Urteil des BVerwG vom 26.05.2011

Stand der Technik, Schallschutzwand, Entschädigung, Realisierung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 7 A 10.10
Verkündet
am 26. Mai 2011
Ende
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 26. Mai 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Guttenberger,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließ-
lich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Eisen-
bahn-Bundesamtes vom 19. September 2008 für das Bauvorhaben „dreigleisi-
ger Ausbau im Streckenabschnitt Stelle - Lüneburg“, Planfeststellungsab-
schnitt IV Lüneburg (Eisenbahnstrecke 1720, Lehrte - Cuxhaven, von
Bahn-km 130,00 bis Bahn-km 136,355). Sie ist Eigentümerin der Grundstücke
mit den Flurstücksbezeichnungen …, …, …, …, Flur …, in der Gemarkung O.
Die Grundstücke liegen südwestlich der Bahntrasse, etwa zwischen Bahn-
km 134,4 und Bahn-km 134,7 und haben zusammen eine Grundstücksfläche
von ca. 36 000 m². Laut Grunderwerbsverzeichnis sollen davon ca. 1 080 m² für
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das Vorhaben dauerhaft und ca. 330 m² vorübergehend in Anspruch genom-
men werden.
Der Streckenabschnitt zwischen Stelle und Lüneburg ist bisher zweigleisig und
stark belastet. Nach dem Erläuterungsbericht sollen durch das Ausbauvorha-
ben Kapazitätsengpässe für den Güterverkehr beseitigt und das Regionalver-
kehrsangebot verbessert werden. Zu diesem Zweck soll zwischen Stelle und
Lüneburg in Süd-West-Lage parallel zu den bereits vorhandenen Gleisen ein
drittes Streckengleis errichtet werden.
Zur Beurteilung der künftigen Schallsituation wurde eine schalltechnische Un-
tersuchung durchgeführt, nach der die (jeweiligen) Immissionsgrenzwerte der
16. BImSchV bereichsweise überschritten werden. Als aktive Schallschutzmaß-
nahme ist u.a. die Errichtung von Schallschutzwänden vorgesehen. Die Höhe
der Schallschutzwand (ü. SO) beträgt im Bereich der klägerischen Grundstücke
vier Meter.
Die Grundstücke der Klägerin liegen nicht im Geltungsbereich eines Be-
bauungsplanes; in den Übersichts- und Lageplänen zur schalltechnischen Un-
tersuchung ist dieser Bereich als Gewerbegebiet verzeichnet. Sie wurden ur-
sprünglich von der Firma S., einem Saatbaubetrieb, genutzt. Auf dem Flur-
stück … befindet sich ein Bürogebäude, im Übrigen sind die Grundstücke mit
Gewächshäusern bebaut. Nach den Angaben des Prozessbevollmächtigten der
Klägerin in der mündlichen Verhandlung ist das Bürogebäude im Anschluss an
die Einstellung bzw. Verlagerung des Saatbaubetriebs weiter vermietet worden.
Es wurde bei Erlass des Planfeststellungsbeschlusses (und wird bis heute) als
Bürogebäude genutzt. Die Gewächshäuser wurden schon zu diesem Zeitpunkt
nicht mehr genutzt.
An dem Bürogebäude auf dem Flurstück …, bei dem es sich laut Lageplan
Nr. 8 zur schalltechnischen Untersuchung um den Immissionsort 8225 a bis h
handelt, wird der Immissionsgrenzwert der 16. BImSchV für Gewerbegebiete
von 69 dB(A) tags mit Lärmschutzwand eingehalten. Nachtwerte sind nicht er-
hoben worden.
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Die Planunterlagen lagen - nach vorheriger ortsüblicher Bekanntmachung - vom
13. Februar 2007 bis 12. März 2007 bei der Stadt Lüneburg und in der Samt-
gemeinde Bardowick zur Einsicht aus.
Innerhalb der Einwendungsfrist erhob die Klägerin mit Schreiben vom 21. März
2007 folgende Einwendung:
„Unser Grundstück wurde als Betriebsgelände der Firma
S. gewerblich genutzt. Diese Nutzungsart soll sich ändern,
das Grundstück soll bebaut werden. Ein Planungsvor-
schlag liegt bereits vor, es ist jedoch fraglich, ob durch das
dritte Gleis und die dort vorgesehene Schallschutzwand
die erforderlichen Schallschutzwerte eingehalten werden
können. Unser Einwand bezieht sich also auf die geplante
Schallschutzwand, die gegebenenfalls erhöht und/oder
verlängert werden muss.“
Mit Beschluss vom 19. September 2008 stellte das Eisenbahn-Bundesamt den
Plan fest und wies die Einwendungen der Klägerin zurück.
Die Klägerin hat gegen den ihr am 7. Oktober 2008 zugestellten Planfeststel-
lungsbeschluss am 6. November 2008 Klage erhoben:
Die Lärmprognose sei fehlerhaft, weil sie auf einem zu kurzen Prognosezeit-
raum und fehlerhaften Zugzahlen beruhe. Die Realisierung der sog. Y-Trasse,
die Hannover mit Hamburg und Bremen verbinden soll, und das damit verbun-
dene Verkehrsaufkommen seien zielgerichtet ausgeblendet worden.
Die Behauptung der Beigeladenen, dass auf der Strecke auch nach der Fertig-
stellung des dritten Gleises nur 25 zusätzliche Züge verkehrten und die Kapazi-
tätsobergrenze auch nach Realisierung der Y-Trasse bei (nur) 409 Zügen liege,
sei angesichts der Zielsetzung, Kapazitätsengpässe zu beseitigen, und des er-
heblichen finanziellen Aufwands für das Ausbauvorhaben nicht plausibel. Dies
belegten auch die Antwort der Bundesregierung vom 28. Januar 2008 auf eine
Kleine Anfrage (BTDrucks 16/7913) und eine Studie des Umweltbundesamtes
aus dem Jahre 2010. Bei einem angemessenen und sachgerechten Prognose-
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zeitraum sei von einer Zunahme des Güterverkehrs um mindestens 50 % aus-
zugehen.
Im Übrigen werde der Nachtwert für Gewerbegebiete von 59 dB(A) selbst bei
dem bisher prognostizierten Bahnbetrieb überschritten. In der schalltechni-
schen Untersuchung sei ohne ersichtlichen Grund nur eine Prognose für die
Tagwerte angestellt worden. Die derzeit fehlende, bauplanungsrechtlich aber
zulässige Nutzung ihrer Grundstücke zur Nachtzeit führe nicht dazu, dass die
Nachtgrenzwerte nicht eingehalten werden müssen.
Zudem sei beabsichtigt, die Grundstücke zu überplanen. Insoweit werde auf ein
städtebauliches Konzept verwiesen, das für den südwestlichen Teil der Grund-
stücke Wohnnutzung und für den nordöstlichen Teil eine gewerbliche Nutzung
vorsehe.
Da ein Teil ihrer Grundstücke unmittelbar in Anspruch
ne sie jedenfalls eine Entschädigung in Geld für die Wertminderung beanspru-
chen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, den angefochtenen Planfest-
stellungsbeschluss vom 19. September 2008 für das Bau-
vorhaben „Dreigleisiger Ausbau im Streckenabschnitt
Stelle - Lüneburg“, Planfeststellungsabschnitt IV Lüneburg
(Eisenbahnstrecke 1720, Lehrte - Cuxhaven) von
Bahn-km 130,00 bis Bahn-km 136,355 um die Nebenbe-
stimmung zu ergänzen, wonach die Beigeladene verpflich-
tet wird, durch Lärmschutzmaßnahmen sicherzustellen,
dass auf den Grundstücken der Klägerin, Flurstücke …,
…, …, …, Flur …, in der Gemarkung O. und den dort auf-
stehenden Gebäuden die Lärmschutzwerte für Gewerbe-
gebiete von 69 dB(A) tags und 59 dB(A) nachts durch den
Bahnbetrieb nicht überschritten werden,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, passive Lärmschutzmaßnah-
men durchzuführen sowie dem Grunde nach Geldent-
schädigung für die Wertminderung der Grundstücke zu
leisten.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Eine Ermittlung der Lärmwerte für die Nacht sei nach § 2 Abs. 3 der
16. BImSchV nicht erforderlich gewesen, da die Grundstücke nur am Tag ge-
nutzt würden.
Die beabsichtigte Überplanung der Grundstücke für eine gewerbliche und
Wohnnutzung habe bei der schalltechnischen Untersuchung nicht berücksich-
tigt werden müssen, weil die Planung bei Einleitung des Planfeststellungsver-
fahrens noch nicht verfestigt gewesen sei.
Der Prognosehorizont 2015 sei sachgerecht. Abgesehen davon, dass bei Er-
lass des Planfeststellungsbeschlusses und bis heute nicht absehbar (gewesen)
sei, wann mit einer Planfeststellung oder gar Realisierung der Y-Trasse ge-
rechnet werden könne, unterstelle die Prognose 2015 zu Gunsten der Anlieger
das Vorhandensein der Y-Trasse.
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin habe keinen Anspruch auf weitere aktive Schallschutzmaßnah-
men. Die Tagesgrenzwerte der 16. BImSchV für Gewerbegebiete würden durch
die vier Meter hohe Schallschutzwand im Bereich der klägerischen Grund-
stücke eingehalten. In der schalltechnischen Untersuchung sei zu Recht nur
der Tagwert von 69 dB(A) berücksichtigt worden, weil die Grundstücke der Klä-
gerin bestimmungsgemäß nur am Tag genutzt würden.
Der Prognosehorizont 2015, der von 409 Zügen im Vergleich zu derzeit 384
ausgehe, sei rechtmäßig. Bei der Prognose 2015 sei hinsichtlich der Zugzahlen
und des Zugmixes ein Vorgriff auf 2025 erfolgt. Sie unterstelle zu Gunsten der
Anlieger das Vorhandensein der sog. Y-Spange. Wie sich aus der Anlage 13.5
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zur schalltechnischen Untersuchung ergebe, sei bei den Zugzahlen nicht nur
der Mehrverkehr, sondern auch der lärmtechnisch ungünstigere Zugmix nach
Realisierung der Y-Spange berücksichtigt worden. Die heute verkehrenden (lei-
seren) ICE-Züge seien darin durch die (lauteren) Güterzüge ersetzt worden.
Die in der Studie des Umweltbundesamtes genannte Zahl von 466 Zügen stelle
keine offizielle Prognose dar. Sie spiegele nur ein Nachfragepotential wider,
das auf der Strecke nicht gefahren werden könne. Aus der BTDrucks 16/7913
folge nichts anderes. Zudem sei für die Verkehrsprognose nicht die mögliche
Vollauslastung maßgeblich, sondern die auf der Grundlage eines realistischen
Betriebsprogramms zu erwartende Durchschnittsbelastung. Die Dreigleisigkeit
diene in erster Linie der Verbesserung der Nahverkehrsbeziehungen auf der
Schiene zwischen Lüneburg - Hamburg. Für die durchgehenden Züge werde
eine verbesserte Fahrplantreue erzielt.
Die für die geplante Wohnnutzung maßgeblichen Grenzwerte müssten nicht
eingehalten werden, weil die Planung nicht hinreichend verfestigt sei.
Da der maßgebliche Tagesgrenzwert durch die Schallschutzwand eingehalten
werde, habe die Klägerin auch keinen Anspruch auf Entschädigung für passive
Schallschutzmaßnahmen an ihren baulichen Anlagen.
Vor diesem Hintergrund sei auch für Entschädigungszahlungen wegen Wert-
minderung kein Raum.
II
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch
auf Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um zusätzliche aktive Schall-
schutzmaßnahmen nach § 41 Abs. 1 BImSchG (1), eine Entschädigung dem
Grunde nach für passiven Schallschutz gemäß § 42 BImSchG (2) sowie wegen
Wertminderung ihrer Grundstücke (3).
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1. Gemäß § 41 Abs. 1 BImSchG ist bei dem Bau oder der wesentlichen Ände-
rung von Eisenbahnen (unbeschadet des § 50 und vorbehaltlich der Regelung
in Absatz 2) sicherzustellen, dass durch diese keine schädlichen Umwelteinwir-
kungen durch Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden können, die nach dem
Stand der Technik vermeidbar sind. Verkehrsgeräusche sind schädlich, wenn
die in § 2 der 16. BImSchV festgeschriebenen Immissionsgrenzwerte (§ 43
Abs. 1 Nr. 1 BImSchG) überschritten werden.
Nach dem Inhalt der schalltechnischen Untersuchung ist durch die im Bereich
der klägerischen Grundstücke vorgesehene, vier Meter hohe Schallschutzwand
sichergestellt, dass der Tagesgrenzwert für Gewerbegebiete von 69 dB(A) ein-
gehalten wird (vgl. Immissionsort 8225 a bis h).
a) Mit dem dagegen im Klageverfahren erhobenen Einwand, die der schall-
technischen Untersuchung zugrunde gelegte Verkehrsprognose sei aufgrund
eines zu kurz bemessenen Prognosehorizonts sowie zu niedrig angesetzter
Zugzahlen zu ihren Ungunsten fehlerhaft, ist die Klägerin nach § 18a Nr. 7 AEG
präkludiert. Sie hat diesen Einwand im Planfeststellungsverfahren weder aus-
drücklich noch sinngemäß erhoben.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss der
Betroffene im Einwendungsverfahren zumindest in groben Zügen darlegen,
welche Beeinträchtigungen befürchtet werden (Urteil vom 30. Januar 2008
- BVerwG 9 A 27.06 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 195). Die Darlegungsan-
forderungen orientieren sich an den Möglichkeiten eines Laien, Ausführungen,
die technisch-wissenschaftlichen Sachverstand voraussetzen, können regel-
mäßig nicht erwartet werden (Urteil vom 3. März 2004 - BVerwG 9 A 15.03 -
NVwZ 2004, 986 <987> = Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 40). Die Anfor-
derungen an die Substantiierung dürfen nicht überspannt werden. Das tatsäch-
liche Vorbringen muss aber so konkret sein, dass die Planfeststellungsbehörde
erkennen kann, welchen Belangen sie in welcher Weise nachgehen soll und
wogegen sie den Einwender schützen soll. Dagegen gehört die rechtliche Qua-
lifizierung des tatsächlichen Vorbringens nicht zu den Anforderungen an eine
präklusionsverhindernde Einwendung. Es ist Sache der Behörde, die notwendi-
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gen rechtlichen Schlüsse aus Tatsachenvorbringen zu ziehen, ohne sich auf
eine bestimmte rechtliche Qualifizierung, auf die sich ein Einwender gegebe-
nenfalls konzentriert, zu beschränken (Urteil vom 21. Juni 2006 - BVerwG 9 A
28.05 - BVerwGE 126, 166 <172> Rn. 27 = Buchholz 406.400 § 42 BNatSchG
2002 Nr. 1; vgl. auch Urteil vom 1. Dezember 2010 - BVerwG 9 A 26.09 - juris
Rn. 13; Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 73
Rn. 96 m.w.N.).
Davon ausgehend kann die Klägerin mit ihren Angriffen gegen die Verkehrs-
prognose nicht gehört werden, weil sich ihr Einwendungsschreiben vom
21. März 2007 dazu selbst bei wohlwollender Auslegung nicht verhält. Der Sinn
und Zweck des Einwendungsverfahrens liegt gerade darin, der Behörde Hin-
weise darauf zu geben, welche Gesichtspunkte aus Sicht des Einwenders einer
vertieften oder erstmaligen Prüfung unterzogen werden sollten, zu welchen As-
pekten gegebenenfalls ergänzende Ermittlungen angestellt werden müssen
und wo Nachbesserungen für erforderlich gehalten werden. Diese Hinweisfunk-
tion korrespondiert mit der Anstoßfunktion, die von der Auslegung der Planun-
terlagen ausgehen soll. Vom danach maßgeblichen Empfängerhorizont der Be-
hörde ausgehend kann dem Einwendungsschreiben vom 21. März 2007 hinrei-
chend deutlich nur entnommen werden, dass die Klägerin im Hinblick auf die
beabsichtigte Überplanung ihrer Grundstücke und die damit verbundene Ände-
rung der bisherigen Nutzung in eine lärmempfindlichere Nutzung eine Erhö-
hung und/oder Verlängerung der Schallschutzwand für erforderlich hält.
Demgegenüber enthält das Einwendungsschreiben keinerlei Hinweise darauf,
dass die Klägerin die der schalltechnischen Untersuchung zugrunde gelegte
zukünftige Verkehrsbelastung auf der Bahnstrecke in Zweifel ziehen wollte.
Diesbezüglicher Vortrag konnte von der Klägerin aber schon innerhalb der Ein-
wendungsfrist erwartet werden, weil die ausgelegten Planunterlagen auch in-
soweit eine hinreichende Anstoßwirkung entfalteten. Dass bei der Verkehrs-
prognose auf den Prognosehorizont 2015 abgestellt und von welchen Zugzah-
len dabei ausgegangen worden ist, konnte die Klägerin der Anlage 13.5 zur
schalltechnischen Untersuchung entnehmen. Diese Angaben gaben ihr ausrei-
chend Gelegenheit, die prognostizierte Verkehrsbelastung anzugreifen. Damit
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werden die Anforderungen an die Substantiierung von Einwendungen durch
private Einwender entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht über-
spannt. Die Klägerin war zur Wahrung ihrer Rechte nicht gehalten, sich schon
innerhalb der Einwendungsfrist detailliert mit der Verkehrsprognose, namentlich
der Plausibilität des Betriebsprogramms 2015 im Hinblick auf die Y-Trasse
auseinanderzusetzen. Sie hätte aber jedenfalls zu erkennen geben können und
müssen, dass sie den Prognosezeitraum für zu kurz bemessen und/oder die
Zugzahlen für zu niedrig angesetzt hält bzw. anhand der ausgelegten Unterla-
gen nicht nachvollziehen kann, ob die zugrunde gelegten Zugzahlen plausibel
sind. Sie hätte also zumindest laienhaft die von dem Vorhaben ausgehende
prognostizierte „Lärmmenge“ in Zweifel ziehen müssen. Dazu verhält sich das
Einwendungsschreiben vom 21. März 2007 aber nicht.
Die formellen Präklusionsvoraussetzungen liegen vor. Die Bekanntmachung
der Planauslegung enthält den nach § 18a Nr. 7 Satz 2 AEG erforderlichen
Hinweis auf die Einwendungsfrist und die Folgen der Versäumung der Einwen-
dungsfrist. Die Bekanntmachung genügt auch den Anforderungen des § 73
Abs. 5 VwVfG. Gegenteiliges hat auch die Klägerin nicht vorgetragen.
Abgesehen davon sind die Angriffe der Klägerin gegen die Verkehrsprognose
auch in der Sache nicht begründet.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann das
Gericht eine Prognose und mithin auch eine der Verkehrslärmberechnung
zugrunde liegende Verkehrsprognose grundsätzlich nur darauf überprüfen, ob
sie mithilfe einer geeigneten fachspezifischen Methode erstellt, der der Progno-
se zugrunde liegende Sachverhalt zutreffend ermittelt und das Ergebnis ein-
leuchtend begründet worden ist (vgl. zuletzt Urteil vom 20. Januar 2010
- BVerwG 9 A 22.08 - Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 55 Rn. 30 m.w.N.;
Beschlüsse vom 23. Juni 2009 - BVerwG 9 VR 1.09 - juris Rn. 14 und vom
25. Mai 2005 - BVerwG 9 B 41.04 - juris Rn. 20 = Buchholz 310 § 80 VwGO
Nr. 81). Davon ausgehend ist die Verkehrsprognose unter Berücksichtigung der
im gerichtlichen Verfahren nachgereichten Erläuterungen der Beigeladenen,
denen sich die Beklagte vollinhaltlich angeschlossen hat, nicht zu beanstanden.
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In Ermangelung einer normativen Festlegung darf der Prognosehorizont grund-
sätzlich in Anknüpfung an die laufende Verkehrsplanung im Bundesverkehrs-
wegeplan und den dort zugrunde gelegten Prognosehorizont bestimmt werden
(vgl. Beschluss vom 25. Mai 2005 - BVerwG 9 B 41.04 - juris Rn. 20, 21). Der
Bundesverkehrswegeplan 2003, auf dem der Bedarfsplan für die Bundesschie-
nenwege beruht (Anlage zu § 1 des Gesetzes über den Ausbau der Schienen-
wege des Bundes, Bundesschienenwegeausbaugesetz - BSWAG, vom
15. November 1993, BGBl I S. 1874, zuletzt geändert durch Verordnung vom
31. Oktober 2006, BGBl I S. 2407), der die Ausbaustrecke Stelle - Lüneburg
unter Nr. 1a) lfd. Nr. 4 als vordringliches Vorhaben verzeichnet, stellt ebenfalls
auf das Jahr 2015 ab.
Ob der Prognosehorizont 2015 vorliegend gleichwohl zu kurz bemessen wäre,
kann dahinstehen. Denn die Beigeladene hat - wenn auch nicht wie im Erörte-
rungstermin zugesagt und von der Anhörungsbehörde in ihrer abschließenden
Stellungnahme vom 17. Oktober 2007 angemahnt, in den Planunterlagen - je-
denfalls im gerichtlichen Verfahren nachvollziehbar dargelegt, dass die Progno-
se 2015 das Vorhandensein der Y-Trasse unterstellt und der Sache nach den
Prognosehorizont 2025 abbildet. Bestätigt wird dieses Vorbringen u.a. dadurch,
dass das in den Planunterlagen enthaltene Betriebsprogramm 2015 und das im
gerichtlichen Verfahren nachgereichte Betriebsprogramm 2025 inhaltlich über-
einstimmen und darin keine ICE-Züge, sondern schwerpunktmäßig Güterzüge
aufgeführt sind. Ergänzend dazu hat die Beigeladene mit Schriftsatz vom 7. Juli
2010 dargelegt, dass die Anzahl der Züge bei Dreigleisigkeit ohne Y-Trasse
gleich bleiben und sich lediglich die Zahl der Güterzüge ändern würde.
Aufgrund der ergänzenden Erläuterungen der Beigeladenen im gerichtlichen
Verfahren erscheint dem Senat das der schalltechnischen Untersuchung
zugrunde gelegte Betriebsprogramm auch hinsichtlich der prognostizierten Zug-
zahlen plausibel. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass eine Steigerung des
aktuellen Verkehrsaufkommens auf der streitgegenständlichen Strecke von
384 Zügen für den Fall der Dreigleisigkeit um nur 25 Züge auf 409 Züge auf
den ersten Blick wenig einleuchtend erscheint, zumal der Bedarf, insbesondere
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an weiteren Güterzugtrassen, höher sein dürfte. Eine allein auf die Zugzahlen
verengte Betrachtung berücksichtigt aber nicht hinreichend, dass der Verkehr
auf den vorhandenen Gleisen durch die erhebliche Geschwindigkeitsdifferenz
zwischen Personenfernverkehr und Güterverkehr sowie die häufigen Halte des
Personennahverkehrs stark behindert wird und das Ausbauvorhaben nach den
Erläuterungen der Beigeladenen daher in erster Linie darauf zielt, die hohe
Zugbelegung auf den vorhandenen Gleisen zu entzerren und so zu Gunsten
einer verbesserten Fahrplantreue die Verspätungsanfälligkeit im Perso-
nen(nah)verkehr zu reduzieren.
Überdies ist die Verkehrsprognose nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts nicht an der Vollauslastung der Strecke zu orientie-
ren, wenn im Prognosezeitraum - wie hier nach den ergänzenden und nachvoll-
ziehbaren Erläuterungen der Beigeladenen - mit niedrigen Zugzahlen und -fre-
quenzen zu rechnen ist (vgl. Urteile vom 3. März 1999 - BVerwG 11 A 9.97 -
Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 26 S. 23 f. Rn. 62 und vom 5. März 1997
- BVerwG 11 A 25.95 - BVerwGE 104, 123 ff. Rn. 123 = Buchholz 442.09 § 18
AEG Nr. 25; Beschluss vom 7. Februar 2001 - BVerwG 11 B 61.00 - juris
Rn. 11; Urteil vom 23. Oktober 2002 - BVerwG 9 A 12.02 - juris Rn. 42). Wird
eine Anlage später über das im Rahmen einer fehlerfrei erstellten Prognose
erwartete tatsächliche Maß hinaus genutzt, besteht gegebenenfalls ein An-
spruch auf nachträgliche Schutzmaßnahmen nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG
(vgl. Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 75
Rn. 70; Urteil vom 7. März 2007 - BVerwG 9 C 2.06 - BVerwGE 128, 177 ff. =
Buchholz 316 § 75 VwVfG Nr. 27; Beschluss vom 25. Mai 2005 - BVerwG 9 B
41.04 - juris Rn. 23).
b) Die Klägerin kann einen Anspruch auf weitergehenden aktiven Lärmschutz
nicht daraus herleiten, dass im Rahmen der schalltechnischen Untersuchung
nicht ermittelt worden ist, ob der Immissionsgrenzwert Nacht der 16. BImSchV
für Gewerbegebiete von 59 dB(A) an den baulichen Anlagen auf ihren
Grundstücken eingehalten wird. Auch diesen Einwand hat die Klägerin im Plan-
feststellungsverfahren mit Schreiben vom 21. März 2007 weder ausdrücklich
noch sinngemäß erhoben, obwohl sie dazu Gelegenheit hatte. Die Klägerin
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konnte den Planunterlagen, ohne dass es dazu technischen oder juristischen
Sachverstands bedurft hätte, ohne Weiteres entnehmen, dass das Bürogebäu-
de auf dem Flurstück … in die schalltechnische Untersuchung als Immis-
sionsort 8225 a bis h Eingang gefunden hat (vgl. Lageplan Nr. 8, Anlage 13.4
zum PFB) und für diesen Immissionsort Nachtwerte nicht erhoben worden sind
(vgl. Tabelle Anlage 13.2 zum PFB, Bl. 149).
Ungeachtet dessen ist die Nichterhebung der Nachtwerte auch nicht zu bean-
standen. Gemäß § 2 Abs. 3 der 16. BImSchV ist nur der Grenzwert für diesen
Zeitraum anzuwenden, wenn die zu schützende Nutzung nur am Tag oder nur
in der Nacht ausgeübt wird. Diese Vorschrift dient dazu, die individuelle Schutz-
würdigkeit vor Verkehrsgeräuschen noch differenzierter handhaben zu können
(vgl. Beschluss vom 17. März 1992 - BVerwG 4 B 230.91 - Buchholz 406.25
§ 43 BImSchG Nr. 3 Rn. 4).
Davon ausgehend mussten die Nachtwerte an den baulichen Anlagen auf den
klägerischen Grundstücken nicht ermittelt werden. Nach den Angaben des Pro-
zessbevollmächtigten der Klägerin fand dort im maßgeblichen Zeitpunkt der
Planfeststellung keine Nachtnutzung statt. Das Bürogebäude auf dem Flurstück
… wird nur tagsüber genutzt, die übrigen baulichen Anlagen wurden und wer-
den nicht einmal mehr tagsüber genutzt. Für eine anderweitige, bauplanungs-
rechtlich zulässige gewerbliche Nachtnutzung der Gewächshäuser ist - von al-
lem anderen abgesehen - nichts ersichtlich.
c)
auch nicht im Hinblick auf die beabsichtigte Überplanung der Grundstücke für
eine Mischnutzung aus Gewerbe und Wohnen beanspruchen. Zwar ist die Klä-
gerin insoweit nicht präkludiert, weil sie diesen Gesichtspunkt in ihrem Einwen-
dungsschreiben vom 21. März 2007 unter Hinweis auf einen bereits vorliegen-
den Planungsvorschlag angesprochen und dieses Vorbringen im gerichtlichen
Verfahren nur vertieft hat.
Der Einwand einer unzureichenden Berücksichtigung von Planungsabsichten
ist aber nicht begründet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesver-
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waltungsgerichts muss die Fachplanung bei der Abwägung eine hinreichend
konkrete und verfestigte gemeindliche Planung berücksichtigen und zudem auf
noch nicht verfestigte, aber konkrete Planungsabsichten so weit wie möglich
Rücksicht nehmen, indem konkret in Betracht gezogene städtebauliche Pla-
nungsmöglichkeiten nicht unnötigerweise „verbaut“ werden (Urteile vom
21. März 1996 - BVerwG 4 C 26.94 - BVerwGE 100, 388 ff. = Buchholz 407.4
§ 17 FStrG Nr. 114 und vom 15. Dezember 2006 - BVerwG 7 C 1.06 -
BVerwGE 127, 259 = Buchholz 406.27 § 57a BBergG Nr. 1 Rn. 31).
Für solchermaßen verfestigte oder - was allein näher in Betracht kommt - zu-
mindest konkrete gemeindliche Planungsabsichten ist hier nichts ersichtlich.
Angesichts der den Beteiligten übermittelten Stellungnahme der Stadt
Lüneburg vom 17. Mai 2011 (E-Mail) spricht schon Überwiegendes dafür, dass
es sich bei dem im gerichtlichen Verfahren vorgelegten sog. „städtebaulichen
Konzept“ nicht um eine informelle Planung der Stadt Lüneburg, sondern einen
Planungsvorschlag der Klägerin handelt. Zudem ist das sog. „städtebauliche
Konzept“ ausweislich des darauf angebrachten Datums im März 2006 und da-
mit zu einem Zeitpunkt erstellt worden, zu dem das erste, Ende Dezember
2006 eingestellte, Planfeststellungsverfahren noch lief. Zu diesem Zeitpunkt
dürfte die Fachplanung ihrerseits schon verfestigt gewesen sein, denn für die
Fachplanung markiert in der Regel die Auslegung der Planunterlagen den Zeit-
punkt einer hinreichenden Verfestigung (Urteil vom 27. August 1997 - BVerwG
11 A 18.96 - Buchholz 316 § 73 VwVfG Nr. 24, LS 2).
Aber selbst wenn der Senat zu Gunsten der Klägerin von einer gemeindlichen
Planung ausginge, handelt es sich dabei - wie auch der Prozessbevollmächtigte
der Klägerin in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat - jedenfalls weder
um eine verfestigte gemeindliche Planung noch um konkrete gemeindliche Pla-
nungsabsichten, die durch die Fachplanung unnötigerweise „verbaut“ würden.
Angesichts der Größe der klägerischen Grundstücke und ihrer Ausdehnung
südwestlich der Trasse erscheint eine gemischte Gewerbe- und Wohnnutzung
auch nach Realisierung des streitgegenständlichen Ausbauvorhabens, etwa
durch geeignete Festsetzungen im Wege der Bauleitplanung, noch möglich.
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2. Eine Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um einen Entschädi-
gungsanspruch dem Grunde nach für passive Schallschutzmaßnahmen nach
§ 42 Abs. 1 und 2 BImSchG an den bestehenden baulichen Anlagen kann die
Klägerin ebenfalls nicht beanspruchen. Ihrem Einwendungsschreiben vom
21. März 2007 kann dazu nichts entnommen werden, obwohl die Planunterla-
gen der Klägerin auch insoweit einen Anstoß hätten geben können. Im Erläute-
rungsbericht zur schalltechnischen Untersuchung wird auf den Seiten 15 bis 17
in allgemein verständlicher Weise näher dargelegt, was unter aktiven und pas-
siven Schallschutzmaßnahmen zu verstehen ist. Dass die Klägerin in ihrem
Schreiben vom 21. März 2007 keine (passiven) Schutzmaßnahmen gegen
Lärm begehrt hat, beruht erkennbar darauf, dass sie bei der Abfassung dieses
Einwendungsschreibens nur die zukünftige und nicht die aktuelle Nutzung der
Grundstücke im Blick hatte.
Abgesehen davon hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Entschädigung
dem Grunde nach für passive Schallschutzmaßnahmen. Nach § 42 Abs. 1
BImSchG kommt eine Entschädigung für passiven Schallschutz nur bei einer
Überschreitung der in der 16. BImSchV festgelegten Immissionsgrenzwerte in
Betracht. Schon daran fehlt es hier, weil durch die im Planfeststellungsbe-
schluss angeordneten Maßnahmen des aktiven Schallschutzes sichergestellt
ist, dass der maßgebliche Immissionsgrenzwert von 69 dB(A) tags für Gewer-
begebiete eingehalten wird und die Klägerin mit den gegen diese Annahme
gerichteten Einwänden wie oben bereits ausgeführt ausgeschlossen ist. Eine
tatsächliche (und zulässige) Nachtnutzung dieses (oder anderer Gebäude) hat
die Klägerin nicht geltend gemacht.
Überdies besteht nach § 42 Abs. 1 BImSchG kein Entschädigungsanspruch,
wenn die Beeinträchtigung wegen der besonderen Benutzung der Anlage zu-
mutbar ist. Zumutbar ist die Hinnahme der Lärmbelästigung gemäß § 2 Abs. 4
Nr. 1 der 24. BImSchV auch dann, wenn die betroffene Anlage zum Abbruch
vorgesehen ist. Dies trifft nach den Planungsabsichten der Klägerin offenbar
auf alle baulichen Anlagen auf den Grundstücken zu.
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Hinsichtlich der auch nach den Angaben des Prozessbevollmächtigten der Klä-
gerin weder verfestigten noch hinreichend konkreten Absichten, die Grund-
stücke zu überplanen, scheidet passiver Schallschutz schon deshalb aus, weil
§ 42 BImSchG nur auf vorhandene oder schon genehmigte sowie solche bau-
lichen Anlagen Anwendung findet, mit denen ohne Zulassung begonnen wer-
den durfte (vgl. § 42 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. § 2 Abs. 4 Nr. 2 der
24. BImSchV).
3. Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass die Klägerin auch keinen An-
spruch auf Entschädigung nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG hat. Soweit sie mit
ihrem zweiten Hilfsantrag eine Entschädigung dem Grunde nach wegen der
unmittelbaren Inanspruchnahme ihrer Grundstücke für das Ausbauvorhaben
begehrt, ist sie auf das Entschädigungsverfahren verwiesen (vgl. dazu A. IV.
Nr. 10 PFB).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO.
Sailer Krauß Guttenberger
Schipper Brandt
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