Urteil des BVerwG vom 17.09.2003

Politische Partei, Einberufung, Widerruf, Mitgliedschaft

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 6 C 4.03
Verkündet
VG 4 E 4325/99
am 17. September 2003
Thiele
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 17. September 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
B ü g e , Dr. G r a u l i c h , V o r m e i e r und Prof. Dr. R e n n e r t
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsge-
richts Gießen vom 29. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I.
Der Kläger ist Oberleutnant der Reserve und wurde mit Bescheid des Kreiswehrer-
satzamtes Wetzlar vom 5. Mai 1997 zur Alarmreserve bei einem Panzerbataillon
einberufen. Mit Erlass vom 31. Oktober 1997 an das Personalamt der Bundeswehr
stellte das Bundesministerium der Verteidigung fest, der Kläger sei Funktionsträger
der Partei "Die Republikaner", und ordnete an, die bestehende Beorderung aufzuhe-
ben und ihn von weiteren Wehrübungen auszuschließen. Daraufhin teilte das Perso-
nalamt der Bundeswehr dem Kläger am 5. November 1997 mit, aufgrund ministeriel-
ler Weisung sei die Aufhebung seiner Mobilmachungsbeorderung veranlasst worden;
die Personalmaßnahme werde mit dem Widerruf des Einberufungsbescheides wirk-
sam.
Das Kreiswehrersatzamt widerrief mit Bescheid vom 6. November 1997 den Einberu-
fungsbescheid vom 5. Mai 1997. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die
Wehrbereichsverwaltung IV mit Bescheid vom 16. März 1998 zurück. Zur Begrün-
dung wurde u.a. ausgeführt, der Widerrufsbescheid sei kein belastender Verwal-
tungsakt gewesen. Unabhängig davon sei er ermessensfehlerfrei ergangen. Ange-
sichts zwar vereinzelter, aber ernst genommener Vorkommnisse mit extremistischem
Hintergrund übe die Bundeswehr derzeit ihr Einberufungsermessen so aus, dass
lediglich Führungskräfte zu Reserveübungen einberufen würden, bei denen nicht nur
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jeglicher Anfangsverdacht auf Unterstützung von oder Sympathie mit verfassungs-
feindlichen Bestrebungen ausgeschlossen sei, sondern die auch erwarten ließen,
dass sie bei Erkenntnissen dieser Art sofort und nachhaltig einschritten und gegen-
steuernd wirkten. Zwar könne nicht pauschal unterstellt werden, dass die Angehöri-
gen der Partei "Die Republikaner" nicht auf dem Boden der freiheitlichen und demo-
kratischen Grundordnung stünden. Nach dem Verfassungsschutzbericht 1996 be-
stünden jedoch noch immer Anhaltspunkte für Bestrebungen zumindest einzelner
Flügel und Gruppierungen dieser Partei, die mit der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung nicht vereinbar seien.
Die gegen den Widerruf der Einberufung gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht
mit Urteil vom 29. Oktober 2002 im Wesentlichen mit folgender Begründung abge-
wiesen: Die Beklagte halte sich innerhalb ihres Ermessensspielraums, wenn sie
davon ausgehe, die Bundeswehr sei als sicherheitssensible Institution darauf ange-
wiesen, dass ihr Führungspersonal nicht nur jederzeit für die freiheitliche demokrati-
sche Grundordnung eintrete, sondern auch gegen dagegen gerichtete Aktivitäten
jederzeit vorgehe. Wenn sie dies bei dem Kläger als Mandats- und Funktionsträger
der Partei "Die Republikaner" nicht für gegeben erachte, sei dies rechtlich nicht zu
beanstanden.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger rechtzeitig Revision eingelegt. Zur Begründung
wird im Wesentlichen ausgeführt, der Widerruf der Einberufung und das insoweit
bestätigende Urteil des Verwaltungsgerichts verstießen gegen § 49 Abs. 2 VwVfG
und gegen Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 GG. Durch den Widerruf werde ihm, dem
Kläger, die Möglichkeit zur Erfüllung seiner von ihm für bedeutsam erachteten
staatsbürgerlichen Pflichten genommen. Die rechtliche Behandlung seiner Parteizu-
gehörigkeit verstoße gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
zum Parteienprivileg. Das Urteil verletze auch den Grundsatz des rechtlichen Ge-
hörs, weil es im Tatbestand nicht die Tatsache erwähne, dass der Beklagten bereits
seit März 1993 seine Parteizugehörigkeit bekannt gewesen sei. Es erwähne auch
nicht, dass er im Verfahren deutlich gemacht habe, dass er nie in rechtsextremisti-
schen Zeitschriften publiziert habe; allenfalls seien Pressemitteilungen als solche
Artikel gekennzeichnet worden. Außerdem handele es sich um ein Überraschungsur-
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teil; das Verwaltungsgericht gehe nämlich von einer in Literatur und Rechtsprechung
bislang nicht vertretenen Unanwendbarkeit von § 49 Abs. 2 VwVfG aus.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und den Bescheid der Be-
klagten vom 6. November 1997 in der Gestalt des Wider-
spruchsbescheids vom 16. März 1998 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie meint, dem Kläger fehle bereits die Klagebefugnis. Jedenfalls sei die Klage un-
begründet. Der Kläger habe kein Recht auf Heranziehung zum Wehrdienst und
schon gar keinen Anspruch darauf, dass sie, die Beklagte, ihr in diesem Zusammen-
hang bestehendes Auswahlermessen rechtmäßig ausübe; dies gelte umso mehr für
den umgekehrten Fall des Widerrufs eines Einberufungsbescheids. Der Widerruf
widerspreche auch nicht dem Geist der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts zum Parteienprivileg nach Art. 21 GG, denn dem Kläger seien wegen seiner
Parteizugehörigkeit und -arbeit keine rechtlichen Sanktionen angedroht oder gar zu-
gefügt worden.
II.
Die Revision ist unbegründet.
1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts leidet nicht unter einem der geltend gemachten
Verfahrensmängel.
a) Das Urteil verletzt den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO)
nicht dadurch, dass es im Tatbestand unerwähnt lässt, der Beklagten sei nicht erst
im Zeitpunkt des Widerrufs, sondern bereits seit März 1993 die Zugehörigkeit des
Klägers zur Partei "Die Republikaner" bekannt gewesen. Entsprechendes gilt für die
im Urteil enthaltene Bewertung von Veröffentlichungen des Klägers als Publikationen
in rechtsextremistischen Zeitschriften, welche aber nur Pressemitteilungen gewesen
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seien. Ein Gehörsverstoß liegt nicht vor, weil es für die dem Urteil zugrunde liegende
materiellrechtliche Position auf beide Sachverhaltsfragen nicht entscheidend ankam.
Auf eine frühere Kenntnis der Parteimitgliedschaft des Klägers kam es nach Ansicht
des Verwaltungsgerichts nicht an, weil die Beklagte im Zeitpunkt der Einberufung zur
Alarmreserve noch mit der Prüfung der Frage befasst gewesen sei, ob die bloße Mit-
gliedschaft in dieser Partei für Zweifel an der Eignung eines Wehrpflichtigen als Füh-
rungskraft der Reserve ausreiche. Das Verwaltungsgericht hat daher durchaus zur
Kenntnis genommen und seiner rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt, dass der
Beklagten bereits zum Zeitpunkt der Einberufung zur Alarmreserve die politischen
Aktivitäten des Klägers für die "Republikaner" bekannt waren. Wann genau die Be-
klagte davon erstmals erfahren hat, war hingegen für die rechtliche Beurteilung im
angefochtenen Urteil offensichtlich unbeachtlich. Auf eine vertiefte Bewertung der
Veröffentlichungen des Klägers kam es nicht an, weil das Verwaltungsgericht es für
die Bestätigung des angefochtenen Widerrufs als ausreichend angesehen hat, dass
der Kläger Funktions- und Mandatsträger seiner Partei war.
b) Der Einwand des Klägers, er sei durch das angefochtene Urteil in unzulässiger
Weise überrascht worden, greift ebenfalls nicht durch. Ein unzulässiges Überra-
schungsurteil liegt vor, wenn eine Entscheidung auf Gründe gestützt wird, die weder
im Verwaltungsverfahren noch im -prozess erörtert worden sind (§ 86 Abs. 3 und
§ 104 Abs. 1 VwGO) und mit deren Erheblichkeit für die Entscheidung nach dem
bisherigen Prozessverlauf auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter
nicht rechnen musste (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2002, § 86 Rn. 22
m.w.N.). Dies ist weder im Hinblick auf die Behandlung von § 49 Abs. 2 VwVfG noch
betreffend die Bewertung rechtsextremistischer Vorfälle in der Bundeswehr der Fall:
aa) Durch das Schreiben der Berichterstatterin vom 14. Mai 2002 hat sich das Ver-
waltungsgericht nicht bereits darauf festgelegt, den angefochtenen Widerrufsbe-
scheid am Maßstab der Regelung in § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG zu messen.
Vielmehr hat es lediglich die Prüfung angekündigt, ob der angefochtene Bescheid
den Voraussetzungen der genannten Vorschrift genügen müsse. Ähnlich zurückhal-
tend ist der dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligende Beschluss des Verwal-
tungsgerichts vom 29. Mai 2002 - 4 J 705/00 - formuliert. Dort heißt es, die rechtliche
Beurteilung des angefochtenen Widerrufsbescheides werfe eine Reihe von sehr
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komplexen Fragen auf, deren abschließende Klärung im gegenwärtigen Zeitpunkt
noch nicht möglich sei. Die Prüfung des Widerrufsbescheides am Maßstab des § 49
Abs. 2 VwVfG wird nur als möglich, nicht aber als geboten dargestellt. Angesichts
dessen durfte es den juristisch vorgebildeten Kläger, der sich bei Ergehen des ange-
fochtenen Urteils im juristischen Vorbereitungsdienst befand, nicht überraschen, dass
das Verwaltungsgericht im Urteil den Widerruf des Einberufungsbescheides nicht den
strengen Anforderungen des § 49 Abs. 2 VwVfG unterworfen hat.
bb) Soweit der Kläger darüber hinaus beanstandet, das Verwaltungsgericht sei ent-
gegen seiner Ankündigung im Prozesskostenhilfebeschluss der Frage nach extre-
mistischen Vorkommnissen in der Bundeswehr nicht weiter nachgegangen, ist seine
Gehörsrüge schon nicht schlüssig. Er hat weder behauptet noch dargelegt, dass es
derartige Vorfälle im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung nicht
gegeben hat.
c) Soweit die Revisionsbegründung weitere - nicht von § 138 VwGO erfasste - Ver-
fahrensrügen enthält, sieht der Senat mit Blick auf die nachfolgenden Ausführungen
zur Begründetheit der Klage von einer Begründung ab (§ 144 Abs. 7 VwGO).
2. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht als zulässig (a), aber unbegründet
(b) angesehen.
a) Das Begehren des Klägers ist in der Form der Anfechtungsklage statthaft (§ 42
Abs. 1 VwGO). Der Kläger erstrebt mit seiner Klage die Wiederherstellung des Be-
scheides des Kreiswehrersatzamtes Wetzlar vom 5. Mai 1997, mit dem er zur Alarm-
reserve bei einem Panzerbataillon einberufen wurde. Dabei handelte es sich um eine
bedingte Einberufung für den Verteidigungsfall nach § 4 Abs. 1 Nr. 4, § 48 Abs. 2
WPflG. Dieser Einberufungsbescheid ist durch den Bescheid des Kreiswehrersatz-
amtes Wetzlar vom 6. November 1997 widerrufen worden. Die Aufhebung dieses
Bescheides verlangt der Kläger im vorliegenden Verfahren.
Der Kläger ist auch klagebefugt, denn er macht eine mögliche Verletzung eigener
Rechte geltend (§ 42 Abs. 2 VwGO). Zwar geht die Einberufung eines Wehrpflichti-
gen zur Alarmreserve nicht mit der Begründung von subjektiv-öffentlichen Rechten
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zugunsten des Einberufenen einher, die dieser im Wege der Anfechtungsklage ver-
teidigen könnte; das folgt aus dem Umstand, dass die Wehrersatzbehörden über die
Einberufung nicht im privaten Interesse der Wehrpflichtigen, sondern ausschließlich
im öffentlichen Interesse einer optimalen, an der Eignung der Wehrpflichtigen ausge-
richteten Personalbedarfsdeckung der Bundeswehr entscheiden (vgl. Urteil vom
22. Januar 2003 - BVerwG 6 C 18.02 - DÖV 2003, 683). Doch sind im Wider-
spruchsbescheid der Wehrbereichsverwaltung IV vom 16. März 1998 - letztlich aus-
gelöst durch den Erlass des Bundesministeriums der Verteidigung vom 31. Oktober
1997 - über die gewöhnlichen Aspekte der Personalplanung hinausgehende, in be-
sonderer Weise personenbezogene Gründe für die Entlassung des Klägers aus der
Alarmreserve mitgeteilt worden. Danach war seine Mitgliedschaft in der Partei "Die
Republikaner" für die Widerrufsentscheidung bestimmend. Dies wirft die Frage nach
den äußersten Grenzen des nicht im Interesse des Wehrpflichtigen gerichtlich über-
prüfbaren Auswahl- und Organisationsermessens der Wehrersatzbehörden auf. Dass
solche Grenzen unter Verletzung von subjektiven Rechten des Klägers überschritten
sein könnten, ist hier nicht eindeutig ausgeschlossen. Das reicht nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Erfüllung der Voraussetzungen
des § 42 Abs. 2 VwGO aus (vgl. Urteil vom 22. Januar 2003 - BVerwG 6 C 18.02 -
).
b) Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen den Widerruf des Einberufungsbe-
scheides zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Kläger wird durch die ange-
fochtenen Bescheide nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO).
aa) Da die Entscheidungen über die Einberufung von Wehrpflichtigen - wie bereits
bemerkt - ausschließlich im öffentlichen Interesse an einer optimalen Personalbe-
darfsdeckung der Bundeswehr ergehen und nicht zugleich auch den privaten Inte-
ressen der Wehrpflichtigen dienen, hat ein Wehrpflichtiger kein Recht auf Heranzie-
hung zum Wehrdienst; ebenso wenig hat er einen Anspruch darauf, dass die Behör-
de das ihr in diesem Zusammenhang eingeräumte Auswahlermessen rechtmäßig
ausübt (vgl. Urteil vom 25. April 1979 - BVerwG 8 C 52.77 - BVerwGE 58, 37 <40>;
Urteil vom 26. Februar 1993 - BVerwG 8 C 20.92 - BVerwGE 92, 153 <157> m.w.N.;
Urteil vom 22. Januar 2003 - BVerwG 6 C 18.02 -, a.a.O.).
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Gleichwohl braucht der Wehrpflichtige nicht jede Auswahlentscheidung der Behörde
ohne die Möglichkeit der Gegenwehr hinzunehmen. Namentlich kann er verlangen,
dass die Behörde über seine Heranziehung oder Nichtheranziehung zum Wehrdienst
frei von Willkür, d.h. ohne die Absicht entscheidet, ihn in sachwidriger Weise zu
benachteiligen. In einem derartigen Fall liegt nicht nur ein Missbrauch des der Be-
hörde eingeräumten Ermessens und damit eine Verletzung von objektivem Recht,
sondern darüber hinaus auch ein Übergriff in die verfassungsrechtlich geschützte
Individualrechtssphäre des Wehrpflichtigen vor, die dieser abzuwehren berechtigt ist.
Denn kein Bürger braucht im Rechtsstaat eine ihn gezielt benachteiligende Willkür-
entscheidung der Behörde zu dulden; vielmehr kann er unter Berufung auf das je-
weils berührte Grundrecht die Aufhebung dieser Entscheidung oder ihrer benachtei-
ligenden Wirkungen erreichen (vgl. Urteil vom 22. Januar 2003 a.a.O. m.w.N.).
bb) Der Widerruf der Einberufung zur Alarmreserve entbehrt nicht etwa deswegen zu
Lasten des Klägers von vornherein der sachlichen Rechtfertigung, weil die Bezug-
nahme der Beklagten auf die Mitgliedschaft des Klägers in der Partei "Die Republi-
kaner" mit dem aus Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG herzuleitenden sog. Parteienprivileg un-
vereinbar wäre.
Nach Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG ist die verbindliche Entscheidung darüber, dass eine
Partei verfassungswidrig ist, dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Bis zu die-
sem Zeitpunkt darf die Partei in ihrer politischen Tätigkeit nicht behindert werden.
Daneben erstreckt sich das Privileg des Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG auch auf die par-
teioffizielle bzw. parteiverbundene Tätigkeit der Funktionäre, Mitglieder und Anhän-
ger einer Partei (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 - BvL 13/73 - BVerfGE
39, 334, 357; Beschluss vom 29. Oktober 1975 - 2 BvE 1/75 - BVerfGE 40, 287, 291;
Beschluss vom 17. Januar 1978 - 2 BvR 487/76 - BVerfGE 47, 130, 139; Beschluss
vom 25. März 1981 - 2 BvE 1/79 - BVerfGE 57, 1, 6). Das Parteienprivileg stellt den
Bürgern bei seiner parteioffiziellen Tätigkeit von Sanktionen frei um des ungestörten
und unbehinderten Funktionierens der Partei willen. Dagegen schützt es ihn nicht in
anderen besonderen rechtlichen Stellungen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Mai
1975 a.a.O. S. 358). Dies hat das Bundesverfassungsgericht in der zuletzt genann-
ten Entscheidung für den Beamtenstatus ausgeführt. Für den rechtsähnlichen Status
eines Berufs- oder Zeitsoldaten gilt Entsprechendes. Auch Reserveoffiziere werden
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durch das Parteienprivileg nur in Bezug auf politische Aktivitäten geschützt, welche
sie unabhängig von ihrem militärischen Status für ihre Partei entfalten. Hingegen
hindert das Parteienprivileg die Bundeswehr nicht, aus der Zugehörigkeit eines Re-
serveoffiziers zu einer nicht verbotenen Partei Folgerungen für dessen Verbleib in
der Alarmreserve zu ziehen.
cc) Die Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden auch nicht willkürlich in an-
dere verfassungsrechtlich geschützte Rechte des Klägers - etwa aus Art. 3 Abs. 3,
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 oder Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG - eingegriffen.
Die Bundeswehr ist von Verfassungs wegen als Armee im demokratischen Staat
konzipiert. Sie kann ihren Auftrag im Sinne der Verfassung mit Aussicht auf Erfolg
nur wahrnehmen, wenn ihre Integrität als Bestandteil der freiheitlichen Ordnung au-
ßer Zweifel steht. Daher muss und darf sie es nicht dulden, wenn diese Ordnung aus
dem Kreise ihrer Soldaten angegriffen wird oder sich sogar in ihren Reihen Straftaten
mit extremistischem Hintergrund ereignen. Dies bedingt wiederum Anforderungen an
die Eignung des militärischen Führungspersonals unter Einschluss der Re-
serveoffiziere. Von diesen kann ein entschlossenes Vorgehen gegen Aktivitäten, die
nicht mit den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung überein-
stimmen, nicht mit der nötigen Gewissheit erwartet werden, wenn sie selbst Funktio-
näre oder Mandatsträger einer Partei sind, bei der Anhaltspunkte für Zweifel beste-
hen, ob sie auf dem Boden der Verfassung steht. Mit Blick auf die verfassungsrecht-
lich begründete Eignungsanforderung an die Soldaten, die freiheitliche demokrati-
sche Grundordnung anzuerkennen und für ihre Einhaltung einzutreten (§ 8 SG), un-
terliegen deren Rechte ihrerseits Einschränkungen (vgl. Beschluss vom 14. Septem-
ber 1999 - BVerwG 1 WB 40 - 42.99 - BVerwGE 111, 22; Beschluss vom 13. Ok-
tober 1998 - BVerwG 1 WB 86.97 - BVerwGE 113, 267). Es ist daher nicht sachwid-
rig, sondern entspricht im Gegenteil der Verfassung, wenn ein Reserveoffizier aus
der Alarmreserve ausgeschlossen wird, weil er Funktionär oder Mandatsträger einer
Partei ist, die den genannten Zweifeln begegnet. Eine unzulässige Benachteiligung
wegen bestehender politischer Überzeugungen oder gar eine gezielte Bekämpfung
bestimmter politischer Meinungen liegt darin nicht (vgl. BVerwGE 75, 86, 96 f., 98).
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Die Willkürgrenze wird allerdings nur dann nicht überschritten, wenn ernst zu neh-
mende Anhaltspunkte die Zweifel an der Verfassungstreue der Partei rechtfertigen.
Das wird nicht schon stets dann zu bejahen sein, wenn die fragliche Partei nachrich-
tendienstlich beobachtet wird und diese Beobachtungspraxis gerichtliche Bestätigung
erfahren hat. Willkür bei der Entlassung eines Reserveoffiziers aus der Alarmreserve
kann in solchen Fällen vielmehr nur dann ausgeschlossen werden, wenn die
Wehrersatzbehörde und im Wege der nachgehenden Kontrolle das Verwaltungsge-
richt sich selbst Gewissheit davon verschafft haben, dass derartige Anhaltspunkte
bestehen. Diese Anforderungen werden im Falle des Klägers erfüllt.
Schon der Widerspruchsbescheid der Wehrbereichsverwaltung IV vom 16. März
1998 nimmt Bezug auf den damals vorliegenden Verfassungsschutzbericht 1996. Auf
der Grundlage der dort dargestellten Fakten hat sich die Widerspruchsbehörde die
Bewertung zu Eigen gemacht, dass noch immer Anhaltspunkte für Bestrebungen
zumindest einzelner Flügel und Gruppierungen der Partei "Die Republikaner" gege-
ben waren, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht in Einklang
standen. Dieser Einschätzung ist das Verwaltungsgericht gefolgt, wie die Ausführun-
gen auf Seite 14 seines Urteils mit der Verweisung auf den Widerspruchsbescheid
belegen. Dem ist zu entnehmen, dass auch das Verwaltungsgericht sich die nötige
Gewissheit vom Vorhandensein derjenigen Anhaltspunkte selbst verschafft hat, die
im maßgeblichen Zeitpunkt geeignet waren, die genannten Bedenken gegen die Par-
tei "Die Republikaner" auszulösen. Damit ist es seiner Rechtsschutzaufgabe in dem
hier gebotenen Umfang einer Willkürkontrolle nachgekommen.
Dem kann der Kläger nicht mit dem Vorwurf begegnen, das Verwaltungsgericht hätte
Funktions- und Mandatsträgern der "Republikaner" nicht pauschal und ohne weitere
Sachverhaltsermittlungen verfassungsfeindliche Tendenzen unterstellen dürfen. Er
übersieht, dass mit Rücksicht auf das weite personalplanerische Ermessen der
Wehrersatzbehörden für diese bereits der "Anfangsverdacht" verfassungsfeindlicher
Bestrebungen einer Partei und ihrer Funktionäre und Mandatsträger ein sachgerech-
ter Anknüpfungspunkt dafür sein kann, die Zugehörigkeit eines Reserveoffiziers zur
Alarmreserve zu beenden. Vom Bestehen eines solchen auf Tatsachen gegründeten
Anfangsverdachts haben sich Widerspruchsbehörde und Verwaltungsgericht über-
zeugt. Der Hinweis des Klägers auf das Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 18. Mai
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2001 - BVerwG 2 WD 42.00, 43.00 - (BVerwGE 114, 258) geht fehl. Er verkennt,
dass für die im förmlichen Disziplinarverfahren zu beantwortende Frage, ob Soldaten
eine Dienstpflichtverletzung begangen haben, andere, erheblich strengere Maßstäbe
gelten als für die Verwendung Wehrpflichtiger in der Reserve.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Bardenhewer Büge Graulich
Vormeier Rennert
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 4 000 € fest-
gesetzt.
Bardenhewer Büge Graulich
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Wehrrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
WPflG § 4 Abs. 1 Nr. 4, § 48 Abs. 2
VwVfG
§§ 48, 49
VwGO §§ 42, 86 Abs. 1, §§ 104, 108
Stichworte:
Klagebefugnis; Alarmreserve; Ausplanung; Einberufungsbescheid; Begründung; Er-
messen; Personalbedarfsplanung; politische Partei; Mitgliedschaft; Funktionär; "Die
Republikaner"
Leitsatz:
Der Widerruf der Einberufung eines Reserveoffiziers zur Alarmreserve im Hinblick
auf seine herausgehobene Tätigkeit für eine politische Partei, bei der tatsächliche
Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bestehen, begegnet im Rah-
men der gerichtlichen Willkürkontrolle keinen rechtlichen Bedenken.
Urteil des 6. Senats vom 17. September 2003 - BVerwG 6 C 4.03
I. VG Gießen vom 29.10.2002 - Az.: VG 4 E 4325/99 -