Urteil des BVerwG vom 16.03.2006

Marine, Gesetzliche Vermutung, Einheit, Wahlergebnis

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
BESCHLUSS
BVerwG 6 P 12.05
OVG 11 LB 3/04
In der Personalvertretungssache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. März 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. H a h n , B ü g e , V o r m e i e r und Dr. B i e r
beschlossen:
Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Ober-
verwaltungsgerichts - Fachsenat für Personalvertretungssa-
chen/Bund - vom 11. April 2005 sowie der Beschluss der
Fachkammer für Personalvertretungssachen - Bund - beim
Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht vom
25. August 2004 werden aufgehoben.
Die Wahl zum Personalrat beim Marinestützpunktkommando
Kiel vom 16. und 17. Juni 2004 wird in der Gruppe der Sol-
daten für ungültig erklärt.
G r ü n d e :
I.
Nach Teil III der Stärke- und Ausrüstungsnachweisung (STAN) vom 19. August
2002 sind für das Marinemusikkorps Ostsee 66 Stellen für Soldaten sowie
2 Stellen für Angestellte ausgewiesen. Mit Schreiben vom 18. Februar 2004 teilte
der Amtschef des Marineamtes das Marinemusikkorps Ostsee gemäß § 12 Abs. 2
BPersVG dem benachbarten Marinestützpunktkommando Kiel zu. Am 16. und
17. Juni 2004 fanden die Wahlen zum Personalrat beim Marinestützpunktkom-
mando Kiel unter Ausschluss der Soldaten des Marinemusikkorps Ostsee statt.
Das Wahlergebnis wurde am 17. Juni 2004 bekannt gegeben.
Der Antragsteller hat die Wahl am 2. Juli 2004 wegen fehlender Einbeziehung der
Soldaten des Marinemusikkorps Ostsee angefochten. Den Antrag hat das Verwal-
tungsgericht abgelehnt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Beschwerde des An-
tragstellers aus folgenden Gründen zurückgewiesen: Die Soldaten des Marinemu-
sikkorps Ostsee seien an der Personalratswahl zu Recht nicht beteiligt worden.
Denn das Marinemusikkorps Ostsee bilde eine von Personalratswahlen ausge-
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schlossene Einheit im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Soldatenbeteiligungsgeset-
zes (SBG). Es habe einen friedlichen, aber militärisch geprägten Unterstützungs-
und Repräsentationsauftrag mit militärischen Mitteln zu bewältigen, nämlich mit
uniformierten Soldaten und Musikinstrumenten. Militärmusik habe Tradition. Die
Orchestermitglieder seien "Musiksoldaten". Das Marinemusikkorps Ostsee sei
mobil. Seine Aufgaben könnten vernünftigerweise nur von Soldaten wahrgenom-
men werden. Systematische Bedenken gegen diese Beurteilung mit Blick auf die
Regelung in § 2 Abs. 1 Nr. 2 SBG bestünden nicht.
Der Antragsteller trägt zur Begründung seiner Rechtsbeschwerde vor: Die Militär-
musikkorps würden bei Mobilmachung ersatzlos aufgelöst. Sie hätten einen musi-
kalischen, keinen militärischen Auftrag zu erfüllen. Die für Einheiten im Sinne von
§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SBG charakteristische Mobilität könne nicht darin erblickt werden,
dass das Musikkorps zu seinen Auftritten per Fahrzeug anreise. Es sei nicht zu-
treffend, dass die Aufgaben des Musikkorps vernünftigerweise nur von Soldaten
wahrgenommen werden könnten. Es sei nicht aus Gründen militärischer Einsatz-
notwendigkeit unmöglich, die musikalische Umrahmung öffentlicher Feiern von
einem Musikkorps erledigen zu lassen, welches aus Angestellten bestehe und in
festgelegter einheitlicher Dienstkleidung auftrete. Das Musikkorps erfülle fachliche
Aufgaben. Sein administrativer Charakter folge daraus, dass die Aufführung von
Musikstücken als Blasorchester, Spielmannszug, Tanzcombo, Showband und
dergleichen keine militäreigentümliche Tätigkeit darstelle, sondern von zahlreichen
zivilen Dienststellen des Kulturbereichs wahrgenommen werde. Es spreche eine
gesetzliche Vermutung dafür, dass die Soldaten in landgestützten Marinedienst-
stellen Personalvertretungen zu wählen hätten.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und die Wahl zum Personal-
rat beim Marinestützpunktkommando Kiel vom 16. und 17. Juni 2004 hin-
sichtlich des Wahlgangs für Soldaten für ungültig zu erklären.
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Der Beteiligte zu 2 beantragt,
die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt den angefochtenen Beschluss ebenso wie die Vertreterin des Bun-
desinteresses.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde des Antragstellers ist begründet. Der Beschluss
des Oberverwaltungsgerichts beruht auf der unrichtigen Anwendung einer Rechts-
norm (§ 83 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Er ist daher
- ebenso wie der durch ihn bestätigte erstinstanzliche Beschluss - aufzuheben. Da
der Sachverhalt geklärt ist, entscheidet der Senat in der Sache selbst (§ 96 Abs. 1
Satz 2 ArbGG i.V.m. § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 3 ZPO). Dies führt zum Erfolg des
Wahlanfechtungsbegehrens. Die Wahl zum Personalrat beim Marinestützpunkt-
kommando Kiel vom 16. und 17. Juni 2004 ist in der Gruppe der Soldaten für un-
gültig zu erklären.
1. Der Wahlanfechtungsantrag beurteilt sich nach § 25 BPersVG. Die Anwend-
barkeit dieser Vorschrift ergibt sich hier zwar nicht bereits aus § 1 BPersVG, weil
es sich bei den militärischen Dienststellen der Bundeswehr nicht um Verwaltungen
des Bundes handelt. Sie folgt jedoch aus § 48 Satz 1 des Soldatenbeteiligungsge-
setzes (SBG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. April 1997, BGBl I
S. 766, zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 26. Mai 2005, BGBl I
S. 1418. Danach gilt für Soldaten das Bundespersonalvertretungsgesetz nach
Maßgabe der §§ 48 bis 51 SBG (richtig wohl §§ 49 bis 52 SBG; vgl. Beschluss
vom 7. Januar 2003 - BVerwG 6 P 7.02 - Buchholz 252 § 49 SBG Nr. 1 S. 2
m.w.N.).
Grundlegende Bestimmung, die für die Soldaten des Marinestützpunktkommandos
Kiel den Anwendungsbereich des Bundespersonalvertretungsgesetzes eröffnet, ist
§ 49 Abs. 1 Satz 1 SBG. Danach wählen Soldaten Personalvertretungen in
denjenigen Dienststellen und Einrichtungen, die nicht zu den Wahlbereichen des
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§ 2 Abs. 1 SBG zählen (vgl. Beschluss vom 7. Januar 2003 a.a.O. S. 3 m.w.N.).
Die Marinestützpunktkommandos sind stationäre Dienststellen mit administra-
tiv-technischer Aufgabenstellung. Als solche fallen sie nicht unter § 2 Abs. 1 SBG
(vgl. Beschluss vom 23. Januar 2002 - BVerwG 6 P 2.01 - Buchholz 252 § 2 SBG
Nr. 3 S. 21). Folgerichtig finden sie sich in Nr. 5 des vom Bundesministerium der
Verteidigung geführten Verzeichnisses der Dienststellen und Einrichtungen der
Streitkräfte im Sinne von § 49 SBG in der Fassung vom 22. Dezember 2003 (ZDv
10/2 Anlage 4, abgedruckt bei: Gronimus, Die Beteiligungsrechte der Vertrauens-
personen in der Bundeswehr, 5. Auflage 2005, Anhang zu § 49).
Ist somit für die Soldaten des Marinestützpunktkommandos Kiel der Anwen-
dungsbereich des Bundespersonalvertretungsgesetzes eröffnet, so steht die
Dienststelle - freilich eingeschränkt durch weitere in §§ 49 ff. SBG enthaltene
Maßgaben - den Verwaltungen des Bundes gleich (§ 48 Satz 2 SBG). Für die Zi-
vilbeschäftigten der Dienststelle folgte diese Gleichstellung zum Zeitpunkt der hier
angefochtenen Personalratswahl aus § 70 Abs. 1 des Soldatengesetzes (SG) in
der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Februar 2001, BGBl I S. 232; dassel-
be regelt nunmehr § 91 Abs. 1 SG in der Fassung der Bekanntmachung vom 30.
Mai 2005, BGBl I S. 1482. Spezielle, das Verfahren der Wahlanfechtung betref-
fende Maßgaben enthalten §§ 49 bis 52 SBG nicht. § 25 BPersVG ist daher ohne
Einschränkungen anzuwenden.
2. Der Wahlanfechtungsantrag ist zulässig. Insbesondere durfte der Antragsteller
seine Anfechtung auf die Gruppe der Soldaten beschränken (vgl. Beschluss vom
10. Mai 1982 - BVerwG 6 P 40.80 - BVerwGE 65, 297, 299 f.; Beschluss vom
6. Juni 1991 - BVerwGE 6 P 8.89 - Buchholz 251.2 § 12 BlnPersVG Nr. 1 S. 4 f.).
3. Die Wahlanfechtung ist gemäß § 25 BPersVG begründet. Wegen der Nichtein-
beziehung der Soldaten des Marinemusikkorps Ostsee leidet die Personalratswahl
beim Marinestützpunktkommando Kiel vom 16. und 17. Juni 2004 unter einem we-
sentlichen Wahlrechtsverstoß, welcher das Wahlergebnis in der Gruppe der
Soldaten beeinflusst haben kann.
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Zwar ist das Marinemusikkorps Ostsee eine eigenständige militärische Dienststel-
le. Da dort aber weniger als fünf Zivilbeschäftigte tätig und somit die Mindestvo-
raussetzungen für die Bildung eines Personalrats nach § 12 Abs. 1 BPersVG nicht
erfüllt sind, hat der Amtschef des Marineamtes als der übergeordneten Dienststel-
le unter dem 18. Februar 2004 gemäß § 12 Abs. 2 BPersVG das Marinemusik-
korps Ostsee dem benachbarten Marinestützpunktkommando Kiel zugeteilt. In
einem solchen Fall ergibt sich aus § 50 SBG, dass die Soldaten den Zivilbeschäf-
tigten zur Nachbardienststelle zum Zwecke der Bildung oder Aufstockung eines
um Soldatenvertreter erweiterten Personalrats folgen (vgl. dazu im Einzelnen: Be-
schluss vom 7. Januar 2003 a.a.O. S. 4 ff.). Voraussetzung dafür ist freilich, dass
es sich bei der betreffenden Dienststelle um eine solche handelt, in der die Solda-
ten eine Personalvertretung wählen. So liegt es hier.
Gemäß § 49 Abs. 1 Satz 1 SBG wählen Soldaten Personalvertretungen in ande-
ren als den in § 2 Abs. 1 SBG genannten Dienststellen und Einrichtungen. Wenn
sie dagegen einem der in § 2 Abs. 1 SBG aufgeführten Wahlbereiche angehören,
wählen sie Vertrauenspersonen (vgl. Beschluss vom 23. September 2004
- BVerwG 6 P 2.04 - Buchholz 252 § 49 SBG Nr. 2 S. 9 m.w.N.). Das Marinemu-
sikkorps Ostsee ist kein Wahlbereich nach § 2 Abs. 1 SBG. Insbesondere ist es
keine Einheit nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SBG.
a) Dies folgt allerdings nicht bereits aus § 2 Abs. 1 Nr. 2 SBG, wonach die Solda-
ten auf Schiffen und Booten der Marine Vertrauenspersonen wählen. Hiermit sind
zwar spezielle Wahlbereiche der Marine gekennzeichnet. § 2 Abs. 1 Nr. 2 SBG
regelt aber nicht abschließend diejenigen Wahlbereiche, in welchen Soldaten der
Marine Vertrauenspersonen wählen.
aa) Für eine derartige Sichtweise finden sich im Wortlaut der Vorschrift sowie in
ihrer systematischen Stellung im Rahmen des Kataloges der Wahlbereiche nach
§ 2 Abs. 1 SBG keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil ergibt sich daraus, dass
grundsätzlich jede militärische Dienststelle der Marine daraufhin zu überprüfen ist,
ob sie dem Anwendungsbereich einer der in § 2 Abs. 1 SBG genannten Tatbe-
stände unterfällt. Denn anders als der Wahlbereich nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 SBG
sind die übrigen Wahlbereiche nicht auf eine bestimmte Teilstreitkraft beschränkt.
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Angesichts dessen ist auch für eine Vermutung, Soldaten der Marine würden au-
ßerhalb von Booten und Schiffen keine Vertrauenspersonen wählen, kein Raum
(a.A. VG Schleswig, Beschluss vom 28. November 2000 - PB 8/00 -, PersR 2001,
89, 91; Gronimus a.a.O. § 2 Rn. 15).
bb) Die Entstehungsgeschichte bestätigt dieses Ergebnis. § 2 Abs. 1 SBG vom
16. Januar 1991, BGBl I S. 47, bestimmte, dass in Einheiten, in schwimmenden
Einheiten der Marine, in Stäben der Verbände, in Schulen und in den Studenten-
bereichen der Bundeswehruniversitäten Vertrauenspersonen gewählt werden.
Nach dieser Regelung war es keineswegs ausgeschlossen, dass in Bereichen der
Marine außerhalb der schwimmenden Einheiten Vertrauenspersonen zu wählen
waren. Wenn der Gesetzgeber bei der Neuregelung im Katalogtatbestand des § 2
Abs. 1 Nr. 2 SBG den Begriff "schwimmende Einheiten" durch die Wendung
"Schiffe und Boote" ersetzt hat, so geschah dies lediglich "aus Klarstellungsgrün-
den" (BTDrucks 13/5740 S. 16).
cc) Schließlich gebietet es der Gleichbehandlungsgrundsatz, dass für die Dienst-
stellen der Marine außerhalb von Schiffen und Booten beteiligungsrechtlich die-
selben materiellen Abgrenzungskriterien zum Zuge kommen wie für Dienststellen
der übrigen Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche. So kann kein Zweifel daran
bestehen, dass die Marinefliegergeschwader Verbände im Sinne von § 2 Abs. 1
Nr. 3 SBG und die Staffeln, aus denen sie zusammengesetzt sind, Einheiten im
Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SBG sind (ebenso VG Schleswig, a.a.O.; Gronimus
a.a.O. § 2 Rn. 15); dies muss schon aus Gründen der Gleichbehandlung mit den
fliegenden Einheiten und Verbänden der Luftwaffe gelten.
b) Die gegenwärtigen und künftigen Unterstellungsverhältnisse des Marinemusik-
korps Ostsee spielen für die hier vorzunehmende Abgrenzung ebenfalls keine
Rolle. Zwar sind im Rahmen der dualen Führungsstruktur der Marine dem Flot-
tenkommando ganz überwiegend die schwimmenden, fliegenden und unterstüt-
zenden Einheiten und Verbände im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 SBG unter-
stellt, während dem Marineamt ganz überwiegend stationäre Dienststellen und
Einrichtungen im Sinne von § 49 Abs. 1 Satz 1 SBG, insbesondere die Schulen
der Marine und die Marinestützpunktkommandos, untergeordnet sind (vgl. Bun-
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deshaushaltsplan 2005, Einzelplan 14, Kapitel 1403, Vorbemerkung Abschnitt 3.3
S. 23). Dem Bundesministerium der Verteidigung steht es jedoch kraft seiner Or-
ganisationsgewalt frei, von dem genannten Grundschema aus Zweckmäßigkeits-
gründen abzuweichen. So hat es z.B. das Schifffahrtsmedizinische Institut, eine
für Soldaten personalratsfähige Dienststelle, dem Flottenkommando unterstellt. Es
ist daher für den vorliegenden Fall ohne Bedeutung, dass das Marinemusikkorps
Ostsee bis zum 31. März 2006 dem Marineamt untersteht und danach dem
Flottenkommando unterstehen wird.
c) Ob das Marinemusikkorps Ostsee eine Einheit im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1
SBG ist, beantwortet sich daher nach den dafür maßgeblichen materiellen Maß-
stäben.
aa) Nach Nr. 109 der ZDv1/50 ist die Einheit die unterste militärische Gliederungs-
form, deren Führer grundsätzlich Disziplinargewalt hat; die Kompanie wird als die
Grundform der Einheit bezeichnet. Das Marinemusikkorps Ostsee gehört wie eine
Kompanie der Strukturebene 7 gemäß Anlage 2 der ZDv1/50 an. Sein Chef hat
die Disziplinarbefugnis eines Kompaniechefs (vgl. die Organisationsänderungs-
weisung Nr. 1/02 (M) des Bundesministeriums der Verteidigung vom
10. September 2002). Nr. 109 der ZDv1/50 trifft freilich eine Aussage nur zur Stel-
lung der Dienststelle innerhalb der militärischen Hierarchie. Materielle Eigenschaf-
ten, die Einheiten im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SBG gegenüber Dienststellen und
Einrichtungen nach § 49 Abs. 1 Satz 1 SBG auszeichnen, benennt sie nicht (vgl.
Beschluss vom 29. Oktober 2002 - BVerwG 6 P 5.02 - Buchholz 252 § 2 SBG
Nr. 4 S. 29).
bb) Militärische Dienststellen sind insbesondere dann Einheiten nach § 2 Abs. 1
Nr. 1 SBG, wenn es sich um bewegliche Einheiten handelt. Ist Mobilität gegeben,
so ist unerheblich, ob der Kampfauftrag unmittelbar erfüllt oder nur unterstützt wird
(vgl. Beschluss vom 23. Januar 2002 a.a.O. S. 19 f.; Beschluss vom 29. Oktober
2002 a.a.O. S. 29).
In der Stärke- und Ausrüstungsnachweisung (STAN) für das Marinemusikkorps
Ostsee vom 19. August 2002 heißt es in Teil I unter Nr. 2: "Grad der Beweglichkeit
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= teilbeweglich." Zur Erläuterung wird angemerkt: "Fahrzeuge zur Durchführung
des allgemeinen Dienstbetriebes, des Wirtschaftsbetriebes und des taktischen
Auftrages. Die Verlegung mit eigenen Fahrzeugen ist bei mehrfachem Umlauf
möglich". Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Auftritte des Mari-
nemusikkorps je nach Bedarf an wechselnden Orten erfolgen und die Mobilität
durch Einsatzfahrzeuge gewährleistet ist. Es ist daher davon auszugehen, dass
das Marinemusikkorps - jedenfalls in erheblichem Umfang - die Orte seiner musi-
kalischen Aufführungen mit Fahrzeugen erreicht. Dies ist jedoch nicht die Art von
Mobilität, welche den Regelungen in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SBG ihrem Sinngehalt
nach zu Grunde liegt.
Leitbild dieser Regelungen sind die mobilen Einheiten des Heeres, die fliegenden
Einheiten der Luftwaffe und die schwimmenden Einheiten der Marine (vgl. Be-
schluss vom 29. Oktober 2002 a.a.O. S. 32). Die Beweglichkeit ist dabei nicht als
solche, sondern als Funktion des militärischen Einsatzes erheblich. Weil der Ein-
satzort außerhalb des gewöhnlichen Standorts liegt, muss die Einheit auf die für
sie jeweils typische Weise dorthin transportiert werden. Auch der Einsatz selbst
verlangt häufig Beweglichkeit. In Anlehnung an Nr. 203 der ZDv1/50 liegt ein Ein-
satz vor, wenn die Streitkräfte ihren Auftrag nach Art. 24 Abs. 2, Art. 35 Abs. 2
Satz 2, Abs. 3 Satz 1 oder Art. 87 a GG erfüllen (vgl. Beschluss vom
23. September 2004 a.a.O. S. 12). Aufgaben der Streitkräfte sind daher: militäri-
sche Landesverteidigung, Schutz ziviler Objekte sowie Verkehrsregelung im Ver-
teidigungs- und Spannungsfall, Schutz ziviler Objekte und Bekämpfung organisier-
ter und militärisch bewaffneter Aufständischer zur Abwehr einer drohenden Gefahr
für den Bestand oder die freiheitlich demokratische Grundordnung des Bundes
oder eines Landes, Auslandseinsätze im Rahmen eines Systems kollektiver Si-
cherheit, Hilfe bei Naturkatastrophen oder bei besonders schweren Unglücksfäl-
len. Den genannten Einsatzbereichen gemein ist jeweils die Vorstellung von einer
zugespitzten Lage, die durch den Einsatz ziviler, insbesondere polizeilicher Kräfte
allein nicht mehr gemeistert werden kann. Diese Einsatzfälle prägen das Bild von
den Streitkräften, und von ihnen hat sich ersichtlich auch der Gesetzgeber bei der
Beantwortung der Frage leiten lassen, ob die Interessen von Soldaten durch Per-
sonalräte oder Vertrauenspersonen vertreten werden sollen. Gerade wegen der
Eigenarten militärischer Einsätze durfte der Gesetzgeber die Beteiligung von Per-
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sonalräten in den Einheiten für weniger sachgerecht halten. Dasselbe gilt in Bezug
auf die Einsatzübungen, in welchen der Ernstfall simuliert wird. Einsätze und die
ihrer Vorbereitung dienenden Übungen bilden den Kernbereich militärischer
Handlungsformen in den Einheiten. Ihre Ausstrahlungen prägen auch den Dienst-
betrieb im Übrigen. Sähe man hiervon ab, ließe sich das Vertrauenspersonenmo-
dell, welches hinter dem Personalratsmodell inhaltlich und personell spürbar zu-
rückbleibt, schwerlich rechtfertigen (ähnlich bereits: Beschluss vom 3. Juli 1991
- BVerwG 6 P 3.89 - BVerwGE 88, 354, 366; zu den Unterschieden von Personal-
rats- und Vertrauenspersonenmodell: Beschluss vom 23. Januar 2002 a.a.O.
S. 25; Beschluss vom 29. Oktober 2002 a.a.O. S. 33 ff.).
Klassische, ins Auge springende Anwendungsfälle für § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SBG
sind z.B. Soldaten der Infanterie und Artillerie sowie die Besatzungen von Pan-
zern, Kampfflugzeugen und Kriegsschiffen. Erfasst werden aber nicht nur Solda-
ten, die unmittelbar ins Kampfgeschehen eingreifen, sondern auch solche, die den
Kampfauftrag unterstützen. Die Arbeitsteilung im Rahmen prinzipiell gleichartiger
militärischer Handlungsformen gebietet diese Gleichbehandlung (vgl. Beschluss
vom 23. Januar 2002 a.a.O. S. 19). Deswegen sind in den Regelungsbereich des
§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SBG einzubeziehen z.B. die Soldaten der Nachschubtruppe, die
alle Truppen des Heeres bei der Versorgung unterstützen, die Soldaten der In-
standsetzungstruppe, die alle Truppen des Heeres im Rahmen der Materialerhal-
tung durch Prüfung und Instandhaltung von ausgefallenem Gerät unterstützen,
sowie die Soldaten der Pioniertruppe, deren Aufgabe darin besteht, die Funktions-
fähigkeit von Verkehrsanlagen herzustellen und zu erhalten, Geländehindernisse
und -sperren zu überwinden, Kampfmittel zu räumen, Feldbefestigungen zu bau-
en, die Wasserbehelfsversorgung sicherzustellen und militärische Pipelinesysteme
zu bauen und zu betreiben (vgl. Beschluss vom 23. Januar 2002 a.a.O. S. 19 f.
und 24).
Von solchen und vergleichbaren militärischen Tätigkeitsfeldern sind die dem Mari-
nemusikkorps Ostsee gestellten Aufgaben weit entfernt. Nach STAN Teil I
Nr. 1.1.1 und 1.1.2 wird das Musikkorps im Frieden eingesetzt zur militärischen
Tätigkeit bei truppendienstlichen Anlässen, zur musikalischen Betreuung der
Truppe und bei repräsentativen Veranstaltungen in der Öffentlichkeit. Darunter
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fallen nach der Darstellung in der Rechtsbeschwerdeerwiderung des Beteiligten
zu 2 z.B.: das militärische Empfangszeremoniell, die musikalische Umrahmung
von Truppenzeremoniellen, Aufführung feierlicher Musik anlässlich von Staatsbe-
gräbnissen.
Ungeachtet der verschiedenartigen Anlässe besteht die Aufgabe des Musikkorps,
wie schon sein Name besagt, in der Aufführung musikalischer Darbietungen. De-
ren Adressaten sind die Bevölkerung, in- und ausländische Würdenträger sowie
die Truppe. Mit seinen Auftritten in der Öffentlichkeit festigt das Musikkorps die
Bindung zwischen den Streitkräften und der Bevölkerung. Beim militärischen
Empfangszeremoniell und ähnlichen Anlässen stellt sich die Bundesrepublik
Deutschland durch den Einsatz von Militärmusikern als souveräner Staat dar.
Durch die musikalische Truppenbetreuung fördert das Musikkorps das Zusam-
mengehörigkeitsgefühl innerhalb der Streitkräfte. Keine dieser Aufgaben, die im
Kern stets musikalisch-künstlerischer Natur sind, ist denjenigen auch nur annä-
hernd ähnlich, die von kämpfenden und unterstützenden Einheiten der Streitkräfte
wahrgenommen werden und die für die Einbeziehung dieser Einheiten in das Ver-
trauenspersonenmodell nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SBG maßgeblich sind. Die
"Einsätze" der Militärmusiker sind ihre musikalischen Aufführungen, die "Einsatz-
übungen" ihre Proben. Damit schwindet der Unterschied zu zivilen professionellen
Orchestern, welche - mit den durch die Eigenart künstlerischer Tätigkeit gebote-
nen Einschränkungen - der personalvertretungsrechtlichen Mitbestimmung grund-
sätzlich zugänglich sind (vgl. Beschluss vom 12. August 2002 - BVerwG 6 P
17.01 - Buchholz 251.7 § 72 NWPersVG Nr. 29 S. 36 ff.; Beschluss vom
7. Oktober 2003 - BVerwG 6 P 4.03 - Buchholz 251.7 § 72 NWPersVG Nr. 31
S. 58 f.).
Dass das Musikkorps vielfach die Strecke zu den Orten seiner Aufführungen mit
Fahrzeugen zurücklegt, ist demgegenüber ein eher belangloser Vorgang. Zum
Einen ist solches auch für zivile Kulturorchester keineswegs atypisch. Zum Ande-
ren sind die Fahrten von Militärmusikern zur Aufführung einerseits und der Trans-
port von Infanteristen mit Armeefahrzeugen zum Einsatzort sowie die Einsätze der
Besatzungen von Kampfflugzeugen und Kriegsschiffen andererseits wesensver-
schiedene Sachverhalte. Die Gleichstellung dieser Sachverhalte unter abstraktem
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Rückgriff auf einen vom Einsatzgeschehen isolierten Transportvorgang trägt die-
ser grundlegenden Verschiedenartigkeit nicht Rechnung. Die Einheiten führen den
militärischen Auftrag unmittelbar aus. Mobilität ist dabei die Voraussetzung für die
Teilnahme am Einsatz. An das Einsatzgeschehen und die dadurch bedingten
straffen Entscheidungsstrukturen durfte der Gesetzgeber mit seinem vom Perso-
nalvertretungsrecht abweichenden Sondermodell anknüpfen. Die Aufführung von
musikalischen Darbietungen liefert eine derartige Rechtfertigung nicht. Die Trans-
portfrage ändert daran nichts.
cc) Einheiten nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SBG stehen im Gegensatz zu stationären Ein-
richtungen mit administrativer, technischer oder sonstiger fachlicher Aufgabenstel-
lung, die unter § 49 Abs. 1 Satz 1 SBG fallen. Derartige Einrichtungen sind dem-
nach nicht nur dann für Soldaten personalratsfähig, wenn sie administrative Auf-
gaben in Gestalt einer verwaltungsförmigen, büromäßigen Art der Tätigkeit erfül-
len. Vielmehr sind stationäre technische oder sonstige fachliche Einrichtungen
ebenso zu beurteilen (vgl. Beschluss vom 29. Oktober 2002 a.a.O. S. 30).
Im Verzeichnis gemäß ZDv10/2 Anlage 4 sind zutreffend folgende Arten von Ein-
richtungen der Streitkräfte aufgeführt, in welchen die Soldaten Personalräte wäh-
len: Akademien, Museen, Schulen, Institute, Universitäten. Diese Einrichtungen
lassen sich in fachlicher Hinsicht mit den Begriffen "Wissenschaft, Forschung,
Lehre, Bildung und Kultur" zusammenfassen. Die Aufgaben der Musikkorps der
Streitkräfte liegen im Kern im musikalisch-künstlerischen Bereich. Das Marine-
musikkorps lässt sich demnach ebenfalls als Einrichtung mit fachlicher Aufgaben-
stellung begreifen. Den genannten Einrichtungen steht es nach Art und Inhalt sei-
ner Tätigkeit näher als den erwähnten Einheiten der Teilstreitkräfte, für welche die
Regelungen in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SBG gedacht sind. Dass die Soldaten des
Marinemusikkorps in erheblichem Umfang zu Auftritten außerhalb ihres Standor-
tes fahren müssen, ändert daran nichts.
dd) Der Senat hat erwogen, dass auch ortsfeste militärische Dienststellen als Ein-
heiten im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SBG angesehen werden müssen, wenn die
sie prägenden Aufgaben - ähnlich denjenigen eines kämpfenden Truppenteils -
vernünftigerweise nur von Soldaten wahrgenommen werden können (vgl. Be-
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schluss vom 29. Oktober 2002 a.a.O. S. 32). Auch auf diesen Gesichtspunkt kann
sich der Beteiligte zu 2 nicht berufen.
Freilich können die beschriebenen Aufgaben eines Musikkorps definitionsgemäß
nur von Soldaten in Uniform wahrgenommen werden. Konzerte in der Öffentlich-
keit als Mittel zur Kommunikation zwischen Bundeswehr und Bevölkerung verlan-
gen ein Auftreten von als solchen erkennbaren Militärmusikern. Ausländische
Staatsgäste können erwarten, mit militärischen Ehren empfangen zu werden. Dem
Zusammengehörigkeitsgefühl in der Truppe dient es am besten, wenn die
auftretenden Musiker Soldaten sind. Zivile Orchester können die beschriebenen
Ziele entweder gar nicht oder nicht in gleicher Weise erreichen.
Der Senat hatte jedoch mit der zitierten Erwägung gänzlich andere Fälle im Auge.
Gedacht war, an militärtechnische Einrichtungen, die auf den Einsatz von Soldaten
ebenso angewiesen sind wie die kämpfende Truppe. Auch diese Überlegung war
demnach auf ein typisch militärisches Einsatzgeschehen ausgerichtet, von
welchem sich ein Kulturgeschehen wie das Abhalten eines Konzertes fundamental
unterscheidet. Für die in Rede stehende Abgrenzung ist die Art und Weise der
Tätigkeit entscheidend (vgl. Beschluss vom 29. Oktober 2002 a.a.O. S. 31). In
dieser Hinsicht ist hier, wie dargelegt, eine Vergleichbarkeit mit zivilen Orchestern
durchaus gegeben. Auch im Repertoire sind die Überschneidungen erheblich.
Dieses beschränkt sich, wie der Beteiligte zu 2 vorträgt, beim Musikkorps nicht auf
Marschmusik, sondern erstreckt sich auch auf klassische Musik und moderne Mu-
sikrichtungen.
ee) Dem Marinemusikkorps kommt nicht deswegen der Charakter einer Einheit
nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SBG zu, weil die Musikkorps auf eine lange Militärtradition
zurückblicken können. Daraus ergibt sich zwar, dass die Musikkorps Bestandteil
der Streitkräfte sind. Dies besagt jedoch nichts über die beteiligungsrechtliche
Einordnung. Nach § 1 Abs. 2 SBG werden Soldaten durch Vertrauenspersonen,
Gremien der Vertrauenspersonen oder Personalvertretungen vertreten. Damit
verdeutlicht der Gesetzgeber, dass das Personalratsmodell im Rahmen der Sol-
datenbeteiligung eine gleichwertige Vertretungsform darstellt (vgl. BTDrucks
13/5740 S. 16). Es kann daher keine Rede davon sein, dass mit der Zuordnung
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der Soldaten in den Musikkorps zum Personalvertretungsrecht eine Abwertung
ihrer Tätigkeit verbunden ist. Ein solcher Gedanke liegt auch deswegen fern, weil
nach der Systematik des Soldatenbeteiligungsgesetzes die Soldaten gerade in
den höchsten militärischen Dienststellen Personalvertretungen wählen (vgl. Be-
schluss vom 23. September 2004 a.a.O. S. 14 ff.).
4. Die nach alledem fehlerhafte Nichteinbeziehung der Soldaten des Marinemu-
sikkorps Ostsee in die Personalratswahl beim Marinestützpunktkommando Kiel
vom 16. und 17. Juni 2004 war geeignet, das Wahlergebnis in der Gruppe der
Soldaten zu beeinflussen. Ausgeschlossen werden kann dagegen ein Einfluss auf
das Wahlergebnis bei den Zivilbeschäftigten. Auf Grund der Regelung in § 51
Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SBG ist sichergestellt, dass sich durch die zusätzliche
Einbeziehung von Soldaten die Zahl der auf die Zivilbeschäftigten entfallenden
Sitze im Personalrat nicht verringert. Die Regelung in § 51 Abs. 2 Satz 3 SBG
kann sich hier nach Lage der Dinge allenfalls zu Gunsten weiterer Sitze für die
Soldatenvertreter im Personalrat auswirken. Der Antragsteller hat daher seinen
Wahlanfechtungsantrag zu Recht auf die Gruppe der Soldaten beschränkt.
Bardenhewer
Hahn
Büge
Vormeier
Bier
B e s c h l u s s
Der Gegenstandswert wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 4 000 € fest-
gesetzt (§ 23 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2, § 33 Abs. 1, Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 1
RVG).
Büge
35
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Personalvertretungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquelle:
SBG §§ 2, 49
Stichworte:
Soldatenbeteiligung; Personalrat oder Vertrauensperson; militärische Dienststellen
und Einrichtungen; Marinemusikkorps.
Leitsatz:
Das Marinemusikkorps Ostsee ist eine militärische Dienststelle, in welcher die
Soldaten Personalvertretungen wählen.
Beschluss des 6. Senats vom 16. März 2006 - BVerwG 6 P 12.05
I. VG Schleswig vom 25.08.2004 - Az.: VG 18 A 4/04 -
II. OVG Schleswig vom 11.04.2005 - Az.: OVG 11 LB 3/04 -