Urteil des BVerwG vom 30.05.2012

Berufsbildungsgesetz, Beamtenverhältnis, Widerruf, Jugend

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 PB 7.12
OVG 61 PV 6.10
In der Personalvertretungssache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Mai 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge und Dr. Möller
beschlossen:
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen die Nichtzu-
lassung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Ober-
verwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg - Fachsenat für
Personalvertretungssachen des Landes Brandenburg -
vom 16. Februar 2012 wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen die Nichtzulassung der Rechtsbe-
schwerde durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 95 Abs. 2 BrbgPersVG
i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg. Die allein erhobene Grundsatzrü-
ge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG greift nicht durch. Die in
der Beschwerdebegründung aufgeworfene Rechtsfrage hat keine grundsätzli-
che Bedeutung.
Der Beteiligte zu 1 will geklärt wissen, ob § 9 Abs. 2 BPersVG auch für Beamte
auf Widerruf im Vorbereitungsdienst des gehobenen Dienstes einen Anspruch
auf Weiterbeschäftigung im Angestelltenverhältnis gibt. Diese Frage ist eindeu-
tig zu verneinen, so dass es ihrer Klärung in einem Rechtsbeschwerdeverfah-
ren nicht bedarf.
1. Das streitige Begehren richtet sich nach § 9 BPersVG (§ 9 BrbgPersVG
i.V.m. § 107 Satz 2 BPersVG). Hieran hat das am 1. September 2006 in Kraft
getretene Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006,
BGBl I S. 2034, nichts geändert (vgl. Beschluss vom 21. Februar 2011
- BVerwG 6 P 12.10 - BVerwGE 139, 29 = Buchholz 250 § 9 BPersVG Nr. 42
Rn. 9 ff.).
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2. Die Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung von Ju-
gendvertretern bezieht sich nach § 9 Abs. 1 BPersVG eindeutig auf Beschäftig-
te in einem Berufsausbildungsverhältnis nach dem Berufsbildungsgesetz, dem
Krankenpflegegesetz und dem Hebammengesetz. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 BBiG
gilt das Berufsbildungsgesetz nicht für die Berufsbildung in einem öffentlich-
rechtlichen Dienstverhältnis. Eine Berufsausbildung nach dem Berufsbildungs-
gesetz ist daher nicht der Vorbereitungsdienst im Beamtenverhältnis auf Wider-
ruf (vgl. Beschluss vom 4. September 1995 - BVerwG 6 P 20.93 - Buchholz
251.7 § 26 NWPersVG Nr. 1 S. 8; BAG, Urteil vom 23. August 1984 - 6 AZR
519/82 - BAGE 46, 270 <280>; Faber, in: Lorenzen/Etzel/Gerhold/Schlatmann/
Rehak/Faber, Bundespersonalvertretungsgesetz, Stand Januar 2012, § 9
Rn. 23; Altvater/Peiseler, in: Altvater/Baden/Kröll/Lemcke/Peiseler, Bundesper-
sonalvertretungsgesetz, 7. Aufl. 2011, § 9 Rn. 2; Ilbertz/Widmaier, Bundesper-
sonalvertretungsgesetz, 11. Aufl. 2008, § 9 Rn. 4; Fischer/Goeres/Gronimus, in:
GKÖD Band V, Stand Januar 2012, K § 9 Rn. 9; Treber, in: Richardi/Dörner/
Weber, Personalvertretungsrecht, 3. Aufl. 2008, § 9 Rn. 8).
3. Für die analoge Anwendung der Regelung in § 9 BPersVG auf Ausbildungen
im Beamtenverhältnis fehlt es an einer planwidrigen Lücke.
a) Dagegen spricht schon die Bezugnahme auf das Berufsbildungsgesetz mit
seinem Ausschluss öffentlich-rechtlicher Ausbildungsverhältnisse und auf zwei
weitere Spezialgesetze über privatrechtlich zu gestaltende Berufsausbildungen.
Die Gesetzgebungsgeschichte bestätigt dies. Durch das Gesetz zur Bildung
von Jugend- und Auszubildendenvertretungen in den Verwaltungen vom
13. Juli 1988, BGBl I S. 1037, ist § 9 Abs. 1 BPersVG um die Ausbildungen
nach dem Krankenpflegegesetz und dem Hebammengesetz ergänzt worden.
Damit hat der Gesetzgeber darauf reagiert, dass die Auszubildenden nach dem
Krankenpflegegesetz und dem Hebammengesetz mit der Novellierung dieser
Gesetze aus dem Schutzbereich des § 9 BPersVG herausgefallen waren (vgl.
§ 22 KrPflG und § 26 HebG; BTDrucks 11/2480 S. 4 und 11). Daran wird deut-
lich, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf Ausbildungen, die denjenigen nach
dem Berufsbildungsgesetz vergleichbar sind, um Vollständigkeit bemüht war
(vgl. in diesem Zusammenhang Urteil vom 31. Mai 1990 - BVerwG 6 P 16.88 -
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Buchholz 250 § 9 BPersVG Nr. 8 S. 26 ff.). Auf Berufsausbildungen, welche
ihre Grundlage in den Beamtengesetzen des Bundes und der Länder finden,
bezog sich diese Einstellung des Gesetzgebers offensichtlich nicht.
b) Die Annahme einer planwidrigen Lücke verbietet sich ebenfalls mit Blick auf
die allgemeine Systematik des Bundespersonalvertretungsgesetzes. Danach
hat der Gesetzgeber berücksichtigt, dass es in der öffentlichen Verwaltung mit
den Beamten und Arbeitnehmern zwei durchaus verschiedene Gruppen von
Beschäftigten gibt (§§ 4, 5 BPersVG), und dementsprechend sowohl gruppen-
übergreifende als auch gruppenspezifische Regelungen getroffen. Gruppen-
spezifisch angelegt sind namentlich beteiligungspflichtige personelle Einzel-
maßnahmen, welche ausdrücklich oder sinngemäß entweder für Arbeitnehmer
(§ 75 Abs. 1, § 79 Abs. 1 und 2 BPersVG) oder für Beamte (§ 76 Abs. 1, § 78
Abs. 1 Nr. 3 bis 5 BPersVG) vorgesehen sind. Eine differenzierende Regelung
betrifft die Rechtsstellung der Personalratsmitglieder selbst. Während sich der
Schutz vor außerordentlicher Kündigung naturgemäß nur auf die Arbeitnehmer-
vertreter beziehen kann (§ 47 Abs. 1 BPersVG), erstreckt sich der Schutz vor
Versetzungen und Abordnungen auf Arbeitnehmer- und Beamtenvertreter glei-
chermaßen (§ 47 Abs. 2 BPersVG). Im vorliegenden Zusammenhang beson-
ders auffällig ist, dass der Gesetzgeber beim aktiven und passiven Wahlrecht
für die Jugend- und Auszubildendenvertretungen nicht den engen Auszubilden-
denbegriff in § 9 Abs. 1 BPersVG zu Grunde legt, sondern auf den weiten, Be-
rufsausbildungen aller Art umfassenden Beschäftigtenbegriff in § 4 Abs. 1
BPersVG zurückgreift (§§ 57, 58 BPersVG). Die bewusste, das Gesetz als
Ganzes durchziehende Unterteilung der Regelungen in gruppenübergreifende
und gruppenspezifische schließt die Annahme aus, der Gesetzgeber habe den
Weiterbeschäftigungsschutz in § 9 BPersVG nicht auf privatrechtliche Ausbil-
dungsverhältnisse beschränken wollen.
c) Eine Analogie ist schließlich nicht zur Herbeiführung eines verfassungskon-
formen Ergebnisses geboten. Dies gilt jedenfalls, soweit es wie im vorliegenden
Fall um den Vorbereitungsdienst für den gehobenen Dienst geht. Dass die Ab-
solventen einer solchen Ausbildung nicht den Weiterbeschäftigtenschutz des
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§ 9 BPersVG genießen, verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz,
weil es dafür eine sachliche Rechtfertigung gibt.
Der Beteiligte zu 1 hat nach Maßgabe der einschlägigen laufbahnrechtlichen
Bestimmungen einen dreijährigen Vorbereitungsdienst in einem Studiengang
am Fachbereich Sozialversicherung der Fachhochschule des Bundes für öffent-
liche Verwaltung absolviert. Seine Ausbildung war daher durch ein Hochschul-
studium geprägt und unterfiel auch aus diesem Grunde nicht dem Anwen-
dungsbereich des Berufsbildungsgesetzes (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 BBiG). Absolventen
von Ausbildungen eines derartigen Qualifikationsniveaus sind unter dem Ge-
sichtspunkt des § 9 BPersVG nicht in gleicher Weise schutzwürdig wie nach
dem Berufsausbildungsgesetz ausgebildete Personen.
Sinn und Zweck der Regelung in § 9 BPersVG gehen dahin, den Jugendvertre-
ter von nachteiligen Folgen seiner Amtsausübung zu schützen und die Kontinui-
tät der Gremienarbeit sicherzustellen (vgl. Beschluss vom 21. Februar 2011
a.a.O. Rn. 30 m.w.N.). Der letztgenannte „kollektive“ Schutzzweck ist unabhän-
gig vom Qualifikationsniveau der jeweiligen Ausbildung gewahrt. Für den erst-
genannten „individuellen“, auf die Person des Jugendvertreters bezogenen
Schutzzweck gilt das nicht in gleicher Weise. Bei typisierender Betrachtungs-
weise darf der Gesetzgeber zu Grunde legen, dass Absolventen einer berufs-
qualifizierenden Ausbildung mit Hochschulniveau im Vergleich zu Absolventen
anderer Ausbildungen einem geringeren Risiko ausgesetzt sind, nach Ab-
schluss der Ausbildung über einen nennenswerten Zeitraum ohne Beschäfti-
gung zu bleiben. Dies rechtfertigt zugleich die Annahme, dass Auszubildende
für den gehobenen Dienst als Jugendvertreter sich auch ohne den besonderen
Weiterbeschäftigungsschutz nach § 9 BPersVG durchweg nachhaltig für die
Belange der von ihnen vertretenen jugendlichen Beschäftigten und Auszubil-
denden einsetzen werden (§§ 57, 61 BPersVG). Schutzlos sind auch solche
Jugendvertreter nicht. Sie dürfen bei der Entscheidung über eine etwaige An-
schlussbeschäftigung nicht wegen ihrer personalvertretungsrechtlichen Funk-
tion benachteiligt werden (§ 8 BrbgPersVG und § 107 Satz 1 BPersVG).
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d) Die in der Beschwerdebegründung vorgetragenen unionsrechtlichen Ge-
sichtspunkte geben keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Die
Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 regelt spezielle Dis-
kriminierungsverbote u.a. wegen des Alters. Ausschließlich dazu verhalten sich
das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 8. September 2011
- Rs. C-297/10 und C-298/10 - sowie die in der Beschwerdebegründung weiter
zitierten drei Urteile erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte. Das Urteil des Euro-
päischen Gerichtshofs vom 3. Mai 2012 - Rs. C-337/10 - befasst sich mit der
Auslegung der Richtlinie 2003/88/EG im Zusammenhang mit der Frage, ob ei-
nem Beamten, der in den letzten zwei Jahren vor Eintritt in den Ruhestand
dienstunfähig war, eine Urlaubsabgeltung zusteht. Aus alledem ergeben sich
keine Aussagen zur hier in Rede stehenden Fallgestaltung.
Neumann
Büge
Dr. Möller
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Personalvertretungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquelle:
BPersVG
§ 9
Stichworte:
Weiterbeschäftigung eines Jugendvertreters; Beamtenverhältnis auf Widerruf;
Vorbereitungsdienst für den gehobenen Dienst.
Leitsatz:
Jugendvertreter, die im Beamtenverhältnis auf Widerruf einen Vorbereitungs-
dienst für den gehobenen Dienst absolviert haben, genießen nicht den Weiter-
beschäftigungsschutz nach § 9 BPersVG.
Beschluss des 6. Senats vom 30. Mai 2012 - BVerwG 6 PB 7.12
I. VG Potsdam
vom 24.08.2010 - Az.: VG 21 K 1881/08.PVL -
II. OVG Berlin-Brandenburg
vom 16.02.2012 - Az.: OVG 61 PV 6.10 -