Urteil des BVerwG vom 22.02.2012

Anerkennung, Vorzeitige Entlassung, Wehrpflicht, Waffe

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 6 C 31.11
VG 7 K 468/10.KO
Verkündet
am 22. Februar 2012
Harnisch
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Februar 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge, Dr. Graulich, Dr. Möller
und Hahn
für Recht erkannt:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom
25. Januar 2011 wird aufgehoben. Die Sache wird zur an-
derweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Ver-
waltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfah-
rens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Der Kläger ist Stabsarzt und Soldat auf Zeit. Er begehrt seine Anerkennung als
Kriegsdienstverweigerer.
Der Kläger trat nach dem Erwerb der allgemeinen Hochschulreife in den Sani-
tätsdienst der Bundeswehr ein. Er wurde am 6. Juli 2000 als Sanitätssoldat und
Unteroffiziersanwärter in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen
und mit Wirkung zum 1. Februar 2001 als Anwärter für die Laufbahn der Offizie-
re des Sanitätsdienstes übernommen. Die Dienstzeit des Klägers soll am
30. Juni 2018 enden. Ab dem Wintersemester 2001/2002 wurde der Kläger zum
Studium der Humanmedizin vom Dienst freigestellt. Nach erfolgreichem Stu-
dienabschluss erhielt er am 3. Juli 2008 die Approbation als Arzt. Mit Wirkung
zum 14. Juli 2008 wurde er zum Stabsarzt ernannt und ab September 2008 in
1
2
- 3 -
dem Bundeswehrzentralkrankenhaus in K. verwandt. Seit März 2010 ist der
Kläger als Truppenarzt in das Sanitätszentrum L. abkommandiert.
Unter dem 18. Januar 2010 stellte der Kläger gegenüber dem Kreiswehrersatz-
amt K. einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Einen Tag
später beantragte er bei dem Personalamt der Bundeswehr, ihn nach § 55
Abs. 3 SG aus dem Dienstverhältnis als Soldat auf Zeit zu entlassen.
Mit Bescheid vom 9. Februar 2010 lehnte das Bundesamt für den Zivildienst
(nunmehr: Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben) den An-
erkennungsantrag des Klägers mit der Begründung als unzulässig ab, dass Sa-
nitätsoffizieren, die sich freiwillig zum Dienst in der Bundeswehr verpflichtet hät-
ten, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das für die
Durchführung eines Anerkennungsverfahrens erforderliche Rechtsschutzinte-
resse fehle. Den Widerspruch des Klägers wies das Bundesamt mit Wider-
spruchsbescheid vom 16. März 2010 zurück. Mit seinem Entlassungsbegehren
ist der Kläger im Verwaltungsverfahren vor dem Personalamt der Bundeswehr
und im Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht K. erfolglos geblieben.
Der Kläger hat gegen die Ablehnung seines Antrags auf Anerkennung als
Kriegsdienstverweigerer Klage erhoben und in der mündlichen Verhandlung vor
dem Verwaltungsgericht darauf angetragen, im Einzelnen bezeichnete Zeugen
aus dem Sanitätsdienst der Bundeswehr sowie aus dem Bundesministerium der
Verteidigung zum Beweis der von ihm behaupteten infanteristischen Ausbil-
dung, Bewaffnung und Verwendung von Sanitätssoldaten - insbesondere im
Hinblick auf die Auslandseinsätze der Bundeswehr - zu vernehmen. Das Ver-
waltungsgericht hat die Beweisanträge mit der Begründung abgelehnt, es
komme auf die Beweiserhebung aus Rechtsgründen nicht an.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil abgewie-
sen, weil es dem Kläger an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehle.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei für die aktiven
Berufs- und Zeitsoldaten, die sich in dem waffenlosen Sanitätsdienst befänden,
ein Anspruch auf Durchführung des Anerkennungsverfahrens erst dann gege-
3
4
5
6
- 4 -
ben, wenn nach einer vorrangig zu betreibenden Entlassung aus dem Dienst
die gesetzliche Wehrpflicht wieder aktuell werde. Auf die von dem Kläger be-
haupteten Veränderungen der Einsatzbedingungen von Sanitätssoldaten kom-
me es insoweit nicht an. Er sei auf absehbare Zeit in dem Kernbereich des
Grundrechts der Kriegsdienstverweigerung geschützt, da er im Rahmen seiner
Verwendung als Truppenarzt in dem Sanitätszentrum L. nicht Gefahr laufe, Tä-
tigkeiten ausführen zu müssen, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit
dem Einsatz von Kriegswaffen stünden.
Der Kläger begehrt mit seiner von dem Senat zugelassenen Revision, die Be-
klagte unter Aufhebung der ablehnenden Entscheidungen zu seiner Anerken-
nung als Kriegsdienstverweigerer zu verpflichten. Er sieht sich in seinen Grund-
rechten aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG i.V.m. Art. 12a Abs. 2 Satz 3 GG, Art. 19
Abs. 4 GG, Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ver-
letzt, weil das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung des Rechtsschutzbedürf-
nisses für sein Begehren auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer auf die
von ihm konkret wahrgenommene dienstliche Funktion abgestellt und zudem in
Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an-
genommen habe, dass die freiwillige Verpflichtung zur Dienstleistung als Sani-
tätssoldat die direkte Inanspruchnahme des Rechts auf Kriegsdienstverweige-
rung ausschließe. Er erhebt ferner die Gehörs- und die Aufklärungsrüge.
Die Beklagte tritt der Revision mit Ausführungen zu Ausbildung und Bewaffnung
des Sanitätspersonals sowie zu seiner Verwendung im Auslandseinsatz ent-
gegen. Sie sieht keinen Anlass, die Qualifikation des Sanitätsdienstes als
waffenlos aufzugeben.
II
Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil ver-
letzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO) und stellt sich auch nicht aus anderen
Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO), weil es auf der unzu-
treffenden Annahme beruht, Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit im Sanitäts-
dienst der Bundeswehr fehle das Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung
7
8
9
- 5 -
eines Verfahrens auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Auf das weite-
re Revisionsvorbringen des Klägers kommt es nicht an. Eine abschließende
Entscheidung in der Sache ist dem Senat nicht möglich, da es an tatsächlichen
Feststellungen dazu fehlt, ob der Kläger eine Gewissensentscheidung gegen
den Kriegsdienst mit der Waffe getroffen hat. Deshalb ist das angefochtene Ur-
teil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entschei-
dung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Das Verwaltungsgericht hat die grundrechtlichen Gewährleistungen aus Art. 4
Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Art. 12a Abs. 2 Satz 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie
den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, weil es das
Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für sein Begehren auf Anerkennung als
Kriegsdienstverweigerer maßgeblich unter Verweis auf die freiwillige Verpflich-
tung des Klägers für den Sanitätsdienst der Bundeswehr verneint hat.
Aus den gesetzlichen Bestimmungen der § 2 Abs. 6 Satz 3 KDVG, § 46 Abs. 2
Satz 1 Nr. 7, § 55 Abs. 1 Satz 1 SG ergibt sich, dass nicht nur gediente und
ungediente Wehrpflichtige, sondern auch Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit
ihre Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer beantragen können. Der Senat
hält an seiner Rechtsprechung nicht fest, derzufolge Berufs- und Zeitsoldaten
im Sanitätsdienst der Bundeswehr aus Rechtsgründen gleichwohl kein Rechts-
schutzbedürfnis für ein auf ihre Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ge-
richtetes Verfahren zuzubilligen ist (1.). Auch für die freiwillig dienenden Ange-
hörigen eines waffenlosen Sanitätsdienstes ist die Rechtsposition nicht nutzlos,
die sie durch einen Antrag auf Anerkennung der Berechtigung, den Kriegsdienst
mit der Waffe zu verweigern, zu gewinnen trachten. Sie müssen sie deshalb
grundsätzlich in gleicher Weise wie alle anderen Wehrpflichtigen und Soldaten
der Bundeswehr erreichen können (2.). Eine Rechtfertigung dafür, die im Sani-
tätsdienst tätigen Berufs- und Zeitsoldaten von der Möglichkeit auszunehmen,
jederzeit ein Anerkennungsverfahren durchlaufen zu können, kann nicht in de-
ren freiwilliger Dienstverpflichtung gefunden werden (3.). Ebenso wenig können
die Betroffenen auf ein vorrangig zu betreibendes Dienstentlassungsverfahren
verwiesen werden (4.).
10
11
- 6 -
1. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats haben Berufs- und Zeitsol-
daten, die sich auf Grund freiwilliger Verpflichtung im aktiven Sanitätsdienst der
Bundeswehr befinden, bis zur Beendigung ihres Dienstverhältnisses kein
Rechtsschutzbedürfnis für eine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Sol-
daten, die auf Grund ihrer Wehrpflicht als Sanitäter Dienst leisten müssen, un-
terliegen dagegen im Hinblick auf die Geltendmachung einer Gewissensent-
scheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe keinen Einschränkungen.
Der Senat hat mit dieser Rechtsprechung an die in dem Urteil des Bundesver-
fassungsgerichts vom 24. April 1985 - 2 BvF 2/83 u.a. - (BVerfGE 69, 1 <24 f.,
54 ff.>) angelegte Unterscheidung zwischen dem erst geltend gemachten und
dem bereits förmlich festgestellten Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG an-
geknüpft. Während der volle Schutz des förmlich festgestellten Grundrechts
unter Berücksichtigung des Art. 12a Abs. 2 Satz 3 GG das Recht zur Verweige-
rung auch des waffenlosen Dienstes in der Bundeswehr umfasse, lasse sich
aus dem lediglich geltend gemachten Grundrecht nur eine vorläufige Sicherung
seines Kernbereichs in dem Sinne ableiten, dass zwar eine Heranziehung zum
Kriegsdienst mit der Waffe, nicht aber zum waffenlosen Dienst ausgeschlossen
sei.
Ein den Kernbereich der grundrechtlichen Gewährleistung nicht berührender
waffenloser Dienst sei ein solcher, der objektiv keine Tätigkeiten umfasse, die in
einem nach dem Stand der jeweiligen Waffentechnik unmittelbaren Zusam-
menhang mit dem Einsatz von Kriegswaffen stünden. Dies gelte insbesondere
für den Sanitätsdienst. Auch wenn Sanitätssoldaten an Handfeuerwaffen wie
Pistolen und Gewehren ausgebildet würden, werde ihr Dienst wegen der be-
sonderen völkerrechtlichen Stellung des Sanitätsdienstes nicht zum Kriegs-
dienst mit der Waffe.
Da das nach Durchführung des Anerkennungsverfahrens förmlich zuerkannte
Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 GG gemäß Art. 12a Abs. 2 Satz 3 GG das Recht
einschließe, jeglichen Dienst in der Bundeswehr, also auch einen waffenlosen
Dienst einschließlich des Sanitätsdienstes, zu verweigern, hätten Wehrpflichti-
ge, die sich auf das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG beriefen, einen An-
12
13
14
15
- 7 -
spruch auf Durchführung des Anerkennungsverfahrens, wenn und solange sie
auf Grund ihrer Wehrpflicht zu irgendeinem Dienst in der Bundeswehr ein-
schließlich des Sanitätsdienstes herangezogen werden könnten. Dagegen sei
ein Anspruch auf Durchführung des Anerkennungsverfahrens zu verneinen,
wenn aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen eine Heranziehung zum
Wehrdienst auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht nicht in Betracht komme, die
betroffenen Wehrpflichtigen den Schutz des Grundrechts also nicht benötigten.
Dies sei auch dann der Fall, wenn und solange sie nicht auf Grund ihrer Wehr-
pflicht, sondern als Folge eigener freiwilliger Verpflichtung waffenlosen Dienst
- insbesondere Sanitätsdienst - leisteten, ihre gesetzliche Wehrpflicht also von
der selbst eingegangenen Verpflichtung zu einem Dienst überlagert werde, der
als waffenloser Dienst vor Tätigkeiten schütze, die den Kernbereich des Art. 4
Abs. 3 Satz 1 GG berührten. Die Betroffenen, die sich der für anerkannte
Kriegsdienstverweigerer durch Art. 12a Abs. 2 Satz 3 GG garantierten Möglich-
keit, einen Ersatzdienst außerhalb der Bundeswehr zu wählen, durch ihre frei-
willige Verpflichtung zum Sanitätsdienst in der Bundeswehr begeben hätten,
hätten es - wenn ihnen ihr Gewissen auch die Leistung dieses Dienstes verbie-
te - selbst in der Hand, ihr freiwillig eingegangenes Dienstverhältnis mit einem
Entlassungsantrag nach dem Soldatendienstrecht vorzeitig zu beenden. Werde
nach der Entlassung aus dem Soldatenverhältnis die gesetzliche Wehrpflicht
der Betroffenen wieder aktuell, hätten sie ein Rechtsschutzbedürfnis für ein Ver-
fahren auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Einem auf § 46 Abs. 6
(§ 46 Abs. 3 Satz 3 a.F.), § 55 Abs. 3 SG gestützten Antrag auf vorzeitige Ent-
lassung aus dem Soldatendienstverhältnis werde stattzugeben sein, wenn da-
durch die Möglichkeit geschaffen werden solle, die Anerkennung als Kriegs-
dienstverweigerer aus Gewissensgründen beantragen zu können. Denn der
Zwang, gegen die Gebote des eigenen Gewissens einen Dienst leisten zu müs-
sen, der jedenfalls im Zusammenhang mit den Verbänden der Streitkräfte ste-
he, sei im Licht des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG nach den genann-
ten soldatenrechtlichen Entlassungsvorschriften als eine schwerwiegende per-
sönliche Härte anzusehen, die ein weiteres Verbleiben im Soldatendienstver-
hältnis unzumutbar mache (vgl. zum Ganzen: Urteile vom 27. November 1985
- BVerwG 6 C 5.85 - BVerwGE 72, 241 <242 ff.> = Buchholz 448.6 § 13 KDVG
Nr. 3 S. 7 ff., vom 22. August 1994 - BVerwG 6 C 14.93 - Buchholz 448.6 § 13
- 8 -
KDVG Nr. 17 S. 2 ff. und vom 28. August 1996 - BVerwG 6 C 2.95 - Buchholz
448.6 § 13 KDVG Nr. 19 S. 7 ff. sowie - im Wesentlichen auf formelle Erwägun-
gen gestützt - Beschluss vom 20. November 2009 - BVerwG 6 B 24.09 -
Buchholz 448.6 § 1 KDVG Nr. 58 Rn. 4 f. - für im Sanitätsdienst befindliche
Zeit- und Berufssoldaten; Urteile vom 17. August 1988 - BVerwG 6 C 36.86 -
BVerwGE 80, 62 <63 ff.> = Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 9 S. 5 ff. und
- BVerwG 6 C 27.86 - Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 10, vom 20. Dezember
1988 - BVerwG 6 C 38.87 - Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 11 S. 17 f., vom
10. Februar 1989 - BVerwG 6 C 9.86 - Buchholz 448.6 § 14 KDVG Nr. 21 S. 12,
vom 26. März 1990 - BVerwG 6 C 24.88 - juris Rn. 7, vom 28. März 1990
- BVerwG 6 C 45.88 - Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 16 S. 28 ff. und vom
3. April 1990 - BVerwG 6 C 30.88 - juris Rn. 8 - für wehrpflichtige Sanitätssolda-
ten).
Soweit nach diesen Rechtsprechungsgrundsätzen freiwillig dienenden Sanitäts-
soldaten der Bundeswehr ein Rechtsschutzbedürfnis für das jederzeitige und
unmittelbare Durchlaufen eines auf die Anerkennung als Kriegsdienstverweige-
rer gerichteten Verfahrens abzusprechen ist, hält der Senat an ihnen nicht fest.
Die den Grundsätzen insoweit zu Grunde liegenden Annahmen haben sich als
nicht tragfähig erwiesen.
2. Das Rechtsschutzbedürfnis im Verwaltungsprozess - und in Entsprechung
dazu das Sachbescheidungsinteresse im Verwaltungsverfahren - ist im Regel-
fall zu bejahen und bedarf nur in besonderen Fällen der Begründung (Urteile
vom 17. Januar 1989 - BVerwG 9 C 44.87 - BVerwGE 81, 164 <165 f.> =
Buchholz 402.25 § 2 AsylVfG Nr. 9 S. 19 f. und vom 29. April 2004 - BVerwG
3 C 25.03 - BVerwGE 121, 1 <3> = Buchholz 451.74 § 9 KHG Nr. 9 S. 5). Von
den Fallgruppen, in denen diese Voraussetzung für eine Sachentscheidung feh-
len kann (vgl. dazu: Ehlers, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO,
Bd. 1, Stand: September 2011, Vorbemerkung § 40 Rn. 81 ff.), kommt hier nur
diejenige der Nutzlosigkeit der begehrten Entscheidung in Betracht. Nutzlos ist
eine Entscheidung indes nur dann, wenn sie demjenigen, der sie erstrebt, of-
fensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (Urteil
vom 29. April 2004 a.a.O. S. 3 bzw. S. 5).
16
17
- 9 -
Die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, die am Ende eines erfolgreich
durchlaufenen Anerkennungsverfahrens steht, ist für die Berufs- und Zeitsolda-
ten im aktiven Sanitätsdienst der Bundeswehr nicht in dem beschriebenen Sin-
ne offensichtlich ohne jeglichen Nutzen. Dies gilt auch dann, wenn man davon
ausgeht, dass die betroffenen Soldaten in Gestalt des Sanitätsdienstes einen
waffenlosen Dienst versehen und deshalb dauerhaft in dem Kernbereich ihres
Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG geschützt sind, weil sie vor dem
Zwang bewahrt werden, entgegen den Geboten ihres Gewissens in einer
Kriegshandlung einen anderen töten bzw. Tätigkeiten ausführen zu müssen, die
in einem nach dem Stand der jeweiligen Waffentechnik unmittelbaren Zusam-
menhang mit dem Einsatz von Kriegswaffen stehen (vgl. dazu: BVerfG, Be-
schlüsse vom 26. Mai 1970 - 1 BvR 83/69 u.a. - BVerfGE 28, 243 <262> und
vom 12. Oktober 1971 - 2 BvR 65/71 - BVerfGE 32, 40 <46>, Urteile vom
13. April 1978 - 2 BvF 1/77 u.a. - BVerfGE 48, 127 <163 f.> und vom 24. April
1985 a.a.O. S. 54, 56, Beschluss vom 11. Juli 1989 - 2 BvL 11/88 - BVerfGE
80, 354 <358>). Denn mit einer Sicherung des bloßen Kernbereichs des Grund-
rechts aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG müssen sich anerkannte Kriegsdienstver-
weigerer nicht begnügen.
Auf den Kernbereich des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung hat das
Bundesverfassungsgericht nur im Zusammenhang mit der Frage abgestellt,
welche Dienstpflichten Soldaten in der Übergangszeit zwischen der Einreichung
eines Antrags auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer und dem Ab-
schluss des Anerkennungsverfahrens erfüllen müssen. Da einerseits der Kern-
bereich des Grundrechts durch den Waffendienst im Frieden nicht berührt wird
und andererseits auch der Einrichtung und der Funktionsfähigkeit der Bundes-
wehr Verfassungsrang zukommt, ist es den Betroffenen in Friedenszeiten zu-
mutbar, den bisher geleisteten Dienst für die Dauer des mit möglichster Be-
schleunigung zu führenden Anerkennungsverfahrens fortzusetzen (BVerfG, Be-
schlüsse vom 26. Mai 1970 a.a.O. S. 262 und vom 12. Oktober 1971 a.a.O.
S. 45 ff.). Im Spannungs- und Verteidigungsfall bleibt jedenfalls die Heranzie-
hung zu einem waffenlosen Dienst zulässig, bis endgültig feststeht, dass das
18
19
- 10 -
Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG zu Recht in Anspruch genommen wird
(BVerfG, Urteil vom 24. April 1985 a.a.O. S. 56 f.).
Jenseits der durch das Anerkennungsverfahren bedingten zeitlichen Über-
gangsphase geht bei einem für den jeweiligen Antragsteller erfolgreichen Ab-
schluss dieses Verfahrens der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Kriegs-
dienstverweigerung indes über den beschriebenen Kernbereich hinaus. Dies
gibt das Grundgesetz durch die in Art. 12a Abs. 2 GG erteilte Ermächtigung, auf
gesetzlichem Wege eine Ersatzdienstpflicht einzuführen, allgemein zu erkennen
(vgl. im Hinblick auf das Recht zur Kriegsdienstverweigerung bereits im Frie-
den: BVerfG, Urteil vom 13. April 1978 a.a.O. S. 164, Beschluss vom 11. Juli
1989 a.a.O.). Speziell der Regelung des Art. 12a Abs. 2 Satz 3 GG kann - hier-
an hält der Senat fest - entnommen werden, dass ein anerkannter Kriegsdienst-
verweigerer das Recht hat, jeglichen Dienst in der Bundeswehr, also auch ei-
nen waffenlosen Dienst einschließlich des Sanitätsdienstes zu verweigern. Vor
diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund bestimmt das einfache Recht in
§ 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, § 55 Abs. 1 Satz 1 SG, dass Berufs- und Zeitsoldaten
im Falle ihrer Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zu entlassen sind. Dies
entspricht der Regelung, die § 29 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 WPflG für als Kriegs-
dienstverweigerer anerkannte Wehrpflichtige trifft.
Sind mit der Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer derartige, über die bloße
Sicherung des Kernbereichs des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG hi-
nausgehende Gewährleistungen verbunden, muss den Berufs- und Zeitsolda-
ten des Sanitätsdienstes wie allen Wehrpflichtigen und Soldaten der Bundes-
wehr grundsätzlich die Möglichkeit zugestanden werden, diese Rechtsposition
jederzeit und unmittelbar durch das Durchlaufen des für die Anerkennung erfor-
derlichen Verfahrens zu erreichen.
3. Dem Sanitätspersonal im Status von Berufs- und Zeitsoldaten ein beachtli-
ches Bedürfnis hierfür abzusprechen, kann entgegen der bisherigen Einschät-
zung des Senats nicht durch die Erwägung gerechtfertigt werden, dass die nach
§ 1 Abs. 2 Satz 1 SG eingegangene freiwillige Dienstverpflichtung der Betroffe-
nen deren Wehrpflicht überlagere und diese sich hierdurch des durch Art. 12a
20
21
22
- 11 -
Abs. 2 Satz 3 GG garantierten Rechts zur Ableistung eines Ersatzdienstes au-
ßerhalb der Bundeswehr begeben hätten.
Denn zum einen ist das Recht der Kriegsdienstverweigerung ausweislich der
einfachgesetzlichen Regelung in § 2 Abs. 6 Satz 3 KDVG, § 46 Abs. 2 Satz 1
Nr. 7, § 55 Abs. 1 Satz 1 SG nicht an die gesetzliche Wehrpflicht gekoppelt.
Zum anderen ist mit den Begriffen des Überlagerns und des Sich-Begebens im
Ergebnis die Annahme verbunden, die Betroffenen verzichteten bei Abgabe
ihrer Dienstverpflichtung mit Wirkung für die gesamte Dauer ihres jahrelangen
Dienstes unwiderruflich darauf, das Recht der Kriegsdienstverweigerung aus
Gewissensgründen in seinem vollen Gewährleistungsgehalt wahrzunehmen.
Ein derartiger Verzicht erfasste mithin nicht nur bereits getroffene, sondern
auch erst im Laufe der Jahre entstehende Gewissensentscheidungen. Ein sol-
cher Gehalt kann der von den Betroffenen abgegebenen Dienstverpflichtung
rechtlich und tatsächlich keinesfalls zukommen.
4. Entgegen der bisherigen Annahme des Senats stellt für die Berufs- und Zeit-
soldaten des Sanitätsdienstes auch die Möglichkeit, unter Verweis auf einen
beabsichtigten Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ihre vorzei-
tige Entlassung aus dem Soldatendienstverhältnis auf der Grundlage der Härte-
fallklauseln der § 46 Abs. 6 (§ 46 Abs. 3 Satz 3 a.F.), § 55 Abs. 3 SG zu betrei-
ben und im Erfolgsfall gegebenenfalls in das Anerkennungsverfahren überzu-
wechseln, keine Alternative dar, die das unmittelbare Durchlaufen eines An-
erkennungsverfahrens als überflüssig erscheinen lassen könnte.
Hierfür spricht bereits, dass der Entlassungsgrund der persönlichen Härte eines
Verbleibens im Dienst einer Inanspruchnahme durch sämtliche Berufs- und
Zeitsoldaten der Bundeswehr und nicht nur durch diejenigen des Sanitätsdiens-
tes offen steht, ohne dass indes allgemein das Dienstentlassungsverfahren als
vorrangig gegenüber einem Verfahren auf Anerkennung als Kriegsdienstver-
weigerer begriffen und die damit verbundene zusätzliche Verfahrenslast als hin-
nehmbar erachtet würde.
23
24
25
- 12 -
Hinzu kommt, dass das von dem Senat bisher befürwortete Verhältnis von An-
erkennungsverfahren und Dienstentlassungsverfahren in den einschlägigen
Verfahrensvorschriften nicht angelegt ist. Vielmehr hat das Kriegsdienstverwei-
gerungsgesetz in allen seinen bisherigen Fassungen die Entscheidung über
Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer Stellen außerhalb der
Wehrverwaltung bzw. ihrer Weisungsbefugnis überantwortet. Zudem hat bei
einer Kriegsdienstverweigerung von Berufs- oder Zeitsoldaten das von diesen
Stellen durchzuführende Anerkennungsverfahren nach der Vorstellung des Ge-
setzgebers einem Dienstentlassungsverfahren voranzugehen. Dies ergibt sich
aus den bereits genannten Vorschriften der § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, § 55
Abs. 1 Satz 1 SG, die die Entlassung aus dem Dienst als Rechtsfolge einer An-
erkennung als Kriegsdienstverweigerer ausgestalten.
Diese im Sinne des Gesetzes liegende Zuständigkeitsverteilung und Entschei-
dungsabfolge ist durch die bisherige Rechtsprechung des Senats zur Kriegs-
dienstverweigerung, derzufolge zunächst die Wehrverwaltung über einen An-
trag von freiwillig dienenden Sanitätssoldaten auf Dienstentlassung wegen be-
sonderer Härte zu entscheiden hat, bevor diese gegebenenfalls ein Verfahren
auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer betreiben können, praktisch ab-
geändert bzw. umgekehrt worden. Hierdurch wird in jedem Fall die Beschleuni-
gungsmaxime, der das Anerkennungsverfahren unterliegt, in vermeidbarer Wei-
se eingeschränkt. Es kann darüber hinaus zu einer nicht hinnehmbaren Kompli-
zierung der Verfahrensabläufe kommen. Denn es ist einerseits grundsätzlich
möglich, dass ein Betroffener im Hinblick auf einen beabsichtigten Antrag auf
Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus dem Dienst entlassen, später
jedoch nicht anerkannt wird. Dann stellt sich die Frage einer Aufhebung der
Entlassungsverfügung nach §§ 48, 49 VwVfG. Andererseits kann nicht ausge-
schlossen werden, dass ein Sanitätssoldat, der tatsächlich eine Gewissensent-
scheidung im Sinne des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG getroffen hat, in dem für die
Feststellung dieser Entscheidung nicht geschaffenen Dienstentlassungsverfah-
ren scheitert und mit ihr dann über eine lange Zeit kein Gehör mehr findet.
26
27
- 13 -
5. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens ist der Schluss-
entscheidung vorzubehalten.
Neumann
Büge
Dr. Graulich
Dr. Möller
Hahn
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 €
festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG).
Neumann
Büge
Dr. Graulich
Dr. Möller
Hahn
28