Urteil des BVerwG vom 10.07.2012

Avv, Baustelle, Entschädigung, Bauarbeiten

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 7 A 11.11
Verkündet
am 10. Juli 2012
Ende
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 28. Juni 2012
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Guttenberger,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt und Dr. Decker
am 10. Juli 2012
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens ein-
schließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigelade-
nen als Gesamtschuldner.
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G r ü n d e :
I
Die Klägerinnen wenden sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Be-
klagten vom 21. Oktober 1999 für den Bau der U-Bahnlinie 5 im Bezirk Berlin-
Mitte in der Fassung des 2. Änderungsbeschlusses vom 27. Juni 2011
(2. Bauabschnitt zwischen Alexanderplatz und U-Bahnhof Brandenburger Tor).
Der Planfeststellungsbeschluss von 1999 ist in wesentlichen Teilen bereits um-
gesetzt worden. Der Streckenteil zwischen dem Hauptbahnhof und dem
U-Bahnhof Brandenburger Tor wurde 2008 fertig gestellt und in Betrieb ge-
nommen. Im November 2008 beantragte die Beigeladene die Durchführung
eines Planfeststellungsverfahrens zur 2. Änderung des Planfeststellungsbe-
schlusses. Die 2. Planänderung betrifft den Lückenschluss der U-Bahnlinie U5
zwischen den U-Bahnhöfen Brandenburger Tor und Alexanderplatz. Im Zuge
dieser Baumaßnahme werden u.a. drei Bahnhöfe (Berliner Rathaus, Museums-
insel und Unter den Linden) errichtet. Die Gesamttunnellänge zwischen den
U-Bahnhöfen Brandenburger Tor und Alexanderplatz beträgt circa 2,2 km.
Streitgegenständlich ist vorliegend allein die Errichtung des unterirdischen
Bahnhofs Unter den Linden. Der Bahnhof wird als Kreuzungsbahnhof der
U-Bahnlinien 5 und 6 gestaltet. Er befindet sich im Schnittpunkt des Boulevards
Unter den Linden mit der Friedrichstraße. Im Vergleich zur Planung aus dem
Jahr 1999 werden durch die 2. Planänderung der Bahnsteig der U5 nach Osten
und der Bahnsteig der U6 einschließlich der südlichen Zugänge um circa 15 m
nach Süden verschoben. Die Zugänge und Aufzüge im Kreuzungsbereich wer-
den auf der Mittelpromenade Unter den Linden angeordnet; zudem wird das
Bahnhofsbauwerk um einen neuen Ausgang zur Charlottenstraße erweitert. Im
Gegensatz zur ursprünglichen Planung werden Baumaßnahmen auf der nördli-
chen Seite der Mittelpromenade Unter den Linden nicht mehr erforderlich, so
dass der Verkehr während der Bauzeit über die Nordfahrbahn der Straße Unter
den Linden geführt werden kann. Der Beklagte hat die Planänderung überdies
zum Anlass genommen, die im Bereich der Bahnhofsbaustellen baubedingt auf-
tretenden Beeinträchtigungen der Nachbarschaft neu zu bewerten.
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Der Bahnhof Unter den Linden wird in vier Baufeldern teils in offener und teils in
geschlossener Bauweise unterhalb der Deckelung errichtet. In der Friedrich-
straße soll der Abschlussdeckel im Baufeld IV circa 10 Monate nach Baubeginn
im April/Mai 2013 erstellt sein. In der Straße Unter den Linden soll der letzte
Deckel im Baufeld II nach circa 15 Monaten im September 2013 verschlossen
werden. Nach der Deckelung werden die Friedrichstraße und die südliche
Fahrbahn der Straße Unter den Linden wieder für den Verkehr freigegeben. Die
Gesamtdauer der Baumaßnahmen soll vier bis fünf Jahre betragen.
Die Klägerinnen sind Eigentümer bzw. Betreiber des im Kreuzungsbereich der
südlichen Fahrbahn der Straße Unter den Linden mit der Friedrichstraße in un-
mittelbarer Nähe der Bahnhofsbaustelle gelegenen Hotels W.. Sie haben nach
Auslegung der Planunterlagen fristgerecht Einwendungen erhoben. Das Hotel
wurde 1985 bis 1987 errichtet, 2006 an die jetzige Eigentümerin verkauft und
mit erheblichem finanziellen Aufwand modernisiert. Es verfügt über insgesamt
400 Zimmer, davon liegen 155 Zimmer zur Straße Unter den Linden und zur
Friedrichstraße. Das Hotel ist nicht offiziell klassifiziert, weist aber nach den An-
gaben der Klägerinnen die Ausstattung eines Fünf-Sterne-Superior-Hotels auf.
Mit Beschluss vom 27. Juni 2011 stellte der Beklagte die Planänderung fest und
wies die Einwendungen der Klägerinnen im Wesentlichen zurück. Nach der Be-
gründung des Planänderungsbeschlusses werden sich beim Bau des Bahnhofs
Unter den Linden wesentliche Beeinträchtigungen durch Baulärm ergeben, der
vor allem durch den Abbruch der Fahrbahndecken, den Erdaushub, die Herstel-
lung von Schlitzwänden und Dichtungssohlen sowie den Abbruch der Tunnel-
decke der U6 und die Wiederherstellung des Tunnelabschnitts im Baufeld IV
verursacht wird. Die Friedrichstraße ist aufgrund der örtlichen Gegebenheiten
besonders betroffen, weil der Abstand zwischen den Hausfassaden östlich und
westlich der Friedrichstraße nur 22 m beträgt. Die Gesamtdauer der Phase mit
den lärmrelevanten Tätigkeiten ist auf 305 Arbeitstage veranschlagt, für die
Durchführung dieser Arbeiten ist ein Zeitraum von 12 Monaten vorgesehen.
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Der Planänderungsbeschluss sieht in den Nebenbestimmungen eine Reihe von
Vorkehrungen zum Immissionsschutz während der Bauarbeiten vor, u.a. den
Einsatz lärmarmer Bauverfahren und Baugeräte, eine zeitliche Beschränkung
der Bauarbeiten, die Verkleidung der Arkaden bis zur Deckelung der Baustelle
bzw. auf Wunsch der Klägerinnen auch darüber hinaus bis zum vollständigen
Abschluss der Bauarbeiten sowie ein umfassendes Monitoring zur Ermittlung
und zur Dokumentation des durch die Bahnhofsbaustelle verursachten Lärms
und der Erschütterungen. Ferner sind eine Beweissicherung und verschiedene
sonstige Maßnahmen angeordnet worden, die die Staubentwicklung, den
Spritzschutz, die Fassadenreinhaltung etc. betreffen.
Für gleichwohl verbleibende unzumutbare Lärmbeeinträchtigungen während
der Bauzeit ist den Klägerinnen im Planänderungsbeschluss ein Entschädi-
gungsanspruch dem Grunde nach zugesprochen worden. Für Außenwohnbe-
reiche besteht der Entschädigungsanspruch bei einer Überschreitung von
68 dB(A), für Innenräume, sofern die oberen Anhaltswerte der
VDI-Richtlinie 2719 für Innenschalldruckpegel von 40 dB(A) für Hotelzimmer
und Vortragsräume sowie 50 dB(A) für Ladengeschäfte und Restau-
rants/Gaststätten überschritten werden.
Die Klägerinnen haben Ende Juli 2011 ein gegen den Planfeststellungsbe-
schluss vom 21. Oktober 1999 gerichtetes, ruhend gestelltes Klageverfahren
wiederaufgerufen und den Planänderungsbeschluss einbezogen. Sie begehren
zusätzliche aktive und passive Schallschutzmaßnahmen sowie ergänzende
Regelungen zum Umfang und zu den Modalitäten der Entschädigung. Zur Be-
gründung tragen sie im Wesentlichen vor:
Die fachplanerische Zumutbarkeitsschwelle sei im Planänderungsbeschluss
fehlerhaft auf 68 dB(A) tags festgesetzt worden. Der Beklagte habe den Kreu-
zungsbereich Unter den Linden/Friedrichstraße zu Unrecht als Gebiet mit vor-
wiegend gewerblichen Anlagen im Sinne von Nr. 3.1.1. Buchst. b) der AVV
Baulärm eingestuft. Die gewerbliche Nutzung überwiege nicht, zumal die Hotel-
nutzung unter dem Gesichtspunkt Schutzbedürftigkeit als Wohnnutzung anzu-
sehen sei. Der maßgebliche Immissionsrichtwert betrage daher nicht 65, son-
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dern nur 60 dB(A) tags. Zudem sei rechtsfehlerhaft nicht der Immissionsricht-
wert, sondern der um 5 dB(A) höhere sogenannte Eingreifwert nach Nr. 4.1. der
AVV Baulärm als maßgeblich erachtet worden. Der Zuschlag in Nr. 4.1. sei der
bei Erlass der AVV Baulärm im Jahre 1970 noch bestehenden Messungenauig-
keit geschuldet und inzwischen obsolet.
Bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsschwelle sei zu Unrecht die Vorbelas-
tung durch den Verkehrslärm einbezogen worden. Der Verkehrslärm dürfe nicht
berücksichtigt werden, weil er die verfassungsrechtliche Grenze zur Gesund-
heitsgefährdung von 70 dB(A) tags überschreite. Zudem seien Verkehrslärm
und Baulärm nicht vergleichbar. Der Informationsgehalt sei völlig verschieden,
Verkehrslärm sei sozial akzeptierter. Abgesehen davon nehme die Vorbelas-
tung durch Verkehrslärm in der Friedrichstraße zur Behrenstraße hin auf
66 dB(A) ab.
Die der Planfeststellung zugrunde liegende Lärmprognose sei fehlerhaft, weil
darin nur auf den Baustellenlärm abgestellt und der Umgebungslärm nicht ein-
bezogen werde. Das sei mit dem akzeptorbezogenen Ansatz des Bundes-
Immissionsschutzgesetzes nicht vereinbar. Die Maschinenlärmwerte seien zu
Unrecht pauschal um 3 dB(A) gemindert worden. Der Lärmprognose liege ein
idealisierter Bauablauf zugrunde, die Einsatzzeiten der Baugeräte seien zu op-
timistisch kalkuliert. Zudem seien keine Impulszuschläge berücksichtigt worden,
so dass eigentlich um 3 bis 5 dB(A) höhere Geräuschimmissionen zu erwarten
seien. Kurzzeitige Geräuschspitzen würden von der AVV Baulärm „weggemit-
telt“, insoweit fehle es im Planänderungsbeschluss an einem Maximalpegelkri-
terium.
Die Entschädigung für unzumutbare Lärmbeeinträchtigungen in Innenräumen
dürfe nicht davon abhängig gemacht werden, dass im Rauminneren die oberen
Anhaltswerte der VDI-Richtlinie 2719 überschritten werden. Die
VDI-Richtlinie 2719 sei auf temporäre Ereignisse wie Baustellen nicht zuge-
schnitten. Die allein maßgebliche AVV Baulärm hebe nur auf Außenpegel ab
und sehe ein einheitliches Schutzniveau für die Außen- und Innenkontaktberei-
che vor. Hinzu komme, dass die Innenschallpegel zurzeit deutlich unter
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40 dB(A) lägen, der Ist-Zustand also weitaus besser sei als der für die Bauzeit
als zumutbar festgelegte Zustand. Die Vorhabenträgerin dürfe nicht von einer
vorhandenen besseren Schalldämmung profitieren, die die Betroffenen auf
eigene Kosten vorgenommen hätten.
Der Planänderungsbeschluss sei schließlich auch deshalb rechtswidrig, weil der
Beklagte weitergehende Entschädigungsansprüche pauschal abgelehnt habe.
Der Begriff der nachteiligen Wirkungen im Sinne von § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG
müsse weit verstanden werden. Er umfasse auch Umsatzeinbußen, Mietausfäl-
le und andere, nicht nur physisch, sondern auch psychisch vermittelte Auswir-
kungen wie etwa die gerechtfertigte Furcht vor unzumutbaren Lärmbeeinträch-
tigungen. Touristen würden das Hotel wegen der Baustelle meiden, Stammkun-
den gingen verloren. Die Entschädigung müsse daher auf der Grundlage einer
Gesamtbetrachtung aller baustellenbedingten Auswirkungen auf den Hotelbe-
trieb bemessen werden.
Das Hotel habe einen Buchungsvorlauf von 18 Monaten und sei durchschnitt-
lich zwischen 60 bis 80 % ausgelastet. Mangels detaillierter Lärmprognose
könne nicht im Voraus steuernd auf die Hotelbelegung eingewirkt werden. Es
bleibe nur die Möglichkeit, die lärmbetroffenen Zimmer an den Straßenfronten
zur Baustelle nicht mehr anzubieten. Für die Dauer der Baustelle sei ein Um-
satzrückgang von 35 bis 40 % zu erwarten, das Hotel gerate damit in die Ver-
lustzone. Die baustellenbedingten Umsatzeinbußen könnten nicht durch organi-
satorische Maßnahmen kompensiert werden. Zudem müsse berücksichtigt
werden, dass die Beeinträchtigungen erst mit dem Abschluss aller Bauarbeiten
beendet seien und auch danach noch fortwirkten.
In der mündlichen Verhandlung am 28. Juni 2012 hat der Beklagte den Planän-
derungsbeschluss teilweise berichtigt und ergänzt.
Die Klägerinnen beantragen,
den Beklagten zu verpflichten, den Planfeststellungsbe-
schluss der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und
Verkehr des Landes Berlin vom 21. Oktober 1999 für den
Bau der U-Bahnlinie 5 in der Fassung des
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2. Änderungsbeschlusses vom 27. Juni 2011 in der Ge-
stalt der in der mündlichen Verhandlung abgegebenen
Protokollerklärungen rechtzeitig vor Baubeginn wie folgt
zu ändern:
1. Die Auflage A II.3.1.1. wird dahingehend präzisiert,
dass nur Baumaschinen mit dem Umweltzeichen
RAL-UZ 53 „Blauer Engel“ oder entsprechender anderer
Zertifizierungen eingesetzt werden dürfen.
2. Die Verkleidung zum Schutz der Arkaden muss gewähr-
leisten, dass in den Arkadengängen der Immissionswert
von 60 dB(A) nicht überschritten wird.
3. Der Außenbereich der Galerie und des Restaurants N.
im Hotel W. zur Straße Unter den Linden ist durch Lärm-
schutzwände an der Baustelle so zu schützen, dass die
Zumutbarkeitsgrenze auf dem Gehweg von 60 dB(A) nicht
überschritten wird.
4. Die Baustelle in der Friedrichstraße ist nach Herstellung
der Schlitzwände und vor weiterem Abtrag der Straßende-
cke einzuhausen mit einer Schalldämmung von mindes-
tens 20 dB.
5. Die Beigeladene wird verpflichtet, der Klägerin zu 1 (G.
GmbH) die Kosten für Schallschutzfenster an Hotelzim-
mern Unter den Linden sowie in der Friedrichstraße ein-
schließlich Lobby, Frühstücks- und Hotelrestaurant zu er-
statten, die erforderlich sind, um bei einem zulässigen
Grenzwert von 60 dB(A), zulässigen Maximalpegeln von
70 dB(A) einen Innenraumpegel in den Hotelzimmern von
31 dB(A) zu gewährleisten.
6. Die Vorhabenträgerin wird verpflichtet, den Gehweg
Unter den Linden vor dem Hotel während der gesamten
Bauzeit täglich zu reinigen.
7. Die Auflage A II.3.1.8. wird wie folgt ergänzt: „Rechtzei-
tig vor Baubeginn ist die Beweissicherung gemäß Konzept
der GuD vom 26. August 2010 mit den Maßnahmen
S1 - S7 durchzuführen“.
8. Die Beigeladene wird verpflichtet, eine Lärmprognose
mit detailliertem Bauablauf für die Baufelder II - IV vorzu-
legen und anzugeben, wann der Immissionsrichtwert von
60 dB(A) überschritten wird und welche Maximalpegel in
den einzelnen Bauabschnitten täglich zu erwarten sind.
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9.
a) Zugunsten der Klägerinnen sind die durch die Baustelle
verursachten Ertragseinbußen zu entschädigen, die da-
durch entstehen, dass die Zimmer an der Straße Unter
den Linden und in der Friedrichstraße für die Zeit vom
Baubeginn bis zur Deckelung der Baugruben nicht vermie-
tet werden. Hilfsweise falls weitere aktive und passive
Schallschutzmaßnahmen angeordnet werden: Zugunsten
der Klägerinnen sind die verbleibenden Ertragseinbußen
in der Zeit vom Baubeginn bis zur Deckelung der Baugru-
ben zu entschädigen.
b) Die Ertragseinbußen bis zu zwei Jahre nach Abschluss
der Deckelung sind zu entschädigen.
c) Die Ertragseinbußen sind zu ermitteln durch einen öf-
fentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen mit
Fachkunde des Enteignungs- und Entschädigungsrechts
sowie des Hotelbetriebs, der mit Zustimmung der Kläge-
rinnen ausgewählt wurde.
d) Die Ertragseinbußen sind nach Maßgabe der Erträge
des Hotels 2011 bis Baubeginn zu ermitteln. Als durch die
Baustelle verursacht gilt eine Minderung des RevPar des
W. im Unterschied zum RevPar des Vergleichsmarktes
der Fünf-Sterne Hotels in Berlin Mitte.
e) Die Entschädigungen sind innerhalb von zwei Wochen
nach Abschluss eines Monats zu ermitteln und in der ers-
ten Woche des Folgemonats auszugleichen.
10. Den Klägerinnen sind die durch die Baustelle verur-
sachten Mietminderungen der Ladengeschäfte und des
Restaurants N. zu entschädigen. Die Angemessenheit der
Entschädigung ist durch einen öffentlich bestellten und
vereidigten Sachverständigen unter Berücksichtigung des
Bauablaufes und vergleichbarer Mieten jeweils nach Ab-
lauf eines Monats zu ermitteln.
Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie treten dem Vortrag der Klägerinnen im Einzelnen entgegen.
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II
Die nach der mündlichen Verhandlung am 28. Juni 2012 gewechselten Schrift-
sätze geben dem Senat keine Veranlassung, nach § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO
die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerinnen haben keinen An-
spruch auf die begehrten Planergänzungen. Das im Planänderungsbeschluss
festgesetzte Schutz- und Entschädigungskonzept in Gestalt der in der mündli-
chen Verhandlung abgegebenen Protokollerklärungen ist nicht zu beanstanden.
Der Beklagte hat die Betroffenheit der Klägerinnen durch die Baustelle, nament-
lich den Baustellenlärm, fehlerfrei abgewogen und der beigeladenen Vorhaben-
trägerin die zur Vermeidung nachteiliger Auswirkungen nach § 74 Abs. 2 Satz 2
VwVfG erforderlichen Schutzmaßnahmen auferlegt (1) bzw. ihnen eine Ent-
schädigung nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG zugesprochen (2).
1. Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf Ergänzung des Planänderungs-
beschlusses um weitere Schutzvorkehrungen gegen die von der Bahnhofsbau-
stelle Unter den Linden ausgehenden Beeinträchtigungen durch Lärm, Staub
und Erschütterungen. Das planfestgestellte Schutzkonzept beruht weder auf
einer rechtsfehlerhaft zu hoch festgesetzten fachplanerischen Zumutbarkeits-
schwelle (a) noch auf einer mängelbehafteten Lärmprognose (b). Die Klagean-
träge Nr. 1 bis 8 können daher keinen Erfolg haben (c).
a) Die in den Auflagen A II.3.1.1. bis 3.2.3. festgesetzten Schutzmaßnahmen
finden ihre rechtliche Grundlage in § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG. Danach hat die
Planfeststellungsbehörde dem Träger des Vorhabens Vorkehrungen oder die
Errichtung und Unterhaltung von Anlagen aufzuerlegen, die zum Wohl der All-
gemeinheit oder zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer
erforderlich sind.
§ 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG erfasst auch solche nachteiligen Wirkungen, die
durch Lärm, Erschütterungen und Staub aufgrund der Bauarbeiten für das plan-
festgestellte Vorhaben entstehen (Beschluss vom 27. Januar 1988 - BVerwG
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4 B 7.88 - Buchholz 442.01 § 29 PBefG Nr. 1 S. 1 <2>). § 74 Abs. 2 Satz 2
VwVfG differenziert nicht nach den einzelnen Abschnitten zur Realisierung des
Vorhabens. Die durch den Planfeststellungsbeschluss begründete Duldungs-
pflicht des Nachbarn umfasst daher auch die während der Bauphase entste-
henden Immissionen (vgl. auch BGH, Urteil vom 30. Oktober 2009 - V ZR
17/09 - MDR 2010, 142 Rn. 18).
aa) Ob nachteilige Wirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG vorlie-
gen, beurteilt sich bei Baulärm nach § 22 Abs. 1, § 3 Abs. 1 BImSchG in Ver-
bindung mit der gemäß § 66 Abs. 2 BImSchG maßgeblichen Allgemeinen Ver-
waltungsvorschrift zum Schutz gegen Baulärm - AVV Baulärm - vom 19. August
1970 (Beilage zum Bundesanzeiger Nr. 160 vom 1. September 1970). Auf die
TA Lärm kann selbst bei mehrjähriger Dauer einer Baustelle nicht zurückgegrif-
fen werden; Baustellen sind vom Anwendungsbereich der TA Lärm ausdrück-
lich ausgeschlossen (Nr. 1 Buchst. f) TA Lärm).
(1) Die AVV Baulärm konkretisiert für Geräuschimmissionen von Baustellen den
unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen. Die zur An-
nahme der normkonkretisierenden Wirkung einer Verwaltungsvorschrift erfor-
derlichen formellen Voraussetzungen (vgl. Urteil vom 28. Oktober 1998
- BVerwG 8 C 16.96 - BVerwGE 107, 338 = Buchholz 401.64 § 4 AbwAG Nr. 6
S. 22 <25 f.>) liegen vor. Ermächtigungsgrundlage für die AVV Baulärm war § 3
Abs. 2 des Gesetzes zum Schutz gegen Baulärm vom 9. September 1965
(BGBl I S. 1214, außer Kraft getreten zum 1. April 1974). Danach erlässt die
Bundesregierung zur Durchführung des Absatzes 1 nach Anhörung des techni-
schen Ausschusses (§ 8) mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwal-
tungsvorschriften, insbesondere über 1. Richtwerte für die von Baumaschinen
bei bestimmten Betriebsvorgängen ausgehenden Geräusche, deren Über-
schreiten nach dem Stand der Technik vermeidbar ist (Emissionsrichtwerte),
2. Richtwerte für die von Baustellen ausgehenden Geräuschimmissionen, bei
deren Überschreiten Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästi-
gungen der Allgemeinheit zu besorgen sind (Immissionsrichtwerte), und 3. das
Verfahren für die Messung der Geräuschemissionen und der von Baustellen
ausgehenden Geräuschimmissionen. Der anzuhörende technische Ausschuss
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nach § 8 des Gesetzes zum Schutz gegen Baulärm setzte sich aus Vertretern
verschiedener Bundesministerien und Bundesanstalten, der Landesregierun-
gen, der Gewerkschaften, der Technischen Überwachung sowie Vertretern aus
Industrie, Wirtschaft und Wissenschaft zusammen.
(2) Die AVV Baulärm konkretisiert das vom Normgeber für erforderlich gehalte-
ne Schutzniveau in Nr. 3 differenzierend nach dem Gebietscharakter und nach
Tages- und Nachtzeiten durch Festlegung bestimmter Immissionsrichtwerte. In
Nr. 6 enthält sie Regelungen zur Ermittlung des Beurteilungspegels im Wege
eines Messverfahrens. Dafür, dass die Regelungen zum Schutzniveau durch
neue, gesicherte Erkenntnisse der Lärmwirkungsforschung überholt wären, ist
nichts ersichtlich. Das gilt sowohl für die Gebietseinteilung der AVV Baulärm als
auch für die festgelegten Immissionsrichtwerte. Zwar stimmt die Gebietszuord-
nung der AVV Baulärm noch mit derjenigen der Baunutzungsverordnung von
1968 überein, während neuere Regelwerke, etwa die Verkehrslärmschutzver-
ordnung (16. BImSchV), die Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV)
und die TA Lärm die Gebietsbezeichnungen der Baunutzungsverordnung von
1990 verwenden. Allein daraus folgt aber nicht, dass die Gebietseinteilung der
AVV Baulärm nicht mehr geeignet oder zweckmäßig ist. Denn anders als bei
den vorgenannten Regelwerken geht es im Anwendungsbereich der AVV Bau-
lärm nicht um eine dauerhafte Gebietsverträglichkeit der Lärmeinwirkungen,
sondern um vorübergehende Lärmeinwirkungen durch eine Baustelle. Zu deren
Bewältigung reicht der gröbere Differenzierungsgrad der Gebietseinteilung der
AVV Baulärm aus. Zugleich rechtfertigt der Umstand, dass Baustellenlärm
- auch bei mehrjährigen Baustellen - vorübergehend ist, es auch heute noch,
Immissionsrichtwerte festzulegen, die über den in verschiedenen anderen Re-
gelwerken zu dauerhaften Lärmeinwirkungen - etwa in § 2 Abs. 2 der
18. BImSchV oder Nr. 6.1 der TA Lärm - vorgesehenen Werten liegen. Hinsicht-
lich der Regelungen zum Messverfahren fehlt es ebenfalls an Anhaltspunkten
dafür, dass diese inzwischen derart veraltet sind, dass der Beurteilungspegel
damit nicht mehr hinreichend verlässlich ermittelt werden kann. Dies gilt umso
mehr, als die Bestimmungen der AVV Baulärm zum Messverfahren nicht so eng
gefasst sind, dass sie etwa die Heranziehung modernerer Regelwerke
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(VDI-Richtlinien oder DIN-Vorschriften), die erst nach der AVV Baulärm erlas-
sen worden sind, ausschließen.
Auch der Gesetzgeber ist offensichtlich davon ausgegangen, dass die AVV
Baulärm trotz des seit ihrem Erlass eingetretenen Zeitablaufs nicht als überholt
anzusehen ist. Der Umstand, dass er anlässlich der letzten Änderung des § 66
BImSchG durch das Gesetz zur Umsetzung der EG-Richtlinie über die Bewer-
tung und Bekämpfung von Umgebungslärm vom 24. Juni 2005 (BGBl I S. 1794,
in Kraft getreten mit Wirkung vom 30. Juni 2005; vgl. BTDrucks 15/3782 S. 10
und S. 37 f.) in § 66 Abs. 2 BImSchG bis zum Inkrafttreten von entsprechenden
Rechtsverordnungen oder allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach dem
Bundes-Immissionsschutzgesetz die Fortgeltung der AVV Baulärm vom
19. August 1970 angeordnet hat, zeigt, dass es nach der Vorstellung des Ge-
setzgebers für Baustellenlärm bei der Anwendbarkeit der im Vergleich zur
TA Lärm zwar wesentlich älteren, aber sachnäheren AVV Baulärm bleiben soll-
te (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 8. Februar 2007 - 5 S 2257/05 - ZuR 2007,
427, Rn. 131; Dziallas/Kullick, NZBau 2011, 544).
Dafür, dass der Gesetzgeber die Fortgeltung der AVV Baulärm ausdrücklich in
seinen Willen aufgenommen hat, spricht zudem, dass die bis zu diesem Zeit-
punkt in § 66 Abs. 2 BImSchG a.F. neben der AVV Baulärm als maßgebend
aufgeführten (acht) allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Schutz gegen
Baulärm, die wie die AVV Baulärm auf der Grundlage von § 3 Abs. 2 des Ge-
setzes zum Schutz gegen Baulärm erlassen worden waren und das Emis-
sionsmessverfahren sowie Emissionsrichtwerte für verschiedene Baugeräte/-
maschinen bestimmten, gestrichen wurden.
(3) Die in der AVV Baulärm in Nr. 3.1.1. festgelegten Immissionsrichtwerte ent-
falten nur für den Regelfall Bindungswirkung. Die Bindungswirkung einer norm-
konkretisierenden Verwaltungsvorschrift wird durch ihren Anwendungsbereich
bzw. ihren Aussagegehalt bestimmt. Dabei wird die Auslegung solcher Verwal-
tungsvorschriften in besonderer Weise durch die Entstehungsgeschichte beein-
flusst (Urteil vom 20. Dezember 1999 - BVerwG 7 C 15.98 - BVerwGE 110, 216
<219> = Buchholz 406.25 § 48 BImSchG Nr. 7 S. 2 <4 f.>). Aus den Gesetzge-
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bungsmaterialien zur Ermächtigungsgrundlage der AVV Baulärm in § 3 Abs. 2
des Gesetzes zum Schutz gegen Baulärm ergibt sich, dass der Normgeber be-
wusst zwischen Richtwerten und Grenzwerten differenziert hat. So enthielt etwa
der Entwurf des Gesetzes (BTDrucks IV/3142 S. 1) in § 2 Abs. 3 eine Ermächti-
gungsgrundlage für den Erlass von allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur
Bestimmung von Immissionsrichtwerten für die von Baustellen ausgehenden
Geräusche, bei deren Überschreitung Gefahren, Nachteile oder Belästigungen
für die Allgemeinheit zu besorgen sind, sowie das Verfahren für die Messung
der Geräuschimmissionen. Ausweislich der Begründung zu § 2 Abs. 3 war es
das Anliegen des Gesetzgebers, den Verwaltungsbehörden in der Form allge-
meiner Verwaltungsvorschriften Immissionsrichtwerte an die Hand zu geben,
bei deren Überschreitung der Lärm der Baumaschinen in der Regel als unzu-
mutbar anzusehen ist (BTDrucks IV/3142 S. 5). Ergänzend dazu sah § 3 Abs. 1
des Entwurfs eine Ermächtigung vor, durch Rechtsverordnung Emissions-
grenzwerte festzusetzen, die beim Betrieb von Baumaschinen auf Baustellen
nicht überschritten werden dürfen, und Vorschriften über das Verfahren für die
Messung der Geräuschemissionen zu erlassen. Auf Vorschlag der Bundesre-
gierung und des Ausschusses für Gesundheitswesen wurde der Gesetzentwurf
in §§ 2 und 3 dahingehend geändert, dass nicht mehr zur Festlegung von
Emissionsgrenzwerten und Immissionsrichtwerten, sondern in § 3 Abs. 2 Nr. 1
und 2 zur Festlegung von Immissions- und Emissionsrichtwerten ermächtigt
wurde. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass die Festsetzung von
Emissionsgrenzwerten durch Rechtsverordnung nicht die Möglichkeit biete, die
besonderen Verhältnisse, unter denen Baumaschinen eingesetzt werden, zu
berücksichtigen. Der Ausschuss schlug deshalb die Festsetzung von Richtwer-
ten durch allgemeine Verwaltungsvorschriften vor, die eine elastischere Hand-
habung ermöglichten. Dabei ging er davon aus, dass die zuständigen Verwal-
tungsbehörden bei Überschreiten der Immissions- und Emissionsrichtwerte
grundsätzlich verpflichtet sind, die notwendigen Maßnahmen zur Lärmminde-
rung anzuordnen (BTDrucks IV/3584 S. 2).
Der Begriff „Immissionsrichtwert“ ist danach im Anwendungsbereich der AVV
Baulärm weiter zu verstehen als etwa im Anwendungsbereich der TA Lärm, die
diesen Begriff in Nr. 6 ebenfalls verwendet, Überschreitungen aber nur in aus-
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drücklich geregelten Fällen (vgl. z.B. Nr. 3.2.1 2. bis 6. Absatz sowie Nr. 3.2.2)
zulässt und ansonsten von einer strikten Pflicht zur Einhaltung der Richtwerte
ausgeht, die für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze
aufgrund tatrichterlicher Würdigung keinen Raum lässt (Urteil vom 29. August
2007 - BVerwG 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209 = Buchholz 406.25 § 48
BImSchG Nr. 9 Rn. 12; Beschluss vom 8. November 1994 - BVerwG 7 B
73.94 - Buchholz 406.25 § 3 BImSchG Nr. 10 S. 2 <3>). Dabei ist das engere
Begriffsverständnis der TA Lärm schon in der Ermächtigungsgrundlage des
§ 48 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG angelegt, die auf „Immissionswerte, die zu dem in
§ 1 genannten Zweck nicht überschritten werden dürfen“, abhebt. In der Er-
mächtigungsgrundlage in § 3 Abs. 2 des Gesetzes zum Schutz gegen Baulärm
war dagegen - weniger strikt - von „Richtwerte(n) für die von Baustellen ausge-
henden Geräuschimmissionen, bei deren Überschreiten Gefahren, erhebliche
Nachteile oder erhebliche Belästigungen der Allgemeinheit zu besorgen sind“,
die Rede.
Der Normzweck der AVV Baulärm, eine gleichmäßige Rechtsanwendung si-
cherzustellen und damit Rechtssicherheit zu schaffen, wird auch dann nicht in
Frage gestellt, wenn die Immissionsrichtwerte nur für den Regelfall als bindend
betrachtet werden. Der verbleibende Spielraum für Ausnahmen von der Bin-
dungswirkung ist eng, namentlich ist Nr. 3.1. nicht dahingehend zu verstehen,
dass der gemäß Gebietszuordnung maßgebliche Immissionsrichtwert nur als
Orientierungswert betrachtet und ergänzend eine Einzelfallbetrachtung ange-
stellt wird. Da die AVV Baulärm als Maßstab für die Zumutbarkeit von Baustel-
lenlärm auf die abstrakt bestimmte Schutzwürdigkeit von Gebieten abhebt,
kommen Abweichungen vom Immissionsrichtwert nach oben vielmehr nur dann
in Frage, wenn die Schutzwürdigkeit des Einwirkungsbereichs der Baustelle im
konkreten Fall ausnahmsweise geringer zu bemessen ist als in den gebietsbe-
zogen festgelegten Immissionsrichtwerten. Dies entspricht auch dem Anliegen
des Gesetzgebers, die besonderen Verhältnisse berücksichtigen zu können,
unter denen Baumaschinen zum Einsatz kommen (vgl. BTDrucks IV/3584 S. 2).
Eine Abweichung von den Immissionsrichtwerten kann danach etwa dann in
Betracht kommen, wenn im Einwirkungsbereich der Baustelle eine tatsächliche
Lärmvorbelastung vorhanden ist, die über dem maßgeblichen Richtwert der
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- 16 -
AVV Baulärm liegt. Dabei ist der Begriff Vorbelastung hier nicht einschränkend
in dem Sinne zu verstehen, dass nur Vorbelastungen durch andere Baustellen
erfasst werden (vgl. etwa die einschränkende Definition in Nr. 2.4 1. Absatz
Satz 1 TA Lärm). Maßgeblich ist vielmehr die Vorbelastung im natürlichen
Wortsinn. „Nachteilige Wirkungen“ im Sinne des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG ge-
hen nur von solchen baustellenbedingten Geräuschimmissionen aus, die dem
Einwirkungsbereich mit Rücksicht auf dessen durch die Gebietsart und die kon-
kreten tatsächlichen Verhältnisse bestimmte Schutzwürdigkeit und Schutzbe-
dürftigkeit nicht mehr zugemutet werden können. Für die Gebietsart ist dabei
von der bebauungsrechtlich geprägten Situation der betroffenen Grundstücke
(im Einwirkungsbereich) auszugehen, für die tatsächlichen Verhältnisse spielen
insbesondere Geräuschvorbelastungen eine wesentliche Rolle (vgl. Urteil vom
7. Juli 1978 - BVerwG 4 C 79.76 u.a. - BVerwGE 56, 110 <131> = Buchholz
442.40 § 8 LuftVG Nr. 2 S. 1 <22>). Daraus folgt zugleich, dass eine verminder-
te Schutzwürdigkeit nicht schon dann angenommen werden kann, wenn es et-
wa um die Errichtung wichtiger Verkehrsinfrastrukturvorhaben im öffentlichen
Interesse geht. Zwar mag es Planbetroffenen als Ausdruck der Sozialbindung
zumutbar sein, mehr an Baulärm hinzunehmen, wenn ein Vorhaben dem allge-
meinen Verkehr gewidmet ist und insofern dem Wohl der Allgemeinheit dient.
Dies mit bindender Wirkung entsprechend zu regeln, muss aber dem Normge-
ber vorbehalten bleiben.
(4) Entgegen der Auffassung der Klägerinnen erstreckt sich der Anwendungs-
bereich der AVV Baulärm nicht auf den Schutz der Außenkontaktbereiche vor
Ladengeschäften. Die AVV Baulärm zielt auf den Schutz der Nachbarschaft.
Zwar war in §§ 2, 3 Abs. 2 Nr. 2 und § 5 des Gesetzes zum Schutz gegen Bau-
lärm, auf dessen Grundlage die AVV Baulärm erlassen worden ist, nur von Ge-
fahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen der Allgemein-
heit die Rede. Aus den Materialien ergibt sich aber, dass die in der Nachbar-
schaft von Baustellen wohnenden oder arbeitenden Personen geschützt wer-
den sollten (BTDrucks IV/3142 S. 5, linke Spalte und BTDrucks IV/3584 S. 1).
Zur Nachbarschaft in diesem Sinne gehören nur diejenigen Personen, die sich
dem Baulärm jedenfalls nicht nachhaltig entziehen können, weil sie nach ihren
Lebensumständen, die durch den Wohnort, den Arbeitsplatz oder die Ausbil-
33
- 17 -
dungsstätte vermittelt werden können, den Einwirkungen dauerhaft ausgesetzt
und daher qualifiziert betroffen sind (vgl. Urteil vom 22. Oktober 1982 - BVerwG
7 C 50.78 - Buchholz 406.25 § 5 BImSchG Nr. 6 S. 17 <19 f.>). Hierzu gehören
etwa die Eigentümer und Bewohner der im Einwirkungsbereich gelegenen
Grundstücke und alle Personen, die im Einwirkungsbereich arbeiten. Keine
Nachbarn sind dagegen Personen, die sich nur zufällig bzw. gelegentlich, d.h.
ohne besondere persönliche oder sachliche Bindungen, etwa aufgrund von
Ausflügen oder Reisen oder als Kunden, im Einwirkungsbereich aufhalten. Sol-
che Personen sind als „Publikum“ Teil der „Allgemeinheit“ (Jarass, BImSchG,
9. Aufl. 2012, § 3 Rn. 35 ff.; Kutscheidt in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht,
Bd. III, Stand Juli 2011, § 3 Rn. 6a f.).
Der Schutz der Nachbarschaft erfasst auch die zum Wohnen im Freien geeig-
neten und bestimmten unbebauten Flächen eines Wohngrundstücks. Der
Schutzgegenstand des „Wohnens“ kennzeichnet einen einheitlichen Lebens-
vorgang, der die Nutzung des Grundstücks insgesamt umfasst (Urteil vom
29. Januar 1991 - BVerwG 4 C 51.89 - BVerwGE 87, 332 <387> = Buchholz
442.40 § 9 LuftVG Nr. 7 S. 26 <52 f.>). Voraussetzung für einen Anspruch auf
Schutzauflagen nach § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG (bzw. einen Ausgleich in Geld
nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG) ist insoweit, dass die gebietsspezifische Zu-
mutbarkeitsgrenze für die Lärmimmissionen überschritten wird und die konkrete
Fläche wegen ihrer besonderen Funktion und Lärmbetroffenheit schutzwürdig
ist (Urteile vom 11. November 1988 - BVerwG 4 C 11.87 - Buchholz 316 § 74
VwVfG Nr. 6 S. 7 und vom 19. Januar 1989 - BVerwG 7 C 77.87 - BVerwGE 81,
197 = Buchholz 406.25 § 22 BImSchG Nr. 6 S. 11).
Bei den Außenkontaktbereichen vor Ladengeschäften handelt es sich nicht um
Flächen, die wegen ihrer besonderen Funktion und Lärmbetroffenheit schutz-
würdig sind. Zwar gehört zu dem durch Art. 14 GG geschützten Bestand eines
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs auch die besondere Lage an
der Straße (Kontakt nach außen), die dem Betrieb den Zugang zur Straße so-
wie die Zugänglichkeit von der Straße her gewährt und dem Inhaber die Einwir-
kung durch Werbung auf den fließenden Verkehr und damit das Gewinnen von
Laufkundschaft ermöglicht (BGH, Urteil vom 7. Juli 1980 - III ZR 32/79 - NJW
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- 18 -
1980, 2703, Rn. 17). Der Zugang zu Ladengeschäften wird aber nicht durch
den Baulärm als solchen, sondern allenfalls durch bauliche Anlagen zu dessen
Abschirmung beeinträchtigt. Abweichendes folgt nicht daraus, dass - wie die
Klägerinnen meinen - die Möglichkeit zur Aufnahme von Außenkontakten durch
Verweilen vor den Schaufenstern durch den Baulärm behindert wird. Passanten
und Laufkundschaft werden vom Baulärm nicht qualifiziert betroffen, weil sie
sich - auch beim Verweilen vor Schaufenstern - nicht dauerhaft, sondern nur
vorübergehend im Einwirkungsbereich des Baulärms aufhalten. Anders verhält
sich dies etwa bei den Freisitzen von Restaurants und Gaststätten, die grund-
sätzlich zu den schutzwürdigen Außenbereichen gehören können.
bb) Ausgehend von den vorgenannten Maßstäben hat der Beklagte die fach-
planerische Zumutbarkeitsschwelle im Sinne des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG im
Ergebnis zu Recht auf 68 dB(A) tags bestimmt. Die dagegen erhobenen Ein-
wände der Klägerinnen greifen nicht durch.
(1) Der Beklagte hat das Gebiet um die Bahnhofsbaustelle Unter den Lin-
den/Friedrichstraße zutreffend als „Gebiet, in dem vorwiegend gewerbliche An-
lagen untergebracht sind“ nach Nr. 3.1.1. Buchst. b) der AVV Baulärm einge-
stuft und demgemäß im Ausgangspunkt den Immissionsrichtwert von 65 dB(A)
tags zugrunde gelegt. Für die Gebietszuordnung nach Nr. 3.1.1. der AVV Bau-
lärm, die wie oben bereits ausgeführt nicht an die Gebietseinteilung der Bau-
nutzungsverordnung 1990 angepasst werden muss, ist nicht auf den konkreten
Immissionsort, sondern - wie sich aus Nr. 3.2.2. ergibt - auf den Einwirkungsbe-
reich der Anlage abzustellen. Der Einwirkungsbereich der Bahnhofsbaustelle
Unter den Linden ist in der richterlichen Aufklärungsverfügung vom 3. April
2012 dahingehend umrissen worden, dass er das Gebiet nördlich und südlich
der Straße Unter den Linden vom Kreuzungsbereich Neustädtische Kirchstra-
ße/Unter den Linden sowie Glinkastraße/Unter den Linden jeweils bis zur Kreu-
zung Unter den Linden/Charlottenstraße sowie beidseits der Friedrichstraße
vom Kreuzungsbereich Unter den Linden/Friedrichstraße bis zum Kreuzungsbe-
reich Friedrichstraße/Behrenstraße (einschließlich der Gebäude Friedrichstraße
168-170 und Friedrichstraße 81-82) umfasst. Die Rüge der Klägerinnen, damit
sei der Einwirkungsbereich zu eng gezogen, weil der Lärm auch in die Rosma-
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rinstraße hineinwirke, greift schon deshalb nicht durch, weil die Rosmarinstraße
zwischen dem Lindencorso und dem Rosmarin Karree verläuft und damit er-
fasst wird.
Der so bestimmte Einwirkungsbereich der Baustelle liegt nicht im Geltungsbe-
reich eines Bebauungsplanes, so dass gemäß Nr. 3.2.3. der AVV Baulärm für
die Gebietszuordnung die tatsächliche bauliche Nutzung zugrunde zu legen ist.
Die tatsächliche bauliche Nutzung im Einwirkungsbereich der Baustelle ist in
Anbetracht der vom Beklagten auf die Aufklärungsverfügung vom 3. April 2012
hin mit Schriftsatz vom 20. April 2012 vorgelegten Übersicht als vorwiegend
gewerblich einzustufen. Die vorhandenen Gebäude werden weit überwiegend
als Geschäfts- und Bürogebäude genutzt, der Anteil der Wohnnutzung ist
- auch unter Berücksichtigung der im Rosmarin Karree vorhandenen Wohnun-
gen und Apartments, die nicht zur Friedrichstraße hin gelegen sind - zahlenmä-
ßig deutlich untergeordnet, er liegt bei maximal 20 %. Dabei ist eine Hotelnut-
zung entgegen der Auffassung der Klägerinnen nicht wie eine Wohnnutzung zu
behandeln, sondern als gewerbliche Nutzung zu qualifizieren. Zwar mag eine
Hotelnutzung im Hinblick auf Lärm schutzbedürftiger sein als andere gewerbli-
che Nutzungen. Gleichwohl unterscheiden sich Wohnnutzung und Beherber-
gungsbetrieb - wovon im Übrigen auch die von den Klägerinnen herangezogene
Baunutzungsverordnung 1990 in § 3 Abs. 1 und 2 sowie § 3 Abs. 3 Nr. 1 aus-
geht - grundlegend. So liegt ein Beherbergungsbetrieb in Abgrenzung zur
Wohnnutzung nur dann vor, wenn Räume ständig wechselnden Gästen zum
vorübergehenden Aufenthalt zur Verfügung gestellt werden, ohne dass diese
dort ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten können (Beschluss
vom 8. Mai 1989 - BVerwG 4 B 78.89 - Buchholz 406.11 § 31 BBauG/BauGB
Nr. 27 S. 1 <2>). Insbesondere der Gesichtspunkt des nur vorübergehenden
Aufenthalts rechtfertigt die Annahme einer im Vergleich zur Wohnnutzung ge-
minderten Schutzwürdigkeit der Hotelnutzung.
65 dB(A) wegen der im Einwirkungsbereich der Baustelle vorhandenen tatsäch-
lichen Vorbelastung durch Verkehrslärm um 3 dB(A) auf 68 dB(A) erhöhen.
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Nach der messtechnischen Bestandsaufnahme der B. GmbH zur Geräusch-
und Erschütterungssituation in der Umgebung der Kreuzung Unter den
Linden/Friedrichstraße vom 11. November 2009 treten im Kreuzungsbereich
Unter den Linden/Friedrichstraße im Bereich bis zur Traufhöhe (22 m) an Werk-
tagen (Montag bis Samstag) während der Tageszeit gemäß AVV Baulärm
(07:00 bis 20:00 Uhr) energieäquivalente Dauerschallpegel von circa 70 dB(A)
auf. Dabei sind die Unterschiede zwischen den unteren und den oberen Stock-
werken mit maximal 0,5 dB sehr gering. Südlich der Straße Unter den Linden
nehmen die Geräuschimmissionen in der Friedrichstraße bis zur Behrenstraße
hin auf 66 dB(A) ab. Die auftretenden Geräusche weisen von Tag zu Tag nur
geringe Unterschiede auf, ein Einfluss der Ferienzeit auf die Messergebnisse ist
nicht erkennbar. An Werktagen ist der energieäquivalente Dauerschallpegel
während der Nachtzeit nur 4 dB geringer als während der Tageszeit. In den
Nächten von Freitag auf Samstag sowie Samstag auf Sonntag ist ein deutliches
Absinken des Geräuschniveaus erst ab circa 02.00 Uhr nachts zu beobachten.
Maximalpegel von 80 dB(A) treten im Untersuchungsgebiet so häufig auf, dass
sie als typische Alltagsgeräusche anzusehen sind. Auch Maximalpegel über
90 dB(A) treten im Untersuchungsgebiet an allen Tagen regelmäßig auf (S. 10).
Die Klägerinnen haben diese Befunde nicht in Abrede gestellt. Ihr Einwand, die
Vorbelastung dürfe nicht berücksichtigt werden, weil sie wegen Überschreitung
der verfassungsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle von 70 dB(A) rechtswidrig
sei und eine Verpflichtung zur Lärmsanierung begründe, greift nicht durch. Dass
die Vorbelastung durch den Verkehrslärm sich im Bereich der verfassungs-
rechtlichen Zumutbarkeitsgrenze von 70 dB(A) bewegt, hat - ungeachtet der
Frage, ob diese Grenze auch für innerstädtische Lagen wie hier einschlägig ist -
nicht zur Folge, dass die Vorbelastung keinerlei Berücksichtigung finden darf
(vgl. Beschluss vom 23. Juni 1989 - BVerwG 4 B 100.89 - Buchholz 316 § 74
VwVfG Nr. 8 S. 12 <13>).
Die Vorbelastung durch den Verkehrslärm musste nicht deshalb außer Betracht
bleiben, weil Verkehrslärm und Baulärm nicht von den gleichen Lärmquellen
herrühren. Wie oben ausgeführt ist der Begriff der Vorbelastung im Anwen-
dungsbereich der AVV Baulärm im natürlichen Wortsinn zu verstehen. Darauf,
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von welcher Lärmquelle die tatsächliche Vorbelastung verursacht wird, kommt
es daher nicht an. Folglich stellt sich auch die Frage nach der Vergleichbarkeit
von Verkehrs- und Baulärm nicht.
Selbst wenn man dies anders sehen wollte, könnten die Klägerinnen sich vor-
liegend auf die mangelnde Vergleichbarkeit nicht berufen. Die Frage, ob der
Geräuschcharakter des vorhandenen Verkehrslärms und des zu erwartenden
Baulärms vergleichbar sind, war Gegenstand gutachterlicher Untersuchungen.
Nach den gutachterlichen Stellungnahmen der B. GmbH vom 22. Juli 2010 und
vom 20. Oktober 2010 ist die Vergleichbarkeit nur an den Tagen nicht gegeben,
an denen beim Abbruch der Fahrbahnen ein Fugenschneider mit einer Schall-
leistung von 115 dB(A) sowie beim Betonieren der Tunneldecke ein Verdichter
(Rüttelflasche) zum Einsatz kommt, der ein stark tonhaltiges Geräusch erzeugt,
das auch bei parallelem Betrieb mit Betonmischfahrzeugen und Autobetonpum-
pen jederzeit wahrgenommen werden kann. Diese Tage machen nur einen ge-
ringen Anteil an den Gesamtbautagen (305) aus. Für alle anderen Bauphasen
- auch die besonders lärmintensiven Bauphasen „Erstellung der Schlitzwände
und Erstellung der HDI-Sohlen“ - gelangen die Gutachter dagegen zu dem Er-
gebnis, dass die Geräusche vergleichbar seien, weil in diesen Bauphasen die
Baugeräusche durch die Geräusche der Antriebsmotoren der Baugeräte be-
stimmt würden. Die Klägerinnen haben diese gutachterlichen Stellungnahmen
nicht substantiiert in Zweifel gezogen, sondern sich damit begnügt, die Ver-
gleichbarkeit von Bau- und Verkehrslärm pauschal zu bestreiten.
Schließlich ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte die fachplanerische
Zumutbarkeitsschwelle für die Baustelle Unter den Linden/Friedrichstraße ein-
heitlich auf 68 dB(A) bestimmt hat, obwohl - was er ausweislich der Begründung
des Planänderungsbeschlusses zur Kenntnis genommen hat (S. 34) - die Vor-
belastung durch den Verkehrslärm zur Behrenstraße hin von circa 70 dB(A) auf
circa 66 dB(A) abnimmt. Die Zumutbarkeitsschwelle muss, zumal bei Baustellen
von räumlich begrenzter Ausdehnung, weder geschossbezogen noch für jedes
einzelne Gebäude gesondert festgelegt werden. Vielmehr war es vorliegend
sachgerecht, einen Mittelwert zu bilden.
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(3) Dagegen darf der nach Nr. 3.1.1. der AVV Baulärm maßgebliche Immis-
sionsrichtwert im Planfeststellungsverfahren nicht unter Rückgriff auf den soge-
nannten Eingreifwert nach Nr. 4.1. noch (um bis zu) 5 dB(A) erhöht werden.
Nach Nr. 4.1. sollen Maßnahmen zur Minderung der Geräusche angeordnet
werden, wenn der nach Nr. 6. ermittelte Beurteilungspegel des von Baumaschi-
nen hervorgerufenen Geräusches den Immissionsrichtwert um mehr als 5 dB(A)
überschreitet. Eine ähnliche Regelung findet sich etwa in Nr. 5.1 3. Absatz
TA Lärm 1998. Diese Vorschrift befasst sich mit immissionsschutzrechtlichen
Anforderungen an bestehende Anlagen und legt fest, dass - neben weiteren
Voraussetzungen - erst bei Überschreitung der Richtwerte um 5 dB(A) einge-
schritten werden darf. Der Sache nach wirkt sich der Zuschlag in Nr. 4.1. der
AVV Baulärm wie ein Messabschlag zugunsten des Bauunternehmers aus. Ein
solcher Messabschlag, dort um jeweils 3 dB(A), ist auch in anderen Regelwer-
ken anerkannt (vgl. etwa Anhang Nr. 1.6 Abs. 2 der 18. BImSchV und Nr. 6.9
TA Lärm 1998). Messabschläge sind wegen der Interdependenzen zwischen
Immissionswerten und dem für ihre Ermittlung festgelegten Mess- und Beurtei-
lungsverfahren untrennbarer Bestandteil dieser Verfahren. Sie sind trotz der
Fortentwicklung der Messtechnik wegen verbleibender Unsicherheiten bei der
messtechnischen Überprüfung der Einhaltung der Immissionswerte auch heute
noch gerechtfertigt (vgl. Urteil vom 29. August 2007 - BVerwG 4 C 2.07 -
BVerwGE 129, 209 = Buchholz 406.25 § 48 BImSchG Nr. 9 Rn. 18; Feld-
haus/Tegeder, UPR 2005, 208 <209 f.>). Allerdings kommen Messabschläge
bei prognostischen Einschätzungen in Genehmigungsverfahren nicht zum Tra-
gen, weil dort nachzuweisen ist, dass die Zumutbarkeitskriterien eingehalten
werden. Überträgt man diese Erwägungen auf den Eingreifwert nach Nr. 4.1.
der AVV Baulärm, kann der Messabschlag bei der Bestimmung der fachplaneri-
schen Zumutbarkeitsschwelle im Planfeststellungsverfahren keine Anwendung
finden. Nach dem Wortlaut der Nr. 4.1. und ihrer systematischen Stellung in-
nerhalb der AVV Baulärm dürfte es sich dabei vielmehr um eine Regelung han-
deln, die das behördliche Handlungsermessen steuern soll. Dafür spricht u.a.,
dass sie sich nicht im Abschnitt Nr. 6. „Ermittlung des Beurteilungspegels“, son-
dern im Abschnitt Nr. 4. „Maßnahmen zur Minderung des Baulärms“ findet.
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(4) Der Beklagte hat eine Entschädigung für unzumutbare Lärmeinwirkungen in
Innenräumen zwar von der Überschreitung der oberen Anhaltswerte der
VDI-Richtlinie 2719 abhängig gemacht, was ausgehend von dem im Planände-
rungsbeschluss unterstellten Schalldämmmaß der Außenfassaden des Hotels
(vorbehaltlich des Nachweises einer geringeren Schalldämmung) nur bei einem
Außenpegel ab 71 dB(A) der Fall ist. Das führt aber nicht dazu, dass die auf
einen Außenpegel von 68 dB(A) festgelegte Zumutbarkeitsschwelle damit fak-
tisch auf 71 dB(A) erhöht wird. Der Außenpegel beschreibt den Wert, ab dem
aktiver Schallschutz erforderlich wird. Hiervon ist erkennbar auch der Beklagte
ausgegangen, indem er die der Beigeladenen aufgegebenen Vorkehrungen
zum Schutz vor Baulärm auf diesen Wert hin ausgerichtet hat. Davon zu unter-
scheiden ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Ent-
schädigung für baulärmbedingte Nutzungsbeeinträchtigungen in Innenräumen
besteht.
b) Die dem planfestgestellten Schutzkonzept zugrunde liegende Lärmprognose
leidet nicht an den von den Klägerinnen geltend gemachten Mängeln.
aa) Die Rügen der Klägerinnen, bei der Lärmprognose sei hinsichtlich der im
Katalog der 32. BImSchV aufgeführten Baumaschinen pauschal ein Geräteab-
schlag von 3 dB vorgenommen worden, überdies seien keine Impulszuschläge
berücksichtigt und sei ein idealisierter Bauablauf zugrunde gelegt worden, grei-
fen nicht durch.
Nach dem Gutachten der B. GmbH vom 2. März 2010 haben die Gutachter
- den Vorgaben in I. der Anlage 5 zur AVV Baulärm entsprechend - zunächst für
jede der Bauphasen, die in allen Baufeldern durchlaufen werden (Baufeldfrei-
machung und Abbruch der vorhandenen Straße; Erdaushub und Erstellung der
Führungen für den Schlitzwandgreifer, Erstellung der Schlitzwände, Erstellung
der HDI-Sohlen, Abbruch des vorhandenen Tunnels ,
Betonieren der Tunneldecke, Bauarbeiten unter der Tunneldecke
re weiterer Erdaushub sowie Bau des Bahnhofs>, Wiederherstellung des Stra-
ßenpflasters
unnötig langer Sperrzeiten der Straßen>), die maßgeblichen Eingangsdaten
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(Geräuschemissionen der eingesetzten Baugeräte bzw.
Bauverfahren, tägliche Einsatzzeiten der verwendeten Baugeräte bzw. Bauver-
fahren, Dauer der Bauphase, geometrische Anordnung der Baugeräte während
der Bauphase) ermittelt. Aufbauend auf diesen Angaben ist für jede Bauphase
ein eigenes Berechnungsfile erstellt worden. Dabei ist im Sinne einer worst-
case-Annahme unterstellt worden, dass die Bauarbeiten während der im Mas-
senlogistikkonzept beschriebenen Zeitdauer permanent stattfinden; Einrich-
tungszeiten für die Baustelle sowie Abbauzeiten und eventuelle Stillstandzeiten,
die als Pufferzeiten in die Bauzeit mit eingerechnet sind, wurden nicht berück-
sichtigt (S. 25/26).
Die für die Berechnungen verwendeten Geräuschemissionsansätze der Bauge-
räte (Schallleistungspegel) sind in der Tabelle 8 des Gutachtens vom 2. März
2010 (S. 28) angegeben. In der Tabelle findet sich auch eine Autobetonpumpe
mit einer Antriebsleistung von 272 kW. Der Einwand der Klägerinnen, die
Hochdruckpumpe sei nicht einbezogen worden, ist daher nicht begründet. So-
fern die Geräuschemissionen der eingesetzten Baumaschinen impulshaltig
und/oder tonhaltig sind, ist ein entsprechender Zuschlag in der Spalte KI (Im-
pulszuschlag) bzw. KT (Tonzuschlag) vermerkt, so für den Einsatz des Radla-
ders beim Aufheben des Asphalts wegen der Stoßgeräusche beim Aufnehmen
und Abkippen in den LKW sowie für den Einsatz des Kettenbaggers beim Ab-
brechen der Tunneldecke wegen der Stoßgeräusche beim Abladen in den LKW
(vgl. S. 28 Tabelle 8, Spalte Bemerkungen). Hinsichtlich der Geräuschemissio-
nen der Baugeräte geht das Gutachten davon aus, dass die Baugeräte mindes-
tens die derzeitigen Anforderungen an das Inverkehrbringen erfüllen. Für die in
der 32. BImSchV aufgeführten Baugeräte sind dies die Anforderungen gemäß
EU-Richtlinie 2000/14/EG, Phase 2 (S. 26). Für die Baumaschinen, die im Kata-
log der 32. BImSchV aufgeführt sind, haben die Gutachter den Grenzwert für
das Inverkehrbringen gemäß EU-Richtlinie 2000/14/EG, Phase 2, abzüglich
3 dB angesetzt. Für Baugeräte, die im Katalog der 32. BImSchV nicht aufge-
führt werden, wurde auf verschiedene Literaturquellen zurückgegriffen (S. 27).
Gegen diese Verfahrensweise ist nichts zu erinnern. Die Anforderungen der
EU-Richtlinie 2000/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
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8. Mai 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
umweltbelastende Geräuschemissionen von zur Verwendung im Freien vorge-
sehenen Geräten und Maschinen (ABl EG Nr. L 162 S. 1), zu deren Umsetzung
die 32. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
(Geräte- und Maschinenlärmschutzverordnung) - 32. BImSchV - vom
29. August 2002 (BGBl I S. 3478, zuletzt geändert durch Verordnung zur Um-
setzung der EG-Richtlinien 2002/44/EG und 2003/10/EG zum Schutz der Be-
schäftigten vor Gefährdungen durch Lärm und Vibrationen vom 6. März 2007,
BGBl I S. 261 <277>) dient, sind als garantierte Schallleistungspegel zu verste-
hen (vgl. Art. 3 Buchst. f der Richtlinie und § 2 Nr. 6 der 32. BImSchV). Der ga-
rantierte Schallleistungspegel liegt nach den Erläuterungen im Gutachten vom
2. März 2010 stets oberhalb des im Einsatz erzeugten Schallleistungspegels,
weil er alle eventuellen Unsicherheiten (auch solche, die durch das Messverfah-
ren bedingt sind) mit abdecken muss. Mit welchem Sicherheitszuschlag die ein-
zelnen Hersteller rechnen, bleibe ihnen selbst überlassen. Zumindest müssten
sie aber den offiziellen Wert für die Messunsicherheit des Verfahrens (3 dB)
berücksichtigen. Den Messungen der Gutachter zufolge werden zum Teil we-
sentlich größere Unsicherheitsaufschläge bis zu 6 dB aufgeschlagen. Dies
rechtfertigt es auch nach der Auffassung des Senats, von den Grenzwerten für
das Inverkehrbringen gemäß EU-Richtlinie 2000/14/EG für die im Katalog der
32. BImSchV aufgeführten Baumaschinen im Rahmen der Lärmprognose 3 dB
abzuziehen.
Worauf die Klägerinnen ihre nicht näher begründete Behauptung stützen, dass
der Lärmprognose ein idealisierter Bauablauf zugrunde liege, erschließt sich
nicht. Die für die jeweiligen Bauphasen zugrunde gelegten Zeiträume und Ein-
satzzeiten der Baumaschinen können den Tabellen Nr. 9 bis 15 des Gutachtens
(S. 30 bis 36) entnommen werden. Substantielle Einwände gegen die dort an-
gesetzten Einsatzzeiten und Zeiträume haben die Klägerinnen nicht erhoben.
bb) Die Lärmprognose erweist sich auch nicht deshalb als unzulänglich, weil
kein Summenpegel aus Verkehrslärm und Baustellenlärm gebildet worden ist.
Die AVV Baulärm enthält keine Regelung zur Berücksichtigung bereits vorhan-
dener Geräusche bei der Ermittlung der Gesamtbelastung. Das ist mit höher-
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- 26 -
rangigem Recht vereinbar. Zwar liegt dem Bundes-Immissionsschutzgesetz in
§ 3 Abs. 1 für die Definition der schädlichen Umwelteinwirkungen eine akzep-
torbezogene Betrachtungsweise zugrunde. Nach der Rechtsprechung des Bun-
desverwaltungsgerichts ist bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von Geräusch-
immissionen aber maßgeblich vom „Anlagenbezug“ des Bundes-
Immissionsschutzgesetzes auszugehen, wie er auch in § 22 Abs. 1 BImSchG
und den daran ausgerichteten, nach Anlagenarten differenzierenden Verord-
nungen und Regelwerken zum Ausdruck kommt. Gesamtbetrachtungen sind
nur nach Maßgabe dessen erlaubt, was gesetzliche Vorgaben und die daran
anknüpfenden Regelwerke zulassen. Selbst wenn man anerkennt, dass es für
die Schädlichkeit von Umwelteinwirkungen nach der Definition des § 3 Abs. 2
BImSchG nicht darauf ankommt, woher, insbesondere aus wie vielen Quellen,
die zu beurteilende Beeinträchtigung stammt (vgl. Urteil vom 21. März 1996
- BVerwG 4 C 9.95 - BVerwGE 101, 1 <7> = Buchholz 406.25 § 41 BImSchG
Nr. 12 S. 23 <27>) und daher bei der immissionsschutzrechtlichen Beurteilung
von Anlagen die vorhandene Geräuschvorbelastung grundsätzlich zu berück-
sichtigen ist, folgt daraus nicht, dass dem nur durch die Bildung eines alle Ge-
räusche erfassenden Summenpegels Rechnung getragen werden kann. Das
gilt selbst dann, wenn der Lärm einzelner Anlagen dominiert. Die Frage, wie der
Lärmbeitrag anderer, insbesondere andersartiger Anlagen zu berücksichtigen
ist, ist vielmehr vorrangig nach dem für die jeweilige Anlagenart einschlägigen
Regelwerk zu beantworten. Die Bildung eines Summenpegels ist zulässig,
wenn es sich um gleichartige, durch dasselbe Regelwerk erfasste Anlagen
handelt (Urteil vom 16. Mai 2001 - BVerwG 7 C 16.00 - Buchholz 406.25 § 3
BImSchG Nr. 16 Rn. 12 und 16). Abweichendes gilt im Hinblick auf die verfas-
sungsrechtliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dann, wenn die Ge-
samtbelastung der Geräuschimmissionen aus verschiedenen Lärmquellen die
Grenze zur Gesundheitsgefährdung übersteigt.
Dafür ist hier nichts ersichtlich. Der Verkehrslärm im Bereich der Baustelle
Unter den Linden/Friedrichstraße wird aufgrund der Sperrung der südlichen
Fahrbahn der Straße Unter den Linden sowie der Friedrichstraße von der südli-
chen Fahrbahn der Straße Unter den Linden bis zur Kreuzung mit der Behrens-
traße während der offenen Bauphase weitgehend entfallen. Nach dem Gutach-
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ten der B. GmbH vom 2. März 2010 ist der Anteil der Verkehrsgeräusche wäh-
rend der Bauphase ermittelt und in Relation zu den durch den Baubetrieb er-
zeugten Geräuschimmissionen gestellt worden. Danach ist ein nennenswerter
Einfluss der Verkehrsgeräusche nur für die - hier nicht relevanten - Bereiche
nördlich der Straße Unter den Linden (Haus der Schweiz) zu erwarten. Auch
dort würde aber ein Anteil von 5 % überdurchschnittlich lauter Tage während
der Bauzeit selbst bei Berücksichtigung der Verkehrsgeräusche nicht über-
schritten werden (S. 45 bis 48). Für den Immissionspunkt H (Ecke Friedrich-
straße/Behrenstraße, Rosmarin Karree) und die dem gegenüberliegende Fas-
sade des Hotels ist für die Bauphase ein Verkehrslärm von circa 44 dB(A) er-
mittelt worden (S. 47, Tabelle 25 und Anhang, letztes Blatt). Ein gesundheitsge-
fährdender Summenpegel ist demnach nicht zu besorgen.
Der Einwand der Klägerinnen, die Verkehrsbelastung auf der Behrenstraße
werde während der Bauzeit aufgrund der vorgesehenen Umleitungen erheblich
steigen, greift nicht durch. Abgesehen davon, dass die Behrenstraße an den
der Baustelle abgewandten Fassaden des Hotels entlang verläuft, ist schon
nicht substantiiert dargetan, dass es auf der Behrenstraße tatsächlich zu einer
Verkehrszunahme kommt. Nach dem von der Beigeladenen mit Schriftsatz vom
14. Juni 2012 vorgelegten aktuellen Verkehrsführungskonzept vom 25. Mai
2012 wird der Fahrzeugverkehr (Kfz-Verkehr, Radverkehr, ÖPNV) mithilfe eines
komplexen Umleitungssystems an den Sperrungen im Bereich Unter den
Linden/Friedrichstraße vorbeigeführt. Über die Behrenstraße wird lediglich der
Verkehr in Richtung Süden geführt. Für eine wesentliche Erhöhung des Ver-
kehrs auf der Behrenstraße ist danach nichts ersichtlich.
cc) Weitere substantielle Einwände gegen die Lärmprognose haben die Kläge-
rinnen nicht erhoben. Ihre Rüge, es fehle im Planänderungsbeschluss an der
Festlegung eines Maximalpegelkriteriums, greift nicht durch. Die AVV Baulärm
stellt für die Tagzeit auf den gemittelten Pegel ab, die Zahl der Überschreitun-
gen eines bestimmten Maximalpegels ist nicht entscheidend. Eine Art Maximal-
pegelregelung findet sich in Nr. 3.1.3. der AVV Baulärm nur für die Nachtzeit.
Dagegen ist nichts zu erinnern, zumal auch der von einer über mehrere Jahre
hinweg betriebenen Baustelle ausgehende Lärm im Gegensatz zu Gewerbe-
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und Verkehrslärm zeitlich begrenzt ist und jedem Grundstückseigentümer und
erst recht dem Träger eines im öffentlichen Interesse stehenden
(Groß-)Vorhabens die Möglichkeit zustehen muss, seine ansonsten zulässigen
Vorhaben unter auch ihm zumutbaren Bedingungen zu verwirklichen (VGH
Mannheim, Urteil vom 8. Februar 2007 - 5 S 2257/05 - ZUR 2007, 427 Rn. 131;
vgl. zur Zulässigkeit des Dauerschallkriteriums für die Bewertung von Fluglärm
während des Tags, BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 2008 - BVerwG 4 B
50.07 - BauR 2008, 2030).
Im Übrigen ergibt sich aus dem Gutachten der B. GmbH vom 2. März 2010,
dass die der Lärmprognose zugrunde liegenden Berechnungen mithilfe der
Prognosesoftware CADNA/A, Version 3.7, durchgeführt wurden und der Be-
urteilungspegel gemäß DIN-Vorschrift 45645-2 ermittelt wurde (S. 37 f.). In die
Berechnungen sind die Geräuschemissionen und Einsatzzeiten der Geräte so-
wie die veranschlagte Dauer der Bauphase eingegangen (S. 36). Zudem sind in
die Lärmprognose sowohl der über die einzelnen Bauphasen bzw. über die ge-
samte Bauzeit prognostizierte und gemittelte Beurteilungspegel als auch die
Anzahl der Tage eingestellt worden, an denen ein Beurteilungspegel von
72 dB(A) überschritten wird (S. 11). Maximalpegel über 72 dB(A) sind damit in
der Lärmprognose berücksichtigt worden.
c) Die im Wesentlichen auf Ergänzung des Planänderungsbeschlusses um wei-
tere Maßnahmen des aktiven und passiven Schallschutzes gerichteten Anträge
Nr. 1 bis 8 haben keinen Erfolg.
aa) Der Antrag Nr. 1, die Auflage A II.3.1.1. dahingehend zu ergänzen, dass nur
Baumaschinen mit dem Umweltzeichen RAL-UZ 53 „Blauer Engel“ oder ent-
sprechender anderer Zertifizierung eingesetzt werden dürfen, kann schon des-
halb keinen Erfolg haben, weil nach den unwidersprochen gebliebenen Anga-
ben des Beklagten und der Beigeladenen auf der Baustelle auch Baumaschi-
nen zum Einsatz kommen, für die es solche Umweltzeichen nicht gibt. Vor die-
sem Hintergrund reicht es aus, dass der Beklagte der Beigeladenen in dieser
Nebenbestimmung aufgegeben hat, sicherzustellen, dass ausschließlich Bau-
verfahren und Baugeräte eingesetzt werden, die hinsichtlich ihrer Schall- und
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Erschütterungsemissionen lärmarm arbeiten. Soweit die Klägerinnen darauf
verweisen, dass das von der Beigeladenen ursprünglich vorgelegte Gutachten
Nr. N454113h des Ing.-Büro Dr.-Ing. M. den Einsatz geräuscharmer Baugeräte
mit dem Umweltzeichen RAL-UZ 53 „Blauer Engel“ empfehle, weil damit eine
Reduktion um 5 bis 10 dB(A) möglich sei, folgt daraus nichts anderes. Aus dem
- knapp gehaltenen - Gutachten ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass
der Gutachter sich mit dem Gesichtspunkt der Verfügbarkeit solcher Bauma-
schinen und -geräte überhaupt näher befasst hat.
bb) Eine Verkleidung, die sicherstellt, dass in den Arkaden ein Beurteilungspe-
gel von 60 dB(A) nicht überschritten wird (Antrag Nr. 2), können die Klägerinnen
- von allem anderen abgesehen - schon deshalb nicht beanspruchen, weil der
Beklagte die fachplanerische Zumutbarkeitsschwelle zu Recht auf 68 dB(A)
festgelegt hat.
cc) Der Antrag Nr. 3, den Außenbereich der Galerie und des Restaurants
Nante-Eck zur Straße Unter den Linden durch Lärmschutzwände an der Bau-
stelle so zu schützen, dass auf dem Gehweg ein Beurteilungspegel von
60 dB(A) nicht überschritten wird, bleibt ebenfalls erfolglos. Die fachplanerische
Zumutbarkeitsschwelle ist zu Recht auf 68 dB(A) festgesetzt worden. Die Klä-
gerinnen haben daher ungeachtet dessen, dass Außenkontaktbereiche vor La-
dengeschäften dem Anwendungsbereich der AVV Baulärm ohnehin nicht unter-
fallen, keinen Anspruch auf Einhaltung eines Beurteilungspegels von 60 dB(A).
Hinzu kommt, dass die Aufstellung von Fassadenschutzwänden im Planaufstel-
lungsverfahren geprüft, aber wegen des geringen Nutzens und der weit über-
wiegenden Nachteile sowie technischer Schwierigkeiten verworfen worden ist
(S. 36 PÄB). Diese Überlegungen betreffen zwar in erster Linie die Friedrich-
straße, sind aber auf die Straße Unter den Linden weitgehend übertragbar. Die
Beigeladene hat im gerichtlichen Verfahren zu diesem Thema ergänzend aus-
geführt, dass die Wirkung einer solchen Abschirmwand aufgrund der Reflexio-
nen der Gebäudefassaden stark reduziert wäre. Selbst bei einer sehr hohen
Abschirmwand von 8 m sei eine Geräuschreduktion von mehr als 5 dB nicht zu
erreichen. Zudem seien solche Lärmschutzwände technisch nicht verfügbar.
Bei der Errichtung einer so hohen, freistehenden Abschirmwand bestünden we-
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gen auftretender Windlasten konstruktive Schwierigkeiten. In jedem Fall müss-
ten zunächst tiefe Fundamente im Straßengrund errichtet werden. Hierfür sei im
Bereich zwischen der Baustelle und den Gehwegen kein Platz. Abgesehen da-
von sei die Errichtung solcher Abschirmwände mit erheblichen Geräuschemis-
sionen verbunden, die angesichts der in diesem Bereich nur während eines
vergleichsweise kurzen Zeitraums auftretenden Lärmbeeinträchtigungen nicht
zu rechtfertigen wären. Hiergegen haben die Klägerinnen keine substantiellen
Einwände erhoben. Sie verweisen zwar auf die Empfehlung des Ing.-Büros M.
im Gutachten vom 15. August 2008, mobile Schallschutzwände einzusetzen.
Dieses Gutachten verhält sich aber nicht dazu, inwieweit der Einsatz mobiler
Schallschutzwände vorliegend technisch überhaupt möglich und unter Lärm-
schutzgesichtspunkten sinnvoll wäre.
dd) Es kann dahinstehen, ob der Antrag Nr. 4, die Baustelle in der Friedrich-
straße nach Herstellung der Schlitzwände und vor weiterem Abtrag der Stra-
ßendecke mit einer Schalldämmung von 20 dB(A) einzuhausen, schon deshalb
keinen Erfolg haben kann, weil die Klägerinnen dies im Einwendungsverfahren
nicht gefordert haben. Sie können eine Einhausung der Baustelle auch deshalb
nicht beanspruchen, weil diese Maßnahme - sofern überhaupt technisch reali-
sierbar - nach den von den Klägerinnen nicht bestrittenen Darlegungen des Be-
klagten und der Beigeladenen unverhältnismäßig wäre. Nach dem Lärm- und
Erschütterungsgutachten der BeSB GmbH vom 2. März 2010 treten am lautes-
ten Immissionsort im Mittelbereich der Friedrichstraße an maximal 16 % aller
Bautage Geräuschimmissionen auf, die das derzeitige Geräuschniveau deutlich
übersteigen. Vor den Fassaden in der Straße Unter den Linden sowie im Süd-
bereich der Friedrichstraße beträgt dieser Anteil maximal circa 5 % aller Bauta-
ge. Circa die Hälfte aller überdurchschnittlich lauten Tage tritt während der
Phase der Schlitzwanderstellung auf (S. 5/6). Die Einhausung würde demnach
weder die längsten noch die lautesten Bauphasen erfassen. Ausgenommen
blieben insbesondere die Arbeiten zur Herstellung der Schlitzwände und der
HDI-Sohlen. Die hierzu eingesetzten Bohrgeräte haben eine Höhe von über
15 m und lassen sich daher nicht einhausen. Lediglich für die Herstellung der
neuen Tunneldecke und die Wiederherstellung der Oberfläche käme eine Ein-
hausung jedenfalls theoretisch in Betracht. Um das von den Klägerinnen gefor-
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- 31 -
derte Schalldämmmaß von 20 dB zu erzielen, müsste eine feste Abdeckung
errichtet werden, die zudem stützfrei ist, weil ansonsten die Bautätigkeit behin-
dert würde. Die Einhausung müsste eine Höhe von mindestens 6 m über Stra-
ßenniveau aufweisen, um Hebezugarbeiten zu ermöglichen. Sie würde somit
die Fensterfront des ersten Obergeschosses des Hotels verdecken bzw. ein-
schließen. Zudem müsste die Konstruktion fest im Boden verankert werden. Die
im Boden zu verankernden Stützen müssten zwischen der Schlitzwand und der
Fassade in die Erde eingebracht werden. Auf dem dort ohnehin nur begrenzt
zur Verfügung stehenden Raum befinden sich bereits die für die Bauzeit verleg-
ten Leitungen der Versorgungsunternehmen. Zudem müsste die Einhausung
zum Großteil direkt vor Ort gefertigt (zugesägt) und dann montiert werden.
Hierdurch würden genau die Schlag- und Sägegeräusche auftreten, die durch
die Einhausung gerade vermieden werden sollen. Die Anzahl besonders lauter
Tage würde sich durch die Arbeiten zur Errichtung der Einhausung damit vo-
raussichtlich erhöhen. In Anbetracht dieser Umstände durfte der Beklagte eine
Einhausung zu Recht verwerfen.
ee) Der Antrag Nr. 5, der Beigeladenen aufzugeben, der Klägerin zu 1 die Kos-
ten für Schallschutzfenster in den Hotelzimmern, im Frühstücks- und Hotelres-
taurant sowie in der Lobby zur Straße Unter den Linden und zur Friedrichstraße
zu erstatten, die erforderlich sind, um bei einem zulässigen Grenzwert von
60 dB(A) und zulässigen Maximalpegeln von 70 dB(A) einen Innenpegel von
31 dB(A) zu gewährleisten, bleibt ebenfalls erfolglos. Die Klägerin zu 1 hat
schon keinen Anspruch darauf, dass die Schallschutzmaßnahmen an einem
Außenpegel von 60 dB(A) und einem Innenpegel von 31 dB(A) ausgerichtet
werden. Zudem hat der Beklagte den Einbau von Schallschutzfenstern, der
nach einer von der Beigeladenen im Verwaltungsverfahren abgegebenen Stel-
lungnahme vom 27. August 2010 gemäß Kostenschätzung vom 18. Juni 2010
circa 1 200 000 € kosten würde, zu Recht mit der Erwägung als unverhältnis-
mäßig verworfen, dass in den Nachtstunden keine Bautätigkeit stattfinden wird,
in den Tagstunden wegen der Sperrung der Friedrichstraße die hohe Vorbelas-
tung durch Verkehrslärm entfällt und die baubedingte Lärmbelastung sich an
der Mehrzahl der Bautage wegen des bereits vorhandenen hochwertigen
Schallschutzes sogar unterhalb des Niveaus der Vorbelastung durch den Ver-
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- 32 -
kehrslärm bewegen wird. Zudem würde der Einbau bzw. die Auswechselung
von Schallschutzfenstern ebenfalls zu Beeinträchtigungen in der Nutzbarkeit
der Objekte führen, die in Relation zu den erzielbaren Erfolgen gestellt werden
müssten. So sei beim Hotel W. davon auszugehen, dass eine Auswechselung
der Fenster zu Beeinträchtigungen führen würde, die nicht weniger schwer wö-
gen als die verbleibenden Beeinträchtigungen ohne die Maßnahme (S. 36-38
PÄB). Diesen Erwägungen sind die Klägerinnen nicht entgegengetreten.
Ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für den Einbau von Schallschutzfens-
tern folgt auch nicht daraus, dass nach der Stellungnahme der Akustik-Inge-
nieurbüro M. GmbH vom 4. Mai 2010 der mittlere Innenpegel in den Hotelzim-
mern 31 dB(A) betragen soll, eine Erhöhung der Lautstärke um 3 dB(A) als we-
sentlich und somit störend wahrgenommen werde und ein Hotelbetrieb mit dem
hier gebotenen hohen Komfort bei einem Innenpegel von mehr als 35 dB(A)
nicht mehr möglich sei, zumal ein ungestörter Schlaf ein wichtiges Qualitäts-
merkmal eines Hotels und lauter Baulärm zwischen 07:00 und 10:00 Uhr daher
auch dann besonders störend sei, wenn der über den ganzen Tag gemittelte
Beurteilungspegel von 35 dB(A) noch nicht überschritten werde. Setzt man die
prognostizierte Zahl der Tage, an denen es durch den Baulärm außen vor der
Fassade des Hotels lauter wird als durch den vorhandenen Verkehrslärm bzw.
als 71 dB(A) (52 Tage) in Relation zu den Kosten für den Einbau von Schall-
schutzfenstern, die eine Beibehaltung des bisherigen Lärmniveaus in den Zim-
mern auch an diesen Tagen ermöglichen, erweist sich der Einbau als unver-
hältnismäßig. Lediglich ergänzend ist in diesem Zusammenhang darauf hinzu-
weisen, dass auch die TA Lärm in Nr. 6.5 nur für Gebiete nach Nr. 6.1 Buchst. d
bis f (allgemeine Wohngebiete und Kleinsiedlungsgebiete, reine Wohngebiete,
Kurgebiete sowie Krankenhäuser und Pflegeanstalten) Tageszeiten mit erhöh-
ter Empfindlichkeit vorsieht (an Werktagen 06.00-07.00 Uhr und
20.00-22.00 Uhr), die in der Tagzeit der AVV Baulärm (07.00 bis 20.00 Uhr) be-
reits berücksichtigt sind.
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- 33 -
Die Klägerin zu 1 kann auch nicht den Ersatz der Kosten verlangen, die bei der
Sanierung 2006 bis 2008 für den Einbau von Schallschutzfenstern der Klasse 3
im Lindenflügel des Hotels aufgewandt wurden. Anhaltspunkte dafür, dass die
Schallschutzfenster seinerzeit nicht zum Schutz der Hotelgäste vor Verkehrs-
lärm, sondern zur Abwehr der Lärmeinwirkungen des streitgegenständlichen
Bauvorhabens eingebaut worden sind, hat die Klägerin zu 1 nicht dargetan.
ff) Der Antrag Nr. 6, die Beigeladene zu verpflichten, den Gehweg Unter den
Linden vor dem Hotel während der gesamten Bauzeit täglich zu reinigen, bleibt
erfolglos. Die Straße Unter den Linden ist in der bei Erlass des Planänderungs-
beschlusses geltenden Verordnung über die Straßenreinigungsverzeichnisse
und die Einteilung in Reinigungsklassen vom 29. Oktober 2009 (GVOBl Bln
S. 505 <545>) im Straßenreinigungsverzeichnis A, Reinigungsklasse 1
(= 7x/Woche), verzeichnet und wird demnach täglich gereinigt. Dass diese Rei-
nigung, die auch den Gehweg umfasst, während der Bauarbeiten unterbleibt,
haben die Klägerinnen nicht vorgetragen.
gg) Der Antrag Nr. 7, die Auflage A II.3.1.8. dahingehend zu ergänzen, dass die
Beweissicherung gemäß dem Konzept der GuD vom 26. August 2010 rechtzei-
tig vor Baubeginn durchzuführen ist, hat keinen Erfolg. Das Beweissicherungs-
konzept der GuD ist nach der Regelung in A I. des Planänderungsbeschlusses
als Anlage 5 vollumfänglich planfestgestellt worden. Wie Ziff. 4.9 (S. 8/9) des
Konzepts entnommen werden kann, soll eine Erstbeweissicherung hinsichtlich
der Beweissicherungsarten S1 bis S6 vor Beginn der Bauarbeiten erfolgen.
Dass die Beweissicherungsart S7 (visuelle Beweissicherung durch einen Sach-
verständigen) insoweit ausgenommen ist, begegnet keinen Bedenken, weil sie
nach den Erläuterungen auf S. 8 des Konzepts im Zuge der Baumaßnahme ggf.
bei besonderen Bedingungen und Schadensfällen vorgenommen werden muss,
wenn andere Arten der Beweissicherung nicht bzw. nicht mehr möglich sind
und es in Anbetracht des Schadens besonderen Sachverstands bedarf.
hh) Schließlich ist auch dem Antrag Nr. 8, der Beigeladenen aufzugeben, eine
Lärmprognose mit detailliertem Bauablauf für die Baufelder II - IV vorzulegen
und anzugeben, wann der Immissionsrichtwert von 60 dB(A) überschritten wird
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und welche Maximalpegel in den einzelnen Bauabschnitten täglich zu erwarten
sind, nicht zu entsprechen. Die Klägerinnen können die Vorlage einer solcher-
maßen detaillierten Lärmprognose nicht verlangen. Der durch Bauarbeiten aus-
gelöste Lärm ist unregelmäßig und entzieht sich einer noch genaueren Progno-
se (vgl. Urteil vom 3. März 2011 - BVerwG 9 A 8.10 - BVerwGE 139, 150
Rn. 111 = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 215 S. 196; VGH Kassel, Urteil vom
17. November 2011 - 2 C 2165/09.T - juris Rn. 272). Soweit möglich hat der
Beklagte dem Interesse der Klägerinnen an einer frühzeitigen Information über
die zu erwartenden Bauarbeiten durch die Regelung in A II.3.2.1. des Planän-
derungsbeschlusses Rechnung getragen.
2. Die im Planänderungsbeschluss in Gestalt der in der mündlichen Verhand-
lung abgegebenen Protokollerklärungen getroffenen Festsetzungen zum Grund
(a) und zu den Bemessungsgrundlagen (b) der Entschädigung sind nicht zu
beanstanden. Die weitergehenden Klageanträge Nr. 9a) bis e) und 10 sind nicht
a) Rechtsgrundlage für Entschädigungsansprüche wegen unzumutbarer Beein-
trächtigungen durch die Errichtung eines planfestgestellten Vorhabens ist § 74
Abs. 2 Satz 3 VwVfG. Danach hat - sofern Vorkehrungen oder Anlagen zur
Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer untunlich oder mit dem
Vorhaben unvereinbar sind - der Betroffene einen Anspruch auf angemessene
Entschädigung in Geld. Der Entschädigungsanspruch ist dem Grunde nach im
Planfeststellungsbeschluss festzustellen, zudem sind die Bemessungsgrundla-
gen für die Höhe anzugeben (Urteile vom 11. November 1988 - BVerwG 4 C
11.87 - Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 6 S. 7 <9> und vom 31. Januar 2001
- BVerwG 11 A 6.00 - Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 56 S. 20 <32>).
aa) Der Ausgleichsanspruch nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG gewährt einen
finanziellen Ausgleich für einen anderenfalls unverhältnismäßigen Eingriff in das
Eigentum. Es handelt sich dabei nicht um eine Enteignungsentschädigung,
sondern um einen Ausgleichsanspruch eigener Art. § 74 Abs. 2 Satz 2 und 3
VwVfG bestimmen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt und Schranken
des Eigentums. Wird der Eigentümer in der Nutzung seines Grundstücks durch
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- 35 -
nachteilige Einwirkungen des Vorhabens unzumutbar gestört und können diese
Störungen aus den Gründen des Satzes 3 nicht durch physisch-reale Schutz-
maßnahmen ausgeglichen werden, muss der Eigentümer die Einwirkungen auf
sein Eigentum trotz deren Unzumutbarkeit zwar hinnehmen, wenn in der Abwä-
gung hinreichend gewichtige Belange des Allgemeinwohls für die Verwirkli-
chung des Vorhabens sprechen. Die darin liegende Beschränkung seines
Eigentums ist aber nur verhältnismäßig, wenn er finanziell entschädigt wird
(Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 74 Rn. 195
m.w.N.; vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. März 1999 - 1 BvL 7/91 - BVerfGE 100,
226 <245 f.>).
Entschädigungsansprüche aus enteignendem oder enteignungsgleichem Ein-
griff bestehen neben dem Entschädigungsanspruch aus § 74 Abs. 2 Satz 3
VwVfG nicht. Auch für einen Anspruch aus § 906 Abs. 2 BGB bleibt nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs neben den im Planfeststellungsver-
fahren eröffneten Rechtsbehelfen grundsätzlich kein Raum (BGH, Urteil vom
30. Oktober 2009 - V ZR 17/09 - MDR 2010, 142 ).
bb) § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG hat Surrogatcharakter. Sein Anwendungsbereich
reicht nicht weiter als die Primärregelung des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG. Greift
§ 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG, der den Anspruch auf Schutzvorkehrungen regelt,
tatbestandlich nicht ein, so ist auch für die Anwendung von § 74 Abs. 2 Satz 3
VwVfG kein Raum (stRspr, vgl. Urteile vom 27. Juni 2007 - BVerwG 4 A
2004.05 - BVerwGE 129, 83 ff. = Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 71 Rn. 12 und
vom 23. Februar 2005 - BVerwG 4 A 5.04 - BVerwGE 123, 23 = Buchholz
451.91 Europ. UmweltR Nr. 18 S. 93 <103>; BVerfG, Kammerbeschluss vom
23. Februar 2010 - 1 BvR 2736/08 - NVwZ 2010, 512 ). § 74 Abs. 2
Satz 3 VwVfG eröffnet keinen Anspruch auf einen Ausgleich aller Nachteile, die
ein Planvorhaben auslöst. Auszugleichen sind nur die Nachteile, die die Grenze
des Zumutbaren überschreiten und nicht durch physisch-reale Maßnahmen ab-
gewendet werden (Bonk/Neumann, a.a.O. § 74 Rn. 197).
Keine Schutzvorkehrungen und demgemäß auch keine Entschädigung können
wegen einer Beeinträchtigung von rechtlich nicht geschützten wirtschaftlichen
72
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74
- 36 -
oder sonstigen Belangen verlangt werden, auch wenn diese bei der Abwägung
grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Derartige Belange können durch gegen-
läufige öffentliche Belange ohne finanziellen Ausgleich überwunden werden.
Aus dem Gewährleistungsgehalt der Eigentumsgarantie lässt sich kein Recht
auf bestmögliche Nutzung des Eigentums ableiten. Eine Minderung der Wirt-
schaftlichkeit ist grundsätzlich ebenso hinzunehmen wie eine Verschlechterung
der Verwertungsaussichten. Art. 14 Abs. 1 GG schützt nicht bloße Umsatz- und
Gewinnchancen und tatsächliche Gegebenheiten, auch wenn diese für das
Unternehmen von erheblicher Bedeutung sind, weil sie nicht zum Bestand des
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs gehören. Ein Eigentümer
muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn sich eine Veränderung der tatsächli-
chen Gegebenheiten und der damit verbundene Verlust der Lagegunst auf den
Bestand des Kundenkreises negativ auswirkt. Nicht geschützt ist insbesondere
der Verlust an Stammkunden und die Erhaltung einer optisch ansprechenden
Umgebungsbebauung, der über die einfachgesetzlich geregelten Rechte hi-
nausgehende Anliegergebrauch, der Fortbestand einer bestimmten Anbindung
an das öffentliche Wegesystem, wenn kein besonderer Vertrauensschutz be-
steht, und entstehende Lagenachteile, die zu einer Minderung des Grund-
stückswertes führen. Auch Ertragseinbußen, z.B. durch die Furcht der Kunden
vor unzumutbarem Lärm, sind nicht nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG ersatzfähig,
denn § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG dient dem Schutz vor tatsächlichen und nicht
vor vermeintlichen Lärmbelastungen (Urteile vom 27. Juni 2007 a.a.O. Rn. 12 ff.
und vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116 <260> =
Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 23 S. 2 <104>; Beschlüsse vom 21. Oktober
2003 - BVerwG 4 B 93.03 - juris und vom 8. September 2004 - BVerwG 4 B
42.04 - Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 66 S. 51 <52 f.>).
cc) Bei Anlegung dieser Maßstäbe hat der Beklagte den Klägerinnen eine Ent-
schädigung dem Grunde nach zu Recht nur für die verbleibenden unzumutba-
ren Beeinträchtigungen durch Baulärm (und etwaige Erschütterungs- und Set-
zungsschäden, A II.3.1.8.), nicht aber für alle Auswirkungen der Baustelle auf
den Hotelbetrieb zugesprochen. Die gegenteilige Auffassung der Klägerinnen,
die Entschädigung nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG sei als „Ausgleich für das
Ertragen einer Belastung zu Gunsten einer Baumaßnahme für den öffentlichen
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- 37 -
Personennahverkehr“ zu sehen, geht am gestuften Regelungskonzept des § 74
Abs. 2 Satz 2 und 3 VwVfG vorbei. Da der Ausgleichsanspruch nur der Kom-
pensation eines gleichheitswidrigen Sonderopfers dient, muss er grundsätzlich
auch nur diejenige Belastung ausgleichen, die die von der Sozialgebundenheit
gerechtfertigte Belastung des Eigentums übersteigt (BVerfG, Kammerbeschluss
vom 23. Februar 2010 a.a.O. Rn. 43). Die Klägerinnen übersehen, dass der
Beklagte der Beigeladenen zum Schutz der Baustellenanlieger vor Beeinträch-
tigungen durch Baulärm, Staub und Erschütterungen entsprechend der Vor-
rangregelung in § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG eine Reihe von Schutzvorkehrungen
auferlegt hat. Dazu gehören etwa die Auflagen, lärmarme Bauverfahren und
Baugeräte einzusetzen (A II.3.1.1.), die zeitliche Beschränkung der Bauarbeiten
auf die Zeit zwischen 07:00 und 20:00 Uhr (A II.3.1.2.), die Arkadenverkleidung
(A II.3.2.3.), die Regelungen zum Einsatz von Schlitzwandbaggern (A II.3.1.4.)
und zur Schlitzwanderstellung (A II.3.2.2.) sowie zur Einhaltung der Anhaltswer-
te der DIN-Vorschrift 4150-2 und 3 und der VDI-Richtlinie 2719 hinsichtlich Er-
schütterungen und sekundärem Luftschall (A II.3.1.5.). Zudem sind Auflagen im
Hinblick auf die Staubentwicklung, die Verschmutzung bzw. Reinhaltung der
Fassaden, zur Fußgängerquerung Unter den Linden und zum Erscheinungsbild
der Baustelle erteilt worden (A II.3.2.7. bis 3.2.10.). Schließlich hat sich der Be-
klagte unter A II.3.2.6.2. die Anordnung weiterer Maßnahmen für den Fall vor-
behalten, dass sich nach der konkretisierten Bauablaufplanung oder den Er-
gebnissen der angeordneten kontinuierlichen Kontrollmessungen abzeichnet,
dass der Beurteilungspegel an mehr als den prognostizierten Tagen einen Wert
von 68 dB(A) überschreitet oder sich die vorgesehene Gesamtbauzeit der lärm-
intensiven Arbeiten (12 Monate) um mehr als einen Monat erhöht. Gleiches gilt
in Bezug auf Erschütterungen und sekundären Luftschall, falls sich herausstellt,
dass entgegen der Prognose die vorgegebenen Anhaltswerte nicht eingehalten
werden.
Unzumutbare, die Grenze der Sozialbindung übersteigende nachteilige Auswir-
kungen werden aufgrund der getroffenen Schutzvorkehrungen im Ergebnis nur
(noch) durch den Baustellenlärm ausgelöst, weil weitere Schutzauflagen zu
dessen Abwehr oder Reduzierung untunlich bzw. mit dem Vorhaben unverein-
bar sind. Dagegen kommt dem Umstand, dass - wie die Klägerinnen vortragen -
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Stammkunden und Touristen das Hotel unabhängig von der tatsächlichen
Lärmbelastung durch die Baustelle schon deshalb meiden, weil es bis zur De-
ckelung im Umfeld einer Baustelle liegt, im Rahmen von § 74 Abs. 2 Satz 3
VwVfG keine Bedeutung zu. Dieser Effekt ließe sich durch keinerlei wie auch
immer geartete Schutzmaßnahmen verhindern, namentlich stellt entgegen der
Auffassung der Klägerinnen das „Unterlassen“ der Baustelle keine Schutzvor-
kehrung im Sinne des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG dar.
dd) Dass der Beklagte eine Entschädigung für die Beeinträchtigung von Innen-
räumen dem Grunde nach davon abhängig gemacht hat, dass die oberen An-
haltswerte der VDI-Richtlinie 2719 „Schalldämmung von Fenstern und deren
Zusatzeinrichtungen“ für Innenschallpegel von 40 dB(A) für Hotelzimmer und
Vortragsräume sowie 50 dB(A) für Restaurants/Gaststätten/Läden überschritten
werden, ist nicht zu beanstanden. Abweichendes folgt nicht daraus, dass nach
dem Inhalt eines in den Planunterlagen befindlichen Prüfberichts der Akustik-
Ingenieurbüro M. GmbH vom 11. Dezember 2009 und einer ergänzenden Stel-
lungnahme vom 4. Mai 2010 trotz der unterschiedlichen Fensterschalldämmun-
gen in den Hotelzimmern (von FSSK 1 bis FSSK 3) in allen Zimmern ein
Schalldruckpegel in der Größenordnung von circa 31 dB(A) gemessen worden
ist.
Es spricht nichts dagegen, die Zumutbarkeitsgrenze für Innengeräuschpegel an
den oberen Anhaltswerten der VDI-Richtlinie 2719 zu orientieren. Die
VDI-Richtlinie 2719 gilt grundsätzlich nur für dauerhafte Lärmeinwirkungen,
kann aber auch bei länger andauernden stationären Großbaustellen herange-
zogen werden. Dabei rechtfertigt es die begrenzte Dauer solcher Baustellen,
sich an den oberen Anhaltswerten zu orientieren. Zwar mag der VDI-Richtli-
nie 2719 in Nr. 6.3 Tabelle 6 die Vorstellung zugrunde liegen, dass bei einem
dauerhaften Schallschutz innerhalb der Anhaltswerte je nach Empfindlichkeit
einzelner Nutzungsarten weiter differenziert werden soll. Im Hinblick auf die
letztlich begrenzte Zeitdauer der sehr lauten Bauphasen konnte hier aber pau-
schalierend vorgegangen werden, zumal auch die Ausschöpfung der oberen
Anhaltswerte der VDI-Richtlinie 2719 für die Tagzeit nicht zu unzumutbaren Zu-
ständen führt.
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Innenschallpegel von 40 dB(A) in Hotelzimmern und Vortragsräumen und
50 dB(A) in Gaststätten/Restaurants/Läden stellen keine unzumutbare Belas-
tung dar. Bei Wohnnutzungen ist Schutzziel für die - hier allein relevante - Tag-
zeit der AVV Baulärm (07.00-20.00 Uhr), unzumutbare Kommunikationsbeein-
trächtigungen im Gebäudeinneren zu vermeiden. Nach dem Stand der aktuellen
Lärmwirkungsforschung sind tagsüber zur Vermeidung von Kommunikations-
störungen in geschlossenen Wohnräumen Mittelungspegel von 45 dB(A) innen
einzuhalten („Sprachverständlichkeit“; Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A
1075.04 - BVerwGE 125, 116. = Buchholz 442.40 § 8 LuftVG
Nr. 23; Reidt/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. IV, Stand Juli
2011, Vorbem. 18. BImSchV Rn. 14; Fickert/Fieseler, BauNVO, 11. Aufl. 2008,
§ 15 Rn. 19.1). Für Räume, die als Gaststätte, Restaurant oder Ladengeschäft
genutzt werden, und deren Schutzwürdigkeit gegenüber Wohnräumen, Ta-
gungsräumen etc. daher gemindert ist, beträgt der obere Anhaltswert der
VDI-Richtlinie 2719 50 dB(A).
Der Einwand der Klägerinnen, der Planänderungsbeschluss gehe von zu opti-
mistischen Schalldämmmaßen der Außenfassaden des Hotels W. aus, ist an-
gesichts der vorgetragenen aktuellen Innenschallpegel von circa 31 dB(A) und
des vorhandenen Verkehrslärms kaum nachzuvollziehen. Ungeachtet dessen
übersehen die Klägerinnen, dass der Planänderungsbeschluss auch den Fall,
dass die Eigentümer ein geringeres Schalldämmmaß geltend machen und
nachweisen, regelt. In A II.3.2.4. ist festgelegt, dass in einem solchen Fall die
entsprechend geringeren Werte zugrunde zu legen sind. Die Kosten für den
Nachweis und die Einzelfalluntersuchung trägt die Vorhabenträgerin (S. 10
PÄB). Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 6. Juli 2012 ausdrücklich und mit
bindender Wirkung für ein etwaiges Entschädigungsverfahren klargestellt, dass
diese Regelung ungeachtet der in der mündlichen Verhandlung vorgenomme-
nen Änderungen und Streichungen auf S. 42 des Planänderungsbeschlusses
uneingeschränkt Anwendung findet.
b) Die zur Bemessung der Höhe der Entschädigung maßgeblichen Faktoren
sind im Planänderungsbeschluss in Gestalt der vom Beklagten in der mündli-
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chen Verhandlung abgegebenen Protokollerklärungen in ausreichender Weise
festgelegt.
aa) Nach der Grundregelung in A II.3.2.4. des Planänderungsbeschlusses ist
die Entschädigung zu leisten für die Beeinträchtigung von Hotelzimmern, Ta-
gungsräumen, Restaurants, Läden und Außenwohnbereichen bezogen auf die
Tage, an denen die festgelegten Pegel (68 dB(A) für Außenwohnbereiche, 40
bzw. 50 dB(A) für Innenräume) überschritten werden. Die Höhe der Entschädi-
gung für das Hotel richtet sich gemäß der ergänzenden Regelung auf S. 42 des
Planänderungsbeschlusses nach dem Ertragsausfall zwischen Baubeginn und
Deckelung der Baugruben in der Friedrichstraße und der Straße Unter den Lin-
den, der darauf zurückzuführen ist, dass es in diesem Zeitraum vor den Fassa-
den zur Friedrichstraße und Unter den Linden zu Überschreitungen eines Be-
urteilungspegels von 71 dB(A) kommt. Für vermietete Restaurants und Laden-
geschäfte richtet sich die Entschädigung nach dem Maß der zulässigen Miet-
minderung bezogen auf die Tage, an denen vor den Fassaden zur Friedrich-
straße und zur Straße Unter den Linden ein Beurteilungspegel von 81 dB(A)
überschritten wird. Für den Fall, dass geringere Schalldämmmaße nachgewie-
sen werden, sind die entsprechend niedrigeren Werte maßgeblich (A II.3.2.4.
S. 10 PÄB).
bb) Diese Festlegungen begegnen keinen Bedenken. Bei nur vorübergehenden
Beeinträchtigungen von Gewerbebetrieben bzw. gewerblich genutzten Grund-
stücken durch eine Baustelle kommt es in der Regel nicht zu dauerhaften Ver-
kehrswertminderungen, sondern zu Ertragsverlusten. Diese sind auszugleichen,
soweit sie auf dem Überschreiten der Zumutbarkeitsschwelle beruhen. Dabei
dürfen keine Nachteile von der Entschädigungspflicht ausgeschlossen werden,
deren Entschädigung für einen adäquaten Ausgleich erforderlich ist
(Bonk/Neumann, a.a.O. § 74 Rn. 198). Hierauf zielt die in der mündlichen Ver-
handlung in A II.3.2.4. sowie in B IV.2.1.4.3. neu eingefügte Formulierung „be-
zogen auf die Tage“, die weiter gefasst ist als die ursprüngliche Formulierung
„an den Tagen“. Sie soll sicherstellen, dass Bemessungsgrundlage für die Ent-
schädigung nicht nur die konkreten Tage sind, an denen es zu Überschreitun-
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gen der maßgeblichen Pegel gekommen ist, sondern diese Tage zu übergeord-
neten Zeitabschnitten in Beziehung gesetzt werden.
Im Hinblick auf den Hotelbetrieb als solchen ist dieser übergeordnete Zeitab-
schnitt der Zeitraum vom Baubeginn bis zur Deckelung (S. 42 PÄB). Diese
Festlegung trägt zum einen den Besonderheiten des Hotelbetriebs, insbesonde-
re dem notwendigen Buchungsvorlauf in allen drei Marktsegmenten, und zum
anderen dem Umstand Rechnung, dass die Tage mit unzumutbaren Lärmein-
wirkungen nicht mit der für eine sinnvolle Belegungsplanung erforderlichen Prä-
zision vorausgesagt werden können. Eine Regelung, die nur auf die konkreten
Tage mit Überschreitungen des Beurteilungspegels abhebt, ist daher nicht
sachgerecht. Ein Hotelbetrieb ist in besonderem Maße auf eine antizipierende
Planung angewiesen, auf tagesaktuelle Entwicklungen und Ereignisse in sei-
nem Umfeld kann er - wenn überhaupt - allenfalls bedingt reagieren. Es er-
scheint daher als durchaus denkbar, dass eine Gesamtschau der Ergebnisse
des in A II.3.2.5. angeordneten Lärmmonitorings, der dem Hotelbetrieb gemäß
A II.3.2.1. übermittelten Informationen über den Bauablauf und der Entwicklung
der Ertragslage des Hotels im Zeitraum vom Baubeginn bis zur Deckelung zu
dem Ergebnis führt, dass eine Vermietung von zur Friedrichstraße und zur
Straße Unter den Linden hin gelegenen Hotelzimmern, Tagungsräumen etc.
auch an den Tagen bzw. in den Zeiträumen ohne unzumutbarem Baulärm nicht
sinnvoll möglich war und dies daher an mehr als den prognostizierten 52 Tagen
mit einer Überschreitung der Zumutbarkeitsschwelle zu einer Unterauslastung
des Hotels geführt hat.
Für die vermieteten Räume (Restaurants, Ladengeschäfte, Galerie) schließt die
Formulierung „bezogen auf die Tage“ aus, dass die nach Maßgabe der zivilge-
richtlichen Rechtsprechung bei Baulärm je nach Art und Dauer der Beeinträch-
tigung angemessene Mietminderung, deren Bezugsgröße in der Regel die mo-
natsweise zu entrichtende Miete ist, im Entschädigungsverfahren auf die Tage
„heruntergerechnet“ wird, an denen der Baulärm die Zumutbarkeitsschwelle
überschritten hat.
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Weitergehende Festsetzungen mussten im Planfeststellungsverfahren, das von
seiner Aufgabenstellung und seiner herkömmlichen Gestaltung her nicht die
Voraussetzungen für eine detaillierte Berechnung von Geldentschädigungen
bietet, nicht getroffen werden (Urteil vom 22. März 1985 - BVerwG 4 C 15.83 -
BVerwGE 71, 166 <175> = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 59 S. 59 <67>). Es
ist nicht Aufgabe der Planfeststellungsbehörde, im Planfeststellungsbeschluss
Regelungen zum Ablauf des nachfolgenden Entschädigungsverfahrens oder
zur methodischen Ermittlung der Entschädigungshöhe festzulegen. Das gilt
umso mehr, wenn es - wie hier - um eine Entschädigung für vorübergehende
Beeinträchtigungen geht. Die Angemessenheit der Entschädigung hängt von
den Umständen des Einzelfalls ab. Dazu gehören bei vorübergehenden Beein-
trächtigungen regelmäßig auch solche Umstände, die erst rückblickend nach
Abschluss der Baumaßnahmen festgestellt werden können. Dies trifft vorlie-
gend etwa auf die für die Bemessung der Entschädigung zwingend erforderli-
che Auswertung des Lärmmonitorings und der Entwicklung der Ertragslage des
Hotels zu.
Die Rüge der Klägerinnen, auch mithilfe der vorgenommenen Änderungen und
Ergänzungen des Planänderungsbeschlusses werde das Problem, einen Kau-
salzusammenhang zwischen den unzumutbaren Lärmeinwirkungen und den
Ertragseinbußen feststellen zu können, nicht gelöst, sondern in das Entschädi-
gungsverfahren verlagert, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Frage, inwie-
weit Ertragseinbußen des Hotels auf unzumutbare Lärmeinwirkungen durch die
Baustelle zurückzuführen sind, kann ungeachtet methodischer Einzelfragen
schlechterdings nicht unabhängig von den Ergebnissen des Lärmmonitorings
und der Ertragsentwicklung des Hotels beantwortet werden. Die Entscheidung
darüber kann und muss daher - sofern die Beteiligten keine Einigung erzielen -
dem Entschädigungsverfahren vorbehalten bleiben (vgl. A II.3.2.4. Satz 5). Den
Klägerinnen werden dadurch keine Rechte abgeschnitten.
c) Die mit den weitergehenden Anträgen Nr. 9 und 10 begehrten Änderungen
und Ergänzungen der im Planfeststellungsbeschluss getroffenen Festlegungen
zu Grund und Bemessung der Entschädigung bleiben erfolglos.
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aa) Einen Ausgleich derjenigen Ertragseinbußen, die dadurch entstehen, dass
die zur Straße Unter den Linden und zur Friedrichstraße hin gelegenen Hotel-
zimmer für die Zeit vom Baubeginn bis zur Deckelung der Baugruben nicht
vermietet werden (Antrag Nr. 9a, 1. Variante), können die Klägerinnen nicht
beanspruchen. § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG gewährt einen Ausgleich nur für die
Nachteile, die auf dem Überschreiten der Zumutbarkeitsschwelle beruhen.
Der Hilfsantrag Nr. 9a, 2. Variante, den Klägerinnen die nach Anordnung weite-
rer aktiver und passiver Schallschutzmaßnahmen im Zeitraum vom Baubeginn
bis zur Deckelung der Baugruben verbleibenden Ertragseinbußen zu entschä-
digen, wird nicht relevant, weil die Klägerinnen weitere Schallschutzmaßnah-
men nicht beanspruchen können (s.o. unter 1.c). Im Übrigen kann auf die Aus-
führungen unter aa) verwiesen werden.
Einen Anspruch auf Entschädigung der Ertragseinbußen bis zu zwei Jahre nach
Abschluss der Deckelung (Antrag Nr. 9b) haben die Klägerinnen - von allem
anderen abgesehen - schon deshalb nicht, weil das Hotel nach der Deckelung
der Baugruben keinen unzumutbaren (Lärm)Beeinträchtigungen mehr ausge-
setzt sein wird. Andere Nachteile werden über § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG nicht
ausgeglichen.
Die Klägerinnen können nicht verlangen, dass der Beklagte den Planfeststel-
lungsbeschluss dahingehend ergänzt, dass die Ertragseinbußen durch einen
mit ihrem Einverständnis ausgewählten Sachverständigen ermittelt werden (An-
trag Nr. 9c). Ob - wofür vorliegend Einiges spricht - zum Entschädigungsverfah-
ren ein Sachverständiger beigezogen wird, hat nicht die Planfeststellungs-,
sondern die Entschädigungsbehörde zu entscheiden.
Die Klägerinnen können auch keine Regelung des Inhalts beanspruchen, dass
als durch die Baustelle verursacht eine Minderung des RevPar des W. im
Unterschied zum RevPar des Vergleichsmarktes der Fünf-Sterne-Hotels in Ber-
lin-Mitte gilt (Antrag Nr. 9d). Dieser Antrag zielt darauf, die Methode zur Ermitt-
lung des Ertragsausfalls im Planfeststellungsbeschluss festzulegen. Das ist
nicht Aufgabe der Planfeststellungsbehörde.
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Die Klägerinnen haben überdies keinen Anspruch darauf, dass im Planfeststel-
lungsbeschluss geregelt wird, dass die Entschädigung monatlich ermittelt und
ausgeglichen wird (Antrag Nr. 9e). Über die Modalitäten der Ermittlung, Fest-
setzung und der Auszahlung der Entschädigung hat nicht die Planfeststellungs-
behörde zu entscheiden.
bb) Schließlich bleibt auch der Antrag Nr. 10, den Klägerinnen die durch die
Baustelle verursachten Mietminderungen der Ladengeschäfte und des Restau-
rants N. zu entschädigen und die Angemessenheit der Entschädigung durch
einen Sachverständigen unter Berücksichtigung des Bauablaufs und vergleich-
barer Mieten jeweils nach Ablauf eines Monats zu ermitteln, erfolglos. Die Klä-
gerinnen haben keinen Anspruch auf Ausgleich der baustellenbedingten Miet-
minderungen, sondern nur auf Ausgleich der aufgrund unzumutbarer Beein-
trächtigungen durch Baulärm gerechtfertigten Mietminderungen. Auch insoweit
ist es nicht Aufgabe der Planfeststellungsbehörde, Regelungen zum Verfahren
zu treffen. Über das Maß der zulässigen Mietminderung hat zunächst die Ent-
schädigungsbehörde zu entscheiden, die insoweit ggf. einen Sachverständigen
zu Rate ziehen wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 i.V.m. § 159 Satz 2 und § 162
Abs. 3 VwGO.
Krauß
Guttenberger
Schipper
Brandt
Dr. Decker
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Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Recht der Schienenwege
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BImSchG
§ 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1, § 66 Abs. 2
VwVfG
§ 74 Abs. 2 Satz 2 und 3
GG
Art. 14 Abs. 1 GG
Stichworte:
Planfeststellungsbeschluss; Planänderung; U-Bahn; Baustelle; Baustellenlärm;
Verkehrslärm; Vorbelastung; Erschütterungen; Staub; AVV Baulärm; Verwal-
tungsvorschrift, normkonkretisierende; schädliche Umwelteinwirkungen; Ge-
bietszuordnung; Ladengeschäfte; Außenkontaktbereiche; Nachbarschaft;
Lärmprognose; Summation; Maximalpegel; Impulszuschläge; Zumutbarkeits-
schwelle; Immissionsrichtwert; Eingreifwert; Entschädigung; Innenräume; In-
nenschallpegel; Anhaltswert; Gewerbebetrieb; Ertragseinbußen; Ertragsausfall;
Mietminderung.
Leitsätze:
1. § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG erfasst auch solche nachteiligen Wirkungen, die
durch Lärm, Erschütterungen und Staub aufgrund der Bauarbeiten für das plan-
festgestellte Vorhaben entstehen (im Anschluss an Beschluss vom 27. Januar
1988 - BVerwG 4 B 7.88 - Buchholz 442.01 § 29 PBefG Nr. 1).
2. Die AVV Baulärm konkretisiert für Geräuschimmissionen von Baustellen den
unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen.
3. Der Anwendungsbereich der AVV Baulärm erstreckt sich nicht auf den
Schutz der Außenkontaktbereiche vor Ladengeschäften.
4. Der Eingreifwert nach Nr. 4.1. der AVV Baulärm erlaubt es nicht, den maß-
geblichen Immissionsrichtwert nach Nr. 3.1.1. im Planfeststellungsverfahren
noch um (bis zu) 5 dB(A) zu erhöhen.
5. Es ist nicht Aufgabe der Planfeststellungsbehörde, im Planfeststellungsbe-
schluss Regelungen zum Ablauf des nachfolgenden Entschädigungsverfahrens
oder zur methodischen Ermittlung der Entschädigungshöhe zu treffen.
Urteil des 7. Senats vom 10. Juli 2012 - BVerwG 7 A 11.11