Urteil des BVerwG vom 19.09.2006
BVerwG: rechtliches gehör, irak, beweisantrag, rache, familie, verbrechen, anhörung, widerruf, berufungskläger, glaubwürdigkeit
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 58.07 (bisher: 1 B 278.06)
OVG 1 LB 25/05
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Juli 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter und Prof. Dr. Kraft
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Schleswig-
Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom
19. September 2006 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde
bleibt ohne Erfolg.
Die Beschwerde macht zunächst der Sache nach geltend, das Berufungsge-
richt habe den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (§ 138 Nr. 3 VwGO)
dadurch verletzt, dass es zu Unrecht über die Berufung durch Beschluss nach
§ 130a VwGO entschieden habe. Damit sei dem Kläger keine Möglichkeit ge-
geben worden, seine Befürchtungen für den Fall einer Rückkehr in den Irak im
Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu äußern. Bereits in der ersten In-
stanz sei der Kläger nicht angehört worden. Das erstinstanzliche Gericht habe
in Fällen wie dem vorliegenden (Widerruf des Flüchtlingsstatus von irakischen
Staatsangehörigen) teilweise förmlich eine mündliche Verhandlung durchge-
führt, zu der faktisch aber nach Absprache mit dem Richter niemand erschie-
nen sei, da es nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts auf den
individuellen Vortrag nicht angekommen sei.
Mit diesem Vorbringen wird der behauptete Verfahrensverstoß nicht den Anfor-
derungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt. Die Be-
schwerde zeigt nicht auf, dass das Berufungsgericht § 130a VwGO fehlerhaft
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ausgelegt und angewendet und damit den Anspruch des Klägers auf rechtli-
ches Gehör verletzt hat (vgl. auch den den Beteiligten bekannten Beschluss
vom 7. Februar 2007 - BVerwG 1 B 286.06). Der Gesetzgeber hat - wie es sich
aus dem Zusammenhang mit § 84 Abs. 2 VwGO erschließt - das vereinfachte
Berufungsverfahren nach § 130a VwGO nur unter der Voraussetzung zugelas-
sen, dass in erster Instanz eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat oder
dem Berufungskläger jedenfalls eröffnet war. Eine Entscheidung ohne mündli-
che Verhandlung ist danach unzulässig, wenn der Klage in erster Instanz durch
Gerichtsbescheid stattgegeben wurde (vgl. Urteil vom 14. März 2002 - BVerwG
1 C 15.01 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 58). Dies macht die Beschwerde
indessen nicht geltend. Tatsächlich hat das Verwaltungsgericht - entgegen der
Darstellung der Beschwerde - ausweislich der Niederschrift vom 5. August 2005
eine mündliche Verhandlung durchgeführt, zu der der Kläger nicht erschienen
ist. Damit hat der Kläger auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung
und die damit verbundene Gelegenheit, persönlich vor Gericht vorzutragen,
verzichtet (vgl. zur Zulässigkeit einer Entscheidung nach § 130a VwGO in dem
- hier nicht gegebenen - Fall eines Verzichts auf mündliche Verhandlung nach
§ 101 Abs. 2 VwGO das erwähnte Urteil vom 14. März 2002 a.a.O. m.w.N.).
Das Berufungsgericht war hierdurch an einer Entscheidung nach § 130a VwGO
nicht gehindert. Der Umstand, dass es - wie die Beschwerde darlegt - auf den
Vortrag des Klägers nach der damaligen Rechtsauffassung des Verwaltungsge-
richts für den Erfolg der Klage nicht ankam, ändert hieran nichts. Die Be-
schwerde zeigt schließlich auch nicht auf, dass sich das Berufungsgericht
durch Anhörung einen eigenen Eindruck von der Glaubwürdigkeit des Klägers
hätte verschaffen müssen (vgl. auch Beschluss vom 10. Mai 2002 - BVerwG
1 B 392.01 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259).
Die Beschwerde zeigt auch keine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf
rechtliches Gehör auf, soweit sie weiter ausführt, das Berufungsgericht habe
nicht den im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 4. August 2006 gestellten
Antrag des Klägers ablehnen dürfen, durch Vernehmung des A. als Zeugen
Beweis dazu zu erheben, dass der Kläger und seine Familie wegen der frühe-
ren Tätigkeit seines Vaters im Rahmen der Baath-Partei im Irak ernstzuneh-
menden Drohungen durch Opfer und Gegner des Saddam-Regimes ausgesetzt
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sei. Zu Unrecht meint die Beschwerde, dieser - zuvor bereits im erstinstanzli-
chen Verfahren gestellte - Antrag habe nicht mit der Begründung abgelehnt
werden dürfen, dass er zu unsubstantiiert sei. Das Berufungsgericht hat inso-
weit u.a. ausgeführt (BA S. 11), der Kläger äußere Sorge vor privater Rache
wegen der Verbrechen seines - bereits 1991 verstorbenen - Vaters und der all-
gemeinen Unsicherheit im Irak, ohne allerdings zu konkretisieren, wer wann
welche Bedrohungen geäußert habe. Das Berufungsgericht hat mithin erkenn-
bar darauf abgestellt, dass der in Rede stehende Beweisantrag nicht auf sub-
stantiierte Tatsachenbehauptungen und Indiztatsachen gestützt ist. Damit hat
es entgegen der Ansicht der Beschwerde eine prozessrechtlich zulässige und
somit eine Gehörsverletzung ausschließende Begründung dafür gegeben, dass
es dem Beweisantrag nicht nachgekommen ist. Zugleich zeigt die Beschwerde
nicht in einer den gesetzlichen Darlegungsanforderungen entsprechenden
Weise auf, dass sich dem Berufungsgericht eine entsprechende weitere Tatsa-
chenaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO hätte aufdrängen müssen.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 Satz 1 RVG.
Dr. Mallmann Richter Prof. Dr. Kraft
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