Urteil des BVerwG vom 23.06.2010

Antwortschreiben, Persönlichkeitsrecht, Gesetzlicher Vertreter, Restriktive Auslegung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
BESCHLUSS
BVerwG 6 P 8.09
OVG 60 PV 9.07
In der Personalvertretungssache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die Anhörung vom 23. Juni 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge, Vormeier, Dr. Bier und
Dr. Möller
beschlossen:
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-
Brandenburg - Fachsenat für Personalvertretungssachen
des Landes Berlin - vom 20. November 2008 wird geän-
dert, soweit der Feststellungsantrag zu 2 hinsichtlich des
Anschreibens an die Betroffenen zurückgewiesen wurde.
Die Beschwerde des Beteiligten gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Berlin - Fachkammer für Personal-
vertretungssachen des Landes Berlin - vom 4. April 2007
wird in diesem Umfang zurückgewiesen.
Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde des Antragstellers
zurückgewiesen.
G r ü n d e :
I
In der Zeit ab April 2006 schrieb der Beteiligte unter Bezugnahme auf § 84
Abs. 2 SGB IX Beschäftigte seiner Dienststelle an, die innerhalb des zurücklie-
genden Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt ar-
beitsunfähig krank gewesen waren. Er unterrichtete sie über die Ziele des be-
trieblichen Eingliederungsmanagements und bat darum, auf der beiliegenden
Kopie des Schreibens zu erklären, ob sie mit der Durchführung eines betriebli-
chen Eingliederungsmanagements einverstanden seien. Mit Schreiben vom
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25. April 2006 rügte der Antragsteller seine unterbliebene Beteiligung und bat
um Übergabe einer Liste aller angeschriebenen Beschäftigten. Dem trat der
Beteiligte im Schreiben vom 8. Mai 2006 im Wesentlichen mit der Begründung
entgegen, vor Zustimmung des betroffenen Beschäftigten sei für eine Einschal-
tung der Personalvertretung kein Raum. Mit Schreiben vom 17. Januar 2007
übersandte der Beteiligte dem Antragsteller eine Übersicht, welche die Namen
der Beschäftigten mit krankheitsbedingten Fehlzeiten von über sechs Wochen
sowie den Zeitraum der Erkrankung und die Anzahl der Krankheitstage enthielt.
Mit Schreiben vom 16. März 2007 übersandte der Beteiligte dem Antragsteller
eine Liste mit den Namen derjenigen Beschäftigten, welche der Durchführung
des betrieblichen Eingliederungsmanagements zugestimmt hatten.
Das vom Antragsteller angerufene Verwaltungsgericht hat festgestellt, 1. dass
der Beteiligte dadurch das Beteiligungsrecht des Antragstellers gemäß § 84
Abs. 2, § 93 SGB IX verletzt hat, dass er Beschäftigte aufgefordert hat mitzutei-
len, ob sie einem betrieblichen Eingliederungsmanagement zustimmen würden,
ohne dass der Antragsteller vorher beteiligt worden ist, und 2. dass der Beteilig-
te verpflichtet ist, dem Antragsteller unverzüglich mitzuteilen, ohne vorherige
Zustimmung des jeweils Betroffenen, welche Beschäftigten der Dienststelle
innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wieder-
holt arbeitsunfähig waren, und das Anschreiben an die Betroffenen und ggf.
deren Antwort zur Kenntnis zu geben.
Der Beteiligte hat gegen die Feststellung zu 1 sowie gegen die Feststellung
zu 2 hinsichtlich des Anschreibens an die Betroffenen und deren Antwort Be-
schwerde eingelegt. Das Oberverwaltungsgericht hat den erstinstanzlichen Be-
schluss geändert und den Feststellungsantrag zu 2 insoweit zurückgewiesen,
als der Antragsteller die Feststellung der Verpflichtung des Beteiligten begehrt,
dem Antragsteller ohne vorherige Zustimmung des Betroffenen eine Kopie des
Anschreibens an die Betroffenen und ggf. deren Antwort zur Kenntnis zu geben.
Im Übrigen hat es die Beschwerde des Beteiligten zurückgewiesen. Zur
Begründung hat es ausgeführt: Der Antragsteller könne nur beanspruchen,
dass ihm der anonymisierte Mustertext des Schreibens an die Betroffenen zur
Kenntnis gegeben werde. Nicht beanspruchen könne er dagegen, die jeweiligen
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individuellen Schreiben, aus denen Namen und Anschrift der Betroffenen
hervorgingen, sowie die Antwortschreiben zur Kenntnis zu erhalten. Dem stehe
das Geheimhaltungsinteresse der Beschäftigten entgegen, die sich zur Beteili-
gung der Personalvertretung am betrieblichen Eingliederungsmanagement noch
nicht geäußert hätten. Nach dem Grundsatz der vertrauensvollen Zu-
sammenarbeit sei dem Beteiligten zuzutrauen, die Antwortschreiben zutreffend
in „zugestimmt“ und „nicht zugestimmt“ unterscheiden zu können. Dem Betrof-
fenen bleibe es unbenommen, ein etwaiges Missverständnis beim Beteiligten
aufzuklären oder beim Antragsteller um Beteiligung in seinem Fall nachzusu-
chen, falls bei ihm entgegen seinem Wunsch kein betriebliches Eingliede-
rungsmanagement durchgeführt werde. Durch diese Einschränkung werde die
Arbeit der Personalvertretung nicht unzumutbar erschwert. Es handele sich viel-
mehr um das Ergebnis der zu einem Ausgleich zu bringenden gegenläufigen
Interessen der Beschäftigten, die einem betrieblichen Eingliederungsmanage-
ment unter Beteiligung der Personalvertretung nicht zugestimmt hätten, einer-
seits und den Interessen der Personalvertretung an der Überwachung der
Maßnahmen andererseits.
Soweit das Oberverwaltungsgericht den Feststellungsantrag zu 2 zurückgewie-
sen hat, hat der Senat die Rechtsbeschwerde des Antragstellers zugelassen.
Dieser trägt vor: Gemäß § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX habe der Personalrat die
Aufgabe, die Einhaltung der Verpflichtungen des Arbeitgebers zum betriebli-
chen Eingliederungsmanagement zu überwachen. Dazu gehöre die Verpflich-
tung nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX, die Betroffenen auf die Ziele des betrieb-
lichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erho-
benen und verwendeten Daten hinzuweisen. Die Erfüllung dieser Verpflichtung
könne der Personalrat nicht überwachen, wenn er die entsprechenden Schrei-
ben der Dienststelle nicht in Kopie erhalte. Das Persönlichkeitsrecht des Be-
schäftigten werde mit Rücksicht auf die Beteiligungsrechte der Personalvertre-
tung eingeschränkt. So erhalte der Personalrat z.B. in jedem Einstellungs-,
Eingruppierungs- oder Kündigungsfall die erforderlichen Informationen ohne
Einverständnis des Betroffenen. Auch im vorliegenden Fall sei der Verhältnis-
mäßigkeitsgrundsatz gewahrt. Die begehrte Unterrichtung sei geeignet, erfor-
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derlich und angemessen, damit der Personalrat seiner Überwachungspflicht
nachkommen könne.
Der Antragsteller beantragt,
den angefochtenen Beschluss abzuändern, soweit der
Beschwerde des Beteiligten stattgegeben wurde, und
auch diesen Teil der Beschwerde des Beteiligten zurück-
zuweisen.
Der Beteiligte beantragt,
die Rechtsbeschwerde des Antragstellers zurückzuwei-
sen.
Er verteidigt ebenso wie der Vertreter des Bundesinteresses den angefochte-
nen Beschluss.
II
Die zulässige Rechtsbeschwerde des Antragstellers ist nur teilweise begründet.
Soweit es um das Anschreiben des Beteiligten an die betroffenen Beschäftigten
geht, beruht der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts auf der unrichtigen
Anwendung von Rechtsnormen (§ 91 Abs. 2 BlnPersVG vom 14. Juli 1994,
GVBl S. 337, zuletzt geändert durch Art. III des Gesetzes vom 25. Januar 2010,
GVBl S. 22, i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). In diesem Umfang ist er daher
zu ändern; da der Sachverhalt geklärt ist, entscheidet der Senat in der Sache
selbst (§ 96 Abs. 1 Satz 2 ArbGG i.V.m. § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 3 ZPO). Da-
nach ist die Beschwerde des Beteiligten gegen den erstinstanzlichen Beschluss
hinsichtlich des Anschreibens zurückzuweisen. Im Übrigen ist der Beschluss
des Oberverwaltungsgerichts zu bestätigen. Ohne Zustimmung des jeweils Be-
troffenen ist dem Antragsteller zwar das Anschreiben des Beteiligten an den
Betroffenen, nicht aber dessen Antwortschreiben zur Kenntnis zu geben.
1. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist allein die Frage, ob der An-
tragsteller einen Anspruch darauf hat, dass ihm das Anschreiben an die Betrof-
fenen und deren Antwort ohne deren vorherige Zustimmung zur Kenntnis ge-
geben werden. Insoweit hat das Oberverwaltungsgericht der Beschwerde des
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Beteiligten stattgegeben und das Feststellungsbegehren abgelehnt. Nur darauf
erstreckt sich die vom Senat zugelassene Rechtsbeschwerde.
Soweit das Verwaltungsgericht angenommen hat, dass der Beteiligte mit der
Einleitung des betrieblichen Eingliederungsmanagements das Beteiligungsrecht
des Antragstellers verletzt hat und dass der Beteiligte verpflichtet ist, dem An-
tragsteller ohne vorherige Zustimmung des jeweils Betroffenen mitzuteilen, wel-
che Beschäftigten innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununter-
brochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren, sie diese Feststellungen rechts-
kräftig geworden und deshalb einer Überprüfung durch den Senat entzogen.
2. Rechtsgrundlage für das streitige Begehren ist § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2
BlnPersVG i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX.
a) Der Geltungsbereich des Berliner Personalvertretungsgesetzes ist eröffnet.
Er erstreckt sich gemäß § 1 Abs. 1 BlnPersVG auf die landesunmittelbaren An-
stalten des öffentlichen Rechts des Landes Berlin. Um eine derartige Anstalt
handelt es sich bei den Berliner Bäder-Betrieben (§ 28 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a
des Gesetzes über die Zuständigkeiten in der Allgemeinen Berliner Verwaltung
i.d.F. der Bekanntmachung vom 22. Juli 1996, GVBl S. 302, zuletzt geändert
durch Art. II des Gesetzes vom 25. Januar 2010, GVBl S. 22, i.V.m. § 1 Abs. 1,
§ 17 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Anstalt öffentlichen Rechts Berliner
Bäder-Betriebe vom 25. September 1995, GVBl S. 617, zuletzt geändert durch
Art. I des Gesetzes vom 10. Mai 2007, GVBl S. 195).
b) Gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 BlnPersVG ist die Personalvertretung zur
Durchführung ihrer Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten; ihr
sind sämtliche zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur
Verfügung zu stellen. Die Pflicht des Dienststellenleiters zur Vorlage von Unter-
lagen ist somit Bestandteil seiner Informationspflicht gegenüber der Personal-
vertretung. Sie besteht nur in dem Umfang, in welchem die Personalvertretung
zur Durchführung ihrer Aufgaben die Kenntnis der Unterlagen benötigt (vgl. Be-
schlüsse vom 23. Januar 2002 - BVerwG 6 P 5.01 - Buchholz 250 § 68
BPersVG Nr. 17 S. 1 = PersR 2002, 201 und vom 16. Februar 2010 - BVerwG
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6 P 5.09 - juris Rn. 9). Als Aufgabe, aus welchen der geltend gemachte An-
spruch des Personalrats auf Vorlage der Schreiben herzuleiten ist, kommen
hier dessen Befugnis aus § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX in Betracht.
Nach § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX wachen u.a. die zuständigen Interessenvertre-
tungen im Sinne des § 93 SGB IX, also auch der Personalrat, darüber, dass der
Arbeitgeber die ihm nach § 84 SGB IX obliegenden Verpflichtungen erfüllt.
Diese Verpflichtungen bestehen für alle Arbeitnehmer, nicht etwa nur mit Blick
auf behinderte Menschen (vgl. BAG, Urteil vom 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 -
BAGE 123, 234 Rn. 35). Dem Arbeitgeber obliegt nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB
IX die Verpflichtung, den Beschäftigten, der innerhalb eines Jahres länger als
sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig war, oder des-
sen gesetzlichen Vertreter auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmana-
gements im Sinne des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sowie auf Art und Umfang
der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Stimmt der Betrof-
fene oder sein gesetzlicher Vertreter der Durchführung eines betrieblichen Ein-
gliederungsmanagements zu, ist der Arbeitgeber nach Maßgabe des § 84
Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet, die Möglichkeiten zu klären, wie die Arbeits-
unfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen und Hilfen er-
neuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden
kann. Soweit es für die Überwachung, ob der Arbeitgeber diese Verpflichtungen
erfüllt, erforderlich ist, hat der Personalrat einen Informationsanspruch nach
§ 73 Abs. 1 BlnPersVG.
c) Rechtssystematische Bedenken, den Auskunftsanspruch des Personalrats
nach § 73 Abs. 1 BlnPersVG auf die Aufgaben der Personalvertretung nach
§ 84 Abs. 2 SGB IX anzuwenden, bestehen nicht. Insbesondere kann § 84
Abs. 2 SBG IX nicht als Spezialregelung verstanden werden, die im Aufgaben-
bereich des betrieblichen Eingliederungsmanagements die Bestimmungen zum
Auskunftsanspruch des Personalrats nach den einschlägigen Personalvertre-
tungsgesetzen verdrängt (so aber VG Hamburg, Beschluss vom 10. November
2006 - 23 FB 17/06 - juris Rn. 19; Schulz, PersV 2008, 244 <247>; Koch, PersV
2008, 256 <257>).
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§ 84 Abs. 2 Satz 1 und 6 SGB IX spricht die zuständige Interessenvertretung im
Sinne des § 93 SGB IX an. § 93 SGB IX nennt an erster Stelle Betriebsrat und
Personalrat. Diesen werden in § 84 Abs. 2 SGB IX spezielle Aufgaben zuge-
wiesen. Sie nehmen am Klärungsprozess des Arbeitgebers teil, wie bei Be-
schäftigten, die innerhalb eines Jahres sechs Wochen ununterbrochen oder
wiederholt arbeitsunfähig waren, Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und
mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und
der Arbeitsplatz erhalten werden kann (§ 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Sie haben
ein entsprechendes Initiativrecht, falls der Arbeitgeber untätig bleibt (§ 84
Abs. 2 Satz 6 SGB IX). Schließlich haben sie darüber zu wachen, dass der Ar-
beitgeber seine gesetzlichen Verpflichtungen im Bereich des betrieblichen Ein-
gliederungsmanagements erfüllt (§ 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX). Regelungen zum
Auskunftsanspruch der Interessenvertretungen hat der Gesetzgeber in § 84
Abs. 2 SGB IX nicht getroffen. Er brauchte dies auch nicht, weil er in dieser
Hinsicht die Anwendung der speziellen Regelwerke zu den Interessenvertre-
tungen vorausgesetzt hat.
§ 84 Abs. 2 SGB IX enthält - ebenso wie andere Vorschriften des SGB IX (vgl.
z.B. § 93 SGB IX sowie die dort zitierten Bestimmungen) - punktuelle Regelun-
gen zu Aufgaben der Interessenvertretungen. Soweit diese keine abschließen-
de Aussage treffen, sind ergänzend die Regelwerke für die Interessenvertre-
tungen heranzuziehen. Es sind dies das Betriebsverfassungsgesetz für die Be-
triebsräte in der Privatwirtschaft, das Bundespersonalvertretungsgesetz für die
Personalräte in der Bundesverwaltung sowie die Länderpersonalvertretungsge-
setze für die Personalräte in den Verwaltungen ihres Geltungsbereichs. Der
aufgabenbezogene Auskunftsanspruch des Personalrats gehört zum Stan-
dardprogramm der Personalvertretungsgesetze in Bund und Ländern (vgl. § 68
Abs. 2 BPersVG). Er wird in § 84 Abs. 2 SGB IX als gegeben vorausgesetzt.
Diese Aussage gilt unabhängig davon, ob die Rahmenvorschriften im zweiten
Teil des Bundespersonalvertretungsgesetzes ihre Rechtswirksamkeit verloren
haben oder demnächst verlieren werden (vgl. Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG).
d) § 73 Abs. 1 BlnPersVG i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX scheidet auch nicht
deshalb als Rechtsgrundlage für das Begehren des Antragstellers aus, weil der
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Bundesgesetzgeber aus Gründen der verfassungsrechtlichen Gesetzgebungs-
kompetenzen gehindert gewesen wäre, den nach den Personalvertretungsge-
setzen der Länder gebildeten Personalvertretungen Aufgaben zuzuweisen (a.A.
VG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Oktober 2008 - 34 K 3001/08.PVL - juris
Rn. 20).
aa) Diese Problematik entfällt freilich nicht bereits wegen § 96 BlnPersVG.
Durch diese Vorschrift wird § 84 Abs. 2 SGB IX nicht in Berliner Landesrecht
transformiert.
aaa) Nach § 96 BlnPersVG gelten, soweit in anderen Gesetzen für die in § 1
Abs. 1 BlnPersVG genannten Bereiche den Betriebsräten Aufgaben oder Be-
fugnisse übertragen sind, diese als Aufgaben und Befugnisse der nach dem
Berliner Personalvertretungsgesetz zu bildenden Personalvertretungen. Nach
ihrem Wortlaut ist die Vorschrift hier nicht einschlägig. Durch § 84 Abs. 2, § 93
SGB IX werden den Betriebsräten keine Aufgaben und Befugnisse für die Ver-
waltungen des Landes Berlin und die anderen in § 1 Abs. 1 BlnPersVG ge-
nannten Bereiche übertragen, in denen Personalvertretungen gebildet werden.
Soweit § 84 Abs. 2, § 93 SGB IX die Betriebsräte ansprechen, sind damit aus-
schließlich die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft
nach dem Betriebsverfassungsgesetz gemeint.
bbb) Die Entstehungsgeschichte des § 96 BlnPersVG spricht für eine restriktive
Auslegung.
Eine § 96 BlnPersVG vergleichbare Vorschrift war bereits § 80 BlnPersVG vom
21. März 1957, GVBl S. 296. Danach galten Vorschriften in anderen Gesetzen,
die den Betriebsräten Befugnisse oder Pflichten übertrugen, entsprechend für
die nach dem Berliner Personalvertretungsgesetz zu errichtenden Personalver-
tretungen; dies galt nicht für Vorschriften, welche die Betriebsverfassung oder
die Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten regelten. Die damaligen
Gesetzesmaterialien enthalten zu dieser Vorschrift keine Begründung (vgl. Ab-
geordnetenhaus von Berlin, Drucks. 2/756 S. 14 f.).
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An die Stelle dieser Vorschrift trat später § 81 BlnPersVG vom 22. Juli 1968,
GVBl S. 1004, dessen Wortlaut mit demjenigen des heutigen § 96 BlnPersVG
identisch war. In der Gesetzesbegründung hieß es: „ § 81 entspricht dem § 80
PersVG, ist aber lediglich etwas klarer gefasst. Die vor dem Inkrafttreten des
Personalvertretungsgesetzes bestehenden Gesetze stellen auf bestimmte Auf-
gaben und Funktionen der ‚Betriebsräte’ ab (vgl. z.B. § 2 des Kündigungs-
schutzgesetzes). Für die in § 1 Abs. 1 genannten Bereiche gelten diese nun-
mehr als Aufgaben und Befugnisse der Personalvertretungen“ (Abgeordneten-
haus von Berlin, Drucks. 5/388 S. 14).
Welche Bedeutung die in Rede stehende Übergangsvorschrift hat, lässt sich
anhand des in den Gesetzesmaterialien zitierten Beispielfalles illustrieren. Bei
Inkrafttreten des Berliner Personalvertretungsgesetzes vom 22. Juli 1968 galt
das Kündigungsschutzgesetz vom 10. August 1951 (KSchG 1951), BGBl I
S. 499, in der Fassung von Art. VIII des Änderungsgesetzes vom 7. Dezember
1959, BGBl I S. 705. § 2 KSchG 1951 regelte Aufgaben und Befugnisse des
Betriebsrates im Falle der Kündigung eines Arbeitnehmers. Der Geltungsbe-
reich dieser Vorschrift erstreckte sich auf „Betriebe und Verwaltungen des pri-
vaten und des öffentlichen Rechts“ (§ 21 Abs. 1 Satz 1 KSchG 1951). Aus § 81
BlnPersVG 1968 ergab sich somit, dass die Aufgaben und Befugnisse nach § 2
KSchG 1951 im Bereich der Berliner Verwaltung von den Personalräten wahr-
zunehmen waren. Allgemein gesprochen sollen diese zuständig sein, soweit
Gesetze, die vor Inkrafttreten der Personalvertretungsgesetze erlassen wurden
und noch in der Terminologie des Betriebsrätegesetzes von 1920 und des Kon-
trollratsgesetzes Nr. 22 vom 10. April 1946 befangen waren (vgl. Abgeordne-
tenhaus von Berlin, Drucks. 2/756 S. 10), den Betriebsräten für den Bereich der
Berliner Verwaltung Kompetenzen zuwiesen. Nur diese Bedeutung hat auch
§ 96 BlnPersVG.
ccc) Angesichts dessen verbietet es sich, den Anwendungsbereich von § 96
BlnPersVG im Wege teleologischer Extension oder der Analogie auf alle Bun-
desgesetze zu erstrecken, die Aufgaben für die Personalvertretungen nach den
Personalvertretungsgesetzen der Länder begründen. Dies würde den Charakter
der Vorschrift als Übergangsbestimmung sprengen.
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bb) Der Bund hatte die Gesetzgebungskompetenz für die Regelung in § 84
Abs. 2 SGB IX auch, soweit dort Aufgaben und Befugnisse für die Personalver-
tretungen im Bereich der Länder normiert werden.
aaa) § 84 Abs. 2 SGB IX hat seine hier anzuwendende Fassung durch Art. 1
des Gesetzes vom 23. April 2004, BGBl I S. 606, erhalten. In diesem Zeitpunkt
galt das Grundgesetz in der Fassung, welches es im Zeitraum vom 1. August
2002 bis 31. August 2006 hatte (GG a.F.). Der Bund konnte sich, soweit er in
§ 84 Abs. 2 SGB IX dem Arbeitgeber materiellrechtliche Verpflichtungen zu-
gunsten kranker bzw. erkrankter Arbeitnehmer auferlegt hat, auf den Kompe-
tenztitel nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG a.F. stützen. Diese Bestimmung be-
gründet eine umfassende Kompetenz für die Regelung der Rechtsbeziehung
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und erstreckt sich sowohl auf privat-
rechtliche als auch auf öffentlich-rechtliche Bestimmungen über abhängige Ar-
beitsverhältnisse (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Oktober 2002 - 2 BvF 1/01 -
BVerfGE 106, 62 <132 f.>). Auf das Arbeitsverhältnis tatsächlich einzuwirken
- nämlich im Sinne seiner Erhaltung - ist ausdrücklich erklärtes Ziel der Rege-
lung in § 84 Abs. 2 SGB IX. Die Verpflichtung des Arbeitgebers zum betriebli-
chen Eingliederungsmanagement hat ferner rechtliche Auswirkungen auf das
Arbeitsverhältnis. Kommt der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen aus § 84
Abs. 2 SGB IX nicht oder nicht ordnungsgemäß nach, so kann dies für ihn im
Kündigungsschutzprozess zu Rechtsnachteilen führen (vgl. BAG, Urteile vom
12. Juli 2007 a.a.O. Rn. 44, vom 23. April 2008 - 2 AZR 1012/06 - juris Rn. 26
und 29 sowie vom 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - juris Rn. 19 ff.).
bbb) Soweit der Bund in § 84 Abs. 2 SGB IX den Personalvertretungen im Be-
reich der Länder Aufgaben und Befugnisse zugewiesen hat, konnte er sich auf
Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GG a.F. stützen. Danach hatte der Bund das Recht,
unter den Voraussetzungen des Art. 72 GG a.F. Rahmenvorschriften für die
Gesetzgebung der Länder zu erlassen über die Rechtsverhältnisse der im öf-
fentlichen Dienst der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öf-
fentlichen Rechts stehenden Personen. Die bundesrechtliche Regelung musste
als Ganzes auf Ausfüllung durch die Landesgesetzgebung hin angelegt sein.
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Dem Landesgesetzgeber musste in der sachlichen Rechtsgestaltung Raum für
eigene Willensentschließung von substantiellem Gehalt bleiben (vgl. BVerfG,
Beschlüsse vom 27. März 1979 - 1 BvL 2/77 - BVerfGE 51, 43 <54> und vom
16. Oktober 1984 - 2 BvL 1/83 - BVerfGE 67, 382 <387>).
Der zweite Teil des Bundespersonalvertretungsgesetzes regelte in seinen in
den Ländern unmittelbar geltenden §§ 107 bis 109 lediglich einige Einzelfragen.
Auch die Rahmenvorschriften der §§ 94 bis 106 BPersVG enthielten - etwa in
§ 98 Abs. 2 und § 102 Abs. 2 BPersVG - einige punktuelle Vollregelungen mit
unmittelbarer Wirkung. Insgesamt verblieben dem Landesgesetzgeber jedoch
auf dem Gebiet des Personalvertretungsrechts Regelungen von substantiellem
Gewicht (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 27. März 1979 - 2 BvL 2/77 - a.a.O. und
- 2 BvR 1011/78 - BVerfGE 51, 77 <95> sowie vom 16. Oktober 1984 a.a.O.
S. 388).
Auch in § 84 Abs. 2 SGB IX handelt es sich um eine punktuelle Vollregelung für
einen speziellen Regelungsbereich, nämlich denjenigen des betrieblichen Ein-
gliederungsmanagements zugunsten kranker bzw. erkrankter Beschäftigter.
Durch die dort den Personalvertretungen im Bereich der Länder verbindlich
übertragenen Aufgaben wurde der Gestaltungsspielraum der Länder nicht sub-
stantiell infrage gestellt. Der formale Aspekt, dass die Aufgabenübertragung
hier in einem Spezialgesetz außerhalb des zweiten Teils des Bundespersonal-
vertretungsgesetzes über die Personalvertretungen in den Ländern vorgenom-
men worden ist, ist in dieser Hinsicht belanglos.
ccc) Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 GG a.F. lagen hier ebenfalls vor. Die
Regelung in § 84 Abs. 2 SGB IX zur Beteiligung des Personalrats beim betrieb-
lichen Eingliederungsmanagement war zur Wahrung der Wirtschaftseinheit im
gesamtstaatlichen Interesse erforderlich. Die Wahrung der Wirtschaftseinheit
liegt im gesamtstaatlichen Interesse, wenn es um die Erhaltung der Funkti-
onsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik durch bundeseinheitliche
Rechtsetzung geht, wenn also Landesregelungen oder das Untätigbleiben der
Länder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich brächten (vgl.
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BVerfG, Urteile vom 24. Oktober 2002 a.a.O. S. 146 f. und vom 26. Januar
2005 - 2 BvF 1/03 - BVerfGE 112, 226 <248 f.>).
Es würde zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen führen, wenn der Schutz
kranker Beschäftigter vor drohender Arbeitslosigkeit zur Disposition der Bun-
desländer gestellt wäre (vgl. auch die Begründung des Entwurfs eines Geset-
zes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Men-
schen, BTDrucks 15/1783 S. 11). Ein Minimum an Schutzniveau wäre mit wirt-
schaftlichen Vorteilen verbunden. Das im Sozialstaatsgedanken wurzelnde
Konzept des betrieblichen Eingliederungsmanagements wäre zum Scheitern
verurteilt. Diese Erwägung erstreckt sich auf die Beteiligung der zuständigen
Interessenvertretung, die zur effektiven Durchsetzung des Instruments grund-
sätzlich unentbehrlich ist. Zur Gewährleistung eines einheitlichen Schutzniveaus
ist daher das aktive Engagement der Personalräte im Bereich der Länder in
gleicher Weise geboten wie dasjenige der Betriebsräte in den Unternehmen der
Privatwirtschaft und der Personalräte im Bereich der Bundesverwaltung.
cc) Soweit § 84 Abs. 2 SGB IX die Beteiligung von Personalvertretungen im Be-
reich der Länder regelt, könnte er wegen Aufhebung des Art. 75 GG a.F. zum
1. September 2006 nicht mehr erlassen werden; er gilt jedoch einstweilen als
Bundesrecht fort (Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG n.F.). Zwar kann die Bestimmung
im beschriebenen Umfang durch Landesrecht ersetzt werden (Art. 125a Abs. 1
Satz 2 GG n.F.). In Berlin ist solches bisher jedoch nicht geschehen.
Zwar hat der Berliner Landesgesetzgeber sein Personalvertretungsgesetz
durch das Siebente Änderungsgesetz vom 17. Juli 2008, GVBl S. 206, umfang-
reich reformiert; zwei Gesetzesänderungen geringeren Umfangs aus letzter Zeit
kommen hinzu. Keine dieser Änderungen betrifft jedoch die Beteiligung der
Personalräte am betrieblichen Eingliederungsmanagement oder enthält unmit-
telbare oder mittelbare Aussagen, die im Widerspruch zur Regelung in § 84
Abs. 2 SGB IX stehen.
Das Änderungsgesetz vom 17. Juli 2008 betraf in seinem Schwerpunkt die An-
passung des Berliner Personalvertretungsrechts an die Rechtsprechung des
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Bundesverfassungsgerichts zum demokratischen Prinzip (vgl. Beschluss vom
24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 - BVerfGE 93, 37), ferner die Beteiligung der Perso-
nalräte bei Beschäftigungen im Rahmen von „Ein-Euro-Jobs“ sowie im Bereich
der Informations- und Kommunikationstechnik und bei befristeten Einstellungen
an Schulen; in weiteren Regelungen wurden geringfügige Änderungen und Ak-
tualisierungen vorgenommen (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucks.
16/1108 S. 1 f., 14 ff.; Drucks. 16/1644). Art. XII Nr. 22 des Dienstrechtsände-
rungsgesetzes vom 19. März 2009, GVBl S. 70, 112, enthielt lediglich Folgeän-
derungen und die Berichtigung hinsichtlich einer Behördenbezeichnung (Abge-
ordnetenhaus von Berlin, Drucks. 16/2049 S. 100 f., 159; Drucks. 16/2194).
Art. III des Änderungsgesetzes vom 25. Januar 2010, GVBl S. 22, betraf ledig-
lich die Anlage zum Berliner Personalvertretungsgesetz, in welcher die Dienst-
stellen aufgezählt sind.
Die vorbezeichneten Gesetzesänderungen einschließlich der dazu zitierten Ge-
setzesmaterialien geben noch nicht einmal eine Absicht des Berliner Landes-
gesetzgebers zu erkennen, die Bestimmungen im zweiten Teil des Bundesper-
sonalvertretungsgesetzes abzulösen. Selbst wenn dieses konkludent gesche-
hen sein sollte, so wird die hier in Rede stehende Regelung in § 84 Abs. 2
SGB IX davon nicht erfasst. Der Landesgesetzgeber ist nach Art. 125a Abs. 1
Satz 2 GG n.F. befugt, die Ersetzung des Bundesrechts auf den abgrenzbaren
Teilbereich einer Materie zu beschränken, soweit dabei eine unübersichtliche
Gemengelage von Bundes- und Landesrecht vermieden wird (vgl. Stettner, in:
Dreier, Grundgesetz, 2. Aufl. 2007, Art. 125a Rn. 9; Degenhart, in: Sachs,
Grundgesetz, 5. Aufl. 2009, Art. 125a Rn. 6; Seiler, in: Epping/Hillgruber,
Grundgesetz, 2009, Art. 125a Rn. 4; Maiwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/
Hopfauf, Grundgesetz, 11. Aufl. 2008, Art. 125a Rn. 7; zu Art. 125a Abs. 2
Satz 2 GG a.F.: BVerfG, Urteil vom 9. Juni 2004 - 1 BvR 636/02 - BVerfGE 111,
10 <30>). Demnach darf der Berliner Landesgesetzgeber die Rahmenvorschrif-
ten des Bundespersonalvertretungsgesetzes ablösen und zugleich die Rege-
lung in § 84 Abs. 2 SGB IX unberührt lassen. Die Beteiligung des Personalrats
am betrieblichen Eingliederungsmanagement ist ein Sonderfall, der sich von
den Beteiligungstatbeständen des Berliner Personalvertretungsgesetzes klar
abgrenzen lässt.
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- 15 -
3. Mit Blick auf die Umstände des vorliegenden Einzelfalles ist die Zuleitung
aller Anschreiben des Beteiligten an die betroffenen Beschäftigten nach § 73
Abs. 1 Satz 1 BlnPersVG erforderlich, um die Erfüllung der Aufgaben durch den
Arbeitgeber im Sinne des § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX zu überwachen.
Gegenstand der Überwachung ist die Bestimmung in § 84 Abs. 2 Satz 3
SGB IX, wonach die betroffene Person zuvor - also vor Beginn des Klärungs-
prozesses nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX - auf die Ziele des betrieblichen
Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen
und verwendeten Daten hinzuweisen ist.
a) Dass das Unterrichtungsschreiben des Dienststellenleiters gemäß § 84
Abs. 2 Satz 3 SGB IX nur mit Zustimmung der betroffenen Person dem Perso-
nalrat zur Kenntnis gebracht werden kann, ist von Gesetzes oder Verfassungs
wegen nicht zwingend vorgegeben.
aa) Aus dem Wortlaut der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ergibt sich
eine derartige Aussage nicht. Sie folgt auch nicht aus dem rechtssystemati-
schen Zusammenhang mit § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, wonach der dort be-
schriebene Klärungsprozess „mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen
Person“ stattfindet. Das Hinweisschreiben nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ist
dem Klärungsprozess nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zeitlich vorgelagert. Die
Abhängigkeit des Klärungsprozesses selbst von der Zustimmung des Betroffe-
nen besagt für sich gesehen noch nichts darüber, ob die dem Dienststellenleiter
aufgegebene Belehrung über die Ziele und Durchführung des betrieblichen
Eingliederungsmanagements dem Personalrat zugeleitet werden kann.
bb) Sinn und Zweck des Zustimmungserfordernisses nach § 84 Abs. 2 Satz 1
SGB IX schließt die Weiterleitung des Hinweisschreibens ohne Zustimmung des
Betroffenen nicht von vornherein aus. Es liegt auf der Hand, dass die vom
Gesetzgeber gewünschte Wiedereingliederung des Betroffenen in den Arbeits-
prozess nur gelingen kann, wenn der Betroffene dies selbst will und sich aktiv in
den Klärungsprozess einbringt. Ein betriebliches Eingliederungsmanagement
ohne oder gar gegen den Willen des Betroffenen ist daher von vornherein zum
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- 16 -
Scheitern verurteilt. Dessen Erfolg ist aber nicht schon dann ausgeschlossen,
wenn vor dessen Durchführung das in generalisierter Form abgefasste Hin-
weisschreiben nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ohne Zustimmung des Betrof-
fenen dem Personalrat zu Kontrollzwecken zugeleitet wird.
cc) Letzteres verbietet sich nicht stets wegen des Grundrechts des Betroffenen
auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG). Das Persönlichkeits-
recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu bestimmen,
wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart
werden. Dieses Recht ist nicht schrankenlos gewährleistet, sondern muss sich
Einschränkungen im überwiegenden Allgemeininteresse gefallen lassen. Diese
Beschränkungen bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, aus der sich die
Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den
Einzelnen erkennbar ergeben (BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR
209/83 u.a. - BVerfGE 65, 1 <42, 44>).
Das Hinweisschreiben des Dienststellenleiters nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX
enthält zwingend die Information, dass der angeschriebene Beschäftigte zum
Kreis derjenigen zählt, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen
ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren (§ 84 Abs. 2 Satz 1
SGB IX). Die Weitergabe dieses Schreibens an den Personalrat stellt daher
einen gewichtigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
dar. Doch ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass dieser Eingriff im zu
entscheidenden Einzelfall durch überwiegende gegenläufige Interessen ge-
rechtfertigt wird. Als solches kommt das Überwachungsrecht nach § 84 Abs. 2
Satz 7 SGB IX in Betracht, das letztlich dazu dient, kranken Beschäftigten den
Arbeitsplatz und damit die wirtschaftliche Existenz zu erhalten. Hinzu kommt,
dass das Gewicht des Eingriffs aufgrund besonderer Umstände des zu beurtei-
lenden Sachverhalts relativiert sein kann. Für diese Fälle enthält die Regelung
zum Informationsrecht des Personalrats in § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 BlnPersVG
eine strikt aufgabengebundene, in ihrer Reichweite durch das Erforderlichkeits-
prinzip begrenzte
bereichs
spezifische Rechtsgrundlage, die dem Gebot der
Normenklarheit entspricht (vgl. Beschluss vom 23. Januar 2002 a.a.O. S. 5
bzw. S. 204 m.w.N.).
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- 17 -
b) Der Antragsteller kann hier nur bei Kenntnis von jedem Anschreiben voll-
ständig überprüfen, ob der jeweils betroffene Beschäftigte überhaupt und ob er
nach Maßgabe von § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ordnungsgemäß unterrichtet
wurde. Die Mitteilung eines anonymisierten Mustertextes reicht nicht aus. Aus
ihm kann der Antragsteller zwar ersehen, ob die gesetzlichen Vorgaben beach-
tet und die betroffenen Beschäftigten in allgemein verständlicher Form ange-
sprochen werden. Er erlangt jedoch auf diese Weise keine hinreichende Ge-
wissheit darüber, dass alle betroffenen Beschäftigten über das gesetzliche An-
gebot des betrieblichen Eingliederungsmanagements tatsächlich informiert
werden.
c) Die Vorlagepflicht des Beteiligten ist von der Darlegung eines besonderen
Anlasses, namentlich einer zu besorgenden Rechtsverletzung unabhängig. Nur
die Kenntnis von jedem Anschreiben versetzt den Antragsteller in die Lage, et-
waigen Verstößen des Beteiligten gegen § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX bereits im
Vorfeld effektiv entgegenwirken zu können (vgl. Beschlüsse vom 23. Januar
2002 - BVerwG 6 P 5.01 - PersR 2002, 201 <202>, insoweit bei Buchholz
a.a.O. nicht abgedruckt, vom 24. Februar 2006 - BVerwG 6 P 4.05 - Buchholz
251.91 § 77 SächsPersVG Nr. 1 Rn. 17 und vom 16. Februar 2010 a.a.O.
Rn. 23).
d) § 73 Abs. 1 Satz 3 BlnPersVG, wonach Personalakten nur mit Einwilligung
des Betroffenen vorgelegt werden dürfen, ist hier weder unmittelbar noch ent-
sprechend anzuwenden. Personalakten sind eine Sammlung von Schriftstü-
cken, die in Bezug zur Person des Beschäftigten von dienstlichem Interesse
sind. Sie sollen ein umfassendes, möglichst lückenloses Bild über Herkunft,
Ausbildung, beruflichen Bildungsgang, sonstige dienstliche relevante Daten
(z.B. über Befähigung und Leistungen) sowie über das dienstliche und ggf. au-
ßerdienstliche Verhalten des Beschäftigten geben. Das Unterrichtungsschrei-
ben des Beteiligten an den jeweils betroffenen Beschäftigten gemäß § 84
Abs. 2 Satz 3 SGB IX ist weit davon entfernt, jenes vollständige Bild über die
Persönlichkeit des Beschäftigten zu liefern, welches für Personalakten typisch
ist (vgl. Beschlüsse vom 23. Januar 2002 - BVerwG 6 P 5.01 - Buchholz 250
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§ 68 BPersVG Nr. 17 S. 4 f. = PersR 2002, 201 <204> und vom 16. Februar
2010 a.a.O. Rn. 25).
Die entsprechende Anwendung von § 73 Abs. 1 Satz 3 BlnPersVG auf Schrift-
stücke, die personenbezogene Angaben über Beschäftigte enthalten, scheidet
aus. Würde man in allen diesen Fällen den Informationsanspruch des Perso-
nalrats an die Zustimmung des betroffenen Beschäftigten knüpfen, so wäre die
Mitbestimmung des Personalrats insbesondere in personellen Angelegenheiten
weitgehend entwertet (vgl. Beschluss vom 23. Januar 2002 a.a.O. S. 5 bzw.
S. 204 m.w.N.).
e) Das Persönlichkeitsrecht des betroffenen Beschäftigten, insbesondere sein
Recht auf informationelle Selbstbestimmung, welches die Auslegung und An-
wendung des Erforderlichkeitsmerkmals in § 73 Abs. 1 Satz 2 BlnPersVG im zu
entscheidenden Einzelfall steuert, rechtfertigt hier keine abweichende Beurtei-
lung.
aa) Soweit es um die Dauer der Arbeitsunfähigkeit geht, liegt nach den Um-
ständen des vorliegenden Falls ein zusätzlicher Eingriff in das Persönlichkeits-
recht des Beschäftigten nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat rechtskräftig
festgestellt, dass der Beteiligte verpflichtet ist, dem Antragsteller ohne vorherige
Zustimmung des jeweils Betroffenen mitzuteilen, welche Beschäftigten der
Dienststelle innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen
oder wiederholt arbeitsunfähig waren. Damit hat es diese in Rechtsprechung
und Schrifttum umstrittene Frage im Sinne des Antragstellers beantwortet (vgl.
zum Meinungsstand: VG Hamburg, Beschluss vom 10. November 2006 a.a.O.;
Seel, in: Ernst/Adlhoch/Seel, SGB IX, § 84 Rn. 83; Klaesberg, PersR 2008, 391
<394>; Schulz, a.a.O. S. 247; Richter/Gamisch, RiA 2009, 241 <245> einer-
seits; VGH München, Beschluss vom 30. April 2009 - 17 P 08.3389 - juris; VG
Aachen, Beschluss vom 25. September 2008 - 16 K 836/08.PVL - juris; VG
Düsseldorf, Beschluss vom 20. Oktober 2008 a.a.O.; Neumann, in:
Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 11. Aufl. 2005, § 84 Rn. 9; Koch,
PersV 2008, 256; Baßlsperger, PersV 2010, 129 <131> andererseits).
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- 19 -
Der Senat ist an die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht gebun-
den. Die Begründung, mit welcher das Verwaltungsgericht die Verpflichtung des
Beteiligten zur Mitteilung des von § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX erfassten Perso-
nenkreises bejaht hat, entfaltet keine präjudizielle Wirkung für den Streitge-
genstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens, in welchem es um die Weitergabe
der Anschreiben an die Betroffenen und deren Antworten geht.
Doch kann der Senat die tatsächlichen Auswirkungen der rechtskräftigen Ent-
scheidung des Verwaltungsgerichts im Rahmen der Abwägung nach § 73
Abs. 1 Satz 2 BlnPersVG nicht unberücksichtigt lassen. Diese gehen dahin,
dass der Beteiligte, der der rechtskräftigen Entscheidung des Verwaltungsge-
richts Folge zu leisten hat, dem Antragsteller die Namen der im Sinne von § 84
Abs. 2 Satz 1 SGB IX betroffenen Personen mitteilt. Aufgrund dieser Mitteilung
ist der Antragsteller bereits davon unterrichtet, welcher Beschäftigte der Dienst-
stelle innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder
wiederholt arbeitsunfähig ist. Hinsichtlich dieses Gesundheitsdatums erfährt der
Antragsteller aus dem Hinweisschreiben des Beteiligten nach § 84 Abs. 2
Satz 3 SGB IX nichts, was er nicht bereits aufgrund der Mitteilung über den be-
troffenen Personenkreis weiß.
bb) Freilich erfährt der Antragsteller durch die Anschreiben die Privatanschriften
der betroffenen Beschäftigten. Ein ins Gewicht fallender Eingriff in das Persön-
lichkeitsrecht ist damit aber nicht verbunden. Zum Einen werden die Adressen
dem Antragsteller jedenfalls teilweise bereits aus anderen Zusammenhängen
bekannt sein oder lassen sich in der Regel auch ohne Einschaltung des Betei-
ligten auf einfachem Wege ermitteln. Zum Anderen ist der mit der Wiedergabe
der Anschriften verbundene moderate Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ge-
rechtfertigt. Insbesondere ist er verhältnismäßig. Wenn der Antragsteller dar-
über wacht, dass jeder betroffene Beschäftigte ordnungsgemäß über die Ziele
des betrieblichen Eingliederungsmanagements unterrichtet wird, so dient dies
dem Schutz des Betroffenen vor dem drohenden Verlust seines Arbeitsplatzes.
Die korrekte Belehrung eines jeden Betroffenen ist wesentliche Voraussetzung
dafür, dass das Angebot des betrieblichen Eingliederungsmanagements vom
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Beschäftigten positiv aufgegriffen wird und die vom Gesetzgeber intendierte
Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess gelingen kann.
cc) Der Beteiligte ist gehalten, den Inhalt seines Anschreibens auf diejenigen
Gesichtspunkte zu begrenzen, die für eine ordnungsgemäße Belehrung nach
§ 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX unumgänglich sind. In dieser Hinsicht genügt eine
abstrakte Bezeichnung der Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanage-
ments, wie sie in § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX definiert sind. Die zu den Gerichts-
akten gereichten Anschreiben des Beteiligten vom 20. April und 1. Juni 2006
tragen diesen Anforderungen Rechnung. Freilich ist die Information der Be-
schäftigten noch um die Angaben zur Datenerhebung und -verwendung zu er-
gänzen. Auch in dieser Hinsicht ist ein genereller Hinweis ausreichend. Die
Verpflichtung des Beteiligten, den Inhalt des Anschreibens auf das unumgäng-
lich Notwendige zu beschränken, besteht nicht nur gegenüber dem betroffenen
Beschäftigten, sondern auch gegenüber dem Antragsteller. Nur auf diese Weise
können der Schutz des Beschäftigten vor einer Weitergabe seiner Daten und
die effektive Erfüllung der Personalratsaufgaben zu einem schonenden
Ausgleich gebracht werden. Die Dienststelle ist nicht befugt, in das Anschreiben
individuelle, auf die Art der Erkrankung hinweisende Angaben aufzunehmen
und sodann unter Hinweis auf den Datenschutz das Kontrollrecht der Per-
sonalvertretung auszuschalten.
f) Der Beteiligte hat die Anschreiben dem Vorsitzenden des Antragstellers oder
einem vom Antragsteller zu bestimmenden Personalratsmitglied zur Kenntnis
zu geben. Die Beschränkung von Mitteilungen des Dienststellenleiters an den
Personalrat auf einzelne Personalratsmitglieder ist ein in der Verwaltungsrecht-
sprechung anerkanntes Mittel, um dem Schutz besonders sensibler personen-
bezogener Daten der Beschäftigten Rechnung zu tragen (vgl. Beschlüsse vom
22. April 1998 - BVerwG 6 P 4.97 - Buchholz 251.91 § 73 SächsPersVG Nr. 1
S. 5, vom 23. Januar 2002 a.a.O. S. 6 bzw. S. 205 und vom 16. Februar 2010
a.a.O. Rn. 1). Es liegt nahe, darauf zurückzugreifen, wenn es wie im vorliegen-
den Fall um Gesundheitsdaten geht.
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4. Dagegen kann der Antragsteller nicht verlangen, dass der Beteiligte ihm die
Antwortschreiben der Beschäftigten ohne deren Zustimmung zur Kenntnis
bringt. Er benötigt nicht die Kenntnis aller Antwortschreiben, um sein Überwa-
chungsrecht nach § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX wahrnehmen zu können.
Gegenstand der Überwachung ist hier die Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 1
SGB IX. Danach klärt der Arbeitgeber bei Beschäftigten, die innerhalb eines
Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig
sind, mit der zuständigen Interessenvertretung mit Zustimmung und Beteiligung
der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst
überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsun-
fähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Die Kenntnis
aller Antwortschreiben ist, wie sich aus der Abwägung der betroffenen Belange
ergibt, zur Wahrung des Beteiligungsrechts der Personalvertretung aus § 84
Abs. 2 Satz 1 SGB IX nicht erforderlich im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 2
BlnPersVG. Auch ohne Kenntnis aller Antwortschreiben erlangt der Antragstel-
ler hinreichende Gewissheit darüber, dass das betriebliche Eingliederungsma-
nagement unter seiner Beteiligung in allen Fällen stattfindet, in denen der be-
troffene Beschäftigte dazu seine Zustimmung erteilt hat.
a) Als Reaktion auf das Hinweisschreiben des Dienststellenleiters nach § 84
Abs. 2 Satz 3 SGB IX ergeben sich mit Blick auf die Regelung in § 84 Abs. 2
Satz 1 SGB IX im Ergebnis drei mögliche Antwortalternativen des Beschäftig-
ten. Dieser kann erklären, dass er mit der Durchführung des betrieblichen Ein-
gliederungsmanagements nicht einverstanden ist. Er kann erklären, dass er mit
der Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements unter Beteili-
gung der Personalvertretung einverstanden ist. Schließlich kann er erklären,
dass er der Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements durch
die Dienststelle zustimmt, die Beteiligung des Personalrats daran aber ablehnt.
Von einem derartigen modifizierten Zustimmungsrecht des betroffenen Be-
schäftigten ist das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht ausgegangen
(ebenso VGH München a.a.O. Rn. 26).
aa) Der Wortlaut der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX geht allerdings
eher in die entgegengesetzte Richtung. Er kann ohne Weiteres in der Weise
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- 22 -
gelesen werden, dass sich die „Zustimmung und Beteiligung der betroffenen
Person“ auf den Klärungsprozess bezieht, den „der Arbeitgeber mit der zustän-
digen Interessenvertretung“ vornimmt. Bei diesem sprachlichen Verständnis
kann der im Wege der Kooperation von Arbeitgeber und Interessenvertretung
durchzuführende Klärungsprozess vom Beschäftigten nur als solcher ange-
nommen oder abgelehnt werden. Freilich ist der Wortlaut der Vorschrift für ein
abweichendes Verständnis offen, sofern die übrigen Auslegungsmethoden oder
verfassungsrechtliche Erwägungen dies gebieten.
bb) Auch die Rechtssystematik spricht eher dafür, dass die Beteiligung der
Personalvertretung am betrieblichen Eingliederungsmanagement unverzichtbar
ist.
Wie bereits oben erörtert, sind die in § 84 Abs. 2 SGB IX angesprochenen Auf-
gaben der zuständigen Interessenvertretungen eingebettet in die speziellen
Regelwerke für diese Interessenvertretungen. Es ist anzunehmen, dass der
Bundesgesetzgeber bei der Verabschiedung der Regelung in § 84 Abs. 2
SGB IX vor allem die Bestimmungen im Bundespersonalvertretungsgesetz über
die Personalvertretungen im Bundesdienst im Auge hatte. Aus ihnen ergibt sich,
dass die Beteiligung des Personalrats grundsätzlich nicht von der Zustimmung
des jeweils betroffenen Beschäftigten abhängig ist. Ausnahmen bestehen nur in
einzelnen, ausdrücklich geregelten Angelegenheiten: Gewährung von
Zuwendungen (§ 75 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BPersVG), Geltendmachung
von Ersatzansprüchen (§ 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9, Satz 2 BPersVG), Per-
sonalangelegenheiten des Dienststellenleiters und vergleichbarer Personen, der
Beamten auf Zeit sowie der Beschäftigten mit überwiegend wissenschaftlicher
oder künstlerischer Tätigkeit (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BPersVG) sowie Erhebung der
Disziplinarklage, Entlassung von Beamten auf Probe oder auf Widerruf und vor-
zeitige Versetzung in den Ruhestand (§ 78 Abs. 1 Nr. 3 bis 5, Abs. 2 Satz 2
BPersVG). Dagegen ist die Beteiligung des Personalrats selbst in solchen
Angelegenheiten nicht zustimmungsbedürftig, in denen ausschließlich einzelne
Beschäftigte betroffen sind, z.B. bei Übertragung einer niedriger zu bewer-
tenden Tätigkeit und Rückgruppierung (§ 75 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG), bei
Versagung oder Widerruf einer Nebentätigkeitsgenehmigung (§ 75 Abs. 1 Nr. 7
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BPersVG) oder bei Kündigung (§ 79 BPersVG). Der Beschäftigte kann zwar
den Auskunftsanspruch des Personalrats für Personalakten und dienstliche
Beurteilungen begrenzen (§ 68 Abs. 2 Satz 3 und 4 BPersVG), nicht aber das
Beteiligungsrecht selbst. Der Gesetzgeber will von vornherein ausschließen,
dass der Beschäftigte unter Druck gesetzt wird, auf die Beteiligung der Perso-
nalvertretung zu verzichten. Diese ist zudem auch bei personellen Einzelmaß-
nahmen geeignet, auf eine gleichmäßige Behandlung der Beschäftigten hinzu-
wirken.
cc) Im Gegensatz dazu enthält die Entstehungsgeschichte der Regelung in § 84
Abs. 2 SGB IX Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber die Einschaltung der
zuständigen Interessenvertretung beim betrieblichen Eingliederungsmana-
gement von der Zustimmung des betroffenen Beschäftigten abhängig machen
wollte.
Die Begründung zum Gesetzentwurf der damaligen Koalitionsfraktionen äußert
sich nicht zu der hier in Rede stehenden Frage (vgl. BTDrucks 15/1783 S. 16).
Der Bundesrat hat indes in seiner Stellungnahme die Befürchtung geäußert,
dass der Arbeitgeber die Interessenvertretung ohne Einverständnis des Betrof-
fenen einschaltet (BTDrucks 15/2318 S. 16). In ihrer Gegenäußerung hat die
Bundesregierung erwidert, der Arbeitgeber könne die Interessenvertretung nach
dem ausdrücklichen Wortlaut der vorgesehenen Regelung nur mit Zustimmung
und Beteiligung der betroffenen Person einschalten (BTDrucks 15/2318 S. 22
zu Nr. 15). Der Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung ist in seiner
Beschlussempfehlung auf die Meinungsäußerung der Bundesregierung nicht
zurückgekommen, hat ihr aber auch nicht widersprochen (BTDrucks 15/2357
S. 9 f. und S. 24 jeweils zu Nr. 20).
dd) Sinn und Zweck der Regelung in § 84 Abs. 2 SGB IX gebieten es, dass das
betriebliche Eingliederungsmanagement ohne Beteiligung der Interessenvertre-
tung möglich sein muss.
Durch die dem Arbeitgeber von § 84 Abs. 2 SGB IX auferlegten besonderen
Verhaltenspflichten soll möglichst frühzeitig einer Gefährdung des Arbeitsver-
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hältnisses eines kranken Menschen begegnet und die dauerhafte Fortsetzung
der Beschäftigung erreicht werden. Ziel des betrieblichen Eingliederungsmana-
gements ist die frühzeitige Klärung, ob und welche Maßnahmen zu ergreifen
sind, um eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnis-
ses zu fördern. Die in § 84 Abs. 2 SGB IX genannten Maßnahmen dienen damit
letztlich der Vermeidung der Kündigung und der Verhinderung von Arbeits-
losigkeit erkrankter und kranker Menschen (vgl. BTDrucks 15/1783 S. 16;
15/2318 S. 22 zu Nr. 15; BAG, Urteil vom 12. Juli 2007 a.a.O. Rn. 40; Baßlsper-
ger, a.a.O. S. 129; Seel, a.a.O. § 84 Rn. 61).
Die aktive Beteiligung der zuständigen Interessenvertretung ist ein nützliches
Element des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Sie ist geeignet, das
nötige Vertrauen beim Beschäftigten zu wecken, ohne dessen Eigeninitiative
das Konzept zum Scheitern verurteilt ist. Sie kann wesentlich dazu beitragen,
dass die Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers zur Erhaltung des Ar-
beitsplatzes und zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit genutzt werden (vgl. Rich-
ter/Gamisch, a.a.O. S. 244).
Es ist gleichwohl immer denkbar, dass einzelne Beschäftigte - aus welchen
Gründen auch immer - kein Vertrauen zum Personalrat haben. Ist die Zustim-
mung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement stets mit der Beteiligung
des Personalrats verbunden, so führt dies bei einem derartigen Beschäftigten
zu folgender Entscheidungsalternative: Entweder lehnt er die Einschaltung des
Personalrats ab; damit verliert er zugleich die Chance auf Wiedereingliederung,
welche die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements ver-
spricht. Oder er stimmt diesem Instrument zu; dann muss er die - mit der Unter-
richtung über sensible Daten verbundene - Beteiligung des Personalrats hin-
nehmen, zu welchem er kein Vertrauen hat; das sind keine günstigen Voraus-
setzungen für den Erfolg des Klärungsprozesses, der ohne die aktive, motivier-
te Mitwirkung des Betroffenen selbst nicht gelingen kann. Den Beschäftigten
einer derartigen Zwangslage auszusetzen, ist unverhältnismäßig und mit Blick
auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements kontraproduktiv. Es
ist nicht ausgeschlossen, dass dem Beschäftigten auch ohne Beteiligung der
Personalvertretung bei der Erhaltung seines Arbeitsplatzes im Sinne von § 84
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Abs. 2 SGB IX effektiv geholfen wird. Diese Chance muss gewahrt bleiben. Die
dahingehende Auslegung der Vorschrift respektiert das Selbstbestimmungs-
recht des Beschäftigten und steht damit im Einklang mit Vorstellungen, welche
dem Persönlichkeitsrecht der Verfassung nach Art. 2 Abs. 1 GG zugrunde
liegen.
b) Die Mitteilung sämtlicher Antwortschreiben ist - wie sich aus einer Abwägung
der widerstreitenden Belange ergibt - nicht erforderlich im Sinne von § 73
Abs. 1 Satz 2 BlnPersVG.
Der Antragsteller benötigt weder die Antworten derjenigen Beschäftigten, die
das betriebliche Eingliederungsmanagement für sich überhaupt ablehnen, noch
die Antworten derjenigen, die das betriebliche Eingliederungsmanagement ohne
Beteiligung der Personalvertretung wünschen. Das Gewicht des Überwa-
chungsrechts des Personalrats nach § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX ist insoweit äu-
ßert gering. In keiner dieser beiden Fallgruppen ist das Beteiligungsrecht des
Personalrats nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX gegeben, so dass es insoweit für
den Regelfall an der Grundlage für das Überwachungsrecht und das darauf
bezogene Informationsrecht nach § 73 Abs. 1 Satz 1 BlnPersVG fehlt. Dem
Überwachungsrecht kommt auch nicht deshalb eine ins Gewicht fallende Be-
deutung zu, weil - wie der Antragsteller meint - es bei dem Beteiligten zu Feh-
lern bei der Zuordnung derjenigen Antworten kommen kann, welche die Zu-
stimmung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement unter Beteiligung der
Personalvertretung zum Ausdruck gebracht haben, und dieser durch Übersen-
dung aller Antwortschreiben die Möglichkeit eröffnet wird, solche Mängel auf-
zudecken.
Die richtige Zuordnung der drei verschiedenen Antwortvarianten auf Seiten der
Dienststelle ist eine einfach zu lösende Aufgabe. Dies gilt insbesondere dann,
wenn der Dienststellenleiter wie hier in den Anlassfällen mit seinem Anschrei-
ben zugleich die Antwortvarianten nach der Ankreuzmethode formularmäßig
vorgibt. Nicht völlig auszuschließende Fehler („Ausreißer“) bleiben typischer-
weise nicht unbemerkt. Beschäftigte, die dem betrieblichen Eingliederungsma-
nagement unter Beteiligung der Personalvertretung zugestimmt haben, werden
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sich beim Antragsteller oder beim Beteiligten oder bei beiden in Erinnerung
bringen, wenn der Klärungsprozess im Widerspruch zu ihrem Antwortschreiben
nicht oder nicht mit Beteiligung des Antragstellers stattfindet. Dieser Gesichts-
punkt ist hier im Rahmen der Abwägung nach § 73 Abs. 1 Satz 2 BlnPersVG zu
berücksichtigen, auch wenn das Informationsrecht des Antragstellers in seinem
Bestand grundsätzlich nicht von Initiativen einzelner Beschäftigter abhängig
gemacht werden kann.
Das verbleibende, nach alledem gering zu veranschlagende „Restrisiko“ recht-
fertigt es nicht, dem Antragsteller die Antwortschreiben all derjenigen zu über-
lassen, die dem betrieblichen Eingliederungsmanagement nicht oder nur ohne
seine Beteiligung zugestimmt haben. Den Persönlichkeitsrechten kommt inso-
weit bedeutend größeres Gewicht zu.
Werden dem Antragsteller die Antwortschreiben derjenigen Beschäftigten zur
Kenntnis gebracht, die der Durchführung des betrieblichen Eingliederungsma-
nagements nicht zugestimmt haben, so erfährt er ohne Zustimmung der Betrof-
fenen, welche Haltung diese zum gesetzlichen Angebot nach § 84 Abs. 2
Satz 1 SGB IX haben. Es handelt sich um eine Äußerung, welche die Gesund-
heit der Beschäftigten mit Bezug zu ihrem Arbeitsplatz und zu ihrer beruflichen
Existenz betrifft.
Werden dem Antragsteller die Antwortschreiben derjenigen zur Kenntnis ge-
bracht, die dem betrieblichen Eingliederungsmanagement nur ohne Einschal-
tung der Personalvertretung zugestimmt haben, so erfährt er, welche Beschäf-
tigten ihm kein hinreichendes Vertrauen entgegenbringen.
Die Mitteilung der Antwortschreiben in den beiden vorbezeichneten Fallgruppen
bringt einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung von
erheblicher Intensität mit sich. So liegt es insbesondere bei den Beschäftigten,
die die Beteiligung der Personalvertretung ablehnen. Im Fall der Mitteilung auch
dieser Antwortschreiben an den Antragsteller würde dieser davon in Kenntnis
gesetzt, dass der jeweilige Beschäftigte ihm (im Zusammenhang mit dem be-
trieblichen Eingliederungsmanagement) kein Vertrauen entgegenbringt. Die
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Persönlichkeitsrelevanz dieser Information ist hoch zu gewichten. Der Eingriff in
das Persönlichkeitsrecht ist nicht verhältnismäßig, weil zu seiner Rechtfertigung
nennenswerte Gefahren für gleich- oder höherrangige Rechtsgüter nicht in Re-
de stehen. Das Risiko, dass gerade die Nichtweiterleitung aller Antwortschrei-
ben der Betroffenen an den Antragsteller zum Arbeitsplatzverlust bei einem
einzelnen Beschäftigten führt, ist nach den beschriebenen typischen Gesche-
hensabläufen rein theoretischer Natur. Hinzu kommt, dass in den Fällen der
Ablehnung einer Personalratsbeteiligung nicht ausgeschlossen werden kann,
dass einzelne Beschäftigte bei zu erwartender Weiterleitung ihrer Antwort an
den Personalrat auf die Teilnahme am betrieblichen Eingliederungsmanage-
ment verzichten und deswegen ihren Arbeitsplatz gefährden. Dies stünde im
Widerspruch zu den Zielen, die der Gesetzgeber mit der Regelung in § 84
Abs. 2 SGB IX verfolgt.
Neumann
Büge
Vormeier
Bier
Möller
B e s c h l u s s
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Rechtsbe-
schwerdeverfahren auf den 2-fachen Regelwert und damit auf 10 000 € festge-
setzt (§ 23 Abs. 3 Satz 2, § 33 Abs. 1 und 8 Satz 1 Halbs. 1 RVG i.V.m. § 52
Abs. 2 GKG analog).
Büge
Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Personalvertretungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BlnPersVG
§ 73
SGB IX
§ 84 Abs. 2
Stichworte:
Informationsrecht des Personalrates; betriebliches Eingliederungsmanagement;
Anschreiben des Dienststellenleiters; Antwortschreiben des Beschäftigten; Per-
sonalvertretungen im Bereich der Länder; Gesetzgebungskompetenz des Bun-
des.
Leitsätze:
1. Zur Frage, ob das Unterrichtungsschreiben des Dienststellenleiters gemäß
§ 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX nur mit Zustimmung der betroffenen Person dem
Personalrat zur Kenntnis gebracht werden kann.
2. Der Personalrat kann nicht verlangen, dass der Dienststellenleiter ihm die auf
das Unterrichtungsschreiben eingehenden Antwortschreiben der Beschäftigten
ohne deren Zustimmung zur Kenntnis bringt.
3. § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX lässt den Beschäftigten auch die Wahl, dem be-
trieblichen Eingliederungsmanagement ohne Beteiligung der Personalvertretung
zuzustimmen.
4. Der Bund hatte die Gesetzgebungskompetenz für die Regelung in § 84
Abs. 2 SGB IX auch, soweit dort Aufgaben und Befugnisse für die Personalver-
tretungen im Bereich der Länder normiert werden.
Beschluss des 6. Senats vom 23. Juni 2010 - BVerwG 6 P 8.09
I. VG Berlin vom 04.04.2007 - Az.: VG 61 A 28.06 -
II. OVG Berlin-Brandenburg vom 20.11.2008 - Az.: OVG 60 PV 9.07 -