Urteil des BVerwG vom 19.08.2009

Ablauf der Frist, Nichteinhaltung der Frist, Mitbestimmung, Kompetenz

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 PB 20.09
OVG 5 L 5/07
In der Personalvertretungssache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. August 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge und
Vormeier
beschlossen:
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Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulas-
sung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Fachse-
nats für Landespersonalvertretungssachen des Oberver-
waltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom
15. April 2009 wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbe-
schwerde durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 78 Abs. 2 SAPersVG
i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg. Die allein erhobene Grundsatzrü-
ge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG greift nicht durch.
Der Antragsteller will sinngemäß geklärt wissen, ob die Dienststelle eine Ein-
stellung vornehmen darf, nachdem der Personalrat seine gemäß §§ 61,
67 Abs. 1 Nr. 1 SAPersVG erforderliche Zustimmung verweigert und die ange-
rufene Einigungsstelle sich nach Verstreichen der in § 64 Abs. 2 Satz 2
SAPersVG vorgesehenen Frist an einer Sachentscheidung gehindert gesehen
hat. Die Frage ist mit dem Oberverwaltungsgericht eindeutig zu bejahen, so
dass es der Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens nicht bedarf.
Nach § 64 Abs. 2 Satz 2 SAPersVG muss der Beschluss der Einigungsstelle,
durch welchen sie über eine ihr unterbreitete mitbestimmungspflichtige Angele-
genheit entscheidet, innerhalb von vier Wochen nach Bestellung ihres Vorsit-
zenden ergehen. Nach Ablauf der Frist kann die Einigungsstelle keinen wirk-
samen Beschluss mehr fassen (vgl. BAG, Urteil vom 3. Juli 1996 - 2 AZR
813/95 - BAGE 83, 266 <273 f.>; Vogelgesang, in: Bieler/Vogelgesang/
Plaßmann/Kleffner, Landespersonalvertretungsgesetz Sachsen-Anhalt, § 64
Rn. 23). Ein solcher Fall liegt hier nach den Feststellungen des Oberverwal-
tungsgerichts vor; darüber streiten die Beteiligten nicht.
Welche Folge die Beendigung des Einigungsstellenverfahrens, die durch das
Verstreichen der Frist nach § 64 Abs. 2 Satz 2 SAPersVG herbeigeführt wird,
für das Mitbestimmungsverfahren insgesamt und die Durchführung der von der
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Dienststelle beabsichtigten Maßnahme hat, ist im Gesetz nicht ausdrücklich
geregelt. Rechtssystematisch aufschlussreich sind jedoch diejenigen gesetzli-
chen Bestimmungen, welche die Verantwortung der Einigungsstelle im Mitbe-
stimmungsverfahren beschreiben. Dabei sind zwei Fallgestaltungen zu unter-
scheiden:
Nach § 62 Abs. 5 Satz 2 SAPersVG tritt in den dort genannten beteiligungs-
pflichtigen Angelegenheiten die Entscheidung der Einigungsstelle an die Stelle
der Entschließung der Personalvertretung und bindet die beteiligten Behörden.
Es handelt sich um die Fälle der uneingeschränkten Mitbestimmung, in welchen
die Entscheidung der Einigungsstelle verbindlich ist. Es liegt auf der Hand, dass
weder das bloße Verstreichen der Frist nach § 64 Abs. 2 Satz 2 SAPersVG
noch ein dahingehender deklaratorischer Beschluss der Einigungsstelle die
nach dem Gesetz erforderliche Zustimmung zu der betreffenden Maßnahme zu
ersetzen vermag. Dies gilt in beiden Richtungen: Weder wird die nach § 61
Abs. 1 SAPersVG erforderliche Zustimmung des Personalrats ersetzt noch die-
jenige der Dienststelle zu einem Initiativantrag des Personalrats nach § 61
Abs. 4 SAPersVG.
Grundlegend anders ist die Rechtslage in denjenigen beteiligungspflichtigen
Angelegenheiten, welche in § 62 Abs. 7 Satz 1 SAPersVG genannt sind und zu
denen insbesondere personelle Einzelmaßnahmen gegenüber Arbeitnehmern
nach § 67 SAPersVG zählen. Dabei handelt es sich um die Fälle der einge-
schränkten Mitbestimmung, in denen die Einigungsstelle lediglich eine Empfeh-
lung abgibt und die oberste Dienstbehörde endgültig entscheidet. Hier drängt
sich bereits rechtssystematisch der Schluss auf, dass die Beendigung des Eini-
gungsstellenverfahrens durch Verstreichen der Frist nach § 64 Abs. 2 Satz 2
SAPersVG die Letztentscheidung der obersten Dienstbehörde ebenso wenig zu
hindern vermag wie die empfehlende Sachentscheidung der Einigungsstelle
nach § 62 Abs. 7 Satz 1 Halbs. 1 SAPersVG. Dies hat das Oberverwaltungsge-
richt zutreffend erkannt.
Diese Erwägung wird durch Sinn und Zweck der Regelung in § 64 Abs. 2 Satz 2
SAPersVG bestätigt. Dieser geht dahin, das Verfahren vor der Einigungsstelle
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und damit den Abschluss des Mitbestimmungsverfahrens insgesamt zu
beschleunigen. Dieser Gedanke erhält in Personalangelegenheiten, die aus
Gründen des demokratischen Prinzips der Letztentscheidung der obersten
Dienstbehörde nicht entzogen werden dürfen, ein zusätzliches, ver-
fassungsrechtlich relevantes Gewicht. Dem demokratischen Gebot ist nämlich
nicht schon dann Genüge getan, wenn der obersten Dienstbehörde die Kompe-
tenz zur Letztentscheidung formal zugewiesen ist. Hinzu kommen muss viel-
mehr, dass sie auch verfahrensrechtlich in die Lage versetzt ist, von dieser
Kompetenz sach- und zeitgerecht Gebrauch zu machen (vgl. BVerfG, Be-
schluss vom 24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 - BVerfGE 93, 37 <74>). Diesem Ge-
danken trägt das in § 64 Abs. 2 Satz 2 SAPersVG zum Ausdruck kommende
Beschleunigungsgebot Rechnung, indem es der obersten Dienstbehörde er-
möglicht, in mitbestimmungspflichtigen Personalangelegenheiten innerhalb an-
gemessener Zeit nach Anrufung der Einigungsstelle ihre Vorstellung umzuset-
zen. Dieser Sinn der Regelung würde geradezu in sein Gegenteil verkehrt,
wenn die Dienststelle nach Fristablauf zur Untätigkeit verurteilt wäre oder beim
Mitbestimmungsverfahren einen neuen Anlauf nehmen müsste. Eine dahinge-
hende Auslegung der Vorschrift hätte zur Folge, dass die Dienststellenseite an
der zeitgerechten Wahrnehmung ihrer personalpolitischen Aufgaben eher in
stärkerem Maße gehindert würde, als dies im Anwendungsbereich personalver-
tretungsrechtlicher Regelwerke der Fall ist, welche für die Entscheidung der
Einigungsstelle auf die Einhaltung von Fristen verzichten.
Die in der Beschwerdebegründung geäußerte Sorge des Antragstellers, bei der
vom Oberverwaltungsgericht befürworteten Auslegung werde die Beteiligung
des Personalrats in den Fällen der eingeschränkten Mitbestimmung ausgehöhlt,
teilt der Senat nicht. Vielmehr setzt die Ausübung des Letztentscheidungsrechts
durch die oberste Dienstbehörde die ordnungsgemäße Durchführung des
Mitbestimmungsverfahrens voraus. Die Personalvertretungen können daher
auch in den Fällen eingeschränkter Mitbestimmung verlangen, dass sie
vollständig unterrichtet und die gesetzlich vorgesehenen Stationen des Mitbe-
stimmungsverfahrens durchlaufen werden (vgl. Beschluss vom 10. Februar
2009 - BVerwG 6 PB 25.08 - juris). In diesen Fällen besteht jedoch die Beson-
derheit, dass die im Verantwortungsbereich der weisungsunabhängigen Eini-
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gungsstelle liegende Nichteinhaltung der Frist des § 64 Abs. 2 Satz 2
SAPersVG die endgültige Entscheidung der obersten Dienstbehörde und deren
anschließende Durchführung aus den genannten Gründen nicht zu hindern
vermag.
Die in der Beschwerdebegründung zitierten Senatsentscheidungen stehen nicht
entgegen. Sie bestätigen zwar, dass Rechtsverstöße im Personalvertretungs-
recht nicht ohne Folgen zu bleiben pflegen (zur Befugnis zur Einleitung von Mit-
bestimmungsverfahren: Beschluss vom 10. März 1987 - BVerwG 6 P 17.85 -
BVerwGE 77, 91 <93 f.> = Buchholz 250 § 71 BPersVG Nr. 4 S. 2 f.; zum Un-
terschriftserfordernis bei Einigungsstellenbeschlüssen: Beschluss vom
20. Dezember 1988 - BVerwG 6 P 34.85 - Buchholz 251.7 § 67 NWPersVG
Nr. 1). Welcher Art die Fehlerfolgen sind, kann jedoch nicht allgemein, sondern
nur im jeweiligen Sachzusammenhang bestimmt werden.
Dr. Bardenhewer
Büge
Vormeier
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Personalvertretungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
SAPersVG §§ 62, 64
Stichworte:
Letztentscheidungsrecht der obersten Dienstbehörde; Verstreichen der Frist für
die Entscheidung der Einigungsstelle.
Leitsatz:
Die zuständige Dienststelle darf in Personalangelegenheiten der Arbeitnehmer
von ihrem Letztentscheidungsrecht Gebrauch machen und die beabsichtigte
Maßnahme durchführen, wenn die Einigungsstelle die für ihre Sachentschei-
dung vorgesehene Frist nach § 64 Abs. 2 Satz 2 SAPersVG hat verstreichen
lassen.
Beschluss des 6. Senats vom 19. August 2009 - BVerwG 6 PB 20.09
I. VG Dessau vom 22.02.2007 - Az.: VG 11 A 1/07 DE -
II. OVG Magdeburg vom 15.04.2009 - Az.: OVG 5 L 5/07 -