Urteil des BVerwG vom 20.11.2008

Zuwendung, Tarifvertrag, Mitbestimmungsrecht, Vergütung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
BESCHLUSS
BVerwG 6 P 17.07
OVG 60 PV 20.05
In der Personalvertretungssache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. November 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge,
Vormeier, Dr. Bier und Dr. Möller
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten gegen den Be-
schluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg
- Fachsenat für Personalvertretungssachen des Landes
Berlin - vom 22. Februar 2007 wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
I
Unter dem 18. November 2004 übersandte der Beteiligte dem Antragsteller
nachrichtlich den Entwurf eines Rundschreibens zur „Gestaltung der Arbeitsver-
träge mit Lehrkräften im Angestelltenverhältnis, die nicht unter den Geltungsbe-
reich des Anwendungs-TV Land Berlin fallen“. Der Antragsteller erwiderte mit
Schreiben vom 29. November 2004, worin er „hinsichtlich der Streichung von
Urlaubsgeld und Zuwendung“ ein Mitbestimmungsrecht geltend machte. Dem
trat der Beteiligte im Schreiben vom 18. Februar 2005 mit der Begründung ent-
gegen, die Entscheidung des Landes Berlin über die Festsetzung der absoluten
Höhe der Vergütung, wie sie durch die Streichung der Zuwendung und des Ur-
laubsgeldes bewirkt werde, sei mitbestimmungsfrei. Zugleich erklärte er das
Beteiligungsverfahren für abgeschlossen und gab unter demselben Datum das
Rundschreiben I Nr. 10/2005 bekannt. Dieses lautet auszugsweise wie folgt:
„…
Mit Lehrkräften, mit denen nach dem 28. Februar 2005 ein
Arbeitsverhältnis begründet wird, wird künftig vereinbart,
dass sich das Arbeitsverhältnis grundsätzlich nach dem
BAT/BAT-O und den diesen ergänzenden Tarifverträgen
in der für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher
Länder (TdL) bis zum 8. Januar 2003 geltenden Fassung
sowie den Regelungen, die bis zum 8. Januar 2003 für
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den Arbeitgeber Land Berlin gegolten haben, und zwar
auch solchen, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits in der
Nachwirkung (§ 4 Abs. 5 TVG) befanden, bestimmt, ab-
weichend davon, dass
die Tarifverträge über ein Urlaubsgeld für Angestellte und
über eine Zuwendung für Angestellte nicht gelten, ein Ur-
laubsgeld oder eine Zuwendung also vertraglich nicht zu-
stehen.
…“
Dem Rundschreiben waren als Anlage zwei Arbeitsvertragsmuster beigefügt.
Das „Muster Inn II 42 (02/05)“ lautet auszugsweise wie folgt:
„…
§ 3
Anzuwendendes Tarifrecht
(2) …
c) Der Tarifvertrag über ein Urlaubsgeld für Angestellte
vom 16. März 1977 und der Tarifvertrag über eine Zuwen-
dung für Angestellte vom 12. Oktober 1973 gelten nicht.
§ 5
Vergütung, eingruppierungsmäßige Behandlung
Für das Arbeitsverhältnis gelten neben dem in § 3 ge-
nannten Tarifrecht die Richtlinien des Landes Berlin über
die Vergütung der unter den BAT fallenden Lehrkräfte im
Angestelltenverhältnis und der unter den BAT-O fallenden
Lehrkräfte im Angestelltenverhältnis, deren Eingruppie-
rung nicht tarifvertraglich geregelt ist (LehrerRL) in der je-
weiligen Fassung sowie die an die Stelle dieser Richtlinien
tretenden Bestimmungen oder tarifvertraglichen Vorschrif-
ten.
…“
Das „Muster Inn II 53 (02/05)“ lautet auszugsweise wie folgt:
„…
§ 3
Anzuwendendes Tarifrecht
(2) …
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c) Der Tarifvertrag über ein Urlaubsgeld für Angestellte
(TV Urlaubsgeld Ang-O) vom 10. Dezember 1990 und der
Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte (TV Zu-
wendung Ang-O) vom 10. Dezember 1990 gelten nicht.
§ 5
Vergütung, eingruppierungsmäßige Behandlung
Für das Arbeitsverhältnis gelten neben dem in § 3 ge-
nannten Tarifrecht die Richtlinien des Landes Berlin über
die Vergütung der unter den BAT fallenden Lehrkräfte im
Angestelltenverhältnis und der unter den BAT-O fallenden
Lehrkräfte im Angestelltenverhältnis, deren Eingruppie-
rung nicht tarifvertraglich geregelt ist (LehrerRL) in der je-
weiligen Fassung sowie die an die Stelle dieser Richtlinien
tretenden Bestimmungen oder tarifvertraglichen Vorschrif-
ten, sofern die Eingruppierung nicht abschließend durch
§ 2 Nr. 3 des Änderungstarifvertrages Nr. 1 zum BAT-O
vom 8. Mai 1991 in der jeweiligen Fassung geregelt ist.
…“
Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass der Beteiligte durch die Veröffent-
lichung seines Rundschreibens I Nr. 10/2005 vom 18. Februar 2005 zur Gestal-
tung der Arbeitsverträge mit Lehrkräften im Angestelltenverhältnis, die nicht
unter den Geltungsbereich des Anwendungstarifvertrages Land Berlin fallen,
das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers aus § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10
BlnPersVG verletzt hat. Die Beschwerde des Beteiligten hat das Oberverwal-
tungsgericht aus folgenden Gründen zurückgewiesen: Die im Rundschreiben
vom 18. Februar 2005 getroffene Entscheidung des Beteiligten, für nach dem
28. Februar 2005 einzustellende Lehrkräfte kein Urlaubsgeld und keine Zuwen-
dung auszukehren, betreffe nicht lediglich die Lohnhöhe. Es gehe hier nicht um
den Dotierungsrahmen, sondern um eine Änderung der Verteilungsgrundsätze.
Bis zum 28. Februar 2005 sei Verteilungsgrundsatz gewesen, dass alle Lehr-
kräfte im Angestelltenverhältnis zusätzlich zu der bisherigen Grundvergütung in
den Genuss von Urlaubsgeld und Zuwendung gekommen seien. Nunmehr soll-
ten zwei neue Verteilungsgrundsätze gelten, dahin nämlich, dass nur die bis
zum 28. Februar 2005 eingestellten Lehrkräfte zusätzlich Urlaubsgeld und Zu-
wendung erhalten sollten, nicht jedoch die nach dem 28. Februar 2005 einge-
stellten Lehrkräfte. Der Beteiligte sei nicht infolge haushaltsrechtlicher Vorga-
ben an einer anderweitigen Verteilung gehindert gewesen.
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Der Beteiligte trägt zur Begründung seiner Rechtsbeschwerde vor: Das Rund-
schreiben vom 18. Februar 2005 enthalte in Bezug auf das streitige Mitbestim-
mungsrecht keine abstrakt-generelle Regelung. Denn darin werde lediglich mit-
geteilt, dass eine Regelung, die ohnehin nicht mehr gelte, auch nicht vereinbart
werden solle. Die Tarifverträge über Urlaubsgeld und Zuwendung an Angestell-
te hätten sich zum 28. Februar 2005 bereits in der Nachwirkung befunden und
sich damit nicht auf die nach diesem Zeitpunkt erst begründeten Arbeitsver-
hältnisse erstreckt. Der Hinweis darauf, dass diese Tarifverträge für die nach
dem 28. Februar 2005 eingestellten Lehrkräfte nicht gelten würden, habe daher
lediglich beschreibenden und klarstellenden Charakter. Jedenfalls enthalte das
Rundschreiben keine Änderung der Verteilungsgrundsätze im Sinne des Mitbe-
stimmungstatbestandes, sondern lediglich eine Entscheidung über die Lohnhö-
he von einem bestimmten Stichtag an. Für die vor dem 1. März 2005 eingestell-
ten Lehrkräfte habe sich nichts geändert. Für die nach dem 28. Februar 2005
eingestellten Lehrkräfte gebe es nichts zu verteilen, weil für sie über den Dotie-
rungsrahmen hinaus, der nach den Grundsätzen der Lehrerrichtlinien verteilt
werde, keine Mittel zur Verfügung gestellt würden. Für die Beantwortung der
Frage, ob bei einer Änderung von abgrenzbaren Teilen der Vergütung die Ver-
teilungsgrundsätze geändert würden, sei allein auf das diesen Teilen der Ver-
gütung jeweils zugrundeliegende Verteilungssystem abzustellen. Es gebe nach
Sinn und Zweck der Mitbestimmung bei der Lohngestaltung keine Veranlas-
sung, solche Teile der Vergütung in die Betrachtung mit einzubeziehen, deren
Verteilung nach dem hier zugrundeliegenden System durch die Maßnahme
nicht berührt würden. Im Übrigen bestehe für eine anderweitige Verteilung kein
Regelungsspielraum. Den bis zum 28. Februar 2005 eingestellten Lehrkräften
hätten Zuwendung und Urlaubsgeld nach den entsprechenden Tarifverträgen
aufgrund tariflicher Nachwirkung und entsprechender arbeitsvertraglicher Rege-
lungen zugestanden. Zwischen dem tarifgebundenen Arbeitgeber einerseits und
dem nichttarifgebundenen Arbeitgeber andererseits könne jedenfalls dann nicht
unterschieden werden, wenn der nichttarifgebundene Arbeitgeber freiwillig und
uneingeschränkt den gleichen Tarifvertrag anwende wie der tarifgebundene
Arbeitgeber. Hier sei das nach Streichung der Sonderleistungen verbleibende
Vergütungsvolumen nach den Grundsätzen der Lehrerrichtlinien verteilt. Damit
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liege nach zwar keine eine anderweitige Verteilung ausschließende tarifliche
Vergütungsordnung zugrunde; jedoch könne sich der Arbeitgeber nicht ohne
Weiteres aus seinen vertraglichen Bindungen lösen. Wenn die Jahreszu-
wendung vollständig entfalle, sei es nicht nachvollziehbar, warum der Arbeitge-
ber aus der festgefügten Vergütung nach den Lehrer-Richtlinien imaginäre Teile
auszusondern hätte, um sie dann an dem Tag auszuzahlen, an dem die nicht
mehr zu zahlende Jahreszuwendung gezahlt worden wäre. Schließlich habe es
aufgrund der haushaltsrechtlichen Vorgaben keinen Regelungsspielraum für
eine anderweitige Verteilung gegeben. Denn bei einer Zahlung von Urlaubsgeld
und Zuwendung an die nach dem 28. Februar 2005 eingestellten Lehrkräfte
würde es sich, da die entsprechenden Tarifverträge gekündigt seien, um Per-
sonalausgaben handeln, die nicht auf Gesetz oder Tarifvertrag beruhten, so
dass diese gemäß § 51 LHO nicht geleistet werden dürften.
Der Beteiligte beantragt sinngemäß,
die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und den An-
trag abzulehnen.
Der Antragsteller beantragt,
die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt den angefochtenen Beschluss.
II
Die zulässige Rechtsbeschwerde des Beteiligten ist nicht begründet. Der Be-
schluss des Oberverwaltungsgerichts beruht nicht auf der Nichtanwendung
oder der unrichtigen Anwendung einer Rechtsnorm (§ 91 Abs. 2 BlnPersVG in
der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Juli 1994, GVBl S. 337, zuletzt ge-
ändert durch das 7. Gesetz zur Änderung des Personalvertretungsgesetzes
vom 17. Juli 2008, GVBl S. 206). Die mit Rundschreiben I Nr. 10/2005 vom
18. Februar 2005 veröffentlichte Entscheidung des Beteiligten, Lehrkräften, mit
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denen nach dem 28. Februar 2005 ein Arbeitsverhältnis begründet wurde, ein
Urlaubsgeld und eine Zuwendung nicht zu gewähren, unterlag als Änderung
von Entlohnungsgrundsätzen der Mitbestimmung des Antragstellers.
1. Das Rechtsschutzbedürfnis ist nicht entfallen. Das Begehren des Antragstel-
lers auf Feststellung, dass sein Mitbestimmungsrecht verletzt wurde, hat sich
nicht dadurch erledigt, dass auf der Grundlage des genannten Rundschreibens
in Verbindung mit § 3 Abs. 2 Buchst. c der als Anlage beigefügten Arbeitsver-
tragsmuster in der Zeit ab 1. März 2005 alle mit Lehrkräften abgeschlossenen
Arbeitsverträge die Gewährung eines Urlaubsgeldes sowie einer Zuwendung
ausdrücklich ausschließen (so aber in einem vergleichbaren Fall VGH Kassel,
Beschluss vom 7. September 2005 - 22 TL 403/05 - juris Rn. 36). Wird nämlich
gerichtlich festgestellt, dass der fragliche Leistungsausschluss als Änderung
bestehender Entlohnungsgrundsätze der Zustimmung des Antragstellers be-
durft hätte, so steht damit zugleich fest, dass die betroffenen Lehrkräfte dem
Grunde nach unter Beachtung der in der Dienststelle geltenden Entlohnungs-
grundsätze einen vertraglichen Anspruch auf Gewährung der fraglichen Son-
derleistungen haben (vgl. BAG, Urteil vom 15. April 2008 - 1 AZR 65/07 -
Rn. 38 ff.).
2. Das streitige Mitbestimmungsrecht ergibt sich aus § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10
BlnPersVG. Danach bestimmt die Personalvertretung, soweit keine Regelung
durch Rechtsvorschrift oder Tarifvertrag besteht, gegebenenfalls durch Ab-
schluss von Dienstvereinbarungen über Fragen der Lohngestaltung innerhalb
der Dienststelle mit, insbesondere über die Aufstellung von Entlohnungs-
grundsätzen und deren Änderung. Zweck des Mitbestimmungsrechts ist die
angemessene und durchsichtige Gestaltung des Lohngefüges und die Wahrung
der Lohn- und Verteilungsgerechtigkeit innerhalb der Dienststelle. Gegenstand
des Mitbestimmungsrechts ist nicht die konkrete, absolute Höhe des
Arbeitsentgelts. Gegenstand sind die Strukturformen des Entgelts einschließlich
ihrer näheren Vollzugsformen, d.h. die abstrakt-generellen Grundsätze der Ent-
geltfindung (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 1998 - BVerwG 6 P 6.97 -
BVerwGE 108, 135 <146> = Buchholz 251.5 § 74 HePersVG Nr. 2 S. 13; BAG,
Urteil vom 2. März 2004 - 1 AZR 271/03 - BAGE 109, 369 <375 f.>; Beschluss
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vom 28. Februar 2006 - 1 ABR 4/05 - BAGE 117, 130 Rn. 15; Urteil vom
15. April 2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 22).
a) Dem Mitbestimmungsrecht steht zunächst nicht entgegen, dass die genannte
Vorschrift von Lohngestaltung „innerhalb der Dienststelle“ spricht. Die For-
mulierung im Singular bedeutet nicht, dass die Mitbestimmung bei der dienst-
stellenübergreifenden Lohngestaltung entfällt (so schon BAG, Urteil vom
28. Juli 1998 - 3 AZR 357/97 - BAGE 89, 279 <284>; OVG Berlin, Beschluss
vom 21. Januar 2003 - 60 PV 10.02 - PersR 2003, 320; VGH Kassel a.a.O.
Rn. 41 ff.). Die sprachliche Fassung des Mitbestimmungstatbestandes geht
ersichtlich vom Regelfall aus, wonach die Mitbestimmung in einer bestimmten
Dienststelle von der dort gebildeten Personalvertretung, dem „örtlichen Perso-
nalrat“, wahrgenommen wird. Für die Personalvertretungen mit dienststellen-
übergreifender Kompetenz, nämlich die Gesamtpersonalräte und den Haupt-
personalrat (§§ 50, 54 Abs. 1 Satz 1, § 55 Abs. 1, § 59 Satz 1 BlnPersVG), gilt
§ 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 BlnPersVG entsprechend (vgl. die ausdrückliche Re-
gelung in § 82 Abs. 4 BPersVG). Sie bestimmen daher bei der Lohngestaltung
in allen Dienststellen oder in einer Mehrzahl betroffener Dienststellen des ihnen
zugeordneten Geschäftsbereichs mit. Davon gehen die Beteiligten - ebenso wie
das Bundesarbeitsgericht im zitierten Urteil vom 15. April 2008 - als selbstver-
ständlich aus.
b) Der Beteiligte hat in allen Dienststellen, in denen angestellte Lehrkräfte be-
schäftigt werden (Nr. 12 der Anlage zu § 5 Abs. 1 BlnPersVG), die dort gelten-
den Entlohnungsgrundsätze zum 1. März 2005 geändert.
aa) Bis zum 31. Juli 2003 wandte das Land Berlin auf die Arbeitsverhältnisse
seiner Angestellten, sei es aufgrund Tarifbindung, sei es aufgrund arbeitsver-
traglicher Verweisung sämtliche für den Bereich der Länder geltenden Tarifver-
träge an. Es waren dies - neben dem BAT und dem BAT-O - der Tarifvertrag
über eine Zuwendung für Angestellte (TV Zuwendung) vom 12. Oktober 1973 in
der Fassung vom 30. Juni 2000, der Tarifvertrag über ein Urlaubsgeld für An-
gestellte (TV Urlaubsgeld) vom 16. März 1977 in der Fassung vom 26. Mai
1992, der Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte (TV Zuwendung
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Ang-O) vom 10. Dezember 1990 in der Fassung vom 30. Juni 2000 und der
Tarifvertrag über ein Urlaubsgeld für Angestellte (TV Urlaubsgeld Ang-O) vom
10. Dezember 1990 in der Fassung vom 1. Februar 1996. Für die angestellten
Lehrkräfte traten an die Stelle der Anlage 1a zum BAT/BAT-O mit Rücksicht auf
Nr. 5 der Vorbemerkungen zu allen Vergütungsgruppen sowie § 2 Nr. 3 des Än-
derungstarifvertrags Nr. 1 zum BAT-O vom 8. Mai 1991 die Richtlinien des
Landes Berlin über die Vergütung der unter den BAT fallenden Lehrkräfte im
Angestelltenverhältnis und der unter den BAT-O fallenden Lehrkräfte im Ange-
stelltenverhältnis, deren Eingruppierung nicht tarifvertraglich geregelt ist (Leh-
rerrichtlinien). Die durch die genannten Tarifverträge in Verbindung mit den
Lehrerrichtlinien vorgegebene Vergütungsordnung zeichnete sich durch die
monatliche Zahlung einer bestimmten, nach Vergütungsgruppen differenzierten
regelmäßigen Vergütung einschließlich Zulagen aus, die gemäß §§ 1, 2 Abs. 1,
§ 4 TV Zuwendung/TV Zuwendung Ang-O durch eine am 1. Dezember eines
Jahres zu zahlende Zuwendung in Höhe der 100- bzw. 75%igen Urlaubsvergü-
tung nach § 47 Abs. 2 BAT/BAT-O und ein gemäß §§ 1, 2 Abs. 1, § 4 TV Ur-
laubsgeld/TV Urlaubsgeld Ang-O jeweils mit den Bezügen für den Monat Juli
auszuzahlendes Urlaubsgeld von 255,65 € ergänzt wurde. In den Beschäfti-
gungsdienststellen der angestellten Lehrkräfte des Landes Berlin galt folglich
der Entlohnungsgrundsatz, dass zusätzlich zu den 12 regelmäßigen monatli-
chen Vergütungszahlungen jeweils am 1. Dezember eine Zuwendung in Höhe
der 100- bzw. 75%igen Urlaubsvergütung und jeweils mit dem Juligehalt ein Ur-
laubsgeld in Höhe von 255,65 € gezahlt wurden. Die Gesamtjahresvergütung
sollte in 13 Teilbeträgen vergleichbarer Größenordnung und einem weiteren
Teilbetrag von 255,65 € ausgezahlt werden (vgl. BAG, Urteil vom 15. April 2008
- 1 AZR 65/07 - Rn. 24).
bb) Diese Vergütungsgrundsätze hat das Land Berlin bereits zum 1. August
2003 geändert. Die Änderung ist jedoch unwirksam, weil sie ohne Zustimmung
der zuständigen Personalvertretung vorgenommen wurde. Die genannten Ver-
gütungsgrundsätze gelten daher über den 31. Juli 2003 hinaus fort (vgl. BAG,
Urteil vom 15. April 2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 36).
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cc) Diese Vergütungsgrundsätze hat der Beteiligte nach Maßgabe seines
Rundschreibens vom 18. Februar 2005 - erneut - geändert. Demnach vergütet
das Land Berlin seine angestellten Lehrkräfte seit 1. März 2005 in Form von
monatlich stets gleichen Teilbeträgen anstelle von bis dahin zweimal unter-
schiedlichen. Dies stellt eine Änderung von Entlohnungsgrundsätzen dar. Der
Beteiligte hat auf diese Weise nicht lediglich, was er mitbestimmungsfrei hätte
tun können, die absolute Höhe der Vergütung für die ab dem 1. März 2005 ein-
gestellten Lehrkräfte unter Beibehaltung des bisherigen Vergütungsschemas
um einen bestimmten Prozentsatz verringert. Er hat durch die Streichung der
Einmalleistungen einseitig in die bestehende Vergütungsstruktur eingegriffen.
Durch die Streichung einer jährlichen Zuwendung, die für alle Angestellten dem
Betrag ihrer 100- bzw. 75%igen Urlaubsvergütung entsprach, ändert sich zwar
nicht der relative Abstand der jeweiligen Jahresgesamtvergütungen zueinander.
Es ändert sich aber der Entlohnungsgrundsatz, dass ein Teil der Gesamtvergü-
tung als zusätzliche Einmalzahlung erst im Dezember geleistet wird. Durch die
Streichung eines für die unterschiedlichen Gehaltsgruppen gleich hohen Ur-
laubsgelds ändert sich darüber hinaus nicht nur der bisherige Grundsatz zur
Stückelung der Jahresgesamtvergütungen, sondern auch der relative Abstand
der Gesamtvergütungen zueinander (vgl. BAG, Beschluss vom 28. Februar
2006 a.a.O. Rn. 18; Urteil vom 15. April 2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 25).
c) Die Änderung der bestehenden Entlohnungsgrundsätze unterlag als kollekti-
ve Maßnahme der Mitbestimmung des Antragstellers.
aa) Diese war aufgrund der Tarifbindung des Landes und der Geltung ein-
schlägiger Tarifverträge wegen § 85 Abs. 1 Satz 1 Einleitungssatz BlnPersVG
nur bis zum 31. Juli 2003 ausgeschlossen.
(1) Die Tarifbindung des Landes Berlin blieb wegen § 3 Abs. 3 TVG trotz seines
zum 8. Januar 2003 erfolgten Austritts aus der Tarifgemeinschaft deutscher
Länder über diesen Zeitpunkt hinaus bestehen. Die Bindung an den BAT/
BAT-O entfiel mit dem 78. Tarifvertrag zur Änderung des BAT bzw. mit dem
13. Tarifvertrag zur Änderung des BAT-O am 31. Januar 2003 und diejenige an
den TV Zuwendung/TV Zuwendung Ang-O sowie an den TV Urlaubsgeld/TV
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Urlaubsgeld Ang-O am 30. Juni bzw. 31. Juli 2003 mit deren Kündigung durch
die Tarifgemeinschaft deutscher Länder. Die Bindung wurde nicht dadurch wie-
der hergestellt, dass das Land Berlin am 31. Juli 2003 einen Tarifvertrag zur
Anwendung von Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes geschlossen hat. Die-
ser Tarifvertrag gilt nicht für angestellte Lehrkräfte (vgl. BAG, Urteile vom
7. November 2001 - 4 AZR 703/00 - BAGE 99, 283 <286 ff.> und vom 15. April
2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 3, 14 und 26).
(2) Die genannten Tarifverträge wirken im Arbeitsverhältnis der nach dem
31. Juli 2003 eingestellten Lehrkräfte nicht nach. Nach § 4 Abs. 5 TVG gelten
zwar nach dem Ablauf eines Tarifvertrages dessen Rechtsnormen weiter, bis
sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Die Nachwirkung erstreckt
sich jedoch nicht auf im Nachwirkungszeitraum neu begründete Arbeitsverhält-
nisse (vgl. BAG, Urteile vom 22. Juli 1998 - 4 AZR 403/97 - BAGE 89, 241
<243 ff.>, vom 7. November 2001 a.a.O. S. 288 f., vom 2. März 2004 a.a.O.
S. 373 und vom 15. April 2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 15).
bb) Mit dem Wegfall der Bindung des Landes an die genannten Tarifverträge
bestanden seit dem 1. August 2003 keine das Mitbestimmungsrecht ausschlie-
ßenden zwingenden tariflichen Regelungen mehr. Demgemäß stellen die bis
zum 31. Juli 2003 kraft Tarifbindung anzuwendenden Entlohnungsgrundsätze
nach dem Wegfall dieser Bindung die in der Dienststelle geltenden Grundsätze
dar (vgl. BAG, Urteil vom 15. April 2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 27 f.).
d) Die Streichung von Zuwendung und Urlaubsgeld war nicht wegen Fehlens
eines Regelungsspielraums mitbestimmungsfrei.
aa) Allerdings kann der nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG an eine tarifliche Ver-
gütungsordnung gebundene Dienststellenleiter mitbestimmungsfrei sowohl da-
rüber entscheiden, ob und in welchem Umfang er Mittel für übertarifliche Leis-
tungen zur Verfügung stellt, als auch darüber, ob und in welchem Umfang er
dafür bislang zur Verfügung gestellte Mittel künftig weiterhin aufbringen will. Er
kann von der Personalvertretung nicht gezwungen werden, ein bestimmtes ab-
solutes Gehaltsniveau beizubehalten. Entscheidet sich der normativ tarifgebun-
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dene Dienststellenleiter dafür, bisher erbrachte übertarifliche Leistungen gänz-
lich einzustellen, bedarf er demnach keiner Zustimmung der Personalvertre-
tung. Zwar können sich dadurch die relativen Abstände der einzelnen Gesamt-
vergütungen zueinander und damit die bisherigen Entlohnungsgrundsätze än-
dern. Für eine Mitbestimmung der Personalvertretung ist gleichwohl kein Raum.
Die ehemals übertariflichen Leistungen sind vollständig entfallen und bilden
keine Verteilungsmasse mehr, die Verteilung des verbleibenden Vergütungsvo-
lumens ist tariflich zwingend vorgegeben. Die tariflichen Vorgaben schließen ein
Mitbestimmungsrecht der Personalvertretung nach § 85 Abs. 1 Satz 1 Ein-
leitungssatz BlnPersVG aus (vgl. BAG, Beschluss vom 28. Februar 2006 a.a.O.
Rn. 20 f.; Urteil vom 15. April 2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 31).
Für den nicht normativ tarifgebundenen Arbeitgeber gilt dies nicht. Dieser unter-
liegt hinsichtlich keines Vergütungsbestandteils einer tariflich zwingenden Vor-
gabe. Er gewährt nicht nur Teile der Gesamtvergütung seiner Beschäftigten als
über- oder außertarifliche Leistungen. Er leistet deren gesamte Vergütung, oh-
ne dazu tariflich verpflichtet und zwingend gebunden zu sein. Will der nicht ta-
rifgebundene Dienststellenleiter bestimmte Entgeltbestandteile an neu einzu-
stellende Arbeitnehmer nicht mehr leisten und ändern sich dadurch die bisheri-
gen Entlohnungsgrundsätze, so ist das Mitbestimmungsrecht der Personalver-
tretung nach § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 BlnPersVG folglich nicht deshalb ausge-
schlossen, weil kein Spielraum für andere Regelungen bliebe. Der Dienststel-
lenleiter ist mangels Bindung an eine tarifliche Vergütungsordnung rechtlich
nicht gehindert, das verbleibende Vergütungsvolumen mit Zustimmung der
Personalvertretung für die neu einzustellenden Mitarbeiter anders zu verteilen
als bisher (vgl. BAG, Beschluss vom 28. Februar 2006 a.a.O. Rn. 22; Urteil vom
15. April 2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 32).
bb) Hier war das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers bei der Streichung
von Jahreszuwendung und Urlaubsgeld nicht mangels anderweitiger Rege-
lungsmöglichkeiten ausgeschlossen.
(1) Die Lehrerrichtlinien schließen eine andere Verteilung nicht aus. Durch sie
wird das verbleibende Vergütungsvolumen nicht bindend verteilt. Zum einen
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legen die Richtlinien nicht die absolute Höhe der Lehrergehälter fest, sondern
ordnen lediglich bestimmte Tätigkeitsmerkmale der Lehrkräfte bestimmten Ver-
gütungsgruppen des BAT/BAT-O zu. Zum anderen sind sie ihrerseits einer Än-
derung im Einvernehmen mit der Personalvertretung zugänglich (vgl. BAG, Ur-
teil vom 15. April 2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 34).
(2) Zu Unrecht meint der Beteiligte, das Mitbestimmungsrecht knüpfe nicht an
eine Änderung der Struktur der Gesamtvergütung, sondern der einzelnen
„rechtlich und nach der Berechnung abgrenzbaren“ Vergütungsbestandteile an,
was hier wegen des gänzlichen Wegfalls von Jahreszuwendung und Urlaubs-
geld ins Leere gehe. Das Mitbestimmungsrecht der Personalvertretung nach
§ 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 BlnPersVG betrifft die Aufstellung und Änderung von
„Entlohnungsgrundsätzen“. Entlohnung ist alles, was der Arbeitnehmer als Ge-
genleistung für seine Arbeitsleistung erhält. Die Mitbestimmung betrifft die Fra-
ge, nach welchen Grundsätzen diese Entlohnung in ihrer Gesamtheit zu leisten
ist. Einzelne Entlohnungsbestandteile sind dabei nicht isoliert, sondern in Ab-
hängigkeit zu anderen zu betrachten (vgl. BAG, Beschluss vom 28. Februar
2006 a.a.O. Rn. 18; Urteil vom 15. April 2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 35).
cc) Eine das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers ausschließende Bindung
des Beteiligten ergibt sich schließlich nicht aus dem Haushaltsrecht.
(1) Eine solche Bindung folgt nicht aus § 51 LHO. Danach dürfen Personalaus-
gaben, die nicht auf Gesetz oder Tarifvertrag beruhen, nur geleistet werden,
wenn dafür Ausgabemittel besonders zur Verfügung gestellt sind. Diese Vor-
aussetzungen sind hinsichtlich derjenigen Lehrkräfte erfüllt, mit denen ab
1. März 2005 Arbeitsverhältnisse begründet wurden. Deren Entgelt unterliegt
- wie ausgeführt - im Lande Berlin keinerlei tarifvertraglicher Bindung. Die Aus-
gabemittel dafür hat der Haushaltsgesetzgeber dadurch zur Verfügung gestellt,
dass er im Haushaltsplan in hinreichender Anzahl Stellen für Angestellte in den
für Lehrkräfte in Betracht kommenden Entgeltgruppen ausgebracht hat, ohne
zugleich hinsichtlich der Entgeltbestandteile zu differenzieren. Der Beteiligte war
daher - unbeschadet der Höhe der Gesamtvergütung - nicht gehindert, den
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betreffenden Lehrkräften neben dem regulären Entgelt eine Zuwendung und ein
Urlaubsgeld zu gewähren.
(2) Abweichendes ergibt sich nicht aus § 17 Abs. 5 Satz 1, Abs. 6 LHO. Danach
sind Stellen für Angestellte nach Entgeltgruppen im Haushaltsplan auszubrin-
gen. Diese Festlegungen sind zwar für den Beteiligten verbindlich. Insbesonde-
re ist er grundsätzlich gehindert, diese Vorgaben durch Beschäftigung zu vieler
Angestellter in höherwertigen Tätigkeiten zu überschreiten. Eine bindende Aus-
sage zur Vergütungsstruktur hat der Haushaltsgesetzgeber damit jedoch nicht
getroffen.
(3) Die vorstehenden Erwägungen stehen mit der haushaltsrechtlichen Praxis
im Einklang. Wie der Antragsteller im Schriftsatz vom 11. Juli 2005 sowie in der
Rechtsbeschwerdeerwiderung für die Haushaltsjahre 2005 bis 2007 aufgezeigt
hat, pflegt der Berliner Haushaltsgesetzgeber für die Angestellten in den jewei-
ligen Vergütungsgruppen lediglich Durchschnittssätze festzulegen, ohne dabei
hinsichtlich der Vergütungsstruktur zu differenzieren. Dem Beteiligten war damit
die Möglichkeit eröffnet, mitbestimmungsfrei die bis 31. Juli 2003 geltenden
Entlohnungsgrundsätze beizubehalten und zugleich - erforderlichenfalls durch
Absenkung des Gesamtgehalts um einen bestimmten Prozentsatz - die Ober-
grenzen des Haushalts zu beachten (vgl. BAG, Urteil vom 15. April 2008
- 1 AZR 65/07 - Rn. 43).
(4) Angesichts dessen bedarf es zur Herleitung des für die Mitbestimmung er-
forderlichen Entscheidungsspielraums des Beteiligten nicht des Rückgriffs auf
besondere haushaltsrechtliche Instrumente, wie sie die Vorinstanzen erwogen
haben (Nachtragshaushalt, über- und außerplanmäßige Ausgaben, über- und
außertarifliche Leistungen nach § 40 LHO).
e) Der zuletzt im Schriftsatz vom 29. August 2008 formulierten Kritik des Betei-
ligten an der zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt der Se-
nat nicht.
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aa) Zu Unrecht beanstandet der Beteiligte insbesondere das „Zusammenzie-
hen“ selbstständiger Vergütungsbestandteile bei der Beurteilung der Frage, ob
eine Änderung der Entlohnungsgrundsätze vorliegt. Die Gesamtbetrachtung ist
vielmehr nach Wortlaut, systematischen Zusammenhang sowie Sinn und Zweck
des Mitbestimmungstatbestandes geboten. Dies wird deutlich, wenn man sich
folgende von allen Besonderheiten befreite Grundkonstellation vor Augen führt:
In einer Dienststelle ohne Tarifbindung, die neu errichtet und in der das
gesamte Personal neu eingestellt wird, soll das vorgegebene Vergü-
tungsvolumen („Dotierungsrahmen“) in der Weise verteilt werden, dass sich das
reguläre Monatsgehalt nach einer nach Tätigkeitsmerkmalen differenzierenden
Entgeltordnung bemisst und zusätzlich jeweils einmal jährlich ein 13. Monats-
gehalt („Weihnachtsgeld“) und ein Festbetrag („Urlaubsgeld“) gewährt wird. Die
Vergütungsstruktur und damit die abstrakt-generellen Grundsätze der Entgelt-
findung werden durch alle drei Vergütungsbestandteile determiniert. Die Mitbe-
stimmung bei der Aufstellung der Entlohnungsgrundsätze bezieht sich dabei
auch darauf, dass zusätzlich zu den regulären Monatsgehältern ein 13. Monats-
gehalt sowie ein weiterer Festbetrag als Urlaubsgeld gezahlt wird. Die darin
zum Ausdruck kommenden Verteilungsregeln lassen sich zwanglos als Grund-
sätze im Sinne der vom Beteiligten zitierten sprachwissenschaftlichen Definitio-
nen begreifen. Diese Regeln werden geändert, wenn Weihnachts- und Urlaubs-
geld abgeschafft werden; dazu bedarf es folglich der Mitbestimmung des Per-
sonalrats bei der Änderung der Entlohnungsgrundsätze. Letzteres gilt auch,
wenn von der Streichung nur ab einem bestimmten Stichtag eingestellte Mitar-
beiter betroffen sein sollen; denn dadurch ist die Lohngerechtigkeit in der
Dienststelle auch und erst recht betroffen (vgl. Engels, Anmerkung zu BAG,
Beschluss vom 28. Februar 2006 - 1 ABR 4/05 - AP Nr. 127 zu § 87 BetrVG
1972 Lohngestaltung Bl. 584).
Von dieser „einfachen“ Fallgestaltung ist der vorliegende Fall nicht weit entfernt.
Auch hier ist kennzeichnend, dass in dem für die Mitbestimmung maßgeblichen
Zeitpunkt die Dienststelle weder ganz noch teilweise normativ tarifgebunden ist.
In einem solchen Fall erfasst die Mitbestimmung des Personalrats nach § 85
Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 BlnPersVG das gesamte Entgeltsystem (vgl. Engels,
a.a.O.). Dass die Entlohnungsgrundsätze vor der Änderung sich ganz oder teil-
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weise aus Elementen zusammensetzten, die ihre Rechtswirksamkeit noch der
Tarifbindung des Arbeitgebers verdanken, ist unerheblich. Denn für das Mitbe-
stimmungsrecht des Personalrats kommt es nicht darauf an, auf welche rechtli-
chen Grundlagen die Anwendung der bisherigen Entlohnungsgrundsätze er-
folgte - etwa auf der Basis bindender Tarifverträge, einer Dienstvereinbarung,
einzelvertraglicher Absprachen oder einer vom Dienststellenleiter einseitig prak-
tizierten Vergütungsordnung (vgl. BAG, Urteil vom 2. März 2004 a.a.O. S. 377;
Beschluss vom 28. Februar 2006 a.a.O. Rn. 16; Urteil vom 15. April 2008
- 1 AZR 65/07 - Rn. 29).
bb) Entgegen der Auffassung des Beteiligten liegt in der unterschiedlichen
Reichweite der Mitbestimmung je nachdem, ob der öffentliche Arbeitgeber
normativ tarifgebunden ist oder nicht, keine sachwidrige Ungleichbehandlung.
Dass der tarifgebundene Dienststellenleiter eine übertarifliche Zusatzleistung
mitbestimmungsfrei abbauen kann, der tariflich nicht gebundene Dienststellen-
leiter hingegen dafür der Zustimmung der Personalvertretung bedarf, findet sei-
ne Rechtfertigung im Tarifvorrang nach § 85 Abs. 1 Satz 1 BlnPersVG. In dem
Maße, in dem eine im Mitbestimmungskatalog aufgeführte Angelegenheit tarif-
vertraglich geregelt ist, bedürfen die Arbeitnehmer in der Dienststelle nicht des
personalvertretungsrechtlichen Schutzes, weil beim Zustandekommen der tarif-
vertraglichen Regelung ihre übertarifliche Interessenvertretung in Gestalt der
Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes beteiligt waren und dem Arbeitneh-
merschutz auf diese Weise Rechnung getragen wurde. Fehlt es an jeglicher
den Dienststellenleiter normativ bindenden tarifvertraglichen Regelung der Ent-
gelte, so entfaltet die Mitbestimmung bei der Lohngestaltung ihre größtmögliche
Wirkung. Umgekehrt entfällt sie vollständig, wenn der in der Dienststelle anzu-
wendende Tarifvertrag alle Entgeltfragen vollständig und erschöpfend regelt
und übertarifliche Leistungen nicht vorgesehen sind. Gleiches gilt, wenn der
tarifgebundene Arbeitgeber die übertariflichen Leistungen vollständig abbaut. In
diesem Fall verbleibt es bei den Verteilungsgrundsätzen des Tarifvertrages. Der
Einfluss des übertariflichen Leistungsabbaus auf die Verteilungsgrundsätze des
Gesamtentgelts ist personalvertretungsrechtlich unbeachtlich, weil das Mitbe-
stimmungsrecht nach § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 BlnPersVG durch den Tarifvor-
rang eingeschränkt wird und sich nicht auf eine Minderung der Entgelthöhe er-
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streckt. Es vermag daher die Aufrechterhaltung übertariflicher Leistungen nicht
zu garantieren.
Anders als der Beteiligte meint, wird mit der vorbezeichneten Auslegung von
§ 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 BlnPersVG die Mitbestimmung bei der Lohngestal-
tung nicht zur Zustimmungsvoraussetzung für das Außerkrafttreten von Tarif-
verträgen erhoben. Der öffentliche Arbeitgeber wird durch die Mitbestimmung
nicht daran gehindert, seine Tarifbindung auf dem rechtlich vorgesehenen We-
ge zu beenden. Dass die tarifvertraglich begründeten Verteilungsgrundsätze
nach Wegfall der Tarifbindung in der Weise weiterwirken, dass sie nur mit Zu-
stimmung der Personalvertretung geändert werden können, ist Folge der Auf-
fang- und Ersatzfunktion der Mitbestimmung, die sich bei Wegfall der Tarifbin-
dung aktualisiert. Insofern ist die Rechtslage nicht wesentlich anders als bei
derjenigen Konstellation, in welcher die Entgeltfragen tariflich gänzlich ungere-
gelt sind; dass in diesem Fall jegliche Änderung der Verteilungsgrundsätze mit-
bestimmungspflichtig ist, ergibt sich unmissverständlich aus dem Gesetz. Daran
zeigt sich, dass das Eintreten der Mitbestimmung bei Wegfall der Tarifbindung
nicht Folge einer Auslegung des Mitbestimmungstatbestandes ist, der den
Grundsätzen des Art. 9 Abs. 3 GG widerstreitet, sondern Folge der gesetzlich
vorgesehenen Mitbestimmung bei der Lohngestaltung als solcher.
cc) Dass der Beteiligte der Erwägung des Bundesarbeitsgerichts, er könne das
Gesamtentgelt unter Beibehaltung der bisherigen Verteilungsgrundsätze mitbe-
stimmungsfrei um einen bestimmten Prozentsatz absenken, unter dem Ge-
sichtspunkt praktischer Umsetzung wenig abzugewinnen vermag, kann der Se-
nat nachvollziehen. Die Richtigkeit der rechtlichen Argumentation, wonach die
für die Mitbestimmung maßgeblichen Verteilungsgrundsätze sich auf das Ge-
samtentgelt erstrecken, wird damit freilich nicht in Frage gestellt. Der Hinweis
des Bundesarbeitsgerichts zielte im Kern darauf ab, die Entscheidungsfreiheit
des Beteiligten zu verdeutlichen, wozu sogar eine mitbestimmungsfreie Option
zählt. Alle übrigen Optionen reichen bis zu dem vom Beteiligten favorisierten
vollständigen Abbau von Zuwendung und Urlaubsgeld, erfassen aber auch alle
„mittleren“ Varianten, die ohne vollständigen Abbau der Sonderleistungen mit
einer Veränderung der Gehaltsproportionen in den verschiedenen Entgeltgrup-
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pen einhergehen. Dabei zeigt sich zugleich, dass nach § 85 Abs. 1 Satz 1
Nr. 10 BlnPersVG strikt zwischen der mitbestimmungsfreien Entscheidung über
die Gehaltshöhe und der mitbestimmungspflichtigen Entscheidung über die
Verteilungsregeln zu unterscheiden ist. Der Antragsteller kann daher einem
Vorschlag des Beteiligten, die Zuwendung und das Urlaubsgeld unter Beibehal-
tung der Gehaltsstruktur im Übrigen zu streichen, die Zustimmung nicht mit ei-
ner Begründung verweigern, die unvermeidlich mit einer Erhöhung des vorge-
sehenen Gehaltsvolumens für die neu einzustellenden Lehrkräfte im Angestell-
tenverhältnis verbunden ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 1998 a.a.O.
S. 151 f. bzw. S. 16 f.).
Der Einwand des Beteiligten, es sei ihm arbeitsvertraglich nicht möglich, die auf
die verschiedenen Entgeltgruppen entfallenden Vergütungen abzusenken, ist
personalvertretungsrechtlich unbeachtlich. Der Beteiligte hätte, bevor er sich
gegenüber den neu einzustellenden Lehrkräften im Angestelltenverhältnis end-
gültig vertraglich band, den Abschluss des Mitbestimmungsverfahrens abwarten
müssen, wenn er die bisherigen Verteilungsgrundsätze nicht individualrechtlich
fortschreiben wollte.
f) Ist demnach die mit Rundschreiben vom 18. Februar 2005 veröffentlichte
Entscheidung des Beteiligten als Änderung von Entlohnungsgrundsätzen im
Sinne von § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 BlnPersVG zu verstehen, so kann nicht
zweifelhaft sein, dass damit zugleich der Maßnahmebegriff nach § 79 Abs. 1
BlnPersVG erfüllt wird. Eine Maßnahme im Sinne des Personalvertretungs-
rechts muss auf eine Veränderung des bestehenden Zustandes abzielen. Nach
Durchführung der Maßnahme müssen das Beschäftigungsverhältnis oder die
Arbeitsbedingungen eine Änderung erfahren haben (vgl. Beschluss vom
18. Mai 2004 - BVerwG 6 P 13.03 - BVerwGE 121, 38 <43> = Buchholz 251.0
§ 79 BaWüPersVG Nr. 17 S. 3 m.w.N.). Wenn den Lehrkräften, mit denen bis
28. Februar 2005 ein Arbeitsverhältnis begründet wurde, neben dem regulären
Gehalt eine Zuwendung sowie ein Urlaubsgeld gewährt wird und die Lehrkräfte,
mit denen ab 1. März 2005 ein Arbeitsverhältnis begründet wird, von den ge-
nannten Sonderleistungen ausgenommen sind, so liegt in diesem Umbau der
Gehaltsstruktur eine Veränderung der Arbeitsbedingungen. Zu Recht hat das
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Bundesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang von einer „Streichung“ der
fraglichen Leistungen gesprochen. Denn diese waren auch nach dem Wegfall
der Tarifbindung in den betroffenen Dienststellen Teil der Vergütungsstruktur. In
diese hat der Beteiligte mit seiner Anordnung vom 18. Februar 2005 einseitig
eingegriffen.
Dr. Bardenhewer Büge Vormeier
Dr. Bier Dr. Möller
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Personalvertretungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquelle:
BlnPersVG § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10
Stichworte:
Mitbestimmung bei der Änderung von Entlohnungsgrundsätzen; Streichung von
Jahreszuwendung und Urlaubsgeld.
Leitsatz:
Die Entscheidung des Innensenators von Berlin, den ab 1. März 2005 einge-
stellten Lehrkräften im Angestelltenverhältnis keine Jahreszuwendung und kein
Urlaubsgeld zu gewähren, unterlag als Änderung von Entlohnungsgrundsätzen
der Mitbestimmung des Hauptpersonalrats.
Beschluss des 6. Senats vom 20. November 2008 - BVerwG 6 P 17.07
I. VG Berlin vom 16.08.2005 - Az.: VG 62 A 7.05 -
II. OVG Berlin-Brandenburg vom 22.02.2007 - Az.: OVG 60 PV 20.05 -