Urteil des BVerwG vom 28.05.2009

Entziehen, Form, Rechtsquelle, Effektivität

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 PB 5.09
VGH PL 15 S 7/07
In der Personalvertretungssache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Mai 2009
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge, Vormeier und Dr. Möller
beschlossen:
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Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulas-
sung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Verwal-
tungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 27. Januar
2009 wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbe-
schwerde durch den Verwaltungsgerichtshof gemäß § 86 Abs. 2 BaWüPersVG
i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg.
1. Die Abweichungsrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 2, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG
greift nicht durch. Der angefochtene Beschluss weicht nicht von dem in der Be-
schwerdebegründung zitierten Senatsbeschluss vom 9. Dezember 1998
- BVerwG 6 P 6.97 - (BVerwGE 108, 135 = Buchholz 251.5 § 74 HePersVG
Nr. 2) ab.
Nach dieser Senatsentscheidung sind Gegenstand der Mitbestimmung bei der
Lohngestaltung die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren
Vollzugsformen, d.h. die abstrakt-generellen Grundsätze der Entgeltfindung
(a.a.O. S. 146 bzw. S. 13; ebenso Beschluss vom 20. November 2008
- BVerwG 6 P 17.07 - juris Rn. 11 m.w.N.). Dabei ist unter Entlohnungs-
grundsätzen das System, nach dem das Arbeitsentgelt bemessen werden soll,
und unter Entlohnungsmethode die Art und Weise der Durchführung des ge-
wählten Entlohnungssystems zu verstehen. Die in der Beschwerdebegründung
zitierte Passage im Senatsbeschluss vom 9. Dezember 1998, wonach die er-
forderliche abstrakt-generelle Regelung im entschiedenen Fall in der Struktur-
entscheidung der Dienststelle zu sehen war, für ihre Außenstelle, also eine
nach objektiven Gesichtspunkten allgemein und umfassend bestimmte Gruppe,
mit bestimmten Ausnahmen ein von der übrigen Dienststelle abweichendes
Vergütungssystem einzuführen (a.a.O. S. 150 bzw. S. 16), bezog sich auf die
Verteilungsgrundsätze: Die Dienststelle hatte entschieden, die bisher nach dem
BAT vergüteten Beschäftigten in ihrer Außenstelle grundsätzlich dem Regel-
werk des BAT-Ost zu unterstellen (a.a.O. S. 148 ff. bzw. S. 15 f.). Eine „Struk-
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turentscheidung“ über die Einführung eines neuen Vergütungssystems ohne
gleichzeitige Aufstellung oder Änderung von Verteilungsgrundsätzen, wie sie
dem Antragsteller ausweislich seiner Ausführungen in der Beschwerdebegrün-
dung offenbar vorschwebt, ist in der zitierten Senatsentscheidung nicht ange-
sprochen.
Einen von den vorstehenden Grundsätzen abweichenden Rechtssatz hat der
Verwaltungsgerichtshof im angefochtenen Beschluss nicht aufgestellt. Vielmehr
ist er von diesen Grundsätzen in seiner Entscheidung ausgegangen. Er hat die
Mitbestimmung verneint, weil sich der Streitgegenstand ausschließlich auf die
Gewährung der freiwilligen Beteiligungsbeträge an die ärztlichen Mitarbeiter
nach §§ 13, 14 der Chefarztverträge bezieht und Grundsätze über die Vertei-
lung dieser Beträge nicht existieren. Rechtssätze aus der Rechtsprechung des
Senats zur Mitbestimmung bei der Lohngestaltung werden damit nicht in Frage
gestellt.
2. Mit der Grundsatzrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG
kommt der Antragsteller gleichfalls nicht zum Zuge.
Er will geklärt wissen, ob die Mitbestimmung bei der Lohngestaltung bei der
kollektiven Strukturentscheidung zur Änderung eines Vergütungsbestandteils
für eine bestimmte Gruppe von Beschäftigten eingreift, wenn bezüglich des
neuen, geänderten Lohnbestandteils keine allgemeinen Verteilungskriterien von
der Dienststelle festgelegt werden.
a) Die aufgeworfene Frage ist bei engem Verständnis bereits nicht als ent-
scheidungserheblich zu betrachten. Denn von ihr hängt die Entscheidung des
Verwaltungsgerichtshofs nicht ab. Nach dessen - insoweit nicht mit zulässigen
und begründeten Rügen angegriffenen - Würdigung bezieht sich das streitige
Begehren des Antragstellers allein auf die Gewährung der freiwilligen Beteili-
gungsbeträge, nicht jedoch auf die vorausgehende Entscheidung des Kranken-
hausträgers über die Neugestaltung der Dienstverträge mit den Leitenden Ärz-
ten und den Abschluss der neuen Chefarztverträge durch den Beteiligten. Auf
dieser Grundlage durfte der Verwaltungsgerichtshof - wie geschehen - die auf-
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geworfene Frage offenlassen (S. 12 des Beschlussabdrucks unter Bezugnahme
auf S. 6 des erstinstanzlichen Beschlusses).
b) Der Antragsteller will jedoch, wie insbesondere seine Hinweise auf die
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zeigen, ferner geklärt wissen, ob
sich der Dienststellenleiter der Mitbestimmung des Personalrats bei der Lohn-
gestaltung dadurch entziehen kann, dass er einer nennenswerten Anzahl von
Beschäftigten übertarifliche Leistungen gewährt, ohne für deren Verteilung ab-
strakt-generelle Regeln zu erlassen. Diese Frage ist anhand gesetzlicher Be-
stimmungen und vorliegender Rechtsprechung eindeutig zu verneinen, so dass
es der Klärung in einem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht bedarf.
Im Normalfall knüpft die Mitbestimmung des Personalrats an eine Maßnahme
der Dienststelle an (§ 69 Abs. 1 BaWüPersVG). Demgemäß setzt die Mitbe-
stimmung bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen nach § 79 Abs. 1
Satz 1 Nr. 5 BaWüPersVG voraus, dass der Dienststellenleiter solche Grund-
sätze aufzustellen beabsichtigt. Gewährt er den Beschäftigten übertarifliche
Leistungen, ohne dafür zugleich abstrakt-generelle Kriterien festzulegen, so
fehlt es zwar an der Grundlage für die in § 69 Abs. 1 BaWüPersVG geregelte
reaktive Form der Mitbestimmung. Doch kann der Personalrat sein Mitbestim-
mungsrecht im Wege des Initiativrechts nach § 70 Abs. 1 Satz 1 BaWüPersVG
durchsetzen, welches sich auf die Mitbestimmung bei der Lohngestaltung er-
streckt. Das Initiativrecht ermöglicht dem Personalrat somit, die Aufstellung von
Verteilungsgrundsätzen gegenüber dem Dienststellenleiter zu erzwingen (§ 69
Abs. 3 und 4, § 70 Abs. 1 Satz 2 BaWüPersVG). Es erfüllt damit seinen Zweck,
die Effektivität der Mitbestimmung dort sicherzustellen, wo der Dienststellenlei-
ter untätig bleibt (vgl. Beschluss vom 24. Oktober 2001 - BVerwG 6 P 13.00 -
BVerwGE 115, 205 <211> = Buchholz 251.7 § 66 NWPersVG Nr. 5 S. 5). Im
Geltungsbereich des Personalvertretungsgesetzes Baden-Württemberg kann
sich demnach der Dienststellenleiter der Mitbestimmung des Personalrats bei
der Lohngestaltung nicht dadurch entziehen, dass er übertarifliche Leistungen
nur im Wege individueller Entscheidungen erbringt (vgl. zum Betriebsverfas-
sungsrecht: BAG, Beschlüsse vom 17. Dezember 1985 - 1 ABR 6/84 - BAGE
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50, 313 <318>, vom 24. November 1987 - 1 ABR 57/86 - BAGE 56, 346 <356>
und vom 3. Dezember 1991 - GS 2/90 - BAGE 69, 134 <163>).
Im vorliegenden Fall brauchte der Verwaltungsgerichtshof auf die Thematik des
Initiativrechts nicht einzugehen. Denn die Antragstellung war eindeutig auf eine
Maßnahme des Beteiligten und damit auf die reaktive Form der Mitbestimmung
zugeschnitten.
Büge
Vormeier
Dr. Möller
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Personalvertretungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquelle:
BaWüPersVG
§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5
Stichworte:
Mitbestimmung bei der Lohngestaltung; übertarifliche Leistungen; Verteilungs-
grundsätze.
Leitsatz:
Der Dienststellenleiter kann sich der Mitbestimmung des Personalrats bei der
Lohngestaltung nicht dadurch entziehen, dass er übertarifliche Leistungen nur
im Wege individueller Entscheidungen erbringt.
Beschluss des 6. Senats vom 28. Mai 2009 - BVerwG 6 PB 5.09
I. VG Stuttgart vom 23.04.2007 - Az.: VG PL 21 K 2/07 -
II. VGH Mannheim vom 27.01.2009 - Az.: VGH PL 15 S 7/07 -