Urteil des BVerwG vom 15.03.2017

BVerwG: zusicherung, abfindung, anspruch auf rechtliches gehör, behörde, treu und glauben, flurbereinigung, bekanntgabe, rechtswidrigkeit, form, erlass

Rechtsquellen:
FlurbG
§ 37 Abs. 1, § 44 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, §§ 57, 60, 64, 144
VwGO
§ 108 Abs. 2
VwVfG
§ 38 Abs. 1, Abs. 2, §§ 43, 72
LVwVfGRP §
1
Stichworte:
Rechtliches Gehör; Vertagungsantrag; Zusicherung; Rücknahme einer Zusiche-
rung; rechtswidrige Zusicherung; Bekanntgabe einer Zusicherung; Drittwirkung
einer Zusicherung; Abwägungsanspruch; Abwägungsgebot; Abwägungskontrol-
le; Planwunsch; Entwicklungstendenzen; Entwicklungsperspektiven; Flurberei-
nigungsplan; Abfindung; Gestaltung der Abfindung; Gebot der wertgleichen Ab-
findung; Alternativlösung; Planungsalternative; Planungsgewinn; Erschlie-
ßungsgebot; Abfindung in möglichst großen Grundstücken.
Leitsatz:
Zusicherungen sind im Anwendungsbereich des Flurbereinigungsgesetzes nicht
ausgeschlossen. Sie sind auch im Falle ihrer Rechtswidrigkeit grundsätzlich
wirksam (§ 38 Abs. 2 VwVfG). Dritten kann der Inhalt von Zusicherungen aber
nur entgegengehalten werden, wenn sie ihnen bekanntgegeben worden sind
oder der Dritte sich ausnahmsweise auf die mangelnde Bekanntgabe nicht be-
rufen kann.
Eine über die Gleichwertigkeitsprüfung nach § 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG hinaus-
gehende Abwägungskontrolle nach § 44 Abs. 2 Halbs. 1 FlurbG kommt in Be-
tracht, wenn der Inhaber eines Sandabbauunternehmens den Planwunsch nach
zusammenhängender Abfindung im Umfeld seiner bisherigen Abbaugrundstü-
cke äußert (im Anschluss an das Urteil vom 23. August 2006 - BVerwG 10 C
4.05 - RdL 2007, 14 - zur Veröffentlichung in BVerwGE und Buchholz vorgese-
hen).
Auf den Ausgleich eines lediglich individuellen Planungsgewinns durch die Zu-
teilung von Abfindungsgrundstücken, dem kein entsprechender Verlust des Ab-
gebenden gegenübersteht, hat der Abgebende keinen Anspruch.
Urteil des 10. Senats vom 17. Januar 2007 - BVerwG 10 C 1.06
I. OVG Koblenz vom 25.05.2005 - Az.: OVG 9 C 12017/04 -
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BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet
BVerwG 10 C 1.06
am 17. Januar 2007
OVG 9 C 12017/04
Oertel
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2007
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. h.c. Hien,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel, Dr. Nolte,
Domgörgen und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des Oberverwaltungsge-
richts Rheinland-Pfalz (Flurbereinigungsgericht für Rhein-
land-Pfalz und das Saarland) vom 25. Mai 2005 wird zu-
rückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen die Beigelade-
nen zu 2 und 3 mit Ausnahme der außergerichtlichen Kos-
ten der Beigeladenen zu 1, die diese selbst trägt.
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G r ü n d e :
I
Der Kläger begehrt eine Änderung des Flurbereinigungsplanes Ernzen.
Der Kläger ist als Eigentümer von Grundstücken, auf denen er Sandabbau be-
treibt, Teilnehmer am Flurbereinigungsverfahren. Durch den Nachtrag II zum
Flurbereinigungsplan waren ihm die Abfindungsflurstücke Flur … Nrn. 6 und 11
im Anschluss an das Betriebsgrundstück seines Sandabbaubetriebes zugeteilt
worden. Auf den Widerspruch der Beigeladenen zu 2 und 3, die Einlageflächen
in dieser Lage eingebracht hatten und sich darauf beriefen, ihnen sei bereits im
Jahr 1994 die Abfindung in alter Lage zugesichert worden, wurde diese Ände-
rung durch den Nachtrag IV zum Flurbereinigungsplan rückgängig gemacht und
dem Kläger das Abfindungsflurstück Flur … Nr. 5 zugeteilt. Der Kläger legte
daraufhin gegen den Nachtrag IV Widerspruch ein, mit dem er die Zuteilung der
Flurstücke Flur … Nrn. 6 und 11 begehrte.
Zur Begründung ihres ablehnenden Widerspruchsbescheides führte die
Spruchstelle für Flurbereinigung aus: Der Kläger sei mit Land von gleichem
Wert abgefunden worden. Ein Verstoß gegen das Abwägungs-, Gestaltungs-
und Entsprechungsgebot sei nicht zu erkennen. Im Bereich seiner Sandgrube
sei ihm eine zusammenhängende Abfindung ausgewiesen worden. Die einheit-
liche Nutzung werde durch die anderweitige Zuweisung der Abfindungsflurstü-
cke Flur … Nrn. 6 und 11 nicht gestört. Die betriebswirtschaftlichen Belange
des Klägers seien ebenso wie die der Beigeladenen zu 2 und 3 angemessen
berücksichtigt worden. Dabei habe die Verwertungsmöglichkeit durch die Beige-
ladenen zu 2 und 3 als der Alteigentümer zur Zuteilung an diese geführt. Die
mangelnde Erschließung der Flurstücke der Beigeladenen zu 2 und 3 habe
schon vor der Flurbereinigung bestanden. Die unzulässige Zusage gegenüber
den Beigeladenen zu 2 und 3 habe für die Entscheidung über den Nachtrag IV
keine Rolle gespielt.
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Der hiergegen erhobenen Klage des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht
Koblenz - Flurbereinigungsgericht - stattgegeben, soweit der Kläger die Zutei-
lung der Abfindungsflurstücke Flur … Nrn. 6 und 11 begehrt, jedoch nicht, so-
weit er dafür das Flurstück Flur … Nr. 5 an die Beigeladenen zu 2 und 3 abge-
ben will. Stattdessen hat das Flurbereinigungsgericht den Flurbereinigungsplan
in Gestalt des Widerspruchsbescheides dahin gehend geändert, dass der Klä-
ger an die Beigeladenen zu 2 und 3 eine Teilfläche aus dem Abfindungsflur-
stück Flur … Nr. 9 abgibt.
Zur Begründung hat das Flurbereinigungsgericht ausgeführt:
Die Abfindungsgestaltung durch den Nachtrag IV verstoße gegen das Abwä-
gungsgebot nach § 44 Abs. 2 FlurbG. Hierauf könne sich der Kläger auch beru-
fen, obwohl er gemäß § 44 Abs. 1 FlurbG mit Land von gleichem Wert abge-
funden worden sei.
Den Beigeladenen zu 2 und 3 sei eine Abfindung mit den Abfindungsflurstücken
Flur … Nrn. 6 und 11 nicht wirksam zugesagt worden, so dass keine Ermes-
sensbindung eingetreten sei. An dem Bindungswillen der Behörde bestehe zwar
kein Zweifel. Eine Zusicherung sei jedoch rechtswidrig und für die Abfindungs-
gestaltung nicht bindend, wenn sie ohne Abwägung der Belange der anderen
Betroffenen und ohne Orientierung am Zweck der Flurbereinigung ergehe. Dies
sei in der Regel dann der Fall, wenn sie - wie hier - vor der Wertermittlung oder
vor der Anhörung nach § 57 FlurbG abgegeben werde. Flurbereinigungsbehör-
de und Spruchstelle hätten die Zusicherung deswegen zutreffend bei ihrer Ent-
scheidung nicht berücksichtigt. Zwar habe der Beklagte die rechtswidrige Zusi-
cherung nicht ausdrücklich zurückgenommen. Dennoch sei das Gericht an sie
nicht gebunden, weil sonst die Interessen des Klägers verletzt würden.
Eine wertgleiche Abfindung der Beigeladenen zu 2 und 3 sei durch die Zutei-
lung einer Teilfläche aus dem Flurstück Flur … Nr. 9 gewährleistet. Dies gelte
für das Vorhandensein von Sandvorkommen. Einlage und Abfindung entsprä-
chen sich auch hinsichtlich der praktischen Abbaumöglichkeit. Zutreffend sei
allerdings, dass für den Kläger die Abfindungsflurstücke Flur … Nrn. 6 und 11
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einen höheren Wert hätten als die Teilfläche aus dem Abfindungsflurstück
Flur … Nr. 9. Wertsteigernde Umstände, die den Wert nicht für jedermann er-
höhten, sondern nur für Einzelne, etwa - wie hier - den Eigentümer benachbar-
ter Grundstücke, stellten aber keine nach § 44 Abs. 2 FlurbG zu berücksichti-
genden Umstände dar.
Die Abfindung im Bereich des Abfindungsflurstücks Flur … Nr. 9 sei für die
landwirtschaftliche Bewirtschaftung zwar eher ungünstig geformt. Diese Form
sei aber für die von den Beigeladenen zu 2 und 3 in Aussicht genommene Nut-
zung durch den Abbau von Bodenbestandteilen günstiger. Einer Änderung der
Wertermittlung habe es nicht bedurft, weil die vorgenommene Wertermittlung
lediglich den landwirtschaftlichen Nutzwert und nicht die Bodenschätze erfasse.
Eine Wertermittlung gemäß § 28 Abs. 2 FlurbG sei nicht erforderlich, weil durch
das Gutachten des Geologischen Landesamtes die vergleichbare Beschaffen-
heit der Bodenbestandteile in Einlage- und Abfindungsflurstücken ausreichend
bestätigt sei, so dass durch die flächengleiche Abfindung im Bereich der Lager-
stätte unter Berücksichtigung der Abbaumöglichkeiten die wertgleiche Abfin-
dung gewährleistet werde.
Gegenüber dem Interesse der Beigeladenen zu 2 und 3, dennoch in Lage der
Einlageflächen abgefunden zu werden, sei dem Interesse des Klägers an der
Zuteilung der Abfindungsflurstücke Flur … Nrn. 6 und 11 der Vorrang einzu-
räumen. Die Ausweisung von zwei Abfindungsflurstücken an die Beigeladenen
zu 2 und 3 inmitten der im Übrigen weitgehend arrondierten Abfindung des Klä-
gers lasse dessen betriebswirtschaftliches Interesse an einer zusammenhän-
genden Fläche unberücksichtigt. Dieses Interesse sei auch nicht deshalb unbe-
achtlich, weil es sich nicht um das Interesse eines landwirtschaftlichen Betrie-
bes handele. Hier ständen sich das Interesse der Beigeladenen zu 2 und 3 an
der Nutzung von Bodenschätzen und das gleichartige Interesse des Klägers
gegenüber. Denn auch die Beigeladenen zu 2 und 3 strebten die Zuteilung in
Lage des Altbesitzes nicht wegen einer verbesserten landwirtschaftlichen Nut-
zung an. Im Übrigen entspreche das Interesse des Klägers auch dem Ziel der
Flurbereinigung, die Landabfindung in möglichst großen Grundstücken auszu-
weisen (§ 44 Abs. 3 Satz 1 FlurbG). Der Kläger müsse zwar weiterhin eine
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fremde Abfindung im Bereich seines um die Sandgrube herum arrondierten
Grundbesitzes hinnehmen. Die Abfindung der Beigeladenen sei aber nun in
einem Grundstück am Rand dieses Bereichs konzentriert, das auch durch einen
Weg erschlossen sei. Die Auswirkungen des Erschließungsgebots habe der
Beklagte bei seiner Abwägung verkannt.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision tragen die Beigeladenen zu 2 und 3
im Wesentlichen vor: Das Urteil des Flurbereinigungsgerichts verletze ihren An-
spruch auf rechtliches Gehör und darüber hinaus materielles Bundesrecht. Die
ihnen von der zuständigen Behörde in der erforderlichen Form erteilte Zusiche-
rung sei rechtmäßig. Sie sei Gegenstand eines Vergleichs gewesen und zudem
erst nach einer Ortsbesichtigung und unter Abwägung der Belange der Betrof-
fenen erfolgt. Auch im Fall ihrer Rechtswidrigkeit sei die Zusicherung keines-
wegs unwirksam. Nichtigkeitsgründe lägen nicht vor. Die Zuteilung der Alt-
grundstücke an die Beigeladenen zu 2 und 3 verstoße auch nicht gegen § 44
Abs. 2 FlurbG. Die Abbauqualitäten von Bodenschätzen und der Lagevorteil
einzelner Grundstücke dürften nicht allein zugunsten des Klägers Berücksichti-
gung finden. Auch ein Verstoß gegen § 44 Abs. 3 FlurbG sei nicht gegeben.
Die Beigeladenen zu 2 und 3 beantragen,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vom
25. Mai 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und der Beklagte beantragen jeweils,
die Revision zurückzuweisen.
Sie treten der Revision entgegen.
Die Beigeladene zu 1 und die Vertreterin des Bundesinteresses haben sich
nicht geäußert.
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II
Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat die
Zuteilung der Flurstücke Flur … Nrn. 6 und 11 im Flurbereinigungsplan des Be-
klagten - jedenfalls im Ergebnis (§ 144 Abs. 4 VwGO i.V.m. § 138 Abs. 1 Satz 2
FlurbG) - zu Recht beanstandet und durch die Neuzuteilung einer Teilfläche des
Flurstücks Flur … Nr. 9 ersetzt.
1. Ohne Erfolg rügen die Beigeladenen zu 2 und 3 (im Folgenden: die Beigela-
denen) einen Verstoß gegen formelles Bundesrecht.
Als Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör rügen die Beigeladenen,
das Oberverwaltungsgericht habe ihnen keine hinreichende Gelegenheit gege-
ben, zu der erstmalig in der mündlichen Verhandlung erörterten Möglichkeit der
Zuteilung einer Teilfläche des Flurstücks Flur … Nr. 9 Stellung zu nehmen. Sie
hätten sich in der mündlichen Verhandlung weder die betriebliche Lage des
Flurstücks vorstellen noch sich zu dessen Ausbeutungsmöglichkeiten äußern
können. Die nachträgliche Möglichkeit einer Stellungnahme sei ihnen durch die
Ablehnung ihres Antrags auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ge-
nommen worden.
Diese Rüge greift nicht durch. Zwar haben die Beigeladenen als Verfahrensbe-
teiligte gemäß § 108 Abs. 2 VwGO einen Anspruch darauf, dass der gerichtli-
chen Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde ge-
legt werden, zu denen sie Stellung nehmen konnten. Diese Möglichkeit wurde
ihnen vom Oberverwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung jedoch ein-
geräumt. Hiervon haben sie ausweislich des Sitzungsprotokolls, dessen Rich-
tigkeit sie nicht in Zweifel gezogen haben, auch Gebrauch gemacht, indem sie
sich mit einer Zuteilung dieser Fläche nicht einverstanden erklärt und diese Hal-
tung auch inhaltlich begründet haben. Hätten sie sich zu einer - gegebenenfalls
substantiierteren - Stellungnahme außer Stande gesehen, hätte es ihnen oble-
gen, einen Vertagungsantrag zu stellen. Das haben sie jedoch nicht getan. Die
Verfahrensrüge dient nicht dazu, Versäumnisse von - zumal anwaltlich vertrete-
nen - Beteiligten in der mündlichen Verhandlung in der nächsten Instanz wieder
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auszugleichen (stRspr, vgl. etwa Urteil vom 31. August 1964 - BVerwG 8 C
350.63 - BVerwGE 19, 231 <237>). Soweit die Beigeladenen mit ihrem nach
der mündlichen Verhandlung verfassten und bei Gericht eingegangenen
Schriftsatz ihnen neu bekannt gewordene Tatsachen über das vom Gericht be-
nannte Abfindungsgrundstück vorgetragen und die Wiedereröffnung der münd-
lichen Verhandlung gefordert haben, hat das Oberverwaltungsgericht diesen
Vortrag in seinem Urteil (UA S. 20) berücksichtigt.
2. In materiellrechtlicher Hinsicht stellt sich die Entscheidung des Oberverwal-
tungsgerichts jedenfalls im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).
a) Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht die Entscheidung des Beklagten
beanstandet, die Abfindungsflurstücke Flur … Nrn. 6 und 11 nicht dem Kläger,
sondern den Beigeladenen zuzuteilen.
aa) An dieser Entscheidung war das Oberverwaltungsgericht nicht durch eine
den Beigeladenen gegebene Zusicherung gehindert.
(1) Zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht allerdings die den Beigeladenen
gegenüber abgegebene behördliche Erklärung aus dem Jahre 1994 als Zusi-
cherung im Sinne von § 38 VwVfG (i.V.m. § 1 Abs. 1 LVwVfG Rheinland-Pfalz)
angesehen. Der insoweit erforderliche, vom Kläger hier jedoch in Abrede ge-
stellte Bindungswille der Behörde ist einer Zusicherung jedenfalls dann nicht
abzusprechen, wenn sich ihre Erklärung nicht lediglich in der Erörterung von
Lösungsmöglichkeiten oder bloßen Zuteilungsabsichten in Bezug auf den zu
erstellenden Flurbereinigungsplan erschöpft, sondern im Zusammenhang mit
dem Verzicht eines Teilnehmers auf eine besondere eigene Rechtsposition
steht (zutreffend OVG Lüneburg, Urteil vom 18. März 1987 - 15 OVG A 42/86 -
RzF -84- zu § 44 Abs. 1 FlurbG). Davon ist hier auszugehen, nachdem die Bei-
geladenen nach der Erklärung des Behördenvertreters, ihnen die Einlage-
grundstücke wieder zuzuteilen, ihren Widerspruch gegen die Einleitung des
Flurbereinigungsverfahrens zurückgenommen haben.
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(2) Die Erteilung einer Zusicherung ist, wovon das Oberverwaltungsgericht un-
ausgesprochen ausgeht, im Flurbereinigungsrecht auch nicht durch speziellere
gesetzliche Vorschriften ausgeschlossen. Das Bundesverwaltungsgericht hat
sich in seiner Rechtsprechung dementsprechend zwar um eine Grenzziehung
zwischen rechtmäßigen und rechtswidrigen Zusicherungen bemüht, die grund-
sätzliche Möglichkeit von Zusicherungen im Flurbereinigungsrecht jedoch nicht
in Frage gestellt, sondern vielmehr ein praktisches Bedürfnis für ein derartiges
Instrumentarium stets anerkannt (vgl. Urteile vom 25. Mai 1961 - BVerwG 1 C
102.58 - NJW 1961, 1882 <1883 f.>, vom 19. September 1989 - BVerwG 5 C
3.87 - BVerwGE 82, 313 <316> und vom 20. Mai 1998 - BVerwG 11 C 7.97 -
Buchholz 424.01 § 44 FlurbG Nr. 78 S. 12). Auch aus den Regelungen der
§§ 60 und 64 FlurbG, die der Flurbereinigungsbehörde weitreichende Befugnis-
se zur Abänderung des Flurbereinigungsplans einräumen, folgt nichts anderes.
Insbesondere lässt sich aus der Existenz dieser Vorschriften nicht der Schluss
ziehen, Zusicherungen könnten letztlich keinen Schutz gegenüber zusiche-
rungswidrigen Abänderungen der Abfindungsregelung des Flurbereinigungs-
plans gewähren und seien deswegen auch generell nicht geeignet, Teilnehmern
verbindliche Rechtspositionen im Flurbereinigungsverfahren zu verschaffen.
Denn die Funktion der Planänderungsverfahren nach den genannten Vorschrif-
ten besteht darin, weitere „Optimierungsschritte“ der Behörde in Bezug auf den
Flurbereinigungsplan zu ermöglichen. Hierzu hat das Flurbereinigungsgesetz
ihre Gestaltungsbefugnisse über die (erste) Aufstellung des Flurbereinigungs-
plans hinaus (zeitlich) prolongiert (Urteil vom 19. September 1989 a.a.O.
S. 316), nicht aber (inhaltlich) erweitert. Deswegen ist die Flurbereinigungsbe-
hörde auch in dieser Phase des Flurbereinigungsverfahrens gehindert, verbind-
liche Zusicherungen außer Acht zu lassen (Urteile vom 19. September 1989
a.a.O. S. 316 und vom 20. Mai 1998 a.a.O. S. 12).
Dass es sich, wie der Senat erst kürzlich betont hat (Urteil vom 23. August 2006
- BVerwG 10 C 4.05 - RdL 2007, 14 <16> - zur Veröffentlichung in BVerwGE
und Buchholz vorgesehen), bei der Neugestaltung des Flurbereinigungsgebie-
tes um eine Planungsentscheidung handelt, die notwendigerweise eine - freilich
durch das in § 37 Abs. 1 Satz 1 FlurbG normierte rechtsstaatliche Abwägungs-
gebot gebundene - Gestaltungsfreiheit der Flurbereinigungsbehörde voraus-
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setzt, steht der grundsätzlichen Zulässigkeit von Zusicherungen im Flurbereini-
gungsrecht ebenfalls nicht entgegen. Zwar schränken vorzeitige Bindungen und
Festlegungen der Behörde zugunsten bestimmter Teilnehmer ihre Gestaltungs-
freiheit - auch zu Lasten anderer Teilnehmer und deren Rechtspositionen - ein.
Das schließt die Abgabe behördlicher Zusicherungen jedoch nicht von vornher-
ein aus. Wie die Nichterwähnung von § 38 VwVfG in § 72 VwVfG zeigt, geht der
Gesetzgeber selbst bei Planfeststellungsbeschlüssen nicht von einer generellen
Unvereinbarkeit von Zusicherungen und Planungsentscheidungen aus. Das
Bundesverwaltungsgericht hat deswegen die grundsätzliche Möglichkeit der
Abgabe von Zusicherungen im Planungsrecht in seiner bisherigen Rechtspre-
chung nicht in Frage gestellt und darüber hinaus auch eine über das zweiseitige
Verhältnis zwischen Behörde und Zusicherungsempfänger hinausgehende Wir-
kung gegenüber Dritten, deren Ausschluss den Anwendungsbereich des § 38
VwVfG erheblich einschränken würde, ohne dass der Vorschrift für eine solche
Begrenzung ein Anhaltspunkt entnommen werden könnte, nicht beanstandet
(vgl. etwa Urteil vom 17. Oktober 1975 - BVerwG 4 C 66.72 - BVerwGE 49,
244; vgl. auch Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 38 Rn. 18 ff.; Kopp/Ramsauer,
VwVfG, § 38 Rn. 34 f.; anders VGH München, Urteil vom 18. April 1989 - VGH
20 B 88.585 - BayVBl 1989, 689).
(3) Die Flurbereinigungsbehörde hat die den Beigeladenen erteilte Zusicherung
nicht zurückgenommen. Zwar erklärt § 38 Abs. 2 VwVfG u.a. die Aufhebungs-
vorschrift des § 48 VwVfG für entsprechend anwendbar. Entgegen der Auffas-
sung des Beklagten wird von dieser Ermächtigung aber durch den bloßen Er-
lass einer der Zusicherung widersprechenden Endentscheidung, wie sie hier im
Ergehen des Nachtrags II zum Flurbereinigungsplan gesehen werden kann,
kein wirksamer Gebrauch gemacht. Denn aus der Rücknahmeerklärung muss
der Wille der Behörde zur Aufhebung der Zusicherung wegen Unvereinbarkeit
mit der objektiven Rechtslage hervorgehen (Urteil vom 25. Januar 1995
- BVerwG 11 C 29.93 - BVerwGE 97, 323 <329>). Andernfalls wird dem Inte-
resse der Rechtssicherheit, das auch in der Geltung des Schriftlichkeitserfor-
dernisses für Zusicherungen (§ 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) zum Ausdruck kommt,
nicht hinreichend Rechnung getragen. Das schließt jedenfalls mangels sonsti-
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ger, hier weder festgestellter noch geltend gemachter Anhaltspunkte die kon-
kludente Aufhebung einer Zusicherung aus.
(4) Das Oberverwaltungsgericht hat die Verbindlichkeit der den Beigeladenen
erteilten Zusicherung gegenüber dem Kläger jedoch zumindest im Ergebnis zu-
treffend verneint.
(a) Die hierfür maßgebliche Begründung ist dem Urteil der Vorinstanz nicht
zweifelsfrei zu entnehmen. Sollte das Oberverwaltungsgericht insoweit die
Rechtswidrigkeit der Zusicherung als entscheidenden Grund für ihre Unverbind-
lichkeit angesehen haben (vgl. UA S. 12 f.), läge hierin ein Verstoß gegen Bun-
desrecht.
Zwar ist das Bundesverwaltungsgericht in seiner früheren Rechtsprechung von
der Unverbindlichkeit rechtswidriger Zusicherungen ausgegangen (vgl. etwa
Beschluss vom 14. Dezember 1970 - BVerwG 4 B 48.69 - RzF -42- zu § 44
Abs. 1 FlurbG m.w.N.). Diese Rechtsprechung kann nach Inkrafttreten des
Verwaltungsverfahrensgesetzes jedoch keine Geltung mehr beanspruchen.
Denn mit der Regelung des § 38 Abs. 2 VwVfG verfolgte der Gesetzgeber aus-
drücklich das Ziel, im Interesse des Vertrauensschutzes der Bürger von der
bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung abzuweichen und - in Übernah-
me der für Verwaltungsakte geltenden Regelungen - auch rechtswidrige Zusi-
cherungen als bindend anzusehen (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs,
BTDrucks 7/910 S. 60). Zwar gilt das Verwaltungsverfahrensgesetz und damit
auch § 38 Abs. 2 VwVfG nur, soweit nicht Rechtsvorschriften inhaltsgleiche o-
der entgegenstehende Bestimmungen enthalten (vgl. Urteil vom 25. Januar
1995 a.a.O. S. 328). Solche Regelungen sind dem Flurbereinigungsgesetz je-
doch nicht zu entnehmen. Auf dieser Grundlage kommt ein Rückgriff auf die
erwähnte frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht in Be-
tracht.
Anhaltspunkte für die Nichtigkeit (§ 44 VwVfG) der den Beigeladenen gegebe-
nen Zusicherung sind nicht erkennbar.
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(b) Die den Beigeladenen erteilte Zusicherung kann dem Kläger jedoch deswe-
gen nicht entgegengehalten werden, weil sie ihm nicht bekanntgegeben wurde
und er auch nicht gehindert ist, sich auf die mangelnde Bekanntgabe zu berufen
(vgl. zu diesen Voraussetzungen Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 38
Rn. 18 und 47; insoweit zutreffend auch VGH München, Urteil vom 18. April
1989 - VGH 20 B 88.585 - BayVBl 1989, 689 <691>).
(aa) Gegenüber Dritten kann eine von der Behörde dem Adressaten gegebene
Zusicherung nicht gleichsam automatisch Verbindlichkeit erlangen. Zwar hängt
ihre Wirksamkeit gegenüber einem Drittbetroffenen anders als die des öffent-
lich-rechtlichen Vertrags (vgl. § 58 Abs. 1 VwVfG) nicht von dessen Zustim-
mung ab. Rechtsstaatliche Grundsätze, wie sie insbesondere auch in § 43
VwVfG zum Ausdruck kommen, verlangen jedoch, dass nicht anders als beim
Verwaltungsakt selbst nur eine gegenüber dem Dritten bekanntgegebene Zusi-
cherung diesem gegenüber wirksam werden kann. Etwas anderes kann in An-
wendung der Grundsätze von Treu und Glauben und der Verwirkung nur gelten,
wenn der Dritte sich ausnahmsweise, nämlich durch Schaffung eines Vertrau-
enstatbestandes, aufgrund dessen der Zusicherungsempfänger davon ausge-
hen kann, der Dritte werde kein Rechtsmittel gegen die Zusicherung mehr ein-
legen, auf die mangelnde Bekanntgabe nicht berufen kann (vgl. auch Urteil vom
25. Januar 1974 - BVerwG 4 C 2.72 - BVerwGE 44, 294 <298 ff.> zum Drittbe-
troffenen einer Baugenehmigung).
Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, bindet die Zusicherung den Dritten
nicht. Er kann sich vielmehr gegen den Erlass des zugesagten Verwaltungsakts
wenden, ohne dass ihm die Zusicherung entgegengehalten werden kann. Die
Wirksamkeit der Zusicherung im Verhältnis zwischen Behörde und Zusiche-
rungsempfänger bleibt hiervon - bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 38
VwVfG im Übrigen - grundsätzlich unberührt. Auf die mangelnde Durchsetzbar-
keit der Zusicherung gegenüber nicht eingebundenen Dritten kann die Behörde
gegen Ersatz eines etwaigen Vertrauensschadens des Zusicherungsempfän-
gers mit dem Widerruf bzw. der Rücknahme der Zusicherung reagieren.
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(bb) Auf dieser Grundlage kann dem Kläger die den Beigeladenen erteilte Zusi-
cherung der Wiederzuteilung ihrer Einlagegrundstücke nicht entgegengehalten
werden. Hiervon ist möglicherweise auch die Vorinstanz - und mithin nicht nur
im Ergebnis zutreffend - ausgegangen, wenn sie in den Urteilsgründen die Bin-
dung an die Zusicherung verneint, weil „sonst die Interessen des Klägers ver-
letzt würden“ (UA S. 13).
Nach dem Inhalt der Behördenakte ist davon auszugehen, dass der Kläger von
der den Beigeladenen am 14. Januar 1994 gegebenen Zusicherung durch das
am 30. Oktober 2002 abgesandte Anhörungsschreiben der Behörde zum Wi-
derspruch der Beigeladenen gegen den Nachtrag II erfahren hat, in dem die
Beigeladenen ihren Anspruch auf die Abfindungsflurstücke Flur … Nrn. 6
und 11 u.a. auf die genannte Zusicherung stützten. In seiner Stellungnahme
vom 21. November 2002 hat der Kläger deutlich gemacht, dass er mit der Zusi-
cherung nicht einverstanden ist. Für die Entstehung eines Vertrauenstatbestan-
des, aufgrund dessen die Beigeladenen annehmen konnten, der Kläger werde
kein Rechtsmittel gegen die Zusicherung einlegen, geben diese Umstände
nichts her. Dass dem Kläger die Zusicherung vor Zugang des Anhörungs-
schreibens durch die Flurbereinigungsbehörde bekanntgegeben worden wäre
oder er zumindest Kenntnis von der Zusicherung erlangt hätte, hat das Ober-
verwaltungsgericht nicht festgestellt. Verfahrensrügen haben die Beigeladenen
insoweit nicht erhoben. Auch mit ihrer in der mündlichen Verhandlung vor dem
Senat vorgebrachten Behauptung, der Kläger habe bereits zu einem früheren
Zeitpunkt Kenntnis von der Zusicherung gehabt, machen die Beigeladenen we-
der eine behördliche Bekanntgabe noch die Entstehung eines Vertrauenstatbe-
standes zu ihren Gunsten geltend.
(cc) Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, dass dem Kläger
ein über den Anspruch auf wertgleiche Abfindung hinausgehender Abwägungs-
anspruch zusteht, der durch die Zuteilungsentscheidung der Flurbereinigungs-
behörde im Nachtrag IV zum Flurbereinigungsplan verletzt worden ist.
(1) Allerdings hat das Oberverwaltungsgericht insoweit einen der Vorschrift des
§ 44 FlurbG widersprechenden und mithin bundesrechtswidrigen Prüfungsmaß-
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stab zugrunde gelegt. Denn die Vorinstanz geht davon aus, dass dem Kläger
als Teilnehmer am Flurbereinigungsverfahren ein umfassender Anspruch auf
ermessensfehlerfreie Abfindung mit Land von gleichem Wert zusteht. Wie der
Senat jedoch in seinem - gerade diese Rechtsprechung desselben Oberverwal-
tungsgerichts betreffenden - Urteil vom 23. August 2006 (a.a.O. S. 16) näher
dargelegt hat, lässt die spezifische Verknüpfung der planerischen Abwägung
nach § 44 Abs. 2 Halbs. 1 FlurbG mit dem Gebot wertgleicher Abfindung nach §
44 Abs. 1 Satz 1 für eine gesonderte Abwägungskontrolle neben der Prüfung,
ob ein Teilnehmer mit Land von gleichem Wert abgefunden wurde, keinen
Raum, soweit es nicht ausnahmsweise um Faktoren geht, denen ein über den
Anspruch auf wertgleiche Abfindung hinausgehender Eigenwert zukommt und
deren ordnungsgemäße Berücksichtigung deshalb durch eine wertgleiche Ab-
findung noch nicht gewährleistet ist.
(2) Dennoch erweist sich die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts auch
insoweit im Ergebnis als zutreffend, weil ein solcher Ausnahmefall gegeben ist.
Wie der Senat in der genannten Entscheidung ausgeführt hat, unterliegt die
Abfindungsgestaltung insoweit der Abwägungskontrolle, als „qualifizierte“ Plan-
wünsche in Gestalt konkretisierter und verfestigter betrieblicher Entwicklungs-
perspektiven in Rede stehen. Als wesentlichsten Anwendungsfall hat der Senat
hinreichend bestimmte und in ihrer Finanzierung gesicherte Aussiedlungsvor-
haben bezeichnet. Gesondert zu berücksichtigende Abwägungsbelange sind
aber auch für den Betrieb des Klägers zu bejahen. Denn aufgrund der Eigenart
des von ihm betriebenen, durch permanenten Flächenverbrauch gekennzeich-
neten Abgrabungsunternehmens ist er nicht lediglich auf den Erhalt, sondern
vor allem auf die ständige Erweiterung seiner Betriebsgrundstücke angewiesen.
Dabei muss er aus Gründen der Rentabilität, aber auch im Blick auf die vorhan-
denen Sandvorkommen und die rechtliche Möglichkeit ihres Abbaus auf eine
Abfindung im räumlichen Umfeld seiner bisher betriebenen Sandgruben be-
dacht sein.
Ein solches, über den Anspruch auf wertgleiche Abfindung und das allgemeine
Interesse eines jeden Teilnehmers auf Abfindung in möglichst großen
Grundstücken hinausgehendes Anliegen hat der Kläger - wenn diese Umstände
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dem Beklagten nicht ohnehin bekannt gewesen sind - gegenüber der Flurberei-
nigungsbehörde als „qualifizierten“ Planwunsch auch hinreichend deutlich ge-
macht. Denn sowohl aus seiner Stellungnahme im Wunschtermin nach § 57
FlurbG als auch aus seinem früheren Schreiben vom 4. Januar 1995 wird er-
kennbar, dass es dem Kläger nicht lediglich um die Zuteilung zusammenliegen-
der Abfindungsgrundstücke gegangen ist, sondern vielmehr um eine Abfindung
im räumlichen Bereich seiner Betriebsgrundstücke und somit um die Sicherung
der voraussehbaren Entwicklung seines Betriebes.
(3) Die von der Flurbereinigungsbehörde getroffene Zuteilungsentscheidung
wird dem mithin gegebenen Abwägungsanspruch des Klägers nicht gerecht.
Soweit - wie hier - eine gerichtliche Abwägungskontrolle geboten ist, ergeben
sich die hierfür geltenden Maßstäbe und Fehlerfolgen angesichts des Pla-
nungscharakters der Entscheidung über die Neugestaltung des Flurbereini-
gungsgebietes aus den von der Rechtsprechung zum Bau- und Fachplanungs-
recht entwickelten Grundsätzen (Urteil vom 23. August 2006 a.a.O. S. 16 f.).
Danach kann ein Verstoß gegen das Abwägungsgebot darin liegen, dass die
Behörde eine von der Sache her naheliegende Alternativlösung verkannt hat
(vgl. etwa Urteil vom 8. Juli 1998 - BVerwG 11 A 53.97 - BVerwGE 107, 142
<149 f.> m.w.N.). Zwar ist die behördliche Entscheidung nicht schon dann zu
beanstanden, wenn es dem Gericht durch eigene Ermittlungen gelingt, mögli-
che schonendere Alternativen der Planung aufzuzeigen. Denn wie die Beigela-
denen zutreffend hervorheben, ist das Flurbereinigungsgericht unbeschadet
seiner Befugnis zur Änderung des Flurbereinigungsplans im Falle der Begrün-
detheit der Klage (§ 144 FlurbG) nicht befugt, sein Ermessen an die Stelle des
Ermessens der Flurbereinigungsbehörde zu setzen. Ein Abwägungsfehler liegt
vielmehr erst dann vor, wenn die Behörde durch Missachtung einer bestimmten,
sich aufdrängenden Planungsalternative abwägungserhebliche Belange über-
sehen oder fehlgewichtet hat (vgl. etwa Urteil vom 27. Juli 1990 - BVerwG 4 C
26.87 - NVwZ 1991, 781 <784>). Bei einem solchen offensichtlichen Mangel
kann das Abwägungsergebnis grundsätzlich keinen Bestand haben, weil regel-
mäßig davon auszugehen sein wird, dass der Fehler auf das Abwägungsergeb-
nis von Einfluss gewesen ist (vgl. Urteil vom 23. August 2006 a.a.O. S. 17).
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Hieran gemessen hat das Oberverwaltungsgericht die Entscheidung der Flurbe-
reinigungsbehörde, die Abfindungsflurstücke Flurstück … Nrn. 6 und 11 den
Beigeladenen zuzuteilen, zu Recht beanstandet, weil sie auf einem Abwä-
gungsdefizit beruht.
Mit der vom Oberverwaltungsgericht ermittelten Teilfläche des Flurstücks
Flur … Nr. 9 bestand eine Alternativlösung, die eine wertgleiche Abfindung der
Beigeladenen sicherstellt. Soweit die Beigeladenen die vom Oberverwaltungs-
gericht hierbei zugrunde gelegten tatsächlichen Annahmen in Frage stellen,
greift diese Kritik mangels erfolgreich erhobener Verfahrensrügen nicht durch.
Zutreffend hat die Vorinstanz auch darin, dass die Abfindungsflurstücke Flur …
Nrn. 6 und 11 für den Kläger lagebedingt einen höheren Wert haben als die
Teilfläche aus dem Abfindungsflurstück Flur … Nr. 9, keinen werterhöhenden
Umstand gesehen, der zugunsten der Beigeladenen zu berücksichtigen gewe-
sen wäre. Denn insoweit handelt es sich nicht um einen Umstand, der für je-
dermann werterhöhend ist (vgl. § 44 Abs. 2 FlurbG), sondern nur um einen indi-
viduellen Planungsgewinn, dem - anders als in dem von den Beigeladenen an-
geführten Urteil der Vorinstanz vom 21. September 1983 (OVG 9 C 37/82 - RdL
1983, 323) - kein entsprechender Verlust des Abgebenden gegenübersteht und
auf dessen Ausgleich der Abgebende - auch angesichts der ansonsten kaum zu
bewältigenden praktischen Folgen für die Durchführung einer Flurbereinigung,
auf die das Oberverwaltungsgericht zu Recht hingewiesen hat - keinen An-
spruch hat (Schwantag, in: Seehusen/Schwede, Flurbereinigungsgesetz,
7. Aufl., § 44 Rn. 39 m.w.N.).
Die Zuteilung der Teilfläche des Flurstücks Flur … Nr. 9 an die Beigeladenen
musste sich dem Beklagten als Alternative zur Zuteilung der Flurstücke Flur …
Nrn. 6 und 11 aufdrängen. Ob sich eine Alternativlösung ernsthaft anbietet, so
dass sich ihre Nichteinbeziehung durch die Flurbereinigungsbehörde als abwä-
gungsfehlerhaft erweist, hängt von den konkret betroffenen Interessen und der
Intensität ihrer Betroffenheit ab (vgl. auch Beschluss vom 2. November 1992
- BVerwG 4 B 205.92 - NVwZ 1993, 887 <889>). Danach hätte sich die Flurbe-
reinigungsbehörde nicht mit der im Nachtrag IV des Flurbereinigungsplans fest-
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gelegten Lösung zufriedengeben dürfen, sondern intensiv nach einer Abfin-
dungsalternative suchen und dabei auch die vom Oberverwaltungsgericht ent-
wickelte Abfindung in Betracht ziehen müssen. Denn eine Zuteilung der Abfin-
dungsflurstücke Flur … Nrn. 6 und 11 an die Beigeladenen erweist sich - auf
der Grundlage der wie dargelegt bindenden Feststellungen des Oberverwal-
tungsgerichts - in mehrfacher Hinsicht als rechtlich zumindest äußerst proble-
matisch, während die vom Oberverwaltungsgericht gefundene Lösung diese
Probleme vermeidet.
Die Lösung der Flurbereinigungsbehörde widerspricht zunächst den Interessen
und dem Planwunsch des Klägers, in dessen betriebliche Planung sich der Ab-
bau des dortigen Sandvorkommens nahtlos einfügt. Demgegenüber lässt die
von der Flurbereinigungsbehörde vorgesehene Zuteilung des genannten
Grundstücks seine selbständige Ausbeutung durch die Beigeladenen mangels
Erschließung und wegen ihres Zuschnitts nur unter Schwierigkeiten zu. Eine
solche Abfindung liefe letztlich auf einen Weiterverkauf des Abfindungsgrund-
stücks an den Kläger hinaus und wäre mithin eine bloße Übergangslösung, de-
ren Schaffung mit Blick auf den in § 37 Abs. 1 FlurbG enthaltenen Neugestal-
tungsauftrag jedenfalls kein vorrangiges Ziel der Flurbereinigung darstellen
kann. Die nur mittels Notwegerecht mögliche Erschließung der Abfindungs-
flurstücke Flur … Nrn. 6 und 11 im Falle ihrer Zuteilung an die Beigeladenen
müsste im Übrigen zu einer weiteren Belastung des Klägers führen und stünde
darüber hinaus im Widerspruch zum Erschließungsgebot (§ 44 Abs. 3 Satz 2
Halbs. 1 FlurbG). Schließlich liefe sie dem Gebot zuwider, die Abfindung in
möglichst großen Grundstücken auszuweisen (§ 44 Abs. 3 Satz 1 FlurbG). Um
diese Nachteile zu vermeiden, musste sich der Flurbereinigungsbehörde die
Notwendigkeit aufdrängen, für die Beigeladenen eine nach Lage und Zuschnitt
zum selbständigen Sandabbau geeignete und wegemäßig erschlossene Fläche
am Rand des arrondierten Grundbesitzes des Klägers zu suchen. Es liegt auf
der Hand, dass dabei jedenfalls auch die vom Oberverwaltungsgericht gefun-
dene Teilfläche des Flurstücks Flur … Nr. 9 in den Blick zu nehmen war, die
diesen Kriterien entsprach, ohne dass durch diese Lösung andere Grundsätze
oder Gebote der Flurbereinigung verletzt oder Interessen der Beigeladenen un-
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zumutbar beeinträchtigt würden. Auch die Beigeladenen haben solche Folgen
nicht geltend gemacht.
b) Aufgrund des festgestellten und durchgreifenden Abwägungsmangels war
das Oberverwaltungsgericht befugt, gemäß § 144 Satz 1 FlurbG den angefoch-
tenen Flurbereinigungsplan zu ändern. Seine Entscheidung, die Abfindungs-
flurstücke Flur … Nrn. 6 und 11 dem Kläger und eine Teilfläche des Abfin-
dungsflurstücks Flur … Nr. 9 den Beigeladenen zuzuteilen, lässt eine Über-
schreitung oder einen Fehlgebrauch des den Gerichten insoweit eröffneten
Gestaltungsspielraums (vgl. Beschluss vom 8. Januar 1971 - BVerwG 4 B
105.69 - Buchholz 424.01 § 144 FlurbG Nr. 6 S. 1) nicht erkennen. Auch die
Beigeladenen haben solche Einwände nicht erhoben.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO.
Dr. h.c. Hien Prof. Dr. Rubel Dr. Nolte
Domgörgen Buchberger
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 18 000 €
festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG).
Dr. h.c. Hien Prof. Dr. Rubel Dr. Nolte
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