Urteil des BVerwG vom 08.07.2014

Stiftung, Aufschiebende Wirkung, Libanon, Organisation

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 VR 1.14
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Juli 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller und Hahn
beschlossen:
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstel-
lers gegen die Verfügung des Bundesministeriums des In-
nern vom 2. April 2014 wird mit folgenden Maßgaben wie-
derhergestellt:
a) Der Antragsteller darf der im Libanon ansässigen
Shahid Stiftung keine Gelder oder Sachgüter überlassen
und in keiner Weise mit dieser Stiftung zusammenarbei-
ten.
b) Der Antragsteller hat - beginnend mit dem 20. August
2014 - bis zum zehnten Werktag eines jeden Monats eine
Aufstellung der einzelnen Beträge seiner Einnahmen und
Ausgaben des Vormonats - bei den Ausgaben unter An-
gabe des Empfängers und des Verwendungszwecks - bei
dem Bundesministerium des Innern vorzulegen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander auf-
gehoben.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15 000 €
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antragsteller ist ein eingetragener Verein. Er sieht nach seiner Satzung
seinen Zweck darin, die Familien und Kinder von Kriegsgefallenen, Verstorbe-
nen und Körperbehinderten - vor allem solchen im Libanon - zu unterstützen.
Weiterer Zweck ist nach der Satzung die Organisation und Schaffung von
Nachhilfemöglichkeiten insbesondere für Schüler mit sogenanntem Migrations-
hintergrund unabhängig vom jeweils besuchten Schultyp.
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Mit Verfügung vom 2. April 2014 stellte das Bundesministerium des Innern unter
Berufung auf § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG
fest, dass der Antragsteller sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung
richte, deshalb verboten sei und aufgelöst werde. Zur Begründung führte das
Bundesministerium im Wesentlichen aus, der Antragsteller leite seit langem und
in beträchtlichem Umfang Spendengelder an die im Libanon ansässige Shahid
Stiftung weiter, die Teil der Hizb Allah sei. Die Hizb Allah sei eine gegen den
Gedanken der Völkerverständigung gerichtete Organisation, die das Existenz-
recht Israels verneine und gewalttätig gegen den israelischen Staat vorgehe.
Dadurch, dass der Antragsteller durch das Sammeln und Bereitstellen von
Spendengeldern für die Shahid Stiftung zur Sicherung des Lebensunterhalts
der Hinterbliebenen von gefallenen Hizb Allah-Kämpfern beitrage, unterstütze
und fördere er zweckgerichtet die gewaltsamen Aktivitäten der Hizb Allah gegen
Israel und verstoße damit selbst gegen den Gedanken der Völkerverständi-
gung.
Der Antragsteller hat am 6. Mai 2014 Klage gegen die Verbotsverfügung erho-
ben (Az.: BVerwG 6 A 5.14) und am selben Tag um die Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes durch Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Kla-
ge nachgesucht.
II
Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO statthafte und
auch sonst zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wir-
kung der Klage hat mit den aus der Beschlussformel ersichtlichen Maßgaben
Erfolg.
Bei der im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmen-
den Interessenabwägung gebührt dem Interesse des Antragstellers am Auf-
schub der Vollziehung der Verbotsverfügung bei Beachtung der bezeichneten
Maßgaben der Vorrang vor dem von der Antragsgegnerin geltend gemachten
öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung.
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Nach der in dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotenen
und möglichen summarischen Prüfung sind die Erfolgsaussichten der Klage
gegen die Verbotsverfügung offen.
Die Tätigkeit des Antragstellers, durch die die Antragsgegnerin den Verbots-
grund der Völkerverständigungswidrigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3
VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG durch den Antragsteller verwirklicht
sieht, besteht in der Sammlung und Weiterleitung von Spendengeldern, die,
was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, unmittelbar sozialen bzw. karita-
tiven Zwecken zugute kommen, jedoch deshalb, weil sie einer Stiftung zur Ver-
fügung gestellt werden, die - nach Einschätzung der Antragsgegnerin - Teil
einer völkerverständigungswidrigen Organisation ist, mittelbar die von dieser
Organisation ausgehende Gewalt unterstützen.
Die Tragfähigkeit des Verbotsgrunds der Völkerverständigung für ein derart be-
gründetes Verbot hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung vor dem
Hintergrund des Grundrechts der Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG und
des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur unter sehr
engen Voraussetzungen und auf einer konsistenten Grundlage von Indizien
bejaht (Urteil vom 3. Dezember 2004 - BVerwG 6 A 10.02 - NVwZ 2005, 1435
und darauf aufbauend: Urteil vom 18. April 2012 - BVerwG 6 A 2.10 - NVwZ
2012, 648).
Der Senat hat in der bezeichneten Rechtsprechung, die die Unterstützung der
in den palästinensischen Gebieten tätigen HAMAS durch die Förderung der ihr
zuzuordnenden Sozialvereine betrifft, im Rahmen des objektiven Tatbestands
des Verbotsgrunds der Völkerverständigungswidrigkeit insbesondere folgende
Gesichtspunkte untersucht und unter eingehender Würdigung der dazu von der
Verbotsbehörde beigebrachten Indizien bejaht: Den vor allem durch ihren militä-
risch-terroristischen Bereich begründeten völkerverständigungswidrigen Cha-
rakter der HAMAS, die Gleichwertigkeit der militärischen, politischen und sozia-
len Handlungsebenen der HAMAS und ihre Verschmelzung zu einer Einheit
sowie die vor allem durch personelle Verflechtungen und die Übernahme von
ideologischen Grundüberzeugungen gewährleistete Einordnung der sogenann-
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ten Sozialvereine in das Gesamtgefüge der HAMAS. Nur unter diesen Voraus-
setzungen hat der Senat mit einer humanitären Zweckbindung versehene und
entsprechend verwandte Zuwendungen wegen ihrer die Akzeptanz der HAMAS
steigernden und sie finanziell entlastenden Wirkung als zur Ausfüllung des ob-
jektiven Tatbestands des Verbotsgrunds der Völkerverständigungswidrigkeit
geeignet angesehen. Hinzukommen muss die Erfüllung der subjektiven
Voraussetzungen des Verbotstatbestands in Gestalt eines vorsätzlichen Han-
delns hinsichtlich der den Unterstützungsvorwurf begründenden Umstände und
einer Identifizierung mit der HAMAS einschließlich der von ihr verübten Gewalt-
taten. Die abschließende Beurteilung der Frage, ob sämtliche Voraussetzungen
erfüllt sind, hat der Senat wegen des Umfangs der erforderlichen rechtlichen
und vor allem tatsächlichen Überprüfungen durchweg dem jeweiligen Hauptsa-
cheverfahren vorbehalten (Beschlüsse vom 16. Juli 2003 - BVerwG 6 VR
10.02 - juris und vom 27. Juni 2011 - BVerwG 6 VR 4.10 - juris).
Auch im vorliegenden Fall ist die Frage der Erfüllung des Verbotsgrunds der
Völkerverständigungswidrigkeit nach den Maßstäben des vorläufigen Rechts-
schutzverfahrens nicht eindeutig zu beurteilen, zumal nicht nur wie zuletzt im
Verhältnis des Urteils vom 18. April 2012 - BVerwG 6 A 2.10 - zu demjenigen
vom 3. Dezember 2004 - BVerwG 6 A 10.02 - eine bloße Fortschreibung der
auf die Organisation der HAMAS und ihre sogenannten Sozialvereine in den
palästinensischen Gebieten bezogenen Erkenntnisse, sondern die erstmalige
Beurteilung der Hizb Allah und der Shahid Stiftung im Libanon in Rede steht.
Ob dies durch eine unveränderte Übertragung der bisher aufgestellten rechtli-
chen Maßstäbe geschehen kann und ob sich die von der Antragsgegnerin bei-
gebrachten Indizien in jeder Hinsicht als tragfähig erweisen, bedarf der intensi-
ven Prüfung in dem anhängigen Hauptsacheverfahren.
Die diese Prüfung erfordernde Eigenart des zur Entscheidung stehenden Ver-
fahrens spiegelt sich in den Indizien wider, die die Antragsgegnerin in der ange-
fochtenen Verbotsverfügung und in ihrer Antragserwiderung vom 5. Juni 2014
in beachtlicher Zahl zur Ausfüllung der in der Rechtsprechung des Senats auf-
gestellten Maßstäbe beigebracht hat. Beispielhaft kann darauf verwiesen wer-
den, dass in den bisher entschiedenen Fällen die Einbindung der sogenannten
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Sozialvereine in die HAMAS ganz wesentlich in Gestalt von personellen Ver-
flechtungen zum Ausdruck kam. Vergleichbare Verflechtungen zwischen der
Hizb Allah und der Shahid Stiftung hat die Antragsgegnerin bisher nicht aufge-
zeigt. Sie sieht einen entscheidenden Beleg für die Einbindung der Shahid Stif-
tung in die Hizb Allah vielmehr in dem sowohl von Seiten der Hizb Allah als
auch von Seiten der Shahid Stiftung auf die Feindschaft gegenüber Israel aus-
gerichteten Märtyrergedanken (Verbotsverfügung S. 6 f., 10, 13 ff.; Antragser-
widerung S. 28 ff.). Insoweit kann aber jedenfalls nicht unberücksichtigt bleiben,
dass, was die Ausrichtung der Hizb Allah anbelangt, in letzter Zeit neben den
Konflikt mit Israel die Einbeziehung in die kriegerischen Handlungen in Syrien
bzw. in deren Auswirkungen im Libanon getreten ist. Die durch das Vorbringen
des Antragstellers in der Antragsschrift vom 5. Mai 2014 (S. 10) aufgeworfene
Frage, was dieser Umstand für die Frage einer Verbindung zwischen Hizb Allah
und Shahid Stiftung bedeutet, bedarf weiterer Untersuchung. Die Antragsgeg-
nerin hat sich hierzu bisher nur im Zusammenhang mit dem subjektiven Tatbe-
stand des Verbotsgrunds der Völkerverständigungswidrigkeit verhalten (Ver-
botsverfügung S. 26 f., Antragserwiderung S. 59 ff., 69 ff.). In diesem Zusam-
menhang hat ferner der Einwand des Antragstellers (Antragsschrift S. 10 f.), die
Tätigkeit der Shahid Stiftung sei, wie etwa der Betrieb eines großen Kranken-
hauses in Beirut belege, nicht auf die Versorgung von Waisenkindern und Hin-
terbliebenen beschränkt, in den Darlegungen der Antragsgegnerin bislang keine
hinreichende Berücksichtigung gefunden.
Die sofortige Vollziehung der Verbotsverfügung aufrecht zu erhalten, obwohl die
Erfolgsaussichten der Klage offen sind, wäre mit dem Gebot effektiven Rechts-
schutzes nur dann vereinbar, wenn die mit der Anordnung der sofortigen Voll-
ziehung verbundene Rechtsbeeinträchtigung des Antragstellers mit hinreichend
gewichtigen Gründen des Allgemeinwohls zu rechtfertigen wäre. Dies ist nicht
der Fall. Dem Anliegen der Antragsgegnerin, bereits vor der Entscheidung in
der Hauptsache eine Fortsetzung der Tätigkeiten des Antragstellers zu unter-
binden, die Anlass der erlassenen Verbotsverfügung sind, wird vielmehr durch
die in der Beschlussformel bezeichneten Maßgaben hinreichend Rechnung ge-
tragen. Diese Maßgaben werden wiederum durch den Vortrag des Antragstel-
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lers (Antragsschrift S. 16) nahegelegt, er habe die Zusammenarbeit mit anderen
Partnerorganisationen im Libanon niemals ausgeschlossen.
Kommt der Antragsteller den in der Beschlussformel bezeichneten Maßgaben
nicht nach oder arbeitet er mit einer Organisation im Libanon zusammen, gegen
die die Antragsgegnerin nach ihrer Bewertung durchgreifende Einwände vorzu-
bringen in der Lage ist, kann die Antragsgegnerin einen Änderungsantrag nach
§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO stellen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO. Die Fest-
setzung des Wertes des Streitgegenstands beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52
Abs. 1 GKG.
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