Urteil des BVerwG vom 30.06.2005

Überstunden, Mehrarbeit, Mitbestimmungsrecht, Freiwilligkeit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
BESCHLUSS
BVerwG 6 P 9.04
VG 22 K 2932/04 (V)
In der Personalvertretungssache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Juni 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. H a h n , B ü g e , Dr. G r a u l i c h und V o r m e i e r
beschlossen:
Die Sprungrechtsbeschwerde des Beteiligten gegen den Be-
schluss der Fachkammer für Personalvertretungssachen des
Bundes beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main vom
6. September 2004 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen,
dass sich die Feststellung auf Fallgestaltungen bezieht, die der-
jenigen vergleichbar sind, die durch die Verfügung des Beteilig-
ten vom 19. Januar 2004 gekennzeichnet war.
G r ü n d e :
I.
Mit Schreiben vom 23. Dezember 2003 leitete der Beteiligte dem Antragsteller den
Entwurf einer Anordnung für Überstunden im Bereich Alg/Alhi/FbW zu und bat, über
die Vorlage in der nächsten Sitzung zu beschließen. Mit Schreiben vom 15. Januar
2004 reklamierte der Antragsteller ein volles Mitbestimmungsrecht, verweigerte die
Zustimmung zur Anordnung von Überstunden und machte hinsichtlich der Lage und
Verteilung der Überstunden einen Alternativvorschlag. Diesen aufgreifend ordnete
der Beteiligte mit Verfügung vom 19. Januar 2004 unter Hinweis auf erhebliche Be-
arbeitungsrückstände für den Zeitraum von acht Wochen, beginnend mit der sechs-
ten Kalenderwoche 2004, Überstunden im Funktionsbereich Alg/Alhi/FbW im Umfang
von bis zu 40 Überstunden insgesamt an. Weiter hieß es: "Die Ableistung der
Überstunden ist freiwillig. Die Überstunden können von Montag bis Donnerstag zwi-
schen 06:30 Uhr und 18:00 Uhr und Freitag zwischen 06:30 Uhr und 17:00 Uhr ab-
geleistet werden." Mit Schreiben vom 9. Februar 2004 stellte der Beteiligte klar, dass
nach seiner Auffassung der Antragsteller bei der Anordnung von Überstunden
grundsätzlich kein Mitbestimmungsrecht habe, dieses sich vielmehr auf die Festle-
gung von Lage und Verteilung der Arbeitszeit beschränke.
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Das daraufhin angerufene Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Mitbestim-
mung des Antragstellers nach § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG auch Entscheidungen des
Beteiligten umfasse, ob Mehrarbeit oder Überstunden angeordnet würden. Zur Be-
gründung hat es ausgeführt: § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG gebe dem Personalrat ein
Mitbestimmungsrecht in allen Fragen zu Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit.
Was darunter zu verstehen sei, ergebe sich mittelbar auch aus § 75 Abs. 4
BPersVG. Diese Vorschrift gebe unzweideutig zu erkennen, dass bei Nichtvorliegen
der dort normierten Ausnahmevoraussetzungen die Mitbestimmung jedenfalls auch
die Anordnung von Mehrarbeit oder Überstunden über die bloßen Grundsätze der
Dienstplangestaltung hinaus erfasse. Soweit die Verbindlichkeit der Einigungsstel-
lenentscheidung den Anforderungen des demokratischen Prinzips nicht genüge, füh-
re die analoge Anwendung von § 69 Abs. 4 Sätze 3 und 4 BPersVG zu einem ver-
fassungskonformen Ergebnis.
Der Beteiligte trägt zur Begründung seiner Sprungrechtsbeschwerde vor: Der Wort-
laut des Mitbestimmungstatbestandes in § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG umfasse nicht
die Entscheidung, ob Überstunden zu leisten seien. Er erfasse lediglich die Regelung
über die zeitliche Lage von Überstunden. Die Regelung in § 75 Abs. 4 BPersVG füh-
re zu keinem anderen Ergebnis. Diese Bestimmung enthalte keine Ausdehnung des
in § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG normierten Mitbestimmungsrechts, sondern eine Ein-
schränkung unter den näher bezeichneten Voraussetzungen. Bei systematischer
Auslegung beider Vorschriften könne nur geschlossen werden, dass die Anordnung
von Überstunden dann der Mitbestimmung unterliege, wenn damit zugleich deren
Lage und Verteilung festgelegt werde.
Der Beteiligte beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und
1. den Antrag abzulehnen,
2. festzustellen, dass die Anordnung von Überstunden und Mehrarbeit nicht der
Mitbestimmung des Antragstellers nach § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG unterliege.
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Der Antragsteller beantragt,
die Sprungrechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt den angefochtenen Beschluss.
Der Vertreter des Bundesinteresses schließt sich den Ausführungen des Beteiligten
an.
II.
Die Sprungrechtsbeschwerde des Beteiligten ist nicht begründet. Der Beschluss des
Verwaltungsgerichts beruht nicht auf der Nichtanwendung oder der unrichtigen An-
wendung einer Rechtsnorm (§ 83 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 1, § 96 a
Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers erstreckt sich in
den hier in Rede stehenden Fällen auch auf die Frage, ob Mehrarbeit oder Über-
stunden angeordnet werden.
1. Der im Anhörungstermin des Verwaltungsgerichts gestellte Feststellungsantrag,
der auch den Streitgegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens bestimmt, bedarf
der Auslegung.
a) Nach seinem Wortlaut könnte dieser Antrag dahin missverstanden werden, dass
der Antragsteller für alle denkbaren Fälle der Anordnung von Überstunden und
Mehrarbeit in der Dienststelle sein Mitbestimmungsrecht festgestellt wissen will. Ei-
nen derartigen Antrag zu stellen, widerspräche jedoch dem erkennbaren Willen und
Interesse des Antragstellers. Es kann nicht angenommen werden, dass das Begeh-
ren sich auch auf Fallgestaltungen erstrecken soll, in denen es offensichtlich nicht
greift, etwa in den Sonderfällen nach § 75 Abs. 4 BPersVG oder bei Maßnahmen, die
des erforderlichen kollektiven Bezuges entbehren.
b) Die von der Antragstellung abweichende stattgebende Tenorierung des Verwal-
tungsgerichts schafft nicht die nötige Klarheit. Seine Feststellung, dass die Mitbe-
stimmung des Antragstellers auch Entscheidungen des Beteiligten umfasst, ob
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Mehrarbeit oder Überstunden angeordnet werden, entbehrt der erforderlichen Be-
stimmtheit, weil sie nicht zu erkennen gibt, auf welche Fallgestaltungen sie sich be-
zieht. Sie ist daher nicht geeignet, den Rechtsfrieden herbeizuführen, der durch eine
rechtskräftige gerichtliche Feststellung hergestellt werden soll.
c) Wie der Vortrag des Antragstellers im erstinstanzlichen Verfahren belegt, geht es
ihm erkennbar um die Feststellung seines Mitbestimmungsrechts für Fallgestaltun-
gen, die derjenigen vergleichbar sind, die durch die Verfügung des Beteiligten vom
19. Januar 2004 gekennzeichnet war. Durch diese Anordnung sollten Bearbeitungs-
rückstände in einem Aufgabengebiet durch die dort beschäftigten Mitarbeiter im We-
ge von Überstunden ausgeglichen werden. Auf solche - auch künftig denkbare - Si-
tuationen bezieht sich das Begehren des Antragstellers, wie das Verwaltungsgericht
im Rahmen seiner - auch im Übrigen zutreffenden - Ausführungen zur Zulässigkeit
des Feststellungsantrages zu Recht angenommen hat.
2. Das in diesem Sinne aufzufassende Feststellungsbegehren ist begründet. Seine
Rechtsgrundlage findet sich im § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG. Danach hat der Perso-
nalrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, mitzubestim-
men über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie die Verteilung der Ar-
beitszeit auf die einzelnen Wochentage.
a) Gesetzes- und Tarifvorrang stehen dem Mitbestimmungsrecht nicht entgegen.
Zwar gibt es für Mehrarbeit und Überstunden gesetzliche und tarifvertragliche
Rechtsgrundlagen (vgl. § 72 BBG und § 17 BAT). Diese Regelungen bedürfen je-
doch zu ihrem Vollzug einer entsprechenden Anordnung des Dienststellenleiters (vgl.
dazu allgemein: Beschluss vom 18. Mai 2004 - BVerwG 6 P 13.03 - BVerwGE 121,
38, 41 m.w.N.).
b) Die Entscheidung des Dienststellenleiters darüber, ob, in welchem Umfang, und
zu welchen Zeiten Mehrarbeit oder Überstunden zu leisten sind, betrifft sowohl die
Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage als auch Beginn und Ende
der täglichen Arbeitszeit.
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aa) Der Wortlaut des Mitbestimmungstatbestandes lässt eine derartige Auslegung
zu.
Die Tatbestandsvariante "Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage"
gibt deutlich zu erkennen, dass die wöchentliche Arbeitszeit etwas extern Vorgege-
benes ist. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit ist daher den einschlägigen ge-
setzlichen und tariflichen Regelungen zu entnehmen (vgl. § 72 Abs. 1 und 4 BBG
i.V.m. § 1 AZV und § 15 Abs. 1 bis 4 BAT). Sie unterliegt nicht der Mitbestimmung
des Personalrats (vgl. Beschluss vom 20. Juli 1984 - BVerwG 6 P 16.83 - BVerwGE
70, 1, 2; ebenso zum Betriebsverfassungsrecht: BAG, Beschluss vom 18. August
1987 - 1 ABR 30/86 - BAGE 56, 18, 32 ff.; Beschluss vom 13. Oktober 1987 - 1 ABR
10/86 - BAGE 56, 197, 210 f.; Beschluss vom 22. Juli 2003 - 1 ABR 28/02 - AP
Nr. 108 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit Bl. 750). Die Mitbestimmung bezieht sich
vielmehr in einem ersten Schritt auf die Verteilung der tariflich oder gesetzlich vorge-
gebenen regelmäßigen Wochenarbeitszeit auf die einzelnen Wochenarbeitstage,
womit zugleich die Dauer der auf den einzelnen Arbeitstag entfallenden Arbeitszeit
festgelegt wird (vgl. Beschluss vom 4. April 1985 - BVerwG 6 P 37.82 - Buchholz
238.3 A § 75 BPersVG Nr. 39 S. 36 f.; BAG, Beschluss vom 28. September 1988
- 1 ABR 41/87 - AP Nr. 29 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit Bl. 135). Sodann be-
stimmt der Personalrat in einem zweiten Schritt - gemäß der Tatbestandsvariante
"Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit" - bei der Festlegung der zeitlichen Lage
der Arbeitszeit für den einzelnen Arbeitstag mit. Die Dauer der auf den einzelnen
Arbeitstag entfallenden Arbeitszeit ist dabei durch die gesetzlichen und tariflichen
Bestimmungen über die regelmäßige Wochenarbeitszeit in der Weise determiniert,
dass die Summe der für die einzelnen Arbeitstage getroffenen Festlegungen den
Vorgaben jener Bestimmungen entsprechen muss.
Die Mitbestimmung nach § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG vollzieht sich im Ansatz nach
demselben Schema, wenn Mehrarbeit oder Überstunden zu leisten sind. Beides ist
als Überschreitung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit definiert (vgl. § 72
Abs. 2 Satz 1 BBG und § 17 Abs. 1 Unterabsatz 1 BAT). Steht daher fest, dass und
wie viele zusätzliche Arbeitsstunden wöchentlich anfallen, so erstreckt sich das Mit-
bestimmungsrecht des Personalrats in jedem Falle darauf, wie diese auf die einzel-
nen Wochentage verteilt werden und zu welcher Uhrzeit sie stattfinden sollen (vgl.
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Beschluss vom 20. Juli 1984 a.a.O. S. 3 f.; Beschluss vom 9. Oktober 1991
- BVerwG 6 P 12.90 - Buchholz 250 § 75 BPersVG Nr. 74 S. 61).
Damit ist jedoch nicht gesagt, dass der Wortlaut des Mitbestimmungstatbestandes
in § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG die Mitbestimmung des Personalrats darüber aus-
schließt, ob und in welchem Umfang Mehrarbeit oder Überstunden angeordnet wer-
den. Dies zeigt wiederum der Vergleich mit den mitbestimmungspflichtigen Maß-
nahmen zur Regelung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit. Der Wortlaut des
Mitbestimmungstatbestandes lässt es nicht nur zu, er ist sogar darauf angelegt, dass
der Personalrat bei Ausübung seines Mitbestimmungsrechts bei Verteilung und ar-
beitstäglicher Festlegung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit zugleich die
Einhaltung der einschlägigen gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen überwacht
(vgl. Beschluss vom 20. Juli 1984 a.a.O. S. 3; Beschluss vom 9. Oktober 1991
a.a.O.; Beschluss vom 23. Januar 1996 - BVerwG 6 P 54.93 - Buchholz 250 § 76
BPersVG Nr. 35 S. 10; BAG, Beschluss vom 28. September 1988 a.a.O.). Schlägt
z.B. der Dienststellenleiter einen Dienstplan vor, in welchem die für die Angestellten
der Dienststelle anzuwendenden tariflichen Regelungen zur regelmäßigen Arbeitszeit
in § 15 Abs. 1 bis 4 BAT nicht beachtet worden sind, so kann und muss der Per-
sonalrat dem widersprechen. In gleicher Weise lässt der Wortlaut der Regelung in
§ 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG zu, dass der Personalrat im Rahmen seines Mitbestim-
mungsrechts bei der Verteilung und Festlegung zusätzlicher Arbeitsstunden prüft, ob
die in der Dienststelle anzuwendenden Vorschriften in § 72 Abs. 2 Satz 1 BBG und
§ 17 Abs. 1 Unterabsatz 1 und 2 BAT (oder vergleichbaren tarifvertraglichen Vor-
schriften) eingehalten sind.
bb) Der systematische Zusammenhang mit der Regelung in § 75 Abs. 4 BPersVG
gebietet dies. Diese Vorschrift lautet: "Muss für Gruppen von Beschäftigten die tägli-
che Arbeitszeit (Abs. 3 Nr. 1) nach Erfordernissen, die die Dienststelle nicht voraus-
sehen kann, unregelmäßig und kurzfristig festgesetzt werden, so beschränkt sich die
Mitbestimmung auf die Grundsätze für die Aufstellung der Dienstpläne, insbesondere
für die Anordnung von Dienstbereitschaft, Mehrarbeit und Überstunden." Die Be-
stimmung bezieht sich ausdrücklich auf den Mitbestimmungstatbestand nach § 75
Abs. 3 Nr. 1 BPersVG. Sie beschränkt unter bestimmten Ausnahmevoraussetzungen
- fehlende Voraussehbarkeit dienstlicher Erfordernisse, Notwendigkeit kurzfristiger
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und unregelmäßiger Festsetzung der Arbeitszeit - die Mitbestimmung auf die Grund-
sätze für die Anordnung von Mehrarbeit und Überstunden. Der Gesetzgeber offen-
bart an dieser Stelle ein Verständnis von Mitbestimmungstatbestand nach § 75
Abs. 3 Nr. 1 BPersVG, wonach bei Fehlen der in § 75 Abs. 4 BPersVG bezeichneten
Ausnahmevoraussetzungen, insbesondere bei Voraussehbarkeit der dienstlichen
Erfordernisse, die Anordnung von Mehrarbeit und Überstunden im Einzelfall, also
nicht nur in Bezug auf die Grundsätze, mitbestimmungspflichtig ist. Dabei enthält die
Rechtsfolgenaussage keine Einschränkungen: § 75 Abs. 4 BPersVG spricht nicht
etwa von "Festlegung der zeitlichen Lage von Mehrarbeit und Überstunden", sondern
von "Anordnung von Mehrarbeit und Überstunden". Nach den im Gesetzeswortlaut
zum Ausdruck gekommenen Vorstellungen des Gesetzgebers hat der Personalrat im
Zusammenhang mit der Verteilung und Festlegung der Arbeitszeit auch darüber mit-
zubestimmen, ob und in welchem Umfang Mehrarbeit und Überstunden angeordnet
werden (ebenso bereits Beschluss vom 3. Dezember 2001 - BVerwG 6 P 12.00 -
Buchholz 251.4 § 83 HmbPersVG Nr. 1 S. 9 unter Bezugnahme auf den Beschluss
vom 26. April 1988 - BVerwG 6 P 19.86 - Buchholz 251.6 § 75 NdsPersVG Nr. 2
S. 2).
cc) Die Entstehungsgeschichte steht nicht entgegen.
Das Betriebsverfassungsgesetz vom 15. Januar 1972, BGBl I S. 13, enthält in § 87
Abs. 1 Nr. 2 einen Mitbestimmungstatbestand, der mit demjenigen in § 75 Abs. 3
Nr. 1 BPersVG nahezu wortgleich ist. Daneben hat es in § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG
einen weiteren arbeitszeitbezogenen Mitbestimmungstatbestand eingeführt: "vorü-
bergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit". Einen
vergleichbaren Mitbestimmungstatbestand hat das Bundespersonalvertretungsgesetz
vom 15. März 1974 nicht in den Katalog seines § 75 Abs. 3 aufgenommen. Daraus
hat das Bundesarbeitsgericht abgeleitet, der Gesetzgeber habe in § 75 Abs. 3 Nr. 1
BPersVG die Mitbestimmung auf die Verteilung der Lage der Arbeitszeit beschränken
wollen (Urteil vom 18. Oktober 1994 - 1 AZR 503/93 - AP Nr. 11 zu § 615 BGB
Kurzarbeit). Diese Schlussfolgerung wäre zwingend, wenn der Gesetzgeber sich im
Bundespersonalvertretungsgesetz einer Aussage zur Mitbestimmung des
Personalrats bei Mehrarbeit und Überstunden überhaupt enthalten hätte. Dies ist
aber nicht der Fall.
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Bereits § 67 Abs. 1 Buchst. a des Personalvertretungsgesetzes (PersVG) vom
5. August 1955, BGBl I S. 477, kannte ein Mitbestimmungsrecht des Personalrats bei
Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit. Eine § 75 Abs. 4 BPersVG vergleichbare
Regelung traf schon § 67 Abs. 2 PersVG, allerdings ohne einen Hinweis auf die
Anordnung von Mehrarbeit und Überstunden. Die bis heute unverändert geltende
Fassung sowohl des Mitbestimmungstatbestandes nach § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG
als auch der Regelung in § 75 Abs. 4 BPersVG geht zurück auf den Antrag des In-
nenausschusses des Deutschen Bundestages vom 5. Dezember 1973 (BTDrucks
7/1339 S. 34 f.). Der Bericht des Ausschusses vom 6. Dezember 1973 enthält dazu
keine spezielle Begründung. Immerhin wird bei der Wiedergabe der grundsätzlichen
Erwägungen betont, dass Kernstück der Neuregelung die Erweiterung der Mitbe-
stimmungsbefugnisse der Personalvertretung ist und dass dort, wo Grundsätze des
öffentlichen Dienstes nicht entgegenstanden, die Angleichung an die Vorschriften
des Betriebsverfassungsgesetzes vorgenommen wurde (BTDrucks 7/1373 S. 2).
Danach kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Gesetzgeber durch den Zusatz
in § 75 Abs. 4 BPersVG bei der arbeitszeitbezogenen Mitbestimmung des Personal-
rats eine Rechtslage schaffen wollte, die mit derjenigen nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3
BetrVG grundsätzlich gleichwertig ist.
dd) Sinn und Zweck der Mitbestimmung in § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersG gebieten ein
solches Verständnis. Durch dieses Mitbestimmungsrecht soll dem Personalrat zum
einen ermöglicht werden, darauf hinzuwirken, dass berechtigte Wünsche einzelner
Beschäftigter hinsichtlich der zeitlichen Lage ihrer Arbeitszeit in Einklang mit den
dienstlichen Erfordernissen gebracht, d.h. im Rahmen des Möglichen berücksichtigt
werden. Zum anderen ist es Aufgabe des Personalrats im Rahmen der arbeitszeit-
bezogenen Mitbestimmung, die Einhaltung der arbeitszeitrechtlichen gesetzlichen
und tariflichen Bestimmungen zu überwachen (vgl. Beschluss vom 20. Juli 1984
a.a.O. S. 3 f.; Beschluss vom 9. Oktober 1991 a.a.O. S. 61). Da diese Bestimmungen
generell der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der
Arbeitszeitgestaltung dienen (vgl. § 1 Nr. 1 Arbeitszeitgesetz vom 6. Juni 1994,
BGBl I S. 1170), zielt die arbeitszeitbezogene Mitbestimmung letztlich auf den Schutz
der Beschäftigten vor übermäßiger zeitlicher Inanspruchnahme (vgl. Beschluss vom
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23. Januar 1996 a.a.O. S. 10, Beschluss vom 12. August 2002 - BVerwG 6 P 17.01 -
Buchholz 251.7 § 72 NWPersVG Nr. 29 S. 41).
Solche Bestimmungen, die dem Schutz der Beschäftigten vor physischer und psy-
chischer Überbeanspruchung dienen und über deren Einhaltung der Personalrat zu
wachen hat, sind auch § 72 Abs. 2 Satz 1 BBG und § 17 Abs. 1 Unterabsatz 2 BAT
bzw. vergleichbare für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes geltende Vorschriften.
Indem diese Bestimmungen Mehrarbeit und Überstunden auf "dringende Fälle" bzw.
"Ausnahmefälle" beschränken und vom Erfordernis "zwingender dienstlicher Ver-
hältnisse" abhängig machen, wollen sie verhindern, dass die Beschäftigen auf Dauer
über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus dienstlich in Anspruch genommen werden
(vgl. Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, Bundesbeamtengesetz, § 72 Rn. 21; Uttlin-
ger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Dassau, Bundesangestelltentarifvertrag, § 17 Rn. 1
und 5). Eine auf die zeitliche Lage der Überstunden beschränkte Mitbestimmung
trägt weder dem Anliegen der den Mitbestimmungstatbestand ausfüllenden arbeits-
schutzrechtlichen Bestimmungen noch dem Zweck des Mitbestimmungstatbestandes
selbst, die Beschäftigten vor übermäßiger Belastung zu schützen, hinreichend
Rechnung. Die Belastung der Beschäftigten tritt vorrangig dadurch ein, dass Mehrar-
beit bzw. Überstunden in bestimmtem Umfang angeordnet werden. Die zeitliche La-
ge der zusätzlichen Arbeitsstunden ist demgegenüber unter Belastungsaspekten
eher nachrangig.
ee) Verfassungsrecht gebietet es nicht, die Mitbestimmung auf die zeitliche Lage der
Mehrarbeit oder Überstunden zu beschränken. Das demokratische Prinzip verlangt
nicht, Mitbestimmungstatbestände restriktiv zu interpretieren. Soweit die Regie-
rungsverantwortung berührt ist, ist dem nicht durch Ausschluss, sondern durch Ein-
schränkung der Mitbestimmung nach den Regeln zur Verantwortungsgrenze Rech-
nung zu tragen (vgl. Beschluss vom 3. Dezember 2001 a.a.O. S. 7 ff. Beschluss vom
19. Mai 2003 - BVerwG 6 P 16.02 - Buchholz 250 § 78 BPersVG Nr. 19 S. 5; Be-
schluss vom 18. Mai 2004 a.a.O. S. 49 f.). Dies ist hier möglich, wie weiter unten
aufzuzeigen sein wird.
ff) An seiner entgegenstehenden, in der Rechtsbeschwerdebegründung zitierten
Rechtsprechung hält der Senat, wie er bereits in seinem Beschluss vom 3. De-
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zember 2001 (a.a.O.) zu erkennen gegeben hat, nicht länger fest. Soweit diese
Rechtsprechung im einfachen Recht ihre Grundlage hatte (vgl. Beschluss vom
20. Juli 1984 a.a.O. S. 2 ff.; Beschluss vom 9. Oktober 1991 - BVerwG 6 P 12.90 -
a.a.O. S. 60 ff.; Beschluss vom 9. Oktober 1991 - BVerwG 6 P 21.89 - Buchholz 250
§ 75 BPersVG Nr. 75 S. 70 f.), war sie, wie die Bezugnahmen auf den Beschluss
vom 5. Februar 1971 - BVerwG 7 B 16.70 - (BVerwGE 37, 173, 174 f.) zeigen, noch
durch die Unterscheidung zwischen mitbestimmungspflichtigen formellen und mitbe-
stimmungsfreien materiellen Arbeitsbedingungen geprägt. Diese Unterscheidung hat
der Senat im Beschluss vom 9. Dezember 1998 - BVerwG 6 P 6.97 - (BVerwGE 108,
135, 147) in Übereinstimmung mit der langjährigen Rechtsprechung des Bundesar-
beitsgerichts aufgegeben. Soweit die tatbestandsmäßige Beschränkung der Mitbe-
stimmung bei Überstunden und Mehrarbeit ihre Grundlage in verfassungsrechtlichen
Erwägungen zur staatlichen Aufgabenerfüllung hatte (vgl. Beschluss vom 9. Oktober
1991 - BVerwG 6 P 12.90 - a.a.O. S. 62; Beschluss vom 8. Mai 1992 - BVerwG 6 P
22.91 - Buchholz 251.4 § 86 HmbPersVG Nr. 4; Beschluss vom 23. Januar 1996
a.a.O. S. 11), ist ihr durch die im vorherigen Absatz aufgeführte neuere Senatsrecht-
sprechung zur Berücksichtigung der Verantwortungsgrenze der Boden entzogen.
c) Der Mitbestimmungstatbestand ist hier ferner nicht ausgeschlossen, weil die den
Anlassfall und damit den streitigen Feststellungsantrag prägende Anordnung des
Beteiligten vom 19. Januar 2004 die Ableistung der Überstunden für freiwillig erklärt
hat.
aa) Grundsätzlich gilt, dass die Bereitschaft von Beschäftigten zu einer mitbestim-
mungspflichtigen Tätigkeit an der Mitbestimmungspflichtigkeit nichts ändert, die
Freiwilligkeit also das Mitbestimmungsrecht des Personalrats nicht ausschließt (vgl.
BAG, Beschluss vom 27. November 1990 - 1 ABR 77/89 - AP Nr. 41 zu § 87 BetrVG
Nr. 72 Bl. 30).
bb) An der Freiwilligkeit scheitert ferner nicht der in § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG vor-
ausgesetzte kollektive Tatbestand. Ein solcher liegt immer dann vor, wenn sich eine
Regelungsfrage stellt, die die Interessen der Beschäftigten unabhängig von der Per-
son und den individuellen Wünschen des Einzelnen berührt. Die Zahl der betroffenen
Beschäftigten ist nicht erheblich, sondern allenfalls ein Indiz dafür, dass ein kol-
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lektiver Tatbestand vorliegt (vgl. Beschluss vom 12. August 2002 a.a.O. S. 35). Bei
zusätzlichem Arbeitsbedarf ist immer die Frage zu beantworten, ob und in welchem
Umfang zur Abdeckung dieses Arbeitsbedarfs Überstunden geleistet werden sollen
oder ob die Neueinstellung eines Beschäftigten zweckmäßiger wäre. Weiter ist zu
entscheiden, wann und von wem die Überstunden geleistet werden sollen. Diese
Regelungsprobleme bestehen unabhängig von der Person und den individuellen
Wünschen eines einzelnen Beschäftigten (vgl. BAG, Beschluss vom 27. November
1990 a.a.O. Bl. 29 R; Beschluss vom 16. Juli 1991 - 1 ABR 69/90 - AP Nr. 44 zu § 87
BetrVG 1972 Arbeitszeit Bl. 38). In einer solchen Situation befand sich der Beteiligte
bei Erlass seiner Anordnung vom 19. Januar 2004. Er hatte zu klären, ob, in wel-
chem Umfang, wann und von wem die im Aufgabengebiet Alg/Alhi/FbW aufgetrete-
nen erheblichen Bearbeitungsrückstände durch Überstunden bewältigt werden soll-
ten. Der Regelungsbedarf war durch die von der Dienststelle zu erfüllenden öffentli-
chen Aufgaben bestimmt und damit unabhängig von der Person und den individuel-
len Wünschen eines einzelnen Beschäftigten. Diese kollektiv geprägte Regelungs-
problematik verlor ihren Charakter nicht dadurch, dass der Beteiligte sich in Bezug
auf die abzuleistenden Überstunden für das Prinzip der Freiwilligkeit entschied (vgl.
BAG, Beschluss vom 10. Juni 1986 - 1 ABR 61/84 - BAGE 52, 160, 170; Beschluss
vom 27. November 1990 a.a.O. Bl. 30 f.; Beschluss vom 16. Juli 1991 a.a.O. Bl. 37).
Anders kann es sich verhalten, wenn die Dienststelle ohne ein entsprechendes
dienstliches Erfordernis Überstunden von einem einzelnen Beschäftigten auf dessen
Wunsch entgegennimmt, etwa weil dieser aus persönlichen Gründen Arbeitsbefrei-
ung zu einem späteren Zeitpunkt anstrebt. Ein solcher oder vergleichbarer Sachver-
halt lag hier nicht vor. Vielmehr wandte sich die Überstundenanordnung vom
19. Januar 2004 an alle Beschäftigten des Aufgabengebiets. Mit der Bemerkung, die
Ableistung der Überstunden sei freiwillig, wurde jedem dieser Beschäftigten die Ge-
legenheit gegeben, Überstunden zu leisten und damit dem zusätzlichen Arbeitsbe-
darf Rechnung zu tragen. Der ausschließlich dienstliche, durch das Bedürfnis nach
zeitgerechter Aufgabenerfüllung geprägte Charakter der Anordnung wurde dadurch
nicht in Frage gestellt.
Soweit sich aus dem Senatsbeschluss vom 2. Juni 1992 - BVerwG 6 P 14.90 -
(Buchholz 250 § 75 BPersVG Nr. 78) Abweichendes ergibt, wird daran mit Rücksicht
auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum kollektiven Tatbe-
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stand bei Überstundenanordnungen nicht festgehalten (vgl. generell zur Anwendung
dieses Maßstabs bereits: Beschluss vom 12. August 2002 a.a.O.; im Ergebnis be-
reits ebenso: Beschluss vom 30. Januar 1996 - BVerwG 6 P 50.93 - Buchholz 251.5
§ 74 HePersVG Nr. 1 S. 7).
3. Dahinstehen kann, ob der Antragsteller im vorliegenden Fall ein uneingeschränk-
tes Mitbestimmungsrecht hat oder ob die Mitbestimmung unter dem Gesichtspunkt
des demokratischen Prinzips der Einschränkung unterliegt. Auch in letzterem Fall
hält das Bundespersonalvertretungsgesetz eine Regelung bereit, die eine verfas-
sungskonforme Lösung sicherstellt.
Die Anordnung von Überstunden ist ein Unterfall der arbeitszeitbezogenen Maß-
nahmen, für welche ein uneingeschränktes, mit dem Letztentscheidungsrecht der
Einigungsstelle verbundenes Mitbestimmungsrecht des Personalrats grundsätzlich
verfassungsgemäß ist (vgl. Beschluss vom 28. März 2001 - BVerwG 6 P
4.00 -BVerwGE 114, 103, 112 f.; Beschluss vom 3. Dezember 2001 a.a.O. S. 9).
Freilich müssen Entscheidungen, die im Einzelfall wegen ihrer Auswirkungen auf das
Allgemeinwohl wesentlicher Bestandteil der Regierungsgewalt sind, einem parlamen-
tarisch verantwortlichen Amtsträger vorbehalten bleiben (vgl. BVerfG, Beschluss vom
24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 - BVerfGE 93, 37, 71). Dass bei den vom streitigen Fest-
stellungsbegehren erfassten Fallgestaltungen jene Voraussetzungen gegeben sind,
kann - ohne dass es auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen der entsprechenden Vo-
raussetzungen entscheidungserheblich ankäme - in Betracht gezogen werden.
Eine Regelung, die bei der arbeitszeitbezogenen Mitbestimmung in die Regierungs-
verantwortung berührenden Angelegenheiten das Letztentscheidungsrecht der par-
lamentarisch verantwortlichen Stelle sichert, enthält das Bundespersonalvertre-
tungsgesetz nicht. § 69 Abs. 4 Satz 3 BPersVG, der die Kompetenz der Einigungs-
stelle auf eine Empfehlung an die oberste Dienstbehörde begrenzt, bezieht sich nicht
auch auf den Mitbestimmungstatbestand nach § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG. Die Re-
gelung ist hier aber analog heranzuziehen (ebenso bereits zum Hamburgischen Per-
sonalvertretungsrecht: Beschluss vom 24. April 2002 - BVerwG 6 P 3.01 - BVerwGE
116, 216, 222 ff.; vgl. ferner: Beschluss vom 24. April 2002 - BVerwG 6 P 4.01 -
Buchholz 251.4 § 86 HmbPersVG Nr. 9 S. 23 f.; Beschluss vom 18. Juni 2002
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- BVerwG 6 P 12.01 - Buchholz 251.7 § 72 NWPersVG Nr. 28 S. 31 f.; Beschluss
vom 18. Mai 2004 a.a.O. S. 48 ff.).
a) Indem das Bundespersonalvertretungsgesetz keine Vorsorge dafür trifft, in Ange-
legenheiten, die grundsätzlich der uneingeschränkten Mitbestimmung zugänglich
sind, im Einzelfall aber die Regierungsverantwortung berühren können, das Letztent-
scheidungsrecht der parlamentarisch verantwortlichen Stelle sicherzustellen, enthält
es eine planwidrige Lücke.
Das Bundespersonalvertretungsgesetz trägt dem demokratischen Prinzip dadurch
Rechnung, dass es in bestimmten Angelegenheiten die Kompetenz der Einigungs-
stelle auf eine Empfehlung begrenzt. § 69 Abs. 4 Satz 3 BPersVG verweist auf die
Fälle der §§ 76 und 85 Abs. 1 Nr. 7 BPersVG. Es handelt sich dabei um die Perso-
nalangelegenheiten der Beamten und bedeutende organisatorische Angelegenhei-
ten. Teilweise werden solche Angelegenheiten in § 78 BPersVG der Mitwirkung zu-
geordnet, welche gegenüber der Mitbestimmung wegen Fehlens eines Einigungs-
stellenverfahrens die schwächere Beteiligungsform ist (§ 72 BPersVG). Dadurch wird
ein Regelungskonzept sichtbar, welches einen Teil der Beteiligungstatbestände der
uneingeschränkten und einen anderen Teil der eingeschränkten Mitbestimmung bzw.
der Mitwirkung zuweist. Wie aus den Materialen ersichtlich (BTDrucks 7/176 S. 26,
S. 33 zu § 69, S. 34 zu § 75; 7/1373 S. 6 zu § 69), wollte der Gesetzgeber auf diese
Weise den damals bekannten Anforderungen aus der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts genügen (Urteil vom 27. April 1959 - 2 BvF 2/58 -
BVerfGE 9, 268, 282 ff.).
Dem Gesetzgeber ist bei der Verabschiedung des Bundespersonalvertretungsgeset-
zes vom 15. März 1974 nicht bewusst gewesen, dass er aus verfassungsrechtlichen
Gründen Vorsorge auch für den Fall treffen muss, dass Angelegenheiten, die grund-
sätzlich der uneingeschränkten Mitbestimmung zugänglich sind, im Einzelfall die Re-
gierungsverantwortung berühren. Dieses Erfordernis wurde vom Bundesverfas-
sungsgericht im zitierten Beschluss vom 24. Mai 1995 - über 20 Jahre nach Verab-
schiedung des Bundespersonalvertretungsgesetzes - ausgesprochen.
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b) Die hierdurch entstandene Gesetzeslücke durch analoge Anwendung des § 69
Abs. 4 Satz 3 BPersVG zu schließen, entspricht dem mutmaßlichen Willen des Ge-
setzgebers. Dieser hat durch die Aufnahme der Arbeitszeitangelegenheiten in den
Katalog der uneingeschränkten Mitbestimmung zum Ausdruck gebracht, dass er in
diesen Angelegenheiten ein höchstmögliches Maß an Mitbestimmung für wün-
schenswert hält. Es ist anzunehmen, dass er sich für Einzelfälle, in denen sich dieses
Ziel aus verfassungsmäßigen Gründen nicht verwirklichen lässt, jedenfalls für das
Modell der eingeschränkten Mitbestimmung nach § 69 Abs. 4 Satz 3 BPersVG
entschieden hätte. Diese Annahme kommt dem erkennbaren Willen des Gesetzge-
bers näher als der Ausschluss der Mitbestimmung. Dass er sich anstelle des Verfah-
rens, in welchem auf der letzten Stufe der Beschluss der Einigungsstelle den Cha-
rakter einer Empfehlung an die oberste Dienstbehörde hat, für ein anderes Verfah-
ren, etwa ein Aufhebungsrecht der obersten Dienstbehörde, entschieden hätte, ist
nicht erkennbar. Für eine solche Annahme gibt es schon deswegen keine Grundlage,
weil das Bundespersonalvertretungsgesetz ein derartiges Evokationsrecht an keiner
Stelle vorsieht. Zudem hat der Gesetzgeber die Einführung eines Evokationsrechts
ausdrücklich diskutiert, sich aber dagegen entschieden, weil er einen wesentlichen
Unterschied zum Modell des § 69 Abs. 4 Satz 3 BPersVG nicht gesehen hat
(BTDrucks 7/1373 S. 6 zu § 69).
c) Das - gegebenenfalls eingeschränkte - Mitbestimmungsrecht des Personalrats bei
der Anordnung von Überstunden lässt die Regelung in § 75 Abs. 4 BPersVG unbe-
rührt. Liegen deren Voraussetzungen vor, so beschränkt sich die Mitbestimmung auf
die Grundsätze für die Anordnung von Mehrarbeit und Überstunden. Diese Voraus-
setzungen lagen im Anlassfall unstreitig nicht vor. Demnach bezieht sich die vorlie-
gende Senatsentscheidung ebenso wenig wie der durch sie bestätigte Beschluss des
Verwaltungsgerichts auf Fallgestaltungen, in denen die Voraussetzungen des § 75
Abs. 4 BPersVG gegeben sind. Ein Gegensatz zur Bemerkung am Ende des
Senatsbeschlusses vom 23. Januar 1996 (a.a.O. S. 11), der sich im Übrigen auf das
hier nicht interessierende systematische Verhältnis zwischen der eingeschränkten
Mitbestimmung bei Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsleistung gemäß § 76 Abs. 2
Satz 1 Nr. 5 BPersVG und der arbeitszeitbezogenen Mitbestimmung bezog, besteht
entgegen der Auffassung des Beteiligten nicht.
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4. Mit der vorliegenden Entscheidung weicht der Senat nicht im Sinne von § 2 Abs. 1
RsprEinhG vom Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18. Oktober 1994 (a.a.O.) ab.
Eine nach jener Vorschrift erhebliche Abweichung liegt nur vor, wenn es für die eine
wie die andere Entscheidung auf den Punkt, in dem die Meinungen auseinander ge-
hen, tragend ankommt (vgl. Urteil vom 10. Februar 1978 - BVerwG 4 C 25.75 -
Buchholz 445.4 § 31 WHG Nr. 4 S. 5 f.; BFH, Urteil vom 21. Februar 1991 - V R
11/91 - juris Rn. 32; Urteil vom 14. November 2000 - VII R 85/99 - BFHE 193, 254,
261). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Das Bundesarbeitsgericht hat in der
zitierten Entscheidung selbstständig tragend darauf abgestellt, dass die fragliche
"Betriebsvereinbarung" - unbeschadet ihrer Gültigkeit - schon deswegen nicht an-
wendbar war, weil sie das Arbeitsverhältnis der dortigen Klägerin aus zeitlichen
Gründen nicht erfasste. Die Ausführungen zum Mitbestimmungsrecht des Personal-
rats nach § 75 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 BPersVG waren daher für das der Klage stattge-
bende Ergebnis nicht erheblich.
5. Aus den unter 1. dargestellten Gründen ist klarzustellen, dass sich die gerichtliche
Entscheidung im vorliegenden Verfahren auf Fallgestaltungen beschränkt, die derje-
nigen vergleichbar sind, die durch die Verfügung des Beteiligten vom 19. Januar
2004 gekennzeichnet war. Der erstinstanzliche Tenor war um diese Maßgabe zu
ergänzen.
6. Der Widerantrag des Beteiligten ist unzulässig. Dies folgt zwar nicht bereits aus
dem Gesichtspunkt der anderweitigen Rechtshängigkeit gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 1
ZPO, weil der Widerantrag nicht lediglich eine spiegelbildliche Leugnung des primä-
ren Feststellungsantrages darstellt (vgl. dazu BAG, Beschluss vom 8. Juni 2004
- 1 ABR 13/03 - AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG Gesundheitsschutz; Beschluss vom
13. Oktober 2004 - 7 ABR 56/03 - juris Rn. 28 jeweils m.w.N.). Vielmehr ist dieser
Antrag nach den Ausführungen des Beteiligten im Rechtsbeschwerdeverfahren er-
kennbar darauf gerichtet, den Ausschluss der Mitbestimmung bei der Anordnung von
Überstunden nicht nur für dem Anlassfall vergleichbare Fälle, sondern für alle denk-
baren Fallgestaltungen gerichtlich feststellen zu lassen. Da ein derartiger Antrag in
der Vorinstanz nicht gestellt worden ist, handelt es sich aber um eine im Rechtsbe-
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schwerdeverfahren unzulässige Antragsänderung (§ 81 Abs. 3, § 87 Abs. 2 Satz 3,
§ 92 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 ArbGG).
Bardenhewer Hahn Büge
Graulich Vormeier
B e s c h l u s s
Der Gegenstandswert wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 4 000 € festge-
setzt (§ 23 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2, § 33 Abs. 1, Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 1 RVG).
Büge
Sachgebiet:
BVerwGE: ja
Personalvertretungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquelle:
BPersVG
§ 75 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4
Stichworte:
Mitbestimmung bei der Anordnung von Mehrarbeit und Überstunden; Freiwilligkeit
der Ableistung von Überstunden; kollektiver Tatbestand; demokratisches Prinzip und
Verantwortungsgrenze.
Leitsätze:
1. Das Mitbestimmungsrecht des Personalrats nach § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG er-
streckt sich auch auf die Entscheidung, ob und in welchem Umfang Mehrarbeit oder
Überstunden angeordnet werden.
2. Deklariert der Dienststellenleiter in der Überstundenanordnung die Ableistung der
Überstunden als freiwillig, so wird damit der in § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG vorausge-
setzte kollektive Tatbestand nicht in Frage gestellt.
3. Soweit Maßnahmen, die dem Katalog der uneingeschränkten Mitbestimmung nach
§ 75 Abs. 3 BPersVG unterfallen, die Regierungsverantwortung berühren, ist das
Modell der eingeschränkten Mitbestimmung nach § 69 Abs. 4 Sätze 3 und 4
BPersVG analog anzuwenden.
Beschluss des 6. Senats vom 30. Juni 2005 - BVerwG 6 P 9.04
I. VG Frankfurt am Main vom 06.09.2004 - Az.: VG 22 K 2932/04 (V) -