Urteil des BVerwG vom 11.08.2009

Volk, Gefahr im Verzug, Jugend, Verfügung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 VR 2.09
BVerwG 6 PKH 20.09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. August 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier und
Dr. Möller
beschlossen:
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid
des Bundesministeriums des Innern vom 9. März 2009
wird abgelehnt.
Der Antrag des Antragstellers, ihm für das Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes Prozesskostenhilfe zu bewilli-
gen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15 000 € fest-
gesetzt.
G r ü n d e :
I
Der Antragsteller ist ein im Jahr 1990 gegründeter eingetragener Verein mit Sitz
in P. Seinen jetzigen Namen führt er seit dem Jahr 2001. Nach § 3 seiner Sat-
zung sieht er seinen Zweck in der Förderung der geistigen, charakterlichen und
körperlichen Entwicklung der männlichen und weiblichen Jugend, des Jugend-
sports und der Jugendbildung. Er will danach die Jugend zu dem Nächsten hilf-
reichen, der Heimat und dem Vaterland treuen und dem Gedanken der Völker-
verständigung aufgeschlossenen Staatsbürgern heranbilden und gibt ein Be-
kenntnis zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ab. Der Antragstel-
ler führt Jugendlager, Jugendfahrten sowie Sport- und Bildungsveranstaltungen
durch. Er gibt unter anderem die Vereinszeitschrift „Funkenflug“ heraus, die
vierteljährlich mit einer Auflage von 600 Exemplaren erscheint.
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Das Bundesministerium des Innern stellte ohne vorherige Anhörung des An-
tragstellers durch Verfügung vom 9. März 2009 fest, dass der Antragsteller sich
gegen die verfassungsmäßige Ordnung richte und nach Zweck und Tätigkeit
den Strafgesetzen zuwiderlaufe. Er wurde verboten und aufgelöst. Ferner wur-
de verboten, Ersatzorganisationen für den Antragsteller zu bilden, bestehende
Organisationen als Ersatzorganisationen fortzuführen und Kennzeichen des
Antragstellers zu verwenden. Das Vermögen des Antragstellers sowie näher
typisierte Sachen und Forderungen Dritter wurden beschlagnahmt und einge-
zogen. Mit Ausnahme der Einziehungsanordnungen wurde die Verfügung für
sofort vollziehbar erklärt.
Zur Begründung des Vereinsverbotes führte das Bundesministerium des Innern
im Wesentlichen aus: Der Antragsteller richte sich im Sinne des Verbotsgrun-
des des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 2 GG gegen
die verfassungsmäßige Ordnung. Seine in der Satzung formulierten Bekennt-
nisse zu gemeinnütziger Jugendarbeit und zum Grundgesetz der Bundesrepu-
blik Deutschland seien nur Fassade. Er habe eine dem Nationalsozialismus we-
sensverwandte Ideologie. Seine eigentliche Zielsetzung sei die Heranbildung
einer neonazistischen Elite. Hierzu nehme er Einfluss auf Kinder und Jugendli-
che durch Verbreitung völkischer, rassistischer, nationalistischer und national-
sozialistischer Ansichten im Rahmen vorgeblich unpolitischer Freizeitangebote.
Zudem liefen die Zwecke und Tätigkeiten des Antragstellers den Strafgesetzen
zuwider, so dass auch der Verbotsgrund des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VereinsG
i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 1 GG eingreife. Funktionäre des Antragstellers erfüllten
den Straftatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a
bis d StGB, indem sie rassekundliche Schulungen auch von Minderjährigen auf
der Grundlage von Schriften mit rassistischem und antisemitischem Inhalt kon-
zipierten und durchführten sowie eine Sammlung von Liedern auch eines derar-
tigen Inhaltes herausgäben und im Rahmen von Veranstaltungen benutzten.
Außerdem verwendeten Funktionäre und Mitglieder des Antragstellers in einer
nach §§ 86, 86a StGB strafbaren Weise Propagandamittel und Kennzeichen
aus der Zeit des Nationalsozialismus und verstießen durch öffentliches Auftre-
ten in ihrer sog. Kluft gegen das nach § 28 VersammlG strafbewehrte Uniform-
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verbot gemäß § 3 Abs. 1 VersammlG. Sämtliche Straftaten seien dem An-
tragsteller zuzurechnen und prägten seinen Charakter.
Der Antragsteller hat Anfechtungsklage gegen die Verbotsverfügung erhoben.
Er beantragt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage.
Die Antragsgegnerin tritt dem Begehren entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Ge-
richts- und Behördenakten Bezug genommen.
II
1. Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO statthafte und
auch sonst zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wir-
kung der Klage ist unbegründet.
Bei der im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmen-
den Interessenabwägung gebührt dem öffentlichen Interesse an der sofortigen
Vollziehung der Verbotsverfügung der Vorrang vor dem Interesse des An-
tragstellers am Aufschub der Vollziehung. Dies ergibt sich vor allem daraus,
dass die erhobene Klage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird (vgl. hierzu
allgemein etwa: Beschlüsse vom 10. Januar 2003 - BVerwG 6 VR 13.02 -
Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 38 S. 61 und vom 25. August 2008 - BVerwG
6 VR 2.08 - juris Rn. 7). Nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand spricht
Überwiegendes dafür, dass die Verbotsverfügung ins. 1 Satz 1 des Ge-
setzes zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz)
- VereinsG - vom 5. August 1964 (BGBl I S. 593), zuletzt geändert durch Ge-
setz vom 21. Dezember 2007 (BGBl I S. 3198), i.V.m. Art. 9 Abs. 2 GG ihre
rechtliche Grundlage findet und den Antragsteller nicht in seinen Rechten ver-
letzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a) Die Verbotsverfügung ist nicht deshalb rechtswidrig, weil das Bundesministe-
rium des Innern den Antragsteller nicht vor ihrem Erlass nach § 28 Abs. 1
VwVfG angehört hat. Gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG kann von der Anhörung
abgesehen werden, wenn nach den Umständen des Einzelfalls eine sofortige
Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwen-
dig erscheint. Es genügt, dass die Verbotsbehörde unter diesen Gesichtspunk-
ten auf Grund der ihr bekannt gewordenen Tatsachen eine sofortige Entschei-
dung für notwendig halten durfte (Beschlüsse vom 10. Januar 2003 a.a.O. S. 61
und vom 25. August 2008 a.a.O. Rn. 8). Diese Voraussetzungen waren hier
erfüllt, denn das Bundesministerium des Innern hat nach der Begründung der
Verfügung von einer Anhörung des Antragstellers nachvollziehbar deshalb ab-
gesehen, weil es den mit einer Anhörung verbundenen „Ankündigungseffekt“
vermeiden und dem Antragsteller so keine Gelegenheit bieten wollte, seine Inf-
rastruktur, sein Vermögen und verbotsrelevante Unterlagen dem behördlichen
Zugriff zu entziehen. Dieses Bestreben, der Verbotsverfügung eine möglichst
große Wirksamkeit zu geben, ging entgegen dem Einwand des Antragstellers
nicht ins Leere, obwohl bereits vor Erlass der streitigen Verfügung ein Verbot in
der Öffentlichkeit gefordert worden war und Durchsuchungen und Beschlag-
nahmen stattgefunden hatten. Die Antragsgegnerin verweist zu Recht darauf,
dass diesen Erörterungen und Maßnahmen nicht der gleiche „Ankündigungsef-
fekt“ zukam, wie ihn eine Anhörung im Rahmen des konkreten Verbotsverfah-
rens gehabt hätte.
b) Die angefochtene Verbotsverfügung erweist sich nach summarischer Prü-
fung auch in der Sache als rechtmäßig.
aa) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 2 GG ist eine
Vereinigung verboten, wenn sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung
richtet. Zu dieser Ordnung gehört nach der Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts vor allem die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten
Menschenrechten sowie das demokratische Prinzip mit der Verantwortlichkeit
der Regierung, das Mehrparteienprinzip und das Recht auf verfassungsmäßige
Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. nur: Urteile vom 13. Mai 1986
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- BVerwG 1 A 12.82 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 8 S. 7, vom 30. August
1995 - BVerwG 1 A 14.92 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 22 S. 57 und vom
13. April 1999 - BVerwG 1 A 3.94 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 30 S. 4). Das
Verbot einer Vereinigung ist nicht schon gerechtfertigt, wenn diese die verfas-
sungsmäßige Ordnung lediglich ablehnt und ihr andere Grundsätze entgegen-
stellt. Sie muss ihre verfassungsfeindlichen Ziele auch kämpferisch-aggressiv
verwirklichen wollen. Dazu genügt, dass sie die verfassungsmäßige Ordnung
fortlaufend untergraben will; sie muss ihre Ziele nicht durch Gewaltanwendung
oder sonstige Rechtsverletzungen zu verwirklichen suchen (Urteile vom 2. De-
zember 1980 - BVerwG 1 A 3.80 - BVerwGE 61, 218 <220> = Buchholz 402.45
VereinsG Nr. 6 S. 51 f., vom 13. Mai 1986 a.a.O. S. 6 und vom 13. April 1999
a.a.O. S. 4). Eine zum Verbot führende Zielrichtung gegen die verfassungsmä-
ßige Ordnung ist ohne Weiteres dann zu bejahen, wenn eine Vereinigung in
Programm, Vorstellungswelt und Gesamtstil eine Wesensverwandtschaft mit
dem Nationalsozialismus aufweist. Dieser vom Bundesverfassungsgericht (Ur-
teil vom 23. Oktober 1952 - 1 BvB 1/51 - BVerfGE 2, 1 <70>) anlässlich des
Verbotes der Sozialistischen Reichspartei zu Art. 21 Abs. 2 GG entwickelte
Grundsatz gilt in gleicher Weise für ein Vereinsverbot, weil jedenfalls eine die
Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundord-
nung erstrebende Zielrichtung im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG auch gegen die
verfassungsmäßige Ordnung gerichtet ist. Wenn eine Vereinigung sich zur
NSDAP und zu deren maßgeblichen Funktionsträgern bekennt und die demo-
kratische Staatsform verächtlich macht, eine mit dem Diskriminierungsverbot
des Art. 3 Abs. 3 GG unvereinbare Rassenlehre propagiert und eine entspre-
chende Überwindung der verfassungsmäßigen Ordnung anstrebt, richtet sie
sich gegen die elementaren Verfassungsgrundsätze und erfüllt damit den Ver-
botstatbestand (Urteil vom 30. August 1995 a.a.O. S. 57, Gerichtsbescheid vom
6. August 1997 - BVerwG 1 A 13.92 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 28 S. 122,
Urteil vom 13. April 1999 a.a.O. S. 4).
Die Ziele einer Vereinigung lassen sich in der Regel weniger ihrer Satzung und
ihrem Programm, sondern eher ihrem Auftreten in der Öffentlichkeit, ihren Pub-
likationen sowie den Äußerungen und der Grundeinstellung ihrer Funktionsträ-
ger entnehmen (Urteile vom 13. Mai 1986 a.a.O. S. 7, vom 30. August 1995
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a.a.O. S. 58 und vom 13. April 1999 a.a.O. S. 4). Wird eine Publikation im Auf-
trag der Vereinsleitung herausgegeben, so sind die dort erschienenen Artikel in
aller Regel der Vereinigung zuzurechnen. Etwas anderes kommt nur dann in
Betracht, wenn es sich - wie beispielsweise bei Leserbriefen - um ersichtlich
individuelle Meinungsäußerungen handelt und die Vereinigung derartige Äuße-
rungen missbilligt oder sich jedenfalls von ihnen distanziert (Beschluss vom
21. April 1995 - BVerwG 1 VR 9.94 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 21 S. 43
und Urteil vom 13. April 1999 a.a.O. S. 4 f.). Da Vereinigungen etwaige verfas-
sungsfeindliche Bestrebungen erfahrungsgemäß zu verheimlichen suchen, wird
sich der Verbotstatbestand in der Regel nur aus dem Gesamtbild ergeben, das
sich aus einzelnen Äußerungen und Verhaltensweisen zusammenfügt. Der
Umstand, dass diese Äußerungen und Verhaltensweisen gegebenenfalls einer
mehr oder weniger großen Zahl unverfänglicher Sachverhalte scheinbar unter-
geordnet sind, besagt allein nichts über ihre Aussagekraft (Urteil vom 13. April
1999 a.a.O. S. 5; im gleichen Sinn für Art. 21 Abs. 2 GG: BVerfG, Urteil vom
23. Oktober 1952 a.a.O. S. 21).
Nach diesen Maßstäben bietet das dem beschließenden Senat vorliegende
Beweismaterial hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass sich der Antragsteller
gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet, weil er nach seiner Programma-
tik, seiner Vorstellungswelt und seinem Gesamtstil eine Wesensverwandtschaft
mit dem Nationalsozialismus, insbesondere mit der früheren Hitlerjugend als
einer Teilorganisation der NSDAP aufweist. Das Bundesministerium des Innern
hat danach die in der Satzung des Antragstellers enthaltenen Bekenntnisse zu
gemeinnütziger Jugendarbeit, zum Gedanken der Völkerverständigung und
zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zu Recht als bloße Fassade
bewertet.
Dies ergibt sich vor allem aus dem Inhalt der bei Funktionsträgern und Mitglie-
dern des Antragstellers aufgefundenen textlichen Ausarbeitungen für Schulun-
gen und zur strategischen Ausrichtung sowie aus Äußerungen, die dem An-
tragsteller zuzurechnen sind, weil sie von in ihren Funktionen herausgehobenen
Mitgliedern stammen oder in Publikationen des Antragstellers - insbesondere in
der Vereinszeitschrift „Funkenflug“ (im Folgenden: FF) - veröffentlicht worden
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sind. Der von dem Antragsteller erhobene Einwand, diese Zeitschrift habe einen
sog. Markt der Meinungen eröffnet, so dass ihm die dort veröffentlichten Artikel
von nicht der Redaktion angehörenden Autoren nicht zugerechnet werden
könnten (vgl. zu diesen Maßstäben allgemein: BVerfG, Beschluss vom 24. Mai
2005 - 1 BvR 1072/01 - BVerfGE 113, 63 <83 f.>), geht fehl. So hat der
Vorsitzende des Antragstellers - nach § 12 der Satzung als „1. Bundesführer“
bezeichnet - in einem an Vereinsmitglieder mit Leitungsfunktionen gerichteten
„Führerrundbrief 2/04“ (Anlage - im Folgenden: Anl. - 4 zum Schriftsatz der An-
tragsgegnerin vom 2. Juni 2009) dargelegt, in welcher Weise die Zeitschrift mit
Beiträgen der Vereinsmitglieder gefüllt werden soll. Danach wird „je nach Aus-
gewogenheit“ zentral entschieden, in welcher Ausgabe der Beitrag erscheinen
oder ob er anderweitig genutzt werden soll. Insgesamt hat die Zeitschrift nach
Inhalt und Aufmachung mit einem für verschiedene Meinungen offenen Diskus-
sionsforum nichts gemein.
(1) Es gibt eine Vielzahl von Belegen dafür, dass der Antragsteller die freiheit-
lich demokratische Grundordnung des Grundgesetzes ablehnt und diffamiert
und diese durch ein sog. neues Reich ablösen will. In diesem Bestreben orien-
tiert er sich entgegen seinen Beteuerungen im gerichtlichen Verfahren nicht an
einem Reichsgedanken mit dem durch das Bundesverfassungsgericht (Urteil
vom 23. Oktober 1952 a.a.O. S. 48) umschriebenen, auf die nationale Einheit
und die gleichberechtigte Stellung Deutschlands in der europäischen Staaten-
gemeinschaft bezogenen Inhalt, sondern an den Prinzipien der nationalsozialis-
tischen Herrschaft während des sog. Dritten Reiches.
Den Gedanken, dass das demokratische Nachkriegsdeutschland nur ein zu
überwindendes Produkt der sog. „Umerziehung“ durch die Siegermächte sei,
äußert der Vorsitzende des Antragstellers in zunächst noch recht einfach an-
mutender Weise in einem zur letzten Fußballweltmeisterschaft erschienenen
Beitrag mit dem Titel „Neue Wegweiser in die Geschmacklosigkeit“ (Sebastian,
FF Nr. 3/2006, S. 5, Anl. 16): „Sicherlich wird einem lauwarm ums Herz, wenn
nach über 60 Jahren Umerziehung Deutsche wieder die eigene Fahne in die
Hand nehmen … Zu guter Letzt bleiben wir bei unseren Reichsfarben schwarz-
weiß-rot ... Eben der Stachel im Fleisch der Spießer und Vaterlandsverräter!“
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Deutlicher wird schon H. B., ein „Bundesführerin der Mädchen“ genanntes ehe-
maliges Vorstandsmitglied des Antragstellers, die in beschlagnahmten hand-
schriftlichen Notizen (Anl. 13) ausführt: „Unser Ziel ist ein deutsches Volk, das
sich seiner selbst bewusst geworden ist, und so eine starke deutsche Nation
bildet. Darunter verstehen wir eine freie und unabhängige Volksgemeinschaft …
(Wir müssen) klarstellen, daß Ideologien wie Demokratie und Kapitalismus für
unser Volk den Untergang bedeuten.“ Zu dem gleichen Ergebnis gelangt ein bei
dem Mitglied des Antragstellers I. M.-S. sichergestelltes Schulungspapier über
den „Sinn eines Führerlagers“ (Anl. 20): „Nach den Erfahrungen der letzten 20
Jahre ist die angelsächsische Demokratie für Deutschland nicht tragbar. Es
bleibt der suchenden Jugend von 1945, eine deutsche Volksherrschaft auf-
zubauen, in der der Gedanke des echten Führertums den ihm gebührenden
Platz einnimmt.“
Dieser Ansatz wird in einem in der Vereinszeitschrift des Antragstellers er-
schienenen Artikel mit der Überschrift „Zur Gesellschaft“ (Eugen, FF Nr. 3/2005
S. 7, Anl. 10) in eine radikale Sprache übersetzt: „Nach dem ersten Weltkrieg,
auch damals gab es die Gesellschaft von Wucherern und Schiebern, Verrätern,
Demokraten und Parteibonzen, die an der deutschen Not verdienten, und ihre
entarteten und zersetzenden Ideen allen Deutschen aufzudrücken versuchten.
Damals hatte der Begriff Gesellschaft allerdings einen klaren Charakter. Er be-
nötigte nämlich, angewandt auf solche Ansammlungen übelsten Menschen-
tums, keine weiteren negativen Adjektive. … Diese heutige Herrschaft des Min-
derwertigen wird durch unsere junge sieghafte Kraft niedergerungen werden
und an deren Stelle werden wir das Neue, Große, Kommende setzen: unser
Volk.“ Klar zu Tage treten die Absichten des Antragstellers schließlich in einem
elektronischen Dokument, das bei R. D., dem sog. „Leitstellenführer der Leit-
stelle Nord“ des Antragstellers aufgefunden wurde (Anl. 15). Dieser führt aus:
„Ich will keine bessere BRD, ich will ein neues Reich auf den Trümmern dieses
verkommenen Systems errichten. … Als Anleihe blicke ich dabei auch gerne
ein paar Jahrzehnte zurück. … Nur so und nicht anders begann der Sieglauf in
ein aufgehetztes Volk, welches dem Nationalsozialismus zunächst feindlich
gegenüberstand.“
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Der Antragsteller irrt, wenn er meint, er könne die Berücksichtigung des größten
Teils der genannten Hinweistatsachen (Anl. 13, 15 und 20) durch den Einwand
verhindern, die jeweiligen Äußerungen seien rein privater Natur, hätten mit der
Tätigkeit der genannten Personen für den Verein nichts zu tun oder könnten
ihm aus sonstigen Gründen nicht zugerechnet werden. Dieser Vortrag kann nur
als Schutzbehauptung bewertet werden, denn die in Rede stehenden Aussagen
sind nicht vereinzelt geblieben, sondern folgen ersichtlich einer einheitlichen,
den Antragsteller prägenden Linie. Weiter stellt es eine Bagatellisierung dar,
wenn sich der Antragsteller im Hinblick auf die übrigen Texte (Anl. 10 und 16)
darauf beruft, er habe lediglich in nicht zu beanstandender Weise einen Mangel
an Patriotismus oder bestimmte gesellschaftliche Auswüchse kritisiert. Die
Äußerungen gehen über eine zulässige Kritik an Phänomenen eines allge-
meinen Werteverfalls hinaus und offenbaren eine gegen die freiheitliche demo-
kratische Grundordnung gerichtete Haltung (vgl. zu der insoweit vorzunehmen-
den Abgrenzung: BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 - BVerwG 2 WD 42.00,
43.00 - BVerwGE 114, 258 <285 f.> = Buchholz 236.1 § 8 SG Nr. 3 S. 19).
(2) Entsprechend seiner der Wiedererrichtung der nationalsozialistischen Herr-
schaft verhafteten Vorstellungswelt propagiert der Antragsteller eine Vorbild-
funktion des Nationalsozialismus und seiner Organisationen.
In dem Artikel „Wo stehen wir?“ (Paul, FF Nr. 2/2005, S. 14, Anl. 84) wird der
Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft, der 30. Januar 1933, unter Ver-
weis auf das entstehende „Großdeutschland“ mit eindeutig positiver Einschät-
zung als „Ausgangspunkt einer der größten Wendungen, die die Geschichte
des deutschen Volkes kennt“, beschrieben. In seinem „Leitfaden für Heimat-
treue Jugendarbeit“ (Anl. 38, S. 4) bekennt sich der Antragsteller zu der vom
Nationalsozialismus verherrlichten sog. Volksgemeinschaft. Sie sei „die höchste
Form völkischen Zusammenlebens“ und habe „oberstes Ziel der Politik“ zu sein.
„Volksfremde“ könnten in einer solchen Gemeinschaftsform „keinen Platz fin-
den“. Auch werde das Volk „durch einen zu hohen Anteil an Fremdvölkischen in
seiner biologischen Existenz bedroht.“
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Weiter wurde bei M. G., dem sog. „Leitstellenführer der Leitstelle Süd“ des An-
tragstellers eine Textdatei „Anweisung für die Durchführung der Schulungs-
abende“ (Anl. 24) aufgefunden, in der es in teilweise nahezu wörtlicher Über-
einstimmung mit gleichfalls sichergestellten Schulungsmaterialien der früheren
SS (Anl. 25) heißt: „Es ist jeweils die Methode die beste, die unsere jungen Mit-
streiter zu fanatischen nationalsozialistischen Freiheitskämpfern macht. … Je-
der muß die Lebensgesetze seines Volkes und seine ganze Verantwortung ge-
genüber Familie, Kampfgemeinschaft, Volk und Rasse beweisen lernen. … Je-
der Mitstreiter muß das nationalsozialistische Streben an den Bestrebungen der
Gegner messen und … zu dem Schluß kommen, dass es außerhalb unseres
lebensrichtigen Menschenbildes für uns kein Heil und ohne den endgültigen
Sieg keine deutsche und europäische Zukunft gibt.“ Dass der Antragsteller die
Waffen-SS als vorbildhafte Organisation ansieht, der es auch in dem von ihm
nicht akzeptierten demokratischen Rechtsstaat die Treue zu halten gilt, ergibt
sich aus der folgenden, in dem von seinem Vorsitzenden verfassten „Führer-
rundbrief 02/07“ (Anl. 73) enthaltenen Sentenz: „Die letzten Wochen haben ge-
zeigt, dass sich der Staat voll auf uns eingeschossen hat. … Wir können nicht
schwülstige Reden und Feiern halten, in denen wir die Wehrmacht und Waf-
fen-SS beschwören und den toten Helden unserer Geschichte die Hand rei-
chen, wenn wir beim leisesten Blätterhauch die ‚Sinnfrage‘ stellen und verunsi-
chert stillsitzen.“
Besonders verbunden fühlt sich der Antragsteller der früheren Hitlerjugend, in
deren Nachfolge er sich sieht. Aus dieser Einstellung heraus ist ein Text formu-
liert, der auf dem Rechner des Vorsitzenden des Antragstellers aufgefunden
wurde (Anl. 70). Dieser enthält folgende Sätze: „Wir wollen keine brd-Kinder in
unseren Bund holen. … Wir wollen die, die das Bekenntnis zu Deutschland hin-
ter sich gebracht haben. … Es gibt nichts dankbareres, nichts Fanatischeres als
eine geführte Jugend. Nicht umsonst hat die HJ in den letzten Kriegstagen
unseren Feinden das Fürchten gelehrt.“ In einem Beitrag mit dem Titel „Sturm-
jugend“ (Sebastian, FF Nr. 4/2005, S. 13, Anl. 21) fügt der Vorsitzende des An-
tragstellers hinzu: „Wir brauchen eine Jugend, die hart ist. Wir brauchen eine
Jugend, die an unser Volk glaubt und bereit ist, für diesen Glauben alles zu op-
fern. Wir brauchen Kameraden, die treu sind und sich einem gemeinsamen
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Willen unterordnen. Wir brauchen Kämpfer von fanatischer Besessenheit und
zäher Ausdauer.“ Im gleichen Sinne preist der bereits genannte R. D. in dem
Artikel „Jugendbewegung, woher und wohin?“ (Ragnar, FF Nr. 1/2006, S. 16,
Anl. 71) die Hitlerjugend: „… die gesamtdeutsche Jugend (war) nun endlich
wieder geeint. Fern von Standesdünkel und Einzelinteressen trat schon früh
das Bewußtsein auf, daß hier das Deutschland von morgen marschierte. …
Doch aus dem neuen sittlich hochstehenden, untadeligen und uneigennützigen
Menschen wurde nichts mehr. Die letzten Reste des großen Traumes gingen
1945 in den Trümmern der Reichshauptstadt unter. Daß die neuen Methoden
der Jugenderziehung jedoch grundlegend richtig waren, beweist uns ein kleiner
Blick auf die Spitzen der Wirtschaft der Nachkriegszeit. Doch auch wenn das
Reich am Boden lag, schlug der Lebensbaum unseres Volkes erneut seine
Triebe aus und wiederum schloß sich volkstreue Jugend zusammen … sie
(stellt) trotz aller vermeintlichen zahlenmäßigen Schwäche das lebendige Bin-
deglied in die Zukunft dar. … Wenn unsere Jugend wieder zur Bewegung wer-
den soll, um einst das Ruder herumzureißen, dann muß sie in die Mitte des
Volkes hinein …“
Mit seinen gegen die aufgeführten Belege vorgebrachten Einwänden kann der
Antragsteller nicht durchdringen. Zum Teil verfehlen sie die Schwelle der Be-
achtlichkeit in handgreiflicher Weise, so wenn der Antragsteller vorträgt, die bei
einem führenden Mitglied und bei seinem Vorsitzenden aufgefundenen Textda-
teien (Anl. 24 und 70) seien diesen von - nicht mit Namen bezeichneten - Drit-
ten zugesandt und ungelesen oder jedenfalls ohne die Absicht weiterer Ver-
wendung abgespeichert worden. Der Hinweis, der von dem Vereinsvorsitzen-
den in der Vereinszeitschrift veröffentlichte Artikel „Sturmjugend“ (Anl. 21) sei
bereits vor über vierzig Jahren unbeanstandet in einer anderen Zeitschrift er-
schienen, kann den Antragsteller nicht entlasten, denn sein Vorsitzender hat
dies bei der Veröffentlichung des Textes nicht kenntlich gemacht, sondern des-
sen Aussagen als seine eigenen verwandt. Die Einschätzung des Antragstel-
lers, die in Rede stehende Darstellung der Waffen-SS (Anl. 73) sei nicht positiv,
sondern negativ und der Artikel über die Jugendbewegung (Anl. 71) lobe nicht
nur die Hitlerjugend, sondern zolle allen Jugendbünden gleichermaßen Respekt
und spreche sich gegen deren erfolgte Gleichschaltung aus, hat auch in Anbet-
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racht des sonstigen Inhalts der Äußerungen keine tragfähige Grundlage. Dass
der Antragsteller die Begriffe der Volksgemeinschaft und des Völkischen nicht,
wie er geltend macht, in einem von ihrem nationalsozialistischen Inhalt ver-
schiedenen Sinne propagiert, ergibt sich bereits daraus, dass er sie in seinem
Leitfaden (Anl. 38) in engem Zusammenhang mit dem nationalsozialistischen
Rassegedanken verwendet.
(3) Der Antragsteller bekennt sich weiter zu maßgeblichen Repräsentanten des
Nationalsozialismus und will eine positive Erinnerung an diese vermitteln. Dabei
werden Anklänge an den nationalsozialistischen Helden- und Märtyrerkult ver-
nehmbar.
Die Verehrung als Märtyrer, die die Nationalsozialisten dem 1930 ermordeten
NSDAP-Mitglied und SA-Mann Horst Wessel entgegenbrachten, wird in einem
auf dem Rechner des Vorsitzenden des Antragstellers aufgefundenen Text
(Anl. 30) wie folgt fortgeführt: „Horst Wessel ist … der Partei beigetreten, die am
radikalsten und konsequentesten für Deutschland und das deutsche Volk
kämpft. … Beispielhaft war damals der Organisationsgrad und die Disziplin der
SA. … Sie marschieren durch rote Stadtteile und schlagen zu, wo es gilt, ihre
Ideen zu verteidigen. … Horst Wessel ist gefallen, doch sein Opfer war nicht
umsonst: Die Bewegung hat 1933 eindrucksvoll die Macht gewonnen …“ In ei-
nem bei der bereits genannten H. B. sichergestellten handschriftlich verfassten
Lebenslauf von Rudolf Heß wird dieser als „Märtyrer des Friedens“ bezeichnet
(Anl. 27). Weiter befindet sich unter den elektronischen Dokumenten, die bei
dem ebenfalls bereits erwähnten M. G. aufgefunden wurden, ein mit „Helden-
gedenken 01.08“ überschriebener Text (Anl. 26), in dem es heißt: „Auch der
junge Hitler reifte auf diesen Schlachtfeldern (des Ersten Weltkrieges) zu dem
Mann, welcher später Deutschlands Schicksal in seinen Händen halten sollte.
Er, selbst als Soldat vom heldischen Epos durchdrungen, führte sein Volk zur
Freiheit und stellte das heldische-soldatische Ideal als Leitbild vor die ganze
Nation.“
Dass der Antragsteller mit seinem auch in diesem Zusammenhang angebrach-
ten Vortrag nicht durchdringen kann, er müsse sich die Texte (Anl. 26 und 27)
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nicht zurechnen lassen, da diese nicht im Rahmen einer für ihn ausgeübten
Tätigkeit verfasst oder verwendet worden seien, ergibt sich bereits aus den bis-
herigen Ausführungen. Seinem für eines der elektronischen Dokumente
(Anl. 30) weiter erhobenen Einwand, dieses sei nicht von seinem Vorsitzenden,
sondern von dessen Ehefrau abgespeichert worden, ist jedenfalls im Rahmen
des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nicht weiter nachzugehen.
(4) Seine Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus bringt der Antragstel-
ler auch dadurch zum Ausdruck, dass er nationalsozialistisch geprägte Begriffe
übernimmt.
Wie in den bisherigen Darlegungen bereits angeklungen ist, verwendet der An-
tragsteller den Begriff „Führer“ in jeder nur denkbaren Hinsicht. Dies gilt insbe-
sondere für die von ihm innerhalb seines streng hierarchischen Aufbaues zu
vergebenden Funktionen bzw. Dienstgrade („Bundesführer“, „Bundesführerin
der Mädchen“, „Zweiter Bundesführer“, „Leitstellenführer“, „Einheitsführer“, „Un-
terführer“) und Dienstränge („Führer vom Dienst“, „Wachführer vom Dienst“,
„Zeltführer/Stubenführer“) sowie für seine Publikationen („Führerrundbrief“,
„Führerhandbuch“ ). Als Grußformel gegen-
über sog. „Führern“ und „Unterführern“ schreibt der Antragsteller seinen Mit-
gliedern die Worte „Heil Dir!“ oder „Heil Euch!“ vor (Interne Arbeitsschrift, Weg-
weiser, Gestalt und Erscheinungsbild, Anl. 40, S. 16). Die kleinen Veranstal-
tungsteilnehmer nennt er „Pimpfe“ (Leitfaden für heimattreue Jugendarbeit,
Anl. 38, S. 93; Bericht des Polizeipräsidenten in Berlin, Anl. 15, S. 5).
Wenn der Antragsteller einwendet, dass der Begriff des Führers in vielerlei Zu-
sammenhängen, etwa für leitende Personen in einer Organisation, für themen-
bezogene Nachschlagewerke, für Begleitpersonen oder für Fahrer von Kraft-
fahrzeugen und Lokomotiven verwandt werde, ist dies richtig, nimmt der hier in
Rede stehenden Verwendung aber nichts von ihrem an die Führerideologie der
Nationalsozialisten angelehnten Sinngehalt. Ebenso wenig vermag der Verweis
auf die Bedeutung und anderweitige Verwendung des Wortes „Heil“ den Zu-
sammenhang der Grußformel „Heil Dir/Euch!“ mit dem sog. Hitlergruß aufzulö-
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sen. Auch der Begriff „Pimpf“ ist ersichtlich auf den Sprachgebrauch der ehe-
maligen Hitlerjugend bezogen.
(5) Der Antragsteller ist ferner stark rassistisch ausgerichtet sowie der sog. Blut-
und-Boden-Ideologie und der Rassenlehre der Nationalsozialisten verhaftet.
Der bei dem Vereinsmitglied M. N. sichergestellte „Ausbildungsordner EH Her-
mannsland“ enthält einen Text mit dem Titel „Der Mensch und die Grundgeset-
ze des Lebens“ (Anl. 107) mit der folgenden Aussage: „So ist unser Volk mehr
als eine Rassenmischung. Es ist ein festes Rassengefüge, eine unauflösbare
Erbgutgemeinschaft, die ihr Blut als heiligsten Besitz vor Vermischung mit Art-
fremdem streng hüten muss.“ Schulungsunterlagen über die „Biologische(n)
Grundlagen unserer Weltanschauung“ (Anl. 111 bis 114), die mehrere Mitglie-
der des Antragstellers in ihrem Besitz hatten, heben hervor: „In unserem Erbgut
liegt der Schlüssel zum Fortbestehen des deutschen Volkes. Du bist Glied,
nicht das Ende einer langen Kette, die sich von Deinen Urahnen bis zu Deinen
Urenkeln erstreckt. Bewahre Dein Erbe und reiche es unversehrt weiter!“ Ähnli-
ches Gedankengut findet sich in dem „Volk und Sprache“ überschriebenen Text
(Anl. 109), der Teil eines Ordners mit Schulungsunterlagen ist, der bei D. N.,
einem Mitglied des Antragstellers mit leitender Funktion, beschlagnahmt wurde.
Dort wird ausgeführt: „Wird das Blut … durch fremdrassige Einschläge zerstört,
so wird das Volk aus seinem innersten Kern heraus zugrunde gehen. Diese
Zusammenhänge dürfen nicht in Vergessenheit geraten, um das Fortbestehen
des deutschen Volkes zu sichern.“ Der ebenfalls bei D. N. aufgefundene „Os-
terlager 2006 - Beitrag der großen Mädchen zum Bunten Abend -“ (Anl. 110)
enthält die Passage: „Halte dein Blut rein! … es ist von tausend Ahnen schwer
und alle Zukunft fließt darin.“
Bei dem Vorsitzenden des Antragstellers wurde in Form eines elektronischen
Dokuments ein fragmentarischer Schulungstext (Anl. 115) mit folgender Direkti-
ve aufgefunden: „Die gesamte Bildungs- und Erziehungsarbeit des völkischen
Staates soll einst ihre Krönung darin finden, daß sie den Rassensinn und das
Rassengefühl instinkt- und verstandesgemäß in Herz und Gehirn der ihr anver-
trauten Jugend hineinbrennt … Die Rassenlehre ist der Schlüssel zur Weltge-
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schichte!“ Auf einem externen Datenträger und dem Laptop des bereits mehr-
fach genannten R. D. war eine Präsentation mit dem Titel „Biologische Grund-
lagen unserer Weltanschauung“ abgespeichert (Anl. 15, 116, 117). Diese ent-
hält unter anderem Abbildungen, die nach polizeilicher Feststellung rassisti-
scher Literatur aus der Zeit des Nationalsozialismus entstammen.
Der Antragsgegner hat zahlreiche Belege dafür vorgelegt, dass der Antragstel-
ler auf diesen ideologischen Grundlagen Schulungen zur Rassenkunde durch-
führt (Anl. 76 bis 78, 86, 119, 121, 124, 125). Sie haben auch in einer Reihe von
Beiträgen in Publikationen des Antragstellers ihren Niederschlag gefunden. In
einem Artikel über „Erntedank im Volksbrauch“ (Eric, FF Nr. 3/2003, S. 5,
Anl. 33) wird folgende Betrachtung angestellt: „Wer dankt, ordnet sich nicht un-
ter, sondern ein in den ewigen Kreislauf der Natur. … Dies ist der Ausdruck des
ewigen Blutkreislaufes der Deutschen und eine Heimfindung zum Ich - der ei-
genen Art.“ In einem von dem Antragsteller herausgegebenen Kalender wird
unter dem Titel „Das Kleid der Unsterblichkeit“ (Anita, Unser Leben 2007,
Anl. 106) ausgeführt: „Durchtränkt mit der Stärke unserer Ahnen fließt es in un-
seren Adern. Wurde durch seinen Verlust manch fremder Boden heimatlich
gemacht, so entsprang dort eine neue Quelle des Lebens und ewigen Fortbe-
stehens. Um die Reinheit des Blutes zu gewähren, muß sich jeder als ein Teil
einer Artgemeinschaft fühlen und sich seiner Abstammung bewußt sein. … (Es)
wurden durch wichtige Erkenntnisse in der Menschenkunde und der Bedrohung
des Fortbestehens des Deutschen Volkes Institute für Familienforschung ge-
gründet, wie 1934 das 'Kaiser Wilhelm Institut für Genealogie und Demogra-
phie'. Zu dieser Zeit war jeder Reichsbürger verpflichtet, seine Herkunft durch
eine Ahnentafel und den dazugehörigen Geburts- und Heiratsurkunden oder
einen zusammengefaßten, beglaubigten Ahnenpaß vorzuweisen. … So sollte
sich jeder, der sich seiner Herkunft bewußt ist, sie in seinem gesunden Blut
wahren und weitertragen.“ Die gleichen Inhalte werden unter der Überschrift
„Du bist Deutschland“ (Eric, FF Nr. 4/2006 und Nr. 1/ 2007, S. 17, Anl. 7) in die
folgenden Worte gefasst: „Als hätte Mendel nie gelebt, will mir doch ein stark-
pigmentierter ortsunkundiger Fußball-'star' erzählen, ich sei mein Land, … Volk
ist ein biologischer Begriff. … Auch ein deutscher Paß ändert an dieser Tatsa-
che nichts, wie es auch keinen Deutschen türkischer … Abstammung gibt. Im
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übertragenen Sinn ist das so zu verstehen, daß aus einem Pinscher, der sich
am Napf einer Dogge satt frißt, noch lange nicht selbige wird.“
Auch in diesem Zusammenhang greift es wiederum erheblich zu kurz, wenn der
Antragsteller gegen die Berücksichtigung der - unter anderem bei seinem Vor-
sitzenden und einem weiteren Funktionsträger - aufgefundenen Schulungstexte
(Anl. 107, 115 und 15, 116, 117) einwendet, diese hätten in die Vereinstätigkeit
keinen Eingang gefunden. Im Übrigen verharmlost der Antragsteller die aufge-
führten Dokumente in unzulässiger Weise, wenn er meint, diesen einen rassis-
tischen Inhalt absprechen und ihren Sinn auf unverfängliche Aussagen zum
Bauernstand (Anl. 33), zur Abstammung (Anl. 109, 110 und 111 bis 114), zur
Homogenität der Bevölkerung (Anl. 106) und zur Staatsbürgerschaft (Anl. 7) be-
schränken zu können. Der Gesamtzusammenhang offenbart vielmehr, dass der
Antragsteller von rassistischem Gedankengut geprägt ist.
(6) Der Antragsteller propagiert überdies antisemitische Thesen.
Unter dem Titel „Der Nahe Osten …“ (Robert, FF Nr. 4/2006 und Nr. 1/2007,
S. 14, Anl. 7) findet sich im Zusammenhang mit der Beschreibung der Ursachen
des dortigen Konflikts folgende Beschreibung: „Ihrem nomadisches Wesen fol-
gend, zogen die Juden nun in alle Welt aus, um in den anderen Völkern zu
Wohlstand zu kommen. Dies taten sie sehr selten durch tüchtige Arbeit.“ In
einem nicht mit einem Verfassernamen versehenen „Einwurf“ in der Vereins-
zeitschrift (FF Nr. 1/2008, S. 5, Anl. 22) wird Anne Frank verspottet: „Der Baum
von Anne Frank, eine hohle alte Eiche, ist immernoch der Gefahr ausgesetzt,
bald gefällt zu werden. Diese verhält sich also ähnlich, wie die sagenumwobe-
nen Geschichten um das kleine Mädchen und ihrem Tagebuch.“
In dem bereits angeführten Text des Vorsitzenden des Antragstellers über Horst
Wessel (Anl. 30) wird erwähnt, dieser habe „schon als Kind jüdische Spe-
kulanten und Wucherer, die degenerierte Unterwelt der Reichshauptstadt“ ge-
sehen. Weiter heißt es in einer auf dem Rechner des Vereinsvorsitzenden auf-
gefundenen, offensichtlich von diesem verfassten Buchbesprechung (Anl. 90):
„(Der Autor) erblickt im 'Holocaust' den Ausfluß einer Haßpropaganda, die in der
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Geldpolitik des Dritten Reiches ihre Wurzeln hat. Nach Überzeugung des Au-
tors gilt diese Holocaust-Propaganda auch heute noch der Geldpolitik des
Dritten Reiches, durch deren Wiederentdeckung sich die weltweite jüdische
Geldherrschaft in ihrer Existenz bedroht sähe.“ Das Vereinsmitglied D. N.
schreibt in ihrer Ausarbeitung „Hatte Deutschland Schuld am Ausbruch des
Zweiten Weltkrieges?" (Anl. 87), im März 1933 habe es eine „Kriegserklärung
des Weltjudentums an Deutschland“ gegeben und führt aus: „Nachdem dieser
Artikel erschienen war, kam es am 01.04.1933 lediglich einen Tag lang zu Boy-
kotten gegenüber jüdischen Geschäften in Deutschland, was in Anbetracht der
ungeheuerlichen Dimension der jüdischen Kriegserklärung nur als harmlos be-
zeichnet werden kann. … Erst 1938, als ein polnischer Jude einen deutschen
Botschaftsangehörigen in Paris erschoß, verschlechterte sich die Stimmung
gegen die Juden und gipfelte schließlich in der sog. 'Reichskristallnacht'. … (Es
gab aber) 1. nur eine Reichskristallnacht (und nicht etwa mehrere) und 2. muß
man die Vorgeschichte zu dieser Nacht liefern, um die Beweggründe der Deut-
schen nachvollziehen zu können.“
Nach polizeilichen Erkenntnissen ist in Veranstaltungen, die von dem An-
tragsteller oder mit seiner Beteiligung durchgeführt wurden, der nationalsozialis-
tische Propagandafilm „Der ewige Jude“ aufgeführt worden (Anl. 126, 127).
Dem von dem Antragsteller gegen zwei der genannten Dokumente (Anl. 30 und
90) erhobenen Einwand, sie seien als Textdatei nicht von seinem Vorsitzenden,
sondern von dessen Ehefrau abgespeichert worden, kann - wie bereits oben
erwähnt - jedenfalls in dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine Re-
levanz nicht zukommen. Anhaltspunkte dafür, dass die Behauptung des An-
tragstellers zutreffen könnte, die polizeilichen Berichte über Vorführungen des
Films „Der ewige Jude“ (Anl. 126, 127) seien falsch, sind nicht ersichtlich. Um
nicht angebrachte Verharmlosungen handelt es sich, wenn der Antragsteller
veröffentlichte Artikel den Bereichen der Albernheit (Anl. 7) oder der Satire
(Anl. 22) zuordnet oder sie als bloße Reaktion auf historische Berichte darstellt
(Anl. 87).
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(7) Der Antragsteller nimmt schließlich eine kämpferisch-aggressive Haltung
gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung ein. Dies kommt in der bereits
zitierten Äußerung des Vereinsvorsitzenden (Anl. 21) zum Ausdruck, in der er
die Mitglieder dazu auffordert, sich als „Kämpfer von fanatischer Besessenheit
und zäher Ausdauer“ zu erweisen. Diese Aufforderung ergänzt er in einem auf
seinem Rechner gespeicherten Text (Anl. 130): „Seien wir unserem Volk ehrli-
che und wehrhafte Männer, die das Leben achten und den Tod nicht fürchten.“
In einer weiteren, bereits zitierten Textdatei (Anl. 70) fügt er hinzu: „Es ist Krieg
gegen Deutschland, Krieg gegen unser Volk. … Und diesen Krieg möchte ich
ganz gerne gewinnen.“ Eine vergleichbare Radikalität bricht sich in dem Artikel
„Revolution“ (Jörg, FF Nr. 4/2005, S. 8, Anl. 21) Bahn, wenn dort dargelegt wird:
„Wir sind nicht angetreten, um in unserer Gemeinschaft nette Lager, Fahrten,
Heimabende oder Feierstunden zu erleben, sondern um unsere Fußspuren in
der Geschichte zu hinterlassen. … Ein revolutionärer Akt, … Scheuen wir uns
also nicht vor diesem Begriff.“
bb) Richtet sich der Antragsteller nach alledem im Sinne des Verbotsgrundes
des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 2 GG gegen die
verfassungsmäßige Ordnung, kommt es für das Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes nicht mehr darauf an, ob er - wie das Bundesministerium des
Innern in der angefochtenen Verfügung annimmt - auch im Sinne des Verbots-
grundes nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 1 GG
mit seinen Zwecken oder seiner Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderläuft.
cc) Die Verbotsverfügung weist nach summarischer Prüfung auch sonst keine
rechtlichen Mängel auf. Insbesondere wahrt sie den Grundsatz der Verhältnis-
mäßigkeit. Die weiteren in der Verfügung getroffenen und mit der Anordnung
der sofortigen Vollziehung versehenen Regelungen (Auflösung, Verbot der Bil-
dung von Ersatzorganisationen, Kennzeichenverbot, Beschlagnahme des Ver-
einsvermögens) finden ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 und
Satz 2 Nr. 1, § 8 Abs. 1 und § 9 Abs. 1 Satz 1 VereinsG. Die Klage des An-
tragstellers wird auch insoweit voraussichtlich keinen Erfolg haben.
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c) Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist auch nicht
auf Grund einer weiteren Abwägung der widerstreitenden Interessen der Betei-
ligten geboten. Die mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung für den An-
tragsteller verbundene Beschränkung, seine Vereinstätigkeit bis zur Entschei-
dung der Hauptsache nicht fortsetzen zu dürfen, hat besonderes Gewicht. Die-
sem Nachteil stehen die Gefahren gegenüber, die für die Allgemeinheit bei
Fortsetzung der Vereinstätigkeit bestehen, wenn sich im gerichtlichen Hauptsa-
cheverfahren die in der Verbotsverfügung getroffene Einschätzung endgültig als
zutreffend erweist, dass der Antragsteller sich gegen die verfassungsmäßige
Ordnung richtet. Diese Gefahren sind höher zu gewichten als die für den
Antragsteller mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung einhergehenden Be-
lastungen. Sie rechtfertigen auch die Annahme der besonderen Dringlichkeit
der Vollziehung der Verfügung (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 15. Juni 1989
- 2 BvL 4/87 - BVerfGE 80, 244 <254 f.>).
2. Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und
Beiordnung eines Rechtsanwalts ist jedenfalls mangels hinreichender Er-
folgsaussicht abzulehnen, weil das Begehren auf Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes aus den vorstehenden Gründen keinen Erfolg hat (§ 166
VwGO i.V.m. § 114 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des
Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Bardenhewer
Dr. Bier
Dr. Möller
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Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Vereinsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
GG
Art. 9 Abs. 2
VereinsG
§ 3 Abs.1, § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1
Stichworte:
Vereinsverbot, verfassungsmäßige Ordnung, Wesensverwandtschaft mit dem
Nationalsozialismus.
Leitsatz:
Zum Verbot des Vereins „Heimattreue Deutsche Jugend - Bund zum Schutz für
Umwelt, Mitwelt und Heimat e.V.“ wegen einer Wesensverwandtschaft mit dem
Nationalsozialismus, insbesondere mit der früheren Hitlerjugend.
Beschluss des 6. Senats vom 11. August 2009 - BVerwG 6 VR 2.09