Urteil des BVerwG vom 04.02.2010

Arbeitsgemeinschaft, Wählbarkeit, Geschäftsführer, Arbeitsförderung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 PB 38.09
OVG 6 L 4/09
In der Personalvertretungssache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. Februar 2010
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge, Vormeier und Dr. Möller
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulas-
sung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Fachse-
nats für Bundespersonalvertretungssachen des Oberver-
waltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom
16. September 2009 wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Rechtsbe-
schwerde durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 83 Abs. 2 BPersVG
i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg. Die allein erhobene Grundsatzrü-
ge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG greift nicht durch. Die in
der Rechtsbeschwerdebegründung aufgeworfenen Rechtsfragen haben keine
grundsätzliche Bedeutung.
1. Die Antragsteller wollen geklärt wissen, „ob denn die ARGE SGB II Weißen-
fels eine eigene Dienststelle im Sinne von § 6 Abs. 1 BPersVG bzw. § 6 Abs. 1
PersVG LSA ist und ob somit die zweijährige Tätigkeit in dieser zu einem Ver-
lust der Wählbarkeit der Beschwerdeführer zu 1. - 4. geführt hat“ (S. 4 der Be-
schwerdebegründung). Ihnen geht es dabei, wie die weiteren Ausführungen in
der Beschwerdebegründung zeigen, um die abstrakte Rechtsfrage, ob öffent-
lich-rechtlich organisierte Arbeitsgemeinschaften nach § 44b SGB II personal-
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ratsfähige Dienststellen sind. Diese Frage ist anhand der ständigen und gefes-
tigten Senatsrechtsprechung zum personalvertretungsrechtlichen Dienststel-
lenbegriff zu beantworten, ohne dass es dafür einer Klärung im Rechtsbe-
schwerdeverfahren bedarf.
a) Die Dienststelleneigenschaft nach § 6 Abs. 1 und 2 BPersVG verlangt, dass
der Leiter der Einrichtung - in den Grenzen der für die öffentliche Verwaltung
allgemein bestehenden Weisungsgebundenheit - bei den für eine Beteiligung
der Personalvertretung in Betracht kommenden personellen, sozialen, organi-
satorischen und sonstigen innerdienstlichen Angelegenheiten einen eigenen
Entscheidungs- und Handlungsspielraum hat. Nur dann kann er dem Personal-
rat als verantwortlicher Partner gegenübertreten und dieser eigenständig Ge-
spräche und Verhandlungen mit ihm führen. Die Dienststelleneigenschaft ist zu
verneinen, wenn der Leiter der Einrichtung hinsichtlich der Mehrzahl der be-
deutsamen Maßnahmen als verantwortlicher Partner einer Personalvertretung
ausscheidet, weil er insoweit nicht selbstständig handeln darf (vgl. Beschlüsse
vom 29. März 2001 - BVerwG 6 P 7.00 - Buchholz 250 § 6 BPersVG Nr. 15
S. 7 f. und vom 26. November 2008 - BVerwG 6 P 7.08 - BVerwGE 132, 276 =
Buchholz 250 § 86 BPersVG Nr. 6 Rn. 32).
Ob der nach § 44b Abs. 2 SGB II bestellte Geschäftsführer über die vorbe-
zeichneten Kompetenzen verfügt, ist daher maßgeblich dafür, ob die Arbeits-
gemeinschaft eine personalratsfähige Dienststelle ist. Dies lässt sich nicht an-
hand der Vorgaben in § 44b SGB II bestimmen. Vielmehr kommt es dabei auf
die organisationsrechtliche Ausgestaltung in der jeweiligen Vereinbarung zwi-
schen der Bundesagentur und dem kommunalen Träger an (§ 44b Abs. 1
Satz 1 und 3 SGB II). Darauf hat bereits das Oberverwaltungsgericht zutreffend
hingewiesen.
b) Im vorliegenden Zusammenhang hat die in der Beschwerdebegründung zi-
tierte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts keine Bedeutung. Mit der dor-
tigen Aussage, die nur organisatorische Wahrnehmungszuständigkeit der Ar-
beitsgemeinschaft lasse die Rechtsträgerschaft der hinter ihr stehenden Träger
unberührt, sollte den verfassungsrechtlichen Bedenken unter dem Gesichts-
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punkt unzulässiger Mischverwaltung begegnet werden (vgl. Urteile vom
7. November 2006 - B 7b AS 6/06 R - BSGE 97, 211 Rn. 14 und vom
23. November 2006 - B 11b AS 1/06 R - BSGE 97, 265 Rn. 18). Dieser Ansatz
zielt nicht auf den speziellen personalvertretungsrechtlichen Dienststellenbegriff
und hindert folglich nicht, eine Arbeitsgemeinschaft als Dienststelle im Sinne
von § 6 Abs. 1 BPersVG anzusehen, wenn ihr Geschäftsführer nach den oben
genannten Kriterien als Partner einer Personalvertretung in Betracht kommt.
c) Aus der Regelung in § 44b SGB II herzuleiten, die Arbeitsgemeinschaft sei
schon im Ansatz nicht im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BPersVG nach
Aufgabenbereich und Organisation selbstständig, verbietet sich. Die Arbeits-
gemeinschaften nehmen die Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitssuchende
wahr, sie erlassen Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide, und sie ver-
fügen mit der Person des Geschäftsführers über eine einheitliche Leitung
(§ 44b Abs. 2 und 3 SGB II). Es sind gerade diese unmissverständlichen Aus-
sagen im Gesetz zum eigenständigen, von den Leistungsträgern unabhängigen
Charakter der Arbeitsgemeinschaften, die das Bundesverfassungsgericht be-
wogen haben, § 44b SGB II wegen Verstoßes gegen das Verbot der Mischver-
waltung für verfassungswidrig zu erklären (vgl. Urteil vom 20. Dezember 2007
- 2 BvR 2433, 2434/04 - BVerfGE 119, 331 <367 ff.>).
d) Andererseits folgt aus dieser Entscheidung gegenwärtig kein Verbot, § 44b
SGB II im Rahmen des Personalvertretungsrechts zu beachten. Das Bundes-
verfassungsgericht hat entschieden, dass die Vorschrift bis zum 31. Dezember
2010 anwendbar bleibt, wenn der Gesetzgeber nicht zuvor eine andere Rege-
lung trifft (a.a.O. S. 331, 382 ff.). Aus dem Charakter des Personalvertretungs-
rechts als Organisationsfolgerecht ergibt sich daher, dass die Arbeitsgemein-
schaften noch bis zum Ende des vorbezeichneten Übergangszeitraums in die
personalvertretungsrechtliche Praxis einzubeziehen sind.
2. Soweit in der Beschwerdebegründung sinngemäß spezielle Rechtsfragen im
Zusammenhang mit der Auslegung und Anwendung von § 14 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 BPersVG angesprochen sind, rechtfertigen diese ebenfalls die Zulassung
der Rechtsbeschwerde nicht. Diese Fragen haben keine grundsätzliche Bedeu-
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tung, weil sie in der Rechtsprechung geklärt sind oder sich ohne Weiteres an-
hand des Gesetzes beantworten lassen.
a) Die Antragsteller bezweifeln, ob die Wählbarkeit über den Voraussetzungen
des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BPersVG wegfällt, wenn der Beschäftigte vor der
Unterbrechung jahrelang im Geschäftsbereich der obersten Dienstbehörde tätig
war (vgl. S. 5 der Beschwerdebegründung). Diese Zweifel sind nicht begründet.
Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BPersVG sind Wahlberechtigte nur wählbar,
wenn sie am Wahltag seit 6 Monaten dem Geschäftsbereich ihrer obersten
Dienstbehörde angehören. Fehlt es an diesem Erfordernis, so kann dies nicht
durch eine langjährige Tätigkeit im Geschäftsbereich vor der Unterbrechung
kompensiert werden. Dies verbietet der eindeutige und unmissverständliche
Wortlaut der Vorschrift. Rechtssicherheit und Rechtsklarheit stehen im Bereich
des Wahlrechts einer Auslegung entgegen, die sich vom Gesetzeswortlaut ent-
fernt (vgl. Beschlüsse vom 9. Oktober 1959 - BVerwG 7 P 17.58 - BVerwGE 9,
213 <216 f.> = Buchholz 238.3 § 10 PersVG Nr. 1 S. 4 und vom 23. Juni 1999
- BVerwG 6 P 6.98 - Buchholz 252 § 2 SGB Nr. 2 S. 6; Schlatmann, in:
Lorenzen/Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak/Faber, BPersVG, § 14 Rn. 16;
Ilbertz/Widmaier, BPersVG, 11. Aufl. 2008, § 14 Rn. 8; Fischer/Goeres/
Gronimus, in: GKÖD Bd. V, K § 14 Rn. 8; Dörner, in: Richardi/Dörner/Weber,
Personalvertretungsrecht, 3. Aufl. 2008, § 14 Rn. 6; Altvater/Hamer/Kröll/
Lemcke/Peiseler, BPersVG, 6. Aufl. 2008, § 14 Rn. 4).
b) Die Antragsteller meinen ferner, § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BPersVG stehe der
Wählbarkeit in einer Arbeitsagentur nicht entgegen, wenn die in den 6-Monats-
zeitraum hineinfallende Tätigkeit in einer Arbeitsgemeinschaft geleistet worden
sei; denn eine Tätigkeit im Aufgabenkreis der Bundesagentur habe in jedem
Fall vorgelegen (vgl. Beschwerdebegründung S. 5). Auch dieser Einwand trifft
eindeutig nicht zu.
Nach der zwingenden Regelung in § 44b Abs. 3 Satz 1 SGB II nimmt die Ar-
beitsgemeinschaft diejenigen Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitssuchen-
de wahr, welche auf die Agentur für Arbeit als Leistungsträger entfallen. Die
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Wahrnehmung dieser Aufgaben durch die Agentur für Arbeit selbst entfällt da-
mit. Diese Aufgaben unterscheiden sich wesentlich von denjenigen auf dem
Gebiet der Arbeitsförderung nach dem SGB III. Während hier die Bundesagen-
tur als Selbstverwaltungskörperschaft handelt und ihre Zentrale als oberste
Dienstbehörde die Tätigkeit der nachgeordneten Dienststellen steuert (§ 367
Abs. 1 und 2, § 393 Abs. 1 SGB III), sind die Arbeitsgemeinschaften nicht in
den autonomen Dienststellenorganismus der Bundesagentur eingebunden (vgl.
§ 44b Abs. 3 Satz 4, § 47 SGB II). Der Anwendung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
BPersVG durch das Oberverwaltungsgericht stehen daher weder Wortlaut noch
Sinn und Zweck der Vorschrift entgegen. Dass es zwischen der Grundsiche-
rung für Arbeit und der Arbeitsförderung mannigfache sachliche Berührungs-
punkte gibt, ist wiederum ein Gesichtspunkt, der nach dem eindeutigen Wortlaut
der wahlrechtlichen Vorschrift keine Bedeutung erlangen kann.
3. Unabhängig vom Vorstehenden haben die in der Beschwerdebegründung
aufgeworfenen Rechtsfragen deswegen keine grundsätzliche Bedeutung, weil
nicht zu erwarten ist, dass eine Entscheidung des Senats über die Rechtsbe-
schwerde der Antragsteller einen nennenswerten Beitrag zur Rechtsfortbildung
oder Rechtseinheit leisten wird. Dies hängt mit dem bereits erwähnten Umstand
zusammen, dass § 44 SGB II längstens bis zum Ablauf dieses Jahres anwend-
bar bleibt. Auf die Arbeitsgemeinschaften nach dieser Vorschrift bezogene
Rechtsfragen können daher nur noch für Personalratswahlen von Bedeutung
sein, die in diesem Jahr stattfinden.
a) Reguläre Personalratswahlen im Bereich der Bundesagentur für Arbeit fallen
nicht darunter; sie finden erst im Jahre 2012 wieder statt.
b) Die Antragsteller weisen auf die „spiegelbildliche“ Problematik bei den Kom-
munen und auf die Personalratswahlen in 5 Bundesländern hin, deren Perso-
nalvertretungsgesetze eine § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BPersVG vergleichbare
Regelung enthalten. Tatsächliche Auswirkungen der Senatsentscheidung auf
einen größeren Teil der Allgemeinheit lassen sich daraus nicht herleiten.
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aa) Die Personalratswahlen in den betreffenden Bundesländern müssen bis
spätestens 31. Mai 2010 stattfinden. Die ordnungsgemäße Vorbereitung der
Wahl durch die Wahlvorstände erfordert einen erheblichen zeitlichen Vorlauf.
Dass eine Entscheidung des Senats über die Rechtsbeschwerde der An-
tragsteller zu einem Zeitpunkt ergeht, in welchem sie bei der Durchführung der
Wahl noch berücksichtigt werden könnte, ist ausgeschlossen.
bb) Dass es im nennenswerten Umfang zu Wahlanfechtungen gerade aus den-
jenigen Gründen kommen wird, die für die Entscheidung des Oberverwaltungs-
gerichts maßgeblich waren, ist höchst ungewiss. Es ist nicht wahrscheinlich,
dass die Beschäftigten der Kommunen das rechtliche Risiko eingehen werden,
in ihre Wahlvorschläge Kolleginnen und Kollegen aufzunehmen, die in den letz-
ten 6 Monaten vor der Wahl aus einer Arbeitsgemeinschaft „zurückgekehrt“
sind, in welcher ihnen eine Tätigkeit zugewiesen war.
cc) Zur Darstellung einer vergleichbaren Rechtslage nach dem Bundesperso-
nalvertretungsgesetz einerseits und den Personalvertretungsgesetzen der
betreffenden Bundesländer andererseits genügt es nicht, sich auf die spezielle
Wählbarkeitsvoraussetzung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BPersVG zu kon-
zentrieren. Es müssen auch alle weiteren wahlrechtlichen Bestimmungen in den
Blick genommen werden, die unter rechtssystematischen Gesichtspunkten für
die Auslegung Bedeutung erlangen können. In dieser Hinsicht kommen ins-
besondere die Vorschriften über den Erwerb und Verlust der Wahlberechtigung
in Betracht. Hier unterscheiden sich teilweise die Personalvertretungsgesetze
der betreffenden Länder sowohl untereinander wie auch im Verhältnis zum
Bundespersonalvertretungsgesetz. So findet sich z.B. in 3 Landespersonalver-
tretungsgesetzen keine Regelung über den Verlust des Wahlrechts bei Zuwei-
sung (§ 13 BrbgPersVG, § 11 MVPersVG, § 13 SAPersVG; vgl. zur Verschie-
denheit der Rechtslage in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern: Be-
schluss vom 15. Mai 2008 - BVerwG 6 PB 20.07 - Buchholz 251.21 § 13
BrbgPersVG Nr. 1 Rn. 2 ff.).
Hinzu kommt, dass die tarifvertraglichen Bestimmungen, welche als arbeits-
rechtliche Grundlagen für die Tätigkeit von Arbeitnehmern der Bundesagentur
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und der Kommunen in einer Arbeitsgemeinschaft in Betracht kommen und für
die personalvertretungsrechtliche Bewertung Bedeutung erlangen können, nicht
übereinstimmen (vgl. § 4 TV-BA einerseits und § 4 TVöD andererseits).
dd) Nach alledem erschöpft sich die mögliche Bedeutung einer Senatsent-
scheidung für die Rechtsbeschwerde der Antragsteller darin, Einzelfallgerech-
tigkeit herzustellen. Über die hier angefochtene Personalratswahl hinaus hätte
die Entscheidung lediglich die Bedeutung eines Rechtsgutachtens zu einer ver-
gangenen Rechtslage. Der Funktion des Rechtsbeschwerdegerichts wird damit
nicht hinreichend Rechnung getragen.
Büge
Vormeier
Dr. Möller
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Personalvertretungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BPersVG
§§ 6, 14
SGB II
§ 44b
Stichworte:
Wählbarkeit zum Personalrat; 6-monatige Zugehörigkeit zum Geschäftsbereich
der obersten Dienstbehörde.
Leitsatz:
Das Wählbarkeitserfordernis, wonach der Wahlberechtigte am Wahltag
6 Monate dem Geschäftsbereich seiner obersten Dienstbehörde angehören
muss, kann nicht durch eine langjährige Tätigkeit im Geschäftsbereich kom-
pensiert werden, wenn diese unterbrochen war und seit ihrer Wiederaufnahme
noch keine 6 Monate vergangen sind.
Beschluss des 6. Senats vom 4. Februar 2010 - BVerwG 6 PB 38.09
I. VG Halle
vom 11.03.2009 - Az.: VG 10 A 2/08 HAL -
II. OVG Magdeburg vom 16.09.2009 - Az.: OVG 6 L 4/09 -