Urteil des BVerwG vom 25.11.2008

BVerwG: alternative begründung, parkplatz, verfahrensmangel, bebauungsplan, beweiswürdigung, gas, genehmigung, rechtskraftwirkung, verfügung, störfall

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 15.08
OVG 10 D 103/06.NE
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. November 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:
Die Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigela-
denen zu 1 und 2 gegen die Nichtzulassung der Revision
in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 6. März 2008 werden zurück-
gewiesen.
Die Antragsgegnerin, die Beigeladene zu 1 und die Beige-
ladene zu 2 tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens
zu je einem Drittel.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
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G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte
Beschwerde der Antragsgegnerin und die auf sämtliche Zulassungsgründe des
§ 132 Abs. 2 VwGO gestützten Beschwerden der Beigeladenen zu 1 und 2 blei-
ben ohne Erfolg.
Das Oberverwaltungsgericht hat den Bebauungsplan aus zwei Gründen für un-
wirksam erklärt: Zum einen sei der Bebauungsplan unter mehreren Gesichts-
punkten abwägungsfehlerhaft und verstoße deshalb gegen § 1 Abs. 7 BauGB;
die Abwägungsfehler seien offensichtlich und ergebnisrelevant. Zum anderen
sei der Bebauungsplan rechtswidrig, weil seine Inkraftsetzung im ergänzenden
Verfahren materiell fehlerhaft gewesen sei. Diese beiden Begründungen tragen
die Feststellungen der Unwirksamkeit des Bebauungsplans jeweils selbständig.
Das stellen auch die Beschwerden nicht in Abrede. Einen Abwägungsfehler
sieht das Oberverwaltungsgericht zunächst darin (1. der Entscheidungsgründe),
dass die Antragsgegnerin im Satzungsbeschluss vom 24. Mai 2006 das für die
Rechtmäßigkeit der Plankonzeption entscheidende Gefahrenpotenzial, das von
dem Nebeneinander von Gasspeicher und Parkplatz ausgeht, vollständig aus-
geklammert habe; insoweit liege ein vollständiger Abwägungsausfall vor (UA
S. 15 bis 19 ). Selbst wenn der Plangeber davon ausgegangen sein soll-
te, dass eine umfassende Abwägung auf der Basis der unveränderten Be-
schlussvorlagen von 2001 und 2003 habe getroffen werden können, würde dies
ebenfalls zu einem Abwägungsausfall führen (UA S. 19 bis S. 23). Soll-
te entgegen diesen Ausführungen eine als umfassend gemeinte Abwägungs-
entscheidung beabsichtigt gewesen und getroffen worden sein, hätte die An-
tragsgegnerin die maßgeblichen Belange in ihrem Gewicht verkannt, so dass
das Abwägungsergebnis fehlerhaft sei (2. der Entscheidungsgründe).
Der in 1. der Entscheidungsgründe festgestellte Abwägungsausfall trägt die
Feststellung eines Verstoßes gegen § 1 Abs. 7 BauGB selbständig. Das Ober-
verwaltungsgericht hat nicht offen gelassen, ob die Antragsgegnerin das ge-
nannte Gefahrenpotential ausgeklammert hat oder nicht, sondern einen ent-
scheidungserheblichen Abwägungsausfall positiv festgestellt (vgl. UA S. 15,
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40). Die unter 2. folgenden Erwägungen zum Abwägungsergebnis stellen ent-
gegen der Auffassung der Beschwerden keine alternative Begründung des
Verstoßes gegen § 1 Abs. 7 BauGB, sondern eine Hilfsbegründung für den Fall
dar, dass das Oberverwaltungsgericht einen Abwägungsausfall zu Unrecht be-
jaht haben sollte. Die Beachtlichkeit der Verstöße gegen § 1 Abs. 7 BauGB be-
gründet das Oberverwaltungsgericht hingegen für die unter 1. und 2. aufgezeig-
ten Abwägungsfehler einheitlich (3. der Entscheidungsgründe, UA S. 41).
Ist eine Entscheidung - wie hier - auf mehrere, jeweils für sich selbständig trag-
fähige Gründe gestützt worden, kann eine Beschwerde nach § 132 Abs. 2
VwGO nur Erfolg haben, wenn der Zulassungsgrund bei jedem der Urteilsgrün-
de zulässig vorgetragen und gegeben ist (vgl. Beschluss vom 19. August 1997
- BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328). Im vorliegenden Fall greifen die Rü-
gen gegen den Abwägungsausfall (1) und dessen Beachtlichkeit (2) nicht
durch. Schon aus diesem Grund können auch die übrigen Rügen den Be-
schwerden nicht zum Erfolg verhelfen.
1.1 In Bezug auf den Abwägungsausfall rügen die Beschwerden, dass das Ur-
teil auf Verfahrensmängeln beruhe.
1.1.1 Beide Beschwerden machen geltend, dass das Oberverwaltungsgericht
gegen § 86 Abs. 1 Satz 1, § 108 Abs. 1 VwGO verstoßen habe (Antragsgegne-
rin: Beschwerdebegründung S. 8 bis 24 ; Beigeladene:
Beschwerdebegründung S. 7 bis 18 ). Das Oberverwaltungsgericht
habe die Planaufstellungsvorgänge nicht ordnungsgemäß ausgewertet und sei
deshalb bei seiner Würdigung dieser Vorgänge von einem unrichtigen und un-
vollständigen Sachverhalt ausgegangen. Aus den Planunterlagen ergebe sich
eindeutig, dass die Antragsgegnerin im Jahr 2006 unter Einbeziehung des Vor-
gangs aus 2003 eine vollständige, auch das Nebeneinander von Parkplatz und
Gasspeicher berücksichtigende Abwägungsentscheidung getroffen, mindestens
aber ihre alte Abwägung bestätigt habe.
Soweit es um die - vom Oberverwaltungsgericht verneinte - Frage geht, ob der
Plangeber im Satzungsbeschluss vom 24. Mai 2006 überhaupt eine das Gefah-
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renpotenzial des Erdgasspeichers einbeziehende Abwägungsentscheidung
treffen wollte, würde das Urteil auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler
nicht beruhen. Das Oberverwaltungsgericht hat für den Fall, dass der Plange-
ber davon ausgegangen sein sollte, dass eine umfassende Abwägung auf der
Basis der unveränderten Beschlussvorlagen von 2001 und 2003 sowie der zu-
sätzlichen Anregungen und Einwendungen zu dem geänderten Teil des Plan-
entwurfs getroffen werden könne, angenommen, dass auch dieses Vorgehen
im vorliegenden Fall fehlerhaft wäre und ebenfalls zu einem Abwägungsausfall
führen würde. Denn die Rechtswidrigkeit der unwirksamen Satzungsbeschlüsse
vom 28. November 2001 und 15. Oktober 2003 beruhe gerade auf erheblichen
Abwägungsdefiziten, die durch bloße Übernahme in die aktuelle Beschlussvor-
lage nicht zu beheben gewesen seien (UA S. 19). Auch diese Erwägung ist in-
nerhalb der Begründung des unter 1. dargelegten Abwägungsausfalls selb-
ständig tragend. In Bezug auf sie legen die Beschwerden Gründe für die Zulas-
sung der Revision nicht dar.
Beide Beschwerden machen allerdings in Bezug auf die unter 2.1 der Ent-
scheidungsgründe dargelegte Würdigung der in das Planaufstellungsverfahren
eingeführten gutachtlichen Stellungnahmen und weiteren Materialien geltend,
dass das Oberverwaltungsgericht auch die dem Satzungsbeschluss vom
15. Oktober 2003 zugrundeliegenden Beschlussvorlagen 1775/2003/6 bzw.
1775E/2003/6 nebst Anlagen nur unvollständig ausgewertet habe (Antragsgeg-
nerin: Beschwerdebegründung S. 35 bis 42 ; Beigela-
dene: Beschwerdebegründung S. 12 bis 18 ). Die Antragsgegnerin re-
feriert, welche Überlegungen die Antragsgegnerin zum Gefahrenpotential des
Gasspeichers in dem „erweiterten Abwägungsmaterial“ (Anlage 1 der Be-
schlussvorlage 1775/2003/6) angestellt habe, und rügt, dass das Oberverwal-
tungsgericht hierauf nicht eingegangen sei. Die Beigeladenen werfen dem
Oberverwaltungsgericht vor, das gesamte Abwägungsprogramm aus der Be-
schlussvorlage 1775/2003/6 bzw. 1775E/2003/6 bei seiner Urteilsbegründung
„vollständig unterschlagen“ (Beschwerdebegründung S. 14) zu haben.
Ob damit bezogen auf den Abwägungsausfall ein Zulassungsgrund hinreichend
dargelegt ist, kann dahinstehen, denn die Vorwürfe sind unbegründet. Dem
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Oberverwaltungsgericht haben die genannten Beschlussvorlagen einschließlich
der Anlagen sowohl in dem durch Beschluss vom 27. November 2003 beende-
ten einstweiligen Rechtsschutzverfahren als auch im jetzigen Hauptsachever-
fahren vollständig vorgelegen. Auf der Grundlage dieser Unterlagen hat es be-
reits im Eilverfahren als offen angesehen, ob die im Rahmen der Abwägung
getroffene Bewertung der Risiken durch den Rat der Antragsgegnerin im Er-
gebnis vertretbar sei (OVG Münster, Beschluss vom 27. November 2003
- 10a B 1241/03.NE - juris Rn. 8). Die Frage der Wahrscheinlichkeit des Aus-
tritts von Gas aus der streitigen Anlage und die vorzunehmende Risikobewer-
tung, die von den beteiligten Behörden unterschiedlich beurteilt würden, er-
scheine derzeit als nicht hinreichend geklärt (OVG Münster, Beschluss vom
27. November 2003 a.a.O.). Dies hatte es unter Bezugnahme insbesondere auf
den Genehmigungsbescheid des Staatlichen Umweltamtes Duisburg vom
20. Februar 2002 sowie des Schreibens des Staatlichen Umweltamtes vom
6. Oktober 2003 näher dargelegt. An dieser Würdigung der Aufstellungsvor-
gänge hat es im angefochtenen Urteil festgehalten. Ergänzend hat es darauf
hingewiesen, dass ersichtlich unbewältigt insbesondere ein Kerndefizit der bis-
herigen Planung sei, nämlich der Umstand, dass die immissionsschutzrechtli-
che Genehmigung des Erdgasspeichers das Vorhandensein des Parkplatzes
ignoriert habe, während die Bauleitplanung des Parkplatzes davon ausgegan-
gen sei, bei der Genehmigung des Speichers sei dessen Gefahrenpotential
umfassend bewältigt worden (UA S. 22). Dass das Oberverwaltungsgericht un-
ter 1. und 2.1 der Entscheidungsgründe nicht auf die Begründung der Ratsvor-
lage im Einzelnen und nicht auf jede ihrer Anlagen und die in der Beschlussvor-
lage erwähnten oder auszugsweise zitierten Gutachten und Stellungnahmen
eingegangen ist, rechtfertigt nicht den Schluss, dass es diese nicht zur Kennt-
nis genommen habe und insoweit von einem unvollständigen Sachverhalt aus-
gegangen sei. Es hat vielmehr die Frage des Gefahrenpotentials „trotz der Ein-
beziehung des 'erweiterten Abwägungsmaterials’“ (UA S. 22) nach wie vor als
nicht hinreichend geklärt angesehen. Der Sache nach machen die Beschwer-
den keinen Verfahrensmangel geltend, sondern kritisieren die Beweiswürdi-
gung des Oberverwaltungsgerichts. Die Beweiswürdigung ist jedoch revisions-
rechtlich regelmäßig dem sachlichen Recht zuzurechnen, so dass mit Angriffen
gegen die Beweiswürdigung grundsätzlich ein Verfahrensmangel i.S.d. § 132
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Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht bezeichnet werden kann (Beschluss vom 12. Januar
1995 - BVerwG 4 B 197.94 - Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4 S. 4).
1.1.2 Die Antragsgegnerin sieht einen weiteren Verfahrensmangel darin, dass
das Oberverwaltungsgericht ihren Antrag abgelehnt hat, zum Beweis der Tat-
sache,
dass bei der Abwägung des Rates zum Satzungsbe-
schluss vom 15. Oktober 2003 neben den jedem einzel-
nen Ratsmitglied übersandten Unterlagen weitere um-
fangreiche Unterlagen in Gestalt mehrerer Aktenordner
aus dem Verfahren über die Erdgasröhrenanlage, insbe-
sondere mit dem Sicherheitsbericht und der Störfallanaly-
se aus dem Haus der Beigeladenen zu 2 im Ratssaal zur
Einsichtnahme zur Verfügung standen,
den Zeugen L. zu vernehmen (Beschwerdebegründung S. 25 bis 28
rensmangel Nr. 2>). Das Oberverwaltungsgericht hat den Antrag abgelehnt,
zum einen weil es für Gegenstand und Rechtmäßigkeit der am 24. Mai 2006
getroffenen - allein streitgegenständlichen - Ratsentscheidung ohne jede Be-
deutung sei, ob und ggf. welche Aktenordner drei Jahre zuvor im Ratssaal vor-
handen gewesen seien; zum anderen sei allein das Vorhandensein von Materi-
al im Ratssaal kein hinreichendes Indiz dafür, dass der Plangeber Abwä-
gungsmaterial zur Kenntnis nehme und ergebnisoffen in seine Entscheidung
einbeziehe; insofern aussagekräftig seien vielmehr die Planbegründung und die
von der Verwaltung erarbeiteten Entscheidungsvorschläge (UA S. 19 f.). Inwie-
fern diese Begründung fehlerhaft sein sollte, legt die Antragsgegnerin nicht dar.
Soweit sie geltend macht, der Zeuge hätte bekundet, dass den Ratsmitgliedern
auch die Anlagen zu der Abwägungsvorlage 0253/2006/B, die dem Satzungs-
beschluss vom 24. Mai 2006 zugrunde lag, zur Verfügung gestanden hätten,
kann sich daraus die Erforderlichkeit seiner Einvernahme schon deshalb nicht
ergeben, weil sie lediglich beantragt hatte, ihn zum Satzungsbeschluss vom
15. Oktober 2003, nicht jedoch zum Satzungsbeschluss vom 24. Mai 2006 zu
vernehmen. Im Übrigen hat das Oberverwaltungsgericht - wie bereits darge-
legt - hilfsweise unterstellt, dass der Plangeber eine umfassende Abwägung auf
der Basis der Beschlussvorlagen von 2001 und 2003 einschließlich aller Anla-
gen vorgenommen habe (UA S. 18, 19).
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1.2 Die Bejahung eines Abwägungsausfalls hat auch nicht die grundsätzliche
Bedeutung, die ihr die Beschwerden beimessen.
1.2.1 Beide Beschwerden möchten rechtsgrundsätzlich geklärt wissen, ob und
inwieweit in einem ergänzenden Verfahren eine erneute Abwägung erforderlich
ist, insbesondere ob eine „sektorale Abwägung“ nur der durch die Änderung
betroffenen Belange zulässig ist (Antragsgegnerin: Beschwerdebegründung
S. 29 bis 33 ; Beigeladene: Beschwerdebegründung S. 39 bis 42
). Diese Frage würde sich in dieser Allgemeinheit in einem Revisions-
verfahren nicht stellen; im Übrigen bedürfte sie nicht der Klärung in einem Re-
visionsverfahren. Das Oberverwaltungsgericht hat ausdrücklich klargestellt,
dass in einem ergänzenden Verfahren nicht in jedem Fall eine erneute Abwä-
gungsentscheidung getroffen werden muss (UA S. 20). Es hat festgestellt, dass
die den Satzungsbeschlüssen vom 28. November 2001 und vom 15. Oktober
2003 zugrundeliegende Abwägung u.a. deshalb unzureichend war, weil die An-
tragsgegnerin das Gefahrenpotenzial des Erdgasspeichers für die Stellplatzan-
lage nicht hinreichend ermittelt und abgewogen hatte; die aus dem Nebenein-
ander von Erdgasspeicher und Stellplatzanlage folgenden Risiken und Gefah-
ren beträfen den Kernbereich der streitgegenständlichen Plankonzeption (UA
S. 21). Unter diesen Umständen hat es für die Abwägung der durch den Erd-
gasspeicher betroffenen Belange eine Bezugnahme auf den Satzungsbe-
schluss vom 15. Oktober 2003 nicht als ausreichend angesehen. Die Frage, ob
die Bezugnahme auf den vorangegangenen Satzungsbeschluss dem Abwä-
gungsgebot genügt hätte, wenn die Antragsgegnerin im damaligen Verfahren
die sich aus dem Nebeneinander von Erdgasspeicher und Stellplatzanlage er-
gebenden Belange fehlerfrei abgewogen hätte, würde sich im Revisionsverfah-
ren mithin nicht stellen. Dass sich die Gemeinde in einem ergänzenden Verfah-
ren nicht darauf beschränken darf, einen rechtskräftig festgestellten Abwä-
gungsfehler zu beseitigen und die insoweit berührten Belange erneut abzuwä-
gen, wenn die bisherige Abwägung aus einem weiteren Grund fehlerhaft war,
versteht sich von selbst und bedarf nicht der Bestätigung in einem Revisions-
verfahren. In einem solchen Fall muss in dem ergänzenden Verfahren auch der
weitere Abwägungsfehler behoben werden. Die Frage, ob es hierfür erforderlich
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ist, alle Belange, also auch solche, die bisher für sich genommen fehlerfrei in
das Abwägungsergebnis eingegangen sind, erneut abzuwägen, würde sich
nicht stellen, weil die durch das Nebeneinander von Erdgasspeicher und Stell-
platzanlage berührten Belange nach den Feststellungen des Oberverwaltungs-
gerichts im ursprünglichen und im ersten ergänzenden Verfahren für sich ge-
nommen gerade nicht fehlerfrei ermittelt und abgewogen worden waren.
1.2.2 Die Beigeladenen werfen außerdem als rechtsgrundsätzlich bedeutsam
die Frage auf (Beschwerdebegründung S. 79 bis 85 ),
welche präjudizielle Rechtskraftwirkung einem ablehnen-
den Beschluss nach § 80 Abs. 7 VwGO (analog) zu-
kommt, insbesondere wenn das Gericht in den Entschei-
dungsgründen offen lässt, ob nach einem zwischenzeitlich
durchgeführten ergänzenden Verfahren die Entscheidung
des Plangebers abwägungsfehlerfrei gelöst worden ist.
Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Das Ober-
verwaltungsgericht hat eine erneute Abwägung der durch den Erdgasspeicher
betroffenen Belange nicht deshalb für erforderlich gehalten, weil sein im Ver-
fahren nach § 80 Abs. 7 VwGO ergangener Beschluss vom 27. November 2003
in Rechtskraft erwachsen sei. Dass die dem Satzungsbeschluss vom
15. Oktober 2003 zugrundeliegende Abwägung dieser Belange fehlerhaft sei,
hatte es in seinem Beschluss im Übrigen nicht festgestellt, sondern die Frage,
ob die im Rahmen der Abwägung getroffene Bewertung der Risiken durch den
Rat der Antragsgegnerin im Ergebnis vertretbar sei, als offen bezeichnet. Da
diese Frage im Urteil vom 29. September 2004 nach der Auffassung des Ober-
verwaltungsgerichts nicht geklärt werden musste, weil der Bebauungsplan be-
reits aus einem anderen Grund unwirksam war, die Planung im Ergebnis aber
nur dann Bestand haben konnte, wenn eine weitere Aufklärung des Sachver-
halts die dem Satzungsbeschluss vom 15. Oktober 2003 zugrundeliegende Ein-
schätzung der Antragsgegnerin, dass nach Maßgabe praktischer Vernunft mit
dem Austreten von Gas nicht zu rechnen sei, bestätigt hätte, hat das Oberver-
waltungsgericht aus dem Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7 BauGB) hergeleitet,
dass die Antragsgegnerin das Gefahrenpotential des Gasspeichers selbst hätte
weiter aufklären und die Belange auf der Grundlage der gewonnenen Erkennt-
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nisse insgesamt neu hätte abwägen müssen. Es hatte keinen Anlass, seine im
Beschluss vom 27. November 2003 dargelegte Auffassung, dass die dem er-
neuten Satzungsbeschluss vom 15. Oktober 2003 zugrundeliegenden Erkennt-
nisse nicht ausreichten, um die Vertretbarkeit des Abwägungsergebnisses zu
beurteilen, in Frage zu stellen. Dass es hieran aus Gründen der Rechtskraft
gehindert gewesen wäre, hat es nicht angenommen.
Mit der unter B. II. 11 formulierten Frage (Beschwerdebegründung S. 86 bis 88)
zeigen die Beigeladenen einen über die vorangegangene Frage hinausgehen-
den rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf nicht auf. Soweit sie nicht nur geklärt
wissen möchten, welche Rechtskraftwirkung, sondern auch welche Präjudizwir-
kung oder sonstige Aussagekraft gerichtlichen Feststellungen zu einem mögli-
chen Vorliegen eines Abwägungsmangels zukommt, ist die Frage auf die Um-
stände des vorliegenden Falles zugeschnitten und einer rechtsgrundsätzlichen
Klärung nicht zugänglich.
2. Die in Bezug auf die Beachtlichkeit des Abwägungsausfalls erhobenen Rü-
gen gegen die Nichtzulassung der Revision greifen ebenfalls nicht durch.
Beide Beschwerden rügen, dass das Oberverwaltungsgericht die Ergebnisrele-
vanz nicht hätte bejahen dürfen, ohne den Beweisanträgen der Beigeladenen
nachzugehen (Antragsgegnerin: Beschwerdebegründung S. 73 bis 75
rensfehler Nr. 5>; Beigeladene: Beschwerdebegründung S. 18 bis 25 ).
Die Beigeladenen hatten beantragt, zum Beweis der Tatsache,
dass von der vollgefüllten Röhrenanlage nach Maßgabe
praktischer Vernunft weder durch eine glühende Zigarette
bei gleichzeitiger Leckage noch durch ein Eindringen von
Gas in den Motorraum eines Pkw noch durch ein sonsti-
ges Ereignis eine Gefahr ausgeht,
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dass der durch die 1,20 m dicke Erdüberdeckung bewirkte
vertikale Abstand zwischen der Röhrenanlage und dem
Parkplatz ausreichend sei, um einen schweren Unfall
i.S.d. Seveso-II-Richtlinie bzw. einen Störfall gemäß der
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12. BImSchV nach Maßgabe praktischer Vernunft auszu-
schließen,
einen präsenten Sachverständigen zu hören bzw. hilfsweise ein Sachverständi-
gengutachten einzuholen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Erforderlichkeit
der Beweiserhebung unter 2.4 der Entscheidungsgründe im Rahmen der Frage
erörtert, ob auch ein horizontaler „Null-Abstand“ zwischen Parkplatz und Erd-
gasspeicher mit dem Abwägungsgebot und § 50 BImSchG vereinbar ist. Es hat
den Antrag abgelehnt, weil das Gutachten unabhängig von seinem Ergebnis
den Ausgang des Rechtsstreits nicht beeinflussen würde (UA S. 39). Selbst
wenn das Gutachten ergeben würde, dass das geplante Nebeneinander von
Parkplatz und Gasspeicher durch Nutzungseinschränkungen oder eine gewisse
Verkleinerung der Stellplatzflächen gefahrlos gestaltet werden könne oder auch
bei unveränderter Beibehaltung des derzeitigen Zustandes gefahrlos wäre,
würde dies an dem entscheidungserheblichen Abwägungsausfall nichts ändern.
Dies wäre nur anders, wenn der Plangeber eine Abwägungsentscheidung zu
diesem Aspekt seiner Plankonzeption getroffen hätte; eine solche wäre ggf. auf
ihre Plausibilität gutachtlich zu untersuchen gewesen. Es sei indes nicht Aufga-
be des Gerichts, die Sachlage für einen nicht entscheidungserheblichen Zeit-
punkt gutachterlich zu ermitteln bzw. die Rechtslage für einen solchen Zeit-
punkt zu bewerten (UA S. 40).
Diese Begründung für die Ablehnung des Beweisantrags ist nicht zu beanstan-
den. Das Tatsachengericht braucht einem Beweisantrag nicht nachzugehen,
wenn das mutmaßliche Beweisergebnis nicht entscheidungserheblich ist. Ob
dies der Fall ist, beurteilt sich nach der materiellen Rechtsauffassung des Tat-
sachengerichts (Beschlüsse vom 27. April 1999 - BVerwG 6 B 26.99 - juris und
vom 13. Juni 2007 - BVerwG 4 BN 6.07 - juris). Das Oberverwaltungsgericht
war der Auffassung, dass die Antragsgegnerin für eine fehlerfreie Abwägung
die beantragten Beweise selbst hätte einstellen müssen. Das ist nicht gesche-
hen. Eine Beweisaufnahme im gerichtlichen Verfahren hätte an diesem partiel-
len Abwägungsfall nichts mehr ändern können; maßgebend für die Abwägung
ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Sat-
zung (§ 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB). Dass dieser Mangel im Abwägungsvorgang
i.S.d. § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB auf das Abwägungsergebnis von Einfluss
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gewesen sein konnte, lag, gerade weil das Gefahrenpotential des Erdgasspei-
chers für die Stellplatzanlage nicht geklärt war, auf der Hand. Dass es sich um
einen „entscheidungserheblichen Abwägungsausfall“ (UA S. 40) handelt, be-
durfte deshalb keiner weiteren Darlegung. Die Argumentation des Gerichts
stellt auch nicht - wie die Antragsgegnerin geltend macht (Beschwerdebegrün-
dung S. 74) - einen Zirkelschluss dar. Das Oberverwaltungsgericht hat offen
gelassen, ob bzgl. des Gefahrenpotentials des Erdgasspeichers ein Abwä-
gungsausfall vorliegt oder nicht, sondern - wie bereits dargelegt (S. 3 dieses
Beschlusses) - insoweit einen entscheidungserheblichen Abwägungsausfall
positiv festgestellt. Das Oberverwaltungsgericht hat schließlich nicht - wie die
Beigeladenen geltend machen (Beschwerdebegründung S. 28 f.) - auf S. 41
seines Urteils auch für die Ergebnisrelevanz des Abwägungsausfalls unterstellt,
dass von der Röhrenanlage tatsächlich Gefahren für die Stellplatzanlage aus-
gehen. Dass der Abwägungsausfall unabhängig vom Ergebnis der beantragten
Beweisaufnahme entscheidungserheblich sei, hatte es bereits auf S. 40 darge-
legt. Die Aussage, dass die Ergebnisrelevanz der Abwägungsfehler auf der
Hand liege, weil eine Berücksichtigung der von dem Nebeneinander von Erd-
gasspeicher und Stellplatzanlage ausgehenden Gefahren eine Modifizierung
des Plankonzepts erzwungen hätte (UA S. 41), bezieht sich dementsprechend
entscheidungstragend nur auf die unter 2. der Entscheidungsgründe aufgezeig-
ten Abwägungsfehler.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
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