet, die zuständigen Behörden der anderen
Mitgliedstaaten unverzüglich über diese Auskünfte zu unterrichten.
110.
Jedoch hat sich die Kommission in ihrem Schreiben vom 28. September 1993 darauf beschränkt, die
im Telefax vom 20. August 1993 enthaltenen Informationen an die anderen Mitgliedstaaten
weiterzuleiten. Die Kommission hat die Mitgliedstaaten in diesem Schreiben zwar aufgefordert, „den
Einfuhren [von Rindfleisch] besondere Aufmerksamkeit zu schenken“, und verlangt, dass sie
insbesondere die „Ordnungsmäßigkeit der betreffenden Papiere“ überprüfen, ihnen zu diesem
Zeitpunkt aber keine Informationen zukommen lassen, die eine solche Überprüfung ermöglicht hätten.
111.
Die Kommission hat den Mitgliedstaaten nämlich erst mit einer Mitteilung vom 2. Mai 1994 einen
Abdruck des echten Stempels, der 1993 von Spanien für die Ausstellung der Einfuhrlizenzen und der
Teillizenzen im Rahmen des GATT-Kontingents verwendet worden war, und die Unterschrift des
spanischen Beamten übermittelt, der 1993 befugt war, solche Lizenzen und Teillizenzen zu
unterzeichnen. Außerdem ist die Liste der Einfuhrlizenzen und Teillizenzen, die Spanien 1993 für die
Einfuhr von Rindfleisch im Rahmen des GATT-Kontingents ausgegeben hatte, den anderen
Mitgliedstaaten erst am 14. Juni 1994 übermittelt worden.
112.
Zwar hat Spanien selbst der Kommission nicht rechtzeitig „alle zweckdienlichen Auskünfte“ im Sinne
des Artikels 14a der Verordnung Nr. 1468/81 erteilt. Spanien hat der Kommission nämlich erst am 22.
April 1994 den Abdruck des echten Stempels zugesandt, der 1993 für die Ausstellung der gültigen
Einfuhrlizenzen und Teillizenzen in Verwendung stand. Mit demselben Schreiben hat Spanien die
Unterschrift der Person übermittelt, die 1993 befugt war, die betreffenden Lizenzen und Teillizenzen zu
unterzeichnen, und deren Unterschrift auf den streitigen Teillizenzen nachgeahmt worden ist.
Außerdem hat Spanien der Kommission erst am 13. Mai 1994 die vollständige Liste der Lizenzen und
Teillizenzen mitgeteilt, die es 1993 im Rahmen des GATT-Kontingents ausgegeben hatte.
113.
Selbst wenn Spanien also der Kommission nicht rechtzeitig „alle zweckdienlichen Auskünfte“ erteilt
hat, hat die Kommission gleichwohl gegen ihre Pflicht zur Überwachung des GATT-Kontigents
verstoßen, da sie sich nach Erhalt des Telefax vom 20. August 1993 nicht aktiv um die Erteilung dieser
Auskünfte, die das Auffinden weiterer gefälschter Lizenzen und Teillizenzen ermöglicht hätten, bemüht
hat.
114.
Schließlich ist festzustellen, dass die Auskünfte, die Spanien im April und im Mai 1994 erteilt und die
die Kommission mit Mitteilungen vom 2. und 14. Juni 1994 an die Mitgliedstaaten weitergeleitet hat, es
diesen tatsächlich ermöglicht haben, weitere gefälschte Lizenzen und Teillizenzen für die Einfuhr von
gefrorenem Rindfleisch aufzuspüren. So wird in einer Mitteilung der Kommission vom 10. November
1994 über „Ergebnisse der ad hoc Besprechung am 27.10.1994 in Brüssel“, in der u. a. auf die
Mitteilungen vom 2. Mai und 14. Juni 1994 Bezug genommen wird, zunächst daran erinnert, dass die
Mitgliedstaten „mit den früheren Mitteilungen ... Kopien der falschen Lizenzen zusammen mit Kopien
der richtigen Unterschriften und Stempel erhalten [haben], die in Spanien von der die Lizenzen
erteilenden Behörde benutzt werden, sowie eine Liste mit allen in den Jahren 1993 und 1994
ordnungsgemäß ausgestellten Lizenzen“. Sodann wird festgestellt, dass „als Ergebnis dieser
Informationen ... kürzlich in Italien und Deutschland weitere zweifelhafte Lizenzen entdeckt worden“
seien. Die Informationen haben es auch ermöglicht, binnen kurzem die Täter zu ermitteln. Aus der
Mitteilung vom 10. November 1994 geht nämlich hervor, dass die Kommission bereits am 2. Juni 1994
eine italienische Untersuchung der Firma Balestrero beantragt hatte.
115.
Nach alledem haben im vorliegenden Fall das Verhalten Spaniens und der Kommission Artikel 28
Absatz 4 der Verordnung Nr. 3719/88 und Artikel 14a der Verordnung Nr. 1468/81 ihre praktische
Wirksamkeit genommen. Die zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten verfügten bis Mai
oder Juni 1994 nicht über Informationen, die es ihnen erlaubt hätten, die gefälschten spanischen
Lizenzen und Teillizenzen für die Einfuhr von Rindfleisch im Rahmen des GATT-Kontingents 1993, zu
denen die streitigen Teillizenzen gehören, aufzuspüren und die Täter zu ermitteln. Es ist
wahrscheinlich, dass die Täter bereits im Oktober 1993, als die Klägerin die gefälschten Teillizenzen
gekauft hat, ermittelt gewesen wären, wenn die Kommission im vorliegenden Fall zum einen, nachdem
sie im August 1993 über die ersten Fälschungen unterrichtet worden war, Spanien aufgefordert hätte,
ihr den Abdruck des echten Stempels, ein Exemplar der Unterschrift des Beamten, der befugt war, die
1993 im Rahmen des GATT-Kontingents erteilten Lizenzen und Teillizenzen zu unterzeichnen, sowie die
Liste sämtlicher Lizenzen und Teillizenzen, die im Rahmen dieses Kontingents ordnungsgemäß erteilt
wurden, zu übermitteln, und zum anderen diese Informationen unverzüglich an die zuständigen
Behörden der anderen Mitgliedstaaten weitergeleitet hätte. Jedenfalls hätte vor dem Entstehen der
Zollschuld der Klägerin im Dezember 1993 festgestellt werden können, dass es sich bei den streitigen
Teillizenzen um Fälschungen handelte.
116.
Daher sind im vorliegenden Fall besondere Umstände im Sinne des Artikels 13 Absatz 1 der
Verordnung Nr. 1430/79 gegeben. Zwar ist das Vertrauen eines Abgabepflichtigen in die Gültigkeit
einer Einfuhrlizenz, die sich bei einer späteren Überprüfung als falsch oder gefälscht herausstellt, in
der Regel vom Gemeinschaftsrecht nicht geschützt, sondern gehört zum Geschäftsrisiko (Urteil
Eyckeler & Malt/Kommission, zitiert in Randnr. 62, Randnr. 188, und die dort zitierte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall wäre es jedoch unbillig, die Klägerin die Zollschuld tragen zu lassen, wenn sich
herausstellen sollte, dass auch das andere Tatbestandsmerkmal des Artikels 13 Absatz 1 der
Verordnung Nr. 1430/79, nämlich dass der Beteiligte nicht in betrügerischer Absicht oder
offensichtlich fahrlässig gehandelt hat, erfüllt ist.
117.
Folglich hat die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, indem sie in der
angefochtenen Entscheidung die Ansicht vertreten hat, dass „die Umstände des vorliegenden Falls
weder für sich genommen noch gemeinsam zu den Fällen mit besonderen Umständen im Sinne des
Artikels 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 zu rechnen sind“ (Randnr. 36).
118.
Der vorliegende Klagegrund ist daher begründet. Daher ist die angefochtene Entscheidung für
nichtig zu erklären.
Kosten
119.
Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr entsprechend
dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Dritte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Entscheidung der Kommission vom 25. Juli 2000 zur Feststellung, dass der Erlass
der Einfuhrabgaben in einem bestimmten Fall nicht gerechtfertigt ist (REM 49/99), wird für
nichtig erklärt.
2. Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.
Jaeger
Lenaerts
Azizi
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 27. Februar 2003.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
K. Lenaerts
Verfahrenssprache: Deutsch.