Urteil des BVerwG vom 17.02.2010

Versetzung, Weisung, Zukunft, Entscheidungsbefugnis

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 PB 48.09
OVG 16 A 3277/07.PVB
In der Personalvertretungssache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Februar 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge und
Vormeier
beschlossen:
Die Beschwerde des Beteiligten gegen die Nichtzulassung
der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Fachsenats für
Bundespersonalvertretungssachen des Oberverwaltungs-
gerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom
17. November 2009 wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Beteiligten gegen die Nichtzulassung der Rechtsbe-
schwerde durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 83 Abs. 2 BPersVG
i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg.
1. Die Grundsatzrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG greift
nicht durch. Die in der Beschwerdebegründung aufgeworfenen Rechtsfragen
haben keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie in der Senatsrechtsprechung
geklärt sind oder sich anhand ihrer ohne Weiteres beantworten lassen.
a) Zu den in Abschnitt II 1 und 2 der Beschwerdebegründung aufgeworfenen
Rechtsfragen hat der Senat in Randnummer 10 seines Beschlusses vom
30. März 2009 - BVerwG 6 PB 29.08 - (juris) erschöpfend Stellung genommen.
Auf die dortigen Ausführungen, mit welchen der Senat seine Rechtsprechung
zur Entscheidungsbefugnis nachgeordneter Dienststellen zusammengefasst
und - zwecks Ausräumung etwaiger Missverständnisse - präzisiert hat, wird zur
Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Die Ausführungen in der
Beschwerdebegründung geben nur Anlass zu folgenden Anmerkungen:
aa) Auch wenn die nachgeordnete Dienststelle durch eine Weisung der obers-
ten Dienstbehörde strikt gebunden ist, verliert ein bei ihr angesiedeltes Mitbe-
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stimmungsverfahren nicht seinen Sinn. Denn die Bindung erstreckt sich nicht
auf den bei der nachgeordneten Dienststelle gebildeten Personalrat (vgl. Be-
schluss vom 2. September 2009 - BVerwG 6 PB 22.09 - juris Rn. 7). Ebenso
wenig wie der Hauptpersonalrat sich im Mitbestimmungsverfahren die Auffas-
sung der obersten Dienstbehörde von der Recht- und Zweckmäßigkeit der be-
teiligungspflichtigen Maßnahme zu eigen machen muss, muss dies der Perso-
nalrat bei der nachgeordneten Dienststelle tun. Die Unabhängigkeit der Perso-
nalvertretungen erstreckt sich auf alle Ebenen. Im Einklang damit hat der Senat
in Randnummer 32 seines Beschlusses vom 30. März 2009 ausgeführt: „Im
Rahmen der Mitbestimmung nach § 75 Abs. 1 Nr. 3, § 76 Abs. 1 Nr. 4 BPersVG
hat der Personalrat die Rechtmäßigkeit der Versetzung zu überprüfen (§ 77
Abs. 2 Nr. 1 BPersVG). Er ist berechtigt und verpflichtet, seine Zustimmung zu
verweigern, wenn die Versetzung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen oder
tariflichen Voraussetzungen nicht vorliegen oder die Ermessensausübung
Defizite aufweist. Dies gilt auch dann, wenn die Dienststelle mit der be-
absichtigten Versetzung einer generellen Weisung der übergeordneten Dienst-
stelle nachkommen will, weil eine rechtswidrige Maßnahme nicht dadurch
Rechtmäßigkeit erlangen kann, dass sie auf Weisung ergeht.“
bb) Die oberste Dienstbehörde hat im Rahmen der Gesetze die Wahl, ob sie die
Tätigkeit der nachgeordneten Dienststellen über Weisungen steuert oder im
Wege des Selbsteintritts die Entscheidung an sich zieht. Das Personalvertre-
tungsrecht enthält dazu keine eigenständigen Vorgaben. Von welcher der bei-
den Möglichkeiten die oberste Dienstbehörde im Einzelfall Gebrauch gemacht
hat, ist - soweit dazu Anlass besteht - im Wege der Auslegung zu ermitteln.
Dabei ist - worauf das Oberverwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat - auf
den Wortlaut der Willensäußerung (Erlass, Richtlinie usw.), den Sachzusam-
menhang und alle sonstigen relevanten Umstände abzustellen. Eine Einengung
der durch das Organisationsrecht übertragenen Entscheidungsbefugnisse der
obersten Dienstbehörde liegt darin nicht. Diese hat es in der Hand, durch ein-
deutige Aussagen Klarheit zu schaffen.
cc) Der Senat hat nicht verkannt, dass nach Nr. 5 Abs. 1 Satz 1 HE/GA vom
30. November 2006 die betreffenden Mitarbeiter „unter Beibehaltung ihres
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Dienstortes“ versetzt werden sollten. Mit der vom Oberverwaltungsgericht zitier-
ten Passage in Randnummer 33 seines Beschlusses vom 30. März 2009 hat er
- als Beispiel für eine sinnvolle Personalratsbeteiligung - eine Alternative zum
Konzept der Zentrale angesprochen: Es konnte im Einzelfall gute Gründe ge-
ben, die Versetzung in Bezug auf den Dienstort zu modifizieren. Gemeint war
damit eine mit einem Dienstortwechsel verbundene Versetzung zu einer ande-
ren Dienststelle als derjenigen, die in der HE/GA vom 30. November 2006 vor-
gesehen war. So hat auch das Oberverwaltungsgericht die Passage verstanden
(BA S. 7).
b) Gemäß Abschnitt II 3 der Beschwerdebegründung will der Beteiligte geklärt
wissen, ob eine Versetzung dann noch rückgängig gemacht werden kann, wenn
die organisatorische Einheit und die Dienstposten der Mitarbeiter an der
ursprünglichen Dienststelle nicht mehr existieren. Soweit damit überhaupt eine
Rechtsfrage angesprochen ist, ist sie eindeutig zu bejahen.
aa) Die Fragestellung zielt auf das Rechtsschutzbedürfnis nicht nur für den
zweiten, im Beschwerdeverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht zusätzlich
gestellten Antrag, sondern auch für den ersten Antrag, mit welchem der An-
tragsteller sein Mitbestimmungsrecht für die zum 1. März 2007 vollzogenen
Versetzungen festgestellt wissen will. Es fehlt am Rechtsschutzbedürfnis, wenn
die Feststellung begehrt wird, dass an einer bestimmten, bereits abgeschlosse-
nen Maßnahme ein Beteiligungsrecht bestanden hat, falls die Maßnahme im
Zeitpunkt der Entscheidung keine Rechtswirkung mehr entfaltet (vgl. Beschluss
vom 9. Juli 2007 - BVerwG 6 P 9.06 - Buchholz 250 § 46 BPersVG Nr. 30
Rn. 13). Dagegen ist das Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen, wenn die fragliche
Maßnahme zwar vollzogen wurde, aber fortwirkt und für die Zukunft rückgängig
gemacht oder abgeändert werden kann; dies muss tatsächlich möglich und
rechtlich zulässig sein (vgl. Beschlüsse vom 20. Januar 1993 - BVerwG 6 P
18.90 - Buchholz 251.0 § 79 BaWüPersVG Nr. 14 S. 32, vom 16. September
1994 - BVerwG 6 P 32.92 - BVerwGE 96, 355 <357 f.> = Buchholz 251.9 § 80
SaarPersVG Nr. 2 S. 8, vom 9. November 1998 - BVerwG 6 P 1.98 - Buchholz
250 § 75 BPersVG Nr. 96 S. 45 f. und vom 23. August 2007 - BVerwG 6 P
7.06 - Buchholz 251.4 § 86 HmbPersVG Nr. 13 Rn. 10).
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bb) Ob eine Maßnahme tatsächlich rückgängig gemacht oder abgeändert wer-
den kann, ist keine Rechtsfrage. Abgesehen davon ist es trotz der in der Be-
schwerdebegründung beschriebenen Schwierigkeiten nicht objektiv unmöglich,
die Versetzungen der betroffenen Mitarbeiter für die Zukunft wieder rückgängig
zu machen oder abzuändern. Eine Rechtsfrage ist es dagegen, ob dem rechtli-
che Hindernisse entgegenstehen. Dies ist jedoch offensichtlich nicht der Fall.
Die Zentrale der Bundesagentur als oberste Dienstbehörde einer Selbstverwal-
tungskörperschaft (§ 367 Abs. 1 und 2, § 393 Abs. 1 SGB III) hat einen großen
personal- und organisationspolitischen Gestaltungsspielraum. Diesen zu nutzen
ist ihr gerade dann zumutbar, wenn personelle und organisatorische Schwierig-
keiten ihre Ursache darin finden, dass Mitbestimmungsrechte der zuständigen
Personalvertretungen missachtet wurden.
cc) Der Beteiligte unterstellt offenbar, dass die Bundesagentur als Folge des
Senatsbeschlusses vom 30. März 2009 sowie des hier angefochtenen Be-
schlusses des Oberverwaltungsgerichts alle 6 000 im Zuge der Organisations-
reform zum 1. März 2007 vorgenommenen Versetzungen zunächst rückgängig
machen muss. Das ist im Rahmen der Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses
keine realitätsgerechte Annahme. Die Bundesagentur kann vielmehr zunächst
die bislang unterbliebenen Mitbestimmungsverfahren in den Agenturen für Ar-
beit und Regionaldirektionen nachholen. Für die Zukunft auf Dauer rückgängig
zu machen oder abzuändern sind die Versetzungen nur in denjenigen Einzelfäl-
len, für welche die Zustimmung der Personalvertretungen im nachzuholenden
Mitbestimmungsverfahren weder erteilt noch ersetzt wird (vgl. Beschluss vom
10. Januar 2008 - BVerwG 6 P 4.07 - Buchholz 251.4 § 88 HmbPersVG Nr. 2
Rn. 10; in einem Verfahren betreffend die Bundesagentur: Beschluss vom
27. Mai 2009 - BVerwG 6 P 3.09 - juris Rn. 9). Mit Blick auf das Letztentschei-
dungsrecht des Vorstandes der Bundesagentur sowie darauf, dass die örtlichen
Personalräte die Tatsache der unter Beteiligung des Hauptpersonalrats be-
schlossenen Organisationsreform als solche zu akzeptieren haben (vgl. Be-
schluss vom 30. März 2009 a.a.O. Rn. 20 und 33), kann es sich dabei nur um
Fälle handeln, in denen zwischen Dienststellen und Personalvertretungen Ein-
vernehmen erzielt wird, dass von der Konzeption der HE/GA vom
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30. November 2006 ausnahmsweise abgewichen wird. Diese wenigen Fälle
werden sich personal- und organisationsrechtlich beherrschen lassen.
2. Die Abweichungsrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 2, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG
bleibt gleichfalls ohne Erfolg. Der angefochtene Beschluss weicht nicht von den
in der Beschwerdebegründung zitierten Senatsentscheidungen ab.
a) Das Oberverwaltungsgericht hat sich nicht in Widerspruch zu Rechtssätzen
im Senatsbeschluss vom 30. März 2009 (insbesondere Randnummer 10) ge-
setzt, mit welchem die zitierte ältere Senatsrechtsprechung zusammengefasst
und präzisiert wurde. Vielmehr hat es diese Rechtssätze seiner Entscheidung
zugrunde gelegt.
b) Ebenso wenig liegt eine Abweichung vom Senatsbeschluss vom 7. August
1996 - BVerwG 6 P 29.93 - (Buchholz 250 § 78 BPersVG Nr. 16 S. 3 f.) vor.
Das Oberverwaltungsgericht hat seiner Entscheidung - nach Auslegung der
HE/GA vom 30. November 2006 - zugrunde gelegt, dass die nach außen ge-
richtete Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der fraglichen Versetzungen bei den
nachgeordneten Dienststellen verblieben war, weil die oberste Dienstbehörde
von ihrem Selbsteintrittsrecht keinen Gebrauch gemacht hatte. Bei diesem
Ausgangspunkt war für ein unter Beteiligung der Stufenvertretung durch-
zuführendes Mitbestimmungsverfahren bei der obersten Dienstbehörde nach
den Grundsätzen des § 82 Abs. 1 BPersVG kein Raum (vgl. Beschlüsse vom
13. September 2002 - BVerwG 6 P 4.02 - Buchholz 250 § 82 BPersVG Nr. 17
S. 8, vom 15. Juli 2004 - BVerwG 6 P 1.04 - Buchholz 250 § 82 BPersVG Nr. 18
S. 15, vom 30. März 2009 a.a.O. Rn. 30 und vom 12. August 2009 - BVerwG
6 PB 18.09 - juris Rn. 5).
c) Aus demselben Grunde fehlt es an einer Abweichung vom Senatsbeschluss
vom 2. September 2009 - BVerwG 6 PB 22.09 - (juris Rn. 5). Das Oberverwal-
tungsgericht hat zugrunde gelegt, dass die oberste Dienstbehörde die Verset-
zungsmaßnahmen nicht selbst getroffen, sondern die nachgeordneten Dienst-
stellen angewiesen hat, darüber nach näherer Maßgabe in eigener Zuständig-
keit zu entscheiden. Das ist diejenige Fallkonstellation, für welche der Senat im
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zitierten Beschluss vom 2. September 2009 eine Maßnahme der obersten
Dienstbehörde und folgerichtig die Beteiligungsbefugnis der bei ihr gebildeten
Stufenvertretung verneint hat.
Dr. Bardenhewer
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