Urteil des BVerwG vom 31.07.2013

Unwürdigkeit, Entziehung, Daten, Verfassungskonforme Auslegung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 6 C 9.12
VGH 9 S 2667/10
Verkündet
am 31. Juli 2013
Bärhold
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 31. Juli 2013
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge - als Vorsitzender -,
Dr. Graulich, Dr. Möller, Hahn und Prof. Dr. Hecker
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwal-
tungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 14. Septem-
ber 2011 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Kläger wendet sich dagegen, dass ihm die beklagte Universität den von ihr
verliehenen Doktorgrad unter Berufung darauf entzogen hat, er habe sich durch
späteres Verhalten der Führung des Grades als unwürdig erwiesen.
Der Kläger ist Physiker. Die Beklagte promovierte ihn im Januar 1998 auf
Grund einer Dissertation auf dem Gebiet der Photovoltaik zum Doktor der Na-
turwissenschaften. Von Juli 1998 bis September 2002 arbeitete der Kläger in
einer privaten Forschungseinrichtung, den zur Firma L. T. gehörenden B. L., in
den USA. Für diese Tätigkeit hatte ihm die Deutsche Forschungsgemeinschaft
(DFG) ein Postdoktorandenstipendium mit der Laufzeit von August 1998 bis
Januar 2000 bewilligt. Der Kläger befasste sich während dieser Zeit mit For-
schungen und Experimenten zur Supraleitung und zur Herstellung von Nano-
Bauelementen. Er war an einer Vielzahl wissenschaftlicher Publikationen betei-
ligt, die in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit teilweise als bahnbrechend ge-
würdigt wurden.
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Im Mai 2002 setzte die Leitung der B. L. eine Kommission unter dem Vorsitz
von Prof. B. von der S. University (im Folgenden: B.-Kommission) ein, um die
Vorwürfe des wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu klären, die in der Fachöf-
fentlichkeit unter Bezug auf von dem Kläger und verschiedenen Mitautoren ver-
fasste Publikationen erhoben worden waren. Nach der Untersuchung von 24
Veröffentlichungen und einem unveröffentlichten Manuskript aus den Jahren
1998 bis 2002 kam die B.-Kommission in ihrem Abschlussbericht vom Septem-
ber 2002 (im Folgenden: B.-Report) zu dem Ergebnis, dass der Kläger die Ori-
ginaldaten und die verwendeten Proben seiner beschriebenen Experimente
nicht systematisch archiviert habe. Zudem gebe es zwingende Belege dafür,
dass er Daten manipuliert und falsch dargestellt habe. Eine Verantwortlichkeit
auch der Mitautoren der betroffenen Ausarbeitungen scheide aus, da der Kläger
die zu Grunde liegenden Versuche und Messungen mit wenigen Ausnahmen
allein durchgeführt habe.
Entsprechend einem von dem Promotionsausschuss Physik der Beklagten ge-
fassten Beschluss entzog dessen Vorsitzender dem Kläger mit Bescheid vom
4. Juni 2004 unter Berufung auf § 55c Abs. 1 UG BW a.F. den verliehenen aka-
demischen Grad eines Doktors der Naturwissenschaften, weil sich der Kläger
im Sinne der Vorschrift durch sein späteres Verhalten der Führung des Grades
als unwürdig erwiesen habe. Der Begriff der Unwürdigkeit sei wissenschaftsbe-
zogen zu verstehen. Der Ausschuss sei auf Grund einer eigenen Würdigung
des B.-Reports zu der Auffassung gelangt, dass ein wissenschaftliches Fehl-
verhalten des Klägers in Gestalt der Datenmanipulation, der Präsentation von
Daten in falschem Zusammenhang und der künstlichen Erzeugung von Daten
in einem in der deutschen Wissenschaftsgeschichte bisher beispiellosen Aus-
maß nachgewiesen sei. Das Interesse der Beklagten, eine Person, die wissen-
schaftliches Fehlverhalten in einem derart erheblichen Umfang zu verantworten
habe, nach außen sichtbar aus dem Kreis derjenigen auszuschließen, die durch
den Doktorgrad die Zugehörigkeit zur qualifizierten wissenschaftlichen For-
schung dokumentierten, überwiege das persönliche Interesse des Klägers,
durch die Führung des Titels seine erfolgreiche Promotion zu belegen und sei-
ne beruflichen Chancen zu verbessern.
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Im Verlauf des Verfahrens über den von dem Kläger gegen die Entziehungsver-
fügung eingelegten Widerspruch untersuchte der Promotionsausschuss Physik
der Beklagten sieben der in dem B.-Report aufgeführten Publikationen. In der
hierüber gefertigten Analyse stellte der Promotionsausschuss fest, dass vielfach
Originaldaten fehlten und im Übrigen Daten manipuliert, gefälscht und fabriziert
worden seien; zudem würden in den Publikationen mehrfach geglättete Daten
gezeigt, dabei werde jedoch suggeriert, dass es sich um gemessene Daten
handele. Der Promotionsausschuss zog überdies die Entscheidung des Haupt-
ausschusses der DFG vom 14. Oktober 2004 bei, in der festgestellt worden
war, dass dem Kläger im Hinblick auf zwei Veröffentlichungen aus den Jahren
1998 und 2000, die er in einem Bericht an die DFG benannt hatte und die auch
von der B.-Kommission untersucht worden waren, wissenschaftliches Fehlver-
halten in der Form der Fälschung und Manipulation von Daten sowie der unzu-
reichenden Aufbewahrung und Dokumentation von Primärdaten zur Last zu
legen sei. Nachdem sich der Promotionsausschuss für die Zurückweisung des
Widerspruchs des Klägers ausgesprochen hatte, wurde dieser durch den Pro-
rektor für Lehre der Beklagten unter dem 19. Oktober 2009 entsprechend be-
schieden. Die Voraussetzungen für den Entzug des Doktorgrades nach dem
zwischenzeitlich an die Stelle des § 55c Abs. 1 UG BW a.F. getretenen, wort-
gleichen § 35 Abs. 7 LHG BW lägen vor. Der Kläger habe über einen längeren
Zeitraum und in erheblichem Umfang wissenschaftliches Fehlverhalten an den
Tag gelegt und dadurch seine Kernpflichten als Wissenschaftler massiv verletzt.
Das Verwaltungsgericht hat der von dem Kläger erhobenen Anfechtungsklage
stattgegeben, weil es das der angefochtenen Entziehungsverfügung zu Grunde
liegende wissenschaftsbezogene Verständnis des in § 35 Abs. 7 Satz 1
LHG BW enthaltenen Begriffs der Unwürdigkeit verfassungsrechtlich für nicht
zulässig, stattdessen eine Beschränkung auf Fälle besonders zu missbilligender
Straftaten für geboten und zudem die Entziehung des Doktorgrades des Klä-
gers für unverhältnismäßig gehalten hat.
Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das erstinstanz-
liche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Die Entziehung des Doktorgra-
des habe in § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW eine verfassungsmäßige Ermächti-
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gungsgrundlage. Das in der Norm enthaltene Tatbestandsmerkmal der Unwür-
digkeit sei wegen des in ihm angelegten Wissenschaftsbezugs hinreichend be-
stimmt. Ein Titelinhaber erweise sich als unwürdig zur Führung des verliehenen
Doktorgrades, wenn er gravierend gegen die Grundsätze guter wissenschaftli-
cher Praxis bzw. die wissenschaftliche Redlichkeit verstoße, insbesondere For-
schungsergebnisse fälsche. Derart ausgelegt, bestünden auch keine Bedenken
gegen die Vereinbarkeit des § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW mit den Grundrechten
aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und dem allgemeinen
Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Dass dem Kläger ein die weitere Führung
des verliehenen Doktorgrades ausschließender schwerwiegender Verstoß ge-
gen die wissenschaftliche Redlichkeit zur Last zu legen sei, habe die Beklagte
in nicht zu beanstandender Weise angenommen. Da der Kläger die Primär-
daten seiner Untersuchungen nicht ordnungsgemäß aufbewahrt und die durch-
geführten Experimente nicht hinreichend dokumentiert habe, könne im Wege
des prima-facie-Beweises darauf geschlossen werden, dass die von dem Klä-
ger behaupteten Experimente nicht in der beschriebenen Weise stattgefunden
hätten. Unabhängig hiervon sei durch die Entscheidung des Hauptausschusses
der DFG vom 14. Oktober 2004 und die im Rahmen des Widerspruchsverfah-
rens durchgeführte Untersuchung des Promotionsausschusses Physik der Be-
klagten positiv nachgewiesen, dass der Kläger Daten gefälscht und manipuliert
habe. Auch die Einwände des Klägers gegen die Ergebnisse der B.-Kommis-
sion überzeugten nicht. Bei dieser Sachlage sei eine weitere gerichtliche Auf-
klärung in tatsächlicher Hinsicht nicht veranlasst gewesen. Ein Ermessensfehler
sei der Beklagten nicht unterlaufen. Insbesondere stehe die Entziehung des
Doktorgrades in Ansehung der Gesamtumstände in einem angemessenen Ver-
hältnis zur Schwere des Eingriffs.
Zur Begründung seiner von dem Senat zugelassenen Revision gegen das Be-
rufungsurteil macht der Kläger - teilweise gestützt auf die Erwägungen des der
Klage stattgebenden erstinstanzlichen Urteils - geltend: Der überkommene
hochschulrechtliche Begriff der Unwürdigkeit gehöre dem revisiblen Recht an.
Durch die von dem Verwaltungsgerichtshof vorgenommene wissenschaftsbe-
zogene Auslegung gewinne dieser Begriff eine verfassungsrechtlich unzulässi-
ge Weite. Sie ermögliche eine dauerhafte Entwertung des korrekt erworbenen
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Doktorgrades auf Grund eines nachträglichen Fehlverhaltens ohne strafrechtli-
che Relevanz und dadurch einen unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemei-
ne Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, die Wissen-
schaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und die Berufswahlfreiheit gemäß
Art. 12 Abs. 1 GG, erfasse unter Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes
des Art. 3 Abs. 1 GG nur diejenigen Inhaber eines Doktorgrades, die nach ihrer
Promotion weiterhin im Wissenschaftsbereich tätig seien, und verletze die
rechtsstaatlichen Grundsätze der Normenklarheit und Justitiabilität, weil sich
verlässliche Kriterien für die Beantwortung der Frage, wann gravierendes wis-
senschaftliches Fehlverhalten vorliege, nicht finden ließen. Unabhängig hiervon
sei der Verwaltungsgerichtshof in verfahrensfehlerhafter Weise zu seiner Fest-
stellung eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens gelangt. Er habe unter Ver-
stoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103
Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO - hier in seiner Ausprägung durch die ge-
richtliche Hinweis- und Erörterungspflicht aus § 86 Abs. 3 VwGO und § 104
Abs. 1 VwGO - ein Überraschungsurteil erlassen und überdies die gerichtliche
Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO verletzt, weil er den bestrittenen
Sachvortrag der Beklagten ohne weitere Ermittlungen bzw. Beweiserhebung
und ohne entsprechenden vorherigen Hinweis als gegeben vorausgesetzt habe.
Eine Gehörsverletzung wegen des Erlasses eines Überraschungsurteils sei
dem Verwaltungsgerichtshof auch deshalb vorzuwerfen, weil er nicht darauf
hingewiesen habe, dass er der rechtlichen Bewertung des Verwaltungsgerichts
nicht folgen und den unbestimmten Rechtsbegriff der Unwürdigkeit auch in Ab-
kehr von seiner eigenen bisherigen Rechtsprechung wissenschaftsbezogen
auslegen werde. In jedem Fall habe die Beklagte den Doktorgrad in ermessens-
fehlerhafter Weise entzogen, weil die Wissenschaftsgemeinschaft mit den ge-
gen ihn, den Kläger, erhobenen Vorwürfen auch ohnedies bereits vertraut ge-
wesen sei und im Übrigen der Titel bei wissenschaftlichen Publikationen im
Fach Physik nicht angegeben werde.
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Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württem-
berg vom 14. September 2011 zu ändern und die Berufung
der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts
Freiburg vom 22. September 2010 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württem-
berg vom 14. September 2011 aufzuheben und den
Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuver-
weisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.
II
Die zulässige Revision ist sowohl mit ihrem Hauptantrag als auch mit ihrem
Hilfsantrag unbegründet und deshalb gemäß § 144 Abs. 2 VwGO zurückzuwei-
sen. Das angefochtene Urteil hat im Einklang mit Bundesrecht im Sinne von
§ 137 Abs. 1 VwGO die Klage gegen die Entziehung des Doktorgrades abge-
wiesen.
Die Vorschrift des § 35 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über die Hochschulen in
Baden-Württemberg (Landeshochschulgesetz BW - LHG BW) vom 1. Januar
2005 (GBl S. 1), hier anwendbar in der Fassung des Gesetzes vom 14. Juli
2009 (GBl S. 317, 331), wonach der von einer baden-württembergischen Hoch-
schule verliehene Hochschulgrad unbeschadet der §§ 48 und 49 LVwVfG BW
entzogen werden kann, wenn sich der Inhaber durch sein späteres Verhalten
der Führung des Grades als unwürdig erwiesen hat, gehört dem nach § 137
Abs. 1 VwGO nicht revisiblen Landesrecht an (1.). Sie verstößt in ihrer Ausle-
gung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht gegen das Grundgesetz (2.).
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Ebenso wenig ist revisionsgerichtlich zu beanstanden, dass der Verwaltungsge-
richtshof die auf die Vorschrift gestützte Entziehungsverfügung der Beklagten
im Übrigen als rechtmäßig beurteilt hat. An die den Tatbestand des § 35 Abs. 7
Satz 1 LHG BW ausfüllenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsge-
richtshofs ist der Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, da der Kläger kei-
ne zulässigen und begründeten Revisionsgründe gegen sie vorgebracht hat
(3.). Einen Ermessensfehler der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof ohne
Verstoß gegen Bundesrecht verneint (4.).
1. Der Kläger geht fehl, wenn er meint, der in § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW ent-
haltene unbestimmte Rechtsbegriff der Unwürdigkeit gehöre dem revisiblen
Recht an. Er beruft sich zu Unrecht darauf, dass der Begriff aus der die Entzie-
hung wegen nachträglicher Unwürdigkeit durch späteres Verhalten betreffenden
Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c) des früheren Gesetzes über die Füh-
rung akademischer Grade (GFaG) vom 7. Juni 1939 (RGBl I S. 985) mit bun-
deseinheitlicher Geltung überkommen sei und das Hochschulrecht der Länder
den Entzug des Doktorgrades durchweg an die Voraussetzung der Unwürdig-
keit knüpfe.
Das vorkonstitutionelle Gesetz über die Führung akademischer Grade galt in
seinem wesentlichen Normbestand nach Inkrafttreten des Grundgesetzes we-
gen seiner Zugehörigkeit zum Hochschulrecht und damit zur Gesetzgebungs-
kompetenz der Länder gemäß Art. 123 Abs. 1 GG als Landesrecht fort (stRspr
seit dem Urteil vom 26. Februar 1960 - BVerwG 7 C 198.59 - BVerwGE 10, 195
<195 f.> = Buchholz 421.11 § 4 Ges. Akadem. Grade Nr. 1 S. 1 f., zuletzt Urteil
vom 25. August 1993 - BVerwG 6 C 4.91 - BVerwGE 94, 73 <76 f.> = Buchholz
421.11 § 2 GFaG Nr. 14 S. 14). Die Geltung des Gesetzes in allen damaligen
Ländern machte es nicht zu Bundesrecht und führte mangels einer ausdrückli-
chen Anordnung der Landesgesetzgeber nach Art. 99 GG auch unter dem Ge-
sichtspunkt der Rechtseinheit und des Anspruchs der Bürger auf Gleichbehand-
lung nicht dazu, dass es als revisibel angesehen werden konnte (Beschlüsse
vom 26. November 1976 - BVerwG 7 B 48.75 - Buchholz 421.11 § 2 GFaG
Nr. 4 S. 2, vom 17. März 1978 - BVerwG 7 B 14.77 - Buchholz 421.11 § 2
GFaG Nr. 6 S. 7 und vom 20. Juli 1984 - BVerwG 7 B 116.84 - Buchholz 421.11
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§ 2 GFaG Nr. 8 S. 4). Für Regelungen, die - wie § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW -
nach der sukzessiven Aufhebung des Gesetzes über die Führung akademi-
scher Grade in den Ländern an die Stelle des § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c)
GFaG getreten sind, besteht erst recht kein Anknüpfungspunkt für die Annahme
einer Revisibilität (Beschluss vom 10. März 1997 - BVerwG 6 B 72.96 - Buch-
holz 421.11 § 4 GFaG Nr. 4), zumal längst nicht alle Länder derartige Nachfol-
geregelungen erlassen haben (vgl. die Zusammenstellung der einschlägigen
Landesvorschriften bei: Stumpf, BRJ Sonderausgabe 1/2011, 36 Fn. 325). Der
Senat hat demnach nur zu prüfen, ob die durch den Verwaltungsgerichtshof
ausgelegte Entziehungsvorschrift als solche oder ihre Anwendung auf den kon-
kreten Fall dem (Verfassungs-)Recht des Bundes widerspricht.
2. Die Vorschrift des § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW ist nicht verfassungswidrig.
Der in ihr enthaltene unbestimmte Rechtsbegriff der Unwürdigkeit erfährt durch
seinen Wissenschaftsbezug, den der Verwaltungsgerichtshof im Wege der für
den Senat nach § 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO verbindlichen Normauslegung
festgestellt hat (a)), eine Konkretisierung, die dem in dem Rechtsstaatsprinzip
und damit im Wesentlichen in Art. 20 Abs. 3 GG zu verortenden Gebot der Ge-
setzesbestimmtheit genügt (b)). Die Norm ist in dieser Auslegung auch mit dem
Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG (c)), der in
Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Berufsfreiheit (d)), dem allgemeinen Persön-
lichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (e)) und dem allge-
meinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (f)) vereinbar.
a) Nach ihrer Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof ist die landesrecht-
liche Entziehungsvorschrift des § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW wissenschaftsbe-
zogen zu verstehen. Anders als dies bei den auf einen berufsqualifizierenden
Abschluss gerichteten Hochschulgraden der Fall sei, werde durch den Doktor-
grad nicht lediglich ein einmal erreichter Ausbildungsstand nachgewiesen.
Vielmehr bescheinige die Erlaubnis zur Führung des Doktorgrades dem Inhaber
gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 LHG BW die Befähigung zu vertiefter - und auch
selbständiger - wissenschaftlicher Arbeit. Damit werde der Inhaber öffentlich
sichtbar als Mitglied der akademischen Wissenschaftsgemeinde („scientific
community“) ausgewiesen. Er gelange durch diese Zuschreibung in dem ar-
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beitsteiligen Prozess des wissenschaftlichen Fortschritts in den Genuss eines
Vertrauensvorschusses, was die Einhaltung der Regeln der Wissenschaftlich-
keit anbelange. Die Kernpflicht wissenschaftlichen Arbeitens bestehe in der
Wahrung der wissenschaftlichen Redlichkeit, zu der auch § 3 Abs. 5 Satz 1
LHG BW ausdrücklich verpflichte. Ein Titelinhaber erweise sich deshalb dann
als unwürdig im Sinne des § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW, wenn sich der mit der
Verleihung des Doktorgrades begründete Anschein wissenschaftskonformen
Arbeitens angesichts gravierender Verstöße gegen die Grundsätze guter wis-
senschaftlicher Praxis und Redlichkeit - insbesondere in Form der Fälschung
von Forschungsergebnissen - als unzutreffend herausstelle und zum Schutz vor
Irreführung korrigiert werden müsse. Demgemäß sehe auch § 3 Abs. 5 Satz 3
LHG BW vorsätzliche oder grob fahrlässige Falschangaben in wissenschaftser-
heblichem Zusammenhang als beispielhaft für einen Verstoß gegen die allge-
mein anerkannten Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis an.
Durch diese Ausführungen hat der Verwaltungsgerichtshof den Regelungsge-
halt der landesrechtlichen Vorschrift des § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW dahinge-
hend umrissen, dass sie von den durch Prüfung erlangten Hochschulgraden nur
den Doktorgrad erfasst und für dessen Entziehung wegen späterer Unwürdig-
keit vorsätzliche oder grob fahrlässige Verstöße gegen wissenschaftliche Kern-
pflichten voraussetzt.
b) Mit diesem Inhalt steht § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW nicht in Widerspruch zu
dem in dem bundesverfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip wurzelnden
(BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 2001 - 2 BvK 1/00 - BVerfGE 103, 332 <384>;
BVerwG, Urteil vom 23. März 2011 - BVerwG 6 CN 3.10 - BVerwGE 139, 210 =
Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 175 Rn. 22) Gebot der hinreichenden ge-
setzlichen Bestimmtheit.
Das Bestimmtheitsgebot zwingt den Gesetzgeber nicht, den Tatbestand einer
Norm mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Dass ein Gesetz un-
bestimmte, der Auslegung und Konkretisierung bedürftige Begriffe verwendet,
verstößt allein noch nicht gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz der Normklar-
heit und Justitiabilität. Das Gesetz muss nur so bestimmt sein, wie dies nach
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der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den
Normzweck möglich ist. Unvermeidbare Auslegungsschwierigkeiten in Randbe-
reichen sind dann von Verfassungs wegen hinzunehmen. Erforderlich ist aller-
dings stets, dass die von der Norm Betroffenen die Rechtslage erkennen und
ihr Verhalten danach einrichten können. Sie müssen in zumutbarer Weise fest-
stellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die Rechtsfolge vor-
liegen (BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 2001 a.a.O. S. 384 f. m.w.N.).
Diese Bestimmtheitsanforderungen würden verfehlt, wollte man für die Bestim-
mung der Unwürdigkeit im Sinne der Entziehungsvorschrift, wie von der älteren
Instanzrechtsprechung (etwa: OVG Münster, Urteil vom 14. Januar 1963 - V A
747/62 - MDR 1965, 515 <516>; OVG Lüneburg, Urteil vom 20. Oktober 1965
- V OVG A 58/63 - OVGE 21, 441 <443 ff.>; VGH München, Urteile vom 21. Juli
1966 - Nr. 184 VI 65 - DVBl 1967, 89 und vom 14. Februar 1969 - Nr. 182 III
67 - VGHE 22, 111 <112>; vgl. auch noch: OVG Berlin, Urteil vom 26. April
1990 - 3 B 19/89 - NVwZ 1991, 188; OVG Koblenz, Urteil vom 31. Juli 1991
- 2 A 10260/91 - NVwZ-RR 1992, 79 <80>), der frühen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 6. September 1966 - BVerwG 7 B
201.65 - Buchholz 421.11 § 4 Ges. Akadem. Grade Nr. 2 S. 4) und großen Tei-
len der Literatur (z.B. Thieme, Deutsches Hochschulrecht, 3. Aufl. 2004
Rn. 420, 436 f., 441; Menzel, JZ 1960, 461) für die Vorgängernorm des § 4
Abs. 1 Satz 1 Buchst. c) GFaG vertreten, auf die Enttäuschung traditioneller
gesellschaftlicher Vorstellungen über den Doktorgrad als öffentliche Würde ei-
gener Art, als herausgehobener Rang oder als ehrenvolle Kennzeichnung der
Persönlichkeit seines Trägers abstellen. Weder haben derartige allgemeine
Vorstellungen, sofern sie in der Gesellschaft überhaupt auch heute noch be-
stehen, eine normative Grundlage, noch sind die Hochschulen institutionell oder
fachlich zur Abgabe und Durchsetzung entsprechender Werturteile berufen. Die
Fallgestaltungen, in denen eine Entziehung des Doktorgrades wegen späterer
Unwürdigkeit gerechtfertigt wäre, würden nicht in hinreichender Weise erkenn-
bar (Lorenz, DVBl 2005, 1244; Maurer, Promotion, in: Flämig/Kimminich/Krüger/
Meusel/Rupp/Scheven/Schuster/Graf Stenbock-Fermor , Handbuch des
Wissenschaftsrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 1996, S. 768 f., 776; Stumpf, a.a.O. S. 36).
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Dementsprechend haben das Bundesverfassungsgericht und das Bundesver-
waltungsgericht in den wenigen, sehr kurzen Entscheidungen, in denen explizit
die Bestimmtheit des Unwürdigkeitsbegriffs des früheren § 4 Abs. 1 Satz 1
Buchst. c) GFaG in Frage stand, der Sache nach eine restriktive, verfassungs-
konforme Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs für erforderlich gehal-
ten. Bestimmend für diese Rechtsprechung ist der Kammerbeschluss des Bun-
desverfassungsgerichts vom 30. November 1988 - 1 BvR 900/88 - (juris
Rn. 8 f.; vgl. im Übrigen noch: Beschluss vom 18. Dezember 1992 - 1 BvR
1475/92 - n.v. und dazu: BVerwG, Beschluss vom 10. März 1997 a.a.O.), des-
sen Erwägungen sich das Bundesverwaltungsgericht (Beschlüsse vom 7. Sep-
tember 1990 - BVerwG 7 B 127.90 - Buchholz 421.11 § 4 GFaG Nr. 2 S. 9 und
vom 25. August 1992 - BVerwG 6 B 31.91 - Buchholz 421.11 § 4 GFaG Nr. 3
S. 13) zu eigen gemacht hat. Das Bundesverfassungsgericht (Kammerbe-
schluss vom 30. November 1988 a.a.O.) hat die Unschärfe des Unwürdigkeits-
begriffs hervorgehoben und Zweifeln Ausdruck verliehen, inwieweit Verhaltens-
weisen, die keinen unmittelbaren Bezug zu der mit dem Doktorgrad verbunde-
nen fachlich-wissenschaftlichen Qualifikation hätten, zur Begründung eines
Unwerturteils herangezogen werden dürften. Deshalb werde eine Auslegung,
die eine funktionelle Verknüpfung - des seinerzeit gegebenen strafbaren Verhal-
tens - mit dem Wesen und der Bedeutung des akademischen Grades herstelle,
den verfassungsrechtlichen Anforderungen in besonderer Weise gerecht.
Diesen bundesverfassungsgerichtlichen Ansatz hat der Verwaltungsgerichtshof
unter Aufnahme einschlägiger dogmatischer Grundlegungen in der Literatur
(Lorenz, a.a.O. S. 1242 ff.; v. Coelln, FuL 2011, 278 f.; im Ausgangspunkt auch
Tiedemann, ZRP 2010, 55 und später Stumpf, a.a.O. S. 37 f.) durch die auf die
systematischen Bezüge innerhalb des Landeshochschulgesetzes gestützte
wissenschaftsbezogene Interpretation des Unwürdigkeitsbegriffs in § 35 Abs. 7
Satz 1 LHG BW weiterentwickelt. Er ist auf diese Weise zu einer konsistenten
Beschreibung des Regelungsbereichs der Entziehungsvorschrift gelangt, die
deren Begrenzung ohne Weiteres ersichtlich werden lässt. Die Vorschrift erfasst
danach im Wesentlichen die Verletzung von Pflichten, die sich unabhängig von
den innerhalb der Wissenschaft erarbeiteten Zusammenstellungen der Anforde-
rungen an eine gute wissenschaftliche Praxis (zum Beispiel: Deutsche For-
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schungsgemeinschaft, Vorschläge zur Sicherung guter wissenschaftlicher Pra-
xis - Empfehlungen der Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“,
Denkschrift 1998 mit Ergänzung vom Juli 2013) im Sinne eines Begriffskerns
(vgl. dazu: Schmidt-Aßmann, NVwZ 1998, 1226; Schulze-Fielitz, WissR, Bei-
heft 21 <2011> S. 6) bereits aus dem Begriff der Wissenschaft als solchem, das
heißt dem ernsthaften Versuch zur Ermittlung von Wahrheit ergeben. In ver-
gleichbarer Weise hat der Senat (Urteil vom 11. Dezember 1996 - BVerwG 6 C
5.95 - BVerwGE 102, 304 <308 ff.> = Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 150
S. 63 ff.) in anderem Zusammenhang die durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garan-
tierte individuelle Forschungsfreiheit des Hochschullehrers in Beziehung zu der
Verantwortung der Hochschule für die Pflege der Wissenschaften gesetzt, die
aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG als objektiver, das Verhältnis von Wissenschaft und
Staat regelnder wertentscheidender Grundsatznorm ableitbar ist. Dem im vor-
liegenden Fall in Rede stehenden Fälschungs- und Manipulationsverbot können
danach - wie etwa § 3 Abs. 5 Satz 3 LHG BW im Hinblick auf Hochschulange-
hörige bestimmt - vor allem die vergleichbar gewichtigen Verbote der Verlet-
zung des geistigen Eigentums und der Beeinträchtigung der Forschungstätig-
keit Anderer an die Seite gestellt werden.
Mit dieser Auslegung des Unwürdigkeitsbegriffs verträgt es sich indes nicht,
wenn der Verwaltungsgerichtshof - wenngleich nicht im Zusammenhang mit der
Frage der Bestimmtheit der Entziehungsvorschrift, sondern mit derjenigen ihrer
Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz - offen lässt, ob neben den
Fällen einer wissenschaftsbezogen begründeten Unwürdigkeit auch bei schwe-
ren Verfehlungen außerhalb des Wissenschaftsbetriebs eine Entziehung des
Doktorgrades in Betracht kommen könnte. Der in § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW
enthaltene Unwürdigkeitsbegriff, der nach den Maßgaben des Landeshoch-
schulrechts über die Bedeutung des Doktorgrades wissenschaftsbezogen zu
verstehen ist, kann aus Gründen des bundesverfassungsrechtlichen Bestimmt-
heitsgebots nicht zugleich unter Heranziehung anderer Kriterien interpretiert
werden, die mangels normativer Regelung ihrerseits nur in der oben genannten
Enttäuschung nicht hinreichend fassbarer gesellschaftlicher Vorstellungen über
den Doktorgrad und dessen Träger bestehen können. Dies gilt auch für die un-
ter anderem in der früheren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu
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§ 4 Abs. 1 GFaG (Urteil vom 18. März 1981 - IX 1496/79 - JZ 1981, 661 <663>;
ebenso: Starosta, DÖV 1987, 1052) und in dem hiesigen Verfahren noch von
dem erstinstanzlichen Urteil befürwortete Beschränkung des Unwürdigkeitsbe-
griffs auf besonders schwere oder verwerfliche Straftaten jedenfalls dann, wenn
diese Taten keinen Wissenschaftsbezug aufweisen. Vor diesem Hintergrund ist
der Senat zu der Feststellung befugt, dass die von dem Verwaltungsgerichtshof
gefundene wissenschaftsbezogene Auslegung des Unwürdigkeitsbegriffs in
§ 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW als abschließend anzusehen ist (vgl. dazu allge-
mein: Urteil vom 17. Oktober 1986 - BVerwG 7 C 79.85 - BVerwGE 75, 67 <72>
= Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 18 S. 33).
c) In der wissenschaftsbezogenen Auslegung durch den Verwaltungsgerichts-
hof ist § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW mit dem Grundrecht der Wissenschaftsfrei-
heit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar.
Von vornherein kein Raum besteht für die Annahme, das individuelle Wissen-
schaftsfreiheitsrecht sei dadurch verletzt, dass die Unwürdigkeit im Sinne der
landesrechtlichen Entziehungsvorschrift überhaupt in vorsätzlichen oder grob
fahrlässigen Verstößen gegen wissenschaftliche Kernpflichten gefunden werde.
Denn ein derartiges wissenschaftliches Fehlverhalten wird bereits von dem
Schutzbereich des Grundrechts nicht erfasst (vgl. Urteil vom 11. Dezember
1996 a.a.O. S. 312 bzw. S. 67; Linke, WissR 1999, 160; Lorenz, a.a.O.
S. 1244 f.).
Ein unzulässiger Eingriff in die individuelle Wissenschaftsfreiheit liegt auch nicht
darin begründet, dass die Vorschrift als Reaktion auf die in Rede stehenden
späteren wissenschaftlichen Pflichtverstöße den Zugriff auf den Bestand des
zuvor redlich erworbenen Doktorgrades ermöglicht. Denn der damit für den
Träger des Grades verbundene Nachteil findet seine Rechfertigung in dem Ge-
halt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG als objektiver Grundsatznorm, weil er nach
dem von dem Verwaltungsgerichtshof festgestellten Regelungsgehalt der lan-
desrechtlichen Entziehungsvorschrift der Sicherung der Funktionsfähigkeit des
Wissenschaftsprozesses dient. In der Wissenschaft als prinzipiell offenem Sys-
tem muss jeder wissenschaftlich Tätige mit seinen Forschungen auf den Er-
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kenntnissen anderer aufbauen und darauf vertrauen können, dass diese nicht
manipuliert sind. Wird dieses Vertrauen verletzt, leidet neben der Qualität der
jeweiligen Forschungsarbeit auch die Präzision des Fachdiskurses. Dies kann
die Glaubwürdigkeit des Wissenschaftsbetriebs insgesamt beschädigen (vgl.
Goeckenjan, JZ 2013, 725; Deutsche Forschungsgemeinschaft, a.a.O. S. 27).
Vor diesem Hintergrund hat der Landesgesetzgeber nach Feststellung des
Verwaltungsgerichtshofs dem verliehenen Doktorgrad die Funktion zugeschrie-
ben, im Fall der weiteren Teilnahme seines Trägers am Wissenschaftsprozess
als Ausweis für dessen Willen und Fähigkeit zur permanenten Einhaltung der
wissenschaftlichen Kernpflichten zu dienen. Der Landesgesetzgeber hat diese
Zuschreibung mit einer entsprechenden Verhaltenserwartung verknüpft und für
den Fall der Nichterfüllung der Erwartung die Entziehung des Doktorgrades
vorgesehen. Dieses Regelungssystem stellt sich unter Berücksichtigung der
Einschätzungsprärogative und des Gestaltungsspielraums des Landesgesetz-
gebers nicht als unverhältnismäßig im weiteren Sinne dar. Insbesondere sind
die gesetzgeberische Zuschreibung und Verhaltenserwartung nicht deshalb als
fehlsam zu beurteilen, weil das entsprechende Vertrauen in den Doktorgrad in
der Wissenschaft bzw. in einzelnen ihrer Bereiche in tatsächlicher Hinsicht un-
terschiedlich stark ausgeprägt sein mag.
Einen unverhältnismäßigen Charakter gewinnt die in § 35 Abs. 7 Satz 1
LHG BW geregelte Entziehung des Doktorgrades wegen eines späteren wis-
senschaftsbezogenen unwürdigen Verhaltens ferner nicht deshalb, weil die Vor-
schrift keine Bestimmung über eine Befristung der Entziehungsentscheidung
enthält. Denn in Fällen, in denen sich eine Aufrechterhaltung der Entziehungs-
verfügung als unzumutbar erweisen sollte, kann dem Verhältnismäßigkeits-
grundsatz dadurch Rechnung getragen werden, dass die Entziehungsentschei-
dung auf der Grundlage der nach § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO revisiblen Vorschrift
des § 49 Abs. 1 LVwVfG BW, auf die § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW ausdrücklich
verweist, widerrufen wird (zur Aufhebung einer Entziehungsentscheidung nach
dem früheren Gesetz über die Führung akademischer Grade unter Verweis auf
§ 4 Abs. 4 GFaG: VGH Mannheim, Urteil vom 18. März 1981 a.a.O. S. 664;
Thieme, a.a.O. Rn. 446; vgl. auch: Maurer, a.a.O. S. 777). Unabhängig hiervon
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- 16 -
besteht grundsätzlich die Möglichkeit eines Neuerwerbs des Doktorgrades
(Stumpf, a.a.O. S. 48).
Schließlich können etwaige für das Grundrecht der subjektiven Wissenschafts-
freiheit bedeutsame Besonderheiten des Einzelfalles im Rahmen der nach § 35
Abs. 7 Satz 1 LHG BW erforderlichen Ermessensausübung berücksichtigt wer-
den.
d) Die wissenschaftsbezogen ausgelegte Entziehungsvorschrift des § 35 Abs. 7
Satz 1 LHG BW verletzt nicht das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12
Abs. 1 GG.
Einschränkungen der Berufsfreiheit, die sich als Folge einer auf Grund der Vor-
schrift verfügten Entziehung des Doktorgrades für Tätigkeiten im Wissen-
schaftsbetrieb ergeben, sind entsprechend den Darlegungen zu Art. 5 Abs. 3
Satz 1 GG gerechtfertigt, weil sie zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wis-
senschaftsprozesses, einem überragend wichtigen und verfassungsrechtlich in
dem objektiven Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankerten Ge-
meinschaftsgut, erforderlich und auch sonst verhältnismäßig sind. Deshalb
müssen die von einer Entziehungsentscheidung Betroffenen auch mit dieser
verbundene faktische Beeinträchtigungen einer Berufsausübung (vgl. zu sol-
chen Beeinträchtigungen allgemein: Urteil vom 18. Oktober 1990 - BVerwG 3 C
2.88 - BVerwGE 87, 37 <41 ff.> = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 209 S. 27 ff.) au-
ßerhalb des Wissenschaftsbereichs hinnehmen. Der Landesgesetzgeber war
auf Grund der ihm zustehenden Pauschalierungs- und Typisierungsbefugnis
nicht verpflichtet, bereichsspezifische Verbote zur Führung des Doktorgrades
vorzusehen. Eine im Einzelfall gegebene besondere Betroffenheit in beruflicher
Hinsicht kann wiederum in die Ermessensausübung nach § 35 Abs. 7 Satz 1
LHG BW einfließen.
e) Aus den bisherigen Darlegungen folgt zugleich, dass - im Hinblick auf einen
etwaigen, mit der Entziehung des Doktorgrades zusammenhängenden Verlust
gesellschaftlichen Ansehens - das durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1
GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht in der wissenschaftsbezogen
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interpretierten Norm des § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW eine verfassungsmäßige
Grenze findet.
f) Der Umstand, dass der wohl überwiegende Teil der Promovierten mangels
weiterer wissenschaftlicher Tätigkeit nach der Promotion dem Anwendungsbe-
reich des wissenschaftsbezogen verstandenen § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW
faktisch nicht unterfällt, begründet keinen Verstoß gegen den allgemeinen
Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Er ist vielmehr deshalb sachlich gerecht-
fertigt, weil von den besagten Titelträgern keine Gefahr einer Störung des Wis-
senschaftsprozesses durch Verletzung wissenschaftlicher Kernpflichten aus-
geht (vgl. Stumpf, a.a.O. S. 38).
3. Gegen die Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs, der Kläger habe den
Tatbestand des § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW erfüllt, ist revisionsgerichtlich
nichts zu erinnern.
Der Verwaltungsgerichtshof hat - unmittelbar und unabhängig von dem ergän-
zend gezogenen, an eine mangelhafte Archivierung von Primärdaten und Do-
kumentation von Experimenten anknüpfenden prima-facie-Schluss - festgestellt,
dass der Kläger während seiner wissenschaftlichen Tätigkeit in den USA
schwerwiegend und wiederholt Daten seiner Forschungsergebnisse manipuliert
und gefälscht hat. Auf diesen vorsätzlichen bzw. grob fahrlässigen Verstoß ge-
gen das zum Kreis der wissenschaftlichen Kernpflichten gehörende Fäl-
schungs- und Manipulationsverbot hat der Verwaltungsgerichtshof die Annah-
me der Unwürdigkeit des Klägers im Sinne des § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW
gestützt. Der Senat ist gemäß § 137 Abs. 2 VwGO an die tatsächlichen Fest-
stellungen des Verwaltungsgerichtshofs und dessen auf dieser Grundlage vor-
genommene Sachverhalts- und Beweiswürdigung gebunden, weil der Kläger
mit seinen hiergegen gerichteten Verfahrensrügen des Verstoßes gegen den
Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs (a)) und der Verletzung der ge-
richtlichen Aufklärungspflicht (b)) nicht durchzudringen vermag.
a) Der Kläger macht geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe gegen den
Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG und
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§ 108 Abs. 2 VwGO verstoßen, weil das Berufungsurteil sowohl im Hinblick auf
seine tatsächliche als auch in Bezug auf seine rechtliche Grundlage eine Über-
raschungsentscheidung darstelle. In tatsächlicher Hinsicht habe der Verwal-
tungsgerichtshof nicht nach § 86 Abs. 3 VwGO darauf hingewiesen bzw. nicht
gemäß § 104 Abs. 1 VwGO erörtert, dass er die von ihm, dem Kläger, bestritte-
ne Manipulation und Fälschung von Daten allein auf Grund des Akteninhalts als
erwiesen ansehen werde. Eines solchen Hinweises habe es zwingend bedurft,
da der Verwaltungsgerichtshof einerseits anders als das erstinstanzliche Urteil
ein wissenschaftsbezogenes Unwürdigkeitsverständnis befürwortet, anderer-
seits aber den für ein solches Verständnis entscheidungserheblichen umstritte-
nen Sachverhalt nicht durch eigene Ermittlungen und Beweiserhebungen auf-
geklärt habe. Anders gewendet hätte der Verwaltungsgerichtshof in rechtlicher
Hinsicht nicht ohne vorherigen Hinweis sein wissenschaftsbezogenes Unwür-
digkeitsverständnis an die Stelle der von der Vorinstanz in Übereinstimmung mit
der früheren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs vertretenen Be-
schränkung auf besonders schwere oder verwerfliche Straftaten setzen dürfen.
Der Kläger beruft sich in diesem Zusammenhang ergänzend auf die auf den
Zivilprozess bezogene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl.
etwa Kammerbeschluss vom 16. Oktober 1991 - 2 BvR 458/89 - NJW 1992,
495 m.w.N.) und des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 15. Februar 2005
- XI ZR 144/03 - FamRZ 2005, 700 f. m.w.N.) über zweitinstanzliche Vortragser-
leichterungen für die in erster Instanz siegreiche Partei bzw. zu deren Gunsten
eingreifende Hinweispflichten des Berufungsgerichts nach § 139 ZPO in der
prozessualen Situation, dass das Berufungsgericht den Rechtsstandpunkt der
Vorinstanz nicht teilt. Er macht geltend, dass er, wenn der Verwaltungsgerichts-
hof den erforderlichen Hinweis in tatsächlicher Hinsicht erteilt hätte, in der Lage
gewesen wäre, dazu Stellung zu nehmen, Vertagung zu beantragen und weiter
vorzutragen oder einen förmlichen Beweisantrag zu stellen, so dass eine für ihn
günstigere Entscheidung des Berufungsgerichts nicht ausgeschlossen gewesen
wäre. Auf eine verfahrensfehlerhafte Ablehnung eines gestellten Beweisantra-
ges hätte er seine Nichtzulassungsbeschwerde stützen können. Auf den not-
wendigen Hinweis in rechtlicher Hinsicht hin hätte er den Verwaltungsgerichts-
hof mit seiner früheren Rechtsprechung konfrontiert.
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Der Gehörsrüge muss der Erfolg versagt bleiben. Sie erfüllt bereits nicht die
Darlegungsanforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO, der für die Rüge
eines Verfahrensmangels die Angabe der Tatsachen verlangt, die den Mangel
ergeben. Wird ein Gehörsverstoß geltend gemacht, sind demnach substantiier-
te Ausführungen darüber erforderlich, was im Falle der Gewährung rechtlichen
Gehörs über das bisherige Vorbringen hinaus noch entscheidungserheblich
vorgetragen worden wäre bzw. welche Beweisanträge gestellt worden wären
(vgl. Urteile vom 16. August 1983 - BVerwG 9 C 853.80 - Buchholz 310 § 52
VwGO Nr. 26 S. 10 und vom 24. September 1992 - BVerwG 3 C 88.88 - Buch-
holz 451.512 MGVO Nr. 61 S. 267 f.). Dies ergibt sich aus dem Vortrag des
Klägers nicht.
Davon abgesehen liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung
rechtlichen Gehörs nicht vor, denn das angefochtene Urteil stellt keine diesen
Grundsatz verletzende Überraschungsentscheidung dar. Auch unter Berück-
sichtigung der Ausprägung, die der Grundsatz durch die Hinweis- und Erörte-
rungspflichten nach § 86 Abs. 3 VwGO und § 104 Abs. 1 VwGO erfährt, ist das
Tatsachengericht nicht verpflichtet, die Beteiligten schon vor bzw. in der münd-
lichen Verhandlung auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdi-
gung des Prozessstoffes hinzuweisen und offenzulegen, wie es seine Entschei-
dung im Einzelnen zu begründen beabsichtigt. Denn die tatsächliche und recht-
liche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst auf Grund der abschließenden Be-
ratung (Beschlüsse vom 28. Dezember 1999 - BVerwG 9 B 467.99 - Buchholz
310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51 S. 2; vom 27. November 2008 - BVerwG 5 B
54.08 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 60 Rn. 8 und vom 29. Juni 2011
- BVerwG 6 B 7.11 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 410 Rn. 8). Eine Aus-
nahme hiervon gilt nur dann, wenn das Gericht bei seiner Entscheidung auf ei-
ne rechtliche Sichtweise oder auf eine bestimmte Bewertung des Sachverhalts
abstellen will, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter
nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens unter Berücksichtigung der Vielfalt
vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (Beschlüsse vom
27. November 2008 a.a.O. Rn. 8; vom 29. Juni 2011 a.a.O. Rn. 8 und vom
19. Juli 2010 - BVerwG 6 B 20.10 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 54 Rn. 4; vgl.
aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Beschluss vom
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29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190>; Urteil vom 14. Juli
1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 <263>; Beschluss vom 7. Oktober
2003 - 1 BvR 10/99 - BVerfGE 108, 341 <345 f.>). Die Annahme eines solchen
Ausnahmefalls scheidet hier aus.
In tatsächlicher Hinsicht hat die Beklagte die Annahme der wissenschaftsbezo-
gen verstandenen Unwürdigkeit des Klägers im Sinne des § 35 Abs. 7 Satz 1
LHG BW auf die Ergebnisse des B.-Reports vom September 2002, die Feststel-
lungen des Hauptausschusses der DFG vom 14. Oktober 2004 und die im Wi-
derspruchsverfahren von ihrem Promotionsausschuss Physik erstellte Fehler-
analyse gestützt. Der Kläger hatte im Verwaltungsverfahren Gelegenheit, aus-
führlich zu den in den genannten Untersuchungen enthaltenen Vorwürfen Stel-
lung zu nehmen. Die Verwaltungsvorgänge, in denen das Material enthalten ist,
sind im gerichtlichen Verfahren beigezogen worden. In der ersten Instanz des
verwaltungsgerichtlichen Verfahrens haben sich die Beteiligten weiter umfäng-
lich darüber auseinander gesetzt. Nachdem sie in der Berufungsinstanz über
die Rechtsfrage der - in dem erstinstanzlichen Urteil abgelehnten - wissen-
schaftsbezogenen Auslegung der Unwürdigkeit im Sinne des § 35 Abs. 7 Satz 1
LHG BW gestritten hatten, hat der Verwaltungsgerichtshof in der mündlichen
Verhandlung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er hinsichtlich der tatsäch-
lichen Feststellungen auf die Behördenakten zurückgreife. Für den anwaltlich
vertretenen Kläger konnte daher kein Zweifel bestehen, dass für die Entschei-
dung des Verwaltungsgerichtshofs, sollte sich dieser der Ablehnung des wis-
senschaftsbezogenen Unwürdigkeitsverständnisses durch das Verwaltungsge-
richt nicht anschließen, die Frage eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens des
Klägers und der tatsächlichen Grundlagen dafür Bedeutung erlangen würde.
Ebenso klar lag zu Tage, dass der Verwaltungsgerichtshof dann seiner aus-
drücklichen Ankündigung gemäß auf die in den Behördenakten enthaltenen
tatsächlichen Feststellungen abstellen würde. Der Kläger musste deshalb damit
rechnen, dass das Berufungsgericht dabei die für ihn ungünstigen Ergebnisse
der bereits von der Beklagten herangezogenen Untersuchungen als überzeu-
gend erachten würde.
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Auch in rechtlicher Hinsicht musste der Kläger ohne weiteren gerichtlichen Hin-
weis gewärtigen, dass der Verwaltungsgerichtshof die Unwürdigkeit als Voraus-
setzung für die Entziehung des Doktorgrades nach § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW
wissenschaftsbezogen verstehen und insoweit seine frühere Rechtsprechung
(Urteil vom 18. März 1981 a.a.O. S. 663) zu § 4 Abs. 1 GFaG fortentwickeln
würde. Schließlich hatte die Beklagte ihre Entziehungsverfügung ausdrücklich
auf ein solches wissenschaftsbezogenes Unwürdigkeitsverständnis gestützt.
Die Beteiligten hatten darüber bereits in der ersten Instanz ausführlich und in
der Berufungsinstanz fast ausschließlich gestritten.
Weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht kann der Kläger aus der von
ihm herangezogenen zivilprozessualen Rechtsprechung etwas zu seinen Guns-
ten herleiten, denn diese hat ihre Grundlage in dem Beibringungsgrundsatz, der
den Zivilprozess prägt (vgl. zu diesem Zusammenhang: Beschluss vom 24. Juli
2008 - BVerwG 6 PB 18.08 - Buchholz 251.7 § 79 NWPersVG Nr. 7 Rn. 3), je-
doch im Verwaltungsprozess nicht gilt.
b) Die Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO
durch den Verwaltungsgerichtshof sieht der Kläger darin begründet, dass die-
ser, obwohl er, der Kläger, die Vorwürfe der Manipulation und Fälschung von
Daten substantiiert bestritten und widerlegt habe, die in den Verfahrensakten
enthaltenen Feststellungen übernommen habe, anstatt den Sachverhalt von
Amts wegen näher zu ermitteln und gegebenenfalls das von der Beklagten in
der ersten Instanz angeregte Sachverständigengutachten einzuholen.
Für eine Prüfung dieses Verfahrensfehlers hat der Kläger keine den Anforde-
rungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO genügende Grundlage unterbreitet. Für
die ordnungsgemäße Begründung der Aufklärungsrüge muss substantiiert dar-
gelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände, die für das Gericht
entscheidungserheblich waren, Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für
geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Be-
tracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung
der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden
wären und inwiefern deren Berücksichtigung auf der Grundlage der Rechtsauf-
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fassung der Vorinstanz zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Wei-
terhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem
Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vor-
nahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird,
hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlun-
gen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen.
Dabei müssen die Beweismittel, deren Heranziehung sich dem Berufungsge-
richt hätte aufdrängen müssen, angegeben werden, also zum Beispiel die
Sachverständigen genannt und die im Einzelnen in ihr Wissen gestellten Tatsa-
chen angeführt und dargelegt werden, inwiefern das Urteil im Einzelnen auf der
unterbliebenen Vernehmung beruht oder beruhen kann (stRspr, vgl. nur Urteile
vom 21. Juni 2006 - BVerwG 6 C 19.06 - BVerwGE 126, 149 = Buchholz 11
Art. 12 GG Nr. 264 Rn. 25 und vom 14. Februar 2007 - BVerwG 6 C 28.05 -
Buchholz 442.066 § 150 TKG Nr. 3 Rn. 11).
Die Revisionsbegründung wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Der Kläger
hätte dem von der Beklagten entsprechend den Ergebnissen des B.-Reports,
der Entscheidung des Hauptausschusses der DFG vom 14. Oktober 2004 und
der Fehleranalyse des Promotionsausschusses Physik der Beklagten erhobe-
nen Vorwurf der Manipulation und Fälschung von Daten sein abweichendes
Vorbringen im Detail entgegenstellen müssen. Er hätte weiter angeben müssen,
was der Verwaltungsgerichtshof insoweit - quasi auf der Hand liegend - mit wel-
chem Ergebnis aufzuklären gehabt hätte. Dies hat der Kläger nicht ansatzweise
getan.
4. Ein Verstoß gegen Bundesrecht liegt schließlich nicht darin, dass der Verwal-
tungsgerichtshof die Ausübung des von § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW einge-
räumten Ermessens durch die Beklagte gebilligt hat.
Die wissenschaftsbezogene Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der
Unwürdigkeit im Tatbestand der Entziehungsvorschrift bringt es mit sich, dass
im Rahmen des eingeräumten Ermessens auf der Rechtsfolgeseite der Norm
dem allgemeinen Interesse an der Vertrauenswürdigkeit wissenschaftlicher Tä-
tigkeit besonderes Gewicht zukommt. Dem hat die Beklagte Rechnung getra-
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gen. Wegen der auch formellen Funktion des Doktorgrades als Vertrauenswür-
digkeitsausweis geht das von dem Kläger verwandte Argument ins Leere, in
seinem Fall sei die Wissenschaftsgemeinschaft durch das Aufsehen, das die
gegen ihn gerichteten Vorwürfe erregt hätten, bereits materiell hinreichend un-
terrichtet und eine Entziehung des Doktorgrades nicht mehr erforderlich gewe-
sen. Ferner ist es, anders als der Kläger meint, unerheblich, wenn der Doktor-
grad bei wissenschaftlichen Publikationen im Fach Physik nicht angegeben
wird, denn der Wissenschaftsprozess greift hierüber weit hinaus.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Büge
Dr. Graulich
Dr. Möller
Hahn
Prof. Dr. Hecker
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 15 000 €
festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG).
Büge
Dr. Graulich
Dr. Möller
Hahn
Prof. Dr. Hecker
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Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Hochschulrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
GG
Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3 Satz 1,
Art. 12 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
LHG BW
§ 3 Abs. 5, § 35 Abs. 7, § 38 Abs. 2
Stichworte:
Akademischer Grad; Doktorgrad; Gesetzesbestimmtheit; Unwürdigkeit; späte-
res Verhalten; Wissenschaftsbezug; wissenschaftliche Kernpflicht.
Leitsatz:
Die wissenschaftsbezogene Auslegung einer landeshochschulrechtlichen Vor-
schrift, nach der ein Doktorgrad entzogen werden kann, wenn sich der Inhaber
durch sein späteres Verhalten der Führung des Grades als unwürdig erwiesen
hat, genügt - anders als ein auf die Enttäuschung nicht hinreichend fassbarer
gesellschaftlicher Vorstellungen über den Doktorgrad bzw. dessen Träger ab-
stellendes Verständnis - dem rechtsstaatlichen Gebot der hinreichenden ge-
setzlichen Bestimmtheit und verletzt darüber hinaus keines der durch das
Grundgesetz gewährleisteten Grundrechte.
Urteil des 6. Senats vom 31. Juli 2013 - BVerwG 6 C 9.12
I. VG Freiburg vom 22.09.2010 - Az.: VG 1 K 2248/09 -
II. VGH Mannheim vom 14.09.2011 - Az.: VGH 9 S 2667/10 -