Urteil des BVerwG vom 23.04.2009

BVerwG (verhältnis zu, land, bebauungsplan, umgebung, festsetzung, unterbringung, verhältnis, gebiet, bundesverwaltungsgericht, wohngebäude)

Rechtsquellen:
BauGB
§ 9 Abs. 1 Nr. 1, § 9a
BauNVO
§ 1 Abs. 3 Satz 1 und 2, § 1 Abs. 4, § 1 Abs. 5; § 5
Stichworte:
Dorfgebiet; allgemeine Zweckbestimmung; Unterbringung land- und forstwirt-
schaftlicher Betriebe; Gliederung; landwirtschaftlich geprägte Umgebung.
Leitsatz:
Ein Baugebiet, in dem Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe
nicht untergebracht werden können, kann nicht als Dorfgebiet i.S.d. § 5 Bau-
NVO festgesetzt werden.
Urteil des 4. Senats vom 23. April 2009 - BVerwG 4 CN 5.07
I. OVG Schleswig vom 15.03.2007 - Az.: OVG 1 KN 10/06 –
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 4 CN 5.07
OVG 1 KN 10/06
Verkündet
am 23. April 2009
Jakob
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
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In der Normenkontrollsache
- 3 -
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 23. April 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch,
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und Dr. Bumke
sowie den Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz
für Recht erkannt:
Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwal-
tungsgerichts vom 15. März 2007 wird geändert. Der Be-
bauungsplan Nr. 17 der Gemeinde S. ist unwirksam, so-
weit seine Festsetzungen die als Dorfgebiet ausgewiesene
Fläche betreffen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in
beiden Rechtszügen mit Ausnahme der Kosten der Beige-
ladenen, die diese selbst tragen.
G r ü n d e :
I
Der Antragsteller wendet sich gegen den Bebauungsplan Nr. 17 der Antrags-
gegnerin. Der Bebauungsplan weist in der Ortsmitte des Ortsteils R. ein Dorf-
gebiet mit drei Bauplätzen aus. Außerdem setzt er eine Gemeinbedarfsfläche
für die Feuerwehr sowie öffentliche und private Grünflächen fest.
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Der Antragsteller ist Haupterwerbslandwirt und Eigentümer eines landwirt-
schaftlichen Hofgrundstücks, das dem ausgewiesenen Dorfgebiet unmittelbar
gegenüber liegt. Er sieht sich durch die heranrückende Wohnbebauung in sei-
nen Entwicklungsmöglichkeiten als Landwirt eingeschränkt.
Den Normenkontrollantrag des Antragstellers hat das Schleswig-Holsteinische
Oberverwaltungsgericht ebenso wie einen vorangegangenen Eilantrag gemäß
§ 47 Abs. 6 VwGO abgelehnt. Der Antragsteller weise zwar zu Recht darauf hin,
dass im Dorfgebiet nach der Planbegründung nur Wohngebäude zulässig sein
sollen. Bedenken gegen die MD-Ausweisung bestünden gleichwohl nicht. Die
Gemeinde sei im Hinblick auf die besondere Situation in der Mitte des Dorfes
nicht gehalten, die in der Umgebung des Plangebiets vorhandenen, dem Cha-
rakter eines Dorfgebietes insgesamt entsprechenden Bereiche mit zu überpla-
nen, um (sodann) eine Gliederung vorzunehmen, die die vorhandene Struktur
außerhalb des hier überplanten Bereichs nur nachvollziehe. Der Plangeber kön-
ne sich vielmehr darauf beschränken, die Gliederung des Dorfgebietes in der
Weise vorzunehmen, dass - wie hier - nur ein Teil desselben mit bestimmten, in
dem Gebiet zulässigen Nutzungen überplant werde, sofern der überplante Teil
und das weiterhin faktisch vorhandene Dorfgebiet in der Planumgebung eine
Einheit darstellte und in dieser Einheit die allgemeine Zweckbestimmung eines
Dorfgebiets gewahrt werde. Damit werde für diesen - überplanten - Teil zugleich
in zulässiger Weise zum Ausdruck gebracht, dass die von den genehmigten
landwirtschaftlichen Gebäuden in der Umgebung üblicherweise ausgehenden
Immissionen nicht als unzulässige Störung der in der Nachbarschaft zugelasse-
nen Wohnnutzung anzusehen seien. Beachtliche Abwägungsfehler seien nicht
zu erkennen.
Mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der An-
tragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Er ist der Auffassung, die Antragsgegne-
rin verstoße gegen § 1 BauNVO, indem sie in einem Gebiet drei Grundstücke
ausschließlich zur Wohnbebauung festsetze, das Gebiet aber - widerspre-
chend - als Dorfgebiet ausweise. Eine Gliederung des Baugebiets habe die An-
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tragsgegnerin tatsächlich gar nicht vorgenommen. Ein gesamtplanerisches Kon-
zept für den landwirtschaftlichen Dorfbereich sei nicht vorhanden.
II
Die Revision des Antragstellers ist begründet. Das Normenkontrollurteil ver-
stößt gegen Bundesrecht. Es beruht auf einem unzutreffenden Verständnis von
§ 1 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 5 BauNVO als Rechtsgrundlage für die Festsetzung
von Dorfgebieten.
Zu Unrecht ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die An-
tragsgegnerin die drei Bauplätze im Ortszentrum des Ortsteils R., auf denen
nach den bindenden Feststellungen des Normenkontrollgerichts nur Wohnge-
bäude zulässig sein sollen, als Dorfgebiet habe ausweisen können. Dorfgebiete
i.S.d. § 5 BauNVO setzen voraus, dass im Baugebiet selbst Wirtschaftsstellen
land- und forstwirtschaftlicher Betriebe untergebracht werden können (1.). Aus
der vorgefundenen Nutzung in der dörflichen Umgebung des Plangebiets lässt
sich diese allgemeine Zweckbestimmung eines Dorfgebiets nicht ableiten, auch
nicht im Wege einer vom Oberverwaltungsgericht für möglich gehaltenen Gliede-
rung des überplanten Gebiets im Verhältnis zu seiner landwirtschaftlich gepräg-
ten Umgebung (2.). Der Rechtsverstoß bei der Festsetzung der Gebietsart führt
zur Teilunwirksamkeit des Bebauungsplans (3.).
1. Für sich genommen wahrt das Baugebiet die allgemeine Zweckbestimmung
eines Dorfgebiets nicht, weil in dem festgesetzten Gebiet Wirtschaftsstellen
land- und forstwirtschaftlicher Betriebe nicht untergebracht werden können.
1.1. Wesensbestimmend für ein Dorfgebiet i.S.d. § 5 BauNVO ist die Unterbrin-
gung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe. Diese allge-
meine Zweckbestimmung eines Dorfgebiets darf durch planerische Festsetzun-
gen nicht verloren gehen.
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Die Art der baulichen Nutzung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) wird im Bebauungsplan
durch Festsetzung der in § 1 Abs. 2 BauNVO bezeichneten Baugebiete be-
stimmt (§ 9a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a BauGB i.V.m. § 1 Abs. 3 Satz 1 BauNVO).
Jedes dieser Baugebiete dient einer auf den Gebietstypus zugeschnittenen, in
den jeweiligen Absätzen 1 der Baugebietsvorschriften (§§ 2 ff. BauNVO) gere-
gelten allgemeinen Zweckbestimmung (Beschluss vom 22. Dezember 1989
- BVerwG 4 NB 32.89 - Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 8, S. 21). Mit der Fest-
setzung eines Baugebiets werden die Baugebietsvorschriften Bestandteil des
Bebauungsplans, soweit nicht aufgrund des § 1 Abs. 4 bis 10 BauNVO etwas
anderes bestimmt wird (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB). Damit übernimmt der Bebau-
ungsplan im Grundsatz die in den jeweiligen Absätzen 2 und 3 der Baugebiets-
vorschriften geregelte Typisierung zulässiger Nutzungen. Macht die Gemeinde
von der in § 1 Abs. 4 bis 10 BauNVO eröffneten Möglichkeit der Feinsteuerung
der zulässigen Nutzungen Gebrauch, darf die allgemeine Zweckbestimmung des
Baugebiets nicht verloren gehen, weil andernfalls die in § 1 Abs. 3 Satz 1
BauNVO geregelte Pflicht verletzt wird, im Bebauungsplan ein in § 1 Abs. 2
BauNVO bezeichnetes Baugebiet festzusetzen. In § 1 Abs. 5, 6 Nr. 2 und Abs. 7
Nr. 3 BauNVO ist dieser Vorbehalt ausdrücklich geregelt. Er gilt aber auch für
alle anderen Fälle der Differenzierung, wie sich aus Sinn und Zweck der in § 1
Abs. 4 bis 10 BauNVO enthaltenen Regelungsmöglichkeiten sowie aus der Sys-
tematik der Baugebietsvorschriften ergibt (Beschluss vom 22. Dezember 1989
a.a.O.).
Dorfgebiete i.S.d. § 5 BauNVO dienen der Unterbringung der Wirtschaftsstellen
land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, dem Wohnen und der Unterbringung von
nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben sowie der Versorgung der Be-
wohner des Gebiets dienenden Handwerksbetrieben; auf die Belange der land-
und forstwirtschaftlichen Betriebe einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten
ist vorrangig Rücksicht zu nehmen (§ 5 Abs. 1 BauNVO). Der Gebietscharakter
eines Dorfgebiets als ländliches Mischgebiet (Beschluss vom 4. Dezember 1995
- BVerwG 4 B 258.95 - Buchholz 406.12 § 5 BauNVO Nr. 3 S. 4) hängt zwar
grundsätzlich nicht von einem bestimmten prozentualen Mischverhältnis dieser
Hauptfunktionen ab (Beschluss vom 19. Januar 1996 - BVerwG 4 B 7.96 -
BRS 58 Nr. 67: keine Änderung des Gebietscharakters im Falle einer - sich je-
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denfalls in gewissen Grenzen haltenden - Zunahme der Wohnbebauung). Indes
wandelt sich der Gebietscharakter eines Dorfgebiets, wenn die landwirtschaftli-
che Nutzung völlig verschwindet und auch eine Wiederaufnahme ausgeschlos-
sen erscheint. Ein Baugebiet ganz ohne Gebäude land- und forstwirtschaftlicher
Betriebsstellen ist kein Dorfgebiet (Beschluss vom 29. Mai 2001 - BVerwG
4 B 33.01 - Buchholz 406.12 § 5 BauNVO Nr. 7 S. 2).
Hieraus folgt, dass ein Baugebiet, in dem bauliche und sonstige Anlagen der
Land- und Forstwirtschaft nicht untergebracht werden können, nicht als Dorfge-
biet i.S.d. § 5 BauNVO festgesetzt werden kann. Es entspricht deshalb - soweit
ersichtlich - einhelliger Meinung, dass Wirtschaftsstellen land- und forstwirt-
schaftlicher Betriebe einschließlich der dazugehörigen Wohnungen und Wohn-
gebäude (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO) auf der Grundlage des § 1 Abs. 5 BauNVO
im Dorfgebiet nicht ausgeschlossen werden können (VGH München, Urteil vom
19. Januar 1987 - 15 N 83 A.1241 - BauR 1987, 284 = BRS 47 Nr. 53; VGH
Mannheim, Beschluss vom 19. Dezember 1991 - 8 S 649/91 - VBlBW 1992,
303; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Rn. 71 zu § 1 BauNVO; Roe-
ser, in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 2. Aufl. 2003, Rn. 70 zu § 1). Gleiches
muss für sonstige planerische Festsetzungen eines Bebauungsplans gelten,
aufgrund derer die Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirt-
schaftlicher Betriebe im Baugebiet rechtlich ausgeschlossen oder faktisch un-
möglich ist. Auch insoweit gilt, dass die allgemeine Zweckbestimmung des Dorf-
gebiets als Standort für Wirtschaftsstellen land- oder forstwirtschaftlicher Betrie-
be nicht verloren gehen darf. Der Senat hat entschieden, dass die Festsetzung
eines Dorfgebiets wegen Funktionslosigkeit unwirksam wird, wenn in dem fest-
gesetzten Bereich Wirtschaftsstellen land- oder forstwirtschaftlicher Betriebe
nicht (mehr) vorhanden sind und mit ihrer Errichtung auch nicht mehr gerechnet
werden kann (Beschluss vom 29. Mai 2001 a.a.O.). Was unter den besonderen
Voraussetzungen der Funktionslosigkeit (grundlegend Urteil vom 29. April 1977
- BVerwG 4 C 39.75 - BVerwGE 54, 5) zum Außerkrafttreten einer Festsetzung
führt, steht erst recht dem Inkrafttreten einer entsprechenden Festsetzung ent-
gegen.
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1.2. Gemessen hieran ergibt sich, dass die drei streitgegenständlichen Bauplät-
ze in der Ortsmitte des Ortsteils R. nicht als Dorfgebiet hätten ausgewiesen wer-
den dürfen, weil aufgrund der bindenden Feststellungen des Oberverwaltungs-
gerichts davon auszugehen ist, dass in dem Baugebiet aufgrund der planeri-
schen Festsetzungen des Bebauungsplans Wirtschaftsstellen land- und forst-
wirtschaftlicher Betriebe nicht untergebracht werden können und damit die all-
gemeine Zweckbestimmung eines Dorfgebiets nicht gewahrt ist.
Das Oberverwaltungsgericht hat in den im Normenkontrollurteil in Bezug ge-
nommenen Gründen seines Eilbeschlusses festgestellt, „dass nach der Planbe-
gründung in dem MD-Gebiet nur Wohngebäude zulässig sein sollen“ (UA S. 7).
Soweit diese Feststellung auf einer Auslegung des Bebauungsplans als Rechts-
norm des Landesrechts beruht, ist der Senat hieran gemäß § 173 VwGO i.V.m.
§ 560 ZPO gebunden. Soweit dieser Feststellung auch tatsächliche Annahmen
zugrunde liegen, wie etwa die Beurteilung, dass aufgrund der Größe und der
Zuschnitte der festgesetzten Baufenster oder aufgrund des festgesetzten Maßes
der baulichen Nutzung Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe
faktisch nicht untergebracht werden können, kommt dieser Feststellung gemäß
§ 137 Abs. 2 VwGO bindende Wirkung zu. Die Antragsgegnerin hat auch nicht
geltend gemacht, dass diese Feststellung auf einer unzutreffenden Anwendung
von Bundesrecht beruhte. Entsprechendes ist auch nicht ersichtlich. Im Revisi-
onsverfahren ist deshalb davon auszugehen, dass tatsächlich nur Wohngebäu-
de möglich sind und die drei Bauparzellen folglich als Standort für land- und
forstwirtschaftliche Betriebe ausscheiden. Die gegenteilige Behauptung der An-
tragsgegnerin, mit der Festsetzung von Wohngebäuden sei nicht ausgeschlos-
sen, dass im Plangebiet auch bäuerliche Nutzung stattfinden könne, widerspricht
dieser bindenden Feststellung. Sie ist angesichts der Größe und der Zuschnitte
der festgesetzten Baufenster und des festgesetzten Maßes der baulichen Nut-
zung auch nicht plausibel.
2. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts lässt sich der Ge-
bietscharakter des Baugebiets als Dorfgebiet auch nicht aus der vorgefundenen
Nutzung in der dörflichen Umgebung oder aus den Darstellungen des Flächen-
nutzungsplans ableiten.
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2.1. Die nicht überplante Umgebung eines Baugebiets ist nach der Baunut-
zungsverordnung für die Bestimmung des Gebietscharakters unbeachtlich.
Das ergibt sich bereits daraus, dass die für den Gebietscharakter eines Dorfge-
biets wesensnotwendige Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forst-
wirtschaftlicher Betriebe - wie ausgeführt - gemäß § 1 Abs. 3 i.V.m. § 5 BauNVO
im Baugebiet selbst möglich sein muss. Ein Baugebiet, das nicht selbst Standort
für die Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe sein kann, ist
kein Dorfgebiet; es genügt nicht, dass sich ein solcher Betrieb in der angrenzen-
den Nachbarschaft befindet. Auf eine wie auch immer geartete landwirtschaftli-
che „Prägung“ des Gebiets durch land- und forstwirtschaftliche Betriebe kommt
es nicht an (ungenau insoweit VGH München, Urteil vom 10. Juli 1995 - 14 N
94.1158 - BRS 57 Nr. 35: Dorfgebiet muss mindestens auch durch Wirtschafts-
stellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe „geprägt“ sein).
Eine andere Sichtweise legt auch § 34 Abs. 2 BauGB nicht nahe. Der Umstand,
dass sich die Zulässigkeit eines Vorhabens, dessen nähere Umgebung einem
der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht, nach der Art der bauli-
chen Nutzung allein danach bestimmt, ob das Vorhaben nach der Baunutzungs-
verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre oder ausnahmsweise zu-
gelassen werden könnte, berechtigt nicht zu der Annahme, dass der Gesetzge-
ber bei der Bestimmung des Gebietscharakters auch den umgekehrten Weg
ebnen wollte, normative Festsetzungen durch bloße faktische Gegebenheiten in
der Umgebung des Plangebiets zu ersetzen.
Der Dorfgebietscharakter des Baugebiets wird auch nicht dadurch gewahrt, dass
der fragliche Bereich im Ortszentrum des Ortsteils R. im Flächennutzungsplan
der Antragsgegnerin als Dorfgebiet dargestellt ist. Der Flächennutzungsplan als
vorbereitender Bauleitplan (§ 1 Abs. 2 BauGB) enthält im Grundsatz keine
rechtsverbindlichen Festsetzungen und kann deshalb auch keinen rechtserheb-
lichen Beitrag zur Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets
leisten.
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2.2. Das festgesetzte Dorfgebiet konnte auch nicht gemäß § 1 Abs. 4 BauNVO
im Verhältnis zu seiner landwirtschaftlich geprägten näheren Umgebung geglie-
dert werden.
Abgesehen davon, dass nichts dafür ersichtlich ist, dass die Antragsgegnerin ein
über das festgesetzte Plangebiet hinausreichendes planerisches Konzept ver-
folgt hätte und ein hiervon erfasstes Gesamtgebiet überhaupt hätte gliedern wol-
len, scheitert die vom Oberverwaltungsgericht im Anschluss an eine Entschei-
dung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (Urteil
vom 16. September 2002 - 7a D 4/01.NE - BRS 65 Nr. 31) für möglich gehaltene
Gliederung des festgesetzten Dorfgebiets im Verhältnis zu seiner nicht überplan-
ten näheren Umgebung auch daran, dass § 1 Abs. 4 BauNVO eine entspre-
chende Gliederungsmöglichkeit nicht vorsieht. Auf der Grundlage des § 1 Abs. 4
BauNVO gegliedert werden können nämlich nur festgesetzte Baugebiete und
diese im Grundsatz überdies nur intern.
Gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 BauNVO können „für die in den §§ 4 bis 9 bezeichne-
ten Baugebiete“ im Bebauungsplan für das jeweilige Baugebiet Festsetzungen
getroffen werden, die das Baugebiet nach der Art der zulässigen Nutzung glie-
dern. Dass „die in den §§ 4 bis 9 bezeichneten Baugebiete“ nur durch Bebau-
ungsplan festgesetzte Baugebiete sind, ergibt sich aus § 1 Abs. 3 Satz 1 Bau-
NVO, wonach „im Bebauungsplan (…) die in Absatz 2 bezeichneten Baugebiete
festgesetzt werden“ können. In die gleiche Richtung weist der historische Wille
des Verordnungsgebers (BRDrucks 261/77, S. 15) sowie die in der Verord-
nungsermächtigung des § 9a Nr. 2 BauGB verwendete Begrifflichkeit (Urteil vom
23. April 1969 - BVerwG 4 C 12.67 - BRS 22 Nr. 42 S. 87
schrift § 2 Abs. 10 Nr. 2 BBauG>). Gemäß § 1 Abs. 4 BauNVO gegliedert wer-
den können folglich nur festgesetzte Baugebiete.
Festgesetzte Baugebiete können im Grundsatz überdies nur intern gegliedert
werden. Die Baunutzungsverordnung sieht zwar die Möglichkeit vor, Baugebiete
im Verhältnis zu anderen Baugebieten zu gliedern; dies gilt aber nur für die in
§ 1 Abs. 4 Satz 2 BauNVO genannten Gewerbe- und Industriegebiete. Daraus
folgt im Umkehrschluss, dass die übrigen Gebietstypen gerade nicht im Verhält-
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nis zu anderen, außerhalb des Plangebiets liegenden Baugebieten gegliedert
werden können.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass sich nach der Senatsrecht-
sprechung „das Baugebiet nicht mit dem Plangebiet decken“ muss (Beschluss
vom 22. Dezember 1989 - BVerwG 4 NB 32.89 - a.a.O.). Damit ist nur der Fall
gemeint, dass sich in einem Plangebiet mehrere Baugebiete befinden.
2.3 Die normative Entscheidung des Verordnungsgebers, bei der Bestimmung
des Gebietscharakters eines Baugebiets allein auf das festgesetzte Baugebiet
abzustellen, ist auch von sachlichen Gründen getragen.
Für die Entscheidung des Verordnungsgebers spricht bereits das rechtsstaatli-
che Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit (vgl. auch Beschluss vom
22. Dezember 1989 a.a.O. S. 22). Festgesetzte Baugebiete haben einen norma-
tiv klar abgegrenzten Geltungsbereich (§ 9 Abs. 7 BauGB). Wäre bei der Be-
stimmung des Gebietscharakters eines Baugebiets demgegenüber auch die
nicht überplante Umgebung des Baugebiets in Betracht zu ziehen, bliebe der
maßgebliche räumliche Umgriff vage. Ein Rückgriff auf das in § 34 Abs. 2
BauGB verwendete Kriterium der „näheren Umgebung“ ist schon deshalb wenig
ertragreich, weil dieses Kriterium vorhabenbezogen ausgestaltet ist und deshalb
an Kontur verliert, sofern - wie hier - festgesetzte und faktische Gebiete zuein-
ander ins Verhältnis gesetzt werden sollen. Im Vergleich zu einem festgesetzten
Baugebiet weniger verlässlich ist ein sog. faktisches Baugebiet auch hinsichtlich
der Gebietstypik. Die normative Entscheidung des Plangebers für ein bestimm-
tes Baugebiet verlangt im Baurechtsvollzug über das bloße Nicht-Widersprechen
eines Vorhabens (§ 30 Abs. 1 BauGB) im engeren Sinne hinaus - bis zur Grenze
der Funktionslosigkeit - auch insoweit Respekt, als etwa die für ein Mischgebiet
typische Durchmischung gewahrt bleiben und deshalb ein Vorhaben gegebe-
nenfalls auch abgelehnt werden muss, um „ein Umkippen“ des Baugebiets zu
verhindern (Urteil vom 4. Mai 1988 - BVerwG 4 C 34.86 - BVerwGE 79, 309
<312>). Außerdem hat der Eigentümer eines Grundstücks in einem durch Be-
bauungsplan festgesetzten Baugebiet einen vom Rücksichtnahmegebot unab-
hängigen Abwehranspruch gegen eine „schleichende Umwandlung“ des Ge-
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bietscharakters (Beschluss vom 2. Februar 2000 - BVerwG 4 B 87.99 - Buchholz
406.19 Nachbarschutz Nr. 163). Entsprechende Sicherungen greifen im sog.
faktischen Baugebiet nicht oder jedenfalls nicht in gleicher Intensität.
Für die Entscheidung des Verordnungsgebers, bei der Bestimmung des Ge-
bietscharakters eines Baugebiets allein auf das festgesetzte Baugebiet abzustel-
len, spricht auch der Umstand, dass der Plangeber mit der Festsetzung eines
Baugebiets gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt und Schranken des Eigen-
tums bestimmt (Urteil vom 1. November 1974 - BVerwG 4 C 38.71 - BVerwGE
47, 144 <153>; BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2002 - 1 BvR 1402/01 -
NVwZ 2003, 727). Die hierdurch betroffenen schutzwürdigen Interessen muss
der Plangeber gerecht abwägen (§ 1 Abs. 7 BauGB) und hierbei auch widerstrei-
tende Interessen in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhält-
nis bringen. Auch insofern ist es Aufgabe des Plangebers, durch Festsetzung
der Baugebietsgrenzen verbindlich zu bestimmen, welche Grundstücke in den
Interessenausgleich einbezogen werden und welche Nutzungen zulässig sein
sollen. Der Kreis der in der Abwägung zu berücksichtigenden Interessen be-
schränkt sich zwar nicht auf die im Plangebiet gelegenen Grundstücke (Urteil
vom 30. April 2004 - BVerwG 4 CN 1.03 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 165
S. 138). Will der Plangeber aber einen bestimmten Gebietstypus festsetzen, mit
dem spezifische Nutzungsmöglichkeiten verbunden sind, muss er auch bestim-
men, welche abwägungsrelevanten Nutzungen in welcher Weise aufeinander
bezogen werden und auch in Zukunft bleiben sollen. Das gilt erst recht, wenn ein
gerechter Ausgleich der widerstreitenden Interessen die Festsetzung wechsel-
bezüglicher Nutzungsbeschränkungen oder sonstige Vollzugsmaßnahmen (§ 8
Abs. 1 Satz 2 BauGB) erforderlich macht.
Der Vorwurf, es sei eine überflüssige Förmelei (so VGH München, Urteil vom
16. Juli 1991 - 20 N 91.557 - BRS 52 Nr. 10), von den Gemeinden zu verlangen,
diejenigen Gebiete, die einem Dorfgebiet seine allgemeine Zweckbestimmung
geben sollen, mit zu überplanen und den Gesamtbereich dann gegebenenfalls
nach der Art der baulichen Nutzung zu gliedern, ist deshalb nicht gerechtfertigt.
Eine die Normgeltung reduzierende Auslegung des § 1 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 5
BauNVO kommt nicht in Betracht.
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3. Die unzulässige Ausweisung des Baugebiets als Dorfgebiet ist nach den Pla-
nerhaltungsvorschriften beachtlich. Sie führt zur Teilunwirksamkeit des Bebau-
ungsplans hinsichtlich der das Dorfgebiet betreffenden Festsetzungen.
Die Ungültigkeit eines Teils eines Bebauungsplans führt dann nicht zur Ge-
samtnichtigkeit, wenn die übrigen Festsetzungen auch ohne den unwirksamen
Teil sinnvoll bleiben und nach dem mutmaßlichen Willen des Normgebers mit
Sicherheit anzunehmen ist, dass sie auch ohne diesen erlassen worden wären
(vgl. z.B. Beschlüsse vom 8. August 1989 - BVerwG 4 NB 2.89 - Buchholz
406.11 § 10 BBauG/BauGB Nr. 17 und vom 20. August 1991 - BVerwG
4 NB 3.91 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 59). Diese Voraussetzungen sind
hier erfüllt.
Der Bebauungsplan Nr. 17 der Antragsgegnerin ist objektiv teilbar. Auch ohne
die auf das Dorfgebiet bezogenen Festsetzungen kann der Bebauungsplan sei-
ne städtebauliche Steuerungsfunktion hinsichtlich der Gemeinbedarfsfläche für
die Feuerwehr und hinsichtlich der öffentlichen und privaten Grünflächen noch
erfüllen. Nach der Begründung des Bebauungsplans ist ferner mit der gebote-
nen Sicherheit davon auszugehen, dass die Plangeberin den Bebauungsplan im
Zweifel auch ohne das rechtsunwirksam festgesetzte Dorfgebiet beschlossen
hätte. Planungsziel war neben der „Schaffung von Baumöglichkeiten“ auch die
„Absicherung der vorhandenen Bau- und Freiflächenstruktur zum Erhalt des ört-
lichen Charakters“ (Begründung zum Bebauungsplan „1. Vorbemerkung Pla-
nungserfordernis/Planungsziele“, ) des Ortsteils R. mit Merkmalen eines
slawischen Rundlingsdorfs. Dieses Planungsziel wollte die Antragsgegnerin
ausweislich der ortsüblichen Bekanntmachung des Aufstellungsbeschlusses
vom 10. Juni 2004 ursprünglich sogar mit einem eigenen Bebauungsplan verfol-
gen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.
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Prof. Dr. Rubel
Dr. Jannasch
Dr. Philipp
Dr. Bumke
Petz
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes für das Revisionsverfah-
ren wird auf 50 000 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1
GKG).
Prof. Dr. Rubel
Dr. Jannasch
Dr. Philipp
Dr. Bumke
Petz