Urteil des BVerwG vom 23.11.2011

Haftungsbeschränkung, Vernehmung Von Zeugen, Wasser, Sachschaden

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 6 C 6.11
VGH 8 A 3077/09
Verkündet
am 23. November 2011
Bärhold
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 23. November 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge, Dr. Graulich, Dr. Möller
und Dr. Wysk
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessi-
schen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. November 2010
wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit
Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigelade-
nen.
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G r ü n d e :
I
Die Klägerin wendet sich gegen ihre Verpflichtung zur Erstattung der Kosten
eines Feuerwehreinsatzes wegen eines Schiffsunfalls im Hafen von Gernsheim
(Rhein).
Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Unfalls Eigentümerin des Motortankschiffs
A. Am 31. August 2004 löschte sie im Hafen von Gernsheim an der Verladestel-
le der Firma S. eine Partie von 651 Tonnen Xylol. Während des Löschvorgangs
betätigte der Steuermann versehentlich den Fahrhebel des Schiffes. Das da-
durch in Fahrt gesetzte, mit der Löschanlage verbundene Schiff riss den
Löscharm aus der landseitigen Verankerung, der daraufhin ins Hafenbecken
fiel. Das Schiff konnte zwar sofort wieder zum Stehen gebracht werden, so dass
die Löschleitungsverbindung insgesamt standhielt. Auch konnte der Löschvor-
gang durch Auslösen der Notstoppeinrichtungen (Abschaltung der Pumpen und
Schließen der Sicherheitsschieber) unterbrochen werden. Nach dem Ab-
schlussbericht der Hessischen Wasserschutzpolizei - Abteilung Gernsheim –
vom 25. November 2004 (Nr. 9: Austrittsmenge und Umweltauswirkungen)
tropfte aber eine Menge von (ca.) 5 Litern Xylol durch ein Leck am Rohrlei-
tungssystem auf die Uferbefestigung. Die Austrittsstelle ist von der Wasserkan-
te des Hafenbeckens etwa 2,5 Meter entfernt. Soweit weiteres Xylol auslief,
wurde dieses durch eine Wanne aufgefangen. Die in dem 22 m langen
Löscharm verbliebene Menge, die in dem Abschlussbericht mit 570 Litern Xylol
angegeben wird, konnte in das Schiff zurückgepumpt werden.
Am Unfallort kamen zahlreiche Hilfskräfte zum Einsatz, und zwar die Freiwilli-
gen Feuerwehren der beklagten Städte Gernsheim, Riedstadt und Groß-Gerau
und anderer Gemeinden, (Biebesheim, Rüsselsheim, Erfelden, Goddelau), so-
wie das Technische Hilfswerk (THW) der Stadt Groß-Gerau und das Deutsche
Rote Kreuz (DRK). Insgesamt waren 232 Einsatzkräfte und 60 Einsatzfahrzeu-
ge über einen Zeitraum von ungefähr 13 Stunden vor Ort.
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Wegen der Kosten des Einsatzes verlangten die Beklagten von der Klägerin
Erstattung, und zwar die Beklagte zu 1 mit Bescheid vom 29. November 2004 in
Höhe von 55 047,96 €, die Beklagte zu 2 mit Bescheid vom 8. April 2005 in
Höhe von 7 093,35 € und die Beklagte zu 3 mit Bescheid vom 26. November
2004 in Höhe von 6 851,45 €. Die Bescheide der Beklagten zu 1 und 2 enthal-
ten auch Erstattungsbeträge für die Einsätze der Freiwilligen Feuerwehren
Biebesheim, Rüsselsheim, Erfelden, Goddelau und des THW Groß-Gerau so-
wie des DRK.
Die Klägerin erhob gegen die Kostenbescheide ohne Erfolg Widerspruch und
danach verwaltungsgerichtliche Klage.
Mit Beschluss vom 11. Dezember 2007 eröffnete das Amtsgericht Mainz auf
einen Antrag der Klägerin vom 11. September 2006 ein binnenschifffahrtsrecht-
liches Verteilungsverfahren. In dem Verteilungsverfahren meldeten auch die
Beklagten zu 1 bis 3 die durch den jeweiligen Kostenbescheid festgesetzten
Forderungen an.
Die Klägerin ist mit ihren gegen die Kostenbeschwerde der Beklagten gerichte-
ten Klagen vor dem Verwaltungsgericht erfolglos geblieben. Der Verwaltungs-
gerichtshof hat die Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und
die Berufungen zurückgewiesen. Zur Begründung hat er u.a. ausgeführt: Soweit
die Klägerin mit ihrem Hauptantrag die Aufhebung der angefochtenen Beschei-
de beantrage, sei der von ihr erhobene Einwand der Nichterforderlichkeit und
Unverhältnismäßigkeit des in Rechnung gestellten Feuerwehreinsatzes unbe-
gründet. Auch wenn sich im Ergebnis herausgestellt habe, dass kein Xylol in
das Hafenbecken gelangt sei, sei dies zum Zeitpunkt des Einsatzes keineswegs
sicher gewesen. Vielmehr seien die Beklagten zu diesem Zeitpunkt im Rahmen
ihrer Prognoseentscheidung zu Recht vom Bestehen einer entsprechenden Ge-
fahr ausgegangen. Die Situation sei von Unsicherheit gekennzeichnet gewesen.
So habe erst im Laufe des Einsatzes geklärt werden können, dass aus dem ins
Hafenbecken gefallenen Löscharm kein Xylol ins Wasser gelange. Die ange-
fochtenen Gebührenbescheide seien auch nicht dadurch der Höhe nach teil-
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weise rechtswidrig geworden, dass die Beklagten ihre durch die angefochtenen
Bescheide titulierten Forderungen im binnenschifffahrtsrechtlichen Verteilungs-
verfahren zur Tabelle angemeldet hätten. Die Anmeldung sei nur vorsorglich
und hilfsweise für den Fall erfolgt, dass die Forderungen der Haftungsbe-
schränkung des § 4 BinSchG unterlägen. Dies sei zu verneinen, so dass auch
der auf die Feststellung einer Haftungsbeschränkung nach dem Binnenschiff-
fahrtsgesetz gerichtete Hilfsantrag keinen Erfolg habe. Nach § 4 Abs. 3 Satz 2
BinSchG beziehe sich die Haftungsbeschränkung auch auf solche Ansprüche,
mit denen - wie hier - die Erstattung von Aufwendungen zur Schadensabwen-
dung geltend gemacht werde. Die Haftungsbeschränkung sei aber nach § 5
Nr. 4 BinSchG ausgeschlossen. Der Feuerwehreinsatz sei im Wesentlichen auf
den Gewässerschutz und nicht auf den Brandschutz gerichtet gewesen.
Zur Begründung ihrer vom Verwaltungsgerichtshof wegen grundsätzlicher Be-
deutung zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend: Das Berufungsge-
richt habe ebenso wie das Verwaltungsgericht verkannt, dass nach §§ 41 und 8
Abs. 3 der schifffahrtsrechtlichen Verteilungsordnung (SVertO) mit der Eröff-
nung des binnenschifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahrens sämtliche
Rechtsstreitigkeiten unterbrochen seien. Die Fortführung des Rechtsstreits trotz
dieser Unterbrechung stelle einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar. Die
Kostenanforderungen der Beklagten seien nicht berechtigt, da die Gefahr einer
Gewässerverunreinigung zu keiner Zeit bestanden habe. Der massive Feuer-
wehreinsatz sei unter keinem tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt ge-
rechtfertigt gewesen. Der Verwaltungsgerichtshof sei zu Unrecht zu dem Er-
gebnis gelangt, dass eine Haftungsbeschränkung nach den §§ 4 ff. BinSchG
nicht eingetreten sei. Zwar habe er rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Vo-
raussetzungen einer Haftungsbeschränkung nach § 4 BinSchG erfüllt seien.
Nach § 4 Abs. 3 Satz 2 BinSchG unterlägen auch Ansprüche auf Aufwen-
dungsersatz wegen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr der Haftungsbeschrän-
kung. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs sei die Haftungs-
beschränkung aber auch nicht nach § 5 Nr. 4 BinSchG ausgeschlossen.
Die Klägerin beantragt,
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die Urteile des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom
31. Juli 2008 und das Urteil des Hessischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 25. November 2010 zu ändern und die
Bescheide der Beklagten vom 26. und 29. November 2004
und vom 8. April 2005 sowie deren Widerspruchsbeschei-
de vom 19. September 2005 und vom 26. April 2007 und
17. Juli 2007 aufzuheben,
hilfsweise,
festzustellen, dass ihre Haftung nach den §§ 4 ff. BinSchG
und den Artikeln 2 Abs. 1 a und 6 b Abs. 1 CLNI be-
schränkt ist und den Beklagten über den Betrag hinaus,
der in dem schifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahren vor
dem Amtsgericht Mainz zu ihren Gunsten festgestellt wird,
kein weitergehender Anspruch gegen sie zusteht.
Die Beklagten beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigen das Berufungsurteil.
Die Beigeladenen haben im Revisionsverfahren keinen Antrag gestellt und sich
auch nicht zur Sache geäußert.
II
Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2
VwGO). Das angefochtene Urteil steht mit Bundesrecht im Einklang (§ 137
Abs. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof war durch das binnenschifffahrts-
rechtliche Verteilungsverfahren vor dem Amtsgericht Mainz, in dem die Beklag-
ten ihre durch die angefochtenen Kostenbescheide festgesetzten Forderungen
angemeldet hatten, nicht an einer Entscheidung gehindert (1.). Die Klägerin
dringt weder mit dem Begehren einer Änderung der Urteile des Verwaltungsge-
richtshofs und des Verwaltungsgerichts und einer Aufhebung der Kostenbe-
scheide der Beklagten durch, das sie mit dem Hauptantrag ihrer Revision ver-
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folgt (2.), noch kann sie mit ihrem hilfsweise angebrachten Feststellungsantrag
Erfolg haben (3.).
1. Die Revision ist nicht schon deshalb begründet, weil der Verwaltungsge-
richtshof nicht hätte entscheiden dürfen, sondern das binnenschifffahrtsrechtli-
che Verteilungsverfahren hätte abwarten müssen. Die Eröffnung dieses Verfah-
rens hat das Klageverfahren entgegen der Auffassung der Klägerin nicht unter-
brochen.
Nach § 8 Abs. 3 SVertO werden Rechtsstreitigkeiten wegen der in Absatz 1
näher bezeichneten Ansprüche, die bei der Eröffnung des seerechtlichen Ver-
teilungsverfahrens anhängig sind, mit dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses
unterbrochen, bis sie nach § 19 SVertO aufgenommen werden oder bis das
Verteilungsverfahren aufgehoben oder eingestellt wird. Nach § 41 SVertO ist
die Vorschrift des § 8 SVertO auf die Eröffnung des binnenschifffahrtsrechtli-
chen Verteilungsverfahrens mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle
der in § 8 Abs. 1 Nr. 2 SVertO bezeichneten Ansprüche die Ansprüche treten,
die der Haftungsbeschränkung nach den §§ 4 bis 5m BinSchG unterliegen.
Diese Voraussetzungen sind zwar in zeitlicher Hinsicht erfüllt, denn die Klägerin
hat ihre verwaltungsgerichtlichen Klagen am 5. Juni 2007, (3 E 969/07), am
17. August 2007, (3 E 1329/07) und am 21. Oktober 2005 (3 E 1895/05) erho-
ben. Das binnenschifffahrtsrechtliche Verteilungsverfahren wurde hingegen erst
mit Beschluss des Amtsgericht Mainz vom 11. Dezember 2007 und damit nach
Anhängigkeit dieser Rechtsstreitigkeiten eröffnet. Eine Unterbrechung der ver-
waltungsgerichtlichen Streitigkeiten ist dadurch gleichwohl nicht eingetreten.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteile vom 13. März 1980
- II ZR 239/78 - BGHZ 76, 206 <210 f.> und vom 25. April 1988 - II ZR 252/86 -
BGHZ 104, 215 <218> kann ein Rechtsstreit wegen eines Anspruchs aus der
Verwendung des Schiffes trotz Eröffnung des seerechtlichen Verteilungsverfah-
rens fortgesetzt werden, soweit der Gläubiger die unbeschränkte Haftung des
Schuldners behauptet und daher den Anspruch außerhalb des Verteilungsver-
fahrens weiterverfolgen will. Eine vergleichbare Konstellation liegt auch hier vor.
Die Beklagten haben ihre Forderungen im binnenschifffahrtsrechtlichen Vertei-
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lungsverfahren nur vorsorglich angemeldet. Sie sind nämlich der Auffassung,
dass die Voraussetzungen des § 4 BinSchG hinsichtlich dieser Forderungen
nicht vorliegen und die Klägerin deshalb insoweit unbeschränkt haftet. Aufgrund
dessen stellten sie die angefochtenen Gebührenbescheide auch nicht unter den
Vorbehalt einer Haftungsbeschränkung und haben sie im gerichtlichen Verfah-
ren uneingeschränkt weiterverfolgt.
2. Die Revision bleibt mit ihrem Hauptantrag erfolglos. Der Verwaltungsge-
richtshof hat die angefochtenen Kostenbescheide ohne Verstoß gegen Bundes-
recht als rechtmäßig beurteilt. Die Vereinbarkeit dieser Bescheide mit ihren lan-
desrechtlichen Rechtsgrundlagen unterliegt nicht der Prüfung im Revisionsver-
fahren (a)). Eine Haftungsbeschränkung nach §§ 4 ff. BinSchG hat keinen Ein-
fluss auf die Rechtmäßigkeit der Kostenbescheide.
a) Der Verwaltungsgerichtshof hat die tatsächlichen und rechtlichen Vorausset-
zungen der von den angefochtenen Bescheiden herangezogenen Rechtsgrund-
lage in Gestalt des § 61 Abs. 3 des Hessischen Brand- und Katastrophen-
schutzgesetzes i.V.m. den Feuerwehrgebührensatzungen der Beklagten bejaht.
Er hat insbesondere angenommen, dass eine Gefahr vorlag, zu deren Abwen-
dung die abgerechneten Feuerwehrleistungen erforderlich waren. Den Einwen-
dungen, die die Klägerin hiergegen im Revisionsverfahren weiterhin geltend
macht, kann der erkennende Senat wegen seiner einerseits durch § 137 Abs. 1
VwGO, § 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO, andererseits durch § 137 Abs. 2 VwGO
bewirkten Bindungen nicht nachgehen.
Die revisionsgerichtliche Bindung an die tatsächlichen Feststellungen des Beru-
fungsurteils ist nicht durch die von der Klägerin erhobene Rüge entfallen, der
Verwaltungsgerichtshof habe gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht nach
§ 86 Abs. 1 VwGO verstoßen, weil er wegen des Bestehens einer Gefahrenlage
ein Sachverständigengutachten nicht eingeholt und weiteren Zeugenbeweis
nicht erhoben habe. Die Aufklärungsrüge setzt nicht nur die substantiierte Dar-
legung voraus, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf
bestanden hat, welche Beweismittel hierfür in Betracht kamen und welche tat-
sächlichen Feststellungen voraussichtlich getroffen worden wären, sondern
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auch, dass die Nichterhebung der Beweise vor dem Tatsachengericht rechtzei-
tig gerügt worden ist bzw. die unterbliebene Beweisaufnahme sich ihm hätte
aufdrängen müssen. Zumindest an der zuletzt genannten Voraussetzung fehlt
es hier. Das Verwaltungsgericht hat den Sachverhalt umfassend - auch durch
Vernehmung von Zeugen - ermittelt. Die Klägerin hat weder einen förmlichen
Beweisantrag gestellt noch eine unterlassene Beweisaufnahme gerügt. Ange-
sichts dessen hat es sich dem Berufungsgericht auch nicht aufdrängen müssen,
weitere Zeugen zu befragen oder ein Sachverständigengutachten einzuholen.
b) Die angefochtenen Kostenbescheide können auch mit Blick auf die von der
Klägerin geltend gemachte Haftungsbeschränkung nach §§ 4 ff. BinSchG nicht
ganz oder teilweise rechtwidrig geworden sein.
Die angefochtenen Bescheide wurden vor der mit Beschluss vom 11. Dezem-
ber 2007 erfolgten Eröffnung des binnenschifffahrtsrechtlichen Verteilungsver-
fahrens und der dadurch gemäß § 8 Abs. 1, § 41 SVertO, § 5 d Abs. 2 BinSchG
bewirkten Haftungsbeschränkung nach §§ 4 ff. BinSchG erlassen. Eine solche
nachträglich eingetretene Haftungsbeschränkung berührt nicht die Rechtmäßig-
keit der Bescheide. Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit dem Insolvenz-
recht. Wird über das Vermögen eines Abgabenschuldners das Insolvenzverfah-
ren eröffnet, darf dieser nach der Eröffnung grundsätzlich nicht mehr durch Ab-
gabenbescheid zur Leistung der Abgabe verpflichtet werden, wogegen Gebüh-
renbescheide die bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlassen wer-
den, nicht nachträglich rechtswidrig, sondern nur in ihrer Vollziehbarkeit einge-
schränkt werden (Beschluss vom 9. Oktober 2006 - BVerwG 3 B 76.06 - juris
Rn. 22).
Diese Grundsätze können auf das schifffahrtsrechtliche Verteilungsverfahren
übertragen werden, da dieses mit dem Insolvenzverfahren vergleichbar ist
(von Waldstein/Holland, Binnenschifffahrtsrecht, 5. Aufl. 2007, § 5 d BinSchG
Rn. 5). Die Übereinstimmung der Verfahrensgrundsätze findet ihre Ausprägung
auch in § 8 Abs. 4 Satz 1 SVertO. Nach dieser Bestimmung ist die Zwangsvoll-
streckung wegen der in Absatz 1 der Vorschrift genannten Ansprüche nach der
Eröffnung des Verteilungsverfahrens unzulässig, bis das Verfahren aufgehoben
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oder eingestellt wird. Nach § 8 Abs. 4 Satz 2 SVertO ist die Unzulässigkeit der
Zwangsvollstreckung im Wege der Klage bei dem Prozessgericht des ersten
Rechtszugs geltend zu machen. Übertragen auf die Festsetzung von Gebühren
und Kosten folgt hieraus, dass ein bereits vor Eröffnung des Verteilungsverfah-
rens durch Bescheid herangezogener Schuldner mit Bezug auf eine geltend
gemachte Haftungsbeschränkung nicht die Aufhebung des Bescheids nach
§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, sondern nur die Feststellung seiner Nichtvollzieh-
barkeit verlangen kann. Auf eine solche Feststellung der Nichtvollziehbarkeit
liefe es auch hinaus, wenn die von der Klägerin hilfsweise beantragte Feststel-
lung des Bestehens einer Haftungsbeschränkung ausgesprochen würde.
3. Auch mit ihrem Hilfsantrag ist die Revision jedoch zurückzuweisen. Das Be-
rufungsgericht hat die beantragte Feststellung zu Recht nicht ausgesprochen,
weil die Haftung der Klägerin hinsichtlich der streitgegenständlichen Gebühren-
forderungen nicht nach § 4 BinSchG beschränkt ist.
Nach § 4 Abs. 1 BinSchG kann der Schiffseigner seine Haftung für Ansprüche
wegen Personen- und Sachschäden, die an Bord oder in unmittelbarem Zu-
sammenhang mit dem Betrieb des Schiffes oder mit einer Bergung einschließ-
lich einer Wrackbeseitigung eingetreten sind, sowie für Ansprüche aus Wrack-
beseitigung beschränken, es sei denn, das Schiff wird zum Sport oder zur Erho-
lung und nicht des Erwerbes wegen verwendet. Die Ansprüche unterliegen der
Haftungsbeschränkung unabhängig davon, auf welcher Grundlage sie beruhen,
ob sie privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur sind und ob sie auf
Grund eines Vertrages oder sonstwie als Rückgriffs- oder Entschädigungsan-
sprüche geltend gemacht werden. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BinSchG sind An-
sprüche wegen Sachschäden - 1. - solche wegen des Verlusts oder der Be-
schädigung von Sachen, - 2. - solche wegen der Verspätung bei der Beförde-
rung von Gütern, Reisenden oder deren Gepäck und - 3. - sonstige Vermö-
gensschäden wegen der Verletzung nichtvertraglicher Rechte. Nach § 4 Abs. 3
Satz 2 BinSchG sind Ansprüche wegen Sachschäden ferner Ansprüche einer
anderen Person als des Schuldners wegen Maßnahmen zur Abwendung oder
Verringerung von Personen- oder Sachschäden, für die der Schuldner seine
Haftung beschränken kann. Die Kostenforderungen sind keine Ansprüche we-
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gen Personen- oder Sachschäden, und zwar weder im Sinne des § 4 Abs. 3
Satz 1 BinSchG noch im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 2 BinSchG. Sie sind des-
halb von vornherein nicht von der Haftungsbeschränkung des § 4 BinSchG er-
fasst. Auf die von dem Berufungsgericht bejahte Frage eines Ausschlusses der
Haftungsbeschränkung nach § 5 Nr. 4 BinSchG kommt es deshalb nicht an.
Ein Anspruch „wegen Personen- und Sachschäden“ setzt von seinem Wortlaut
her nicht voraus, dass der Anspruch auf Ersatz eines eingetretenen Schadens
gerichtet ist. Vielmehr reicht es aus, wenn ein Kausalverhältnis zwischen einem
eingetretenen oder drohenden Schaden und einem hieraus entstandenen, also
damit kausal verknüpften Anspruch besteht. Der Begriff „wegen“ lässt darüber
hinaus auch eine im Sinne einer Vermeidungsabsicht intentionale oder finale
Verknüpfung zu, so dass beispielsweise auch ein Anspruch auf Aufwendungs-
ersatz zur Verhütung eines drohenden Schadens unter den Begriff „Anspruch
wegen Personen- und Sachschäden“ subsumiert werden kann. Mit dieser wei-
ten Auslegung stimmt es überein, dass die Ansprüche nach § 4 Abs. 1 Satz 2
BinSchG unabhängig davon der Haftungsbeschränkung unterliegen, auf wel-
cher Grundlage sie beruhen, ob sie privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher
Natur sind und ob sie auf Grund eines Vertrages oder sonstwie als Rückgriffs-
oder Entschädigungsansprüche geltend gemacht werden. Ansprüche „wegen“
Personen- und Sachschäden sind demnach nicht nur Schadensersatz-, son-
dern auch Rückgriffs- oder Entschädigungsansprüche. Diese Auslegung wird
durch die Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 2 BinSchG bestätigt, wonach Ansprü-
che wegen Sachschäden auch Ansprüche einer anderen Person als des
Schuldners wegen Maßnahmen zur Abwendung oder Verringerung von Perso-
nen- oder Sachschäden sind, für die der Schuldner seine Haftung beschränken
kann. Aufgrund der weiten Auslegung des Begriffs „Ansprüche wegen Perso-
nen- und Sachschäden“ und der Bestimmungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 und
Abs. 3 Satz 2 BinSchG ist es mithin durchaus möglich, auch Aufwendungser-
satzansprüche wegen eines Feuerwehreinsatzes unter § 4 BinSchG zu subsu-
mieren. Allerdings müssen solche Ansprüche in einem wie auch immer gearte-
ten Zusammenhang mit einem eingetretenen oder drohenden Personen- oder
Sachschaden stehen.
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Bei § 4 Abs. 1 Satz 2 BinSchG ergibt sich die Notwendigkeit eines solchen Zu-
sammenhangs mit einem Personen- oder Sachschaden aus dem systemati-
schen Zusammenhang mit § 4 Abs. 1 Satz 1 BinSchG und dem Willen des Ge-
setzgebers. Durch die Einbeziehung der Rückgriffs- und Entschädigungsan-
sprüche soll der Schiffseigner davor geschützt werden, dass Gläubiger die Haf-
tungsbeschränkung dadurch unterlaufen, dass sie einen anderen Haftpflichti-
gen, der seine Haftung nicht beschränken kann, in Anspruch nehmen, der dann
seinerseits unbeschränkt Regress nimmt (BTDrucks 13/8446, S. 19 f.; von
Waldstein/Holland, Binnenschifffahrtsrecht, 5. Aufl. 2007, § 4 BinSchG Rn. 6).
Ein solches Unterlaufen der Haftungsbeschränkung ist indes nur möglich, wenn
die Voraussetzungen für ihr Eingreifen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BinSchG gege-
ben sind. § 4 Abs. 1 Satz 2 BinSchG knüpft damit an einen Personen- oder
Sachschaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 BinSchG an und stellt nur klar,
dass „Ansprüche wegen Personen- oder Sachschäden“ nicht nur solche auf
Ersatz solcher Schäden darstellen, sondern auch solche, die in anderer Weise
mit solchen Schäden zusammenhängen. Noch deutlicher ist dieser Zusammen-
hang bei § 4 Abs. 3 Satz 2 BinSchG. Ansprüche wegen Sachschäden sind da-
nach auch Ansprüche wegen Maßnahmen zur Abwendung oder Verringerung
von „Personen- oder Sachschäden“. Kostenersatzansprüche unterfallen danach
nur dann der Haftungsbeschränkung des § 4 Abs. 1 BinSchG, wenn die ihnen
zugrundeliegende Maßnahme durch eine Abwendungs- oder Verringerungsab-
sicht mit einem Personen- oder Sachschaden im Sinne des § 4 Abs. 2 und 3
BinSchG in einen abwendungsintentionalen Zusammenhang gebracht werden
kann.
Die hier streitgegenständlichen Kostenforderungen stehen in keinem solchen
Zusammenhang. Der Verwaltungsgerichtshof (UA S. 21) hat mit für den Senat
bindender Wirkung festgestellt, dass die Feuerwehren der beklagten Städte
tätig geworden sind, weil Xylol aus dem Schiff bzw. aus dem an das Schiff an-
geschlossenen, bereits im Hafenbecken hängenden Ladearm in das Hafenbe-
cken zu fließen drohte. Es ging damit um die Abwendung eines Umweltscha-
dens in Gestalt einer Gewässerverschmutzung. Eine Explosion- oder Brandge-
fahr wurde von den Einsatzkräften, wie sich aus der von dem Verwaltungsge-
richtshof (UA S. 16) weiter in Bezug genommenen Niederschrift über die münd-
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liche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 31. Juli 2008 ergibt, nur
insoweit in den Blick genommen, als sie als Folge der Maßnahmen zur Abwen-
dung der Gewässerverschmutzung hätte entstehen können, In dem von § 4
Abs. 1 Satz 1 BinSchG geforderten unmittelbaren Zusammenhang mit dem
Schiffsbetrieb stand deshalb nur die direkt als Folge des Unfalls eingetretene
Gewässergefahr. Eine Gewässerverschmutzung stellt indes keinen (drohenden)
Schaden im Sinne des § 4 BinSchG dar. Sie ist ersichtlich kein Personenscha-
den nach § 4 Abs. 2 BinSchG und erfüllt auch nicht die Merkmale eines Sach-
schadens gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 BinSchG. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
BinSchG sind Ansprüche wegen Sachschäden solche wegen des Verlusts oder
der Beschädigung von Sachen. Der Zweck des Einsatzes lag nicht darin, einen
drohenden Verlust des Transportguts Xylol und den damit verbundenen Scha-
den abzuwenden, sondern - wie dargelegt - die durch das Auslaufen dieses
Stoffes drohende Gewässerverschmutzung zu verhindern. In einer solchen
Verschmutzung hätte auch keine Beschädigung des Wassers im Hafenbecken
gelegen. Dieses Wasser stellt keine Sache dar. Der Sachbegriff in § 4 Abs. 3
Satz 1 Nr. 1 BinSchG entspricht dem des § 90 BGB und umfasst sämtliche kör-
perliche Gegenstände ungeachtet des Aggregatzustands (BTDrucks 13/8446,
S. 20; von Waldstein/Holland, Binnenschifffahrtsrecht, 5. Aufl. 2007, § 4
BinSchG Rn. 12). Nach § 90 BGB sind Sachen nur körperliche Gegenstände.
Körperliche Gegenstände müssen im Raum abgrenzbar sein; dies trifft für All-
gemeingüter wie freie Luft und fließendes Wasser nicht zu (Ellenberger, in:
Palandt, BGB, 70. Aufl. 2011, Überblick vor § 90 Rn. 8 und § 90 Rn. 1). Eine
(eigentumsfähige) Sache stellt nur geschöpftes oder in sonstiger Form abge-
grenztes Wasser dar (Ellenberger, in: Palandt, BGB, 70. Aufl. 2011, Überblick
vor § 90 Rn. 8). Bei dem hier in Rede stehenden Wasser im Hafenbecken von
Gernsheim handelt es sich aber nicht um solchermaßen abgegrenztes Wasser.
Das Wasser im Hafenbecken ist mit dem Rhein verbunden und damit Bestand-
teil eines fließenden Gewässers. Die drohende Verunreinigung dieses Gewäs-
sers war deshalb keine drohende Beschädigung einer Sache.
Die drohende Gewässerverunreinigung ist auch kein Sachschaden im Sinne
des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BinSchG. Danach sind Ansprüche wegen Sach-
schäden auch solche wegen der Verspätung bei der Beförderung von Gütern,
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Reisenden oder deren Gepäck. Der Unfall mag auch dazu geführt haben, dass
es bei der seitens der Klägerin geschuldeten Transportleistung im Verhältnis zu
ihren Vertragspartnern zu einer verspäteten Anlieferung des Transportguts
kam. Auch mit diesem Schaden ist aber der abgerechnete Feuerwehreinsatz
weder kausal noch durch eine Abwendungsintention verknüpft. Der Einsatz be-
ruhte nicht auf einem solchen Schaden und diente nicht seiner Abwendung,
sondern - wie dargelegt - dem Gewässerschutz.
Die Annahme eines sonstigen Vermögensschadens wegen der Verletzung
nichtvertraglicher Rechte gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BinSchG scheidet
ebenfalls aus.
Die Vorschrift erfasst Fälle der Verletzung von absoluten Rechten, wenn diese
nur zu einem Vermögensschaden führen (von Waldstein/Holland, Binnenschiff-
fahrtsrecht, 5. Aufl. 2007, § 4 BinSchG Rn. 15). Eine solche Konstellation liegt
hier nicht vor. Die Klägerin hat keine nichtvertraglichen Rechte der Beklagten
verletzt. Aus diesem Grunde liegt ein (abgewendeter) Vermögensschaden im
Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BinSchG auch nicht in den Kosten, die im
Falle eines Auslaufens des Xylols durch seine erforderliche Beseitigung und
Eindämmung verursacht worden wären.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Neumann
Büge
Dr. Graulich
Dr. Möller
Dr. Wysk
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf
68 992,76 € festgesetzt.
Neumann
Büge
Dr. Graulich
Dr. Möller
Dr. Wysk
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Polizeirecht, allgemeines
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
VwGO
§ 113 Abs. 1 Satz 1
SVertO
§§ 8 Abs. 3, 41
BinSchG
§§ 4 bis 5m
BGB
§ 90
Stichworte:
Verteilungsverfahren; Binnenschifffahrtsrecht; Verwaltungsrechtsstreit; Unter-
brechung; Haftungsbeschränkung; Gebührenbescheid; Feuerwehreinsatz; Ge-
wässerverunreinigung; Sachschaden; Sache; Wasser, fließendes Gewässer.
Leitsatz:
Eine nachträglich eingetretene Haftungsbeschränkung nach §§ 4 ff BinSchG
berührt nicht die Rechtmäßigkeit eines ordnungsrechtlichen Kostenbescheides,
sondern wirkt sich nur auf seine Realisierbarkeit bzw. Vollstreckbarkeit aus.
Eine Gewässerverunreinigung ist kein Sachschaden im Sinne des § 4 Abs. 3
Satz 1 BinSchG. Die Forderung von Kosten für den Einsatz der Feuerwehr zum
Zweck der Abwendung einer solchen Verunreinigung unterliegen deshalb nicht
der Haftungsbeschränkung nach § 4 BinSchG.
Urteil des 6. Senats vom 23. November 2011 - BVerwG 6 C 6.11
I. VG Darmstadt vom 31.07.2008 - Az.: VG 3 E 1895/05 (4) -
II. VGH Kassel
vom 25.11.2010 - Az.: VGH 8 A 3077/09 -