Urteil des BVerwG vom 19.05.1943

BVerwG (ukraine, verordnung, bundesrepublik deutschland, eintragung, aufnahme, vater, polen, sowjetunion, erwerb, deklaratorische wirkung)

Rechtsquellen:
RuStAG
§ 4 Abs. 1
StAngRegG
§ 1 Abs. 1 Buchst. f
Verordnung über die Verleihung der deutschen
Staatsangehörigkeit an die in die Deutsche
Volksliste der Ukraine eingetragenen Personen
vom 19. Mai 1943 (RGBl 1943 I S. 321)
- Volkslistenverordnung Ukraine -
§ 1
Stichworte:
Beweisnotstand; Deutsche Volksliste der Ukraine; Einbürgerung; Sammelein-
bürgerung.
Leitsätze:
1. Ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit auf der Grundlage des § 1
Abs. 1 Buchst. f StAngRegG i.V.m. der Verordnung über die Verleihung der
deutschen Staatsangehörigkeit an die in die Deutsche Volksliste der Ukraine
eingetragenen Personen vom 19. Mai 1943 (RGBl 1943 I S. 321) setzt voraus,
dass eine Eintragung in die Deutsche Volksliste erfolgt war; dies gilt auch für
deutsche Volkszugehörige, welche die Voraussetzungen für eine Eintragung in
die Abteilungen 1 oder 2 der Deutschen Volksliste gemäß § 1 der Verordnung
erfüllten.
2. Für die erfolgte Eintragung trägt derjenige die Beweislast, der sich auf den
Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit beruft.
Urteil des 5. Senats vom 27. Juli 2006 - BVerwG 5 C 3.05
I. VG Köln vom 01.09.2004 - Az.: VG 10 K 4538/03 –
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
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Verkündet
BVerwG 5 C 3.05
am 27. Juli 2006
VG 10 K 4538/03
Röder
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juli 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Franke, Dr. Brunn
und Prof. Dr. Berlit
für Recht erkannt:
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Verwal-
tungsgerichts Köln vom 1. September 2004 wird zurück-
gewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Der am 12. Juni 1965 in der ehemaligen Sowjetunion geborene Kläger zu 1 und
seine Tochter begehren die Feststellung ihrer deutschen Staatsangehörigkeit.
Der Kläger zu 1 ist eheliches Kind des 1929 in der Ortschaft Wo. im Gebiet Shi-
tomir (Ukraine) geborenen Ferdinand G., dessen Nationalität in der 1965 aus-
gestellten Geburtsurkunde des Klägers zu 1 als deutsch angegeben ist. In dem
1929 durch die deutsche evangelisch-lutherische Kirche in Wo. ausgestellten
Taufschein des Vaters sind als Eltern Ewald und Maria G., geborene W.
- beides deutsche Namen -, eingetragen. Mehrere Geschwister des Klägers
zu 1 sind als Vertriebene anerkannt worden und leben in der Bundesrepublik
Deutschland. Die deutsche Volkszugehörigkeit des Vaters des Klägers zu 1
steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit, sondern dessen Erwerb der
deutschen Staatsangehörigkeit auf der Grundlage der während der deutschen
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Besetzung der Ukraine erlassenen „Verordnung über die Verleihung der deut-
schen Staatsangehörigkeit an die in die Deutsche Volksliste der Ukraine einge-
tragenen Personen“.
In dem unter dem 16. April 1991 gestellten Aufnahmeantrag der Kläger
ist an-
gegeben, der Vater des Klägers zu 1 und dessen Eltern seien deutsche Volks-
zugehörige mit deutscher Muttersprache gewesen, die sowohl in Abteilungen 1
oder 2 als auch in Abteilung 3 der Deutschen Volksliste eingetragen worden
seien und bis 1942 in Wo. wohnhaft gewesen seien. Anschließend habe die
Familie sich in Polen sowie zwischen 1943 und 1945 im Deutschen Reich auf-
gehalten. 1945 sei sie von der russischen Armee mitgenommen und in Archan-
gelsk unter Kommandanturbewachung gestellt worden. Der Aufnahmeantrag ist
mit der Begründung abgelehnt worden, der Kläger zu 1 sei nicht deutscher
Volkszugehöriger, weil seine Eltern die bei ihnen vorhandene Bekenntnislage
nicht durch Vermittlung deutscher Sprachkenntnisse an ihn weitergegeben hät-
ten; die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg.
Im Februar 2001 beantragte der Kläger zu 1 daraufhin, ihm unter Einbeziehung
seiner 1987 geborenen Tochter, der Klägerin zu 2, einen Staatsangehörigkeits-
ausweis zu erteilen. Dazu gab er an, sein Vater habe bis zu seiner im Jahre
1943 erfolgten Umsiedlung in den Warthegau in seinem Geburtsort gelebt.
1945 sei er in das Gebiet Archangelsk gekommen und habe bis zu seinem
Tode in der damaligen Sowjetunion gelebt. Nachdem das Bundesarchiv mitge-
teilt hatte, Einbürgerungsunterlagen über den Vater des Klägers zu 1 und des-
sen Eltern hätten nicht ermittelt werden können, lehnte das Bundesamt den
Antrag ab (Bescheid vom 11. Juli 2003). Der Vater des Klägers zu 1 habe die
deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Sammeleinbürgerung nach der
Volkslistenverordnung Ukraine erwerben können, da er als Umsiedler nach § 3
der Verordnung ausdrücklich vom Staatsangehörigkeitserwerb ausgenommen
gewesen sei, sondern habe - wie alle Umsiedler - ein Einzeleinbürgerungsver-
fahren bei der Einwandererzentralstelle mit abschließender Einbürgerung
durchlaufen müssen, um deutscher Staatsangehöriger zu werden.
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Hiergegen haben die Kläger Widerspruch eingelegt und gleichzeitig Klage auf
Feststellung ihrer deutschen Staatsangehörigkeit nach dem Vater des Klägers
zu 1 erhoben, die dieser als am 21. Juni 1941 im späteren Reichskommissariat
Ukraine ansässiger deutscher Volkszugehöriger nach der Volkslistenverord-
nung Ukraine kraft Gesetzes erworben habe. Bei der Evakuierung durch die
Wehrmacht im Jahre 1943 habe es sich auch nicht um eine „Umsiedlung“ i.S.d.
§ 3 der Volkslistenverordnung gehandelt, denn diese Bestimmung betreffe nur
diejenigen Volksdeutschen, die aufgrund von Verträgen umgesiedelt worden
seien, die das Deutsche Reich von 1939 bis 1941 mit der Sowjetunion bzw.
ostmitteleuropäischen Staaten geschlossen habe.
Das Verwaltungsgericht hat die auf Feststellung der deutschen Staatsangehö-
rigkeit gerichtete Klage als unbegründet angesehen und hierzu im Wesentli-
chen ausgeführt: Der Kläger zu 1 habe die deutsche Staatsangehörigkeit nicht
nachweislich nach § 4 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes
- RuStAG - in der bei seiner Geburt geltenden Fassung durch Geburt vom Va-
ter erworben, weil nicht belegt sei, dass sein Vater damals die deutsche
Staatsangehörigkeit besessen habe. Es gebe keine Hinweise für eine Einzel-
einbürgerung des Vaters, und es sei auch nicht feststellbar, dass er die deut-
sche Staatsangehörigkeit nach § 1 Abs. 1 Buchst. f des Gesetzes zur Regelung
von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 22. Februar 1955 - StAngRegG -
i.V.m. der Verordnung vom 19. Mai 1943 über die Verleihung der deutschen
Staatsangehörigkeit an die in die Deutsche Volksliste der Ukraine eingetrage-
nen Personen erworben habe. Das Gericht gehe davon aus, dass es nicht den
gemäß Art. 25 GG zu berücksichtigenden allgemeinen Grundsätzen des Völ-
kerrechts widerspreche, wenn der Gesetzgeber Einbürgerungen aufgrund der
Volkslistenverordnung Ukraine als wirksam und damit über den 8. Mai 1945
hinaus fortbestehend ansehe. Die deutschen Volkszugehörigen im Machtbe-
reich der Sowjetunion seien aufgrund von Dekreten des Obersten Sowjet ent-
eignet, deportiert und unter Vorenthaltung sämtlicher Bürgerrechte in Sonder-
siedlungen untergebracht worden, und die Sowjetunion habe ihnen somit eine
funktionell wirksame Staatsangehörigkeit vorenthalten. Unter diesen Umstän-
den sei es völkerrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber den in
ihrer früheren Heimat recht- und schutzlos gewordenen, wegen ihres Deutsch-
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tums verfolgten Personen Zuflucht und Schutz geboten habe, indem er ihre
aufgrund der Volkslistenverordnung Ukraine erworbene deutsche Staatsange-
hörigkeit anerkannt habe. Es lasse sich jedoch nicht feststellen, dass der Vater
des Klägers zu 1 sämtliche Voraussetzungen für den Staatsangehörigkeitser-
werb nach den Bestimmungen der Volkslistenverordnung Ukraine erfülle. Von
seiner deutschen Volkszugehörigkeit gehe das Gericht aus, denn an der Wei-
tergabe der volksdeutschen Bekenntnislage in der Familie der Großeltern väter-
licherseits an den bei Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen in der
Ukraine noch nicht bekenntnisfähigen Vater des Klägers zu 1 könne kein ver-
nünftiger Zweifel bestehen. Ein Staatsangehörigkeitserwerb scheitere aber dar-
an, dass eine Aufnahme des Vaters des Klägers zu 1 in die Deutsche Volksliste
nicht feststellbar sei. Eine derartige Eintragung sei für den Staatsangehörig-
keitserwerb konstitutiv. Unabhängig von völkerrechtlichen Bedenken, die sich
ansonsten aus der Verleihung der Staatsangehörigkeit an einen kaum ab-
grenzbaren Personenkreis außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes ergeben
könnten, lasse sich das Erfordernis der individuellen Eintragung bereits aus
Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Volkslistenverordnung Ukraine ablei-
ten. Dieses Auslegungsergebnis werde durch einen Vergleich mit der entspre-
chenden Verordnung über die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsan-
gehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten - Volkslistenverordnung Polen -
bestätigt. Verlässliche Anhaltspunkte für eine Eintragung des Vaters des Klä-
gers zu 1 in eine der Abteilungen der Deutschen Volksliste seien nicht vorhan-
den. Lasse sich demnach ein Staatsangehörigkeitserwerb auf der Grundlage
der Volkslistenverordnung Ukraine für den Vater des Klägers zu 1 bereits man-
gels Eintragung nicht feststellen, bedürfe es keiner Entscheidung, ob er Um-
siedler i.S.d. § 3 dieser Verordnung gewesen sei.
Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Revision rügen die Kläger eine
fehlerhafte Anwendung der Volkslistenverordnung Ukraine und machen gel-
tend, bei deutschen Volkszugehörigen i.S.v. § 6 BVFG sei der Erwerb der deut-
schen Staatsangehörigkeit aufgrund der Volkslistenverordnung kraft Gesetzes
eingetreten. Bei den Angehörigen der Abteilungen 1 und 2 der Volksliste seien
der (damalige) Gesetzgeber sowie die Praxis im Gegensatz zu den Fällen der
Aufnahme in die Abteilung 3 betreffend die Staatsangehörigkeit auf Widerruf
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nicht von einem konstitutiven Aufnahmeakt ausgegangen. Im Übrigen habe die
Bundesrepublik Deutschland die über die Volksliste der Ukraine eingebürgerten
Personen mindestens seit dem 22. Februar 1955 als deutsche Staatsangehöri-
ge angesehen und behandelt und sei an diese über 50jährige Rechts- und
Verwaltungspraxis gebunden.
Die Beklagte ist in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil der Auffas-
sung, ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit im Wege der Sammelein-
bürgerung nach §§ 1 und 2 der Volkslistenverordnung Ukraine setze einen indi-
viduellen Eintrag in die Deutsche Volksliste voraus.
Die Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unter-
stützt mit dem Bundesministerium des Innern das angefochtene Urteil.
II
Die Revision der Kläger ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144
Abs. 2 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat für den Kläger zu 1 einen Erwerb
der deutschen Staatsangehörigkeit kraft Geburt gemäß § 4 des Reichs- und
Staatsangehörigkeitsgesetzes - RuStAG -, hier anzuwenden in der Fassung
vom 19. Dezember 1963 (BGBl I S. 982), zutreffend mit der Begründung ver-
neint, es sei nicht feststellbar, dass sein Vater die deutsche Staatsangehörig-
keit nach § 1 Abs. 1 Buchst. f des Gesetzes zur Regelung von Fragen der
Staatsangehörigkeit vom 22. Februar 1955 (BGBl I S. 65) - StAngRegG - i.V.m.
der „Verordnung über die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit an die
in die Deutsche Volksliste der Ukraine eingetragenen Personen“ vom 19. Mai
1943 (RGBl I S. 321) - Volkslistenverordnung Ukraine - erworben habe.
1. Die Bestimmungen des 1. Abschnittes des Staatsangehörigkeitsregelungs-
gesetzes betreffend die „Staatsangehörigkeitsverhältnisse deutscher Volkszu-
gehöriger, denen die deutsche Staatsangehörigkeit in den Jahren 1938 bis
1945 durch Sammeleinbürgerung verliehen worden ist“, sind rechtlich wie histo-
risch vor dem Kontext der nationalsozialistischen Expansionspolitik mit ihrer
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Instrumentalisierung deutscher Minderheiten für machtpolitische Zwecke der
Errichtung eines deutsch beherrschten Großraums Europa unter Einschluss der
europäischen Teile der Sowjetunion und der darauf folgenden Flucht- und Ver-
treibungsphase zu sehen, in welcher Nachkriegsdeutschland zum Zufluchts-
und Aufnahmeort für die hiervon betroffenen Gruppen deutscher Volkszugehö-
riger wurde. Der Gesetzgeber des Staatsangehörigkeitsregelungsgesetzes woll-
te die in der Nachkriegszeit aufgetretenen rechtlichen Unsicherheiten über die
Anerkennung von Verleihungen der deutschen Staatsangehörigkeit auf der
Grundlage der in § 1 Abs. 1 Buchst. a - f aufgezählten Verträge bzw. Verord-
nungen beseitigen (vgl. Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Aufl.
2005, S. 21 f.) und dabei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
vom 28. Mai 1952 - 1 BvR 213/51 - (BVerfGE 1, 322 ff.) Rechnung tragen (vgl.
dazu näher BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1966 - BVerwG 1 C 21.64 -
BVerwGE 23, 274 <278> unter Hinweis auf BRDrucks 2/849, Bericht des Bun-
destagsausschusses für Angelegenheiten der Inneren Verwaltung zum Geset-
zesentwurf), in welcher das Bundesverfassungsgericht mit Bezug auf deutsche
Volkszugehörige des früheren Protektorats Böhmen und Mähren - deren
Staatsangehörigkeit in § 1 Abs. 1 c StAngRegG geregelt worden ist - Grundsät-
ze für die innerstaatliche Wirksamkeit der in den annektierten Gebieten verfüg-
ten Einbürgerungen aufgestellt und dabei entscheidend insbesondere darauf
abgestellt hatte, dass „die Regelung der deutschen Staatsangehörigkeit durch
das Deutsche Reich auch außerhalb Deutschlands nach Beendigung der
Feindseligkeiten jedenfalls mittelbar anerkannt worden“ sei (a.a.O. S. 330).
Nach § 1 Abs. 1 StAngRegG, der die insoweit maßgeblichen völkerrechtlichen
Verträge und Verordnungen auflistet, sind „Die deutschen Volkszugehörigen,
denen die deutsche Staatsangehörigkeit aufgrund folgender Bestimmungen
verliehen worden ist“ - darunter gemäß Buchst. f die „Verordnung über die Ver-
leihung der deutschen Staatsangehörigkeit an die in die Deutsche Volksliste
der Ukraine eingetragenen Personen (RGBl I S. 321)“ -, „nach Maßgabe der
genannten Bestimmungen deutsche Staatsangehörige geworden, es sei denn,
dass sie die deutsche Staatsangehörigkeit durch ausdrückliche Erklärung aus-
geschlagen haben oder noch ausschlagen.“ Die Gruppe der deutschen Volks-
zugehörigen, denen die deutsche Staatsangehörigkeit auf der Grundlage der
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oben genannten Volkslistenverordnung Ukraine verliehen worden ist, unter-
scheidet sich dabei von den anderen, auf der Grundlage der in Buchst. a bis e
aufgezählten Rechtsakte eingebürgerten Gruppen dadurch, dass ihr Status un-
ter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Kriterien
für eine völkerrechts- und verfassungskonforme Anerkennung als deutsche
Staatsangehörige von vornherein zweifelhaft war, weil die Sowjetunion - anders
als etwa Polen, die Tschechoslowakei und Jugoslawien - keine Bereitschaft
zeigte, auf ihre vom nationalsozialistischen Deutschland als deutsche Staats-
angehörige in Anspruch genommenen Staatsbürger zu verzichten, sondern sie
im Gegenteil - mit Unterstützung und Billigung durch die westlichen Besat-
zungsmächte - aus Deutschland in die Sowjetunion zurückverbrachte, wie dies
auch bei der Familie des Vaters des Klägers zu 1 der Fall war. Eine weitere
rechtliche Problematik der vom nationalsozialistischen Verordnungsgeber ver-
fügten Inanspruchnahme dieser deutschen Volkszugehörigen als deutsche
Staatsangehörige liegt schließlich auch darin, dass diese - im Gegensatz zu
den deutschen Volkszugehörigen in der Tschechoslowakei, Polen und Jugos-
lawien - nicht geschlossen unter die Kontrolle der deutschen Annexions- bzw.
Besatzungsmacht geraten, sondern teilweise vor dem Einmarsch der Wehr-
macht aus der Ukraine evakuiert worden und daher nicht in den deutschen
Machtbereich geraten waren.
Die im vorliegenden Verfahren zur Überprüfung gestellte Frage der Vorausset-
zungen eines Staatsangehörigkeitserwerbs auf der Grundlage der Volkslisten-
verordnung Ukraine gibt dem Senat keinen rechtlichen Anlass zu einer Vertie-
fung der im Revisionsverfahren aufgeworfenen Fragen, unter welchen Voraus-
setzungen aus einer grundsätzlich völkerrechtswidrigen Inanspruchnahme
fremder Staatsangehöriger völkerrechtswidrig annektierter oder besetzter Ge-
biete als Staatsangehörige der Annexions- oder Besatzungsmacht (vgl. nur Ar-
tikel 45 der Haager Landkriegsordnung: „Es ist untersagt, die Bevölkerung ei-
nes besetzten Gebietes zu zwingen, der feindlichen Macht den Treueid zu leis-
ten.“) eine völker- und verfassungsrechtskonforme (Art. 25 GG) deutsche
Staatsangehörigkeit entstehen konnte (vgl. dazu außer der genannten Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht, Urteile
vom 24. Februar 1966 - BVerwG 1 C 21.64 - BVerwGE 23, 274 betr. den Er-
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werb der deutschen Staatsangehörigkeit in annektierten jugoslawischen Gebie-
ten <§ 1 Abs. 1 Buchst. e StAngRegG> und vom 15. März 1994 - BVerwG 9 C
340.93 - BVerwGE 95, 228 betr. die eingegliederten polnischen Gebiete <§ 1
Abs. 1 Buchst. d StAngRegG>), und ob die insoweit von der Rechtsprechung
entwickelten Gesichtspunkte (insbesondere das Kriterium einer weiteren Inan-
spruchnahme als Staatsangehörige durch Staaten, deren Gebiete völker-
rechtswidrig annektiert worden waren) auf den Fall sowjetischer Staatsangehö-
riger aus dem Gebiet des Reichskommissariats Ukraine zur Anwendung ge-
bracht werden können. Denn dem Vater des Klägers zu 1 war schon nach den
insoweit maßgeblichen Kriterien der Volkslistenverordnung die deutsche
Staatsangehörigkeit nicht nachweislich verliehen worden.
2. Die in § 1 Abs. 1 Buchst. f StAngRegG in Bezug genommene „Verordnung
über die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit an die in die Deutsche
Volksliste der Ukraine eingetragenen Personen“ - Volkslistenverordnung Ukrai-
ne - betrifft deutsche Volkszugehörige, die am 21. Juni 1941 - dem Vortag des
deutschen Angriffs auf die Sowjetunion - im Gebiet des von der deutschen Be-
satzungsmacht später eingerichteten „Reichskommissariats Ukraine“ ansässig
waren, und hat - soweit vorliegend von Interesse - folgenden Wortlaut:
§ 1
Die ehemaligen Staatsangehörigen der UdSSR und die
Staatenlosen deutscher Volkszugehörigkeit, die die Vor-
aussetzungen für die Aufnahme in die Abteilungen 1 und
2 der Deutschen Volksliste der Ukraine erfüllen und am
21. Juni 1941 im Gebiet des Reichskommissariats Ukrai-
ne ansässig waren, erwerben ohne Rücksicht auf den Tag
ihrer Aufnahme mit Wirkung vom 21. Juni 1941 die deut-
sche Staatsangehörigkeit.
§ 2
(1) Die ehemaligen Staatsangehörigen der UdSSR und
die Staatenlosen deutscher Volkszugehörigkeit, die in Ab-
teilung 3 der Deutschen Volksliste der Ukraine aufge-
nommen sind, erwerben durch die Aufnahme die Staats-
angehörigkeit auf Widerruf.
§ 3
Die in den §§ 1 und 2 getroffene Regelung gilt nicht für
Umsiedler.
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a) Was zunächst die Terminologie der Volkslistenverordnung betrifft, welche
die Bevölkerung der Ukraine als „ehemalige Staatsangehörige der UdSSR“ be-
zeichnet, liegt dieser ersichtlich ein politischer Herrschaftswille zugrunde, nach
dem mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die Sowjetunion die sow-
jetische Staatsangehörigkeit in den besetzten Gebieten erloschen und unbe-
achtlich geworden war. Dass dieser Standpunkt in völkerrechtlicher Hinsicht
nicht haltbar war, bedarf hier keiner weiteren Vertiefung; jedenfalls sollten mit
dieser Terminologie offensichtlich alle sowjetischen Staatsbürger im Gebiet des
Reichskommissariats Ukraine erfasst werden, andernfalls die Verordnung prak-
tisch keinen Anwendungsbereich gehabt hätte.
b) Entgegen der Rechtsansicht des Klägers zu 1 haben deutsche Volkszugehö-
rige, welche die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Abteilungen 1 oder 2
der Deutschen Volksliste erfüllten, nicht bereits kraft Gesetzes (Verordnung) die
deutsche Staatsangehörigkeit mit Wirkung zum 21. Juni 1941 erworben. Viel-
mehr konnten auch Personen mit unzweifelhaft deutscher Volkszugehörigkeit
die deutsche Staatsangehörigkeit erst mit der erfolgten Eintragung in die Deut-
sche Volksliste erwerben.
aa) Geht man - wie zutreffend das Verwaltungsgericht - für die Frage des
Staatsangehörigkeitserwerbs vom Wortlaut der Volkslistenverordnung Ukraine
aus und berücksichtigt dabei die in der als Muster dienenden Volkslistenver-
ordnung Polen getroffenen Regelungen, so spricht dies gegen den vom Kläger
zu 1 behaupteten Staatsangehörigkeitserwerb unmittelbar kraft Verordnung und
ohne vorangegangenes Überprüfungsverfahren durch die zuständigen deut-
schen Dienststellen.
Die Überschrift „Verordnung über die Verleihung der deutschen Staatsangehö-
rigkeit an die in die Deutsche Volksliste der Ukraine eingetragenen Personen“
legt die Annahme jedenfalls nahe, dass Gegenstand der Verordnung der
Staatsangehörigkeitserwerb von Personen war, welche tatsächlich in die Volks-
liste eingetragen worden waren. Zwar ist für die genaue Ermittlung des Rege-
lungsinhalts der Gesetzestext selbst und nicht die Überschrift maßgeblich, doch
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gibt sie immerhin einen Hinweis, wie der Verordnungsgeber selbst die Verord-
nung rechtlich einordnete. Der nachfolgend dargestellte zeitgeschichtliche Kon-
text des Verordnungserlasses ergibt, dass der Verordnungsgeber von einem
bereits weitgehend durchgeführten Volkslistenverfahren ausging und es inso-
weit um eine Sammeleinbürgerung bereits listenmäßig erfasster, deutscher
Volkszugehöriger ging.
Nach § 1 der Verordnung erwarb der in Betracht kommende Personenkreis bei
Vorliegen der Voraussetzungen für die Aufnahme in die Abteilungen 1 und 2
der Deutschen Volksliste ohne Rücksicht auf den „Tag“ der Aufnahme mit Wir-
kung vom 21. Juni 1941 die deutsche Staatsangehörigkeit. Diese Vorausset-
zungen waren allerdings nicht in der Verordnung selbst geregelt, sondern ge-
mäß § 1 der zeitlich vorausgegangenen Verordnung des Reichskommissars für
die Ukraine vom 15. September 1942 über die Aufnahme der Volksdeutschen
im Reichskommissariat Ukraine in die deutsche Volksgemeinschaft (Verord-
nungsblatt des Reichskommissars für die Ukraine 1942, S. 111) „in sinngemä-
ßer Anwendung der Verordnung über die Deutsche Volksliste und die deutsche
Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. März 1941 …
und der dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen“ zu bestimmen. § 1 der
Verordnung vom 19. Mai 1943 legt mithin schon bei einer rein sprachlichen Be-
trachtung das Verständnis nahe, dass es dem Verordnungsgeber wegen des
auf den Vortag des Angriffs auf die Sowjetunion rückwirkenden Staatsangehö-
rigkeitserwerbs zwar nicht auf den Tag der Aufnahme in die Deutsche Volkslis-
te ankam, die Eintragung aber Voraussetzung des Staatsangehörigkeitser-
werbs war. Soweit der Verordnungsgeber in § 1 für den Staatsangehörigkeits-
erwerb - anders als in der Überschrift - nicht auf den Eintrag als solchen, son-
dern auf die „Voraussetzungen für die Aufnahme in die Abteilungen 1 und 2“
abstellt, erklärt sich dies daraus, dass das Volkslistenverfahren noch nicht ab-
geschlossen und eine Erweiterung des Personenkreises über die bereits Einge-
tragenen hinaus durch konstitutiv wirkende Eintragung beabsichtigt war; inso-
weit dürfte es sich um eine Mischform zwischen einer Sammeleinbürgerung
bereits eingetragener Personen und einer zukunftsoffenen Erweiterung auf
noch aufzunehmende Personen handeln.
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bb) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht auch die entsprechenden Regelun-
gen der Verordnung über die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsan-
gehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. März 1941 i.d.F. der Ver-
ordnung vom 31. Januar 1942 (RGBl 1941 I S. 118, 1942 S. 51) - nachfolgend
Volkslistenverordnung Polen -, welche bei Erlass der Verordnung als Vorlage
diente, in seine Erwägungen einbezogen. Die § 1 der Volkslistenverordnung
Ukraine entsprechende Regelung der Volkslistenverordnung Polen, die sich
gemäß ihrem § 1 Abs. 1 in vier Abteilungen gliederte, während die Volkslisten-
verordnung Ukraine nur noch drei Abteilungen vorsah, lautet:
§ 3
Die ehemaligen polnischen Staatsangehörigen, die die
Voraussetzungen für die Aufnahme in die Abteilungen 1
oder 2 der Deutschen Volksliste erfüllen, erwerben ohne
Rücksicht auf den Tag ihrer Aufnahme mit Wirkung vom
26. Oktober 1939 die deutsche Staatsangehörigkeit.
Im Gegensatz zu dieser Regelung, welche terminologisch mit § 1 der Volkslis-
tenverordnung Ukraine übereinstimmt, sah § 4 der Volkslistenverordnung Polen
für Danziger Staatsangehörige einen Erwerb der deutschen Staatsangehörig-
keit ohne Zwischenschaltung eines Volkslistenverfahrens vor:
§ 4
Die ehemaligen Danziger Staatsangehörigen erwerben
ohne Aufnahme in die Deutsche Volksliste mit Wirkung
vom 1. September 1939 die deutsche Staatsangehörig-
keit …
Dass allerdings auch hier ein Volkstumsüberprüfungsvorbehalt bestand, erhellt
§ 5 der Volkslistenverordnung Polen, wonach
„Die ehemaligen polnischen oder Danziger Staatsangehö-
rigen, die in die Abteilung 3 der Deutschen Volksliste auf-
genommen werden, erwerben durch Einbürgerung die
deutsche Staatsangehörigkeit.“;
entsprechend stellt ein Runderlass des Reichsministers des Innern vom
13. März 1941 unter Ziff. 11 b fest, dass von dem Erwerb der deutschen
Staatsangehörigkeit mit Wirkung vom 1. September 1939 „diejenigen ehemali-
gen Danziger Staatsangehörigen“ ausgenommen sind, „von denen die … Be-
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zirksstelle der Deutschen Volksliste bis zum 31. Dezember 1941 feststellt, dass
sie die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Abteilungen 1 oder 2 ... nicht
erfüllen“.
Wenn § 3 Abs. 1 und § 5 der Volkslistenverordnung Polen - in der Terminologie
identisch mit den Bestimmungen der §§ 1, 2 Volkslistenverordnung Ukraine - in
§ 4 durch eine Sonderregelung für ehemalige Danziger Staatsangehörige er-
gänzt wurden, wonach diese die deutsche Staatsangehörigkeit „ohne Aufnah-
me in die Deutsche Volksliste“ mit Wirkung vom 1. September 1939 erwarben,
ist daraus mit dem Verwaltungsgericht zu schließen, dass nur die Danziger
Staatsangehörigen - sofern sie nicht unter die Abteilungen 3 oder 4 einzuord-
nen waren - die deutsche Staatsangehörigkeit ohne eine solche Eintragung
erwarben. Dies bestätigt die Annahme, dass es sich bei den entsprechenden
Formulierungen in der Verordnung vom 19. Mai 1943 nicht um eine missver-
ständliche Formulierung handelt, sondern es auf die tatsächliche Eintragung in
die Volksliste ankam.
cc) Die Entstehungsgeschichte der Verordnung bestätigt dieses Bild. Aus den
von der Beklagten und der Vertreterin des Bundesinteresses vorgelegten zeit-
geschichtlichen Unterlagen ergibt sich, dass die deutschen Dienststellen im
Zuständigkeitsbereich des Reichskommissars für die Ukraine bereits vor Erlass
der Verordnung des Reichsministers des Innern mit der Erfassung der deut-
schen Volkszugehörigen begonnen hatten. Nachdem der Reichskommissar für
die Ukraine am 15. September 1942 - aufgrund einer Verordnung des Ministers
für die besetzten Ostgebiete (Rosenberg) und auf Weisung des Reichskom-
missars für die Festigung des deutschen Volkstums (Himmler), aber ohne Be-
teiligung des für Staatsangehörigkeitsfragen zuständigen Reichsministers des
Innern - mit seiner oben genannten Verordnung über die Aufnahme der Volks-
deutschen des Reichskommissariats in die deutsche Volksgemeinschaft vom
15. September 1942 die Initiative ergriffen, den Reichsminister des Innern er-
sichtlich aber erst nachträglich davon unterrichtet und gebeten hatte, „die
Staatsangehörigkeit an die mit solchen Volkslistenausweisen ausgestatteten
Personen zu verleihen“ (vgl. Schnellbrief des Reichsministers des Innern vom
16. Oktober 1942, Anlage 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 31. Mai 2006,
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Revisionsakte S. 324), sah dieser sich veranlasst, seinerseits beschleunigt das
staatsangehörigkeitsrechtliche Verordnungsverfahren einzuleiten. Nachdem
das Auswärtige Amt unter dem 20. Oktober 1942 keine Bedenken gegen eine
Verleihung der Staatsangehörigkeit an „die mit Volkslistenausweisen ausgestat-
teten Volksdeutschen der Ukraine“ gesehen hatte, wurde am 23. November
1942 im Reichsministerium des Innern unter Beteiligung der maßgeblichen
Stellen - darunter des Reichskommissariats Ukraine, des Ostministeriums und
des Reichssicherheitshauptamtes - die Besprechung durchgeführt, welche zum
Erlass der Volkslistenverordnung Ukraine vom 19. Mai 1943 führte. Die Be-
sprechungsniederschrift enthält hierzu folgende Erklärungen:
„Das RMdI nimmt in Aussicht, demnächst im Wege der
Gruppenverleihung nach § 1 Abs. 3 der VO vom 20. Ja-
nuar 1942 den in die Abteilung 1 und 2 der Deutschen
Volksliste in der Ukraine Eingetragenen die deutsche
Staatsangehörigkeit und den in Abteilung 3 Eingetragenen
die Staatsangehörigkeit auf Widerruf (Frist 10 Jahre) zu
verleihen …
Der RFSS beabsichtigt, die Staatsangehörigen auf Wider-
ruf in einem Nachtragsverfahren rassisch zu überprü-
fen ...“
Soweit demgegenüber in dem von den Klägern vorgelegten Runderlass des
Reichskommissars für die Ukraine vom 10. Juli 1943 über die Aufnahme der
Volksdeutschen in die Deutsche Volksliste und Aushändigung der Volkslisten-
ausweise geltend gemacht wurde, der Erwerb der deutschen Staatsangehörig-
keit aufgrund des § 1 der Verordnung trete bei den Volksdeutschen des
Reichskommissariats, die die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Abtei-
lungen 1 oder 2 erfüllten, „nicht erst mit dem Tage der Eintragung oder Aus-
händigung einer Bescheinigung hierüber ein, sondern (sei) bei Erfüllung der
Voraussetzungen für die Aufnahme in die genannte Abteilung bereits eingetre-
ten“, ist dem gegenüber den entgegengesetzten Äußerungen der am Rechtset-
zungsverfahren der Volksliste Ukraine unmittelbar beteiligten Ressorts und
Dienststellen keine maßgebliche Bedeutung für das Verständnis der Verord-
nung beizumessen. Dies gilt auch mit Blick auf die im damaligen Schrifttum in
Bezug auf die terminologisch übereinstimmende Volksliste Polen vertretene
Auffassung, dass die Eintragung in die Abteilungen 1 und 2 nur deklaratorische
Wirkung gehabt habe und die Betreffenden die deutsche Staatsangehörigkeit
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bereits unmittelbar kraft Verordnung erworben hätten (so Lichter, Das Staats-
angehörigkeitsrecht im Großdeutschen Reich, Berlin 1943, S. 110 zu § 3 der
Volkslistenverordnung für die eingegliederten Ostgebiete, und der vom Kläger
zu 1 vorgelegte Aufsatz Dr. Franke aus dem Aktenbestand des Bundesarchivs
nuskripts>).
3. Soweit die Revision geltend macht, die Bundesrepublik Deutschland habe
die über die Deutsche Volksliste der Ukraine eingebürgerten Personen mindes-
tens seit Inkrafttreten des Staatsangehörigkeitsregelungsgesetzes vom
22. Februar 1955 als deutsche Staatsangehörige angesehen und behandelt,
trifft dies auch nach Auffassung der Beklagten zu (vgl. bereits das Rundschrei-
ben des Bundesministers des Innern vom 25. März 1976, Revisionsakte
S. 203 ff.). In dem Runderlass des Innenministers Baden-Württemberg vom
12. November 1981 (abgedruckt in Makarow/von Mangoldt, Anhang 1 D zum
StAngRegG ), dem nach Angaben des Klägers zu 1 eine auf der Konferenz der
Staatsangehörigkeitsreferenten des Bundes und der Länder abgestimmte ein-
heitliche Haltung der Staatsangehörigkeitsbehörden in Deutschland zugrunde
liegt, heißt es unter 1.4 („Zu den Sammeleinbürgerungen nach § 1 Abs. 1
Buchst. f StAngRegG “), Ziffer 1.4.2 ausdrücklich: „Im Gegensatz zu
dem Personenkreis des § 1 der Verordnung haben deutsche Volkszugehörige
die deutsche Staatsangehörigkeit aufgrund von § 2 der Verordnung erst mit der
tatsächlichen Aufnahme in die Volksliste erworben“ (auf diese Verwaltungsauf-
fassung stützt sich auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Ur-
teil vom 18. November 1998 - 5 D 97.603 -). Daraus ergibt sich jedoch entge-
gen der Rechtsauffassung der Revision nicht, dass die Beklagte gegenüber
den Klägern verpflichtet wäre, an dieser früheren Praxis trotz grundsätzlicher
Änderung ihrer Rechtsauffassung auch weiter festzuhalten. Wie die Beklagte
zutreffend ausführt, ist eine Behörde - von Fällen berechtigten Vertrauens-
schutzes abgesehen - unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG berech-
tigt, eine als rechtsfehlerhaft erkannte Verwaltungspraxis zu ändern, und ergibt
sich ein Anspruch aus Art. 3 GG i.V.m. Ziff. 1.3 StAR-VwV für die Kläger schon
deshalb nicht, weil sie nicht nachweisen oder glaubhaft machen können, spä-
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testens seit dem 1. Januar 1950 von deutschen Stellen als deutsche Staatsan-
gehörige behandelt worden zu sein.
4. a) War nach alledem zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit auf-
grund des § 1 Abs. 1 Buchst. f StAngRegG i.V.m. der Volkslistenverordnung
Ukraine außer der deutschen Volkszugehörigkeit und der Zugehörigkeit zur
einheimischen Wohnbevölkerung des Reichskommissariats auch die Eintra-
gung in die Deutsche Volksliste erforderlich, so geht es - wie das Verwaltungs-
gericht zutreffend festgestellt hat - zu Lasten der Kläger, dass sie die Eintra-
gung des Vaters des Klägers zu 1 in die Deutsche Volksliste der Ukraine als
rechtsbegründende Tatsache nicht nachzuweisen vermögen und verlässliche
Anhaltspunkte für eine Eintragung des Vaters des Klägers zu 1 in eine der Ab-
teilungen der Deutschen Volksliste nicht vorhanden sind (zu den Grundsätzen
der Beweislastverteilung vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 16. Januar 1974
- BVerwG 8 C 117.72 - BVerwGE 44, 265 <269>, vom 25. Juni 1991 - BVerwG
9 C 22.90 - juris-Ausdruck unter Rn. 24, vom 28. Februar 2001 - BVerwG 8 C
10.00 - BVerwGE 114, 75 <77>; sowie zuletzt Beschluss vom 26. Juni 2006
- BVerwG 8 B 4.06 - juris).
b) Auch soweit die Beklagte mit Schriftsatz vom 31. Mai 2006 unter Hinweis auf
neu ermittelte Archivunterlagen vorträgt, entgegen bisheriger Annahme habe
die Volksliste Ukraine nach nunmehr erreichtem Kenntnisstand faktisch schon
im Jahre 1942 existiert und sei nicht so gut wie unausgeführt geblieben, son-
dern bei der Masse der Ukrainedeutschen schon vor Erlass der Volkslistenver-
ordnung Ukraine angewendet und dann Grundlage der Selektion der vor der
Sowjetarmee flüchtenden deutschen Bevölkerung gewesen, hat sie damit nicht
den zeitgeschichtlichen Beweis für eine vollständige und damit auch die Familie
des Vaters des Klägers zu 1 erfassende Durchführung der Verordnung er-
bracht, sondern lediglich Umstände vorgetragen, welche - allerdings auf statis-
tisch nicht quantifizierbare Weise - die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass auch
die Familie des Vaters des Klägers zu 1 volkslistenmäßig überprüft und erfasst
worden war. Der von der Beklagten zur Bestätigung ihrer neuen Sicht angeführ-
te Vermerk des Leiters der Einwandererstelle Litzmannstadt vom
22. September 1943 mit dem Hinweis, „nach Mitteilung der VOMI“ (Volksdeut-
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schen Mittelstelle) seien „die gesamten Volksdeutschen in der Ukraine in die
Deutsche Volksliste eingetragen, jedoch ... nur bei einem geringen Teil der
Volkslistenausweis ausgegeben worden“, ist jedenfalls kein ausreichender zeit-
geschichtlicher Beweis für eine umfassend durchgeführte Überprüfung und Ein-
tragung der volksdeutschen Wohnbevölkerung. Es lässt sich auch nicht fest-
stellen, dass die Volkslistenerfassung in dem Sinne Grundlage der Evakuierun-
gen gewesen wären, dass ausschließlich oder vorrangig Eingetragene evaku-
iert worden wären. Für die Kläger besteht danach vielmehr - auch bei einem bis
1943 dauernden Verbleib der Familie des Vaters des Kläger zu 1 in Wo. - ledig-
lich eine statistisch nicht quantifizierbare Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der
Eintragung in die Deutsche Volksliste, jedoch keine Wahrscheinlichkeit der Art,
welche als nach der Lebenserfahrung der Gewissheit gleichkommend oder
vernünftigen Zweifeln Einhalt gebietend gewertet werden könnte (vgl. etwa
Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, Rn. 5 zu § 108 m.w.N.).
c) Auch nach den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ins-
besondere zum Vertriebenen- und Asylrecht entwickelten Grundsätzen des
Beweisnotstandes, welche es zulassen, bei einem unverschuldeten Beweisnot-
stand, in dem sich etwa Bewerber um einen Vertriebenenausweis vielfach be-
finden, in großem Umfang auch Tatsachen festzustellen, die nur vom An-
tragsteller vorgetragen sind, sofern die zur Entscheidung berufene Stelle dem
Vortrag des Antragstellers glaubt (vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 25. Juni 1991
- BVerwG 9 C 22.90 - Buchholz 412.3 Nr. 15 zu § 18 BVFG und vom 29. Juni
1993 - BVerwG 9 C 40.92 - Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 71), ergibt das Vor-
bringen der Kläger keine ausreichend verlässlichen Anhaltspunkte für die Ein-
tragung des Vaters des Klägers zu 1 in die Deutsche Volksliste. Diese Grund-
sätze betreffen die Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit von Parteivor-
bringen, nicht aber die Einschätzung des quantitativ-statistischen Wahrschein-
lichkeitsgrades behaupteter Tatsachen und ermöglichen es, eigenen Erklärun-
gen der beweisbelasteten Partei größere Bedeutung beizumessen, als dies
sonst in der Prozesspraxis der Fall ist, und den Beweiswert einer Aussage im
Rahmen des Möglichen wohlwollend zu beurteilen (vgl. BVerwG, Urteil vom
16. April 1985 - BVerwG 9 C 109.84 -BVerwGE 71, 180 <181 f.>). Insoweit
muss es im vorliegenden Fall bei der Feststellung des Verwaltungsgerichts
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bleiben, dass die Erklärungen des Klägers zu 1 zur Eintragung in die Deutsche
Volksliste ersichtlich nicht auf der Kenntnis des tatsächlichen Hergangs, son-
dern auf Vermutungen basieren (so kommt nach den oben dargelegten Selek-
tionskriterien der Volkslistenverordnung etwa die von den Klägern im Vertriebe-
nenverfahren behauptete gleichzeitige Eintragung in mehrere Abteilungen
gleichzeitig rechtlich von vornherein nicht in Betracht).
Dr. Säcker Schmidt Dr. Franke
Dr. Brunn Prof. Dr. Berlit
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 20 000 €
festgesetzt.
Dr. Säcker Schmidt Dr. Franke