Urteil des BVerwG vom 11.01.2007
BVerwG: anhörung, vertrauensperson, unbestimmter rechtsbegriff, verfügung, rückversetzung, luftwaffe, bedürfnis, soldat, zugang, verweigerung
Rechtsquellen:
WBO
§ 17 Abs. 6
SBG
§ 23 Abs, 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2; § 52 Abs. 1
Stichworte:
Anhörung; Personalrat; Beteiligungsorgan; Belehrung.
Leitsatz:
Der Schutzzweck des § 23 Abs. 1 Satz 2 Soldatenbeteiligungsgesetz gebietet es,
den von einer Personalmaßnahme im Sinne des Satzes 1 dieser Vorschrift betrof-
fenen Soldaten über das Beteiligungsorgan zu belehren, dessen Beteiligung in
seinem konkreten Einzelfall beantragt werden kann.
Beschluss des 1. Wehrdienstsenats vom 11. Januar 2007 - BVerwG 1 WDS-VR
7.06
Der Antragsteller wendet sich gegen seine vorzeitige Rückversetzung aus einer
Auslandsverwendung nach Deutschland. Der Versetzungsantrag seines Diszipli-
narvorgesetzten war auf einen Vertrauensverlust wegen des Verdachts eines
Dienstvergehens gestützt. Die Stammdienststelle der Luftwaffe erließ die ange-
fochtene Versetzungsverfügung, ohne zuvor die zuständige Personalvertretung
anzuhören.
Das Bundesverwaltungsgericht hat dem Antrag auf Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes stattgegeben.
A u s d e n G r ü n d e n :
(...)
Die Verfügung der Stammdienststelle der Luftwaffe (SDL) ist wegen eines Ermes-
sensfehlers rechtswidrig, weil vor ihrem Erlass keine rechtsfehlerfreie Anhörung
nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 SBG zu der beabsichtigten Per-
sonalmaßnahme erfolgte. Deshalb liegt ein Ermessensfehlgebrauch vor.
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Der Soldat hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte fachliche oder
örtliche Verwendung oder auf Verwendung auf einem bestimmten Dienstposten.
Ein dahingehender Anspruch lässt sich auch nicht aus der Fürsorgepflicht ableiten.
Vielmehr entscheidet der zuständige Vorgesetzte bzw. die zuständige personalbe-
arbeitende Stelle über die Verwendung eines Soldaten, sofern hierfür ein dienstli-
ches Bedürfnis besteht, nach pflichtgemäßem Ermessen. Während das Vorliegen
eines dienstlichen Bedürfnisses als unbestimmter Rechtsbegriff gerichtlich voll
nachprüfbar ist, kann die Ermessensentscheidung nur daraufhin überprüft werden,
ob der Vorgesetzte oder die zuständige Stelle den Soldaten durch Überschreiten
oder Missbrauch dienstlicher Befugnisse in seinen Rechten verletzt bzw. die ge-
setzlichen Grenzen des ihm/ihr insoweit zustehenden Ermessens überschritten
oder von diesem in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden
Weise Gebrauch gemacht hat. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu prü-
fen, ob die gesetzlich vorgegebenen oder vom Bundesminister der Verteidigung
(BMVg) im Wege der Selbstbindung in Erlassen und Richtlinien festgelegten Ver-
fahrensvorschriften eingehalten sind (stRspr, z.B. Beschluss vom 27. Februar 2003
- BVerwG 1 WB 57.02 - BVerwGE 118, 25 = Buchholz 252 § 23 SBG Nr. 2 =
NZWehrr 2003, 212 m.w.N.).
Die SDL hat vorliegend gegen § 23 Abs. 2 Satz 2 SBG verstoßen. Bei ihrer Er-
messensentscheidung hat sie als zuständige Stelle zwingend das Ergebnis der
Anhörung der Vertrauensperson in die zu treffende Personalentscheidung einzu-
beziehen, sofern die Vertrauensperson auf Antrag des Soldaten zu einer beteili-
gungsfähigen Maßnahme anzuhören ist. Entsprechendes gilt für Maßnahmen bei
Soldaten, die in einer personalratsfähigen Dienststelle verwendet werden, gemäß
§ 48 Satz 1, § 49 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 Satz 3 und § 52 Abs. 1 SBG.
Die beabsichtigte Rückversetzung des Antragstellers aus dem Ausland nach
Deutschland löste eine Beteiligungspflicht nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SBG aus.
Eine Versetzung stellt nach dieser Vorschrift nicht nur eine beteiligungsfähige,
sondern in der Regel auch eine beteiligungspflichtige Maßnahme dar (Beschlüsse
vom 27. Februar 2003 a.a.O. und vom 20. Juni 2005 - BVerwG 1 WB 28.05 -). Ein
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Ausnahmefall, der ein Absehen von der Beteiligung rechtfertigt, ist hier nicht fest-
stellbar.
Die am 31. Oktober 2006 angehörte „Vertrauensperson der Unteroffiziere und
Mannschaften“ war im Falle des Antragstellers nicht das richtige Beteiligungsorgan
im Sinne des § 1 Abs. 2 SBG. Bei dem Bundeswehrkommando USA und Kanada
(BwKdo US/CA) handelt es sich um eine personalratsfähige Dienststelle im Sinne
des § 49 Abs. 1 Satz 1 und 2 SBG i.V.m. Nr. 1 3. Spiegelstrich der Anlage 4 zur
ZDV 10/2, sodass nach § 52 Abs. 1 Satz 1 SBG „die Soldatenvertreter“, also die in
dieser Dienststelle in den Personalrat gewählten Soldaten, in Angelegenheiten, die
nur die Soldaten betreffen, die Befugnisse der Vertrauensperson haben. Eine sol-
che „Angelegenheit“ ist die Versetzung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SBG.
Im Parallelverfahren BVerwG 1 WDS-VR 8.06 hat der BMVg - PSZ I 7 - vorgetra-
gen, dass bei dem BwKdo US/CA und der Bundeswehrverwaltungsstelle US/CA
ein gemeinsamer örtlicher Personalrat gebildet worden ist. Der Senat geht deshalb
im vorliegenden summarischen Verfahren davon aus, dass diesem gemeinsamen
örtlichen Personalrat in Gestalt der nach § 48 Satz 1, § 49 Abs. 2 Satz 3 SBG
i.V.m. § 38 Abs. 2 Satz 1 BPersVG zur Entscheidung berufenen Soldatenvertreter
die Beteiligungsrechte nach § 23 SBG zugewiesen sind. Demzufolge war nach
§ 52 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SBG der gemeinsame örtliche
Personalrat beim BwKdo US/CA und der Bundeswehrverwaltungsstelle US/CA vor
der Versetzungsentscheidung der SDL anzuhören.
Für diese Anhörung hatte der Antragsteller am 26. Oktober 2006 einen inhaltlich
hinreichend bestimmten Antrag gestellt. Nach der Rechtsprechung des Senats
muss ein Anhörungsantrag gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 SBG zu der jeweils beab-
sichtigten konkreten Einzelmaßnahme gestellt werden (Beschluss vom 27. Februar
2003 a.a.O.). Diesem Erfordernis hat der Antragsteller am 26. Oktober 2006 bei
der Eröffnung des Entwurfs zum Versetzungsantrag vom selben Tage Rechnung
getragen. Soweit er darin „die Beteiligung der Vertrauensperson der Mannschaften
gemäß Belehrung vom 13.10.06“ als gewünschtes Beteiligungsorgan angegeben
hat, entzieht diese Bezeichnung seinem Beteiligungsbegehren nicht die Grundla-
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ge. Aus dieser Formulierung entnimmt der Senat, dass diese Belehrung offenbar
nicht den Hinweis auf die Möglichkeit der Beteiligung des Personalrats enthielt. Die
Erklärung des Antragstellers vom 26. Oktober 2006 ist deshalb sinngemäß dahin
auszulegen, dass er die Beteiligung des für ihn zuständigen Beteiligungsorgans
wünschte.
Diesen Beteiligungsantrag hat der Antragsteller in der Folgezeit nicht zurückge-
nommen. Seine späteren Erklärungen am 3. und 6. November 2006, er stimme
„einer Anhörung der Vertrauensperson nicht zu“, sind insoweit unerheblich. Denn
zu diesem Zeitpunkt war der Antragsteller - weiterhin - entgegen § 23 Abs. 1
Satz 2 SBG nicht schriftlich über das in seinem Fall „richtige“ Beteiligungsorgan im
Sinne des § 1 Abs. 2 SBG belehrt worden. Der Schutzzweck der Norm des § 23
Abs. 1 Satz 2 SBG gebietet es, den von einer Personalmaßnahme im Sinne des §
23 Abs. 1 Satz 1 SBG betroffenen Soldaten nicht nur abstrakt über „irgendeine“
Beteiligungsmöglichkeit zu belehren, sondern ihn exakt über das Beteiligungsor-
gan zu informieren, dessen Beteiligung in seinem konkreten Einzelfall beantragt
werden kann. Nur dann hat der Soldat eine vollständige Informationsgrundlage für
seine Entscheidung, ob er gerade dieses Beteiligungsorgan in sein Verfahren ein-
beziehen will oder nicht. Eine derartige differenzierte Belehrung des Antragstellers
über die in seinem Fall in Betracht kommende Anhörung des zuständigen Perso-
nalrats in Gestalt der gewählten Soldatenvertreter ist - dies räumt auch der BMVg
sinngemäß ein - damals nicht erfolgt.
(…)
Damit ist die angefochtene Verfügung der SDL ergangen, ohne dass zuvor eine
Anhörung der zuständigen Personalvertretung stattgefunden hat und deren Ergeb-
nis in die Ermessensentscheidung der SDL einbezogen worden ist. Da die Anhö-
rung des zuständigen Beteiligungsorgans - wie sich aus § 1 Abs. 1 SBG ergibt -
dazu dient, nach den Bestimmungen des Gesetzes zu einer wirkungsvollen
Dienstgestaltung und zu einer fürsorglichen Berücksichtigung der Belange des ein-
zelnen Soldaten beizutragen sowie dadurch zugleich auch die Informations- und
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Entscheidungsbasis der personalbearbeitenden Stelle zu verbreitern (vgl. dazu
u.a. Beschluss vom 20. Juni 2005 - BVerwG 1 WB 60.04 - Buchholz 252 § 20 SBG
Nr. 1), und weil § 23 Abs. 2 Satz 2 SBG zwingend die Einbeziehung des Ergebnis-
ses der Anhörung des Beteiligungsorgans in die zu treffende Personalentschei-
dung anordnet, ist die angefochtene Versetzungsverfügung der SDL rechtswidrig.
In Ermangelung entgegenstehender Vorschriften ist es nicht ausgeschlossen, im
noch laufenden Beschwerdeverfahren die unterlassene Anhörung formgerecht
nachzuholen und sodann eine neue Entscheidung über die Versetzung des An-
tragstellers zu treffen.
Insoweit weist der Senat darauf hin, dass der Umstand, dass der Antragsteller am
14. Dezember 2006 ein Formular zur Beteiligung des zuständigen Personalrats
nicht ausgefüllt hat, keinen Verzicht auf eine Anhörung der Personalvertretung
darstellt. In seiner Beschwerde hat der Antragsteller betont, dass er seinen Antrag
auf Beteiligung der Vertrauensperson vom 26. Oktober 2006 zu keinem Zeitpunkt
zurückgezogen habe; er habe lediglich ausschließen wollen, dass der Vertrauens-
person Zugang zu den Ermittlungsunterlagen des Disziplinarvorgesetzten gegeben
werde. Auch sein Bevollmächtigter hat im Schriftsatz an den Senat vom 9. Januar
2007 hervorgehoben, dass der Antragsteller für einen weiteren Antrag auf Beteili-
gung kein Bedürfnis gesehen habe, weil er seinen Antrag vom 26. Oktober 2006
bisher nicht zurückgenommen habe. Jedenfalls folgt aus der Verweigerung der
Unterschrift unter das Formular vom 14. Dezember 2006 nicht, dass der An-
tragsteller nunmehr einer Beteiligung der Personalvertretung widerspricht. Der An-
tragsteller war nicht verpflichtet, auf Aufforderung seines Vorgesetzten den einmal
gestellten Antrag zu wiederholen.
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Golze Dr. Frentz Dr. Deiseroth
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