Urteil des BVerwG vom 02.05.2014

Anleitung, Eingliederung, Erfüllung, Mitbestimmung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 PB 11.14
OVG 60 PV 20.12
In der Personalvertretungssache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. Mai 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Hahn und Prof. Dr. Hecker
beschlossen:
Die Beschwerde des Beteiligten gegen die Nichtzulassung
der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Oberverwal-
tungsgerichts Berlin-Brandenburg - Fachsenat für Perso-
nalvertretungssachen des Landes Berlin - vom 30. Januar
2014 wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Beteiligten gegen die Nichtzulassung der Rechtsbe-
schwerde gemäß § 91 Abs. 2 BlnPersVG i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG ist unbe-
gründet und hat daher keinen Erfolg.
1. Die Grundsatzrüge gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG greift
nicht durch.
Der Beteiligte sieht der Sache nach als klärungsbedürftig an, ob der Einsatz
erwerbsfähiger Leistungsberechtigter (sog. „MAE-Kräfte“) in Arbeitsgelegenhei-
ten gemäß § 16d Abs. 1 und 7 SGB II in einer Dienststelle auch dann wegen
Erfüllung des Tatbestands der Einstellung der Mitbestimmung gemäß § 87 Nr. 1
BlnPersVG oder der Mitwirkung gemäß § 90 Nr. 10 BlnPersVG unterliegt,
der seinerseits durch die Agentur für Arbeit als Maßnahmenträger ein-
geschaltet worden ist und Förderleistungen für die Bereitstellung von Arbeitsge-
legenheiten in Anspruch nimmt. Diese Frage hat keine rechtsgrundsätzliche
Bedeutung im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG, denn sie ist unter Berück-
sichtigung des Senatsurteils vom 21. März 2007 (BVerwG 6 P 4.06 - BVerwGE
128, 212 = Buchholz 251.8 § 78 RhPPersVG Nr. 1; für § 99 Abs. 1 BetrVG
ebenso BAG, Beschluss vom 2. Oktober 2007 - 1 ABR 60/06 - BAGE 124, 182)
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eindeutig mit dem Oberverwaltungsgericht zu bejahen, so dass kein Bedarf für
die Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens besteht.
Der Senat hat in dem Urteil vom 21. März 2007, der die mit § 16d Abs. 1 und 7
SGB II im hier interessierenden Umfang deckungsgleichen Bestimmungen in
§ 16 Abs. 1 und 3 SGB II a.F. betraf, ausgesprochen, dass MAE-Kräfte, die im
Rahmen von Arbeitsgelegenheiten in der Dienststelle zum Einsatz kommen,
dort im Sinne des personalvertretungsrechtlichen Einstellungsbegriffs einge-
gliedert werden (a.a.O. Rn. 15). Die Zwischenschaltung eines privaten Maß-
nahmenträgers, der die MAE-Kräfte vermittelt und anleitet, könnte allenfalls
dann zu einer anderen rechtlichen Beurteilung als im Urteil vom 21. März 2007
- das den Einsatz bei einer Dienststelle betraf, die selbst als Maßnahmenträger
fungierte - führen, wenn aufgrund dieser Zwischenschaltung die Rechtsbezie-
hung zwischen Dienststelle und den MAE-Kräften nicht die für die Annahme
einer Eingliederung erforderlichen Merkmale aufwiese. Dies ist jedoch nicht der
Fall.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats, die auch das Urteil vom 21. März
2007 zum Ausgangspunkt nimmt (a.a.O. Rn. 10), ist zur Annahme einer Ein-
gliederung neben der - hier unstreitig gegebenen - tatsächlichen Arbeitsauf-
nahme im Rahmen der Arbeitsorganisation der Dienststelle ein rechtliches
Band erforderlich, durch welches ein Weisungsrecht der Dienststelle, verbun-
den mit entsprechenden Schutzpflichten, und damit korrespondierend die Wei-
sungsgebundenheit des Dienstleistenden, verbunden mit entsprechenden
Schutzrechten, begründet werden. Ein solches rechtliches Band liegt - wie das
Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen hat - auch vor, wenn MAE-
Kräfte, die bei einer Dienststelle zum Einsatz gelangen, durch einen privaten
Maßnahmenträger vermittelt und angeleitet werden.
Insofern ist zum einen auf die sozialrechtliche Bestimmung des § 16d Abs. 7
Satz 2 HS 2 SGB II zu verweisen, nach der die Vorschriften über den Arbeits-
schutz entsprechend anzuwenden sind. Aufgrund dieser Bestimmung ergeben
sich unmittelbar im Verhältnis zwischen der Dienststelle und den bei ihr einge-
setzten MAE-Kräften einerseits Schutzpflichten und andererseits hiermit kor-
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respondierende Schutzansprüche im Hinblick auf die einschlägigen gesetzli-
chen Regelungen zum Arbeitsschutz in einer Weise, wie sie sonst für das
Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern typisch ist (vgl. nä-
her bezogen auf § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II a.F.: Urteil vom 21. März 2007
a.a.O. Rn. 18). Diese Rechtslage verändert sich nicht dadurch, dass eine Ver-
mittlung und Anleitung betroffener MAE-Kräfte durch einen privaten Maßnah-
menträger erfolgt und die Dienststelle nicht selbst als Maßnahmenträger fun-
giert. Dies gilt auch dann, wenn - wie im Ausgangsfall des vorliegenden Streits -
die Dienststelle mit dem privaten Maßnahmenträger im Rahmen eines Koopera-
tionsvertrags vereinbart, dass dieser die MAE-Kräfte über Unfallverhütungsvor-
schriften belehrt, ihnen Anweisungen zur Arbeitssicherheit erteilt und die öffent-
lich-rechtlichen Vorschriften des Arbeitsschutzes „erfüllt“. Vereinbarungen die-
ser Art begründen Verpflichtungen des privaten Maßnahmenträgers im Innen-
verhältnis zur Dienststelle, bei entsprechend zu Tage tretendem Regelungswil-
len darüber hinaus auch vertragliche Ansprüche zugunsten betroffener Dritter
wie hier der MAE-Kräfte. Sie bringen aber weder die gesetzesunmittelbar in
§ 16a Abs. 7 Satz 2 SGB II normierten Pflichten der Dienststelle zum Erlö-
schen, noch das in dieser Bestimmung zugleich angelegte Recht von MAE-
Kräften, sich gegenüber der Dienststelle, bei der sie eingesetzt sind, auf die
Einhaltung dieser Pflichten zu berufen und ggfs. Ansprüche geltend zu machen,
sofern sie verletzt werden. Die normativen Vorgaben aus § 16a Abs. 7 Satz 2
SGB II stehen mit anderen Worten nicht dergestalt zur Disposition der Dienst-
stelle, dass diese sich ihrer im Wege der Delegation auf einen privaten Maß-
nahmenträger, der die MAE-Kräfte vermittelt und anleitet, entledigen könnte.
Ein hiervon abweichendes Gesetzesverständnis, nach dem die genannten Vor-
gaben allein den von der Agentur für Arbeit eingeschalteten Maßnahmenträger
und nicht zumindest auch die Dienststelle träfen, bei der die MAE-Kräfte tat-
sächlich zum Einsatz gelangen, würde die Gefahr erheblicher Schutzlücken zu
Lasten der eingesetzten MAE-Kräfte begründen. Denn der außenstehende
Maßnahmenträger wird in aller Regel nicht einen derart weitreichenden Zugriff
auf die Arbeitsstätte der Dienststelle und ihre arbeitstechnischen Vorrichtungen
besitzen, dass er allein aus eigenem Vermögen in der Lage wäre, die Einhal-
tung der gesetzlichen Arbeitsschutzregelungen auch tatsächlich hinreichend zu
gewährleisten.
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Zum anderen entfällt durch die Einschaltung eines privaten Maßnahmenträgers
zur Vermittlung und Anleitung von MAE-Kräften auch nicht die erforderliche
Weisungsbefugnis der Dienststelle. Der Senat hat in dem genannten Urteil vom
21. März 2007 ausgesprochen, dass der Normgeber des § 16 Abs. 3 SGB II
a.F. unausgesprochen davon ausgegangen ist, erwerbsfähige Hilfsbedürftige
würden in Arbeitsgelegenheiten weisungsabhängige Tätigkeiten verrichten
(a.a.O. Rn. 18). Es bedarf keiner Entscheidung, ob deshalb - oder womöglich
auch aus Gründen, die außerhalb des Sozialrechts liegen - die Ausgestaltung
einer Rechtsbeziehung zwischen einer Dienststelle und einem privaten Maß-
nahmenträger hinsichtlich des Einsatzes von MAE-Kräften in der Dienststelle
ausgeschlossen ist, kraft derer das Weisungsrecht gegenüber den MAE-Kräften
auf den Maßnahmenträger konzentriert wird und der Dienststelle keine eigenen
Weisungsmöglichkeiten gegenüber diesen verbleiben. Soweit - wie mit dem
Feststellungsbegehren des Antragstellers und wie beim Ausgangsfall des vor-
liegenden Streits - ein Maßnahmenträger in Rede steht, dem kraft Vereinbarung
mit der Dienststelle dieser gegenüber lediglich die
von MAE-Kräften obliegt, ist jedenfalls die Weisungsbefugnis der Dienststelle,
von der § 16d Abs. 7 SGB II gleichermaßen wie zuvor § 16 Abs. 3 SGB II a.F.
gesetzesunmittelbar ausgeht, sowie die hiermit korrespondierende Weisungs-
gebundenheit der in der Dienststelle eingesetzten MAE-Kräfte nicht in Frage
gestellt. Dies berücksichtigt im Übrigen auch der Kooperationsvertrag, der im
Ausgangsfall des vorliegenden Streits abgeschlossen worden ist. Nach ihm ist
zwar der vom privaten Maßnahmenträger gestellte Vorarbeiter mit der unmittel-
baren Leitung der Arbeitseinsätze vor Ort betraut, hat aber den Arbeitseinsatz
und -ablauf der MAE-Kräfte täglich mit einem Beauftragten der Dienststelle ab-
zustimmen. Die Dienststelle soll demnach die wesentlichen Direktionsentschei-
dungen im Hinblick auf die Erbringung der Arbeitsleistung in der Hand behalten.
Ferner ist nach dem Kooperationsvertrag die Arbeitszeitgestaltung mit ihr abzu-
stimmen. Aus den der Dienststelle nach der Kooperationsvereinbarung vorbe-
haltenen Rechten, Ersatzpersonal für nichtgeeignete Arbeitskräfte anzufordern
und die sofortige Beendigung des Arbeitseinsatzes eines Teilnehmers bei per-
sonenbezogenem Fehlverhalten zu verlangen, kann zudem indirekt geschlos-
sen werden, dass der Dienststelle nach dem Willen der Kooperationspartner
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vorgelagert zu den genannten Rechten ein Recht zur Kontrolle der Arbeitser-
bringung durch die MAE-Kräfte belassen bleiben soll.
Die im Urteil vom 21. März 2007 angestellten Erwägungen zu Sinn und Zweck
der Personalratsbeteiligung beim Einsatz von MAE-Kräften in der Dienststelle
(a.a.O. Rn. 31 ff.) kommen im hier betroffenen Fall des Einsatzes auf Vermitt-
lung eines zwischengeschalteten privaten Maßnahmenträgers gleichermaßen
zum Tragen.
Der Mitbestimmungs- bzw. Mitwirkungspflichtigkeit des Einsatzes von MAE-
Kräften in der vorliegenden Konstellation steht nicht entgegen, wenn die Aus-
wahl der Kräfte durch den privaten Maßnahmenträger erfolgt. Mangels ent-
gegenstehender gesetzlicher Bestimmungen bleibt das Recht der Dienststelle,
die von einer Agentur für Arbeit ausgewählten Kräfte wegen fehlender fachli-
cher oder persönlicher Eignung abzulehnen, unberührt (vgl. Urteil vom 21. März
2007 a.a.O. Rn. 24). Es ist kein Grund ersichtlich, warum kein solches Recht
bestehen sollte, wenn die Auswahl durch einen zwischengeschalteten privaten
Maßnahmenträger erfolgt. Etwaige entgegenstehende Vereinbarungen mit die-
sem wären unbeachtlich. Eine Dienststelle kann Beteiligungsrechte des Perso-
nalrats nicht dadurch unterlaufen, dass sie auf Einflussnahme bei der Arbeits-
aufnahme bei ihr einzusetzender Personen verzichtet (vgl. BAG, Beschluss
vom 22. April 1997 - 1 ABR 74/96 - AP Nr. 18 zu § 99 BetrVG 1972 Bl. 1627 =
juris Rn. 51).
2. Die Divergenzrüge gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2, § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG greift
nicht durch. Der angefochtene Beschluss weicht nicht dadurch vom Urteil des
Senats vom 21. März 2007 (a.a.O.) ab, dass in ihm der Dienststelle ein Wei-
sungsrecht hinsichtlich der Arbeitstätigkeit von MAE-Kräften zugesprochen
wird. Die vom Antragsteller in Bezug genommene Passage in Rn. 18 des Urteils
vom 21. März 2007, wo vom Weisungsrecht des Maßnahmenträgers und nicht
der Dienststelle die Rede ist, erklärt sich daraus, dass in dem entschiedenen
Fall - anders als im vorliegenden Fall - die Dienststelle selbst als Maßnahmen-
träger fungierte.
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3. Die Gehörsrüge gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2, § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG greift
nicht durch.
Die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Oberverwaltungsgericht
kann nicht als unzulässige Überraschungsentscheidung gerügt werden. § 92
Abs. 1 Satz 2, § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG beschränken den Beschwerdeführer auf
die Rüge von Gehörsverletzungen durch die Sachentscheidung.
Soweit der Beteiligte vorträgt, die Zurückweisung der Beschwerde durch das
Oberverwaltungsgericht stelle eine unzulässige Überraschungsentscheidung
dar, muss seiner Gehörsrüge gleichfalls der Erfolg versagt bleiben. Mit dem
Misserfolg ihres Rechtsmittels müssen Verfahrensbeteiligte stets rechnen. Aus
dem Vortrag des Beteiligten ergibt sich kein Verhalten des Oberverwaltungsge-
richts, das ein schützenswertes Vertrauen des Beteiligten auf einen Erfolg sei-
ner Beschwerde hätte begründen können.
Neumann
Hahn
Prof. Dr. Hecker
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Personalvertretungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BlnPersVG
§ 87 Nr. 1, § 90 Nr. 10
Stichworte:
Einstellung; Eingliederung; Einsatz von MAE-Kräften (1 € Jobs); privater Dritter
als Träger von Maßnahmen im Sinne von § 16d Abs. 1 und 7 SGB II.
Leitsatz:
Der Einsatz erwerbsfähiger Leistungsberechtigter („MAE-Kräfte“) in Arbeitsge-
legenheiten gemäß § 16d Abs. 1 und 7 SGB II in einer Dienststelle unterliegt
auch dann wegen Erfüllung des Tatbestands der Einstellung der Mitbestim-
mung gemäß § 87 Nr. 1 BlnPersVG oder der Mitwirkung gemäß § 90 Nr. 10
BlnPersVG, wenn die Dienststelle im sozialrechtlichen Sinn nicht selbst Maß-
nahmenträger ist, sondern die MAE-Kräfte von einem privaten Dritten vermittelt
und angeleitet werden, der seinerseits durch die Agentur für Arbeit als Maß-
nahmenträger eingeschaltet worden ist und Förderleistungen für die Bereitstel-
lung von Arbeitsgelegenheiten in Anspruch nimmt.
Beschluss des 6. Senats vom 2. Mai 2014 - BVerwG 6 PB 11.14
I. VG Berlin vom 06.11.2012 - Az.: VG 61 K 10.12 PVL -
II. OVG Berlin-Brandenburg vom 30.01.2014 - Az.: OVG 60 PV 20.12 -