Urteil des BVerwG vom 14.10.2008
BVerwG (genfer flüchtlingskonvention, bekämpfung des terrorismus, richtlinie, charta der vereinten nationen, bundesrepublik deutschland, gefahr, unhcr, sicherheitsrat der vereinten nationen, internationale organisation, straftat)
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 C 48.07
OVG 8 A 2632/06.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 14. Oktober 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Richter und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Beck und Fricke
beschlossen:
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Es wird gemäß Art. 234 Abs. 1 und 3, Art. 68 Abs. 1 EG
eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäi-
schen Gemeinschaften zu folgenden Fragen eingeholt:
1. Liegt eine schwere nichtpolitische Straftat oder eine
Zuwiderhandlung gegen die Ziele und Grundsätze der
Vereinten Nationen im Sinne des Art. 12 Abs. 2 Buchst. b
und c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April
2004 vor, wenn der Antragsteller einer Organisation ange-
hört hat, die im Verzeichnis der Personen, Vereinigungen
und Körperschaften im Anhang zum Gemeinsamen
Standpunkt des Rates über die Anwendung besonderer
Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus aufgeführt
ist und terroristische Methoden anwendet, und der Antrag-
steller den bewaffneten Kampf dieser Organisation aktiv
unterstützt hat?
2. Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist: Setzt der
Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung nach Art. 12
Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 2004/83/EG voraus,
dass von dem Antragsteller weiterhin eine Gefahr aus-
geht?
3. Für den Fall, dass Frage 2 zu verneinen ist: Setzt der
Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung nach Art. 12
Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 2004/83/EG eine auf
den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung vor-
aus?
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4. Für den Fall, dass Frage 3 zu bejahen ist:
a) Ist bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu berück-
sichtigen, dass der Antragsteller Abschiebungsschutz
nach Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze
der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. Novem-
ber 1950 oder nach nationalen Bestimmungen genießt?
b) Ist der Ausschluss nur in besonders gelagerten Aus-
nahmefällen unverhältnismäßig?
5. Ist es im Sinne des Art. 3 der Richtlinie 2004/83/EG mit
der Richtlinie zu vereinbaren, dass der Antragsteller trotz
Vorliegens eines Ausschlussgrundes nach Art. 12 Abs. 2
der Richtlinie einen Anspruch auf Asyl nach nationalem
Verfassungsrecht hat?
G r ü n d e :
I
Der Kläger begehrt Asyl und Flüchtlingsschutz sowie hilfsweise die Feststellung
eines Abschiebungsverbots in Bezug auf die Türkei.
1
Der 1975 in Hozat geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer
Volkszugehörigkeit. Er reiste Ende 2002 auf dem Luftweg nach Deutschland ein
und beantragte Asyl. Zur Begründung gab er an, er habe in der Türkei schon
als Schüler mit der Dev Sol (inzwischen: DHKP/C) sympathisiert und von Ende
1993 bis Anfang 1995 in den Bergen den bewaffneten Guerillakampf unter-
stützt. Nach seiner Verhaftung im Februar 1995 sei er schwer körperlich miss-
handelt und unter Folter zu einer Aussage gezwungen worden. Im Dezember
1995 habe man ihn zu lebenslanger Haft verurteilt. Nachdem er die Tötung ei-
nes der Spitzeltätigkeit verdächtigten Mitgefangenen auf sich genommen habe,
sei er 2001 nochmals zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Im Herbst 2000
habe er sich an einem Todesfasten beteiligt. Aufgrund der hierbei erlittenen ge-
sundheitlichen Schäden sei er im Dezember 2002 bedingt für sechs Monate
aus der Haft entlassen worden. Aus Angst vor erneuter Verhaftung habe er das
Land verlassen. Von der DHKP/C werde er inzwischen als Verräter angesehen.
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- 4 -
Infolge der Erlebnisse in seiner Heimat leide er unter einer schweren posttrau-
matischen Belastungsstörung und als Folge des Hungerstreiks an cerebralen
Schädigungen (organisches Psychosyndrom) und damit verbundenen Ausfall-
erscheinungen (Korsakow-Syndrom).
Mit Bescheid vom 14. September 2004 lehnte das Bundesamt für die Anerken-
nung ausländischer Flüchtlinge - jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlin-
ge - (Bundesamt) den Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab (Ziff. 1) und
stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich
nicht vorliegen (Ziff. 2). Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, der Kläger
erfülle den Ausschlussgrund des § 51 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 AuslG (schweres
nichtpolitisches Verbrechen). Zugleich stellte das Bundesamt fest, dass Ab-
schiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen (Ziff. 3), und drohte
dem Kläger die Abschiebung in die Türkei an (Ziff. 4).
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Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 13. Oktober 2004 die aufschie-
bende Wirkung der Klage angeordnet und mit Urteil vom 13. Juni 2006 die Be-
klagte unter Aufhebung der Ziff. 1, 2 und 4 des Bescheids des Bundesamts
verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen,
dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.
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Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausge-
führt, der Kläger sei als Asylberechtigter nach Art. 16a Grundgesetz - GG - und
als Flüchtling anzuerkennen. Er habe vor seiner Ausreise aus der Türkei politi-
sche Verfolgung erlitten. Die ihm während der Haft gezielt zugefügten Rechts-
verletzungen hätten an seine politischen Überzeugungen und Aktivitäten ange-
knüpft und seien über eine asylrechtlich unerhebliche strafrechtliche Ahndung
hinausgegangen. Bei einer Rückkehr sei der Kläger vor erneuter Verfolgung
nicht hinreichend sicher. Es sei anzunehmen, dass sich die türkischen Sicher-
heitskräfte für ihn interessierten und es bei der Befragung zu asylerheblichen
Übergriffen komme. Der Asylanerkennung stehe nicht der vom Bundesverfas-
sungsgericht entwickelte sog. Terrorismusvorbehalt entgegen. Denn für eine
Fortführung der im Heimatland unternommenen Unterstützung einer gewalttäti-
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- 5 -
gen extremistischen Organisation von Deutschland aus lägen keine Anhalts-
punkte vor. Auch die früher in § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG, jetzt in § 60 Abs. 8
Satz 2 AufenthG geregelten Ausschlussgründe stünden einer Asyl- und Flücht-
lingsanerkennung des Klägers nicht entgegen. Die allein in Betracht kommende
2. Alternative des § 51 Abs. 3 AuslG sei in Übereinstimmung mit der Genfer
Flüchtlingskonvention bei gemeinschaftsrechts- und verfassungskonformer
Auslegung dahin zu verstehen, dass der Ausschlussgrund nicht allein der Sank-
tionierung eines in der Vergangenheit begangenen schweren nichtpolitischen
Verbrechens, sondern auch der Gefahrenabwehr diene und eine am Sinn und
Zweck der Vorschrift und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte um-
fassende Würdigung des Einzelfalls erfordere. Der Ausschlussgrund könne da-
her entfallen, wenn von dem Ausländer keine Gefahr mehr ausgehe, etwa weil
feststehe, dass er sich von allen früheren terroristischen Aktivitäten losgesagt
habe oder er aus gesundheitlichen Gründen zu politischen Aktivitäten nicht
mehr in der Lage sei. Ob der Kläger ein schweres nichtpolitisches Verbrechen
begangen habe, könne offen bleiben, da jedenfalls die Einzelfallwürdigung zu
seinen Gunsten ausfalle. Er habe fast acht Jahre in der Türkei in Haft verbracht.
Angesichts der damaligen Haftbedingungen sei der Strafzweck, soweit es um
die Ahndung kriminellen Unrechts gehe, zu einem erheblichen Teil erreicht. Als
Heranwachsender dürfte er besonders haftempfindlich gewesen sein. In die
Abwägung seien auch die gesundheitlichen Folgen der Haft einzustellen. Die
Erlebnisse während der Haft, deretwegen er noch heute psychotherapeutischer
Behandlung bedürfe, stellten eine Zäsur dar, die eine Neuorientierung plausibel
erscheinen lasse. Der kriminelle Charakter überwiege nicht mehr und vom Klä-
ger gehe keine Gefahr mehr für die von § 60 Abs. 8 AufenthG geschützten Gü-
ter aus.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt die Beklagte vor al-
lem eine Verletzung des § 60 Abs. 8 Satz 2 Alt. 2 und 3 AufenthG (inzwischen:
§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AsylVfG). Entgegen der Auffassung des Beru-
fungsgerichts sei bei beiden Ausschlussgründen eine Gefahr für die Sicherheit
der Bundesrepublik Deutschland und/oder der in den UN und der EU organisier-
ten Staatengemeinschaften nicht erforderlich und bedürfe es keiner einzelfall-
bezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Bei Gefahr fortbestehender oder wie-
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derholter terroristischer Aktivitäten stehe schon § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 1 Auf-
enthG einer Anerkennung entgegen. Wortlaut und Entstehungsgeschichte der
Ausschlussklauseln legten eine Auslegung nahe, die angesichts der „Schutz-
unwürdigkeit“ bei bestimmten Delikten allein auf deren Begehung abstelle.
Durch die Tatbestandsanforderungen enthielten sie bereits eine abstrakte Ver-
hältnismäßigkeitsprüfung. Eine weitergehende Einschränkung der Ausschluss-
gründe aus Gründen der Verhältnismäßigkeit sei auch deshalb nicht erforder-
lich, weil über den ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz gewährleistet sei,
dass der Betroffene nicht in einen Staat abgeschoben werde, in dem ihm men-
schenrechtswidrige Behandlung drohe.
Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen sei es nicht geboten, für die Aus-
schlussgründe eine fortbestehende Gefährlichkeit des Ausländers zu verlangen.
Es spreche einiges dafür, angesichts der veränderten internationalen Sicher-
heitslage nach dem 11. September 2001 und der einschlägigen UN-
Resolutionen in die verfassungsimmanenten Schranken des Grundrechts auf
Asyl unter einem erweiterten Sicherheitsbegriff auch die Schutzunwürdigkeit
des Ausländers einzubeziehen. Abgesehen davon gehörten die Ausschluss-
gründe in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG auch zu den tragenden
Grundsätzen, von denen nach Art. 3 der Richtlinie nicht abgewichen werden
dürfe. Wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts sei es daher unzulässig,
bei Vorliegen von Ausschlussgründen nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie auf-
grund nationalen Verfassungsrechts ein im Kern dem Flüchtlingsschutz ent-
sprechendes Asylrecht zu gewähren. Im Fall des Klägers lägen schwerwiegen-
de Gründe für die Annahme vor, dass sein Verhalten unter die 2. oder
3. Alternative des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG falle. Entgegen der Auffassung
des UNHCR erfasse die 3. Alternative nicht nur den sog. Staatsterrorismus. Die
UN-Resolution 1373 (2001) gehe davon aus, dass Handlungen, Methoden oder
Praktiken des Terrorismus generell im Widerspruch zu den Zielen und Grund-
sätzen der UN-Charta stünden. Entsprechendes ergebe sich aus dem Erwä-
gungsgrund 22 der Richtlinie 2004/83/EG.
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Die Beklagte beantragt,
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die Urteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 27. März 2007 und des Verwal-
tungsgerichts Gelsenkirchen vom 13. Juni 2006 aufzu-
heben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.
9
Der Vertreter des Bundesinteresses am Bundesverwaltungsgericht hat sich am
Verfahren beteiligt und wendet sich ebenfalls gegen die Auslegung der Aus-
schlussklauseln durch das Berufungsgericht.
10
II
Der Rechtsstreit ist auszusetzen und es ist eine Vorabentscheidung des Ge-
richtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Auslegung der Richtlinie
2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Aner-
kennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als
Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benöti-
gen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EG Nr. L 304 vom
30. September 2004 S. 12; ber. ABl EG Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24)
einzuholen (Art. 234 Abs. 1 und 3, Art. 68 Abs. 1 EG). Da es um die Auslegung
von Gemeinschaftsrecht geht, ist der Gerichtshof zuständig. Die vorgelegten
Fragen zur Auslegung der Richtlinie sind entscheidungserheblich und bedürfen
einer Klärung durch den Gerichtshof.
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Soweit der Kläger Flüchtlingsschutz begehrt, ist zweifelhaft, ob der Zuerken-
nung der Flüchtlingseigenschaft die Ausschlussgründe des Art. 12 Abs. 2
Buchst. b und c der Richtlinie 2004/83/EG entgegenstehen; die Entscheidung
hängt insoweit von der Beantwortung der Vorlagefragen 1 bis 4 ab (1.) ab. Liegt
ein Ausschlussgrund vor, kommt es für die Gewährung von Asyl nach deut-
schem Verfassungsrecht (Art. 16a Grundgesetz - GG -) auf die Beantwortung
der Vorlagefrage 5 an (2.).
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1. Der Kläger erfüllt die positiven Voraussetzungen für die Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft. Diese ergeben sich seit Inkrafttreten des Gesetzes zur
Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union
vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungs-
gesetz - am 28. August 2007 aus § 3 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG)
i.V.m. § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).
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Auf der Grundlage der das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen Feststel-
lungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) hat der Kläger sein Hei-
matland verlassen, nachdem er dort wegen seiner politischen Überzeugung
verfolgt worden ist. Die gegen ihn in der Haft ergriffenen Maßnahmen be-
schränkten sich nicht auf die strafrechtliche Ahndung des in der Durchsetzung
politischer Ziele mit gewaltsamen Mitteln liegenden kriminellen Unrechts, son-
dern gingen in Anknüpfung an politische Überzeugungen und Aktivitäten im
Sinne eines Politmalus darüber hinaus (UA S. 19). Damit findet auf den Kläger
nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der
Richtlinie 2004/83/EG ergänzend Anwendung. Den - revisionsrechtlich nicht zu
beanstandenden - weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts kann nicht
entnommen werden, dass stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung
sprechen. Das Berufungsgericht hat in Anknüpfung an die vom Senat für die
Asylanerkennung nach Art. 16a GG entwickelten und später auf die Flücht-
lingsanerkennung nach der Genfer Flüchtlingskonvention übertragenen Wahr-
scheinlichkeitsmaßstäbe (vgl. hierzu Vorlagebeschluss des Senats vom 7. Feb-
ruar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192) angenommen, dass der Klä-
ger im Falle einer Rückkehr vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher
wäre. Diese Vorgehensweise führt in der Praxis regelmäßig - und so auch hier -
zu dem gleichen Ergebnis wie die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der
Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Vorlagebeschluss des Senats vom 7. Februar 2008
a.a.O. für den Fall des Widerrufs).
14
Das Berufungsgericht ist in diesem Zusammenhang davon ausgegangen, dass
sich die türkischen Sicherheitskräfte bei einer Rückkehr für den Kläger interes-
sierten, da er sich trotz einer nur zeitlich befristeten Haftaussetzung ins Ausland
abgesetzt hat und ausweislich der beiden strafgerichtlichen Verurteilungen einer
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linksextremistischen Terrororganisation zugerechnet wird. Dabei bestehe die
Gefahr, dass er befragt werde, um Erkenntnisse über seine Aktivitäten im Bun-
desgebiet sowie über etwaige Kontakte zu Organisationsangehörigen im In-
und Ausland zu erlangen, und die Befragung mit asylerheblichen Übergriffen
einhergehe (UA S. 26). Diese Schlussfolgerung beruht entgegen der Auffas-
sung der Beklagten auf einer hinreichend breiten Tatsachengrundlage und wi-
derspricht nicht der gleichzeitigen Feststellung, dass die Gefahr, im Justizvoll-
zug Opfer von Misshandlungen durch Sicherheitskräfte zu werden, inzwischen
als unwahrscheinlich eingeschätzt wird (UA S. 23). Denn angesichts der kon-
kreten Umstände des Falles ist davon auszugehen, dass sich die Sicherheits-
kräfte nicht erst nach einer erneuten Inhaftierung, sondern bereits bei der Ein-
reise für den Kläger interessieren. Das Berufungsgericht hat vor dem Hinter-
grund des Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG, der in seinen Absätzen 1 und 2 im
Einzelnen definiert, welche Handlungen als Verfolgung gelten bzw. gelten kön-
nen, und der nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG bei der Feststellung, ob eine
Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt, ebenfalls ergänzend an-
zuwenden ist, die Erheblichkeitsschwelle der zu befürchtenden Übergriffe nicht
zu niedrig angesetzt. Etwaige Übergriffe der Sicherheitskräfte wären dem türki-
schen Staat auch zuzurechnen, da sich ein Staat das Handeln seiner Bediens-
teten zurechnen lassen muss, solange es sich nicht um vereinzelte Exzesstaten
von Amtswaltern handelt, wofür auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststel-
lungen des Berufungsgerichts hier keine Anhaltspunkte bestehen (vgl. BVerfG,
Beschlüsse vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 <352>
und vom 14. Mai 2003 - 2 BvR 134/01 - DVBl 2003, 1260 zur Abgrenzung einer
staatlichen Verfolgung).
Sind damit die positiven Voraussetzungen für eine Flüchtlingsanerkennung ge-
geben, ist der Kläger dennoch kein Flüchtling, wenn einer der Ausschlussgrün-
de des § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG (früher § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG/§ 51
Abs. 3 Satz 2 AuslG) vorliegt. Mit diesen seit Inkrafttreten des Richtlinienumset-
zungsgesetzes nunmehr im Asylverfahrensgesetz geregelten Ausschlussgrün-
den hat der deutsche Gesetzgeber Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie
2004/83/EG, der seinerseits auf die schon in Art. 1 Abschnitt F Genfer Flücht-
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lingskonvention (GFK) aufgeführten Ausschlussgründe zurückgeht, umgesetzt.
Ein Ausländer ist danach u.a. nicht Flüchtling, wenn aus schwerwiegenden
Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er vor seiner Aufnahme als
Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets
begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr an-
geblich politische Ziele verfolgt wurden (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG), oder
dass er den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt
hat (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG); dies gilt auch für Ausländer, die andere
zu einer derartigen Straftat angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran betei-
ligt haben (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG). In diesem Zusammenhang stellen sich
vorliegend die Vorlagefragen 1 bis 4.
1. Vorlagefrage:
a) Nach den bindenden tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts
ist der Kläger schon in seiner Jugend durch seinen Bruder in das Umfeld der
verbotenen linksextremistischen Organisation Dev Sol geraten. Im Alter von
18 Jahren schloss er sich der Guerilla ihrer Nachfolgeorganisation, der
DHKP/C, an (UA S. 18). Diese Organisation ist seit 2002 auf der europäischen
Liste der Terrororganisationen aufgeführt (vgl. Ziff. 2.27 des Anhangs zum Ge-
meinsamen Standpunkt des Rates vom 17. Juni 2002 betreffend die Aktualisie-
rung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung
besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung
des Gemeinsamen Standpunkts 2002/340/GASP - 2002/462/GSAP - ABl EG
Nr. L 160 vom 18. Juni 2002 S. 32) und wendet nach den Feststellungen des
Berufungsgerichts auch terroristische Methoden an. Sie verfolgt das Ziel, das
bestehende türkische Staatssystem durch einen bewaffneten Volkskrieg zu zer-
schlagen, um ein sozialistisches System zu errichten (UA S. 20). Auch wenn
der Kläger selbst nicht an bewaffneten Auseinandersetzungen teilgenommen
haben will, hat er die Kampftruppen in vielfältiger Weise unterstützt: Er hat We-
ge ausgekundschaftet und Nachschub besorgt. Dabei war er bewaffnet, was
jedenfalls auf die Bereitschaft schließen lässt, die Waffen notfalls auch einzu-
setzen (UA S. 18). Damit hat der Kläger den bewaffneten Kampf einer Organi-
sation aktiv unterstützt, die im Verzeichnis der Personen, Vereinigungen und
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Körperschaften im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates über die
Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus aufge-
führt ist und terroristische Methoden anwendet.
b) Nach Auffassung des Senats erfüllt ein derartiges Verhalten den Tatbestand
einer schweren nichtpolitischen Straftat im Sinne des Art. 12 Abs. 2 Buchst. b
der Richtlinie 2004/83/EG. Es kommt deshalb auch nicht auf die vom Beru-
fungsgericht (UA S. 18 f.) offen gelassenen Fragen an, ob er an Kampfeinsät-
zen beteiligt war, bei denen mehrere Soldaten getötet wurden, und ob er wäh-
rend der Haft in der Türkei einen Mithäftling getötet hat, was er, ohne hierzu von
türkischen Vernehmungsbeamten gezwungen worden zu sein, gestanden, aber
im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in Deutschland bestritten hat.
18
Wie bei Art. 1 Abschnitt F Buchst. b GFK rechtfertigt nicht jedes kriminelle Han-
deln des Schutzsuchenden vor seiner Einreise einen Ausschluss von der
Flüchtlingsanerkennung. Der Straftat muss zunächst ein gewisses Gewicht zu-
kommen. Dabei sind internationale und nicht lokale Standards maßgeblich (vgl.
Abs. 14 der Richtlinien des UNHCR zum internationalen Schutz: Anwendung
der Ausschlussklauseln: Art. 1 F des Abkommens von 1951 über die Rechts-
stellung der Flüchtlinge vom 4. September 2003 zur Anwendung der Aus-
schlussklauseln - HCR/PIP/03/05 - nachfolgend: UNHCR-Richtlinien). Es muss
sich also um ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat handeln, die in
den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und
entsprechend strafrechtlich verfolgt wird.
19
Zugleich muss es sich um eine nichtpolitische Tat handeln. Nach Abs. 15 der
UNHCR-Richtlinien ist ein schweres Verbrechen als nichtpolitisch anzusehen,
wenn es überwiegend aus anderen Motiven (etwa aus persönlichen Beweg-
gründen oder Gewinnstreben) begangen wird. Besteht keine eindeutige Verbin-
dung zwischen dem Verbrechen und dem angeblichen politischen Ziel oder ist
die betreffende Handlung in Bezug zum behaupteten politischen Ziel unverhält-
nismäßig, überwiegen nichtpolitische Beweggründe. Nach Art. 12 Abs. 2
Buchst b letzter Halbsatz der Richtlinie 2004/83/EG können insbesondere grau-
same Handlungen als schwere nichtpolitische Straftaten eingestuft werden,
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auch wenn mit ihnen vornehmlich politische Ziele verfolgt werden. Dies ist bei
Gewalttaten, die gemeinhin als „terroristisch“ bezeichnet werden, regelmäßig
der Fall (vgl. Abs. 15 der UNHCR-Richtlinien). Dieser Begriff beinhaltet mangels
einer völkerrechtlich anerkannten Definition des Terrorismus zwar eine gewisse
Unschärfe. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist aller-
dings in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht geklärt, dass als
terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf
das Leben Unbeteiligter zur Verfolgung politischer Ziele anzusehen sind (vgl.
Urteil vom 30. März 1999 - BVerwG 9 C 23.98 - BVerwGE 109, 12 <20> unter
Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerf-
GE 80, 315 <339>; vgl. ferner BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - BVerwG 1 C
26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Auf Gemeinschaftsebene kann bei der
Abgrenzung einer terroristischen von einer politischen Straftat zudem auf die
Definition zurückgegriffen werden, auf die sich die Mitgliedstaaten im Gemein-
samen Standpunkt des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung
besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus geeinigt haben. Da-
nach werden bestimmte vorsätzliche Handlungen (etwa Anschläge auf das Le-
ben oder die körperliche Unversehrtheit einer Person) dadurch zu „terroristi-
schen Handlungen“, das sie - erstens - durch ihre Art oder durch ihren Kontext
ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen können und
im innerstaatlichen Recht als Straftat definiert sind und sie - zweitens - mit dem
Ziel begangen werden, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzu-
schüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation unbe-
rechtigterweise zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder die politischen,
verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines
Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder
zu zerstören (vgl. Art. 1 Abs. 3 des Gemeinsamen Standpunkts vom
27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämp-
fung des Terrorismus - 2001/931/GASP - ABl EG Nr. L 344 vom 28. Dezember
2001 S. 93).
Vor allem bei Aktivitäten terroristischer Organisationen stellt sich zudem die
Frage der Zurechnung. Nach Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG finden
die Ausschlussgründe auch Anwendung auf Personen, die andere zu den ge-
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nannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise dar-
an beteiligen. Der Schutzsuchende muss die schwere nichtpolitische Straftat
damit nicht selbst begangen haben, er muss für sie aber persönlich verantwort-
lich sein. Hiervon ist im Allgemeinen auszugehen, wenn eine Person die Straftat
persönlich begangen hat oder in dem Bewusstsein, dass ihre Handlung oder
Unterlassung die Ausübung des Verbrechens erleichtern würde, wesentlich zu
ihrer Durchführung beigetragen hat (vgl. Abs. 18 der UNHCR-Richtlinien). Er-
fasst werden damit nicht nur aktive Terroristen und Teilnehmer im strafrechtli-
chen Sinne, sondern auch Personen, die im Vorfeld Unterstützungshandlungen
zugunsten terroristischer Aktivitäten vornehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom
10. Juli 1989 a.a.O. zu den Grenzen des Asylgrundrechts).
Alle drei Tatbestandsvoraussetzungen sind nach Auffassung des Senats bei
einer Person erfüllt, die den bewaffneten Kampf einer terroristischen Organisa-
tion aktiv unterstützt hat, so dass Frage 1 zu bejahen sein dürfte.
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c) Zugleich kommt in Betracht, dass das aufgezeigte Verhalten auch dem Aus-
schlussgrund des Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG unterfällt,
weil es den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Prä-
ambel und in den Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert
sind, zuwiderläuft.
23
Auch dieser Ausschlussgrund findet sich schon in der Genfer Flüchtlingskon-
vention. Den Travaux Préparatoires ist zu entnehmen, dass in den Beratungen
unklar war, welche Handlungen von dem in Anlehnung an Art. 14 Abs. 2 der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom
10. Dezember 1948 in Art. 1 Abschnitt F Buchst. c GFK aufgenommenen Aus-
schlussgrund erfasst sind (vgl. Takkenberg/Tabhaz, The collected Travaux
Préparatoires of the 1951 Geneva Convention relating to the Status of Refu-
gees, Vol. III, The Conference of Plenipotentiaries on the Status of Refugees
and Stateless Persons, 2. - 25. July 1951, Geneva, Switzerland, published by
the Dutch Refugee Council under the auspices of the European Legal Network
on Asylum, Amsterdam 1990, SR. 29, pp. 12). In der Staatenpraxis ist auch
heute noch ungeklärt, welcher Personenkreis in den Anwendungsbereich der
24
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Klausel fallen kann, insbesondere, ob nur bei der Ausübung staatlicher oder
staatsähnlicher Gewalt im Sinne der Ausschlussklausel den Zielen und
Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider gehandelt werden kann (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 12. März 2008 - 2 BvR 378/05 - InfAuslR 2008, 263
m.w.N.). Nach Auffassung des UNHCR erfordert die Ausschlussklausel eine
internationale Dimension und erfasst grundsätzlich nur Personen, die eine
Machtposition in einem Staat oder einem staatenähnlichen Gebilde innehatten
(vgl. Abs. 17 und 26 der UNHCR-Richtlinien). Auch das Bundesverwaltungsge-
richt ist in einer älteren Entscheidung davon ausgegangen, dass die Aus-
schlussbestimmung des Art. 1 Abschnitt F Buchst. c GFK nur Handlungen er-
fasst, die dem zwischenstaatlichen (internationalen) Frieden und der zwischen-
staatlichen Völkerverständigung zuwiderlaufen (vgl. Urteil vom 1. Juli 1975
- BVerwG 1 C 44.68 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 9). Andere Staaten wen-
den die Ausschlussklausel des Art. 1 Abschnitt F Buchst. c GFK dagegen auch
auf Personen an, die keinerlei staatliche Macht ausübten (vgl. etwa Urteil des
britischen Immigration Appeal Tribunal vom 7. Mai 2004, KK
Turkey [2004] UKIAT 00101 Rn. 20; Supreme Court of Canada in der Sache
Pushpanathan v Canada [1999] INLR 36). Fraglich ist, ob dieser weiten Ausle-
gung - nicht zuletzt auf der Grundlage der inzwischen ergangenen Resolutionen
stimmen ist. Sollte die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zu-
widerlaufende Handlung eine internationale Dimension haben müssen, wäre zu
klären, wann diese Voraussetzung bezogen auf eine Einzelperson gegeben ist
(etwa bei Verstrickung in den internationalen Terrorismus).
Gemäß Art. 24 der Charta der Vereinten Nationen trägt der Sicherheitsrat die
Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen
Sicherheit und handelt bei der Wahrnehmung der sich aus dieser Verantwor-
tung ergebenden Verpflichtungen im Namen der Mitglieder und im Einklang mit
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen. Die Verpflichtungen der
Mitgliedstaaten der UN aufgrund der Charta der Vereinten Nationen haben aus
völkerrechtlicher Sicht Vorrang vor allen anderen Verpflichtungen des inner-
staatlichen Rechts oder des Völkervertragsrechts. Nach der Rechtsprechung
des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ist dem Umstand besonde-
25
- 15 -
re Bedeutung beizumessen, dass nach Art. 24 der UN-Charta der Sicherheits-
rat, indem er Resolutionen aufgrund von Kapitel VII der Charta beschließt, die
Hauptverantwortung wahrnimmt, die ihm zur weltweiten Wahrung des Friedens
und der Sicherheit übertragen ist. Das schließt die Befugnis des Sicherheitsrats
ein, zu bestimmen, was eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internatio-
nale Sicherheit darstellt (EuGH, Urteil der Großen Kammer vom 3. September
2008 - Rs. C-402/05 P und Rs. C-415/05 P - Kadi und Al Barakaat - Slg. 2008
Rn. 294).
In Bezug auf terroristische Aktivitäten hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nati-
onen in der einführenden Erläuterung zur Resolution 1269 vom 19. Oktober
1999 darauf hingewiesen, dass die Unterdrückung von Akten des internationa-
len Terrorismus, einschließlich derjenigen, an denen Staaten beteiligt sind,
einen wesentlichen Beitrag zur Wahrung des Weltfriedens und der internationa-
len Sicherheit darstellt. In der einführenden Erläuterung zur Resolution 1373
vom 28. September 2001 hat er nochmals bekräftigt, dass jede Handlung des
internationalen Terrorismus eine Bedrohung des Weltfriedens und der internati-
onalen Sicherheit darstellt, und hat sodann „tätig werdend nach Kapitel VII“ er-
klärt, dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Wi-
derspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen,
ebenso wie die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlun-
gen sowie die Anstiftung dazu (vgl. Ziff. 5 der Resolution 1373). Dem ist zu ent-
nehmen, dass der Sicherheitsrat ersichtlich davon ausgeht, dass Handlungen
des internationalen Terrorismus, unabhängig von der Beteiligung eines Staates,
Auf diesen Aspekt verweist auch der 22. Erwägungsgrund zur Richtlinie
2004/83/EG.
26
2. Vorlagefrage:
a) Ist Frage 1 zu bejahen, stellt sich entscheidungserheblich die Frage, ob der
jeweilige Ausschlussgrund zusätzlich voraussetzt, dass von dem Ausländer wei-
terhin eine Gefahr ausgeht (Frage 2). Der Kläger hat nach den bindenden Fest-
stellungen des Berufungsgerichts glaubhaft vorgetragen, dass er - getragen von
27
- 16 -
der Überzeugung, dass der von der DHKP/C eingeschlagene Weg falsch ist -
jeden Kontakt zu der Organisation abgebrochen und sich von deren Zielen dis-
tanziert hat. Jedenfalls mit der Ausreise nach Deutschland hat er mit der Ver-
gangenheit gebrochen und einen neuen Lebensabschnitt begonnen, in dem
extremistische Aktivitäten und Gewalt keinen Platz mehr haben sollen (UA
S. 21). Von ihm geht daher keine Gefahr mehr aus (UA S. 53).
b) Nach Auffassung des Senats ist Frage 2 zu verneinen. Für die Anwendung
der Ausschlussklauseln genügt die bloße „Schutzunwürdigkeit“ aufgrund frühe-
ren Handelns; nicht erforderlich ist, dass von dem Ausländer weiterhin Gefah-
ren ausgehen, wie sie sich in seinem früheren Verhalten manifestiert haben.
28
Bereits der Wortlaut der Ausschlussklauseln spricht dafür, dass es keiner Wie-
derholungsgefahr bedarf. Die in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG aufge-
führten Ausschlussgründe knüpfen mit der Formulierung „begangen hat“ bzw.
„zuschulden kommen ließ“ ebenso wie Art. 1 Abschnitt F GFK ausschließlich an
ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten an. Nicht nur vom Wortlaut, son-
dern auch nach Sinn und Zweck unterscheiden sich die Ausschlussklauseln von
den in Art. 33 Abs. 2 GFK niedergelegten Ausnahmen vom flüchtlingsrechtli-
chen Verbot des Refoulement. Letztere verlangen ausdrücklich eine (aktuelle)
Gefahr für die Sicherheit oder für die Allgemeinheit des Aufnahmestaates. Sie
bezwecken den Schutz des Aufnahmelandes und erfordern daher, dass von
dem Betroffenen eine gegenwärtige oder zukünftige Gefahr ausgeht. Sie be-
rücksichtigen damit den im Völkergewohnheitsrecht anerkannten Grundsatz,
dass jeder Staat dem Schutz seiner eigenen Sicherheit Vorrang vor fremden-
rechtlichen Verpflichtungen einräumen darf. Demgegenüber knüpfen die Aus-
schlussklauseln an ein in der Vergangenheit liegendes Handeln an. Sie beruhen
auf der Überlegung, dass bestimmte Personen keinen internationalen Flücht-
lingsschutz „verdienen“ (vgl. Abs. 2 der UNHCR-Richtlinien und Abs. 140 des
UNHCR-Handbuchs über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flücht-
lingseigenschaft vom September 1979, Neuauflage UNHCR Österreich Dezem-
ber 2003 - nachfolgend: UNHCR-Handbuch; ebenso die Empfehlung des Minis-
terrats vom 23. März 2005 - Rec <2005>6 -), und verfolgen zwei Zwecke: Sie
sollen den Flüchtlingsstatus vor Missbrauch schützen, indem eine Gewährung
29
- 17 -
an unwürdige Antragsteller vermieden wird. Außerdem sollen sie sicherstellen,
dass diese Personen sich ihrer strafrechtlichen Verfolgung nicht entziehen (vgl.
Gilbert, Current issues in the application of the exclusion clauses, 2001, S. 2;
s.a. Abs. 2 der UNHCR-Richtlinien). Aus diesen unterschiedlichen Schutzrich-
tungen ergibt sich, dass der Schutz des Aufnahmestaates bei den Ausschluss-
gründen - anders als bei den Ausnahmen vom Verbot des Refoulements - nur
eine Nebenfolge darstellt.
Dies bestätigt die Entstehungsgeschichte der Genfer Flüchtlingskonvention.
Ausweislich der Travaux Préparatoires wurde der grundsätzliche Unterschied
zwischen den - an ein früheres persönliches Fehlverhalten anknüpfenden -
Ausschlussgründen und den - den Schutz des Aufnahmestaates bezwecken-
den - Ausnahmen vom Non-Refoulement-Gebot in den Beratungen gesehen.
Maßgeblich war für die Staatenvertreter bei den Ausschlussklauseln nicht, ob
von dem Flüchtling aktuell eine Gefahr ausgeht, sondern die Unterscheidung
zwischen „bona fide“ und „kriminellen“ Flüchtlingen („ordinary common law cri-
minals“ - vgl. Takkenberg/Tabhaz, a.a.O., SR 24 S. 5). Der von den Aus-
schlussklauseln erfasste Personenkreis sollte wegen seines Fehlverhaltens
nicht mit „bona fide Flüchtlingen“ auf eine Stufe gestellt werden (vgl.
Takkenberg/Tabhaz, a.a.O., SR 24 S. 6). Es sollte verhindert werden, dass
durch die Einbeziehung von Straftätern in den Kreis der anerkannten Flüchtlin-
ge der Flüchtlingsstatus in Misskredit gerät („refugees whose actions might
bring discredit on that status“ - vgl. Takkenberg/Tabhaz, a.a.O., SR 29 S. 19).
Die Auffassung des UNHCR, Ziel und Zweck des Ausschlussgrundes der
schweren nichtpolitischen Straftat sei, die Bevölkerung des Aufnahmelandes
vor der Gefahr zu schützen, die mit der Aufnahme eines Flüchtlings, der ein
schweres nichtpolitisches Verbrechen begangen hat, entstehen könnte (vgl.
Abs. 151 des UNHCR-Handbuchs), findet weder in den Materialien zur Genfer
Flüchtlingskonvention noch in der internationalen Staatenpraxis eine Stütze.
Auch im Richtlinienvorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaf-
ten wird nur der Missbrauchsgedanke aufgegriffen, indem darauf hingewiesen
wird, dass die Mitgliedstaaten zur Wahrung der Integrität und Glaubwürdigkeit
der Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet sind, Antragstellern, auf die Art. 1
Abschnitt F GFK Anwendung findet, die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuer-
30
- 18 -
kennen (vgl. Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Min-
destnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen
und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internatio-
nalen Schutz benötigen, vom 12. September 2001, KOM(2001) 510 endgültig,
S. 29 - nachfolgend: Richtlinienvorschlag der Kommission -). Entsprechend
trennt die Richtlinie 2004/83/EG sowohl bei der Anerkennung der Flüchtlings-
eigenschaft als auch bei der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus klar
zwischen dem Ausschluss wegen früherer Handlungen (für den Flüchtlings-
schutz vgl. Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie; für den subsidiären Schutz vgl. Art. 17
Abs. 1 Buchst. a bis c der Richtlinie) und der nachträglichen Aberkennung, Be-
endigung oder Ablehnung der Verlängerung der Flüchtlingseigenschaft (vgl.
Art. 14 Abs. 4 der Richtlinie) bzw. dem Ausschluss von der Gewährung subsidi-
ären Schutzes (vgl. Art. 17 Abs. 1 Buchst. d und Art. 19 Abs. 3 Buchst. a der
Richtlinie) bei Personen, die eine Gefahr für die Sicherheit oder die Allgemein-
heit des Aufnahmestaats darstellen.
3. und 4. Vorlagefrage:
a) Ist Frage 2 zu verneinen, kommt es entscheidungserheblich darauf an, ob
der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b
und c der Richtlinie 2004/83/EG zumindest eine einzelfallbezogene Verhältnis-
mäßigkeitsprüfung verlangt, welche Kriterien hierbei zu berücksichtigen sind
und welcher Maßstab anzulegen ist. Bedarf es keiner einzelfallbezogenen Ver-
hältnismäßigkeitsprüfung und ist Frage 3 deshalb zu verneinen, ist der Kläger
(bei gleichzeitiger Bejahung von Frage 1 und Verneinung von Frage 2) von der
Flüchtlingsanerkennung zwingend ausgeschlossen. Bedarf es einer einzelfall-
bezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung, hängt die Flüchtlingsanerkennung
dagegen von der Beantwortung der Frage 4 nach den Kriterien und Maßstäben
für diese Prüfung ab.
31
b) Nach Auffassung des Senats sind die Ausschlussklauseln grundsätzlich
zwingend und belassen den zuständigen Behörden keinen Ermessensspiel-
raum. Den Tatbestandsvoraussetzungen liegt eine abstrakte Verhältnismäßig-
keitsprüfung zugrunde. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor, ist davon
32
- 19 -
auszugehen, dass der Betroffene keinen Flüchtlingsschutz verdient. Dennoch
darf die Anwendung der Ausschlussklauseln im Einzelfall nicht dem im Völker-
und im Gemeinschaftsrecht anerkannten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wider-
sprechen. Dieser Grundsatz erfordert, dass jede Maßnahme geeignet und er-
forderlich und in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Zweck
steht. Frage 3 ist nach Auffassung des Senats daher im Grundsatz zu bejahen
(auch der UNHCR fordert „regelmäßig“ eine Verhältnismäßigkeitsprüfung
Abs. 24 der UNHCR-Richtlinien>; andere Staaten lehnen eine Verhältnismäßig-
keitsprüfung zum Teil generell ab, vgl. etwa das britische Immigration Appeal
Tribunal, Urteile vom 7. Mai 2004, KK Turkey [2004] UKIAT
00101 Rn. 90 ff. und vom 18. Mai 2005, AA Palestine
[2005] UKIAT 00104 Rn. 59 f.).
c) Bei der Prüfung, ob ein Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung trotz
Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen im konkreten Einzelfall wegen Un-
verhältnismäßigkeit ausscheidet, ist nach Auffassung des Senats vor allem der
mit den Ausschlussklauseln verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Zielen die
Ausschlussklauseln - wie oben dargestellt - nicht auf den Schutz des Aufnah-
melandes, sondern liegt ihnen der Gedanke der Asylunwürdigkeit zugrunde und
geht es darum, eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Flüchtlingsschut-
zes zu vermeiden und sicherzustellen, dass niemand sich seiner strafrechtli-
chen Verantwortung entzieht, ist primär das dem Betroffenen zur Last gelegte
Fehlverhalten gegen die Folgen eines Ausschlusses abzuwägen. In diese Rich-
tung geht auch die Kommission in ihrem Richtlinienvorschlag, wonach bei der
Ausschlussklausel der schweren nichtpolitischen Straftat die Schwere der zu
erwartenden Verfolgung gegen die Art der Straftat, deren der Betroffene ver-
dächtigt wird, abzuwägen ist (vgl. Richtlinienvorschlag der Kommission, S. 29).
Bei dieser Abwägung ist nach Auffassung des Senats zu berücksichtigen, dass
es zur Zeit des Inkrafttretens der Genfer Flüchtlingskonvention keine subsidiä-
ren Schutzmöglichkeiten gab mit der Folge, dass Personen bei Vorliegen eines
Ausschlussgrundes regelmäßig in den Verfolgerstaat abgeschoben wurden.
Dagegen unterfallen von der Flüchtlingsanerkennung ausgeschlossene Perso-
nen nunmehr in allen Staaten, die die Europäische Menschenrechtskonvention
ratifiziert haben, dem - absoluten - Refoulementverbot des Art. 3 EMRK. Damit
33
- 20 -
ist sichergestellt, dass sie nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sie
Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unter-
worfen wären. Darüber hinaus bestehen teilweise weitergehende nationale Ab-
schiebungsverbote (in Deutschland etwa nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG). Ein
Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung führt damit heute nicht (mehr)
zwangsläufig zu einer Abschiebung in den Verfolgerstaat, sondern hat in den
meisten Fällen zur Folge, dass dem Betroffenen zwar der Flüchtlingsstatus
verwehrt ist, er jedoch subsidiären (nicht mit dem subsidiären Schutzstatus
nach der Richtlinie 2004/83/EG zu verwechselnden) Abschiebungsschutz ge-
nießt. Dieser Umstand ist nach Auffassung des Senats bei der Verhältnismä-
ßigkeitsprüfung mit zu berücksichtigen, so dass Frage 4 Buchst. a zu bejahen
ist.
d) Ausgehend von der bereits in den Tatbestandsvoraussetzungen angelegten
abstrakten Verhältnismäßigkeitsprüfung, dem mit den Ausschlussklauseln ver-
folgten Zweck und der Möglichkeit der Erlangung subsidiären Abschiebungs-
schutzes dürfte die Anwendung der Ausschlussklauseln damit im Ergebnis nur
in besonders gelagerten Ausnahmefällen unverhältnismäßig sein, weswegen
Frage 4 Buchst. b nach Auffassung des Senats ebenfalls zu bejahen ist. Vor-
aussetzung für die Annahme eines derartigen Ausnahmefalles ist, dass der Be-
troffene trotz seines früheren Fehlverhaltens es (wieder) verdient, auf eine Stufe
mit einem „bona fide Flüchtling“ gestellt zu werden. Dies ist der Fall, wenn eine
Gesamtwürdigung seiner Persönlichkeit und seines zwischenzeitlichen Verhal-
tens ergibt, dass er trotz seiner Vergangenheit (wieder) schutzwürdig ist. Hierfür
genügt nach Auffassung des Senats nicht, dass von dem Betroffenen - wie
hier - keine Gefahr mehr ausgeht, er sich von seinen früheren Taten distanziert
und seine Strafe zumindest teilweise verbüßt und hierbei gesundheitliche Schä-
den davon getragen hat. Dagegen kommt im Falle der früheren Unterstützung
terroristischer Aktivitäten ein Ausnahmefall etwa in Betracht, wenn der Betroffe-
ne sich von den Taten nicht nur distanziert, sondern inzwischen aktiv an der
Verhinderung weiterer Terrorakte mitwirkt oder es sich um eine Jahrzehnte zu-
rückliegende „Jugendsünde“ handelt.
34
- 21 -
2. Neben der Flüchtlingsanerkennung in Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG
geht es im vorliegenden Verfahren zugleich darum, ob dem Kläger nach natio-
nalem Verfassungsrecht ein Anspruch auf Asyl zusteht. In diesem Zusammen-
hang stellt sich die 5. Vorlagefrage nach der Vereinbarkeit einer Asylgewährung
mit der Richtlinie 2004/83/EG im Sinne von deren Art. 3, sofern die Flüchtlings-
anerkennung nach Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie ausgeschlossen ist.
35
a) Bei Zugrundelegung der bestehenden Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zur Auslegung des Art. 16a
GG hätte der Kläger einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter. Er
wurde - wie oben dargelegt - nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstanden-
den tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts in seinem Heimatland
politisch verfolgt und wäre bei einer Rückkehr vor erneuter politischer Verfol-
gung nicht hinreichend sicher.
36
Der Anerkennung als Asylberechtigter stünde nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts nicht entge-
gen, dass der Kläger in seinem Heimatland eine terroristische Organisation ak-
tiv unterstützt hat. Die Ausschlussklauseln der Genfer Flüchtlingskonvention
beruhen auf dem Konzept der Asylunwürdigkeit. Sie verbieten es den Staaten
aber nicht, nach der Konvention ausgeschlossenen Personen dennoch Schutz
zu gewähren (vgl. Davy, Terrorismusbekämpfung und staatliche Schutzgewäh-
rung, ZAR 2003, 43 m.w.N. zur Entstehungsgeschichte). Obwohl den Schöp-
fern des Grundgesetzes das Problem des um Asyl nachsuchenden Gewalttä-
ters durchaus geläufig war, haben sie davon abgesehen, den Schutzbereich
des Grundrechts ausdrücklich auf Personen zu beschränken, die sich keines
schweren nichtpolitischen Verbrechens oder Terroraktes schuldig gemacht ha-
ben. Das Grundrecht auf Asyl enthält auch in der aktuell geltenden Fassung
des Art. 16a GG keinen Schranken- oder Regelungsvorbehalt, der den einfa-
chen Gesetzgeber ermächtigt, bestimmte Personenkreise - etwa in Umsetzung
der Ausschlussklauseln des Art. 1 Abschnitt F GFK - vom Schutzbereich gene-
rell auszunehmen. Der einfache Gesetzgeber ist nur ermächtigt, die verfas-
sungsimmanenten Grenzen des Asylgrundrechts nachzuzeichnen.
37
- 22 -
Das Bundesverwaltungsgericht hat hieraus in seiner bisherigen Rechtspre-
chung gefolgert, dass das Grundrecht auf Asyl keine Beschränkung auf Perso-
nen kennt, die sich als asylwürdig bzw. nicht asylunwürdig erwiesen haben. Es
hat dies damit begründet, dass dem Asylrecht im Gegensatz zur Genfer Flücht-
lingskonvention ein Ausschluss sog. Asylunwürdiger fremd ist. Art. 1 Ab-
schnitt F GFK, der die Täter der dort aufgeführten schweren Verbrechen von
der Anwendung des Flüchtlingsschutzes ausschließt, sei nicht Ausdruck eines
Rechtsgrundsatzes mit Verfassungsrang und könne daher als niederrangiges
Recht den Geltungsbereich des uneingeschränkt gewährleisteten Grundrechts
nicht begrenzen (vgl. Urteile vom 17. Mai 1983 - BVerwG 9 C 36.83 - BVerwGE
67, 184 <192> und vom 8. November 1983 - BVerwG 9 C 93.83 - BVerwGE 68,
171 <173>).
38
Auch das Bundesverfassungsgericht hat die Ausschlussklauseln des Art. 1 Ab-
schnitt F GFK bislang nicht auf das Asylgrundrecht angewandt. Zwar geht es im
Grundsatz davon aus, dass die Schöpfer des Grundgesetzes mit dem Grund-
recht auf Asyl dasjenige zum Rechtsanspruch erheben wollten, was zur Zeit der
Entstehung des Grundgesetzes im Völkerrecht als Asyl oder Asylgewährung
begriffen wurde, und das Grundrecht damit, wenn dafür keine besonderen An-
haltspunkte vorliegen, jedenfalls nicht großzügiger auszulegen sein dürfte als
das Flüchtlingsvölkerrecht nach der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 <343>).
Hinsichtlich des vom Asylrecht umfassten Personenkreises ist es aber immer
von einer weiten Auslegung des Begriffs des politisch Verfolgten ausgegangen.
Dies wurde damit begründet, dass in den Beratungen des Parlamentarischen
Rates Einigkeit bestanden hat, dass es nicht geboten ist, das Asylrecht eng zu
fassen oder auf einen bestimmten Personenkreis zu begrenzen. Damit umfasst
das Asylrecht etwa auch Personen, die eine schwere nichtpolitische Straftat
begangen haben, wenn sie bei einer Rückkehr aus politischen Gründen Verfol-
gungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib oder Leben oder Beschränkungen ihrer
persönlichen Freiheit ausgesetzt wären, und kann auch dann bestehen, wenn
die Eigenschaft des „politischen Flüchtlings“ nach der Genfer Flüchtlingskon-
vention nicht vorliegt (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 4. Februar 1959 - 1 BvR
193/57 - BVerfGE 9, 174 <180 f.> und vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -
39
- 23 -
BVerfGE 54, 341 <357>). Ein Ausschluss vom Asylrecht ist nach der bisherigen
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungs-
gerichts nur in zwei Fallgruppen angenommen worden. Zum einen liegt es au-
ßerhalb des Asylrechts, wenn für terroristische Aktivitäten nur ein neuer Kampf-
platz gesucht wird, um sie dort fortzusetzen oder zu unterstützen. Demgemäß
kann Asyl nicht beanspruchen, wer im Heimatland unternommene terroristische
Aktivitäten oder deren Unterstützung von der Bundesrepublik Deutschland aus
in den hier möglichen Formen fortzuführen trachtet; er sucht nicht den Schutz
und Frieden, den das Asylrecht gewährleisten will (vgl. BVerfG, Beschluss vom
20. Dezember 1989 - 2 BvR 958/86 - BVerfGE 81, 142 <152>). Dies gilt auch
für den, der erstmals von Deutschland aus im Rahmen exilpolitischer Aktivitäten
den politischen Kampf mit terroristischen Mitteln aufnimmt (Urteil vom 30. März
1999 - BVerwG 9 C 23.98 - BVerwGE 109, 12 <16 ff.>) - sog. Terrorismusvor-
behalt. Zum anderen ist anerkannt, dass der Asylanspruch dann ausgeschlos-
sen ist, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG, der sei-
nerseits Art. 14 Abs. 4 Buchst. a und b der Richtlinie 2004/83/EG bzw. Art. 33
Abs. 2 GFK entspricht, vorliegen, d.h. wenn der Ausländer aus schwerwiegen-
den Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland
anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen
eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer
Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Zusätzlich er-
forderlich ist dabei in jedem Fall die Prognose, dass der Ausländer die die Si-
cherheit des Staates oder seiner Bevölkerung gefährdende Betätigung in Zu-
kunft mit hoher Wahrscheinlichkeit fortsetzen wird (vgl. Urteile vom 30. März
1999 - BVerwG 9 C 31.98 - BVerwGE 109, 1 <3 ff., 8> und vom 1. November
2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <278, 289>). Diese Beschrän-
kung des an sich vorbehaltlos gewährten Asylgrundrechts ist verfassungsge-
mäß, weil sie durch den gleichrangigen Verfassungswert der Sicherheit des
Staates als verfasster Friedens- und Ordnungsmacht und die von ihm zu ge-
währleistende Sicherheit seiner Bevölkerung geboten ist und damit eine verfas-
sungsimmanente Schranke des Asylrechts darstellt, die der Gesetzgeber durch
§ 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG in der oben dargestellten restriktiven Auslegung in
zulässiger Weise konkretisiert hat (vgl. Urteil vom 30. März 1999 - BVerwG 9 C
31.98 - a.a.O. S. 3 ff. m.w.N.).
- 24 -
Diese verfassungsrechtlich gerechtfertigten Ausschlussgründe liegen im Falle
des Klägers nicht vor. Denn der Kläger hat nach den Feststellungen des Beru-
fungsgerichts spätestens mit dem Verlassen seines Heimatlandes mit der Ver-
gangenheit gebrochen und einen neuen Lebensabschnitt begonnen; er ist allein
zu dem Zweck in das Bundesgebiet geflohen, um hier den Schutz und den
Frieden zu finden, den das Asylrecht gewährt. Anhaltspunkte für eine Fortfüh-
rung der im Heimatland unternommenen Unterstützung einer gewalttätigen ext-
remistischen Organisation vom Bundesgebiet aus, liegen nicht vor. Vielmehr
hat er glaubhaft vorgetragen, dass er - getragen von der Überzeugung, dass
der von der DHKP-C eingeschlagene Weg falsch ist - inzwischen jeglichen Kon-
takt zu der Organisation abgebrochen und sich von deren Zielen distanziert hat
(UA S. 20 ff.). Auf der Grundlage dieser - für das Revisionsgericht bindenden -
Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger von
Deutschland aus terroristische Aktivitäten fortsetzen oder unterstützen will.
Mangels einer Wiederholungsgefahr ist der Kläger auch nicht nach § 60 Abs. 8
Satz 1 AufenthG von der Asylanerkennung ausgeschlossen.
40
b) Scheitert die Flüchtlingsanerkennung vorliegend an einem Ausschlussgrund
nach Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/83/EG, stellt sich damit entschei-
dungserheblich die Frage, ob sich dieser Ausschluss über den Anwendungsvor-
rang des Gemeinschaftsrechts auf den Asylanspruch nach Art. 16a GG aus-
wirkt. Dies hängt davon ab, ob die Richtlinie 2004/83/EG die Gewährung eines
mit dem Flüchtlingsstatus vergleichbaren nationalen Schutzstatus trotz Vorlie-
gens eines Ausschlussgrundes zulässt. Dies richtet sich nach Art. 3 der Richtli-
nie 2004/83/EG. Danach können die Mitgliedstaaten günstigere Normen zur
Entscheidung der Frage, wer als Flüchtling oder Person gilt, die Anspruch auf
subsidiären Schutz hat, und zur Bestimmung des Inhalts des internationalen
Schutzes erlassen oder beibehalten, sofern sie mit der Richtlinie vereinbar sind.
41
Für die Vereinbarkeit einer Asylanerkennung mit der Richtlinie 2004/83/EG und
damit für eine Bejahung der Frage 5 spricht nach Auffassung des Senats, dass
sich die Richtlinie auf die Festlegung von Mindestnormen konzentriert. Damit
hindert sie die Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht daran, Antragstellern über die
42
- 25 -
festgelegten Mindestnormen hinausgehende günstigere Bedingungen einzu-
räumen (so auch Richtlinienvorschlag der Kommission, S. 13). Dies gilt nach
Art. 3 der Richtlinie 2004/83/EG ausdrücklich auch hinsichtlich der Frage, wer
als Flüchtling gilt. Der Erlass oder das Beibehalten günstigerer Normen steht
aber unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass diese mit der Richtlinie verein-
bar sind. Zweifelhaft ist, ob diese Grenze durch die Gewährung einer verfas-
sungsrechtlich verbürgten Rechtsstellung als Asylberechtigter trotz Vorliegens
eines Ausschlussgrundes überschritten würde. Die Asylanerkennung nach
Art. 16a GG ist zwar rechtlich nicht identisch mit der Flüchtlingsanerkennung
nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Richtlinie 2004/83/EG. Sie hat
jedoch im Wesentlichen die gleiche Funktion und die gleichen Rechtsfolgen.
Denn nach Art. 2 Abs. 1 AsylVfG genießt der Asylberechtigte im Bundesgebiet
- jedenfalls - die Rechtsstellung nach dem Abkommen über die Rechtsstellung
der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, d.h. nach der Genfer Flüchtlingskonvention.
Das grundlegende Ziel der Richtlinie 2004/83/EG, die Asylpolitik zu vereinheitli-
chen und zu einem gemeinsamen europäischen Asylsystem zu gelangen (vgl.
Erwägungsgrund 1), würde möglicherweise unterlaufen, wenn die Mitglied-
staaten im Rahmen nationaler Asylvorschriften neben den in der Richtlinie fest-
gelegten Schutzformen einen anderen, im Wesentlichen funktionsgleichen
Schutzstatus gewähren, der abweichend von den zwingenden Ausschlussgrün-
den nach Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie zuerkannt wird. Dabei ist zu be-
rücksichtigen, dass die Richtlinie 2004/83/EG ein System unterschiedlicher
Ausschluss-, Erlöschens- und sonstiger Aberkennungs-, Beendigungs- oder
Ablehnungsgründe kennt. Diese sind überwiegend - und so auch die Aus-
schlussgründe des Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/83/EG - zwingend
ausgestaltet, lassen mithin eine Ausnahme oder ein Anwendungsermessen der
Mitgliedstaaten nicht zu. Die Richtlinie kennt dagegen auch Gründe, bei denen
es den Mitgliedstaaten frei gestellt ist, ob sie diese der Flüchtlingsanerkennung
entgegenhalten wollen (vgl. etwa Art. 14 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG). Die
dort aufgezählten (fakultativen) Gründe zeichnen sich dadurch aus, dass sie die
Sicherheitsinteressen des jeweiligen Mitgliedstaates und damit primär nationale
Interessen betreffen. Dies könnte im Umkehrschluss dafür sprechen, dass die
zwingend ausgestalteten Ausschlussgründe des Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richt-
linie 2004/83/EG über Art. 3 der Richtlinie 2004/83/EG nicht unterlaufen werden
- 26 -
dürfen. Dass der Richtliniengeber den in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie
2004/83/EG aufgeführten Ausschlussgründen ein besonderes Gewicht bei-
misst, dürfte sich auch daraus ergeben, dass sie sich fast wortgleich beim sub-
sidiären Schutz in Art. 17 Abs. 1 Buchst. a bis c der Richtlinie 2004/83/EG wie-
derfinden, der Betroffene mithin nach dem Willen des Richtliniengebers bei ih-
rem Vorliegen vom internationalen Schutz der Richtlinie gänzlich ausgeschlos-
sen sein soll.
Dr. Mallmann Prof. Dr. Dörig Richter
Beck Fricke
Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Asylrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
AsylVfG
§ 3 Abs. 1, 2
AufenthG
§ 60 Abs. 1 bis 8
AuslG
§ 51 Abs. 1 und 3
EMRK Art.
3
GG
Art. 16a
GFK
Art. 1 F Buchst. b und c, Art. 33 Abs. 2
EG
Art. 68 Abs. 1, Art. 234 Abs. 1 und 3
Richtlinie 2004/83/EG
Art. 3, 4 Abs. 4, Art. 9, 12 Abs. 2 und 3
UN-Charta
Art. 24, 25
Stichworte:
Asyl; Flüchtlingsanerkennung; Refoulementverbot; Ausschluss; Terrorismus;
Unterstützung; DHKP/C; schwere nichtpolitische Straftat; Ziele und Grundsätze
der Vereinten Nationen; Vorabentscheidung; Asylunwürdigkeit; Wiederholungs-
gefahr; Verhältnismäßigkeit; Abschiebungsschutz; Anwendungsvorrang.
Leitsatz:
Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemein-
schaften zur Klärung der Voraussetzungen und der Wirkungen eines Aus-
schlusses nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 2004/83/EG.
Beschluss des 10. Senats vom 14. Oktober 2008 - BVerwG 10 C 48.07
I. VG Gelsenkirchen vom 13.06.2006 - Az.: VG 14a K 5395/04.A -
II. OVG Münster vom 27.03.2007 - Az.: OVG 8 A 2632/06.A -