Urteil des BVerwG vom 12.12.2002
BVerwG (gemeinde, gebiet, raum, satzung, region, bisherige nutzung, regionalplanung, künftige nutzung, durchführung, erlass)
Rechtsquelle:
BauGB § 165 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3
Stichworte:
Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme; Entwicklungsbereich; er-
höhter Bedarf an Wohn- und Arbeitsstätten; besondere Bedeu-
tung; Enteignung.
Leitsätze:
1. Ein erhöhter Bedarf an Wohn- und Arbeitsstätten im Sinne
des § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB ist gegeben, wenn die
Nachfrage das Angebot aus strukturellen Gründen längerfristig
deutlich übersteigt. Allgemeine konjunkturelle Entwicklungen
oder Schwankungen im Wohnungsmarkt reichen zur Begründung
nicht aus.
Bundesweite oder große Teile des Bundesgebiets betreffende
Entwicklungen können für sich genommen einen erhöhten Bedarf
für den maßgeblichen Bereich nicht begründen.
2. Ein derartiger erhöhter Bedarf muss sich nicht allein auf
das Gebiet der einzelnen Gemeinde erstrecken. Er ist nicht
deswegen zu verneinen, weil ein derartiger Bedarf auch in ei-
ner Nachbargemeinde besteht. Er wird auch nicht allein dadurch
in Frage gestellt, dass der in einer Region vorhandene Bedarf
ebenso mit einer Maßnahme in einer anderen Gemeinde dieser Re-
gion befriedigt werden könnte.
3. Eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme steht mit dem Er-
fordernis des Wohls der Allgemeinheit nicht im Einklang, wenn
sie mit den Zielen und Grundsätzen der Raumordnung und Landes-
planung einschließlich der Regionalplanung nicht vereinbar
ist.
4. Wenn ein erhöhter Bedarf an Wohnstätten besteht und die
Schaffung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme erfor-
dert, ist es unbedenklich, wenn sich die Planung nicht nur auf
die Flächen für Wohnstätten beschränkt, sondern zugleich ein
erhöhter Bedarf an Arbeitsstätten befriedigt werden soll, dem
isoliert betrachtet möglicherweise nicht das für eine städte-
bauliche Entwicklungsmaßnahme gebotene Gewicht zukommen würde.
Urteil des 4. Senats vom 12. Dezember 2002 - BVerwG 4 CN 7.01
I. OVG Lüneburg vom 28.11.2000 - Az.: OVG 1 K 3479/99 -
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IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG
4
CN
7.01
Verkündet
OVG 1 K 3479/99
am 12. Dezember 2002
Salli-Jarosch
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
In der Normenkontrollsache
3
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 12. Dezember 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a e t o w und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. L e m m e l , H a l a m a, Prof. Dr. R o j a h n
und Dr. J a n n a s c h
für Recht erkannt:
Die Revision der Antragstellerin gegen das Urteil
des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom
28. November 2000 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Revisions-
verfahrens.
G r ü n d e :
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Satzung über die
städtebauliche Entwicklungsmaßnahme S.-Süd. Der Ortsteil S.
der Antragsgegnerin liegt nördlich der in Ost-West Richtung
verlaufenden Bahnlinie mit einem umfangreichen Rangierbahnhof
sowie dem Zweigkanal H.-L. Mit der städtebaulichen Entwick-
lungsmaßnahme soll die Errichtung von rund 2 600 Wohneinheiten
für 6 000 Bewohner auf der Südseite des Zweigkanals ermöglicht
werden. Im westlichen Teil des Plangebiets soll ein Gewerbege-
biet entstehen, in dem Betriebe des non-food-Bereichs sowie
sonstige nicht störende Gewerbebetriebe untergebracht werden
sollen. Durch eine attraktiv auszugestaltende Fußgängerbrücke
soll die Verbindung zum vorhandenen Ortsteil sowie zum Bahnhof
4
mit S-Bahn-Anschluss nach H. hergestellt werden. Das etwa
110 ha große Gelände ist gegenwärtig weitgehend unbebaut; auf
ihm befinden sich Kleingärten, der größere Teil wird landwirt-
schaftlich genutzt. Die Bemühungen der Antragsgegnerin, die
Flächen freihändig zu erwerben, sind überwiegend erfolglos
geblieben. Zahlreiche Eigentümer, darunter die Antragstelle-
rin, haben preisliche Vorstellungen geäußert, die über dem
durch die Bodenrichtwerte ausgedrückten Wert liegen.
Mit ihrem Normenkontrollantrag hat die Antragstellerin insbe-
sondere gerügt, für die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme
bestehe kein Bedarf. Das von der Antragsgegnerin zugrunde ge-
legte Zahlenwerk des damaligen Kommunalverbandes Großraum H.,
wonach sich die Bevölkerung im Großraum H. um über 50 000 Per-
sonen vermehren werde und davon rund 9 000 auf ihren Bereich
entfielen, sei unzutreffend. Die vorgesehenen Wohneinheiten
könnten auch an anderer Stelle errichtet werden. Ferner sei
eine zügige Durchführung der Entwicklungsmaßnahme nicht ge-
währleistet.
Die Antragsgegnerin ist dem Normenkontrollantrag entgegenge-
treten.
Das Normenkontrollgericht hat den Antrag mit Urteil vom
28. November 2000 abgelehnt. Die Voraussetzungen für eine
städtebauliche Entwicklungsmaßnahme nach § 165 Abs. 3 Sätze 1
und 2 BauGB lägen vor. Insbesondere erfordere das Wohl der
Allgemeinheit vorliegend die Maßnahme. Die Antragsgegnerin ha-
be von einem erhöhten Bedarf an Wohnstätten und (in bescheide-
nerem Umfang) an Gewerbeflächen ausgehen dürfen. Es sei nicht
methodisch offensichtlich fehlsam, wenn die Antragsgegnerin
bei aller Schwierigkeit, Bevölkerungswachstum und -wanderung
verlässlich vorherzusagen, für den Großraum H. und ihr eigenes
Gemeindegebiet längerfristig von einem deutlich steigenden
Wohnraumbedarf ausgehe. Dies ergebe sich aus den vorliegenden
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Studien und Berichten. Die vorhandenen Wohnbaureserven der An-
tragsgegnerin seien durch mehrere Entwicklungen erschöpft wor-
den. Verschiedene Wanderungsbewegungen hätten gerade im Groß-
raum H. zu erheblichen Zuwanderungen geführt. Wegen ihrer
günstigen Lage zur Landeshauptstadt sei ein nicht unerhebli-
cher Teil auf die Antragsgegnerin entfallen. Dies führe jetzt
zu ernsthaften Nachfrageproblemen. Hierzu habe auch die unzu-
reichende Wohnbauaktivität in ihrem Bereich beigetragen. Der
Bedarf an Wohnungen nehme auch zu, weil die Zahl der Bewohner
je Wohneinheit merklich sinke. Dies sei Folge einer zunehmen-
den Anzahl sog. Singlehaushalte sowie der veränderten Alters-
struktur; die Kinder gingen aus dem Haus und ältere (überle-
bende) (Ehe-)Partner verblieben in der vertrauten, eigentlich
zu großen, Wohnung. Einige der genannten Entwicklungen seien
zwar auch in anderen Kommunen festzustellen. Keine Gemeinde
sei jedoch für sich allein auf der Welt, sondern notwendiger-
weise mit überörtlich stattfindenden Entwicklungen verwoben.
Der besondere Grund für die vorliegende städtebauliche Ent-
wicklungsmaßnahme bestehe im aufgestauten Wohnungsbedarf, der
seine Ursache vor allem in den speziellen Strukturen habe,
welche das Gemeindegebiet der Antragsgegnerin prägten. Der
Verlauf der Grenze zur Landeshauptstadt H. im Norden verhinde-
re eine Ausweitung der Siedlungsschwerpunkte in diese Rich-
tung. Nach Süden hin habe die aus der Eisenbahnstrecke mit
sich aufweitendem Rangierbahnhof, dem Zweigkanal sowie der
Bundesstraße 441 gebildete Barriere eine Ausdehnung verhin-
dert. Die benötigten Wohneinheiten erreichten ein Ausmaß und
eine Dringlichkeit, die die Durchführung der Entwicklungsmaß-
nahme rechtfertigten. Der Bedarf könne von der Antragsgegnerin
in städtebaulich vertretbarer Weise nur an der vorgesehenen
Stelle gestillt werden, wenn man nicht fernab der bestehenden
Verkehrsstrukturen einen völlig neuen Siedlungsschwerpunkt
schaffen wolle. Das Bestreben, der neuen Bevölkerung in gewis-
sem Umfang Arbeitsmöglichkeiten zu bieten, rechtfertige auch
die Ansiedlung von Gewerbe. Der Maßnahme könne nicht entgegen-
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gehalten werden, der beschriebene Wohnraumbedarf könne auch in
anderen Gemeinden des Großraums H. gestillt werden. Denn damit
können die genannten städtebaulichen Defizite nicht wesentlich
bekämpft werden. Das Vorhaben könne auf der Grundlage einer
reinen Angebotsplanung auch nicht alsbald verwirklicht werden.
Die zügige Durchführung der Maßnahme sei gewährleistet; die
sich stellenden Probleme könnten innerhalb des zwölf Jahre
vorsehenden Zeitraums bewältigt werden.
Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Revision trägt die
Antragstellerin vor: Die tatsächlichen Feststellungen des Nor-
menkontrollgerichts ergäben nicht, dass auf dem Gebiet der An-
tragsgegnerin die Nachfrage nach Wohnstätten das Angebot aus
strukturellen Gründen längerfristig deutlich übersteige. Das
Gericht stütze sich auf Untersuchungen, die die Wohnbedarfs-
entwicklung in Niedersachsen und im Großraum H. beträfen, zum
Teil aber auch nur bundesweite Entwicklungen darstellten. Dar-
aus könne ein erhöhter Bedarf für das Gebiet der Antragsgegne-
rin aber nicht abgeleitet werden. Wenn - wie das Oberverwal-
tungsgericht selbst annehme - der Bedarf auch in anderen Ge-
meinden im Großraum H. befriedigt werden könne, lasse sich ein
erhöhter Bedarf auf dem Gebiet der Antragsgegnerin nicht be-
gründen. Eine Gemeinde, die in der Vergangenheit nur wenige
Bebauungspläne aufgestellt habe, habe gegen ihre Verpflichtung
aus § 1 Abs. 3 BauGB verstoßen. Dies lasse aber nicht die
Rechtsfolge zu, dass jetzt ein erhöhter Bedarf im Sinne von
§ 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB anzunehmen sei. Bestehe eine
städtebaulich zu lösende Lage in mehreren Gemeinden, sei dem
durch die Bildung eines Planungsverbands zu begegnen. Eine
städtebauliche Entwicklungsmaßnahme sei dagegen nicht das an-
gemessene Instrumentarium. Eine Defizitanalyse aus regionaler
Sicht könne eine örtliche Entwicklungssatzung nicht rechtfer-
tigen. Auch ein Bedarf an Arbeitsstätten bestehe nicht. Inso-
weit werde der Bedarf erst durch die Maßnahme selbst geweckt.
Entgegen der in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung sei-
7
en die Enteignungsvoraussetzungen bei Erlass einer städtebau-
lichen Entwicklungsmaßnahme bereits für jedes betroffene
Grundstück zu prüfen.
Die Antragstellerin beantragt,
das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungs-
gerichts vom 28. November 2000 aufzuheben und die
Satzung der Antragsgegnerin über die förmliche
Festlegung des Bereichs S.-Süd als städtebaulichen
Entwicklungsbereich vom 23. Mai 1996 für nichtig zu
erklären.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Normenkontrollurteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren be-
teiligt. Er tritt dem Revisionsvorbringen entgegen.
II.
Die Revision der Antragstellerin ist zulässig, aber unbegrün-
det.
Das Normenkontrollgericht ist ohne Verstoß gegen Bundesrecht
zu dem Ergebnis gelangt, dass die angegriffene Satzung die An-
forderungen erfüllt, die das Baugesetzbuch an städtebauliche
Entwicklungsmaßnahmen stellt.
1. Mit dem Oberverwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass
die angegriffene Entwicklungsmaßnahme einem der in § 165
Abs. 2 BauGB genannten Ziele und Zwecke entspricht und damit
dem Erfordernis der Zielkonformität nach § 165 Abs. 3 Satz 1
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Nr. 1 BauGB gerecht wird. Die Maßnahme dient dazu, Teile des
Gemeindegebiets entsprechend ihrer besonderen Bedeutung für
die städtebauliche Entwicklung und Ordnung der Gemeinde erst-
malig zu entwickeln. Ihre "besondere Bedeutung" zeigt sich
schon an der Größe der betroffenen Fläche und der Zahl der mit
Wohnraum zu versorgenden Einwohner sowie dem herausragenden
Stellenwert, der der erstmaligen Überplanung der unmittelbar
jenseits der wie eine Barriere wirkenden Bahnanlagen und des
Kanals liegenden, verkehrsmäßig gut angeschlossenen Flächen
zukommt. Dies wird auch von der Antragstellerin nicht mehr
ernstlich in Frage gestellt.
In der Satzungsbegründung der Antragsgegnerin wird überdies
dargelegt, der Entwicklungsbereich solle auch entsprechend der
angestrebten Entwicklung in der Region erstmalig entwickelt
werden. Das Normenkontrollgericht geht darauf nicht näher ein.
Dies ist indes unerheblich. Zwar stehen beide Zwecke in § 165
Abs. 2 BauGB selbständig nebeneinander. Dies schließt aber
nicht aus, dass eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme beide
Zwecke erfüllt. Die Schaffung eines neuen Siedlungsschwer-
punkts kann sowohl von besonderer Bedeutung für die städtebau-
liche Entwicklung einer Gemeinde sein als auch zugleich einem
Ziel der Regionalplanung für das Gemeindegebiet entsprechen.
2. Die angegriffene Maßnahme erfüllt auch die in § 165 Abs. 3
Satz 1 Nr. 2 BauGB normierte Voraussetzung, wonach das Wohl
der Allgemeinheit die Durchführung der städtebaulichen Ent-
wicklungsmaßnahme – insbesondere zur Deckung eines erhöhten
Bedarfs an Wohn- und Arbeitsstätten – erfordert.
2.1 Eine Entwicklungsmaßnahme setzt einen qualifizierten städ-
tebaulichen Handlungsbedarf voraus, der aus Gründen des Wohls
der Allgemeinheit ein planmäßiges und aufeinander abgestimmtes
Vorgehen erfordert. Das städtebauliche Vorhaben muss insbeson-
dere den Charakter einer Gesamtmaßnahme haben, die darauf an-
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gelegt ist, für einen bestimmten Bereich ein Geflecht mehrerer
Einzelmaßnahmen über einen längeren Zeitraum koordiniert und
aufeinander abgestimmt vorzubereiten und durchzuführen. Es
muss sich also um ein koordiniertes Maßnahmenbündel handeln,
das durch eine flächendeckende und zeitlich geschlossene Pla-
nungskonzeption für ein exakt umgrenztes Gebiet verwirklicht
werden soll (vgl. BVerwG, Urteile vom 21. August 1981 - BVerwG
4 C 16.78 - Buchholz 406.15 § 15 StBauFG Nr. 3 = NJW 1982, 398
und vom 3. Juli 1998 - BVerwG 4 CN 2.97 - BVerwGE 107, 123 =
Buchholz 406.11 § 165 BauGB Nr. 3 = BRS 60 Nr. 225;
Krautzberger, WiVerw 1993, 85, 94). Diese Voraussetzungen ste-
hen hier außer Frage.
Eine derartige Maßnahme muss ferner vom Wohl der Allgemeinheit
gefordert sein. Mit der Reaktivierung der städtebaulichen Ent-
wicklungsmaßnahme im Wohnungsbauerleichterungsgesetz wurde der
Wortlaut des § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB dahingehend er-
gänzt, dass hierzu insbesondere die Deckung eines erhöhten Be-
darfs an Wohn- und Arbeitsstätten zählt. Dabei ist der Begriff
des erhöhten Bedarfs nicht mit demjenigen des dringenden Wohn-
bedarfs identisch, an den der Gesetzgeber im BauGB-Maßnahmen-
gesetz eine Reihe von Erleichterungen im Allgemeinen Städte-
baurecht für Gemeinden bei der Aufstellung von Bebauungsplänen
sowie für Bauherren geknüpft hat. Ein dringender Bedarf lässt
sich, zumal dann, wenn der Kreis der Bedarfsträger überschau-
bar ist, möglicherweise ohne weiteres kurzfristig mit den nor-
malen Mitteln der Bauleitplanung befriedigen. Von einem erhöh-
ten Bedarf kann erst dann gesprochen werden, wenn die Nachfra-
ge das Angebot aus strukturellen Gründen längerfristig deut-
lich übersteigt. Allgemeine konjunkturelle Entwicklungen oder
Schwankungen im Wohnungsmarkt reichen zur Begründung nicht
aus. Hinzu kommen muss, dass nur eine städtebauliche Gesamt-
maßnahme, die durch eine einheitliche Vorbereitung und eine
zügige Durchführung im Sinne des § 165 Abs. 1 BauGB gekenn-
zeichnet ist, die Erwartung rechtfertigt, den zu Tage getrete-
10
nen Bedarf wenigstens mittelfristig decken zu können (vgl.
BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1998 - BVerwG 4 CN 5.97 - Buchholz
406.11 § 165 BauGB Nr. 4 = BRS 60 Nr. 229). Bundesweite oder
große Teile des Bundesgebiets betreffende Entwicklungen können
für sich genommen einen erhöhten Bedarf für den maßgeblichen
Bereich nicht begründen. Denn eine städtebauliche Entwick-
lungsmaßnahme ist nur dann vom Erfordernis des Wohls der All-
gemeinheit gedeckt, wenn ein höherer Bedarf besteht als der,
der sich auf den gesamten Geltungsbereich des Gesetzes er-
streckt.
Ein derartiger erhöhter Bedarf muss sich jedoch entgegen der
Auffassung der Revision nicht allein auf das Gebiet der ein-
zelnen die Satzung erlassenden Gemeinde erstrecken. Dagegen
spricht bereits der Wortlaut von § 165 Abs. 2 BauGB, wonach
Ortsteile und andere Teile des Gemeindegebiets entsprechend
ihrer besonderen Bedeutung für die städtebauliche Entwicklung
und Ordnung der Gemeinde oder entsprechend der angestrebten
Entwicklung des Landesgebiets oder der Region entwickelt wer-
den sollen. Auch die Gesetzesgeschichte deutet in diese Rich-
tung. Im Städtebauförderungsgesetz stellte die städtebauliche
Entwicklungsmaßnahme in erster Linie ein Instrumentarium der
Landesplanung dar. Mit der Herabzonung durch das BauGB-Maß-
nahmengesetz sollte die Einbindung in die Landes- und Regio-
nalplanung jedoch nicht aufgegeben werden. Daraus folgt zum
einen, dass ein erhöhter Bedarf, der eine Maßnahme im Gel-
tungsbereich einer bestimmten Gemeinde rechtfertigt, nicht
deswegen zu verneinen ist, weil ein derartiger qualifizierter
Bedarf auch in einer Nachbargemeinde besteht. Zum anderen wird
die Möglichkeit einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme
nicht allein dadurch in Frage gestellt, dass der beispielswei-
se in einer Hauptstadtregion vorhandene Bedarf auch mit einer
Maßnahme in einer anderen Gemeinde dieser Region befriedigt
werden könnte. Zu Recht verweist der Vertreter des Bundesinte-
resses darauf, dass die Entwicklung auf dem lokalen Wohnungs-
11
markt nicht an den Gemeindegrenzen Halt macht, sondern gerade
in den Ballungsräumen wesentlich von regionalen Faktoren be-
stimmt wird, die sich auch in benachbarten Gemeinden auswirken
können. Die Gründe für einen erhöhten Bedarf an Wohn- und Ar-
beitsstätten können sich auch daraus ergeben, dass überörtli-
che Entwicklungen und örtliche Besonderheiten zusammenwirken.
Sie können ferner sowohl auf der Nachfrageseite liegen als
sich auch aus einem im Verhältnis zur Nachfrage deutlich unzu-
reichenden Angebot ergeben. Häufig werden verschiedene Fakto-
ren zusammenwirken und erst in ihrer Summe eine städtebauliche
Entwicklungsmaßnahme rechtfertigen.
Wenn eine Gemeinde - wie vorliegend - ihren erhöhten Bedarf
auch aus einer besonders hohen Nachfrage ableitet, die durch
einen Zuwanderungsdruck entsteht, der auf eine Hauptstadtregi-
on einwirkt, kommt der rechtlichen Einbindung ihrer Maßnahme
in die jeweiligen Ziele der Landes- und Regionalplanung eine
erhöhte Bedeutung zu. Eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme
steht mit dem Erfordernis des Wohls der Allgemeinheit nicht im
Einklang, wenn sie mit den Zielen und Grundsätzen der Raumord-
nung und Landesplanung einschließlich der Regionalplanung
nicht vereinbar ist. Auf ihre Einhaltung hat auch die Genehmi-
gungsbehörde zu achten. Auf dieser rechtlichen Ebene ist gege-
benenfalls der von der Revision angesprochene Wettbewerb der
Gemeinden zu entscheiden.
Im Übrigen folgt hieraus nicht, dass das Erfordernis und die
wahlweise Möglichkeit, einen erhöhten Wohnbedarf in mehreren
(Nachbar)gemeinden zu befriedigen, stets in jeder dieser Ge-
meinden den Erlass einer Entwicklungssatzung rechtfertigen
werden. Insbesondere ist durchaus denkbar, dass die weiteren
besonderen Voraussetzungen im Hinblick auf die jeweiligen Ver-
hältnisse nicht in allen Gemeinden vorliegen. So kann das Er-
gebnis der erforderlichen Untersuchungen ergeben, dass zwar in
mehreren zu einer Region gehörenden Gemeinden ein erhöhter Be-
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darf an Wohnstätten besteht. Es mag sich aber erweisen, dass
nur in einer dieser Gemeinden das Wohl der Allgemeinheit eine
städtebauliche Entwicklungsmaßnahme erfordert, während in den
anderen Gemeinden eine Befriedigung des Bedarfs mit den übli-
chen Mitteln der Bauleitplanung möglich ist.
2.2 Die Schlussfolgerung des Normenkontrollgerichts, das Wohl
der Allgemeinheit erfordere die Durchführung der beschlossenen
städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme in S.-Süd, steht mit Bun-
desrecht im Einklang.
Auf der Grundlage der von ihm ausgewerteten Gutachten und
Stellungnahmen gelangt das Gericht zu der Feststellung, dass
die Antragsgegnerin zu Recht von einem Bedarf an Wohnstätten
ausgeht, der zumindest 6 000 Personen entspricht. Für den ge-
samten Großraum H. sind nach den vom Gericht als überzeugend
angesehenen Ausführungen des Zweckverbands von 1990 bis 2000
rund 62 000 Zuwanderer zu erwarten, von denen sich lediglich
27 000 im Bereich der Stadt H. niederlassen werden. Für die
Antragsgegnerin wurde ein Bedarf an Wohnraum für 9 000 Perso-
nen prophezeit; davon soll lediglich ein Teil, nämlich die ge-
nannten 6 000 Personen, befriedigt werden.
Das Normenkontrollgericht kommt zu dem Ergebnis, dass das Woh-
nungsangebot im Gebiet der Antragsgegnerin aus mehreren Grün-
den erschöpft ist und Abhilfe hierfür kurzfristig und ohne
Überplanung des Gebiets S.-Süd nicht zu erkennen ist. Die
Hauptstadtregion H., zu der auch die Antragsgegnerin gehört,
sei einem starken Zuwanderungsdruck ausgesetzt (Wanderungsbe-
wegungen aus Osteuropa, Aussiedler, Asylbewerber sowie in Fol-
ge des Falls der "Mauer"), der die vorhandenen Wohnbaureserven
erschöpft habe. Auf dem Gebiet der Antragsgegnerin seien in
deutlich unterdurchschnittlichem Umfang Wohnbauflächen bereit-
gestellt worden. Dies finde seine Ursache auch und vor allem
in der besonderen Situation, die das Gemeindegebiet präge:
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Nach Norden verhindere der Verlauf der Gemeindegrenze zur Lan-
deshauptstadt H. eine Ausweitung der Hauptsiedlungsschwerpunk-
te. Nach Süden habe die Barriere aus der Eisenbahnstrecke mit
sich ausweitendem Rangierbahnhof, dem Kanal und der B 441 eine
Ausdehnung verhindert. Die kleineren Ortsteile seien für die
Aufnahme von Geschosswohnungsbau in der benötigten Größenord-
nung ungeeignet. Der Bedarf an Wohnraum nehme zu, weil die
Zahl der Bewohner je Wohneinheit insbesondere in städtischen
Ballungszentren merklich sinke. Hinzu träten die im Großraum
H. als der ersten Stadt im Westen in besonderem Maße zu erwar-
tenden Zuwanderer aus Osteuropa, die sich lediglich zu einem
Teil im Bereich der Landeshauptstadt niederlassen würden.
Die Antragstellerin stellt nicht in Frage, dass die genannten
Erkenntnisse geeignet sind, einen erhöhten Bedarf an Wohnstät-
ten im Großraum H. zu begründen. Auch räumt sie ein, dass die
sich auf den Großraum H. beziehenden Erkenntnisse auch für das
Gebiet der Antragsgegnerin zutreffen mögen. Ohnehin hat sie
gegen die Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts keine re-
visionsrechtlich beachtlichen Rügen erhoben.
Die Revision meint jedoch zum einen, dass ein erhöhter Bedarf
an Wohnstätten nicht mit Erkenntnissen begründet werden könne,
die sich auf andere größere Siedlungsräume oder gar das gesam-
te Bundesgebiet bezögen. Ihr ist insoweit beizupflichten, als
Studien, die sich auf das gesamte Bundesgebiet oder weite Tei-
le davon beziehen, einen erhöhten Bedarf im Sinne von § 165
Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB für sich genommen nicht begründen
können. Dem steht jedoch nicht entgegen, dass ein Planungsträ-
ger sich bei der Ermittlung der Bedarfssituation auch mit all-
gemeinen Entwicklungen auseinanderzusetzen hat, die für sein
Plangebiet Gültigkeit haben. Andernfalls würde er seine Aufga-
be, den maßgeblichen Sachverhalt vollständig zu erfassen, ver-
fehlen. Derartige allgemeine Trends können je nach den Beson-
derheiten des Einzelfalls die örtliche Entwicklung noch ver-
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stärken oder auch abschwächen. Vorliegend verwendet das Nor-
menkontrollgericht die von ihm wiedergegebenen allgemeinen
Trends zu einem höheren Wohnflächenbedarf pro Person lediglich
im Rahmen seiner Argumentation, wonach sich diese Entwicklun-
gen auf dem Gebiet der Antragsgegnerin besonders auswirkten,
weil deren Wohnungsproduktion deutlich unterdurchschnittlich
gewesen sei. Es begründet daher mit den allgemeinen Trends
nicht etwa bereits einen erhöhten Bedarf, sondern benennt in-
soweit Entwicklungen, die bei der speziell für S. vorzunehmen-
den Bewertung zur Feststellung eines Bedarfs beitragen. Dies
ist rechtlich unbedenklich.
Die Revision rügt in diesem Zusammenhang ferner, wenn im ge-
samten Großraum H. ein besonderer Bedarf an Wohnstätten beste-
he, brauche dieser nicht auf dem Gebiet der Antragsgegnerin
befriedigt zu werden. Schon daher sei die städtebauliche Ent-
wicklungsmaßnahme nicht erforderlich. Dem ist aus mehreren
Gründen nicht zu folgen. Zum einen hat das Normenkontrollge-
richt dargelegt, dass das Angebot an Flächen für den Wohnraum
gerade auf dem Gebiet der Antragsgegnerin aus den genannten
Gründen, die mit der Lage am Rangierbahnhof und Kanal zusam-
menhängen, niedriger ist, als in den übrigen Gemeinden der Re-
gion. Hinzu treten Gründe dafür, dass gerade die Antragsgegne-
rin für den Geschosswohnungsbau im Hinblick auf ihre Lage in
der Nähe von H. und die günstige Anbindung an den öffentlichen
Personennahverkehr (S-Bahn Verbindung etc.) besonders attrak-
tiv ist. Zum anderen wird ein erhöhter Bedarf nicht allein da-
durch in Frage gestellt, dass der in einer Gemeinde, die zu
einer Hauptstadtregion gehört, bestehende Bedarf auch mit Maß-
nahmen in einer anderen Gemeinde befriedigt werden könnte.
Wenn in einer Region ein erhöhter Bedarf an Wohn- und/oder Ar-
beitsstätten besteht, ist es Sache der Regionalplanung, dar-
über zu befinden, an welchen Stellen eine diesem Bedarf Rech-
nung tragende gemeindliche Planung in Betracht kommt. Die Pla-
nung der Gemeinde oder des sonstigen Planungsträgers muss mit
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den Zielen der Landes- und Entwicklungsplanung im Einklang
stehen. Dies ist nach dem Inhalt der dem Senat vorliegenden
Akten hier der Fall: Ursprünglich waren weite Teile des Ent-
wicklungsbereichs als Flächen mit besonderer Bedeutung für die
Landwirtschaft dargestellt. Bereits im regionalen Siedlungser-
weiterungskonzept des (früheren) Kommunalverbandes Großraum H.
vom März 1993 ist S. als Schwerpunkt für Wohnstätten darge-
stellt; auch im Regionalen Raumordnungsprogramm 1996 ist S.
nunmehr als regionaler Schwerpunkt für Wohnstätten mit dem Zu-
satz "mehr als 2000 Wohneinheiten" bezeichnet. Hierauf nimmt
die Begründung der Entwicklungssatzung Bezug. Die Genehmi-
gungsbehörde hat überdies noch eine Stellungnahme des Kommu-
nalverbandes Großraum H. eingeholt. Diese wurde unter dem
1. Juli 1998 abgegeben und legt eingehend die Vereinbarkeit
der Maßnahme mit der Regionalplanung dar. Im Übrigen kommt
vorliegend hinzu, dass die Antragsgegnerin nicht etwa beab-
sichtigt, einen bezogen auf ihre Größe überdurchschnittlichen,
sondern nur einen entsprechenden Anteil des in der Region be-
stehenden Bedarfs zu befriedigen.
2.3 Die Revision meint ferner, gerade der zur Begründung ange-
führte "aufgestaute Bedarf" auf dem Gebiet der Antragsgegnerin
verbiete die Bejahung der Voraussetzungen für eine städtebau-
liche Entwicklungsmaßnahme. Wenn die Antragsgegnerin in der
Vergangenheit nur wenige Bebauungspläne aufgestellt habe,
rechtfertige dies eher die Schlussfolgerung, dass sie gegen
ihre Verpflichtung aus § 1 Abs. 3 BauGB verstoßen habe,
(rechtzeitig) Bebauungspläne aufzustellen. Dem könne nicht mit
dem Mittel der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme begegnet
werden.
Das Normenkontrollgericht hat jedoch zum einen nicht festge-
stellt, dass die Antragsgegnerin sich aufdrängende Entwick-
lungsmöglichkeiten nicht wahrgenommen habe – was im Übrigen
noch nicht ohne weiteres eine Verletzung der in § 1 Abs. 3
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BauGB enthaltenen Verpflichtung darstellen würde. Es begründet
die entstandene Situation vielmehr mit der besonderen örtli-
chen Lage des Hauptortsteils S., der im Süden unmittelbar an
die wie eine Barriere wirkenden Bahnanlagen und den Zweigkanal
stößt. Davon abgesehen kann die Zulässigkeit einer für sich
genommen nunmehr städtebaulich erforderlichen Planung, mit der
einem erhöhten Bedarf an Wohn- und Arbeitsstätten begegnet
werden soll, nicht davon abhängig sein, ob früheren Kommunal-
vertretungen oder Planern ein Vorwurf zu machen ist oder
nicht. Entscheidend für das Vorliegen der Voraussetzungen für
eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme ist vielmehr, dass
derzeit ein erhöhter Bedarf besteht, der im Interesse der Ar-
beit oder eine Wohnung suchenden Menschen befriedigt werden
soll. Dem Vertreter des Bundesinteresses ist darin bei-
zupflichten, dass es einer Gemeinde nicht verwehrt sein kann,
in der Vergangenheit möglicherweise begangene "Fehler" mit den
erforderlichen und durch die Rechtsordnung vorgesehenen Mit-
teln zu beheben.
2.4 Die Revision verweist in diesem Zusammenhang ferner da-
rauf, bei einem sich nicht auf einzelne Gemeinden beschränken-
den Bedarf komme die Schaffung eines Planungsverbandes gemäß
§ 205 Abs. 1 BauGB in Betracht. Damit benennt sie eine im Ge-
setz vorgesehene besonders intensive Form der Zusammenarbeit
mehrerer Gemeinden. Die – im Wesentlichen landesrechtlichen -
Regelungen über die Landesplanung und die Regionalplanung
stellen daneben andere Formen der Kooperation und Koordination
zur Verfügung. Diese unterschiedlichen Organisationsformen än-
dern jedoch nichts an der dem danach zuständigen Planungsträ-
ger zugewiesenen Befugnis, nach Maßgabe der gesetzlichen Vo-
raussetzungen eine Satzung über eine städtebauliche Entwick-
lungsmaßnahme zu erlassen.
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2.5 Die angegriffene Satzung leidet auch insoweit nicht an ei-
nem Rechtsfehler, als sie innerhalb der städtebaulichen Ent-
wicklungsmaßnahme für etwa ein Zehntel der Fläche die Auswei-
sung eines Gewerbegebiets vorsieht, in dem Betriebe des non-
food-Bereichs und sonstige nicht störende Gewerbebetriebe un-
tergebracht werden sollen. Der Satzungsbegründung der Antrags-
gegnerin kann entnommen werden, dass die Stadt S. zurzeit über
keine eigenen Gewerbeflächen verfügt. Die Notwendigkeit, über
die wenigen ausgewiesenen Gewerbeflächen hinaus weitere Gewer-
begebiete auszuweisen, begründet die Antragsgegnerin mit der
großen Nachfrage, die sie statistisch belegt. Daraus lässt
sich ableiten, dass in S. auch ein erhöhter Bedarf an Arbeits-
stätten besteht. Wäre dieser isoliert zu betrachten, würde er
eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme für sich genommen im
Hinblick auf die geringe Größe der Fläche und die geringere
Bedeutung für die Entwicklung der Gemeinde möglicherweise
nicht rechtfertigen können. Darauf kommt es hier jedoch nicht
an. Denn die Antragsgegnerin plant vorliegend eine Gesamtmaß-
nahme, mit der in erster Linie ein erhöhter Bedarf an Wohn-
stätten befriedigt werden soll und die nur zu einem unterge-
ordneten Anteil auch der Schaffung von Arbeitsstätten dient.
Im Übrigen nennt der Gesetzgeber die Schaffung von Wohn- und
Arbeitsstätten in unmittelbarem Zusammenhang. Es spricht
nichts dafür, dass er die koordinierte Schaffung von Wohn- und
Arbeitsstätten ausschließen wollte. Vielmehr konnte er davon
ausgehen, dass die gute räumliche Erreichbarkeit von Arbeits-
stätten in der Nähe von ohnehin zu errichtenden Wohnstätten
vernünftigen städtebaulichen Belangen entspricht. Wenn ein er-
höhter Bedarf an Wohnstätten besteht und die Schaffung einer
städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme erfordert, ist es unbe-
denklich, wenn sich die Planung nicht nur auf die Flächen für
Wohnstätten beschränkt, sondern zugleich ein erhöhter Bedarf
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an Arbeitsstätten befriedigt werden soll, dem isoliert be-
trachtet möglicherweise nicht das für eine städtebauliche Ent-
wicklungsmaßnahme gebotene Gewicht zukommen würde.
2.6 Das Oberverwaltungsgericht gelangt ferner zu dem Ergebnis,
dass das mit der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme ange-
strebte Ziel ohne das hierfür vorgesehene Instrumentarium
nicht erreicht werden könnte. Dies begegnet keinen rechtlichen
Bedenken.
Die Revision wendet hierzu ein, das angestrebte Ziel der
schnellen Errichtung einer lang gestreckten Bebauung entlang
der B 441 und der Bahnlinie könne auch mit dem Mittel des Bau-
gebots gemäß § 176 BauGB erreicht werden. Dieser Vortrag ver-
hilft der Revision jedoch nicht zum Erfolg. Zum einen liegt
darin eine prognostische Einschätzung, die auf einer Reihe von
(unausgesprochenen) tatsächlichen Voraussetzungen beruht. Das
Oberverwaltungsgericht hat hierzu nichts festgestellt; die An-
tragstellerin hatte auf diesen Gesichtspunkt auch nicht hinge-
wiesen. Es drängt sich auch in keiner Weise auf und ist erst
recht nicht selbstverständlich, dass "auf der grünen Wiese"
erfolgreich mit diesem Mittel gearbeitet werden könnte. Zum
anderen begründet das Normenkontrollgericht die Annahme, dass
andere Instrumentarien nicht erfolgreich sein werden, selb-
ständig tragend mit der Erwägung, dass die Antragstellerin und
andere Eigentümer nicht zur Veräußerung ihrer Grundstücke be-
reit seien. Daher kann auch ausgeschlossen werden, dass sie
ihre Grundstücke an einen Bauherrn veräußern würden, dem ge-
genüber im Anschluss daran ein Baugebot erlassen werden könn-
te.
2.7 Das Oberverwaltungsgericht hat auch die gebotene Überprü-
fung der gemeindlichen Abwägung nach § 165 Abs. 3 Satz 2 BauGB
vorgenommen. Die Revision beachtet mit ihrem Einwand, die Ver-
legung der B 441 nach Süden sei keineswegs gesichert, nicht
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ausreichend, dass die Antragsgegnerin alternativ sowohl von
der Realisierung dieser Verlegung als auch von dem Verbleib
der Straße im Norden ausgeht und ihrer Abwägung beide Varian-
ten zugrunde legt.
3. Die von der Revision erhobenen verfassungsrechtlichen Ein-
wendungen greifen ebenfalls nicht durch. Nach § 169 Abs. 3
BauGB ist im städtebaulichen Entwicklungsbereich die Enteig-
nung ohne Bebauungsplan zugunsten der Gemeinde oder des Ent-
wicklungsträgers zulässig. Allerdings ist die Gemeinde ver-
pflichtet, die Grundstücke weitgehend zu veräußern, wobei zu-
nächst die früheren Eigentümer zu berücksichtigen sind (§ 169
Abs. 5 ff. BauGB). Diese Regelungen sind verfassungsrechtlich,
insbesondere im Hinblick auf Art. 14 Abs. 3 GG, unbedenklich.
Der Senat hat dies in seinem Urteil vom 3. Juli 1998 – BVerwG
4 CN 5.97 - a.a.O. eingehend begründet (vgl. ferner BVerfG,
Kammerbeschluss vom 4. Juli 2002 - 1 BvR 390/01 - DVBl 2002,
1467; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. September 1994
- 8 S 3002/93 - BRS 57 Nr. 287). Hierauf kann verwiesen wer-
den; auch die Revision stellt dies im Grundsatz nicht in Fra-
ge.
Allerdings ist das Gemeinwohlerfordernis unverzichtbare Vo-
raussetzung für den Erlass einer städtebaulichen Entwicklungs-
maßnahme. Bei der Prüfung, ob das Wohl der Allgemeinheit die
Entwicklungsmaßnahme erfordert, ist daher, wie der Senat in
seinem eine Verordnung nach § 53 StBauFG betreffenden Urteil
vom 15. Januar 1982 – BVerwG 4 C 94.79 – (Buchholz 406.15 § 15
StBauFG Nr. 4) hervorgehoben hat, bereits in Rechnung zu stel-
len, dass im Grundsatz alle unbebauten Grundstücke des Ent-
wicklungsbereichs in das Eigentum der Gemeinde überführt wer-
den sollen. Damit wird die Prüfung der Enteignungsvorausset-
zungen auf den Zeitpunkt des Erlasses der Satzung (früher
Rechtsverordnung) vorverlagert. Dem steht nicht entgegen, dass
es sich hier noch um eine mehr pauschale Prüfung handelt: An-
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gesichts der Großflächigkeit eines Entwicklungsbereichs und
mit Rücksicht darauf, dass bei Erlass der Satzung in der Regel
noch keine ins einzelne gehende Planungskonzeption vorliegt,
können zu diesem Zeitpunkt die Enteignungsvoraussetzungen
nicht schon für jedes einzelne unbebaute Grundstück abschlie-
ßend geprüft werden; zu beachten ist aber in diesem Zeitpunkt
bereits die eigentumsumverteilende Wirkung mit der Folge, dass
das Wohl der Allgemeinheit generell die geplante Entwicklung
einschließlich der gebotenen Enteignungen rechtfertigen muss.
Die Entwicklungssatzung legt somit zum einen mit Bindungswir-
kung für ein nachfolgendes Enteignungsverfahren fest, dass das
Wohl der Allgemeinheit den Eigentumsentzug generell rechtfer-
tigt. Zum anderen kann das private Eigentum gemäß Art. 14
Abs. 3 Satz 1 GG nur dann im Wege der Enteignung entzogen wer-
den, wenn es im konkreten Fall benötigt wird, um besonders
schwerwiegende und dringende öffentliche Interessen zu ver-
wirklichen. Der Enteignungsbetroffene hat einen aus Art. 14
Abs. 1 Satz 1 GG folgenden verfassungsrechtlichen Anspruch auf
effektive gerichtliche Prüfung, ob der konkrete Zugriff auf
sein Eigentum diesen Anforderungen genügt (BVerfG, Kammerbe-
schluss vom 4. Juli 2002 – 1 BvR 390/01 a.a.O.). Ob die Vo-
raussetzungen für den Erlass einer Entwicklungssatzung vorlie-
gen, unterliegt uneingeschränkter richterlicher Überprüfung.
Ob das Wohl der Allgemeinheit die Durchführung einer städte-
baulichen Entwicklungsmaßnahme zur Deckung eines erhöhten Be-
darfs an Wohn- oder Arbeitsstätten erfordert, hängt freilich
von dem Ergebnis einer spezifisch enteignungsrechtlichen Ge-
samtabwägung aller Gemeinwohlgesichtspunkte ab. Die danach ge-
botene Bilanzierung ist nicht mit planerischer Abwägung
gleichzusetzen (Beschluss des Senats vom 5. August 2002
- BVerwG 4 BN 32.02 – ZfBR 2003, 45 = Bundesbaublatt 2002,
Heft 12 S. 65 m.w.N.).
Die Revision vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung,
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bereits bei Erlass der Satzung müsse festgestellt werden kön-
nen, dass die Voraussetzungen für die Enteignung gerade auch
bezüglich jedes einzelnen Grundstücks erfüllt sind. In dieser
Allgemeinheit kann dem nicht gefolgt werden. Vielmehr ist im
Anschluss an das oben genannte Urteil des Senats vom 15. Janu-
ar 1982 zu differenzieren. Die Gemeinde ist nicht verpflich-
tet, schon zum Zeitpunkt des Erlasses der Entwicklungssatzung
hinsichtlich jedes Grundstücks gleichsam parzellenscharf ein
Konzept über die künftige Nutzung vorzulegen. Vielmehr sind
die Bebauungspläne, die die Vorstellungen über die bauliche
oder sonstige Nutzung im Einzelnen festsetzen, erst nach Er-
lass der Entwicklungssatzung zu beschließen (§ 166 Abs. 1
Satz 2 BauGB). Somit darf auch die Entscheidung, ob auf einem
Grundstück die bisherige Nutzung im Grundsatz beibehalten wer-
den soll oder ob beispielsweise im Einzelfall eine Bebauung in
Betracht kommt, die sich an den vorhandenen Grundstücksgrenzen
orientiert und vom Eigentümer selbst realisiert werden kann,
auf diesen Zeitpunkt verschoben werden. Derartige Situationen
werden gerade bei Entwicklungssatzungen in Betracht kommen,
die bereits bebaute Flächen umfassen. Hierfür bilden Umwand-
lungen von bisher militärisch oder industriell/gewerblich ge-
nutzten Gebieten praktische Beispiele. Ebenso ist denkbar,
dass bisher als private Grünflächen genutzte Grundstücke mög-
licherweise auch in Zukunft erhalten bleiben sollen. In diesen
Fällen darf die rechtliche Überprüfung der Enteignungsvoraus-
setzungen im Einzelfall – falls es doch hierzu kommen sollte –
dem Enteignungsverfahren vorbehalten bleiben.
Vorliegend bestehen keine Bedenken dagegen, dass das Wohl der
Allgemeinheit den Entzug des Eigentums generell rechtfertigt.
Das private Eigentum wird hier auch im konkreten Fall benö-
tigt, um besonders schwerwiegende und dringende öffentliche
Interessen zu verwirklichen (vgl. hierzu den Kammerbeschluss
des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juli 2002 - 1 BvR
390/01 - a.a.O.). Nach der bisher erkennbaren (noch groben)
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Planung wird das Grundstück für die Errichtung von Wohnstätten
benötigt. Vorliegend besteht somit Deckungsgleichheit zwischen
der vorgesehenen Nutzung und dem Enteignungsziel. Sollte sich
im Verlaufe der weiteren durch die Aufstellung von Bebauungs-
plänen zu konkretisierenden Entwicklung erweisen, dass auf das
Grundstück der Antragstellerin nicht zurückgegriffen zu werden
braucht, ist dies (spätestens) im Enteignungsverfahren zu be-
rücksichtigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Vorsitzender Richter am Lemmel Halama
Bundesverwaltungsgericht
Dr. Paetow ist erkrankt
und kann deshalb nicht
unterschreiben.
Lemmel
Rojahn Jannasch
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfah-
ren auf 50 000 € festgesetzt.
Vorsitzender Richter am Lemmel Halama
Bundesverwaltungsgericht
Dr. Paetow ist erkrankt
und kann deshalb nicht
unterschreiben.
Lemmel
Rojahn Jannasch