Urteil des BVerwG vom 10.02.2009

Rechtliches Gehör, Unterrichtung, Empfehlung, Offenkundig

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 PB 25.08
OVG 8 L 120/07
In der Personalvertretungssache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Februar 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge und
Vormeier
beschlossen:
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Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulas-
sung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Fachse-
nats für Personalvertretungsrecht des Oberverwaltungs-
gerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 24. September
2008 wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Rechtsbe-
schwerde durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 87 Abs. 2 MVPersVG
i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg.
1. Die Grundsatzrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG greift
nicht durch. Die in der Beschwerdebegründung aufgeworfene Rechtsfrage hat
keine grundsätzliche Bedeutung.
Die Antragsteller wollen geklärt wissen, ob die Ausübung des Letztentschei-
dungsrechts der obersten Dienstbehörde bei Abordnungen auch dann zulässig
ist, wenn im Mitbestimmungsverfahren eine ordnungsgemäße Unterrichtung der
Personalvertretungen nicht erfolgt ist, der Personalrat, die Stufenvertretung und
die Einigungsstelle dies gerügt und ihre Zustimmungsverweigerung darauf
gestützt haben. Diese Rechtsfrage bedarf nicht der Klärung im Rechtsbe-
schwerdeverfahren, weil ihre Beantwortung offenkundig ist (vgl. zu diesem
Maßstab bei der Beurteilung der Grundsatzrüge: Beschluss vom 23. April 2008
- BVerwG 6 PB 7.08 - Buchholz 250 § 55 BPersVG Nr. 4 Rn. 2 m.w.N.).
Gemäß § 68 Abs. 1 Nr. 10 MVPersVG sind Abordnungen für die Dauer von
mehr als 3 Monaten mitbestimmungspflichtig. Sind davon wie im vorliegenden
Fall Beamte oder Angestellte in Beamtenfunktionen betroffen (§ 64 Abs. 3
Satz 4 Halbs. 1 Nr. 1 MVPersVG), so gilt das Modell der eingeschränkten Mit-
bestimmung: Kommt es zwischen der entscheidungsbefugten Dienststelle und
der zur Beteiligung berufenen Personalvertretung nicht zu einer Einigung, so
schließen sich in der Landesverwaltung nach Maßgabe von § 62 Abs. 3 bis 5
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MVPersVG das Stufenverfahren und sodann das Verfahren vor der Einigungs-
stelle an. Diese spricht eine Empfehlung gegenüber der obersten Dienstbehör-
de aus, die sodann endgültig entscheidet (§ 64 Abs. 3 Satz 4 Halbs. 2
MVPersVG).
Das in Personalangelegenheiten der hier in Rede stehenden Art kraft Verfas-
sung und Gesetz gegebene Letztentscheidungsrecht der obersten Dienstbe-
hörde ist in seinem Bestand unabhängig davon, ob das vorausgegangene Mit-
bestimmungsverfahren in jeder Beziehung rechtmäßig verlaufen ist oder ob es
unter Rechtsfehlern leidet. Insbesondere gewinnt in solchen Fällen der auf die
Bedeutung einer Empfehlung zurückgenommene Beschluss der Einigungsstelle
nicht den Charakter einer verbindlichen Entscheidung (§ 64 Abs. 3 Satz 3
MVPersVG). Dies ist in den Angelegenheiten nach § 64 Abs. 3 Satz 4
MVPersVG von vornherein ausgeschlossen. Dies sehen im Ergebnis auch die
Antragsteller so.
Andererseits macht das Gesetz die Ausübung des Letztentscheidungsrechts
und die Durchführung der beschlossenen Maßnahmen von der ordnungsge-
mäßen Durchführung des Mitbestimmungsverfahrens abhängig (s. § 67 Abs. 3
Satz 1 MVPersVG). Es liegt auf der Hand, dass die oberste Dienstbehörde über
die fragliche Angelegenheit nicht entscheiden darf, bevor die gesetzlich vorge-
sehenen Stationen des Mitbestimmungsverfahrens durchlaufen wurden. Zu
einem ordnungsgemäßen Mitbestimmungsverfahren gehört die vollständige
Unterrichtung des Personalrats nach § 60 Abs. 1 MVPersVG, weil dieser sonst
seine Aufgabe, die Beschäftigteninteressen zu wahren, nicht erfüllen kann (vgl.
Beschlüsse vom 10. August 1987 - BVerwG 6 P 22.84 - BVerwGE 78, 65 <69>
= Buchholz 251.0 § 69 BaWüPersVG Nr. 1 S. 4 und vom 16. Dezember 1992
- BVerwG 6 P 29.91 - Buchholz 250 § 75 BPersVG Nr. 83 S. 109). Die be-
schriebenen rechtlichen Zusammenhänge sind selbstverständlich, wie die An-
tragsteller auf S. 7 ihrer Beschwerdebegründung zutreffend bemerken. Dem-
nach muss die oberste Dienstbehörde die Ausübung ihres Letztentscheidungs-
rechts vorerst zurückstellen, wenn sie selbst erkennt, dass im bisherigen Mitbe-
stimmungsverfahren - also auch im Verfahren vor der Einigungsstelle - eine
vollständige Unterrichtung über die mitbestimmungspflichtige Maßnahme noch
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nicht stattgefunden hat; in einem solchen Fall ist die benötigte Information unter
Fortgang des Einigungsstellenverfahrens zunächst nachzuholen. Die Befugnis
zu Eilmaßnahmen, die auch bei kurzfristig sicherzustellender Unterrichtsversor-
gung in Betracht kommen können, bleibt unberührt (§ 62 Abs. 9 MVPersVG).
Ist die oberste Dienstbehörde dagegen der Auffassung, dass die Personalver-
tretung jedenfalls bis zum Abschluss des Einigungsstellenverfahrens ord-
nungsgemäß unterrichtet wurde, so wird sie von ihrem Letztentscheidungsrecht
Gebrauch machen können. Daran ist sie nicht deswegen gehindert, weil Perso-
nalvertretung oder Einigungsstelle anderer Auffassung sind. Deren Beurteilung,
die gegebenen Informationen seien unzureichend, bindet die oberste Dienstbe-
hörde ebenso wenig wie der Beschluss der Einigungsstelle selbst, welcher in
den hier in Rede stehenden Angelegenheiten bloß empfehlenden Charakter
hat. Bei dieser Sachlage kann die Personalvertretung allerdings gerichtlich klä-
ren lassen, ob ihr Mitbestimmungsrecht durch die Letztentscheidung wegen un-
zureichender Unterrichtung im vorausgegangenen Mitbestimmungsverfahren
verletzt wurde (s. § 87 Abs. 1 Nr. 10 MVPersVG). Maßgeblich bleibt also letzt-
lich stets die objektive Rechtslage.
Wie bereits das Oberverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang zutreffend
bemerkt hat, ist es der Personalvertretung auch unabhängig von der Ausübung
des Letztentscheidungsrechts durch die oberste Dienstbehörde unbenommen,
bei Streit über Art und Umfang der zu erteilenden Informationen das personal-
vertretungsrechtliche Beschlussverfahren einzuleiten (vgl. Beschlüsse vom
26. Januar 1994 - BVerwG 6 P 21.92 - BVerwGE 95, 73 = Buchholz 250 § 68
BPersVG Nr. 15 und vom 23. Januar 2002 - BVerwG 6 P 5.01 - Buchholz 250
§ 68 BPersVG Nr. 17 = PersR 2002, 201). Die rechtskräftige gerichtliche Ent-
scheidung bindet die zuständige Dienststelle in Bezug auf die aktuellen bzw.
vergleichbaren künftigen Maßnahmen. Solange dem Informationsanspruch der
Personalvertretung in dem gerichtlich beschriebenen Umfang nicht Rechnung
getragen wurde, hat eine endgültige Entscheidung über die beabsichtigte Maß-
nahme zu unterbleiben.
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2. Fehlt es somit an der grundsätzlichen Bedeutung der aufgeworfenen Rechts-
frage, so kann auf sich beruhen, ob die Grundsatzrüge auch an fehlender Ent-
scheidungserheblichkeit scheitert, wozu den Antragstellern durch den Senat
vorsorglich rechtliches Gehör gewährt wurde. Die nur für diesen Fall im Schrift-
satz vom 23. Januar 2009 erhobene Gehörsrüge nebst Wiedereinsetzungsge-
such fiel daher nicht zur Entscheidung an.
Dr. Bardenhewer
Büge
Vormeier
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Personalvertretungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquelle:
MVPersVG
§ 64
Stichworte:
Letztentscheidung der obersten Dienstbehörde.
Leitsatz:
Die Ausübung des Letztentscheidungsrechts durch die oberste Dienstbehörde
setzt die ordnungsgemäße Durchführung des Mitbestimmungsverfahrens vor-
aus.
Beschluss des 6. Senats vom 10. Februar 2009 - BVerwG 6 PB 25.08
I. VG Greifswald vom 29.03.2007 - Az.: VG 7 A 2129/06 -
II. OVG Greifswald vom 24.09.2008 - Az.: OVG 8 L 120/07 -