Urteil des BVerwG vom 05.10.2011

Mitbestimmung, Flexible Arbeitszeit, Geschäftsführung, Organisation

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
BESCHLUSS
BVerwG 6 P 6.10
OVG 12 LB 1/09
In der Personalvertretungssache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Oktober 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge, Vormeier, Dr. Bier und
Dr. Möller
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Be-
schluss des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungs-
gerichts - Fachsenat für Mitbestimmungssachen/Land -
vom 12. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
I
Am 18. September 2007 schlossen die Vorsitzende der Geschäftsführung der
Deutschen Rentenversicherung Nord, die Beteiligte zu 1, und der bei ihr gebil-
dete Gesamtpersonalrat, der Beteiligte zu 2, die Dienstvereinbarung zur servi-
ceorientierten flexiblen Arbeitszeit ab. Der Antragsteller, der Personalrat für die
Dienststelle Hamburg der Deutschen Rentenversicherung Nord, ist der Auffas-
sung, dass die Zuständigkeit zum Abschluss der Dienstvereinbarung bei ihm
liege, soweit die Hamburger Beschäftigten betroffen seien. Er hat daher das
Verwaltungsgericht angerufen und dort die Feststellung beantragt, dass die
fragliche Dienstvereinbarung seiner Mitbestimmung unterliegt. Diesen Antrag
hat das Verwaltungsgericht abgelehnt.
Die Beschwerde des Antragstellers hat das Oberverwaltungsgericht aus folgen-
den Gründen zurückgewiesen: Bei der einheitlichen Regelung der Arbeitszeit
an allen drei Standorten der Deutschen Rentenversicherung Nord handele es
sich um eine Angelegenheit, die mehrere Dienststellen betreffe. Diese Angele-
genheit könne nicht durch die einzelnen Personalräte innerhalb ihres jeweiligen
Geschäftsbereiches geregelt werden. Es bestehe ein zwingendes Erfordernis
für eine dienststellenübergreifende Regelung. Eine einheitliche Arbeitszeitrege-
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lung sei erforderlich, weil die Abteilungen der Deutschen Rentenversicherung
Nord standortübergreifend organisiert seien. Das Erfordernis für eine einheitli-
che Regelung der Arbeitszeit an allen drei Standorten werde durch den Ge-
sichtspunkt der Gleichbehandlung aller Beschäftigten erhärtet.
Der Antragsteller trägt zur Begründung seiner Rechtsbeschwerde vor: Mit ihm
als dem örtlichen Personalrat Hamburg sei noch am 4. Januar 2006 - nach der
Fusion der drei Landesversicherungsanstalten zur Deutschen Rentenversiche-
rung Nord - eine Dienstvereinbarung zur flexiblen Arbeitszeit abgeschlossen
worden; etwas später sei es erneut unter seiner Beteiligung zu einer Änderung
dieser Vereinbarung gekommen. Daraus werde deutlich, dass ihm die Rege-
lungskompetenz zustehe. Lediglich der Wunsch der Beteiligten zu 1 nach einer
einheitlichen Regelung der Arbeitszeit an allen drei Standorten sei nicht ausrei-
chend, um ein zwingendes Erfordernis annehmen zu können. Eine einheitliche
Arbeitszeitregelung sei nicht deswegen notwendig, weil die Abteilungen stand-
ortübergreifend organisiert seien. Eine Kernarbeitszeit für sämtliche Beschäftig-
te werde in der Dienstvereinbarung gerade nicht begründet. Schließlich verlan-
ge der Gesichtspunkt der Gleichbehandlung aller Beschäftigten keine dienst-
stellenübergreifende Regelung der Arbeitszeit.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und festzu-
stellen, dass die Dienstvereinbarung zur serviceorientier-
ten flexiblen Arbeitszeit vom 18. September 2007 seiner
Mitbestimmung unterliegt, soweit Regelungen für den
Verwaltungsbereich Hamburg getroffen werden.
Die Beteiligten zu 1 und 2 beantragen,
die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigen den angefochtenen Beschluss.
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II
Die zulässige Rechtsbeschwerde des Antragstellers ist nicht begründet. Der
Beschluss des Oberverwaltungsgerichts beruht nicht auf der Nichtanwendung
oder der unrichtigen Anwendung einer Rechtsnorm (§ 88 Abs. 2 MBGSH vom
11. Dezember 1990, GVOBl Schl.-H. S. 577, zuletzt geändert durch Art. 3 des
Gesetzes vom 4. Februar 2011, GVOBl Schl.-H. S. 34, i.V.m. § 93 Abs. 1
Satz 1 ArbGG). Die Regelung der serviceorientierten flexiblen Arbeitszeit im
Bereich der Deutschen Rentenversicherung Nord unterliegt der Mitbestimmung
des dortigen Gesamtpersonalrats, des Beteiligten zu 2. Der für die Dienststelle
Hamburg gebildete Personalrat, der Antragsteller, ist nicht zur Beteiligung beru-
fen.
1. Auf die Deutsche Rentenversicherung Nord ist das Mitbestimmungsgesetz
Schleswig-Holstein anzuwenden (vgl. Beschlüsse vom 17. Juli 2010 - BVerwG
6 PB 6.10 - juris Rn. 4 ff. und vom 30. November 2010 - BVerwG 6 PB 16.10 -
juris Rn. 4).
2. Zu Recht ist ein Gesamtpersonalrat bei der Deutschen Rentenversicherung
Nord gebildet worden (§ 45 Abs. 1, § 84 Abs. 5 Satz 1 MBGSH). Bei dieser
handelt es sich um eine der Aufsicht des Landes Schleswig Holstein unterste-
hende Körperschaft des öffentlichen Rechts ohne Gebietshoheit (§ 29 Abs. 1
SGB IV). Bei ihr bestehen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Ausfüh-
rung organisationsrechtlicher Bestimmungen des Sechsten Buchs des Sozial-
gesetzbuchs (RVOrgG-AusfG) vom 28. September 2005, GVOBl Schl.-H.
S. 342, mehrere Personalräte, nämlich jeweils einer in den Dienststellen Lü-
beck, Hamburg und Neubrandenburg (vgl. Beschluss vom 17. Juli 2010 a.a.O.
Rn. 15 ff. und 19 ff.).
3. Für die Abgrenzung der Zuständigkeiten der drei örtlichen Personalräte ei-
nerseits und des Gesamtpersonalrats andererseits gilt daher § 61 MBGSH; dies
wird in § 2 Abs. 2 Satz 3 RVOrgG-AusfG ausdrücklich klargestellt. Nach § 61
Abs. 1 Satz 1 MBGSH ist der Gesamtpersonalrat nur zuständig für die Behand-
lung von Angelegenheiten, die mehrere in ihm zusammengefasste Dienstellen
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betreffen und die nicht durch die einzelnen Personalräte innerhalb ihres Ge-
schäftsbereichs geregelt werden können.
a) Erste Voraussetzung für die Zuständigkeit des Gesamtpersonalrats ist da-
nach, dass die beteiligungspflichtige Angelegenheit mehrere in ihm zusammen-
gefasste Dienststellen betrifft. Die Angelegenheit muss dienststellenübergrei-
fende Wirkung haben (vgl. Landtagdrucks. 12/996 S. 122). Dagegen verbleibt
es bei der Zuständigkeit des örtlichen Personalrats, wenn von der beabsichtig-
ten Maßnahme ausschließlich die Beschäftigten einer Dienststelle betroffen
werden. § 2 Abs. 2 Satz 1 RVOrgG-AusfG bestätigt dies für den Bereich der
Deutschen Rentenversicherung Nord. Danach beteiligt deren Geschäftsführung
als gemeinsame Dienststellenleitung für alle drei Dienststellen in Hamburg, Lü-
beck und Neubrandenburg (§ 2 Abs. 1 Satz 2 RVOrgG-AusfG) in den Fällen, in
denen Beschäftigte einer dieser Dienststellen betroffen sind, den dort gebilde-
ten Personalrat unmittelbar (vgl. Landtagdrucks. 16/202 S. 7 f.).
b) Die vorbezeichnete erste Voraussetzung für die Zuständigkeit des Gesamt-
personalrats ist bereits dann erfüllt, wenn der Dienststellenleiter beabsichtigt,
eine dienststellenübergreifende Maßnahme zu treffen. Dies reicht jedoch für die
Begründung der Zuständigkeit des Gesamtpersonalrats noch nicht aus. § 61
Abs. 1 Satz 1 MBGSH verlangt vielmehr zusätzlich, dass die Angelegenheit
nicht durch die einzelnen Personalräte innerhalb ihres Geschäftsbereichs gere-
gelt werden kann. Diese zweite Voraussetzung unterwirft die dienststellenüber-
greifende Absicht des Dienststellenleiters einem Rechtfertigungszwang. Nur
wenn die Maßnahme gerade als dienststellenübergreifende geboten ist, ist der
Gesamtpersonalrat an Stelle der sonst zuständigen örtlichen Personalräte zur
Mitbestimmung berufen.
aa) § 61 Abs. 1 Satz 1 MBGSH ist der Regelung in § 50 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1
BetrVG nachgebildet. Diese Vorschrift lautet: „Der Gesamtbetriebsrat ist zu-
ständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen
oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte in-
nerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können“. Es liegt daher nahe, sich bei
der Auslegung der Regelung in § 61 Abs. 1 Satz 1 MBGSH an der Rechtspre-
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chung des Bundesarbeitsgerichts zu § 50 Abs. 1 BetrVG zu orientieren (vgl. in
diesem Zusammenhang zum Ausschluss der Mitbestimmung bei leitenden An-
gestellten: Beschluss vom 22. März 2006 - BVerwG 6 P 10.05 - Buchholz
251.95 § 84 MBGSH Nr. 1 Rn. 24 f.).
Dagegen spricht nicht, dass der Gesamtbetriebsrat durch Entsendung von Mit-
gliedern der Betriebsräte des Unternehmens gebildet wird (§ 47 Abs. 2 BetrVG),
während der Gesamtpersonalrat unmittelbar von den Beschäftigten der beteilig-
ten Dienststellen gewählt wird (§ 45 Abs. 3 MBGSH). Denn die dienststellen-
übergreifende Legitimation des Gesamtpersonalrats spielte für den Gesetzge-
ber nach der Konzeption der Regelung in § 61 Abs. 1 Satz 1 MBGSH keine
entscheidende Rolle. Diese Regelung verlangt zur Begründung der Zuständig-
keit des Gesamtpersonalrats eine materielle Rechtfertigung. Fehlt es daran, so
muss sich der Dienststellenleiter mit seinem Anliegen an die örtlichen Personal-
räte wenden. Dass diese - unter der Voraussetzung einer dezentralen Rege-
lungsmöglichkeit - legitimiert sind, die von ihnen vertretenen Beschäftigten zu
repräsentieren, unterliegt keinem Zweifel.
bb) Unter sinngemäßer Heranziehung der Rechtsprechung des Bundesarbeits-
gerichts zu § 50 BetrVG ergibt sich Folgendes: Das Erfordernis, wonach die
Angelegenheit nicht durch die einzelnen Personalräte innerhalb ihres Ge-
schäftsbereichs geregelt werden kann, setzt nicht notwendig die objektive Un-
möglichkeit einer dienststellenbezogenen Regelung voraus. Ausreichend, aber
regelmäßig auch zu verlangen ist vielmehr, dass ein sachlich zwingendes Er-
fordernis für eine dienststellenübergreifende Regelung besteht. Dieses Erfor-
dernis kann sich aus technischen oder rechtlichen Gründen ergeben. Reine
Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte genügen nicht. Maßgeblich sind stets die kon-
kreten Umstände der Gesamtdienststelle und der ihr zugehörigen einzelnen
Dienststellen (vgl. BAG, Beschlüsse vom 3. Mai 2006 - 1 ABR 15/05 - BAGE
118, 131 Rn. 25 und vom 14. November 2006 - 1 ABR 4/06 - BAGE 120, 146
Rn. 22). Der Gleichbehandlungsgrundsatz begrenzt die Regelungsmacht der
Partner der Dienststellenverfassung, hat jedoch keinen Einfluss auf die Zustän-
digkeitsverteilung zwischen den verschiedenen Personalvertretungen (vgl.
BAG, Beschlüsse vom 23. März 2010 - 1 ABR 82/08 - AP Nr. 135 zu § 87
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BetrVG 1972 Lohngestaltung Rn. 17 und vom 18. Mai 2010 - 1 ABR 96/08 - AP
Nr. 34 zu § 50 BetrVG 1972 Rn. 17). Sofern der Gesamtpersonalrat im Sinne
von § 61 Abs. 1 Satz 1 MBGSH für die Behandlung einer Angelegenheit origi-
när zuständig ist, hat er diese Angelegenheit insgesamt mit dem Dienststellen-
leiter zu regeln. Eine Aufspaltung der Zuständigkeiten auf Gesamtpersonalrat
und örtliche Personalräte verbietet sich aus Gründen der Rechtssicherheit und
Rechtsklarheit (vgl. BAG, Beschluss vom 14. November 2006 a.a.O. Rn. 35).
4. Nach den vorgenannten Grundsätzen unterliegt die Regelung der serviceori-
entierten flexiblen Arbeitszeit im Bereich der Deutschen Rentenversicherung
Nord der Mitbestimmung des Gesamtpersonalrats, des Beteiligten zu 2.
a) Der Abschluss einer Dienstvereinbarung zur flexiblen Arbeitszeit, welche wie
diejenige vom 18. September 2007 für alle Beschäftigten der Deutschen Ren-
tenversicherung Nord mit Ausnahme derjenigen in den Rehabilitationskliniken
gilt (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 2 MBGSH), betrifft die drei Dienststellen in Lübeck,
Hamburg und Neubrandenburg und damit mehrere Dienststellen im Zuständig-
keitsbereich des Beteiligten zu 2.
b) Die serviceorientierte flexible Arbeitszeit kann im Bereich der Deutschen
Rentenversicherung Nord nicht durch die einzelnen Personalräte in den Dienst-
stellen Lübeck, Hamburg und Neubrandenburg geregelt werden. Mit Rücksicht
auf die organisatorische Struktur bei der Deutschen Rentenversicherung Nord
besteht ein zwingendes Erfordernis für eine dienststellenübergreifende Rege-
lung der Arbeitszeit.
aa) Dieses Erfordernis hat das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen wegen
der standortübergreifenden Organisation der Deutschen Rentenversicherung
Nord bejaht; es hat dabei auf den erstinstanzlichen Beschluss Bezug genom-
men (OVG – BA S. 7). Das Verwaltungsgericht hat angenommen, „dass sowohl
unternehmenseinheitliche als auch dienststellenübergreifende unabdingbare
Erfordernisse für eine einheitliche Dienstzeitregelung der bei der Deutschen
Rentenversicherung (Nord) bestehenden flexiblen Arbeitszeiten bestehen.“ Es
hat dabei Bezug genommen auf die Darlegungen im Schriftsatz der Beteiligten
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zu 1 vom 5. Dezember 2007, die es ihrem wesentlichen Inhalt nach wiederge-
geben und als überzeugend beurteilt hat (VG - BA S. 4 und 6). Daraus ist zu
schließen, dass sowohl das Verwaltungsgericht als auch - ihm folgend - das
Oberverwaltungsgericht von der Richtigkeit der Darstellung ausgegangen sind,
die die Beteiligte zu 1 in tatsächlicher Hinsicht von der Organisationsstruktur der
Deutschen Rentenversicherung Nord im Schriftsatz vom 5. Dezember 2007
(S. 4 bis 6) nebst Anlagen (B 1 bis B 7) gegeben hat. Daraus ergibt sich folgen-
des Bild:
(1) Die Deutsche Rentenversicherung Nord ist unterhalb der Geschäftsführung
in fünf Abteilungen untergliedert: Leistungen, Organisation und Personal, All-
gemeine Verwaltung, Sozialmedizinischer Dienst, Finanzen. Die Abteilungen
sind in Dezernate und diese wiederum in Teams unterteilt. Alle Abteilungen sind
standortübergreifend organisiert. Ihnen nachgeordnete Dezernate oder Teams
finden sich in allen Standorten. Die Leiter der Dezernate Personal, Organisati-
on, Auskunfts- und Beratungsdienst (Dezernat 10 der Abteilung Leistungen),
Betriebsprüfdienst (Dezernat 11 der Abteilung Leistungen) sowie Rechtsmittel
(Dezernat 12 der Abteilung Leistungen) sind ebenfalls dienststellenübergreifend
zuständig.
(2) Die Dezernate Leistungssachbearbeitung (Dezernate 1 bis 9 der Abteilung
Leistungen) verteilen sich mit ihren Teams zwar auf alle drei Standorte. Eine
Reihe von Mitarbeitern sind aber für spezielle, nach Fachthemen und Normen
bestimmte Aufgaben zentrale Ansprechpartner für alle Mitarbeiter der Abteilung
Leistungen in allen drei Dienststellen.
(3) Ähnliches gilt für die Beschaffungsstellen der Abteilung Allgemeine Verwal-
tung. Zwar verfügt jeder Standort über ein Team Beschaffung. Diese Teams
haben allerdings die Arbeiten so organisiert, dass jedes für bestimmte Angele-
genheiten zuständig ist (Team Hamburg: Zentrale Beschaffung; Team Neu-
brandenburg: Telefongeschäft; Team Lübeck: Kraftfahrereinsatz und Software-
lizenzen).
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bb) Mit Blick auf die vorbezeichnete standortübergreifende Organisationsstruk-
tur hat die Beteiligte zu 1 im Schriftsatz vom 5. Dezember 2007 geltend ge-
macht, dass innerhalb der Deutschen Rentenversicherung Nord eine eng ver-
zahnte dienststellenübergreifende Arbeitsweise erforderlich sei und dass vielfäl-
tige Verflechtungen bestünden, die einen hohen Abstimmungsbedarf mit sich
brächten und damit zuverlässige gleichzeitige Erreichbarkeit aller Bereiche er-
forderten. Diese Sichtweise haben sich das Verwaltungsgericht und ihm folgend
das Oberverwaltungsgericht im Rahmen ihrer tatsächlichen Würdigung zu Ei-
gen gemacht. Das ist daher Grundlage für die rechtliche Beurteilung durch den
Senat.
cc) Eine dienststellenübergreifende Arbeitszeitregelung ist dann erforderlich,
wenn die Arbeitsabläufe dienststellenübergreifend in zeitlicher Hinsicht derart
eng verzahnt und voneinander abhängig sind, dass ohne eine dienststellen-
übergreifende Koordinierung untragbare Störungen auftreten (vgl. BAG, Be-
schluss vom 9. Dezember 2003 - 1 ABR 49/02 - BAGE 109, 71 <77>). Eine
vergleichbare Situation ist nach dem von den Vorinstanzen festgestellten Sach-
verhalt hier gegeben.
Die Deutsche Rentenversicherung Nord weist unterhalb der Geschäftsführung
an ihren drei Standorten nicht lediglich parallele Organisationsstrukturen auf.
Vielmehr handelt es sich um einen integrierten Organismus, der bezogen auf
die drei Standorte teilweise asymmetrisch aufgebaut ist und in welchen die Auf-
gabenbereiche dienststellenübergreifend miteinander verzahnt sind. Dies gilt in
vertikaler Hinsicht, weil die Kompetenzen der Abteilungsleiter und einiger De-
zernatsleiter sich auf die ihnen nachgeordneten Stellen in allen drei Standorten
erstrecken. Dies trifft aber auch in horizontaler Hinsicht zu, weil Mitarbeiter in
nicht unerheblichem Umfang - insbesondere in der großen Abteilung Leistun-
gen - auf die Zuarbeit von Mitarbeitern an anderen Standorten angewiesen
sind.
Daraus ergibt sich, dass im Bereich der Deutschen Rentenversicherung Nord
eine verlässliche dienststellenübergreifende Kommunikation und Erreichbarkeit
sichergestellt sein muss. Hierfür sind einheitliche Festlegungen zur Arbeitszeit
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unentbehrlich. Führungskräfte und Mitarbeiter müssen sich darauf verlassen
können, während der Arbeitswoche innerhalb eines einheitlich fixierten Rah-
mens an jedem Standort einen kompetenten Gesprächspartner anzutreffen.
Diese grundlegende Bedarfssituation führt hier zur Zuständigkeit des Gesamt-
personalrats. Ob dem Anliegen durch Festlegung einer Kernarbeitszeit oder
- wie in § 4 der Dienstvereinbarung vom 18. September 2007 vorgesehen -
durch Regelung einer Servicezeit Rechnung getragen wird, unterliegt der Ver-
handlung zwischen Dienststellenleitung und Gesamtpersonalrat, ist aber für die
hier in Rede stehende Zuständigkeitsproblematik belanglos. Denn auch die Si-
cherstellung der Servicebereitschaft des Arbeitsbereichs, die ohne eine Kernar-
beitszeit für alle Mitarbeiter auskommt, erkennt an, dass während eines be-
stimmten Tagesabschnitts die Aufgabenerfüllung stattfinden muss. Ist die Ar-
beitsteilung wie hier in erheblichem Umfang dienststellenübergreifend, so muss
auch die serviceorientierte Arbeitszeitlösung einheitlich sein. Anderenfalls ist mit
Störungen zu rechnen, die einer effizienten Bewältigung öffentlicher Aufgaben
abträglich sind.
dd) Ist der Beteiligte zu 2 damit bei der Regelung der serviceorientierten flexib-
len Arbeitszeit zur Mitbestimmung berufen, so ist die Beteiligte zu 1 berechtigt,
mit ihm alle damit im Zusammenhang stehenden Fragen der Arbeitszeit in einer
Dienstvereinbarung zu regeln (§§ 57, 61 Abs.2 MBGSH). Ob jede Detailfrage
der in der Dienstvereinbarung vom 18. September 2007 geregelten Art für sich
betrachtet eine dienststellenübergreifende Regelung erfordert, ist unerheblich.
ee) Dass nach der am 30. September 2005 wirksam gewordenen Fusion der
drei Landesversicherungsanstalten zur Deutschen Rentenversicherung Nord
zwischen dem Antragsteller und der Beteiligten zu 1 unter dem 4. Januar und
12. Juli 2006 noch Dienstvereinbarungen zur Arbeitszeit geschlossen worden
sind, hat keinen Einfluss auf die Auslegung und Anwendung der gesetzlichen
Zuständigkeitsregelung in § 61 Abs. 1 Satz 1 MBGSH. Der Sache nach beruh-
ten die Dienstvereinbarungen aus dem Jahre 2006 auf der Übergangsregelung
in § 5 RVOrgG-AusfG, von der bis zum 30. November 2007 noch zu Anpas-
sungszwecken Gebrauch zu machen war, solange die Verhandlungen zwischen
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der Beteiligten zu 1 und dem Beteiligten zu 2 noch zu keinem Ergebnis geführt
hatten.
Neumann
Büge
Vormeier
Dr. Bier
Dr. Möller
B e s c h l u s s
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Rechtsbe-
schwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt (§ 23 Abs. 3 Satz 2, § 33 Abs. 1
und 8 Satz 1 Halbs. 1 RVG i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG analog).
Büge
Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Personalvertretungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquelle:
MBGSH
§ 61
Stichworte:
Mitbestimmung des Gesamtpersonalrats; Erfordernis für eine dienststellenüber-
greifende Regelung.
Leitsatz:
Der Gesamtpersonalrat ist gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 MBGSH zur Mitbestim-
mung berufen, wenn ein sachlich zwingendes Erfordernis für eine dienststellen-
übergreifende Regelung der betreffenden Angelegenheit besteht.
Beschluss des 6. Senats vom 5. Oktober 2011 - BVerwG 6 P 6.10
I. VG Schleswig vom 28.01.2009 - Az.: VG 19 A 16/08 -
II. OVG Schleswig vom 12.10.2009 - Az.: OVG 12 LB 1/09 -