Urteil des BVerwG vom 13.02.2012

Ausschuss, Fraktion, Entstehungsgeschichte, Zahl

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 PB 19.11
OVG 8 Bf 289/10.PVL
In der Personalvertretungssache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Februar 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge und Prof. Dr. Hecker
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulas-
sung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Hamburgi-
schen Oberverwaltungsgerichts - Fachsenat für Personal-
vertretungssachen nach dem Landespersonalvertretungs-
recht - vom 30. Mai 2011 wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Rechtsbe-
schwerde durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 100 Abs. 2 HmbPersVG
i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg.
1. Die Grundsatzrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG greift
nicht durch. Die in der Beschwerdebegründung aufgeworfene Rechtsfrage hat
keine grundsätzliche Bedeutung.
Die Antragstellerin will geklärt wissen, ob der Personalrat bei seiner Beschluss-
fassung über Freistellungen gemäß § 49 Abs. 1 HmbPersVG zunächst die Mit-
glieder des Vorstands (§ 32 HmbPersVG) zu berücksichtigen hat. Diese Frage
ist eindeutig im Sinne des Oberverwaltungsgerichts zu beantworten und bedarf
keiner Klärung im Rechtsbeschwerdeverfahren. Das Oberverwaltungsgericht
hat die für Freistellungsbeschlüsse des Personalrats nach dem Hamburgischen
Personalvertretungsgesetz geltenden Maßstäbe zutreffend erkannt.
a. Gemäß § 49 Abs. 1 HmbPersVG sind auf Beschluss des Personalrats ein-
zelne Mitglieder von der dienstlichen Tätigkeit freizustellen. Für die Auswahl
unter ihnen legt die Vorschrift keine Kriterien fest. Hierin unterscheidet sich § 49
Abs. 1 HmbPersVG von nahezu allen Parallelbestimmungen in den Personal-
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vertretungsgesetzen des Bundes und der anderen Länder. Lediglich in § 39
Abs. 7 BremPersVG sind gleichfalls keine Auswahlkriterien festgelegt. Die übri-
gen Parallelbestimmungen im Bundes- und Landesrecht schreiben im Text die
Berücksichtigung von Vorstandsmitgliedern allgemein (z.B. § 44 Abs. 5 Satz 3
LSA PersVG) oder der im Personalrat vertretenen Gruppen vor (z.B. § 43
Abs. 1 Satz 3 BlnPersVG) oder kombinieren beide Ansätze (z.B. § 40 Abs. 4
Satz 1 RP PersVG), in einigen Fällen unter Einbezug des Kriteriums der Listen-
stärke (z.B. § 46 Abs. 3 BPersVG).
b. Spricht demnach schon der Wortlaut von § 49 Abs. 1 HmbPersVG gegen
eine - zumindest strikt verstandene - Pflicht zur vorrangigen Berücksichtigung
von Vorstandsmitgliedern bei der Freistellungsentscheidung, so erhärtet sich
dieses Ergebnis im Lichte der Entstehungsgeschichte des Gesetzes.
aa. Die Freistellung von Personalratsmitgliedern war ursprünglich in § 42 Abs. 3
HmbPersVG vom 18. Oktober 1957 (GVBl S. 473) geregelt. Diese Vorschrift
sah keine Auswahlkriterien vor. Am 3. Juni 1970 brachte die CDU-Fraktion in
der Bürgerschaft den Entwurf eines neuen Personalvertretungsgesetzes ein
(BüDrs. VII/94), der in § 43 Abs. 3 für die Freistellung von Personalratsmitglie-
dern eine an der Beschäftigtenzahl orientierte Staffelregelung vorsah. Die Ent-
wurfsbegründung traf hierzu die Aussage: „Dabei ist entsprechend dem Grup-
penprinzip auch bei den Freistellungen auf die Repräsentanz der Gruppen Be-
dacht zu nehmen“ (Anl. zu BüDrs. VII/94, S. 3). Am 2. Februar 1971 legte die
SPD-Fraktion in der Bürgerschaft einen Gesetzentwurf vor (BüDrs. VII/910), der
eine nahezu gleichlautende Staffelregelung vorsah (§ 46 Abs. 3); eine Ent-
wurfsbegründung wurde nicht vorgelegt. Beide Entwürfe wurden dem Bürger-
schaftsausschuss für den öffentlichen Dienst überwiesen. Dieser legte nach
längeren Beratungen und vier öffentlichen Anhörungssitzungen mit Bericht vom
3. November 1972 (BüDrs. VII/2366) ein neu erarbeiteten Gesetzentwurf (Anl. 1
zu BüDrs. VII/2366) vor, der sodann von der Bürgerschaft verabschiedet wurde
und in Kraft trat (GVBl S. 211). Die vom Ausschuss vorgeschlagene Freistel-
lungsregelung in § 51 des neuen Entwurfs, die sich eng an die Vorschläge des
CDU- und des SPD-Entwurfs anlehnte, wurde von der Bürgerschaft unverän-
dert in das neue Gesetz aufgenommen. Sie ist seitdem wortgleich geblieben;
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mit Bekanntmachung vom 20. Januar 1976 (GVBl S. 15) änderte sich ihre
Nummerierung in § 49 Abs. 1. Der Bericht des Ausschusses für den öffentlichen
Dienst vom 3. November 1972 trifft zu der Regelung folgende Aussage (a.a.O.,
S. 6): „Der Antrag der CDU-Mitglieder, für die Absätze 1 und 2 die angemesse-
ne Berücksichtigung aller im Personalrat vertretenen Gruppen vorzuschlagen,
hat keine Mehrheit gefunden“. Auf die Aufnahme eines gruppenbezogenen Aus-
wahlkriteriums in die Freistellungsregelung hat der Ausschuss demnach mit
Bedacht verzichtet.
bb. Ausweislich seines Berichts vom 3. November 1972 (a.a.O., S. 1) wurden in
die Beratungen des Ausschusses für den öffentlichen Dienst neben den Ent-
würfen der CDU- und der SPD-Fraktion und zahlreichen Stellungnahmen von
dritter Seite auch das neu verabschiedete Betriebsverfassungsgesetz sowie der
durch die Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Bundespersonalvertre-
tungsgesetzes einbezogen, der mit BTDrucks VI/3721 einschließlich der hierzu
beschlossenen Stellungnahme des Bundesrats (Anl. 2 zu BTDrucks VI/3721)
unter dem 15. August 1972 dem Bundestag zugeleitet worden war. Während
der Regierungsentwurf des Bundespersonalvertretungsgesetzes für die Frei-
stellungsentscheidung entsprechend § 38 Abs. 2 Satz 2 BetrVG i.d.F. vom
15.1.1972 die angemessene Berücksichtigung der Gruppen vorsah (§ 45 Abs. 3
Satz 2; a.a.O., S. 10), schlug der Bundesrat in seiner Stellungnahme eine Re-
gelung vor (a.a.O., S. 39), wonach der Personalrat „zunächst die nach § 31
Abs. 2 gewählten Vorstandsmitglieder“ - mithin den Vorsitzenden und seine
Stellvertreter - „zu berücksichtigen (hat)“. Da dem Ausschuss für den öffentli-
chen Dienst dieser Vorschlag vorlag, muss angenommen werden, dass er auch
auf die Aufnahme eines vorstandsbezogenen Auswahlkriteriums in § 51
HmbPersVG a.F. mit Bedacht verzichtet hat.
cc. Zum Zeitpunkt der Gesetzesberatungen in Hamburg existierte zu der dama-
ligen bundesrechtlichen Freistellungsregelung in § 42 Abs. 3 PersVG - die
gleichfalls im Wortlaut keine Auswahlkriterien enthielt - eine gefestigte Recht-
sprechung, derzufolge im Grundsatz die Mitglieder des Vorstands des Perso-
nalrats und unter diesen die von den Gruppen gewählten Vertreter vorrangig zu
berücksichtigen waren (Beschlüsse vom 10. Oktober 1957 - BVerwG II CO
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1.57 - BVerwGE 5, 263 <266 f.> - Buchholz 238.3 § 42 PersVG Nr. 1, S. 1 f.;
vom 22. März 1963 - BVerwG VII P 8.62 - Buchholz 238.3 § 42 PersVG, Nr. 2,
S. 3 <5 f.>; sowie vom 17. Januar 1969 - BVerwG VII P 6.67 - BVerwGE 31,
192 <194 ff.> - Buchholz 238.3 § 42 PersVG Nr. 4, S. 2 ff.). Offensichtlich mit
Blick auf diese Rechtsprechung wurde in die Begründung des Regierungsent-
wurfs des Bundespersonalvertretungsgesetzes die Aussage aufgenommen, die
Vorgabe einer angemessenen Berücksichtigung der Gruppen im Rahmen der
Freistellung in § 45 Abs. 3 Satz 2 des Entwurfs „dient der Klarstellung“
(BTDrucks VI/3721, S. 30). Es ist nicht ersichtlich, dass auch der hamburgische
Gesetzgeber sich mit der Verabschiedung von § 51 HmbPersVG a.F. dieser
Rechtsprechung inhaltlich anschließen wollte und auf ihre Rezeption im Text
der Vorschrift lediglich aus redaktionellen Gründen verzichtet hätte. Wäre es so
gewesen, hätte es - zumal nach der Ablehnung des zumindest teilweise auf
Linie dieser Rechtsprechung liegenden Antrags der CDU-Fraktion im Aus-
schuss - nahe gelegen und üblicher parlamentarischer Praxis entsprochen, eine
entsprechende Erläuterung in den Bericht des Ausschusses oder in die Einzel-
begründung zu § 51 des Ausschussentwurfs (Anlage 2 zu BüDrs. VII/2366,
S. 7 f.) aufzunehmen, die beide sehr ausführlich gehalten sind. Dies ist indes
nicht geschehen.
dd. Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes führt somit zu der Schlussfolge-
rung, dass der hamburgische Gesetzgeber den Personalrat bei seinem Freistel-
lungsbeschluss nicht strikt an bestimmte Auswahlkriterien oder an die Maßga-
ben der zu § 42 Abs. 3 PersVG ergangenen Rechtsprechung und die dieser
zugrundeliegenden Erwägungen binden wollte.
c. Sinn und Zweck des § 49 Abs. 1 HmbPersVG gebieten, wie das Oberverwal-
tungsgericht zutreffend erkannt hat, dass maßgebliches Kriterium für die Aus-
wahl der freizustellenden Personalratsmitglieder die ordnungsgemäße Aufga-
benerledigung durch den Personalrat ist.
aa. Die Freistellung von Mitgliedern des Personalrats dient dazu, dass die au-
ßerhalb von Sitzungen des Personalrats anfallenden Geschäfte ordnungsge-
mäß und sachgemäß wahrgenommen werden und dadurch eine wirksame Er-
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füllung der dem Personalrat zustehenden Aufgaben und Befugnisse sicherge-
stellt wird. Bei diesem Arbeitsanfall handelt es sich um die laufenden Geschäf-
te, die sich auf die Vorbereitung und Durchführung der vom Personalrat zu fas-
senden oder gefassten Beschlüsse beziehen. In diesem Rahmen sind die not-
wendigen Verhandlungen zu führen und die für die Beschlussfassung erforder-
lichen Ermittlungen vorzunehmen sowie notwendige Unterlagen beizuziehen
(vgl. Beschlüsse vom 26. Oktober 1977 - BVerwG VII P 21.75 - Buchholz
238.32 § 43 BlnPersVG Nr. 1, S. 5; vom 12. Januar 2009 - BVerwG 6 PB
gaben, die keinen oder allenfalls einen mittelbaren Bezug zur Vorbereitung oder
Durchführung von Personalratsbeschlüssen aufweisen, wie beispielsweise die
Abhaltung von Sprechstunden für die Beschäftigten (§ 45 HmbPersVG), die
Bearbeitung von Eingaben und Anfragen (§ 78 Abs. 1 Nr. 4 HmbPersVG) sowie
die Vorbereitung von Initiativen des Personalrats gegenüber der Dienststellen-
leitung (§ 78 Abs. 1 Nr. 2 HmbPersVG).
Der Personalrat muss im konkreten Einzelfall bei seiner Beschlussfassung nach
§ 49 Abs. 1 HmbPersVG diesem Aufgabenbezug der Freistellung gerecht wer-
den. Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, insoweit sei das Er-
messen des Personalrats gebunden, bis hin zu der Möglichkeit, dass es sich im
Lichte der im Einzelfall vorliegenden Aufgabenverteilung auf die Auswahl einer
bestimmten Person verdichte. Einer solchermaßen angelegten Ermessensbin-
dung steht der oben dargestellte entstehungsgeschichtliche Befund nicht ent-
gegen. Mit der Staffelung der Zahl der freizustellenden Mitglieder nach der Be-
schäftigtenzahl hat der Gesetzgeber selbst einen direkten Bezug zwischen
Freistellung und Aufgabenumfang hergestellt. Mit dem erkennbaren Anliegen
des Gesetzgebers, die Voraussetzungen für eine effiziente Personalratsarbeit
zu schaffen, wäre nicht in Einklang bringen, dass der Personalrat bei seinen
Freistellungsbeschlüssen von der tatsächlichen Aufgabenverteilung unter sei-
nen Mitgliedern absehen dürfte.
bb. Danach wird es meist geboten sein, die Vorstandsmitglieder freizustellen,
die gemäß § 33 Abs. 1 HmbPersVG die laufenden Geschäfte des Personalrats
führen, sofern die Befugnis hierzu nicht durch einstimmigen Beschluss auf den
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Vorsitzenden übertragen worden ist. Ein unbedingtes Erfordernis ist dies aller-
dings nicht. Es sind durchaus Konstellationen vorstellbar, in denen Vorstands-
mitgliedern die Teilhabe an der laufenden Geschäftsführung auch ohne Freistel-
lung möglich ist, zugleich der Personalrat bei Verabschiedung seiner Ge-
schäftsordnung (§ 44 HmbPersVG) aber anderen seiner Mitglieder Aufgaben
zugewiesen hat, die sich ohne Freistellung nicht sachgerecht bewältigen las-
sen. Die Geschäftsordnung kann, solange hierdurch keine Behinderung oder
Ausschaltung des Vorstands eintritt, bestimmte Aufgaben auch nicht dem Vor-
stand angehörigen Personalratsmitgliedern zuweisen (vgl. Beschluss vom
10. Oktober 1957 - BVerwG II CO 1.57 - BVerwGE 5, 263 <266>, insoweit nicht
abgedruckt in Buchholz 238.3 § 42 PersVG Nr. 1; BAG, Urteil vom 19. Septem-
ber 1985 - 6 AZR 476/83 - BAGE 49, 378 <388>); Fischer/Goeres/Gronimus in:
GKÖD, Bd. V, Stand 2011, K § 42 Rn. 25), beispielsweise die Abhaltung von
Sprechstunden für die Beschäftigten (Fischer/Goeres/Gronimus, a.a.O., K § 32
Rn. 32, K § 43 Rn. 15). Zur vorbereitenden Bearbeitung bestimmter Teilaufga-
ben kann der Personalrat einzelne seiner Mitglieder - auch solche, die dem Vor-
stand nicht angehören - als Beauftragte einsetzen oder hierzu Ausschüsse ein-
setzen (vgl. Kröll, in: Altvater/Baden/Kröll/Lemcke/Peiseler, BPersVG, 7. Aufl.
2011, § 32 Rn. 18). An der Festlegung der Zahl freizustellender Mitglieder in
§ 49 Abs. 1 HmbPersVG, die bei größeren Dienststellen die durch § 32
HmbPersVG vorgegebene Zahl der Vorstandsmitglieder übersteigt, zeigt sich,
dass der Gesetzgeber prinzipiell von der Möglichkeit ausgegangen ist, dass
auch für nicht dem Vorstand angehörende Personalratsmitglieder ein Aufga-
benumfang existieren kann, der eine Freistellung rechtfertigt. Ob die Aufgaben-
verteilung innerhalb des Personalrats es zulässt, einem nicht dem Vorstand
angehörenden Personalratsmitglied bei der Freistellung den Vorzug vor einem
Vorstandsmitglied einzuräumen, ist nach den konkreten Umständen im Einzel-
fall zu beurteilen.
Im Übrigen hatte schon die zu § 42 Abs. 3 PersVG ergangene Rechtsprechung
anerkannt, dass aus stichhaltigen Gründen, die im Bereich sachlicher und be-
achtenswerter Erwägungen liegen, von der vorrangigen Berücksichtigung von
Vorstandsmitgliedern abgewichen werden darf (vgl. Beschlüsse vom 10. Okto-
ber 1957 - BVerwG II CO 1.57 - BVerwGE 5, 263 <266 f.> - Buchholz 238.3
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§ 42 PersVG Nr. 1, S. 1 f.; vom 22. März 1963 - BVerwG VII P 8.62 - Buchholz
238.3 § 42 PersVG, Nr. 2, S. 3 <5 f.>; sowie vom 17. Januar 1969 - BVerwG VII
P 6.67 - BVerwGE 31, 192 <194 ff.> - Buchholz 238.3 § 42 PersVG Nr. 4, S. 2
ff.). Solche Gründe können sich aus anderen Umständen als der Aufgabenver-
teilung innerhalb des Personalrats ergeben, wie beispielsweise der besonderen
Sachkunde oder dem besonderen Verhandlungsgeschick einer in Rede ste-
henden Person (vgl. Beschluss vom 2. Mai 1984 - BVerwG 6 P 30.83 - Buch-
holz 238.3A § 46 BPersVG Nr. 14, S. 5 <7>). Es bestehen keine Bedenken, im
hier interessierenden Zusammenhang auf diese Rechtsprechung zurückzugrei-
fen, wobei die oben dargestellten entstehungsgeschichtlichen Begebenheiten
dafür sprechen, den Freiraum des Personalrats bei Annahme solcher Gründe
tendenziell sogar noch großzügiger zu bemessen.
cc. Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht darüber hinaus angenommen, die
Auswahlentscheidung des Personalrats dürfe nicht von sachwidrigen Erwägun-
gen, wie beispielsweise der Gewerkschaftszugehörigkeit der betroffenen Per-
sonen, bestimmt sein (vgl. Beschluss vom 2. Mai 1984 - BVerwG 6 P 30.83 -
Buchholz 238.3A § 46 BPersVG Nr. 14, S. 5 <9>).
dd. Die Anwendung dieser Maßstäbe durch das Oberverwaltungsgericht in dem
von ihm entschiedenen Einzelfall ist im Beschwerdeverfahren nicht zu prüfen.
d. Ein Vorrang von Mitgliedern des Vorstands bei Freistellungsbeschlüssen
nach § 49 Abs. 1 HmbPersVG ergibt sich schließlich auch nicht unter dem Ge-
sichtspunkt des Gruppenprinzips. Der Personalrat unterliegt keiner über das
oben aufgezeigte Maß hinausgehenden Beschränkung seines Auswahlermes-
sens dahingehend, dass die Freistellung von nicht dem Vorstand angehörenden
Mitgliedern unzulässig wäre, sofern hierdurch - mit Blick auf die zahlenmäßige
Beschränkung der Freistellungsmöglichkeiten (§ 49 Abs. 1 HmbPersVG) -
Gruppensprecher i.S.v. § 32 Abs. 2 HmbPersVG unberücksichtigt bleiben wür-
den. Dies folgt aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes, aus der - wie dar-
gelegt - hervortritt, dass der Gesetzgeber sich bewusst gegen die Aufnahme
eines gruppenbezogenen Auswahlkriteriums in § 49 Abs. 1 HmbPersVG ent-
schieden hat. Diese Entscheidung hat der Gesetzgeber im Rahmen der zahlrei-
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chen seitdem vorgenommenen Novellierungen des Gesetzes nicht revidiert. Sie
darf, wie das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, nicht unter
Berufung auf Sinn und Zweck des Gruppenprinzips überspielt werden. Zwar ist
das Hamburgische Personalvertretungsgesetz wie andere Personalvertre-
tungsgesetze durch das Gruppenprinzip maßgeblich geprägt, so außer in § 32
Abs. 2 (Gruppensprecher als geborene Vorstandsmitglieder) insbesondere in
§ 39 Abs. 2 (Beschlussfassung in Gruppenangelegenheiten bei mehrheitlichem
Antrag der Gruppenmitglieder nur durch diese), in § 33 Abs. 2 (Vertretung in
Gruppenangelegenheiten nur mit Gruppensprecher), in § 32 Abs. 3 Satz 3
(Vorsitzender und Stellvertreter müssen verschiedenen Gruppen angehören)
sowie im Hinblick auf die Einberufung von Sitzungen und die Teilnahme an die-
sen in § 34 Abs. 3 Nr. 3 und in § 35 Abs. 3 Nr. 1, ferner noch in § 40 Abs. 1
(Aussetzung von Beschlüssen auf mehrheitlichen Antrag der Gruppenvertreter).
Die praktische Wirksamkeit der gruppenbezogenen Interessensvertretung wird
durch ein Übergehen des Gruppensprechers im Rahmen von Freistellungsbe-
schlüssen durchaus auch ein Stück gemindert, da diesem weniger Zeit zur Ver-
fügung steht, um die Willensbildung in Gruppenangelegenheiten voranzutreiben
(vgl. Beschluss vom 12. Januar 2009 - BVerwG 6 PB 24.08 - Buchholz 251.7
§ 42 NWPersVG Nr. 6, S. 4). Sie wird aber nicht so weit herabgesetzt, dass der
Verzicht auf ein gruppenbezogenes Auswahlkriterium in unauflösbarem Wider-
spruch zu den vorgenannten Vorschriften und dem ihnen zugrundeliegenden
Regelungskalkül stünde. Die in diesen Vorschriften festgeschriebenen Befug-
nisse bleiben unberührt. Dem Gruppensprecher verbleibt die Möglichkeit,
Dienstbefreiungen zu erwirken, soweit es zur Wahrnehmung seiner Aufgaben
notwendig ist (§ 48 Abs. 2 HmbPersVG). Der hamburgische Gesetzgeber konn-
te daher davon ausgehen, mit dem Verzicht auf ein gruppenbezogenes Aus-
wahlkriterium die Position der Personalratsmehrheit graduell gestärkt zu haben,
ohne hiermit zugleich das Gruppenprinzip faktisch auszuhöhlen. Dass letzteres
nicht die zwangsläufige Konsequenz des Übergehens eines Gruppensprechers
im Rahmen von Freistellungsbeschlüssen sein muss, hatte im Übrigen bereits
die zu § 42 Abs. 3 PersVG ergangene Rechtsprechung anerkannt, indem sie
ein solches Übergehen bei Vorliegen stichhaltiger Gründe für zulässig gehalten
hat (Beschlüsse vom 10. Oktober 1957 - BVerwG II CO 1.57 - BVerwGE 5, 263
<266 f.> - Buchholz 238.3 § 42 PersVG Nr. 1, S. 1 f.; vom 22. März 1963
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- BVerwG VII P 8.62 - Buchholz 238.3 § 42 PersVG, Nr. 2, S. 3 <5 f.>; sowie
vom 17. Januar 1969 - BVerwG VII P 6.67 - BVerwGE 31, 192 <194 ff.>
- Buchholz 238.3 § 42 PersVG Nr. 4, S. 2 ff.). Im Übrigen wird die oben darge-
stellte Bindung des Freistellungsermessens an das Kriterium der ordnungsge-
mäßen Aufgabenerledigung durch den Personalrat in der Praxis regelmäßig zur
Folge haben, dass die Gruppensprecher im Rahmen der Freistellung berück-
sichtigt werden.
2. Die zugleich erhobene Divergenzrüge hat keinen Erfolg. Der angeführte Be-
schluss des Fachsenats für Personalvertretungssachen nach dem Hamburgi-
schen Personalvertretungsgesetz des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts
vom 21. Januar 1974 - OVG Bs. PH 8/73 - ist durch den Beschluss desselben
Fachsenats des Hamburgischen Oberverwaltungsgericht vom 11. Juni 2001
- 8 Bf 154/00 PVL - PersR 2002, 120 - überholt (§ 72 Abs. 2 Nr. 2; § 92 Abs. 1
Satz 2 ArbGG).
Neumann
Büge
Prof. Dr. Hecker
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Personalvertretungsrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquelle:
HmbPersVG
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Stichworte:
Personalvertretungsrecht; Freistellung von Mitgliedern des Personalrats; Kriterien
für Freistellung von Mitgliedern des Personalrats.
Leitsätze:
1. Sinn und Zweck des § 49 Abs. 1 HmbPersVG gebieten, dass maßgebliches
Kriterium für die Auswahl der freizustellenden Personalratsmitglieder die ord-
nungsgemäße Aufgabenerledigung durch den Personalrat ist.
2. § 49 Abs. 1 HmbPersVG gebietet keinen unbedingten Vorrang der Vor-
standsmitglieder oder der Gruppensprecher im Rahmen des Freistellungsbe-
schlusses des Personalrats.
Beschluss des 6. Senats vom 13. Februar 2012 - BVerwG 6 PB 19.11
I. VG Hamburg vom 13.09.2010 - Az.: VG 26 FL 10/10 -
II. OVG Hamburg vom 30.05.2011 - Az.: OVG 8 Bf 289/10.PVL -