Urteil des BVerwG vom 16.07.2003

Einziehung, Erwerb, Vorrang des Gesetzes, An Erfüllung Statt

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet
am 16. Juli 2003
Bech
BVerwG 6 C 27.02
Justizangestellte
VG 5 A 44/01
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juli 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. B a r d e n h e w e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. H a h n , B ü g e ,
Dr. G r a u l i c h und V o r m e i e r
für Recht erkannt:
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Das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 28. August 2002
wird aufgehoben.
Der Bescheid des Beklagten vom 14. März 2001 und der Wider-
spruchsbescheid der Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle vom
25. Mai 2001 werden aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Klägerin für den
geschäftsmäßigen Erwerb von Forderungen zum Zwecke der Einzie-
hung auf eigene Rechnung gemäß ihrer Satzung vom 7. September
2001 keiner Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsangelegenhei-
ten bedarf.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
I.
Die ... Rechenzentrum ... GmbH & Co KG errichtete unter dem 20. Juli 2000 die Klägerin als
rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts, gab ihr eine Satzung und stattete sie mit 1 Million
Deutsche Mark in bar aus. Organe der Klägerin sind der Vorstand und der Stiftungsbeirat.
Gemäß § 2 Abs. 1 der Satzung ist Zweck der Stiftung die Verbraucherberatung und der
Verbraucherschutz und hierbei insbesondere u.a. der Schutz der Schuldner vor nichtanwalt-
lichen Beitreibungsmethoden. Der Zweck wird nach § 2 Abs. 2 der Satzung u.a. durch die
Übernahme von Forderungen zum Zwecke der Einziehung verwirklicht, wobei damit aus-
schließlich Rechtsanwälte beauftragt werden dürfen. Unter dem 24. Juli 2000 erteilte die Be-
zirksregierung L. die stiftungsrechtliche Errichtungsgenehmigung. Im Juli 2000 trat die
...Bank AG alle ab 1. Januar 1991 unter bestimmten Aktennummern rechtskräftig titulierten
Forderungen an die Klägerin ab. Am 1. August 2000 erteilte die Stiftung bestimmten Rechts-
anwälten eine Generalinkassovollmacht. Die Satzung wurde im Dezember 2000 dahin ge-
hend geändert, dass die Stiftung auf die Erstattung der Rechtsanwaltsgebühren gegenüber
den Schuldnern verzichtet, und am 7. September 2001 weiter modifiziert.
Mit Schreiben vom 6. Dezember 2000 beantragte die Klägerin die Feststellung, dass der
Forderungsankauf durch sie keiner Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz bedürfe,
hilfsweise die Erteilung einer Erlaubnis für den geschäftsmäßigen Erwerb von Forderungen
zum Zweck der Einziehung auf eigene Rechnung, die auf den Forderungserwerb beschränkt
sei, da sie keinerlei Inkassotätigkeit entfalte.
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Der Beklagte lehnte die Anträge mit Bescheid vom 14. März 2001 ab. Er führte aus, der For-
derungserwerb der Klägerin sei nach § 1 Abs. 1 der Fünften Verordnung zur Ausführung des
Rechtsberatungsgesetzes erlaubnispflichtig, aber nicht erlaubnisfähig, weil der Klägerin als
juristischer Person wegen § 10 der Ersten Verordnung zur Ausführung des Rechtsbera-
tungsgesetzes keine Erlaubnis erteilt werden könne. Die Erteilung einer Erlaubnis an eine
gemeinnützige Stiftung komme nicht in Betracht. Es sei auch widersprüchlich, wenn die Stif-
tung selbst Gläubigerin von Forderungen sei, aber andererseits satzungsgemäß Schuldner
betreue. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Präsidentin des Oberlandesge-
richts Celle mit Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 2001 zurück.
Die Klägerin hat Klage erhoben und beantragt, unter Aufhebung der entgegenstehenden Be-
scheide den Beklagten zu verpflichten festzustellen, dass der Erwerb von Forderungen durch
sie keiner Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz bedürfe, hilfsweise, den Beklagten
unter Aufhebung der Bescheide zu verpflichten, ihr die beantragte Erlaubnis nach dem
Rechtsberatungsgesetz für den geschäftsmäßigen Erwerb von Forderungen zum Zwecke
der Einziehung auf eigene Rechnung zu erteilen.
Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat mit Urteil vom 28. August 2002 die Klage abgewiesen
und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die
beantragte Feststellung. Nach Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 RBerG bedürfe die geschäftsmäßige
Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten einschließlich der Rechtsberatung und der Ein-
ziehung fremder oder zu Einziehungszwecken abgetretener Forderungen der Erlaubnis. Die
Erlaubnispflicht erstrecke sich nach § 1 Abs. 1 der Fünften Verordnung zur Ausführung des
Rechtsberatungsgesetzes auch auf den geschäftsmäßigen Erwerb von Forderungen zum
Zwecke der Einziehung auf eigene Rechnung. Darunter falle auch die Betätigung der Kläge-
rin, die Forderungen auf der Grundlage von Vollabtretungen erwerbe und in ihrem Namen
einziehen lasse. Dass mit der Einziehung Rechtsanwälte beauftragt würden, stehe der da-
nach gegebenen Erlaubnisbedürftigkeit nicht entgegen. Die Erweiterung der Erlaubnisbedürf-
tigkeit durch eine Ausführungsverordnung sei unbedenklich, weil diese Erweiterung durch die
Ermächtigung in Art. 5 Abs. 1 RBerG gedeckt sei. Zwar sei diese vorkonstitutionelle
Ermächtigung nach Art. 129 Abs. 3 GG erloschen, die auf ihrer Grundlage erlassene Verord-
nung bleibe indessen davon unberührt. Die Erweiterung der Erlaubnispflicht stelle einen
verhältnismäßigen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit dar. Sie solle verhindern, dass die
Erlaubnispflicht durch bestimmte bürgerlich-rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten des Forde-
rungserwerbs, namentlich den Forderungskauf oder die Abtretung an Erfüllung Statt, um-
gangen werde. Damit diene die Regelung dem Schutz der Rechtssuchenden und der rei-
bungslosen Abwicklung des Geschäftsverkehrs. Daher könne dahingestellt bleiben, ob sich
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die Klägerin nach Art. 19 Abs. 3 GG auf das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG berufen kön-
ne. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf eine Erlaubnis. Aus § 3 der Ersten Ausfüh-
rungsverordnung zum Rechtsberatungsgesetz folge zwar, dass die Erlaubnis auch juristi-
schen Personen erteilt werden könne; dies solle aber nach deren § 10 Abs. 1 nur gesche-
hen, wenn besondere Gründe für diese Rechtsform sprächen, die den Mangel an persönli-
cher Beziehung zu den Rechtsuchenden ausgleichen könnten. Der daraus folgende grund-
sätzliche Ausschluss juristischer Personen sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Das gelte
auch in Ansehung der grundsätzlichen Zulassungsfähigkeit von Rechtsanwaltsgesellschaften
nach §§ 59 c ff. BRAO, da es sich um unterschiedliche Sachverhalte handele. Für die
Rechtsform der Stiftung sprächen hier keine besonderen Gründe, zumal die Organisation
des Geschäftsbetriebs der Klägerin zu Bedenken Anlass gebe. Die personelle Ausstattung
der Klägerin stehe in keinem angemessenen Verhältnis zum Geschäftsumfang. In der Sat-
zung sei auch nicht hinreichend sichergestellt, dass die Stiftung im Bereich der erlaubnis-
pflichtigen Tätigkeit unabhängig von Weisungen des Stiftungsbeirats sei. Wegen ihrer struk-
turellen Mängel habe die Klägerin auch nicht die nach Art. 1 § 1 Abs. 2 RBerG in Verbindung
mit § 8 der Ersten Verordnung zur Ausführung des Rechtsberatungsgesetzes erforderliche
Eignung. Ob die Erlaubnis auch wegen Unzuverlässigkeit zu versagen sei, könne dahinste-
hen.
Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision verfolgt die Klägerin ihr Kla-
gebegehren weiter. Zur Begründung macht sie geltend: Die Erweiterung der Erlaubnispflicht
durch § 1 Abs. 1 der Fünften Verordnung zur Ausführung des Rechtsberatungsgesetzes be-
ruhe nicht auf einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Der geschäftsmäßige Erwerb von
Forderungen zum Zwecke der Einziehung auf eigene Rechnung könne nicht als rechtsbera-
tende Tätigkeit qualifiziert werden. Die Einziehung für eigene Rechnung stelle die Besorgung
einer eigenen Rechtsangelegenheit dar. Die Einführung eines Erlaubnisvorbehalts für die
Wahrnehmung eigener Rechtsangelegenheiten sei von der Ermächtigungsgrundlage nicht
gedeckt. Selbst wenn die Ausführungsverordnung vor In-Kraft-Treten des Grundgesetzes
eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage gehabt hätte, sei diese jedenfalls nunmehr ent-
fallen, wie aus Art. 129 Abs. 3 GG folge. Auf nicht mehr geltende Ermächtigungsgrundlagen
gestützte Rechtsverordnungen, die zu einer Grundrechtsbeschränkung führten, hätten nur
für eine Übergangszeit hingenommen werden können. Ein Erlaubnisvorbehalt für die von ihr
vorgesehene Betätigung führe zu einer subjektiven Zulassungsschranke, für die es keine
gesetzliche Grundlage gebe. Die Erlaubnispflicht sei zudem in dem Rechtsberatungsgesetz
nicht vorgezeichnet gewesen. Dieses verfolge das Ziel, den Rechtsuchenden vor ungeeigne-
ten Rechtsberatern zu schützen, und diene außerdem der Sicherstellung einer geordneten
Rechtspflege, insbesondere einem reibungslosen Verkehr der Rechtsuchenden mit Gerich-
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ten und Behörden. Ihre Tätigkeit tangiere die Schutzzwecke des Gesetzes nicht. Gegenüber
den Zedenten der Forderungen werde sie nicht rechtsberatend tätig; der Preis für die Forde-
rungen werde nicht nach Prüfung von Erfolgsaussichten der Einziehungsmaßnahmen, son-
dern rein betriebswirtschaftlich nach statistischen Gesichtspunkten festgelegt. Nach dem
Forderungserwerb würden lediglich die dann eigenen Forderungen durch Rechtsanwälte
geltend gemacht. Eine eigene Einziehung durch sie im Sinne einer aktiven Tätigkeit erfolge
nicht. Komme man zu einem gegenteiligen Ergebnis, werde sie in ihrem Grundrecht aus
Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. Die Statuierung eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt für jeglichen
Erwerb von Forderungen zum Zwecke der Einziehung im eigenen Namen und für eigene
Rechnung sei im Hinblick auf die Zwecke des Rechtsberatungsgesetzes unverhältnismäßig.
Jedenfalls sei der Hilfsantrag begründet.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
II.
Die zulässige Sprungrevision ist begründet. Die Klägerin bedarf für den Forderungserwerb
zur Einziehung im eigenen Namen und auf eigene Rechnung durch Rechtsanwälte gemäß
ihrer Satzung vom 7. September 2001 keiner Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsange-
legenheiten. Die gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht
(§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
1. Die Klägerin wendet sich mit ihrem Hauptantrag gegen die ihr Begehren auf Feststellung
der Erlaubnisfreiheit ihrer Betätigung ablehnenden Verwaltungsakte und macht einen An-
spruch auf Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes geltend. Diese Kombination von
Anfechtungs- und Verpflichtungsklage begegnet keinen Zulässigkeitsbedenken. Die Klägerin
kann im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO geltend machen, durch die Ablehnung des feststellen-
den Verwaltungsakts in ihren Rechten verletzt zu sein. Allerdings lässt sich dem Rechtsbera-
tungsgesetz und den dazu ergangenen Ausführungsverordnungen nicht ohne weiteres eine
Rechtsgrundlage für den Erlass eines das Nichtbestehen einer Erlaubnispflicht feststellen-
den Verwaltungsaktes entnehmen. Ob eine Verpflichtung der Behörde, einen begünstigen-
den, feststellenden Verwaltungsakt zu erlassen, besteht, ist in Bezug auf ein "Negativattest"
nach dem Rechtsberatungsgesetz in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
offen gelassen worden (Urteil vom 16. August 1977 - BVerwG 1 C 23.69 - BVerwGE 54, 264
<266>; im Grundsatz ablehnend: Rennen/Caliebe, RBerG, 3. Aufl., 2001, Art. 1 § 1 RBerG
Rn. 219; Weth in: Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, 1997, Art. 1 § 1 RBerG
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Rn. 58; Chemnitz/Johnigk, RBerG, 11. Aufl., 2003, Rn. 267), lässt sich aber jedenfalls nicht
mit der für eine Verneinung der Klagebefugnis erforderlichen Sicherheit (dazu z. B. Urteil
vom 10. Oktober 2002 - BVerwG 6 C 8.01 - BVerwGE 117, 93 <96>) ausschließen.
2. Die Klägerin hat einen Anspruch auf den nachgesuchten feststellenden Verwaltungsakt
und auf Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide, da der Erwerb von Forderungen
durch die Klägerin zum Zwecke der Einziehung auf ihre Rechnung durch Rechtsanwälte kei-
ner Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz bedarf.
2.1. In der Befugnis, eine nachgesuchte Genehmigung zu erteilen oder zu versagen, liegt
zugleich die Grundlage für die Feststellung, ob der Genehmigungstatbestand gegeben ist
oder nicht (Beschluss vom 10. Oktober 1990 - BVerwG 1 B 131.90 - Buchholz 451.20 § 34 c
GewO Nr. 4). Ob die Behörde hinsichtlich einer Betätigung, von der zweifelhaft sein kann, ob
sie von einem Erlaubnistatbestand erfasst ist, auf Antrag ein "Negativattest" erteilt, wenn Er-
laubnisfreiheit vorliegt, steht grundsätzlich in ihrem Ermessen. Der Beklagte ist, wie er in der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt hat, bereit, bei Vorliegen der Voraussetzun-
gen ein "Negativattest" zu erteilen, so dass hierzu weitere Erwägungen entbehrlich sind.
2.2. Nach Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 des Rechtsberatungsgesetzes (RBerG) vom 13. De-
zember 1935 (RGBl I S. 1478, mit der jetzigen Überschrift übernommen in die Sammlung
des Bundesrechts ), darf die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten
einschließlich der Einziehung fremder oder zu Einziehungszwecken abgetretener Forderun-
gen geschäftsmäßig nur von Personen betrieben werden, denen dazu die Erlaubnis erteilt
ist. Dieser Tatbestand wird hier nicht verwirklicht. Die Klägerin kauft Forderungen von Dritten
auf und macht sie durch Rechtsanwälte auf eigene Rechnung und in eigenem Namen gel-
tend. Die Forderungen sind daher keine fremden und nicht lediglich zu Einziehungszwecken
abgetreten. Durch die Abtretung erlischt die Forderung des Zedenten gegen den Schuldner,
und an seine Stelle tritt der Zessionar, hier die Klägerin. Der Zedent ist an der Einziehung
der Forderung nicht mehr interessiert, weil er den vereinbarten Kaufpreis erhält.
2.3. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 der Fünften Verordnung zur Ausführung des Rechtsbera-
tungsgesetzes vom 29. März 1938 (RGBl I S. 359) - 5. AVORBerG - bedarf auch der ge-
schäftsmäßige Erwerb von Forderungen zum Zwecke der Einziehung auf eigene Rechnung
der Erlaubnis nach Art. 1 § 1 RBerG.
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2.3.1. Diese Vorschrift erweitert die Erlaubnisbedürftigkeit nach Art. 1 § 1 RBerG auf Fälle
der Vollabtretung von Forderungen, die auf eigene Rechnung des Zessionars eingezogen
werden. In solchen Fällen stellt die Geltendmachung der Forderung eine eigene Rechtsan-
gelegenheit dar. § 1 Abs. 1 der 5. AVORBerG knüpft daher nicht an die Einziehung, sondern
an den Erwerb der Forderung an.
2.3.2. Die Erweiterung der Erlaubnisbedürftigkeit durch § 1 Abs. 1 der 5. AVORBerG ist nicht
mehr mit höherrangigem Recht vereinbar und daher ungültig.
2.3.2.1. Als Ermächtigungsgrundlage kommt nur Art. 5 RBerG in Betracht. Nach dessen
Abs. 1 Satz 1 werden Ausführungsvorschriften zu Art. 1 des Gesetzes durch den "Reichsmi-
nister der Justiz" erlassen. Hierbei können nach Satz 2 ergänzende Bestimmungen, "insbe-
sondere Einschränkungen oder Erweiterungen der Erlaubnispflicht" getroffen werden.
2.3.2.2. Die Ermächtigung in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 RBerG ist gemäß Art. 129 Abs. 3 GG erlo-
schen, soweit sie zum Erlass gesetzesvertretender Verordnungen ermächtigt (Urteil vom
16. August 1977 - BVerwG 1 C 23.69 - BVerwGE 54, 264 <268> = Buchholz 355 RBerG
Nr. 33; Rennen/Caliebe, a.a.O., Art. 5 RBerG Rn. 1; Chemnitz/Johnigk, a.a.O., Rn. 871).
Gesetzesvertretende Verordnungen sind solche, die den förmlichen Vorrang des Gesetzes
besitzen (BVerfG, Beschluss vom 3. Mai 1967 - 2 BvR 134/63 - BVerfGE 22, 1 <12>), also
allen früher erlassenen Gesetzen vorgehen. Diese Voraussetzung trifft auf die Erstreckung
eines Erlaubnisvorbehalts auf vom Gesetz noch nicht erfasste Tatbestände (Urteil vom
1. Oktober 1971 - BVerwG 7 C 5.71 - BVerwGE 38, 322 <323>) und damit auch auf § 1
Abs. 1 der 5. AVORBerG zu.
2.3.2.3. Der auf der Grundlage des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 RBerG erlassene § 1 Abs. 1 der
5. AVORBerG ist jetzt nicht mehr anzuwenden, weil er nach dem Wegfall der Ermächti-
gungsgrundlage dem Grundgesetz nicht mehr entspricht.
In seiner früheren Rechtsprechung ist das Bundesverwaltungsgericht von der weiterhin be-
stehenden Anwendbarkeit dieser Vorschrift ausgegangen (Beschluss vom 3. August 1960
- BVerwG 1 ER 200.60 - DVBl 1960, 774 = GewArch 1963, 19 und Urteil vom 16. August
1977, a.a.O.; vgl. auch BVerfGE 9, 3 <12>; 22, 1 <12>). An dieser Auffassung kann zum
gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr festgehalten werden.
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Die nunmehr seit langem erloschene Ermächtigungsgrundlage des Art. 5 RBerG zum Erlass
gesetzesvertretender Verordnungen stellt keine hinreichende Legitimationsgrundlage mehr
für die Grundrechtseingriffe dar, die mit dem durch die Fünfte Ausführungsverordnung ange-
ordneten Erlaubnistatbestand verbunden sind. Denn der in der Übergangsbestimmung der
Art. 123 Abs. 1 und Art. 129 Abs. 3 GG enthaltene Verzicht auf heutigen Anforderungen ent-
sprechende Eingriffsgrundlagen war auch von der Erwägung getragen, regellose Zustände
zu vermeiden. Seither hatte der Gesetzgeber genügend Zeit, rechtsstaatlichen Erfordernis-
sen Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 78, 179 <198 f.>). Zwar hat das Bundesverfassungs-
gericht in seinem - soweit ersichtlich - nicht veröffentlichten Kammerbeschluss vom 7. No-
vember 1994 - BVerfG 1 BvR 2031/93 - entschieden, dass § 1 der 5. AVORBerG mit rechts-
staatlichen Grundsätzen vereinbar ist und deshalb als Bundesrecht weiter gilt. Bindungswir-
kung nach § 31 BVerfGG kommt diesem Beschluss aber nicht zu (BVerfGE 92, 91 <107>).
Angesichts der auch danach noch verstrichenen Zeit von nahezu neun Jahren stützt sich die
Regelung des § 1 der 5. AVORBerG nunmehr auf eine seit 54 Jahren außer Kraft getretene
Ermächtigungsgrundlage. Das ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht mehr zu vereinba-
ren. Denn die Bestimmung des § 1 der 5. AVORBerG erstreckt den Erlaubnisvorbehalt des
Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG auf einen Lebenssachverhalt, der sich von dem gesetzlichen Er-
laubnistatbestand in wesentlichen Punkten unterscheidet und führt damit zu erheblichen zu-
sätzlichen Grundrechtseinschränkungen, die jedenfalls nunmehr nur auf der Grundlage einer
Entscheidung des Gesetzgebers zulässig sind (Art. 19 Abs. 1 GG). Die wirtschaftlichen Ver-
hältnisse haben zudem im hier zu betrachtenden Zusammenhang bedeutende Veränderun-
gen erfahren, so dass es auch deshalb der Entscheidung des Gesetzgebers bedarf, ob der
Forderungsankauf zum Zwecke der Einziehung im eigenen Namen und auf eigene Rech-
nung noch dem Regime des Rechtsberatungsgesetzes unterworfen sein soll.
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass der Erlaubnisvorbe-
halt gemäß Art. 1 § 1 RBerG verfassungsgemäß ist (BVerfGE 41, 378 <390>; 75, 246 <267,
275>; 97, 12 <26>; Kammerbeschluss vom 27. September 2002 - 1 BvR 2251/01 - NJW
2002 , 3531). Der Erlaubnisvorbehalt dient dem Gemeinwohl im Sinne der Rechtsprechung
zu Art. 12 Abs. 1 GG. Er dient dem Schutz des Rechtsuchenden und bezweckt auch den
reibungslosen Ablauf des Rechtsverkehrs. Dies gilt auch für den Forderungseinzug im Sinne
des Art. 1 § 1 RBerG (BVerfGE 97, 12 <28>). In dem Beschluss vom 20. Februar 2002
- 1 BvR 423/99 u.a. - (DVBl 2002, 611 <612>) führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass
in Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG der Beruf des Inkassounternehmers der Besorgung fremder
Rechtsangelegenheiten und der Rechtsberatung gleichgestellt wird und der Erlaubnisvorbe-
halt dazu dient, die mit dem Forderungseinzug einhergehende besondere Form der Rechts-
besorgung und Rechtsberatung in den Schutzzweck des Gesetzes einzubeziehen. Bei der
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Beurteilung, ob bestimmte Tätigkeiten dem Erlaubnisvorbehalt des Rechtsberatungsgeset-
zes unterfallen, ist jedoch unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit eine Abwägung der
Belange der Qualität der Rechtsberatung und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege einer-
seits und der Berufsfreiheit des Einzelnen unter Berücksichtigung der Entwicklung der Le-
benswirklichkeit andererseits vorzunehmen (BVerfGE 97, 12 <27 f.> und Kammerbeschluss
vom 27. September 2002, a.a.O., S. 3532). Eine erlaubnispflichtige Besorgung fremder
Rechtsangelegenheiten ist gegeben, wenn die betreffende geschäftsmäßige Tätigkeit darauf
gerichtet ist, konkrete fremde Rechtsangelegenheiten zu verwirklichen oder konkrete fremde
Rechtsverhältnisse zu gestalten. Zur Abgrenzung erlaubnisfreier wirtschaftlicher Tätigkeit
von Rechtsbesorgung ist auf den Kern und den Schwerpunkt der Tätigkeit abzustellen. Es ist
danach zu fragen, ob die Tätigkeit überwiegend auf wirtschaftlichem Gebiet liegt und die
Wahrnehmung wirtschaftlicher Belange bezweckt oder ob die rechtliche Seite der Angele-
genheit im Vordergrund steht und es wesentlich um die Klärung rechtlicher Verhältnisse geht
(BGH, Urteil vom 25. Juni 1998 - I ZR 62/96 - NJW 1998, 3563 <3564>). Maßgebend ist, ob
der Auftraggeber eine besondere rechtliche Prüfung von Geschäftsinhalt und Geschäftsrisi-
ken ausdrücklich wünscht oder zumindest erkennbar erwartet (BGH, Urteil vom 30. März
2000 - I ZR 289/97 - NJW 2000, 2108 <2109>).
§ 1 Abs. 1 der 5. AVORBerG knüpft nicht an den Einzug der (eigenen) Forderung an, son-
dern an den Erwerb der Forderung. Damit wird der Erlaubnistatbestand des Art. 1 § 1 Abs. 1
RBerG nicht lediglich in Randbereichen abgerundet, sondern auf einen Vorgang erweitert,
der bei typisierender Betrachtung (BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2002, a.a.O., S. 613)
primär wirtschaftlicher Art ist. Das gilt namentlich für den nach den heutigen Wirtschaftsbe-
dingungen unter dem Gesichtspunkt der Auslagerung von Dienstleistungen (sog. "Outsour-
cing") nahe liegenden und gebräuchlichen entgeltlichen Erwerb einer großen Zahl von For-
derungen durch einen Dritten zwecks Einziehung, wie er von der Klägerin praktiziert worden
und weiter beabsichtigt ist. Beim Verkauf zahlreicher Forderungen einer Bank oder eines
anderen Wirtschaftsunternehmens gegen eine Vielzahl von Kunden "im Paket" erwartet der
Zedent keine rechtliche Bewertung, sondern handelt mit dem Erwerber einen "Preis" aus.
Der als "Massengeschäft" in Erscheinung tretende Forderungsankauf zeigt eine Entwicklung
der wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse auf, die weder bei Erlass des Rechtsbera-
tungsgesetzes noch bei demjenigen der Fünften Ausführungsverordnung absehbar war. Der
Bezug zur Betreuung von Rechtsangelegenheiten Dritter ist hier allenfalls noch insoweit ge-
geben, als die Bewertung der zu zedierenden Forderung zur Festlegung eines angemesse-
nen Preises eine rechtliche Beurteilung erfordern kann, die aber jedenfalls in erster Linie
nicht gegenüber Dritten, sondern im eigenen Interesse des Erwerbers der Forderungen vor-
genommen wird. Die rechtliche Bewältigung dieses Vorgangs kann nicht mehr auf der
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Grundlage einer vor mehr als einem halben Jahrhundert unter einem mit heutigen rechts-
staatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbarenden Rechtssystem erlassenen Rechtsverord-
nung erfolgen, sondern bedarf der Bewertung durch den Gesetzgeber.
2.3.3. Der erkennende Senat ist befugt, über die Ungültigkeit des § 1 Abs. 1 der
5. AVORBerG ohne Vorlage an das Bundesverfassungsgericht selbst zu entscheiden.
2.3.3.1. Der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG unterliegen nur formelle
Gesetze. Dazu gehören auch die gesetzesvertretenden Verordnungen (BVerfGE 52, 1
<16 f.>.). Weitere Voraussetzung ist, dass der Bundesgesetzgeber das vorkonstitutionelle
"Gesetz" in seinen Willen aufgenommen und damit bestätigt hat (BVerfGE 70, 126 <129>).
Dies ist der Fall, wenn der Gesetzgeber seinen konkreten Bestätigungswillen im Gesetz
selbst zu erkennen gibt oder wenn sich ein solcher Wille aus dem engen sachlichen Zusam-
menhang zwischen geänderten und unveränderten Normen objektiv erschließen lässt, ins-
besondere wenn eine alte Norm als Gesetz neu verkündet wird, wenn eine neue (nachkon-
stitutionelle) Norm auf die alte Norm verweist oder wenn ein begrenztes und überschaubares
Rechtsgebiet durchgreifend geändert wird und veränderte und unveränderte Normen eng
miteinander zusammenhängen. Hingegen ist von einem Willen zur Bestätigung eines vor-
konstitutionellen Gesetzes nicht auszugehen bei Änderung nur einzelner Vorschriften dieses
Gesetzes, denen ein solcher Zusammenhang fehlt. Das Gleiche gilt, wenn der Gesetzgeber
eine vorkonstitutionelle Norm nur als solche hinnimmt und von ihrer Aufhebung oder sachli-
chen Änderung vorerst absieht, ohne sie in ihrer Geltung bestätigen zu wollen. Das Bundes-
verfassungsgericht hat betont, dass für die Frage, ob eine Regelung vor- oder nachkonstitu-
tionelles Recht ist, das Zeitmoment von Bedeutung ist. Je länger der Gesetzgeber Regelun-
gen aus vorkonstitutioneller Zeit in Kraft lässt, desto geringer würden die Voraussetzungen
für die Annahme, er habe sie in seinen Willen aufgenommen. Objektiv erkennbare Anhalts-
punkte der beschriebenen Art, aus denen ein Bestätigungswille des Gesetzgebers geschlos-
sen werden kann, sind aber auch bei längerem Zeitablauf nicht entbehrlich (BVerfGE 70, 126
<133>). Die Gesetzgebungsorgane müssen, sofern von einem Bestätigungswillen ausge-
gangen werden soll, "zumindest in irgendeiner Weise mit der zur Prüfung gestellten Norm
befasst gewesen sein".
2.3.3.2. Nach diesen Maßstäben ist § 1 Abs. 1 der 5. AVORBerG nicht in den Willen des Ge-
setzgebers aufgenommen worden, so dass das Bundesverwaltungsgericht die Vorschrift
selbst für ungültig und damit unanwendbar ansehen kann. Die Fünfte Verordnung zur Aus-
führung des Rechtsberatungsgesetzes vom 29. März 1938 (RGBl I S. 359) ist 1963 in die
Sammlung des Bundesrechts (BGBl III 303-12-5) aufgenommen worden. Diese Aufnahme
hat nur deklaratorische Bedeutung und hat nicht zu einer inhaltlichen Bestätigung geführt
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(BVerfGE 70, 126 <131>). Änderungen hat die Verordnung mit Ausnahme ihrer Bezeichnung
nicht erfahren. Allerdings ist das Rechtsberatungsgesetz selbst mehrfach geändert worden,
maßgeblich durch das Gesetz vom 18. August 1980 (BGBl I S. 1503) mit der Abschaffung
der Vollrechtsbeistände und der damit verbundenen Änderung des Art. 1 § 1 und zuletzt
durch das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz vom 21. Juni 2002 (BGBl I S. 2010, 2072).
Dies ist hier jedoch ohne Bedeutung, weil es allein darauf ankommt, ob der Gesetzgeber die
Fünfte Ausführungsverordnung in seinen Willen aufgenommen hat. Dafür gibt es trotz der
langen Zeitdauer seit In-Kraft-Treten des Grundgesetzes keine objektiven Anhaltspunkte.
Insbesondere hat der Gesetzgeber nicht im Zusammenhang mit der Änderung des Art. 1 § 1
RBerG durch das Gesetz vom 18. August 1980 (BGBl I S. 1503), durch das u.a. der "Be-
reichsrechtsbeistand" für Inkassounternehmen Aufnahme in Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 2 RBerG
gefunden hat, die Fünfte Ausführungsverordnung in seine Erwägungen einbezogen (vgl.
Ausschussbericht BTDrucks 8/4277, S. 20 und 22). Die Erweiterung der Ausnahmetatbe-
stände des Art. 1 § 5 RBerG durch das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz betrifft die Ein-
ziehung von Forderungen durch kaufmännische oder sonstige gewerbliche Unternehmer, die
sie im Rahmen ihres Geschäftsbetriebs abgetreten haben. Dabei handelt es sich um die Ein-
ziehung einer (nunmehr) fremden Forderung im Rahmen neuartiger Refinanzierungsverfah-
ren, von der zweifelhaft war, ob sie nach Art. 1 § 1 RBerG zu beurteilen war (Rennen/
Caliebe, a.a.O., Art. 1 § 1 Rn. 52 ff.). Diese Zweifel hat der Gesetzgeber mit Art. 1 § 5 Nr. 4
RBerG ausgeräumt. Dass der Gesetzgeber einen Zusammenhang mit der Erweiterung des
Erlaubnistatbestandes auf den Erwerb von Forderungen durch die Fünfte Ausführungsver-
ordnung angenommen haben könnte, ist dem Bericht des Finanzausschusses (BTDrucks
14/8601, S. 30) nicht zu entnehmen.
3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.
Bardenhewer Hahn Büge
Richter am Bundes-
verwaltungsgericht
Dr. Graulich kann
wegen Urlaubs nicht
unterschreiben.
Bardenhewer Vormeier
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 50 000 € festgesetzt.
Bardenhewer Hahn Vormeier
Sachgebiet:
BVerwGE: ja
Recht der freien Berufe, Rechtsberatung
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
GG Art. 129 Abs. 3
RBerG Art. 1 § 1 Abs. 1, Art. 5
5. AVORBerG § 1
Stichworte:
Ermächtigungsgrundlage, Forderungskauf, gesetzesvertretende Verordnung, Normenkon-
trolle, Rechtsberatung, Verordnung, vorkonstitutionelle Verordnung.
Leitsatz:
§ 1 Abs. 1 der Fünften Verordnung zur Ausführung des Rechtsberatungsgesetzes vom
29. März 1938 (RGBl I S. 359) ist nicht mehr anzuwenden.
Urteil des 6. Senats vom 16. Juli 2003 - BVerwG 6 C 27.02
I. VG Lüneburg vom 28.08.2002 - Az.: VG 5 A 44/01 -