Urteil des BVerwG vom 16.05.2012

Rechtliches Gehör, Vertreter, Mitbestimmung, Entscheidungsbefugnis

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 PB 3.12
OVG 8 Bf 95/11.PVL
In der Personalvertretungssache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Mai 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge und Prof. Dr. Hecker
beschlossen:
Die Beschwerde des Beteiligten gegen die Nichtzulassung
der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Hamburgischen
Oberverwaltungsgerichts - Fachsenat nach dem Landes-
personalvertretungsgesetz - vom 29. November 2011 wird
zurückgewiesen.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Beteiligten gegen die Nichtzulassung der Rechtsbe-
schwerde durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 100 Abs. 2 HmbPersVG
i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg.
1. Die vom Beteiligten mit Blick auf § 88 Abs. 1 2. Alt. HmbPersVG erhobene
Grundsatzrüge greift nicht durch.
Gemäß § 88 Abs. 1 2. Alt HmbPersVG gilt § 87 Abs. 1 Nr. 1 bis 27 und Abs. 3
für Angehörige des öffentlichen Dienstes, die zu selbständigen Entscheidungen
in Angelegenheiten der Dienststelle im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 1 bis 27 und
Abs. 3 befugt sind, nur auf ihren Antrag hin. Der Beteiligte will geklärt wissen,
ob ein Vertreter einer Dienstkraft im Sinne von § 88 Abs. 1 Alt. 2 HmbPersVG,
der im Vertretungsfall selbst zu solchen Entscheidungen befugt ist, wie diese in
den Anwendungsbereich von § 88 Abs. 1 Alt. 2 HmbPersVG fällt. Diese Frage
wird durch die Rechtsprechung des Senats bereits beantwortet und führt daher
nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde (vgl. zu diesem prozessrechtlichen
Maßstab: Beschluss vom 14. September 2011 - BVerwG 6 PB 14.11 - juris
Rn. 2; BAG, Beschlüsse vom 22. März 2005 - 1 ABN 1/05 - BAGE 114, 157
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<159 f.> und vom 2. Oktober 2007 - 1 AZN 793/07 - AP Nr. 52 zu § 75 BetrVG
1972 Rn. 3).
Die Beantwortung der Frage ergibt sich aus dem Beschluss des Senats vom
22. Juni 2005 (BVerwG 6 P 8.04 - Buchholz 251.2 § 13 BlnPersVG Nr. 3). Die-
ser betraf die Auslegung von § 13 Abs. 3 Nr. 2 BlnPersVG, der - in seiner da-
maligen wie heutigen Fassung - solche Dienstkräfte von der Wählbarkeit zur
Personalvertretung ausnimmt, die „zu selbständigen Entscheidungen in Perso-
nalangelegenheiten von nicht untergeordneter Bedeutung befugt sind“. Gemäß
§ 89 Abs. 3 BlnPersVG entfällt u.a. für Stellen der in § 13 Abs. 3 Nr. 2 genann-
ten Dienstkräfte die Mitbestimmung (in Hamburg hat der Gesetzgeber den Ver-
weismechanismus umgekehrt konzipiert: § 12 Abs. 2 Nr. 2 HmbPersVG schließt
für den in § 88 Abs. 1 HmbPersVG im Hinblick auf die antragabhängige Mitbe-
stimmung definierten Personenkreis die Wählbarkeit zur Personalvertretung
aus). In seinem Beschluss vom 22. Juni 2005 hat der Senat die Maßgabe auf-
gestellt, dass diejenigen Personen, die Dienstkräfte im Sinne von § 13 Abs. 3
Nr. 2 BlnPersVG vertreten, nicht deshalb unter diese Vorschrift fallen, weil sie
im Vertretungsfall dieselben Aufgaben wahrzunehmen haben (a.a.O. S. 11).
Diese Maßgabe, die der Senat in nachfolgenden Entscheidungen bekräftigt hat
(Beschlüsse vom 6. September 2005 - BVerwG 6 PB 12.05 - juris Rn. 4 und
vom 17. Mai 2010 - BVerwG 6 P 7.09 - Buchholz 251.6 § 65 NdsPersVG Nr. 2
Rn. 22), kann ohne weiteres auf § 88 Abs. 1 2. Alt. HmbPersVG übertragen
werden.
a. Beide Vorschriften stimmen in ihrem textlichen Aussagegehalt weitgehend
überein. Zwar bezieht § 88 Abs. 1 HmbPersVG anders als § 13 Abs. 3 Nr. 2
BlnPersVG die Entscheidungsbefugnis der Dienstkraft nicht auf „Personalange-
legenheiten“, sondern auf „Angelegenheiten der Dienststelle im Sinne des § 87
Abs. 1 Nr. 1 bis 27 und Abs. 3“. Bei letzteren handelt es sich indes überwiegend
um Personalangelegenheiten, d.h. um einzelne Beschäftigte und deren Be-
schäftigungsverhältnis betreffende Angelegenheiten (vgl. Beschluss vom
17. Mai 2010 a.a.O. Rn. 9), und nur vereinzelt, nämlich in den Fällen des § 87
Abs. 1 Nr. 23 bis 27 HmbPersVG, um allgemeine Angelegenheiten, die sich
aber wiederum auf personelle Maßnahmen beziehen. Dieser geringfügigen Ab-
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weichung ist im vorliegenden Zusammenhang ersichtlich ebenso wenig maß-
gebliches Gewicht beizumessen wie den weiteren Umständen, dass § 13
Abs. 3 Nr. 2 BlnPersVG anders als § 88 Abs. 1 Alt. 2 HmbPersVG eine Ein-
schränkung in Bezug auf Personalangelegenheiten von untergeordneter Bedeu-
tung vornimmt und dass § 88 Abs. 1 HmbPersVG die Mitbestimmung nicht ka-
tegorisch, sondern nur unter der Bedingung ausschließt, dass die betreffende
Dienstkraft keinen anderslautenden Antrag stellt. Die im vorliegenden Zusam-
menhang in Rede stehende Frage des Einbezugs von Vertretungspersonen
wird in keiner der beiden Vorschriften ausdrücklich angesprochen.
b. Gesetzessystematische und teleologische Gesichtspunkte gebieten kein un-
terschiedliches Verständnis der jeweiligen Bestimmungen.
aa. Der Beteiligte tritt der Übertragbarkeit der Maßgabe aus dem Beschluss
vom 22. Juni 2005 (a.a.O.) unter Hinweis auf die unterschiedliche Ausgestal-
tung der Regelungen beider Gesetze zum Ausschluss bzw. zur Antragsabhän-
gigkeit der Mitbestimmung hinsichtlich der weiteren Fallgruppe des Dienststel-
lenleiters entgegen. Dem kann nicht gefolgt werden.
Gemäß § 88 Abs. 1 Alt. 1 HmbPersVG gilt § 87 Abs. 1 Nummern 1 bis 27 und
Abs. 3 für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die nach § 8 für die
Dienststelle handeln - d.h. in erster Linie die Dienststellenleiter - nur auf ihren
Antrag hin. Während im Wortlaut des § 88 Abs. 1 Alt. 1 HmbPersVG der Vertre-
ter des Dienststellenleiters nicht auftaucht, so dass sich sein Einbezug in den
Anwendungsbereich der Vorschrift erst über deren Verweis auf § 8 HmbPersVG
- in dem die Vertretungsmöglichkeit angesprochen wird - ergibt (Beschluss vom
28. Juni 2002 - BVerwG 6 P 1.02 - Buchholz 251.4 § 88 HmbPersVG Nr. 1
S. 4 f.), wird der Vertreter in § 13 Abs. 3 Nr. 1 BlnPersVG eigens erwähnt. Der
Senat hat in seinem Beschluss vom 22. Juni 2005 den letztgenannten Umstand
mit herangezogen, um im Wege des Gegenschlusses zu begründen, dass hin-
sichtlich der Fallgruppe der Dienstkräfte mit Entscheidungsbefugnis in Perso-
nalangelegenheiten ein Einschluss von Vertretern in den Anwendungsbereich
von § 13 Abs. 3 Nr. 2 BlnPersVG - in dem sie nicht erwähnt werden - ausschei-
det (a.a.O. S. 11). Dieses gesetzessystematische Argument erweist sich aber
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auch in Bezug auf § 88 Abs. 1 HmbPersVG als tragfähig. Ob sich der Einbezug
von Vertretern des Dienststellenleiters - wie bei § 13 Abs. 3 Nr. 1 BlnPersVG -
unmittelbar aus dem Wortlaut der Regelungsnorm oder - wie bei § 88 Abs. 1
Alt. 1 HmbPersVG - mittelbar aus einem Verweis der Regelungsnorm auf eine
andere Norm ergibt, markiert einen rein gesetzestechnischen Unterschied, der
im Übrigen schon dadurch vorgezeichnet ist, dass die letztgenannte Norm sich
insgesamt, d.h. auch bezüglich der Person des Dienststellenleiters selbst, mit
der Vornahme eines Verweises begnügt. Entscheidend ist im vorliegenden Zu-
sammenhang, dass beide Gesetze schon ihrem Text nach - lediglich an unter-
schiedlichen Orten - hinsichtlich der Fallgruppe der Dienststellenleiter den Ver-
treter ausdrücklich einbeziehen und insofern gleichermaßen eine Diskrepanz
zur Fallgruppe der Dienstkräfte mit Entscheidungsbefugnis in Personalangele-
genheiten zutage tritt.
bb. Den Ausschluss von Vertretungspersonen aus der Fallgruppe der Dienst-
kräfte mit Entscheidungsbefugnis in Personalangelegenheiten hat der Senat in
seinem Beschluss vom 22. Juni 2005 im Kern darauf gestützt, dass sich deren
Tätigkeit nur auf einen Teil der personalvertretungsrechtlich relevanten Angele-
genheiten beziehe und sich damit maßgeblich von der Tätigkeit des ständigen
Vertreters des Dienststellenleiters mit seinen umfassenden Kompetenzen un-
terscheide, welche ihm im Vertretungsfalles zukommen und die ihn so in eine
größere Nähe zum Dienststellenleiter rücken würden (a.a.O. S. 11/12). Diese
Erwägung, die auf den hierarchischen Aufbau von Dienststellen Bezug nimmt,
ist im Kontext des HmbPersVG gleichermaßen stimmig. Entsprechendes gilt für
die hiermit im Zusammenhang stehenden Erwägungen des Senats hinsichtlich
der - bei typisierender Betrachtungsweise - anzunehmenden höheren Häufigkeit
von Pflichten- und Interessenskollisionen auf Ebene des Vertreters des Dienst-
stellenleiters (a.a.O. S. 12).
cc. Nichts Gegenteiliges folgt aus dem Hinweis des Antragstellers auf die im
Beschluss des Senats vom 17. Mai 2010 getroffene Maßgabe, wonach es hin-
sichtlich der Einordnung einer Dienstkraft als Beschäftigter, der in Personalan-
gelegenheiten der Dienststelle entscheide, nicht auf den quantitativen Umfang
dieser Befugnis ankomme (a.a.O. Rn. 16). Hiermit lässt sich keine von § 13
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Abs. 3 Nr. 2 BlnPersVG abweichende Auslegung von § 88 Abs. 1 Alt. 2
HmbPersVG begründen. Jenen Gesichtspunkt hat der Senat bereits bei der
Auslegung der genannten Bestimmungen des Berliner Personalvertretungsge-
setzes herausgestellt (vgl. Beschluss vom 22. Juni 2005 - BVerwG 6 P 2.05 -
Buchholz 251.2 § 13 BlnPersVG Nr. 2 S. 4).
c. Zur Vermeidung von Missverständnissen wird darauf hingewiesen, dass ein
Vertreter einer Dienstkraft im Sinne von § 88 Abs. 1 Alt. 2 HmbPersVG dieser
Vorschrift dann unterfallen kann, wenn ihm selbst - nicht vertretungsweise, son-
dern dauerhaft - Entscheidungsbefugnisse in Personalangelegenheiten über-
tragen worden sind (vgl. Beschluss vom 22. Juni 2005 - BVerwG 6 P 8.04 -
a.a.O. S. 13). Diese Möglichkeit hat ausweislich der Feststellungen des Ober-
verwaltungsgerichts im vorliegenden Fall keine Rolle gespielt.
2. Die vom Beteiligten erhobene Gehörsrüge greift nicht durch. Der Zulas-
sungsgrund des § 92 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG ist nur ge-
geben, soweit eine geltend gemachte und vorliegende Verletzung des An-
spruchs auf rechtliches Gehör für den angefochtenen Beschluss entschei-
dungserheblich war. Ob im vorliegenden Fall das Oberverwaltungsgericht - wie
der Beteiligte meint - mit seiner Annahme, es sei gerichtsbekannt, dass der Be-
teiligte gelegentlich gerichtlich festgestellten mitbestimmungsrechtlichen Pflich-
ten nicht nachzukommen gewillt sei, dessen Anspruch auf rechtliches Gehör
unter dem Aspekt der Unzulässigkeit einer Überraschungsentscheidung verletzt
hat, kann auf sich beruhen. Jedenfalls war diese Annahme nicht entschei-
dungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht hat die Zulässigkeit der Verpflich-
tung des Beteiligten zur Fortsetzung des in Rede stehenden Mitbestimmungs-
verfahrens auch mit der Einschätzung begründet, der bisherige Verfahrensab-
lauf lasse nicht erkennen, dass der Beteiligte ohne eine solche Verpflichtung
das Mitbestimmungsverfahren fortsetzen werde; insofern hat es zwei konkrete
Verhaltensumstände des Beteiligten hervorgehoben. Dass es sich hierbei um
einen selbständig entscheidungstragenden Begründungsansatz handelt, wird
daraus ersichtlich, dass das Oberverwaltungsgericht seine nachfolgenden Aus-
führungen zum Umgang des Beteiligten mit gerichtlichen Feststellungen in der
Vergangenheit mit den Worten „unabhängig davon“ eingeleitet hat. Sie machen
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kenntlich, dass aus Sicht des Oberverwaltungsgerichts der bisherige Verfah-
rensablauf schon für sich genommen einen hinreichenden Grund für eine Ver-
pflichtung des Beteiligten zur Fortsetzung des Mitbestimmungsverfahrens dar-
stellte.
3. Auch die vom Beteiligten erhobene Divergenzrüge greift nicht durch. Der an-
gefochtene Beschluss beruht nicht auf einer Abweichung zum Beschluss des
Senats vom 15. März 1995 (BVerwG 6 P 28.93 - juris; Parallelentscheidung
vom gleichen Tage - BVerwG 6 P 31.93 - BVerwGE 98, 77 = Buchholz 251.7
§ 66 NWPersVG Nr. 4). Im Einklang mit diesem Beschluss (BVerwG 6 P 28.93
a.a.O. Rn. 24) - sowie der mittlerweile fortentwickelten Rechtsprechung des
Senats (vgl. Beschluss vom 11. Mai 2011 - BVerwG 6 P 4.10 - juris Rn. 36) -
hat das Oberverwaltungsgericht es für grundsätzlich zulässig erachtet, eine
Dienststelle zur Fortsetzung eines Mitbestimmungsverfahrens gerichtlich zu
verpflichten, statt lediglich eine dahingehende Feststellung zu treffen. Soweit
sich der Beteiligte der Sache nach dagegen wendet, dass der angefochtene
Beschluss – unausgesprochen - davon ausgeht, es sei zulässig, zusätzlich zur
Auferlegung einer solchen Verpflichtung die Feststellung einer zugrunde lie-
genden Verletzung des Mitbestimmungsrechts einer Personalvertretung zu be-
antragen, legt er keine Abweichung im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG dar.
Der Beschluss vom 15. März 1995 verhält sich zur Frage der Zulässigkeit einer
solchen - im Übrigen unschädlichen - Antragskumulation nicht.
Neumann
Büge
Prof. Dr. Hecker
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Personalvertretungsrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquelle:
HmbPersVG
§ 88 Abs. 1
Stichworte:
Personalvertretungsrecht; Antragsabhängigkeit der Mitbestimmung bei Dienstkräf-
ten, die zu selbständigen Entscheidungen in Personalangelegenheiten befugt
sind; kein Einbezug von Vertretern.
Leitsatz:
Diejenigen Personen, die Dienstkräfte im Sinne von § 88 Abs. 1 Alt. 2
HmbPersVG vertreten, fallen nicht deshalb unter diese Vorschrift, weil sie im
Vertretungsfall dieselben Aufgaben wahrzunehmen haben.
Beschluss des 6. Senats vom 16. Mai 2012 - BVerwG 6 PB 3.12
I. VG Hamburg vom 30.03.2011 - Az.: VG 26 FL 34/10 -
II. OVG Hamburg vom 29.11.2011 – Az.: OVG 8 Bf 95/11.PVL -