Urteil des BVerwG vom 18.10.2012

BVerwG: Apotheke, apothekenpflichtige Arzneimittel, verschreibungspflichtige Arzneimittel, nichtverschreibungspflichtige apothekenpflichtige Arzneimittel, Selbstbedienung, Selbstbedienungsverbot

BVerwG 3 C 25.11
Rechtsquellen:
AMG § 43 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 Nr. 2
ApBetrO § 17 Abs. 3, § 20
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1
Stichworte:
Apotheke; apothekenpflichtige Arzneimittel; verschreibungspflichtige Arzneimittel;
nichtverschreibungspflichtige apothekenpflichtige Arzneimittel; Selbstbedienung;
Selbstbedienungsverbot; Inverkehrbringen von Arzneimitteln im Wege der Selbstbedienung;
kontrollierte Arzneimittelabgabe; Versandhandel mit Arzneimitteln; Information und Beratung
durch den Apotheker; pharmazeutische Beratung; Beratungsbedarf; Beratungshindernisse;
ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung; Arzneimittelsicherheit;
apothekenrechtliche Ordnungsverfügung; Untersagungsverfügung; Beschränkung der
Berufsausübung.;
Leitsatz:
Das Verbot, apothekenpflichtige Arzneimittel im Wege der Selbstbedienung in den Verkehr zu
bringen (§ 17 Abs. 3 ApBetrO, § 52 Abs. 1 Nr. 2 AMG), verletzt die Apotheker nicht in ihrer
Berufsausübungsfreiheit. Das gilt auch nach Zulassung des Arzneimittel-Versandhandels durch
das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. November 2003.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 25.11
VG Aachen - 07.12.2007 - AZ: VG 7 K 1622/03
OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 19.08.2010 - AZ: OVG 13 A 182/08
In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 18. Oktober 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler, Buchheister,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann sowie
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Rothfuß
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das
Land Nordrhein-Westfalen vom 19. August 2010 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe
I
1 Der Kläger wendet sich gegen eine apothekenrechtliche Ordnungsverfügung, mit der ihm der
Beklagte aufgegeben hat, den Verkauf von apothekenpflichtigen Arzneimitteln in der
Selbstbedienung zu unterlassen.
2 Der Kläger ist selbstständiger Apotheker. Bei einer amtlichen Überprüfung im April 2003 stellte
der Beklagte fest, dass in der Apotheke des Klägers zum wiederholten Mal zahlreiche
apothekenpflichtige Arzneien im Wege der Selbstbedienung angeboten wurden. Daraufhin
untersagte er dem Kläger mit Ordnungsverfügung vom 8. Mai 2003, als „apothekenpflichtig“
gekennzeichnete Arzneimittel in der Selbstbedienung feilzubieten und forderte ihn auf, davon
erfasste Medikamente aus der Freiauslage zu entfernen. Zur Begründung stützte sich der
Beklagte auf das Verbot der Selbstbedienung nach § 17 Abs. 3 der Apothekenbetriebsordnung
(ApBetrO). Der vom Kläger erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg.
3 Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage mit Urteil vom 7. Dezember 2007 als
unbegründet abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil
vom 19. August 2010 zurückgewiesen. Zur Begründung heißt es: Die Ordnungsverfügung sei
rechtmäßig. § 69 Abs. 1 Satz 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) ermächtige den Beklagten zum
Erlass der Untersagungsverfügung, weil dem Kläger nach § 17 Abs. 3 ApBetrO verboten sei,
apothekenpflichtige Arzneimittel im Wege der Selbstbedienung in den Verkehr zu bringen. Die
Verbotsregelung sei mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Sie sei durch hinreichende Gründe des
Gemeinwohls gerechtfertigt. Das Verbot gewährleiste im Interesse der Arzneimittelsicherheit,
dass der Apotheker seinen Beratungspflichten vor der Kaufentscheidung des Kunden
nachkommen könne und damit zu einem Zeitpunkt, in dem die Beratung noch die Funktion einer
umfassenden Information und Kaufempfehlung erfüllen könne. Der ungehinderte Zugriff auf in
der Selbstbedienung angebotene apothekenpflichtige Arzneien begründe die Gefahr, dass
insbesondere bei größerem Kundenandrang in der Eile des Bezahlvorgangs die Beratung
unterbleibe. Zudem sei ein unkritischer, den Beratungsbedarf unterschätzender und gefährlicher
Arzneimittelkonsum zu besorgen, weil dem Kunden mit der Selbstbedienung suggeriert werde,
es handele sich um gefahrlose Waren. Die Angebotsform der Selbstbedienung könne außerdem
dazu führen, dass der Kunde bei der Wahl des Arzneimittels von Äußerlichkeiten wie der
Aufmachung der Verpackung beeinflusst werde und dadurch ein falsches oder ungeeignetes
Medikament auswähle. Die Zulassung des Arzneimittel-Versandhandels habe zwar dazu
geführt, dass es in der freien Entscheidung des Kunden liege, ob und in welchem Umfang er das
Beratungsangebot des Apothekers in Anspruch nehmen wolle. Der Versandhandel werde aber
typischerweise für den Bezug von Arzneimitteln genutzt, die der Kunde bereits kenne und bei
denen er daher keinen Beratungsbedarf sehe. Demgegenüber würden in der Präsenzapotheke
häufig Medikamente erworben, mit deren Anwendung der Kunde nicht vertraut sei. Umso
wichtiger sei hier eine vorherige Beratung, die nur bei Ausschluss der Selbstbedienung
hinreichend sichergestellt sei. Wegen dieser Unterschiedlichkeit unterliege das
Selbstbedienungsverbot auch unter dem Blickwinkel von Art. 3 Abs. 1 GG keinen Bedenken.
4 Zur Begründung seiner Revision macht der Kläger geltend: Die angefochtene
Untersagungsverfügung sei rechtswidrig. Es sei mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG
unvereinbar, dass das Selbstbedienungsverbot auch für nichtverschreibungspflichtige
apothekenpflichtige Arzneimittel gelte. Das Berufungsurteil stelle auf das überholte Leitbild vom
„Apotheker in seiner Apotheke“ ab. Angesichts der Zulassung des Versandhandels lasse sich
nicht mehr argumentieren, der Kunde müsse das Arzneimittel aus der Hand des Apothekers oder
seines pharmazeutischen Personals erhalten. Die Monopolkommission habe in ihrem
Hauptgutachten für das Jahr 2004/2005 ausdrücklich angeregt, nichtverschreibungspflichtige
Arzneien aus der Apothekenpflicht zu entlassen, zumindest aber das Selbstbedienungsverbot
aufzuheben. Der Bericht weise darauf hin, dass in der Praxis beim Verkauf dieser Medikamente
oft keine Beratung stattfinde, weil sie vom Kunden nicht gewünscht werde. Darüber hinaus sei es
widersprüchlich, das Selbstbedienungsverbot damit zu begründen, bei Apotheken handele es
sich nicht um gewerbliche, wirtschaftlich geprägte Betriebe im üblichen Sinne, wenn
andererseits Werbung für nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel zulässig sei und für diese
Artikel keine Preisbindung mehr bestehe. Sei danach eine Förderung des Wettbewerbs
erwünscht und die Schaffung von Kaufanreizen ein legitimes Ziel, sei es nur folgerichtig, auch
die verkaufsfördernde Angebotsform der Selbstbedienung zuzulassen. Die Erfordernisse einer
hinreichenden Information und Beratung des Kunden könnten ein Selbstbedienungsverbot nicht
rechtfertigen; denn durch die Anwesenheit des Apothekers und seines Personals sei auch bei
der Selbstbedienung eine Beratung ausreichend gewährleistet.
5 Der Beklagte tritt der Revision entgegen.
6 Der Vertreter des Bundesinteresses hält das angegriffene Urteil in Übereinstimmung mit dem
Bundesministerium für Gesundheit für richtig. Es liege innerhalb des gesetzgeberischen
Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums, das Selbstbedienungsverbot für
nichtverschreibungspflichtige apothekenpflichtige Arzneimittel beizubehalten. Die Angebotsform
der Selbstbedienung ziele vorrangig darauf ab, den Arzneimittelkonsum zu fördern und zu
steigern; sie stehe daher im Widerspruch zum System der kontrollierten Arzneimittelabgabe.
Eine Kontrolle erst beim Bezahlvorgang wäre faktisch schwer umsetzbar. Der Eingriff in die
Berufsausübung sei geringfügig und belaste den Kläger nicht unzumutbar. Art. 3 Abs. 1 GG sei
nicht verletzt. Die Abgabeformen des Versandhandels und der Selbstbedienung würden sich
erheblich unterscheiden, weil beim Versandhandel vielfältige Sicherheitsmechanismen
eingebaut seien.
II
7 Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Berufungsurteil beruht nicht auf einer
Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat
zutreffend angenommen, dass die Untersagungsverfügung des Beklagten rechtmäßig ist. Das ihr
zugrunde liegende gesetzliche Verbot, apothekenpflichtige Arzneimittel im Wege der
Selbstbedienung in den Verkehr zu bringen, verletzt den Kläger nicht in Grundrechten.
8 1. Ermächtigungsgrundlage für die Verfügung ist § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG. Danach treffen die
zuständigen Behörden die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung
künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Die Ermächtigung erstreckt sich auch auf die
Überwachung der ordnungsgemäßen Abgabe von Arzneimitteln und ordnungsrechtliche
Maßnahmen bei Verstößen gegen das Apothekenrecht (Urteil vom 24. Juni 2010 - BVerwG 3 C
31.09 - GewArch 2010, 414 Rn. 11 m.w.N.).
9 2. Das Anbieten apothekenpflichtiger Arzneimittel in der Freiauslage verstößt gegen § 17 Abs.
3 ApBetrO, § 52 Abs. 1 Nr. 2 AMG.
10 a) Nach § 17 Abs. 3 ApBetrO - in der hier wegen des zu überprüfenden
Dauerverwaltungsakts maßgeblichen Fassung des Art. 1 der Verordnung vom 5. Juni 2012
(BGBl I S. 1254; Urteil vom 14. April 2005 - BVerwG 3 C 9.04 - Buchholz 418.21 ApBO Nr. 16 S.
2 m.w.N.) - darf der Apothekenleiter Arzneimittel und Medizinprodukte, die der Apothekenpflicht
unterliegen, nicht im Wege der Selbstbedienung in den Verkehr bringen. § 4 Abs. 17 AMG
definiert als Inverkehrbringen das Vorrätighalten zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe, das
Feilhalten, das Feilbieten und die Abgabe an andere. Selbstbedienung im Sinne des § 17 Abs. 3
ApBetrO meint jede Form der Warenauslage, bei der der Kunde - anders als bei der
Aushändigung durch das Apothekenpersonal über die Ladentheke - Arzneimittel selbst
aussuchen, frei entnehmen und zur Bezahlung vorlegen kann (vgl. Cyran/Rotta, Kommentar zur
Apothekenbetriebsordnung, Stand: April 2010, § 17 Rn. 451). Der Apothekenpflicht unterliegen
Arzneimittel (§ 2 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AMG), die nicht für den Verkehr außerhalb der
Apotheken freigegeben und für den Endverbrauch bestimmt sind (§ 43 Abs. 1 Satz 1 AMG).
Dazu gehören Arzneimittel, die nur auf ärztliche, zahnärztliche oder tierärztliche Verschreibung
an den Verbraucher abgegeben werden dürfen (vgl. § 48 AMG), sowie sonstige Arzneimittel, die
nur in Apotheken abgegeben werden dürfen (nichtverschreibungspflichtige apothekenpflichtige
Arzneien).
11 Hiernach steht außer Frage, dass sich das Verbot des § 17 Abs. 3 ApBetrO auch auf das mit
der angefochtenen Verfügung untersagte Feilbieten von Medikamenten erstreckt, die mit dem
Hinweis „apothekenpflichtig“ versehen sind. Damit sind, wie sich § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 AMG
entnehmen lässt, nichtverschreibungspflichtige apothekenpflichtige Arzneimittel gemeint.
12 b) Das Verbot, apothekenpflichtige Arzneimittel in der Selbstbedienung zum Verkauf
anzubieten, ergibt sich darüber hinaus aus § 52 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 AMG. Gemäß § 52
Abs. 1 AMG dürfen Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 AMG nicht durch
Automaten (Nr. 1) und nicht durch andere Formen der Selbstbedienung in den Verkehr gebracht
werden (Nr. 2). Davon ausgenommen sind bestimmte Fertigarzneimittel (§ 52 Abs. 2 AMG).
Ferner gilt § 52 Abs. 1 Nr. 2 AMG unter den in § 52 Abs. 3 AMG näher bezeichneten
Voraussetzungen nicht für Arzneimittel, die für den Verkehr außerhalb der Apotheken
freigegeben sind. Das bedeutet, dass § 52 Abs. 1 Nr. 2 AMG auch auf die Arzneimittelabgabe in
Apotheken Anwendung findet (anders noch die Vorgängerregelung des § 52 AMG 1976, die
offen ließ, was in dieser Hinsicht für Apotheken gelten sollte; vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.
April 1987 - 1 BvL 25/84 - BVerfGE 75, 166 <174 f.>).
13 3. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass das Selbstbedienungsverbot mit
Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG auch insoweit vereinbar ist, als es die Abgabe
apothekenpflichtiger, aber nichtverschreibungspflichtiger Medikamente betrifft (auch als OTC-
Arzneimittel bezeichnet, von engl. „over the counter“ - „über die Ladentheke“ verkauft). Die
Zulassung des Versandhandels mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln steht dem nicht
entgegen.
14 a) Die Einbeziehung nichtverschreibungspflichtiger apothekenpflichtiger Arzneimittel in das
Selbstbedienungsverbot beschränkt die Apotheker nicht unzulässig in ihrer
Berufsausübungsfreiheit. Das Verbot ist durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls
gerechtfertigt und verhältnismäßig.
15 Es bezweckt im Interesse einer geordneten Arzneimittelversorgung und damit zum Schutze
der Gesundheit der Bevölkerung, eine unkontrollierte Arzneimittelabgabe zu verhindern und eine
fachkundige Information und Beratung durch den Apotheker oder sein pharmazeutisches
Personal sicherzustellen (vgl. die amtliche Begründung zu § 10 Abs. 2 ApBetrO a.F., BRDrucks
325/68 S. 8; Materialien zum Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts, BTDrucks 7/3060
S. 57 und BTDrucks 7/5324 S. 2 f. ; amtliche
Begründung zu § 52 AMG i.d.F. des Vierten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes,
BTDrucks 11/5373 S. 17). Das sind gesundheitspolitische Erwägungen, die die mit dem
Selbstbedienungsverbot verbundene Beschränkung der beruflichen Betätigungsfreiheit der
Apotheker rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 14. April 1987 a.a.O. S. 177 f.; zur
Beratungsfunktion des Apothekers auch Beschluss vom 7. Januar 1959 - 1 BvR 100/57 -
BVerfGE 9, 73 <79 f.>). Den Apotheken obliegt nach § 1 Abs. 1 ApoG, eine ordnungsgemäße
Arzneimittelversorgung der Bevölkerung einschließlich der erforderlichen Sicherheit im Verkehr
mit Arzneimitteln (vgl. § 1 AMG) zu gewährleisten. Hierbei kommt der Beratungsfunktion des
Apothekers eine wichtige Bedeutung zu. Der Apothekenleiter hat dafür Sorge zu tragen, dass
Patienten und andere Kunden hinreichend über Arzneimittel informiert und beraten werden (§ 20
Abs. 1 ApBetrO). Die Beratung muss die notwendigen Informationen über die sachgerechte
Anwendung des Medikaments umfassen, soweit erforderlich auch über eventuelle Neben- oder
Wechselwirkungen. Dies gilt in besonderem Maße für Arzneimittel, die ohne Verschreibung
abgegeben werden. Im Falle der Selbstmedikation ist auch festzustellen, ob das gewünschte
Arzneimittel zur Anwendung bei der vorgesehenen Person geeignet erscheint und ob ihr
anzuraten ist, einen Arzt aufzusuchen (§ 20 Abs. 1a Satz 2, Abs. 2 ApBetrO). Es steht außer
Frage, dass eine fachkundige Information und Beratung des Verbrauchers das Risiko minimiert,
ein ungeeignetes Medikament oder ein an sich geeignetes fehlerhaft anzuwenden. Das gilt
namentlich für nichtverschreibungspflichtige apothekenpflichtige Arzneimittel; denn hier besteht
ein erhöhter Beratungsbedarf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Februar 2003 - 1 BvR 1972/00
u.a. - BVerfGE 107, 186 <202>). Der Gesetzgeber ist daher nicht gehindert, im Interesse des
Gesundheitsschutzes Vorkehrungen zu treffen, die auf eine Nutzung des Beratungsangebots
durch den Kunden hinwirken und so einer unsachgemäßen Arzneimittelanwendung vorbeugen.
Er darf Rahmenbedingungen schaffen, die die Beratungsfunktion der Apotheke stärken und das
Zustandekommen eines Beratungsgesprächs fördern. Das ist beim Selbstbedienungsverbot für
apothekenpflichtige Arzneimittel der Fall, weil der Kunde gehalten ist, sich vor einer
Kaufentscheidung zunächst an den Apotheker oder sein pharmazeutisches Personal zu
wenden. Geschützt werden dadurch gerade auch Personen, die informations- und
beratungsbedürftig sind, sich dessen jedoch nicht bewusst sind oder davor zurückscheuen,
einen Informations- und Beratungsbedarf zu erkennen zu geben. Diese Schutzfunktion des
Kaufgesprächs entfällt bei der Selbstbedienung. Es ist im Gegenteil zu besorgen, dass der
Kunde nach dem ungehinderten Zugriff auf das feilgebotene Arzneimittel für eine Beratung im
Nachhinein wenig empfänglich ist. Der Gesetzgeber war auch nicht gehalten, allein den bei
dieser Erwerbsart verbleibenden Kontakt mit dem Apothekenpersonal beim Bezahlen der Ware
als ausreichend für die Wahrung der Beratungsfunktion der Apotheke anzusehen, zumal die
nicht selten zeitlich und räumlich bedrängte Situation an der Kasse einem Beratungsgespräch
abträglich ist. Ein zusätzliches Risiko der Selbstbedienung besteht darin, dass der Kunde infolge
Unkenntnis oder einer Verwechslung auf ein ungeeignetes Medikament zugreift.
16 Gegen die Erforderlichkeit des Selbstbedienungsverbots lässt sich weder anführen, dass
nichtverschreibungspflichtige apothekenpflichtige Arzneimittel nicht mehr der
Arzneimittelpreisverordnung unterfallen (§ 1 Abs. 4 AMPreisV), noch dass sie nach Maßgabe
des Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiet des Heilwesens (Heilmittelwerbegesetz - HWG)
beworben werden dürfen. Wenn der Gesetzgeber mit Rücksicht auf die Berufsausübungsfreiheit
der Apotheker den Einsatz bestimmter wettbewerblicher Instrumentarien zulässt, zwingt ihn das
nicht dazu, Arzneimittel auch ansonsten in derselben Art und Weise zum Verkauf zuzulassen
wie beliebige andere im Einzelhandel vertriebene Gegenstände. Vielmehr bleiben sie eine Ware
besonderer Art, von der nicht unerhebliche Gefahren ausgehen (vgl. Urteile vom 22. Januar 1998
- BVerwG 3 C 6.97 - BVerwGE 106, 141 <145> und vom 24. Juni 2010 - BVerwG 3 C 30.09 -
BVerwGE 137, 213 Rn. 29).
17 Das Selbstbedienungsverbot beschränkt den Kläger auch nicht unzumutbar in seiner
Berufsausübung. Seinem Interesse, durch die Gestaltungsmöglichkeiten der Selbstbedienung
seine Kundenorientierung herauszustellen und den Umsatz zu erhöhen, sind durch § 1 Abs. 1
ApoG Grenzen gesetzt (Urteile vom 29. September 1994 - BVerwG 3 C 1.93 - BVerwGE 96, 372
<377 f.> und vom 24. Juni 2010 - BVerwG 3 C 30.09 - a.a.O. Rn. 32). Diese Belange müssen
hinter der mit § 17 Abs. 3 ApBetrO, § 52 Abs. 1 Nr. 2 AMG bezweckten Sicherheit der
Arzneimittelabgabe zurückstehen, zumal dem Apotheker mit den freiverkäuflichen Arzneimitteln
und apothekenüblichen Waren wie Körperpflegemitteln oder nichtapothekenpflichtigen
Medizinprodukten (§ 1a Abs. 10 Nr. 1, Nr. 3 ApBetrO) Geschäftsfelder verbleiben, die dem
Selbstbedienungsverbot nicht unterliegen. Das Verbot trifft zudem alle Apotheker
gleichermaßen, so dass von ihm keine wettbewerbsverzerrenden Wirkungen ausgehen.
18 b) Die Zulassung des Arzneimittel-Versandhandels durch das Gesetz zur Modernisierung der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz) vom 14. November 2003
(BGBl I S. 2190; vgl. § 43 Abs. 1 Satz 1 AMG i.V.m. § 11a ApoG, § 17 Abs. 2a ApBetrO) führt zu
keiner anderen verfassungsrechtlichen Bewertung. Der von dem Kläger geltend gemachte
Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) liegt nicht vor.
19 Zwar können faktische Neuerungen im Arzneimittelvertrieb und sie nachvollziehende
Rechtsvorschriften Bedeutung gewinnen für die Frage, ob Beschränkungen der
Arzneimittelabgabe (weiterhin) nach Art. 12 Abs. 1 GG gerechtfertigt sind.
Gefahreneinschätzungen sind nicht (mehr) schlüssig, wenn identischen oder vergleichbaren
Gefährdungen in denselben oder in anderen, aber dieselbe Materie betreffenden Gesetzen
unterschiedliches Gewicht beigemessen wird (BVerfG, Beschluss vom 11. Februar 2003 a.a.O.
S. 197). Das ist hier aber nicht der Fall. Der Gesetzgeber hat die dem Selbstbedienungsverbot
zugrunde liegende Gefahrenbewertung auch in der Reglementierung des
Arzneimittelversandhandels nachvollzogen und den Erwerb apothekenpflichtiger Medikamente
im Versandhandel weitgehend an den Kauf in der Präsenzapotheke angeglichen. Eine
Ungleichbehandlung zu Lasten der Arzneimittelabgabe in der Präsenzapotheke ist danach nicht
ersichtlich (ebenso für das Selbstbedienungsverbot nach § 22 Abs. 1 Satz 1 PflSchG a.F.
: Urteil vom 27. August 2009 - BVerwG 7 C 1.09 -
Buchholz 424.4 PflSchG Nr. 6 Rn. 28).
20 (1) Der Gesetzgeber hat mit der mit rechtlichen Vorgaben verbundenen Zulassung des
Versandhandels mit apothekenpflichtigen Arzneien bezweckt, den Verbraucherschutz und die
Arzneimittelsicherheit zu verbessern. In der amtlichen Begründung des GKV-
Modernisierungsgesetzes heißt es hierzu, dass der Verbraucher durch einen geregelten,
kontrollierten und überwachten Versandhandel einschließlich des elektronischen Handels mit
Arzneimitteln besser als bisher geschützt werden könne. Es sollte der geänderten Situation im
Gesundheitswesen Rechnung getragen werden, die dadurch gekennzeichnet war, dass
Verbraucher in zunehmendem Maße über das Internet sowohl verschreibungspflichtige als auch
nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel aus dem Ausland bestellten. Der Gesetzgeber sah in
diesem nicht geregelten und überwachten Arzneimittelhandel ein unkalkulierbares Risiko für die
Verbraucher (BTDrucks 15/1525 S. 165 ; darauf bezugnehmend a.a.O. S. 160 f.
). Aus der Zulassung des Versandhandels lässt sich somit nicht ableiten, dass
der Gesetzgeber hinsichtlich der Gefahren, die mit der Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel
verbunden sind, zu einer veränderten Einschätzung gelangt wäre. Vielmehr zeigt sich darin das
Bestreben, die Arzneimittelsicherheit und den Verbraucherschutz weiter zu erhöhen. Dem steht
nicht entgegen, dass mit der Einführung des Versandhandels ein persönlicher, direkter Kontakt
mit dem Apotheker nicht mehr zwingende Voraussetzung der Arzneiabgabe ist und die
Inanspruchnahme der pharmazeutischen Beratung in die Entscheidung des Kunden gestellt ist
(vgl. dazu Urteil vom 24. Juni 2010 - BVerwG 3 C 30.09 - a.a.O. Rn. 21 m.w.N.). Der Gesetzgeber
durfte nämlich zugrunde legen, dass der Kunde im Versandhandel häufig nicht
beratungsbedürftig ist, weil er mit den bestellten Arzneien bereits vertraut ist (vgl. BTDrucks
15/1525 S. 161 mit dem Hinweis auf chronisch Kranke und wiederholte Medikationen; Urteil vom
24. Juni 2010 - BVerwG 3 C 30.09 - a.a.O. Rn. 22). Demgegenüber ist bei der Präsenzapotheke
in Rechnung zu stellen, dass viele ihrer Kunden sie kurzfristig wegen akuter gesundheitlicher
Beschwerden aufsuchen und dementsprechend ein erhöhter Informations- und Beratungsbedarf
besteht. Dieser Kundenkreis wird schon deshalb selten die Bestellung im Versandhandel
wählen, weil das Medikament wegen der Lieferzeit (vgl. § 11a Satz 1 Nr. 3 ApoG) nicht sofort
bereitsteht.
21 (2) Unabhängig davon war der Gesetzgeber bestrebt, den Versandhandel mit
apothekenpflichtigen Arzneimitteln weitgehend dem Kauf in der Apotheke anzugleichen. So
unterliegt auch die Arzneiabgabe im Versandhandel der uneingeschränkten Kontrolle durch den
Apotheker. Nach § 11a ApoG muss der Versand apothekenpflichtiger Arzneimittel aus einer
öffentlichen Apotheke erfolgen. Der Gesetzgeber verzichtet lediglich darauf, den Abgabevorgang
räumlich an die Präsenzapotheke zu binden. Er verlangt aber wie beim Kauf vor Ort, dass die
Medikamente institutionell durch die Apotheke und verantwortlich durch den Apothekenleiter und
dessen Personal abgegeben werden (Urteil vom 13. März 2008 - BVerwG 3 C 27.07 - BVerwGE
131, 1 Rn. 25). Die Vertriebsform des Versandhandels ist mit der Abgabe im Wege der
Selbstbedienung auch nicht vergleichbar. Zwar mag man gewisse Anklänge darin sehen, dass
der Kunde bei einer Bestellung über das Internet einen virtuellen Einkaufskorb füllen kann. Darin
liegt aber kein freier Warenzugriff, wie er für die Selbstbedienung kennzeichnend ist; denn eine
Aushändigung des ausgesuchten Medikaments ist damit gerade nicht verbunden. An die
Bestellung im Versandhandel schließt sich die Kontrolle durch den Apotheker an, einschließlich
der Prüfung, ob eine pharmazeutische Information und Beratung geboten ist. Erst nach der von
ihm verantworteten Freigabe zum Versand folgt die Auslieferung und Aushändigung an den
Kunden.
22 Darüber hinaus zeigen besondere Regelungen zur pharmazeutischen Beratung, dass der
Normgeber diesem Aspekt auch beim Versandhandel eine wichtige Bedeutung beimisst. Nach §
17 Abs. 2a Satz 1 Nr. 7 ApBetrO ist der Patient ausdrücklich auf die Möglichkeit der Beratung
hinzuweisen. Mit der Änderungsverordnung vom 5. Juni 2012 (BGBl I S. 1254) ist ergänzend
eingefügt worden, dass der Patient als Voraussetzung für die Arzneimittelbelieferung mit seiner
Bestellung eine Telefonnummer anzugeben hat, unter der er beraten werden kann. Dabei ist
sicherzustellen, dass die Beratung durch pharmazeutisches Personal in deutscher Sprache
erfolgt (§ 11a Satz 1 Nr. 2 Buchst. d ApoG). Des Weiteren ist vorgeschrieben, dass eine
Versendung nicht erfolgen darf, wenn zur sicheren Anwendung des Arzneimittels ein
Informations- oder Beratungsbedarf besteht, dem auf einem anderen Wege als einer
persönlichen Information oder Beratung durch einen Apotheker nicht Rechnung getragen
werden kann (§ 17 Abs. 2a Satz 2 ApBetrO). Abgesehen davon gelten auch im Versandhandel
die allgemeinen Bestimmungen über die Information und Beratung nach § 20 ApBetrO.
23 c) Unerheblich für die Verfassungsmäßigkeit des angegriffenen Verbots ist schließlich, ob
eine andere Regelung verfassungsrechtlich zulässig wäre, also ob die Abgabe
nichtverschreibungspflichtiger apothekenpflichtiger Arzneimittel im Wege der Selbstbedienung
unter dem Aspekt der Arzneimittelsicherheit hingenommen werden könnte; denn die
Einschätzung der zu besorgenden Gefahren obliegt ebenso wie die Wahl der Mittel zu ihrer
Beherrschung vorrangig dem Normgeber. Die Grenze seines Beurteilungs- und
Gestaltungsspielraums ist (erst) erreicht, wenn seine Anschauungen offensichtlich fehlsam oder
mit der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar sind (Urteil vom 24. Juni 2010 - BVerwG 3
C 30.09 - BVerwGE 137, 213 Rn. 30 m.w.N.). Dafür ist hier, wie ausgeführt, nichts ersichtlich.
Der Kläger beruft sich daher auch erfolglos darauf, dass sich die Monopolkommission (16.
Hauptgutachten 2004/2005, BTDrucks 16/2460 Rn. 1163; 18. Hauptgutachten 2008/2009,
BTDrucks 17/2600 Rn. 27, 36) für eine Aufhebung des Selbstbedienungsverbots für
nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel ausgesprochen hat. Im Übrigen beruht die
Empfehlung auf rein wettbewerblichen und ökonomischen Erwägungen, die nicht gegen die
Anforderungen der Arzneimittelsicherheit aufgewogen werden können (vgl. Stellungnahme der
Bundesregierung zu dem 16. Hauptgutachten, BTDrucks 16/5881 Rn. 51 f.).
24 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Kley
Liebler
Buchheister
Dr. Kuhlmann
Rothfuß