Urteil des BVerwG vom 15.03.2017

BVerwG ()

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 58.09
VGH 9 S 3330/08
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Januar 2010
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und Dr. Störmer
beschlossen:
Die Umstände, welche die Richterin am Bundesverwal-
tungsgericht S. am 26. Oktober 2009 angezeigt hat, erge-
ben keinen Ablehnungsgrund gemäß § 54 Abs. 1 VwGO
i.V.m. §§ 48, 42 ZPO, § 54 Abs. 2 VwGO.
G r ü n d e :
I
Die im vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nach der senatsin-
ternen Geschäftsverteilung berichterstattende Richterin hat angezeigt (Bl. 246
d.A.), sie sei mit einer rechtlich ähnlich gelagerten Streitsache der Beschwerde-
führerin während ihrer Abordnung an ein Landesjustizministerium 2007/2008
als Referentin für das öffentliche Dienstrecht intern befasst gewesen. In diesem
Verfahren gegen das Land sei es ebenfalls um einen Entschädigungsanspruch
wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot gegangen. Nach
ihrer Erinnerung sei ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht anhängig gewe-
sen. Zu ihren damaligen Aufgaben habe auch die Bearbeitung von Rechtsstrei-
tigkeiten gehört. Sie glaube sich zu erinnern, dass sie zumindest einen internen
Vermerk zur rechtlichen Einschätzung der Erfolgsaussichten des Verfahrens
gefertigt habe. Sie sei nach ihrer Erinnerung aber nicht als Vertreterin des Mi-
nisteriums vor Gericht aufgetreten. An weitere Einzelheiten könne sie sich nicht
mehr erinnern.
Die Beteiligten sind hierzu angehört worden, sie haben sich nicht geäußert.
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II
Der Senat entscheidet von Amts wegen über das Vorliegen eines Ablehnungs-
grundes (§ 54 VwGO i.V.m. §§ 41 ff., 48 ZPO).
Die angezeigten Umstände führen nicht zur Ablehnung der Richterin (§ 42
Abs. 1 ZPO); sie ergeben weder einen Ausschließungsgrund (§ 41 ZPO, § 54
Abs. 2 VwGO) noch rechtfertigen sie eine Besorgnis der Befangenheit (§ 42
Abs. 2 ZPO).
Ein Ausschließungsgrund im Sinne des § 41 ZPO liegt offenkundig nicht vor.
Die Richterin hat auch nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 VwGO bei dem voraus-
gegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt. Dieses erfasst zwar das gesam-
te behördliche Verfahren einschließlich eines etwaigen Widerspruchsverfah-
rens, aber eben nur des Verwaltungsverfahrens, in dem die zur gerichtlichen
Überprüfung gestellte Verwaltungsentscheidung ergangen ist. Andere, insbe-
sondere frühere Verwaltungsverfahren umfasst dies nicht (Beschluss vom
17. Juli 1997 - 6 AV 3/97 - Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 56 - für das Verfahren
der Erstprüfung und das Verfahren der Wiederholungsprüfung in einer juristi-
schen Staatsprüfung), ebenso wenig ein rechtlich oder tatsächlich ähnlich gela-
gertes Verfahren eines anderen Beteiligten. Eine erweiternde Auslegung oder
analoge Anwendung scheidet wegen der abschließenden Regelung der gesetz-
lichen Ausschlussgründe (Urteil vom 18. Oktober 1979 - BVerwG 3 C 117.79 -
Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 27) - auch mit Blick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2
GG - aus.
Ob eine Befangenheit im Sinne des § 42 Abs. 2 ZPO hier bereits deshalb aus-
scheidet, weil keiner der Beteiligten dies trotz Mitteilung der Selbstanzeige gel-
tend gemacht hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 27. November 2008 - 1 U
14/08 - juris), kann offen bleiben. Die Befassung mit einer ähnlich gelagerten
Streitsache der Beschwerdeführerin und Klägerin des Ausgangsverfahrens ist
für sich allein nicht als ein hinreichender Grund anzusehen, um aus der Sicht
eines verständigen Beteiligten Misstrauen gegen ihre Unparteilichkeit zu recht-
fertigen. Eine andere Betrachtung bedeutete der Sache nach eine von Art. 101
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Abs. 1 Satz 2 GG nicht gedeckte Ausweitung der gesetzlichen Ausschluss-
gründe und bewirkte einen Wertungswiderspruch zu den vom Gesetzgeber ge-
zogenen Grenzen dieser Gründe. Die zur Besorgnis der Befangenheit bei vor-
heriger richterlicher Tätigkeit, die nicht einem Ausschlussgrund unterfällt, entwi-
ckelten Grundsätze, nach denen der Prozessbeteiligte grundsätzlich annehmen
wird und muss, dass der Richter seiner Pflicht zur unbefangenen Entscheidung
genügt (BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1971 - 2 BvR 443/69 - BVerfGE 30,
149 <153>; BVerwG, Beschluss vom 23. Dezember 1980 - BVerwG 4 B
203.80 - Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 29), gelten entsprechend. Anlass zu
einem solchen Misstrauen wegen einer Art „Vorbefassung“ (mit einem ähnlich
gelagerten Rechtsstreit gegen einen anderen Beklagten) bestünde mithin nur
und erst dann, wenn sich aufgrund besonderer, zusätzlicher Umstände der
Eindruck einer unsachlichen, auf Voreingenommenheit beruhenden Einstellung
der Richterin gegenüber der Partei oder der streitbefangenen Sache aufdrän-
gen würde (vgl. etwa Beschlüsse vom 2. Oktober 1997 - BVerwG 11 B 30.97 -
Buchholz 303 § 42 ZPO Nr. 2 und vom 28. Mai 2009 - BVerwG 5 PKH 6.09 [5
PKH 1.09] - Buchholz 310 § 152a Nr. 8). Dafür ist hier nichts - in Ergänzung der
in der Anzeige der berichterstattenden Richterin mitgeteilten Tatsachen - gel-
tend gemacht oder sonst ersichtlich. Allein die verwaltungsinterne Stellung-
nahme zu den Erfolgsaussichten einer ähnlichen Klage sowie die damit etwa
verbundene Befassung mit entsprechenden Tatsachen- und Rechtsfragen, wie
sie auch Gegenstand des angegriffen Urteils und der hierzu erhobenen Revisi-
onszulassungsrügen sein mögen, rechtfertigt - wie in aller Regel auch hier -
noch nicht die Annahme, die Richterin würde im vorliegenden Fall nicht vorur-
teilsfrei und offen für das Vorbringen der Beteiligten entscheiden. Zweifel an
der erforderlichen Offenheit und Bereitschaft, eine Rechtsfrage unvoreinge-
nommen zu betrachten und auch eigene frühere Auffassungen kritisch zu hin-
terfragen, wenn neue Argumente und Gesichtspunkte vorgetragen werden, be-
stehen hier um so weniger, als die berichterstattende Richterin sich an die Ein-
zelheiten der seinerzeit in dem internen Vermerk vorgenommenen rechtlichen
Einschätzung der Erfolgsaussichten nicht mehr erinnert.
Hund
Prof. Dr. Berlit
Dr. Störmer