Urteil des BVerwG vom 22.05.2006

BVerwG: rechtliches gehör, kenntnisnahme, sprachkurs, beteiligter, aussiedlung, anhörung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 89.05
OVG 2 A 3871/03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Mai 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt und Dr. Franke
beschlossen:
Die Gehörsrüge der Klägerin gegen den Beschluss des
Bundesverwaltungsgerichts vom 29. August 2005
- BVerwG 5 B 47.05 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens über die Ge-
hörsrüge.
G r ü n d e :
Die Gehörsrüge gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom
29. August 2005 - BVerwG 5 B 47.05 - hat keinen Erfolg. Der Anspruch der
Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO) ist nicht da-
durch verletzt, dass der Senat sich in seinem Beschluss vom 29. August 2005
den vom damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der Beschwerde-
begründung vom 19. Mai 2005 vertretenen Rechtsstandpunkt zur rechtsgrund-
sätzlichen Bedeutung der aufgeworfenen Fragen zu den Anforderungen an die
Intensität der familiären Sprachvermittlung nicht zu Eigen gemacht, sondern die
Fragen als im Rechtsgrundsätzlichen durch das Urteil vom 4. September 2003
- BVerwG 5 C 33.02 - (BVerwGE 119, 6 ff.) geklärt und im Übrigen als Fragen
einzelfallbezogener Bewertung durch die Tatsacheninstanzen angesehen hat.
Soweit die Klägerin zunächst geltend macht, der angefochtene Beschluss gehe
nicht weiter auf die im Schriftsatz vom 19. Mai 2005 erhobenen Einwände ge-
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gen das „unzutreffende Ergebnis der Anhörung der Klägerin ... im Erörterungs-
termin“ ein, betrifft dies - wie auch die Klägerin nicht verkennt - die Bewertung
der Tatsachenfeststellungen im Einzelfall, aber keine Rechtsfragen von rechts-
grundsätzlicher Bedeutung. Diese auf Seite 4 des angegriffenen Beschlusses
getroffene Feststellung bedurfte auch unter Gesichtspunkten der Gehörsge-
währung keiner weiteren Vertiefung, denn das Gericht ist nicht verpflichtet, sich
in seiner Entscheidungsbegründung mit jedem Vorbringen ausdrücklich zu be-
fassen (vgl. nur BVerfGE 13, 129 <149>; 42, 364 <368>); dies gilt um so mehr,
wenn die Entscheidungserheblichkeit des Vorbringens - hier in Hinblick auf die
allein erhobene Grundsatzrüge - nicht erkennbar ist.
Auch soweit die Klägerin geltend macht, in dem angegriffenen Beschluss werde
verkannt, dass mit Blick auf die - vom Berufungsgericht unterstellte - Fähigkeit
zur Führung eines einfachen Gesprächs auf Deutsch im Zeitpunkt der Aussied-
lung auch der kausale Bezug zwischen familiärer Vermittlung und erforderli-
chem Sprachniveau im Sinne des genannten Urteils des Bundesverwaltungs-
gerichts vom 4. September 2003 bejaht werden müsse, was zur Vermeidung
von Rechtsunsicherheit eine Präzisierung der in dem Urteil vom 4. September
2003 vertretenen Rechtsauffassung erforderlich mache, wird der Sache nach
kein Gehörsverstoß, sondern eine rechtsfehlerhafte Bewertung unter dem Prü-
fungsmaßstab der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung geltend gemacht. Die Ge-
hörsrüge dient jedoch nicht der Korrektur behaupteter Rechtsfehler durch das
entscheidende Gericht, sondern allein der Heilung von Gehörsverstößen durch
Nachholung einer unterbliebenen Kenntnisnahme und Berücksichtigung von
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten; dieses Verfahrensgrundrecht begründet
einen Anspruch auf Kenntnisnahme und Berücksichtigung relevanten Partei-
vorbringens, aber nicht auf ein bestimmtes - von einem Verfahrensbeteiligten
für allein richtig gehaltenes - Ergebnis.
Das Gleiche gilt, soweit die Klägerin geltend macht, in der Begründung des an-
gegriffenen Beschlusses werde nicht auf die Problematik der „Frage nach der
Grenzziehung“, wie viel an Sprache familiär vermittelt worden sein müsse und
wie viel unschädlich aufgefrischt oder fremdsprachlich erworben sein könne, im
Einzelnen eingegangen. Auch insoweit gewährt der Anspruch auf rechtliches
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Gehör der Klägerin keine ins Einzelne gehende, detaillierte gerichtliche Ausei-
nandersetzung mit den vor ihr aufgeworfenen Fragen in der Begründung einer
Nichtzulassungsentscheidung, sondern ist erst dann verletzt, wenn besondere
Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten
entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung
ersichtlich nicht erwogen worden ist (vgl. nur BVerfGE 13, 129 <149>; 42, 364
<368>;86, 133 <146>). Der Umstand, dass ein Beteiligter eine Beschwerdeent-
scheidung für falsch hält und dies auf eine unzureichende Auseinandersetzung
mit den von ihm angeführten rechtlichen Gesichtspunkten zurückführt, reicht
insoweit nicht aus.
Auch mit dem Vorbringen, der angegriffene Beschluss lasse unbeantwortet, wie
genau die Feststellungen zu den (sprachlichen) Erwerbsvorgängen sein müss-
ten, insbesondere ob es ausreiche, „wenn sich jemand zur Durchführung des
Sprachtests einige Tage oder wenige Monate im Bundesgebiet aufgehalten und
erklärt (habe), er habe einen Sprachkurs besucht“, und der Hinweis in der an-
gefochtenen Entscheidung auf die Notwendigkeit der Ausschöpfung vorhande-
ner Erkenntnisquellen lasse die erforderliche rechtliche Konturierung vermis-
sen, so dass insoweit das Beschwerdevorbringen „nicht vollständig gewürdigt“
worden sei, wird der Sache nach kein Gehörsverstoß, sondern eine unzurei-
chende Begründungsdichte geltend gemacht. Das Verfahrensgrundrecht auf
rechtliches Gehör gewährleistet den Verfahrensbeteiligten jedoch keine um-
fängliche und ausdrückliche Auseinandersetzung mit jedem einzelnen - insbe-
sondere rechtlichen - Begründungsaspekt. Dies erhellt für den Bereich der
Nichtzulassungsbeschwerde insbesondere auch die Regelung des § 133
Abs. 5 Satz 2 VwGO, wonach der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts
„kurz“ begründet werden soll und von einer Begründung abgesehen werden
kann, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutra-
gen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Dr. Säcker Schmidt Dr. Franke
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