Urteil des BVerwG vom 28.01.2009

Zugang, Europäische Kommission, Markt, Unternehmen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 6 C 39.07
VG 21 K 4193/06
Verkündet
am 28. Januar 2009
Mitschke
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 28. Januar 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge,
Dr. Graulich, Dr. Bier und Dr. Möller
für Recht erkannt:
Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts
Köln vom 5. September 2007 wird die Regulierungsverfü-
gung der Bundesnetzagentur vom 13. September 2006
aufgehoben, soweit danach die Zugangsentgelte der Ge-
nehmigung unterliegen (Nummer I.2 des Verfügungste-
nors) und der Klägerin die Pflicht zur Veröffentlichung ei-
nes Standardangebots auferlegt worden ist (Nummer II.
des Verfügungstenors). Die weitergehende Revision der
Klägerin wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin 2/3 und
die Beklagte 1/3.
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten über die Regulierung des Vorleistungsmarktes für „Breit-
band-Zugang“ bzw. „Bitstrom-Zugang“ (Markt 12 der Märkte-Empfehlung der
Europäischen Kommission vom 11. Februar 2003).
Die Klägerin bietet unter Verwendung der DSL-Technologie breitbandige digita-
le Datenübertragungsdienste, u.a. Internetzugangsdienste, an. Hierzu werden
beim Endkunden DSL-Anschlüsse eingerichtet, von denen aus mittels Modems
modulierte Daten über den breitbandigen Teil der Teilnehmeranschlussleitung
zu sog. DSLAM geführt werden, die an den bundesweit rund 8 000 Hauptvertei-
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lern der Klägerin angeschlossen sind. Die DSLAM bündeln den ihnen aus den
Teilnehmeranschlussleitungen zugeführten Datenverkehr zu einheitlichen Sig-
nalen, die sie in das Konzentratornetz weiterleiten. Von dort aus werden die
gebündelten Signale über Netzknoten („PoP“) in das Kernnetz transportiert und
schließlich der sog. Dienste-Ebene zugeführt, von der aus der eigentliche Zu-
gang zum Internet erfolgt. Der Verkehr von der Dienste-Ebene zum Endnutzer
wird über die genannten Netzebenen in umgekehrter Richtung geführt.
Neben der Klägerin bieten auch deren Wettbewerber DSL-Anschlüsse und
breitbandige Datentransportdienste an. Hierfür standen den Wettbewerbern,
soweit sie nicht über eine vollständige eigene Netzinfrastruktur verfügen, bis-
lang zwei Alternativen zur Verfügung: Entweder konnten sie Zugang zur Teil-
nehmeranschlussleitung der Klägerin erhalten, mussten dafür aber mit erhebli-
chem Investitionsaufwand die bundesweit rund 8 000 Hauptverteiler erschlie-
ßen; oder sie konnten den Breitbandanschluss der Klägerin an ihre eigenen
Endnutzer weiterverkaufen („Resale DSL“) und sich die Breitbandverbindungen
über das Konzentratornetz der Klägerin zuführen lassen. Bei Inanspruchnahme
des Zuführungsprodukts „T-DSL-ZISP“ der Klägerin kann die Übergabe des
Breitbandverkehrs an einem der 74 Netzknoten („PoP“) erfolgen.
Die Bundesnetzagentur führte in Bezug auf den Markt „Breitbandzugang für
Großkunden“ eine Marktdefinition und -analyse durch, die sie mit ihrer Festle-
gung vom 12. Januar 2006 abschloss. Darin heißt es, unter Bitstrom-Zugang
sei ein Vorleistungsprodukt im kupferbasierten Festnetzbereich zu verstehen,
das sich aus einem Anschlussteil und einem Zuführungsteil zusammensetze
und den Nachfrager in die Lage versetze, eine mit individuellen Qualitätspara-
metern versehene Hochgeschwindigkeitsverbindung bis zum Endkunden her-
zustellen. Da es ein so verstandenes Bitstrom-Vorleistungsprodukt in Deutsch-
land flächendeckend noch nicht und regional nur in Ansätzen gebe, sei der Vor-
leistungsmarkt vorausschauend abzugrenzen. Die unterschiedlichen Qualitäts-
standards, die die beiden Übertragungstechnologien „Asynchronous Transfer
Mode“ (ATM) und „Internet-Protokoll“ (IP) böten, machten es erforderlich, die
Bitstrom-Produkte technologiebezogen zu klassifizieren; der Markt für ATM-
Bitstrom-Zugang und der Markt für IP-Bitstrom-Zugang entsprächen zusammen
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Markt 12 der Märkte-Empfehlung. Weitervertriebsprodukte und auf deren
Grundlage angebotene Produktkombinationen (insbesondere aus „Resale DSL“
und „T-DSL-ZISP“) seien kein Substitut für Bitstrom, da sie dem Nachfrager
keine Qualitätsdifferenzierung erlaubten. Im Endkundenbereich, der wegen der
nur abgeleiteten Nachfrage nach Vorleistungen und wegen der erst rudimentä-
ren Existenz der Vorleistungsmärkte in die Untersuchung einzubeziehen sei,
korrespondierten mit den beiden Vorleistungsmärkten ein „Massenmarkt“ für
Produkte ohne besondere Qualitätsgarantien sowie ein „Markt für Premium-
Anschlüsse“ für technisch ausdifferenzierte Produkte mit besonderen Quali-
tätsgarantien. ATM-Bitstrom-Zugang sei ein Vorleistungsprodukt für den „Pre-
mium“-Markt, während IP-Bitstrom-Zugang als Vorleistungsprodukt sowohl für
den „Massenmarkt“ als auch für den „Premium“-Markt in Betracht komme. Bei-
de Vorleistungsmärkte für Bitstrom-Zugang seien durch beträchtliche und an-
haltende Marktzutrittsschranken gekennzeichnet, tendierten längerfristig nicht
zu wirksamem Wettbewerb und bedürften über das allgemeine Wettbewerbs-
recht hinaus einer regulatorischen Steuerung; auf beiden Märkten verfüge die
Klägerin über beträchtliche Marktmacht.
Auf der Grundlage dieser Marktdefinition und -analyse, soweit sie sich auf den
Vorleistungsmarkt für IP-Bitstrom-Zugang bezog, erließ die Bundesnetzagentur
die angefochtene Regulierungsverfügung vom 13. September 2006. Darin er-
legte sie der Klägerin die Verpflichtungen auf, anderen Unternehmen auf Nach-
frage IP-Bitstrom-Zugang dadurch zu gewähren, dass sie im Rahmen eines
einheitlichen Produkts den nachfragenden Unternehmen xDSL-Anschlüsse
überlässt und den darüber geführten Paketstrom über ihr Konzentratornetz zu
den PoP ihres IP-Kernnetzes transportiert, wo sie ihn nachfragenden Unter-
nehmen übergibt (Nr. I.1.1), zum Zwecke des Zugangs Kollokation zu gewähren
(Nr. I.1.2), bei Zugangsvereinbarungen die Gleichbehandlung sicherzustellen
(Nr. I.1.3) und ihre Vorleistungspreise extern wie intern transparent zu gestalten
(Nr. I.1.4). Die Bundesnetzagentur sprach aus, dass die Entgelte für
Zugangsleistungen der Genehmigung nach Maßgabe des § 31 TKG unterliegen
(Nr. I.2). Sie behielt sich eine Ergänzung der Zugangsverpflichtungen sowie den
Widerruf des Ausspruchs über die Entgeltregulierung vor (Nr. I.3 und I.4).
Schließlich erlegte sie der Klägerin die Verpflichtung auf, ein Standardangebot
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für Zugangsleistungen zu veröffentlichen, für die eine allgemeine Nachfrage
besteht (Nr. II.).
Die dagegen erhobene Klage ist vom Verwaltungsgericht im Wesentlichen mit
folgender Begründung abgewiesen worden: Die Bundesnetzagentur habe sich
bei der Marktdefinition und -analyse im Rahmen des ihr dabei zustehenden
Beurteilungsspielraums gehalten. Sachgerecht sei insbesondere ihre Annahme,
dass die von der Klägerin bislang angebotenen Weitervertriebs- bzw. Kombina-
tionsprodukte wegen der fehlenden Möglichkeit der Qualitätsdifferenzierung mit
dem IP-Bitstrom-Zugang nicht austauschbar seien und deshalb nicht demsel-
ben Markt angehörten. Denn der Bitstrom-Zugang umfasse neben asymmetri-
schen auch symmetrische und neben gebündelten auch entbündelte Zugangs-
varianten, die die Klägerin ihren Wettbewerbern bislang nicht anbiete. Auch die
in der Regulierungsverfügung im Einzelnen vorgesehenen Abhilfemaßnahmen
seien insgesamt rechtmäßig.
Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Revision rügt die Klägerin Ver-
stöße gegen formelles und materielles Recht: Wie schon die Bundesnetzagen-
tur im Rahmen der Marktabgrenzung hätte auch das Verwaltungsgericht nicht
entscheiden dürfen, ohne zuvor die tatsächliche Möglichkeit der mit dem Bit-
strom-Produkt erstrebten Qualitätsdifferenzierung aufzuklären. Da die netz-
technischen Gegebenheiten über die Bereitstellung unterschiedlicher Bandbrei-
ten hinaus weitere Differenzierungen nicht erlaubten, sei die Marktabgrenzung
ebenso fehlerhaft wie die durch die Regulierungsverfügung auferlegte Zu-
gangsverpflichtung. Die angegriffene Entgeltregulierung leide an einem Abwä-
gungsausfall.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die
Regulierungsverfügung der Bundesnetzagentur vom
13. September 2006 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt ihre Marktfestlegung und die darauf gestützte Regulierungsverfü-
gung sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts.
II
Die zulässige Revision ist teilweise begründet. Das Verwaltungsgericht hätte
der Klage stattgeben müssen, soweit sie sich gegen die Entgeltregulierung und
die Pflicht zur Veröffentlichung eines Standardangebots (Nr. I.2 und II. der Re-
gulierungsverfügung) richtet. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht die Klage
zu Recht abgewiesen.
Die Klage ist insgesamt zulässig und führt in der Sache zu einem Teilerfolg.
1. Die Bundesnetzagentur hat ohne Rechtsfehler festgestellt, dass der bun-
desweite Markt für IP-Bitstrom-Zugang, auf dem die Klägerin über beträchtliche
Marktmacht verfügt, im Sinne von §§ 10, 11 TKG regulierungsbedürftig ist.
a) Der Senat hat bereits entschieden und hält auch nach erneuter Überprüfung
unter Berücksichtigung des Klagevorbringens daran fest, dass der Bundes-
netzagentur ein Beurteilungsspielraum in Bezug auf die von ihr zu verantwor-
tende Marktdefinition und Marktanalyse zusteht. Dies ist im Hinblick auf Wort-
laut und Normzweck der Art. 7, 15 und 16 der Richtlinie 2002/21/EG vom
7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kom-
munikationsnetze und -dienste - Rahmenrichtlinie, RRL - derart offenkundig,
dass eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 234 Abs. 3 EG,
auf die die Klägerin angetragen hat, insoweit entbehrlich ist (s. Urteile vom
2. April 2008 - BVerwG 6 C 15.07 - BVerwGE 131, 41 Rn. 14 ff. = Buchholz
442.066 § 10 TKG Nr. 1 und vom 29. Oktober 2008 - BVerwG 6 C 38.07 - juris
Rn. 15 ff.). Aus dem Beurteilungsspielraum folgt, dass das Gericht die Festle-
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gungen der Bundesnetzagentur darauf überprüft, ob die Behörde die gültigen
Verfahrensbestimmungen eingehalten hat, von einem richtigen Verständnis des
anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen ist, den erheblichen Sachver-
halt vollständig und zutreffend ermittelt und sich bei der eigentlichen Bewertung
an allgemein gültige Wertungsmaßstäbe gehalten, insbesondere das Willkür-
verbot nicht verletzt hat.
b) Verstöße gegen das der Marktfestlegung zugrunde liegende Konsultations-
und Konsolidierungsverfahren (§ 12 TKG) sind weder geltend gemacht noch
sonst ersichtlich.
c) In der Sache hat die Bundesnetzagentur den Markt für IP-Bitstrom-Zugang
rechtsfehlerfrei abgegrenzt. Gemäß § 10 Abs. 1 TKG legt die Behörde die
sachlich und räumlich relevanten Telekommunikationsmärkte fest, die für eine
Regulierung in Betracht kommen. Dabei hat sie gemäß § 10 Abs. 2 Satz 3 TKG
i.V.m. Art. 15 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 RRL die Empfehlung der Kommission in
Bezug auf relevante Produkt- und Dienstmärkte - hier die auf den Streitfall noch
anwendbare Märkte-Empfehlung vom 11. Februar 2003 (ABl EG Nr. L 114
S. 45) - weitestgehend zu berücksichtigen. Diese Normen begründen eine ge-
setzliche Vermutung dafür, dass die in der Märkte-Empfehlung aufgeführten
Märkte auch in Deutschland potentiell, d.h. vorbehaltlich der noch durchzufüh-
renden Marktanalyse, regulierungsbedürftig sind. Die Aufgabe der Bundesnetz-
agentur besteht in einer nachvollziehenden Bewertung anhand der Marktab-
grenzungskriterien des europäischen Wettbewerbsrechts, die einerseits die von
der Vermutungswirkung ausgehende Vorprägung des Ergebnisses durch die
Empfehlung der Kommission, andererseits aber auch und insbesondere etwai-
ge vom europäischen Standard abweichende nationale Besonderheiten ange-
messen berücksichtigt (Urteil vom 2. April 2008 - BVerwG 6 C 15.07 - a.a.O.
Rn. 24 f.).
aa) Bei der hier vorliegenden Marktdefinition hat sich die Bundesnetzagentur an
Markt 12 der Märkte-Empfehlung („Breitbandzugang für Großkunden“) orien-
tiert. Soweit sie zwei getrennte Vorleistungsmärkte, den Markt für IP-Bitstrom-
Zugang und den Markt für ATM-Bitstrom-Zugang, abgegrenzt hat, hat sie diese
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Abweichung mit besonderen netztechnischen Gegebenheiten in Deutschland
nachvollziehbar begründet; dem ist die Klägerin nicht entgegengetreten.
bb) Nach den Grundsätzen des Wettbewerbsrechts, die gemäß Art. 15 Abs. 3
Satz 1 RRL für die Abgrenzung der Telekommunikationsmärkte maßgebend
sind, gehören zu dem sachlich relevanten Markt sämtliche Produkte, die wegen
ihrer objektiven Merkmale, der Wettbewerbsbedingungen und der Struktur von
Angebot und Nachfrage hinreichend austauschbar bzw. substituierbar sind;
Produkte, die nur in geringem Maß oder nur relativ austauschbar sind, gehören
nicht demselben Markt an (s. Nr. 38 ff., 44 der Leitlinien der Kommission zur
Marktanalyse vom 11. Juli 2002, ABl EG Nr. C 165 S. 6 - Marktanalyse-
Leitlinien -, unter Hinweis auf die stRspr des EuGH, vgl. nur Urteil vom
14. November 1996 - Rs. C-333/94, Tetra Pak - Slg. 1996, I-5951 Rn. 10 ff.
m.w.N.).
Wie schon das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, steht der an-
gegriffenen Marktdefinition nicht entgegen, dass es sich bei dem von der Bun-
desnetzagentur regulierten Vorleistungsmarkt für IP-Bitstrom-Zugang um einen
lediglich „fiktiven“ Markt handelte, auf dem im Zeitpunkt des Erlasses der Regu-
lierungsverfügung ein bundesweites Marktgeschehen tatsächlich nicht stattfand.
Schon unter der Geltung des § 33 TKG 1996 war anerkannt, dass das
Bestehen eines eigenständigen Vorleistungsmarktes nicht davon abhing, ob im
Bereich der Vorprodukte bislang tatsächlich Marktverhältnisse herrschten. Mit
Blick auf den Normzweck, im Interesse der Sicherstellung und Förderung chan-
cengleichen und funktionsfähigen Wettbewerbs die Übertragung einer markt-
beherrschenden Stellung vom Vorleistungsbereich auf den nachgelagerten
Endkundenbereich zu verhindern, reichte es vielmehr schon nach der damali-
gen Rechtslage aus, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt ein fiktiv bestehender
Markt von dem in Anspruch genommenen Unternehmen beherrscht worden
wäre (Urteil vom 3. Dezember 2003 - BVerwG 6 C 20.02 - BVerwGE 119, 282
<289 f.> = Buchholz 442.066 § 33 TKG Nr. 2 S. 29 f.). Dieselbe Grundent-
scheidung, über den Schutz eines „natürlich“ entwickelten Marktes hinaus den
Wettbewerb mit regulatorischen Mitteln überhaupt erst zu ermöglichen, liegt
auch und gerade geltendem Recht zugrunde. Wie sich den drei in § 10 Abs. 2
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TKG genannten - in Erwägungsgrund 27 RRL angelegten - Kriterien für die po-
tentielle Regulierungsbedürftigkeit von Märkten (beträchtliche und anhaltende
Marktzutrittsschranken, längerfristig fehlende Tendenz zu wirksamem Wettbe-
werb, Insuffizienz des allgemeinen Wettbewerbsrechts) entnehmen lässt, be-
steht der Zweck der Marktregulierung gemäß §§ 9 ff. TKG darin, die Vorausset-
zungen für die Herstellung wettbewerblicher Verhältnisse in den Bereichen der
Telekommunikation zu schaffen, in denen sie bislang nicht bestehen. Dement-
sprechend legen auch die Marktanalyse-Leitlinien (s. Nr. 27) fest, dass Märkte
für die Zwecke der bereichsspezifischen Regulierung stets vorausschauend,
d.h. unter Einbeziehung der künftigen Marktentwicklung bewertet werden müs-
sen, was dazu führt, dass die für wettbewerbsrechtliche Zwecke abgegrenzten
Märkte und die Märkte, die für eine bereichsspezifische Regulierung definiert
werden, nicht immer deckungsgleich sind.
Soweit die Klägerin der zu Art. 82 EG ergangenen Rechtsprechung des Euro-
päischen Gerichtshofs (Urteile vom 26. November 1998 - Rs. C-7/97, Bronner -
Slg. 1998, I-7791 Rn. 31 ff. und vom 29. April 2004 - Rs. C-418/01, Health -
Slg. 2004, I-5039 Rn. 38 ff.) entnehmen will, dass für die Abgrenzung fiktiver
Telekommunikations-Vorleistungsmärkte verschärfte Anforderungen im Hinblick
auf die „Unerlässlichkeit“ des Vorleistungsprodukts gelten, trifft dies nicht zu.
Die von der Klägerin herangezogene Rechtsprechung betrifft die Frage, inwie-
weit ein marktbeherrschendes Unternehmen, das Wettbewerbern unter Beru-
fung auf das Recht des geistigen Eigentums den Zugang zu Vorleistungspro-
dukten verweigert, seine Marktmacht missbraucht. Demgegenüber ist die miss-
bräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung für die Marktab-
grenzung nach § 10 TKG i.V.m. Art. 15 RRL nicht maßgeblich; ausschlagge-
bend ist vielmehr eine generelle vorausschauende Bewertung der Funktionsfä-
higkeit des betreffenden Marktes anhand der allgemeinen Kriterien der Aus-
tauschbarkeit bzw. Substituierbarkeit (s. auch Nr. 27 Marktanalyse-Leitlinien).
cc) Die von der Klägerin bisher angebotenen Weitervertriebsprodukte sowie die
auf dieser Grundlage gestalteten Kombinationsprodukte (insbesondere „Resale
DSL“ und „T-DSL-ZISP“) wurden von der Behörde auf der Grundlage eines voll-
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ständig und zutreffend ermittelten Sachverhalts aus dem Markt für IP-Bitstrom-
Zugang ausgegrenzt.
(1) Der Marktabgrenzung liegt die tatsächliche Annahme zugrunde, dass das
IP-Bitstrom-Zugangsprodukt den Wettbewerbern der Klägerin Möglichkeiten
einer eigenen Qualitätsdifferenzierung im Verhältnis zum Endkunden gewährt,
die ihnen die vorbezeichneten Weitervertriebs- und Kombinationsprodukte nicht
bieten. Diese Annahme beruht auf einer zutreffenden Tatsachengrundlage.
Zum einen war bereits in erster Instanz zwischen den Beteiligten unstreitig und
von der Klägerin in ihren dort gestellten Hilfsbeweisanträgen ausdrücklich zu-
gestanden, dass ein Wettbewerber im Rahmen des IP-Bitstrom-Produkts mittels
Bereitstellung unterschiedlicher Bandbreiten bestimmte Gestaltungsmög-
lichkeiten nutzen kann, über die er auf der Grundlage eines Weitervertriebspro-
dukts oder eines darauf basierten Kombinationsprodukts nicht verfügt. Zum
anderen und vor allem hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die in Rede
stehenden Weitervertriebs- und Kombinationsprodukte nur eine asymmetrische
Übertragung (mit höherer Bandbreite in Empfangsrichtung als in Senderichtung)
ermöglichen, nicht aber symmetrische Datenübertragungsleistungen (mit
gleicher Bandbreite in Sende- und Empfangsrichtung). Es hat weiter fest-
gestellt, dass die bisher angebotenen Produkte der Klägerin stets voraussetzen,
dass der Endkunde Inhaber eines schmalbandigen Telefonanschlusses der
Klägerin ist, also nur einen „gebündelten“, aber keinen „entbündelten“ Breit-
bandzugang erlauben, der die technische Grundlage für die Ersetzung des her-
kömmlichen schmalbandigen Sprachtelefondienstes durch VoIP-Telefonie bil-
det. Demgegenüber ermöglicht IP-Bitstrom-Zugang nach den von der Klägerin
nicht mit Revisionsrügen in Frage gestellten, sondern in der Revisionsverhand-
lung als richtig zugestandenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts asym-
metrische wie symmetrische und gebündelte wie entbündelte Breitbanddienste.
(2) Wie sich aus der Marktdefinition und -analyse (s. insbesondere S. 27 f.,
S. 88) ergibt, hat die Bundesnetzagentur gerade die Varianten der asymmetri-
schen bzw. symmetrischen und der gebündelten bzw. entbündelten Datenüber-
tragung unter dem Gesichtspunkt der Qualitätsdifferenzierung als für den Bit-
strom-Zugang wesentlich erachtet. Unter dieser Prämisse verstößt es nicht ge-
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gen die Denkgesetze, sondern war vom Standpunkt der Bundesnetzagentur
aus konsequent, dass sie ein Vorleistungsprodukt dem streitgegenständlichen
Markt nur unter der Voraussetzung zugeordnet hat, dass es die vorgenannten
Varianten sämtlich umfasst.
Auf die von der Klägerin als entscheidungserheblich bezeichnete und verneinte
Frage, ob das Bitstrom-Zugangsprodukt nach den aktuellen technischen Gege-
benheiten ihres Netzes über die Eröffnung der symmetrischen und der entbün-
delten Zugangsvarianten und über die Bereitstellung zusätzlicher Bandbreiten-
profile hinaus weitere technische Modalitäten einer etwaigen Qualitätsdifferen-
zierung bietet, kam es aus der für die gerichtliche Überprüfung der Marktab-
grenzung zunächst bedeutsamen Sicht der Behörde nicht an. Zwar ist an zahl-
reichen Stellen der Marktdefinition und -analyse ohne weitere Spezifizierung
von den durch den Bitstrom-Zugang eröffneten Möglichkeiten der Qualitätsdif-
ferenzierung die Rede. Daraus lässt sich aber nicht herleiten, dass die Behörde
bei der Marktabgrenzung neben den dargelegten und zwischen den Parteien
nicht streitigen Differenzierungsmöglichkeiten das Bestehen weiterer Möglich-
keiten zwingend vorausgesetzt hat. Vielmehr erklärt sich die durchgängige
Verwendung des unbestimmten Begriffs der Qualitätsdifferenzierung daraus,
dass die Marktabgrenzung ausdrücklich auf einem vorausschauenden Ansatz
beruht und daher etwaige zusätzliche Optionen schon aufgrund der absehbaren
technischen Weiterentwicklung von vornherein mitberücksichtigt.
Da sich auch das Verwaltungsgericht ähnlich wie die Behörde in seiner Ent-
scheidung mit den dargelegten unstreitigen Möglichkeiten der Qualitätsdifferen-
zierung begnügt hat, brauchte es den von der Klägerin gestellten Hilfsbeweis-
anträgen, die auf den Nachweis des Nichtbestehens weiterer Möglichkeiten
gerichtet waren, nicht nachzugehen. Die von der Klägerin in diesem Zusam-
menhang erhobene Rüge mangelhafter Sachverhaltsaufklärung (§ 86 Abs. 1
VwGO) ist daher unbegründet.
dd) Vor dem vom Verwaltungsgericht festgestellten und zudem unstreitigen
tatsächlichen Hintergrund hält sich die Bewertung der Bundesnetzagentur, dass
die vorerwähnten Weitervertriebs- und Kombinationsprodukte wegen unzurei-
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chender Differenzierungsmöglichkeiten keine hinreichenden Substitutionsbe-
ziehungen zum Bitstrom-Zugangsprodukt aufweisen und deshalb dem definier-
ten Markt nicht angehören, im Rahmen des ihr eröffneten Beurteilungsspiel-
raums und ist daher rechtlich hinzunehmen. Zwar ist eine Austauschbarkeit
ersichtlich insofern gegeben, als Unternehmen, die den Massenmarkt mit
asymmetrischen, gebündelten Breitbanddiensten ohne besondere Qualitäts-
merkmale beliefern wollen, zwischen dem Bitstrom-Zugangsprodukt und einem
der schon bisher von der Klägerin angebotenen Produkte wählen können. Auf
der anderen Seite hat aber die Bundesnetzagentur überzeugend ausgeführt,
dass Unternehmen, für die der direkte Endkundenzugang und die Produktdiffe-
renzierung bedeutsam sind und die auf einen Infrastrukturwettbewerb mit der
Klägerin abzielen, solche Produkte nicht nachfragen werden (s. S. 41 der
Marktdefinition und -analyse). Dies deckt sich mit der Einschätzung der Kom-
mission, dass Produkte des Wiederverkaufs mit dem Bitstrom-Produkt nur be-
grenzt substituierbar und deshalb nicht Bestandteil von Markt 12 sind (siehe
Begründung zur Märkte-Empfehlung, S. 24 f.).
Es ist plausibel, dass ein auf „Resale“ basierendes Vorleistungsprodukt die Be-
dürfnisse solcher Unternehmen, die auf Infrastrukturwettbewerb mit innovativen
Diensten setzen, nicht befriedigen kann. Weitervertriebsprodukte bewirken zwar
regelmäßig eine den Wettbewerb intensivierende Verbreiterung der An-
gebotspalette, beschränken die Wettbewerber aber auf die Erbringung mit dem
Vorleistungsprodukt voll kompatibler Leistungen und hindern sie am Einsatz
innovativer Technik; beim vorstoßenden Wettbewerb mit innovativen Produkten
belässt „Resale“ dem vertikal integrierten Marktführer nicht selten einen Wett-
bewerbsvorsprung, den die Wiederverkäufer aufgrund begrenzter Möglichkeiten
zu eigenem vorstoßenden Wettbewerb nur bedingt ausgleichen können (s.
dazu bereits Urteile vom 25. April 2001 - BVerwG 6 C 6.00 - BVerwGE 114, 160
<183 f.> = Buchholz 442.066 § 33 TKG Nr. 1 S. 16, vom 3. Dezember 2003
- BVerwG 6 C 20.02 - a.a.O. S. 296 bzw. S. 34 f. und vom 18. Dezember 2007
- BVerwG 6 C 47.06 - Buchholz 442.066 § 42 TKG Nr. 3 Rn. 32 f.). Das
Vorleistungsprodukt „Bitstrom-Zugang“ ist demgegenüber nach der in sich
schlüssigen und vertretbaren Einschätzung der Beklagten geeignet, alternativen
Anbietern mit (noch) geringer Infrastruktur den Markteintritt zu ermöglichen und
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ihnen den Einstieg in den Infrastrukturwettbewerb zu erleichtern. Auch nach
Ansicht der Kommission fördert ein Breitbandzugang, der den Wettbewerbern
die Aufnahme direkter Endkundenbeziehungen und das Angebot entbündelter
DSL-Anschlüsse ermöglicht, die Wettbewerbsentwicklung auf den
Endkundenmärkten; er ist danach für Marktneulinge ein wichtiger Schritt auf
dem Weg zum Ausbau eigener Netzinfrastruktur, der dann in dichter besiedel-
ten Gebieten erfahrungsgemäß bis zum Teilnehmeranschluss erfolgt, während
in anderen Gebieten längerfristig Bitstrom-Zugang in Anspruch genommen wird
(s. Mitteilung der Kommission vom 11. Juli 2007 über die Überprüfung der
Märkte entsprechend dem Rechtsrahmen der EU - KOM <2007> 401 endg. -
S. 8 f.). Daher ist nachvollziehbar, dass zwischen dem Bitstrom-
Zugangsprodukt, wie es die Bundesnetzagentur versteht, und den bislang an-
gebotenen Weitervertriebs- und Kombinationsprodukten nur eine begrenzte
oder relative Austauschbarkeit besteht, die die Zuordnung zu unterschiedlichen
Märkten rechtfertigt (vgl. Nr. 44 der Marktanalyse-Leitlinien unter Hinweis auf
die Rechtsprechung des EuGH, s. Urteil vom 14. November 1996
- Rs. C-333/94, Tetra Pak - a.a.O. Rn. 10 ff.).
d) Die Bundesnetzagentur hat ferner die in § 10 Abs. 2 TKG vorgesehene
Überprüfung der Regulierungsbedürftigkeit des abgegrenzten Marktes anhand
der dort genannten Kriterien (beträchtliche und anhaltende Marktzutrittsschran-
ken, fehlende Tendenz zu wirksamem Wettbewerb, Insuffizienz des allgemei-
nen Wettbewerbsrechts) fehlerfrei durchgeführt und ist in der nachfolgenden
Marktanalyse gemäß § 11 TKG in nicht zu beanstandender Weise zu dem Er-
gebnis gelangt, dass die Klägerin auf dem Vorleistungsmarkt für IP-Bitstrom-
Zugang über beträchtliche Marktmacht verfügt. Das Verwaltungsgericht hat zu-
treffend dargelegt, dass die Bundesnetzagentur mit den diesbezüglichen Fest-
stellungen ihren Beurteilungsspielraum nicht überschritten hat. Dem ist die Re-
vision nicht mehr entgegengetreten.
2. Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei durchgeführten Marktdefinition und
Marktanalyse sind die der Klägerin gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 TKG auferlegten
Regulierungsverpflichtungen mit Ausnahme der Regelungen zur Entgeltge-
nehmigungspflicht und zum Standardangebot ebenfalls rechtmäßig.
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a) Etwaige Verstöße gegen die insoweit maßgeblichen Verfahrensbestimmun-
gen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 12 Abs. 1, 2, § 135 TKG) sind weder vorgetra-
gen worden noch sonst ersichtlich.
b) In materieller Hinsicht erweist sich die der Klägerin unter Nr. I.1.1 der Regu-
lierungsverfügung auferlegte Verpflichtung, anderen Unternehmen auf Nach-
frage IP-Bitstrom-Zugang dadurch zu gewähren, dass sie ihnen im Rahmen
eines einheitlichen Produktes „xDSL-Anschlüsse“ überlässt und den darüber
geführten Paketstrom über ihr Konzentratornetz zu den „PoP“ genannten Netz-
knoten ihres IP-Kernnetzes transportiert und dort übergibt, als rechtmäßig. Die
angefochtene Regelung stützt sich auf § 21 Abs. 1 TKG, wonach die Bundes-
netzagentur marktmächtige Netzbetreiber unter den dort näher bezeichneten
Voraussetzungen und Maßgaben zur Zugangsgewährung verpflichten kann; die
Zugangsverpflichtung kann sich gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 TKG unter anderem
auf den Zugang zu bestimmten Netzkomponenten oder -einrichtungen ein-
schließlich des entbündelten Breitbandzugangs beziehen.
Das Verwaltungsgericht hat den in Nr. I.1.1 der Regulierungsverfügung ver-
wendeten Begriff „xDSL-Anschlüsse“ in revisionsrechtlich nicht zu beanstan-
dender Weise dahin ausgelegt, dass er sich auf asymmetrische wie symmetri-
sche und gebündelte wie entbündelte Zugangsvarianten erstreckt. Mit diesem
Verständnis wird die Verpflichtung von ihrer Rechtsgrundlage in § 21 Abs. 2
Nr. 1 TKG auch bei gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung gedeckt. Insbe-
sondere geht die Norm, was die Einbeziehung entbündelter Breitbandzugänge
betrifft, nicht über die Vorgabe in Art. 12 der Richtlinie 2002/19/EG vom 7. März
2002 über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehö-
rigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung - Zugangsrichtlinie, ZRL -
hinaus, deren Umsetzung sie dient. Denn der entbündelte Breitbandzugang ist
ein Unterfall des in § 21 Abs. 2 Nr. 1 TKG und Art. 12 Abs. 1 Buchst. a ZRL
- als Zugangsbeispiel - übereinstimmend benannten Zugangs „zu bestimmten
Netzkomponenten oder -einrichtungen“ (so zutreffend Thomaschki, in:
BerlKommTKG 2006, § 21 Rn. 88; s. auch Piepenbrock/Attendorn, in:
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BeckTKG, 3. Aufl. 2006, § 21 Rn. 127; a.A. Mayen, in: Scheurle/Mayen, TKG,
2. Aufl. 2008, § 21 Rn. 93).
Die Bundesnetzagentur hat das ihr in § 21 Abs. 1, 2 TKG eingeräumte Ermes-
sen ohne Rechtsfehler ausgeübt. Die Prüfung, ob die Zugangsverpflichtung
nach Maßgabe der in § 21 Abs. 1 Satz 2 TKG im Einzelnen aufgeführten Krite-
rien in einem angemessenen Verhältnis zu den Regulierungszielen des § 2
Abs. 2 TKG steht, ist Gegenstand des der Bundesnetzagentur eingeräumten
Regulierungsermessens, das vom Gericht auf etwaige Abwägungsfehler zu
überprüfen ist (s. Urteil vom 2. April 2008 - BVerwG 6 C 15.07 - a.a.O. Rn. 47).
Wie das Verwaltungsgericht im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, leidet die
der Klägerin auferlegte Zugangsverpflichtung an keinen derartigen Fehlern,
insbesondere nicht an einer Verkennung des abwägungserheblichen Sachver-
halts. Soweit die Klägerin der Beklagten wie auch dem Verwaltungsgericht vor-
wirft, diese hätten verkannt, dass das IP-Bitstrom-Zugangsprodukt aufgrund der
netztechnischen Gegebenheiten keine weitergehende Qualitätsdifferenzierung
ermögliche als die am Vorleistungsmarkt bereits angebotenen Weitervertriebs-
und Kombinationsprodukte (insbesondere „Resale DSL“ und „T-DSL-ZISP“),
gehen ihre verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Angriffe ebenso fehl
wie schon ihre Kritik an der Marktabgrenzung. Die Klägerin verkennt die Mög-
lichkeiten der Qualitätsdifferenzierung nicht nur durch Bandbreitenvielfalt, son-
dern auch und insbesondere durch die Eröffnung entbündelter bzw. symmetri-
scher Zugangsvarianten, die den Wettbewerbern auf der Grundlage der bisher
angebotenen Vorleistungsprodukte nicht offenstanden.
c) Rechtmäßig ist auch die der Klägerin unter Nr. I.1.2 der Regulierungsverfü-
gung auferlegte Verpflichtung, nachfragenden Unternehmen Kollokation zu ge-
währen. Diese Anordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 21 Abs. 1, Abs. 3
Nr. 4 TKG, wonach die Bundesnetzagentur marktmächtigen Netzbetreibern die
Kollokationsverpflichtung auferlegen „soll“. Bestimmt eine Rechtsvorschrift,
dass eine Behörde sich in bestimmter Weise verhalten soll, deutet dies auf eine
strikte Bindung für den Regelfall mit der Möglichkeit der Abweichung (nur) in
atypischen Fällen hin; der Bindungsumfang ist allerdings letztlich stets von der
Auslegung der jeweiligen Norm abhängig (s. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs,
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VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 40 Rn. 26, 27). Im hier vorliegenden Zusammenhang
stellt sich die - an anderer Stelle im Hinblick auf Art. 8 ff. ZRL noch zu erörtern-
de - Frage nach einer etwaigen gemeinschaftsrechtskonformen Reduktion des
Bindungsumfangs nicht, weil die Bundesnetzagentur in Bezug auf die Kollokati-
onsverpflichtung ihr Ermessen unter Berücksichtigung der in § 21 Abs. 1 Satz 2
TKG aufgeführten Kriterien vollständig ausgeübt hat.
d) Die der Klägerin gemäß § 19 TKG auferlegte Gleichbehandlungspflicht
(Nr. I.1.3 des Verfügungstenors) ist ebenso rechtmäßig wie die Verpflichtung
zur getrennten Rechnungsführung (Nr. I.1.4 des Verfügungstenors), die ihre
Grundlage in § 24 TKG findet. Soweit das angefochtene Urteil die diesbezügli-
chen Ausführungen der Bundesnetzagentur gebilligt hat, sind Einwände von der
Revision nicht erhoben worden und auch sonst nicht ersichtlich.
e) Die Revision hat aber Erfolg, soweit die Bundesnetzagentur unter Nr. I.2 des
Tenors der Regulierungsverfügung ausgesprochen hat, dass die Entgelte für
Zugangsleistungen der Genehmigung nach Maßgabe des § 31 TKG unterlie-
gen; insoweit hätte das Verwaltungsgericht der Klage stattgeben müssen.
aa) Die von der Bundesnetzagentur getroffene Regelung findet keine ausrei-
chende Stütze in § 30 Abs. 1 TKG. Zwar „unterliegen“ nach dessen Wortlaut die
Entgelte eines marktmächtigen Betreibers der Genehmigung, falls die Behörde
die Entgelte nicht unter den in § 30 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 TKG kumulativ
bezeichneten Voraussetzungen (keine „doppelte“ Marktmacht, keine „frühere“
Marktmacht und „Ausreichen“ im Hinblick auf die Regulierungsziele) einer
nachträglichen Regulierung unterwirft. Der Senat hat aber bereits entschieden
und hält daran fest, dass diese Norm der gemeinschaftsrechtskonformen Aus-
legung bedarf. Die in § 30 TKG vorgesehene Entgeltregulierung setzt Art. 13
ZRL um, der seinerseits im systematischen Zusammenhang mit Art. 8 ZRL
steht. Art. 8 Abs. 1 und 2 ZRL handelt - in gleicher Weise wie Art. 16 Abs. 4
RRL - von der Auferlegung bestimmter, in den Art. 9 bis 13 ZRL näher bezeich-
neter Verpflichtungen durch die nationale Regulierungsbehörde, die dabei den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten (Art. 8 Abs. 4 Satz 1 ZRL) und den
Stellungnahmen der Kommission und der anderen nationalen Regulierungsbe-
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hörden weitestgehend Rechnung zu tragen hat (Art. 8 Abs. 4 Satz 2 ZRL i.V.m.
Art. 7 Abs. 3, 5 RRL).
Die Europäische Kommission hat daraus in ihrer den Beteiligten bekannten, auf
Art. 226 EG gestützten Stellungnahme vom 12. April 2005 - C(2005) 1196 -
S. 5 ff. hergeleitet, dass die nationale Regulierungsbehörde über den vollen,
durch den nationalen Gesetzgeber nicht einschränkbaren Ermessensspielraum
in Bezug auf die Angemessenheit der aufzuerlegenden Entgeltregulierungsver-
pflichtung verfügt. Die genannten Vorschriften des Gemeinschaftsrechts erlau-
ben unbeschadet der Frage, welchen Regelungsspielraum das Gemeinschafts-
recht dem nationalen Gesetzgeber im Einzelnen lässt, jedenfalls keinen Zweifel
daran, dass ein Verständnis von § 30 Abs. 1 TKG, wonach Satz 1 die Geneh-
migungspflicht kraft Gesetzes generell anordnen würde und die Bundesnetz-
agentur nur ausnahmsweise in den in Satz 2 genannten Fällen hiervon abwei-
chen könnte, richtlinienwidrig wäre. Deshalb ist § 30 Abs. 1 TKG gemein-
schaftsrechtskonform dahin auszulegen, dass die Bundesnetzagentur stets
über das Ob und das Wie der Entgeltregulierung zu entscheiden hat (s. bereits
Urteil vom 2. April 2008 - BVerwG 6 C 15.07 - a.a.O. Rn. 63; vgl. Urteil vom
29. Oktober 2008 - BVerwG 6 C 38.07 - juris Rn. 58 f.).
Daraus folgt zugleich, dass der Ausschluss jeglicher Abwägung, wie er dem
Wortlaut des § 30 Abs. 1 Satz 1 TKG für den Fall entspricht, dass die beiden in
§ 30 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 TKG genannten (negativen) Tatbestandsvor-
aussetzungen nicht kumulativ zugunsten des marktbeherrschenden Unterneh-
mens vorliegen, mit Art. 16 Abs. 4 RRL, Art. 8, 13 ZRL eindeutig unvereinbar ist
(so auch die Europäische Kommission a.a.O.; Schuster/Ruhle, in: BeckTKG,
3. Aufl. 2006, § 30 Rn. 23, 29; Klotz, in: BerlKommTKG 2006, Einl. II Rn. 149;
Mayen, in: Scheurle/Mayen a.a.O. § 30 Rn. 39 ff.; a.A. Koenig/Neumann/
Senger, MMR 2006, 365 <368 f.>). Inwieweit ein Verständnis des § 30 Abs. 1
Satz 2 TKG im Sinne einer bloßen Abwägungsdirektive, die in jedem Einzelfall
planerisch überwunden werden kann (zum Begriff: Urteil vom 28. Januar 1999
- BVerwG 4 CN 5.98 - BVerwGE 108, 248 <256> = Buchholz 406.25 § 41
BImSchG Nr. 25 S. 8), die Grenzen des Umsetzungsspielraums wahren könnte,
bedarf aus Anlass des vorliegenden Falles keiner Vertiefung. Fest steht je-
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denfalls, dass der nationale Gesetzgeber das gemeinschaftsrechtlich vorgese-
hene Regulierungsermessen nicht generell für bestimmte Fallgruppen aus-
schließen darf.
bb) Nach diesem Maßstab ist die von der Bundesnetzagentur ausgesprochene
Entgeltregulierungsmaßnahme rechtswidrig. Selbst wenn die Entscheidung der
Behörde zur Entgeltregulierung dahin gedeutet werden könnte, dass diese nicht
nur festgestellt, sondern der Klägerin regulatorisch auferlegt worden ist, leidet
die Regelung an einem Abwägungsausfall. Denn ihre Auslegung führt zu dem
eindeutigen Ergebnis, dass eine Abwägung überhaupt nicht stattgefunden hat.
Dies folgt schon aus Wortlaut und Systematik des Verfügungstenors, der unter
Nr. I.1 die der Klägerin auferlegten Verpflichtungen zusammenfasst und davon
abgesetzt unter Nr. I.2 den Ausspruch über das Bestehen der Entgeltgenehmi-
gungspflicht trifft. Aus den zur Auslegung des Verfügungstenors mit heranzu-
ziehenden Gründen lässt sich nichts Abweichendes entnehmen. Vielmehr be-
legt der Umstand, dass die Bundesnetzagentur im Zusammenhang mit der
Entgeltregulierung (nur) eine „ausnahmsweise Freistellung von der Ex-ante-
Genehmigungspflicht“ erwogen und verneint hat (S. 25), dass nicht das grund-
sätzliche Bestehen, sondern nur das etwaige - nach Meinung der Behörde an
zwingende Voraussetzungen gebundene - Entfallen der Entgeltgenehmigungs-
pflicht in den Blick genommen worden ist. Nichts anderes ergibt sich aus der
Erwägung der Bundesnetzagentur, wonach sie nicht ohne weiteres zu einer
anderen Rechtsfolge „käme“, wenn ihr ein Ermessen „zustünde“, weil es ihr
dann freistünde, „die gesetzgeberischen Erwägungen zum Gegenstand ihrer
eigenen Ermessenserwägungen zu machen“. Auch diese Hilfsüberlegung ver-
deutlicht, dass nur die abstrakten gesetzlichen Wertungen, nicht aber die kon-
kreten Umstände des Einzelfalles berücksichtigt worden sind; dies aber wäre
im Rahmen der Abwägung selbst dann geboten, wenn diese durch eine mit
dem Gemeinschaftsrecht vereinbare gesetzliche Abwägungsdirektive vorge-
steuert sein sollte. Schließlich gibt der Umstand, dass die Bundesnetzagentur
sich den Widerruf ihres Ausspruchs zur Entgeltregulierung für den Fall vorbe-
halten hat, dass der Wegfall der beträchtlichen Marktmacht der Klägerin auf
dem Endkundenmarkt festgestellt wird (Nr. I.4 der Regulierungsverfügung),
entgegen der Ansicht der Beklagten ersichtlich nichts dafür her, dass die Aufer-
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legung der Entgeltgenehmigungspflicht auf einer einzelfallbezogenen Abwä-
gung beruht hätte.
cc) Der Abwägungsausfall kann nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass die
Europäische Kommission in ihrer der Regulierungsverfügung vorangegangenen
Stellungnahme vom 21. August 2006 eine nachträgliche Preiskontrolle, die statt
der Genehmigungspflicht hätte auferlegt werden können, als unzureichend zur
Lösung des Wettbewerbsproblems bezeichnet hatte. Dieser Stellungnahme war
bei Erlass der Regulierungsverfügung zwar „weitestgehend Rechnung zu
tragen“ (§ 12 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 TKG; Art. 7 Abs. 3, 5 RRL);
dies entband die Bundesnetzagentur aber nicht von einer dies berücksichtigen-
den eigenen Abwägung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.
f) Aus entsprechenden Gründen erweist sich schließlich auch die der Klägerin
unter Nr. II. der angefochtenen Verfügung auferlegte Pflicht zur Veröffentlichung
eines Standardangebots als rechtswidrig. Diese Verpflichtung findet keine
ausreichende Stütze in § 23 Abs. 1 TKG. Zwar ist in dieser Vorschrift in ihrer
auf den Streitfall noch anwendbaren Ursprungsfassung geregelt, dass einem
marktmächtigen Betreiber unter den dort genannten und von der Bundesnetz-
agentur bejahten Voraussetzungen die Pflicht zur Veröffentlichung eines Stan-
dardangebots auferlegt werden „soll“. Die Behörde hat diese Norm - im Ein-
klang mit dem bereits oben wiedergegebenen herkömmlichen Verständnis einer
Soll-Vorschrift - dahin ausgelegt, dass sie in einem Regelfall wie dem hier
vorliegenden gebunden war und nur in einem atypischen Fall zur Ausübung von
Ermessen berechtigt gewesen wäre.
Wie die Europäische Kommission in ihrer bereits erwähnten Stellungnahme
vom 12. April 2005 (a.a.O. S. 16) überzeugend dargelegt hat, ist dieses Norm-
verständnis eindeutig unvereinbar mit der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe in
Art. 9 Abs. 2 Satz 1 ZRL. Denn danach steht der nationalen Regulierungsbe-
hörde in jedem Einzelfall ein Ermessen darüber zu, ob sie die Standardange-
botspflicht auferlegt. Auch insoweit bedarf es aus Anlass des vorliegenden Fal-
les keiner abschließenden Prüfung, ob und inwieweit die nationale Soll-
Vorschrift einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung im Sinne einer - in
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jedem Einzelfall überwindbaren - Abwägungsdirektive zugänglich ist. Selbst
wenn man dies annimmt, bewirkt ein vollständiger Abwägungsausfall, wie er
hier vorliegt, die Rechtswidrigkeit der der Klägerin auferlegten Verpflichtung.
g) Die Rechtswidrigkeit der zu Nr. I.2 und II. getroffenen Regelungen führt zur
Teilaufhebung der angefochtenen Regulierungsverfügung. Nach der Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ein Verwaltungsakt teilbar, wenn
der rechtlich unbedenkliche Teil nicht in einem untrennbaren inneren Zusam-
menhang mit dem rechtswidrigen Teil steht. Der rechtswidrige Teil muss in der
Weise abtrennbar sein, dass der Verwaltungsakt im Übrigen ohne Änderung
seines Inhalts in sinnvoller und rechtmäßiger Weise bestehen kann. Diese
Grundsätze gelten auch, wenn der Behörde beim Erlass des Verwaltungsakts
ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum zukommt (s. Urteile vom 19. März
1996 - BVerwG 1 C 34.93 - BVerwGE 100, 335 <338> = Buchholz 402.240 § 12
AuslG 1990 Nr. 9 S. 36 und vom 13. November 1997 - BVerwG 3 C 33.96 -
BVerwGE 105, 354 <358> = Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht
Nr. 4 S. 30; Beschluss vom 2. Mai 2005 - BVerwG 6 B 6.05 - juris Rn. 8, jeweils
m.w.N.). Nach diesem Maßstab ist die Teilbarkeit hier zu bejahen. Auch wenn
die Regulierungsverpflichtungen miteinander im Zusammenhang stehen, bleibt
mit den auf einer rechtmäßigen Marktdefinition und -analyse beruhenden
Zugangs-, Gleichbehandlungs- und Transparenzverpflichtungen eine nach dem
Konzept der Bundesnetzagentur rechtmäßige und sinnvolle Regelung beste-
hen, die sie gegebenenfalls noch um eine rechtmäßige Maßnahme der Entgelt-
regulierung ergänzen kann.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Dr. Bardenhewer
Büge
Dr. Graulich
Dr. Bier
Dr. Möller
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf
500 000 € festgesetzt (§§ 47, 52 Abs. 1 GKG).
Dr. Bardenhewer
Dr. Bier
Dr. Möller
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Telekommunikationsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
TKG §§ 9, 10, 11, 12, 13, 19, 21, 23, 24, 30
Stichworte:
Marktdefinition, Marktanalyse, Beurteilungsspielraum, fiktiver Markt, Vorleis-
tungsmarkt, Vorleistungsprodukt, Weitervertrieb, Weitervertriebsprodukt,
Resale, Bitstrom, Bitstrom-Zugang, Zugang, Kollokation, Entgeltgenehmigung,
Entgeltregulierung, Standardangebot, Abwägung.
Leitsätze:
1. Die Abgrenzung eines Vorleistungsmarktes nach § 10 Abs. 1 TKG setzt nicht
stets das Bestehen realer Marktverhältnisse voraus. Der auf die Herstellung
wettbewerblicher Verhältnisse gerichtete Normzweck kann die Abgrenzung ei-
nes „fiktiven“ Marktes rechtfertigen, auf dem bisher noch kein tatsächliches
Marktgeschehen stattfand.
2. Ist ein Vorleistungsprodukt nur begrenzt austauschbar mit einem am Markt
auf Weitervertriebsbasis („Resale“) schon angebotenen Vorleistungsprodukt,
das den Nachfragern bestimmte Möglichkeiten der Qualitätsdifferenzierung
nicht bietet, können die Produkte unterschiedlichen Märkten zugeordnet wer-
den.
3. Der nationale Gesetzgeber darf das in Art. 16 Abs. 4 Rahmenrichtlinie i.V.m.
Art. 8 ff. Zugangsrichtlinie gemeinschaftsrechtlich vorgesehene Regulierungs-
ermessen nicht generell für bestimmte Fallgruppen ausschließen (im Anschluss
an das Urteil vom 2. April 2008 - BVerwG 6 C 15.07 - BVerwGE 131, 41
Rn. 61 ff.).
Urteil des 6. Senats vom 28. Januar 2009 - BVerwG 6 C 39.07
I. VG Köln vom 05.09.2007 - Az.: VG 21 K 4193/06 -