Urteil des BVerwG vom 22.08.2007

Veranstaltung, Informationsstand, Versammlungsfreiheit, Prozess

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet
BVerwG 6 C 22.06 (6 PKH 8.07)
am 22. August 2007
VG 1 A 129.03
Zweigler
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 22. August 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Hahn, Büge, Dr. Graulich und Vormeier
für Recht erkannt:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. März
2006 wird geändert.
Es wird festgestellt, dass die von dem Kläger für die Zeit
vom 8. bis zum 26. Mai 2003 angemeldete Veranstaltung
zu dem Thema „Gegen die Militärintervention im Irak und
anderswo“ eine Versammlung im Sinne des Versamm-
lungsgesetzes war.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Kläger meldete am 6. Mai 2003 für die Zeit vom 8. bis 26. Mai 2003 eine
Veranstaltung mit dem Thema „Gegen die Militärintervention im Irak und an-
derswo“ an. Die Veranstaltung sollte in Berlin stattfinden. Ihr Ziel sollte darin
bestehen, Menschen zu einer Äußerung über ihre Haltung zur Militärinterventi-
on im Irak zu bewegen. Bei der Durchführung der Veranstaltung sollten unter-
schiedliche Hilfsmittel Verwendung finden. Es war vorgesehen, dass auf bereit-
liegenden Karten schriftliche Meinungsäußerungen zu dem Veranstaltungsthe-
ma abgegeben und diese Karten an einer bereitgestellten Lattenkonstruktion
öffentlich angebracht wurden.
Mit Schreiben vom 7. Mai 2003 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die
geplante Veranstaltung nicht als Versammlung im Sinne des Versammlungsge-
setzes angesehen werden könne. Die Veranstaltung sei dadurch geprägt, dass
Außenstehenden ein einseitiges Informationsangebot unterbreitet werde. Sie
gleiche deshalb einem Informationsstand, der nicht die Voraussetzungen einer
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Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes erfülle. Dagegen erhob der
Kläger Widerspruch, der nicht beschieden wurde.
Der Kläger hat am 13. Mai 2003 Klage erhoben, mit der er - im Wege des Kla-
geantrags zu 1 - die Feststellung begehrt hat, die angemeldete Veranstaltung
sei als Versammlung anzusehen gewesen.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 8. März 2006 die Klage abgewiesen
und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte sei zu Recht
davon ausgegangen, dass die angemeldete Veranstaltung keine Versammlung
im Sinne des Versammlungsgesetzes gewesen sei. Eine solche Versammlung
setze voraus, dass die Veranstaltung auf Meinungsbildung und -äußerung in
Gruppenform gerichtet sei. Diese Voraussetzung sei bei einem Informations-
stand, der auf die einseitige Vermittlung von Informationen gerichtet sei, nicht
gegeben. Den sich an Informationsständen bildenden Personenansammlungen
fehle die innere Bindung, die das Wesen einer Versammlung ausmache und
dazu führe, dass die Versammelten sich als überpersonales Ganzes fühlten.
Bei der streitigen Veranstaltung stehe nach ihrem Gesamtgepräge die einseiti-
ge Information von Passanten im Vordergrund. Dies ergebe sich aus einer Rei-
he von Indizien. So habe die Veranstaltung einen Bezug zu dem im Veranstal-
tungszeitraum stattfindenden Kirchentag aufgewiesen. Stände auf einem Kir-
chentag dienten typischerweise der Information und der gemeinsamen Aktion
von interessierten Besuchern, nicht dagegen der öffentlichen Meinungskund-
gabe und Meinungsbildung in Gruppenform. Die anlässlich der Veranstaltung
aufgestellten Fototafeln hätten eher informativen Charakter gehabt. Soweit Au-
ßenstehende dazu hätten angehalten werden sollen, ihre Meinung zu dem Ver-
anstaltungsthema auf bereitgehaltene Karten schriftlich festzuhalten und an
einer Lattenkonstruktion anzubringen, begründe dies ebenfalls nicht den Ver-
sammlungscharakter. Letztlich sei es wie bei einer Unterschriftenliste um die
Sammlung individueller Meinungsäußerungen gegangen, die gemeinsam hätten
präsentiert werden sollen.
Der Kläger hat die vom Verwaltungsgericht zugelassene Sprungrevision einge-
legt und zur Begründung sein bisheriges Vorbringen im Wesentlichen wie folgt
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ergänzt: Das Verwaltungsgericht habe sich bei seinen Erwägungen an der
Phänomenologie tradierter Versammlungen orientiert. Damit werde nicht aus-
reichend dem Umstand Rechnung getragen, dass der Versammlungsbegriff
offen sei für neue Formen von Veranstaltungen. Die Veranstaltung sei auf Mei-
nungsbildung und -äußerung in Gruppenform gerichtet gewesen. Vorbeikom-
mende Menschen, die aufgrund der vorhandenen Hilfsmittel Interesse gezeigt
hätten, hätten angesprochen und in Diskussionsrunden integriert werden sollen.
Es habe sich um eine neue Form der Versammlung gehandelt, die einen festen
Bestand von Personen mit hinzukommenden Menschen verbinde und sich von
herkömmlichen „Demonstrationen“ unterscheide. Bei der hier in Rede stehen-
den Art der Versammlung würden die Elemente der Information, der
Meinungsbildung und der Meinungsäußerung wechselseitig miteinander ver-
klammert.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem erstin-
stanzlichen Klageantrag zu 1 zu erkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Zur Begründung verteidigt er das angefochtene Urteil.
II
Die allein gegen die Abweisung des Antrags auf Feststellung der Versamm-
lungseigenschaft der angemeldeten Veranstaltung in dem Urteil des Verwal-
tungsgerichts gerichtete Revision ist begründet. Das Urteil beruht insoweit auf
der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da der Sachver-
halt geklärt ist, kann der Senat gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO in der
Sache entscheiden. Der Antrag auf Feststellung, dass die von dem Kläger an-
gemeldete Veranstaltung „Gegen die Militärintervention im Irak und anderswo“
eine Versammlung im Sinne des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge
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(Versammlungsgesetz) -VersG - in der Fassung der Bekanntmachung vom
15. November 1978 (BGBl I S. 1789), zum hier maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt
geändert durch Gesetz vom 11. August 1999 (BGBl I S. 1818), war, ist zulässig
(1.) und begründet (2.).
1. Das Begehren ist als allgemeiner Feststellungsantrag im Sinne von § 43
Abs. 1 VwGO zulässig. Danach kann durch Klage die Feststellung des Beste-
hens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der
Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Dadurch,
dass der Beklagte in dem Schreiben vom 7. Mai 2003 die Versammlungseigen-
schaft der angemeldeten Veranstaltung verneint hat, ist zwischen den
Beteiligten eine Rechtsbeziehung entstanden, die ein konkretes und streitiges,
mithin feststellungsfähiges Rechtsverhältnis bildet. Gegenstand der allgemeinen
Feststellungsklage kann auch ein vergangenes Rechtsverhältnis sein (vgl. Urteil
vom 29. April 1997 - BVerwG 1 C 2.95 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127
S. 7).
Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, weil
angesichts des Vorbringens der Beteiligten ein Eingriff in den Schutzbereich der
von Art. 8 Abs. 1 GG gewährleisteten Versammlungsfreiheit durch den Be-
scheid vom 7. Mai 2003 nicht von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. Urteil
vom 16. Mai 2007 - BVerwG 6 C 23.06 - juris Rn. 12).
Das Subsidiaritätsgebot des § 43 Abs. 2 VwGO steht der Zulässigkeit der Fest-
stellungsklage nicht entgegen. Insbesondere kann der Kläger nicht auf den An-
trag nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des
wegen Zeitablaufs erledigten Verwaltungsakts vom 7. Mai 2003 verwiesen wer-
den (vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 juris Rn. 13).
2. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass die angemeldete
Veranstaltung eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes war.
Nach § 1 Abs. 1 VersG hat jedermann u.a. das Recht, öffentliche Versammlun-
gen zu veranstalten. Art. 8 Abs. 1 GG verleiht allen Deutschen das Recht, sich
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ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Der
Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes entspricht demjenigen des
Grundgesetzes (vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 juris Rn. 15). Die verfassungs-
rechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte Zu-
sammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Mei-
nungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) schützen. Eine Ver-
sammlung wird dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch ei-
nen gemeinsamen Zweck inhaltlich verbunden ist. Das Grundrecht schützt die
Freiheit der Versammlung als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation
angelegter Entfaltung. Für die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1
GG reicht es wegen seines Bezugs auf den Prozess öffentlicher Meinungsbil-
dung nicht aus, dass die Teilnehmer bei ihrer kommunikativen Entfaltung durch
einen beliebigen Zweck verbunden sind. Vorausgesetzt ist vielmehr zusätzlich,
dass die Zusammenkunft auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbil-
dung gerichtet ist. Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG und damit auch des
Versammlungsgesetzes sind demnach örtliche Zusammenkünfte mehrerer
Personen zu gemeinschaftlicher, auf die Teilhabe an der öffentlichen Mei-
nungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Entscheidend ist, dass
die Meinungsbildung und Meinungsäußerung mit dem Ziel erfolgen, auf die Öf-
fentlichkeit entsprechend einzuwirken. Die vom Versammlungsrecht geschütz-
ten Veranstaltungen sind nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Art be-
schränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens. Die
rechtliche Beurteilung ist danach zu richten, ob sich die Veranstaltung aus der
Sicht eines durchschnittlichen Betrachters ihrem Gesamtgepräge nach als Ver-
sammlung darstellt oder ob andere Zwecke im Vordergrund stehen. Dabei sind
nur solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente zu berück-
sichtigen, mit denen ernsthaft die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung
bezweckt wird, die also nicht nur vorgeschoben sind, um den Schutz der Ver-
sammlungsfreiheit beanspruchen zu können (zum Vorstehenden vgl. Urteil vom
16. Mai 2007 juris Rn. 15 ff.).
Die Aufstellung eines Informationsstandes als solche genießt nicht den Schutz
der Versammlungsfreiheit (vgl. Urteil vom 7. Juni 1978 - BVerwG 7 C 5.78 -
BVerwGE 56, 63 <69>; BVerfG - Vorprüfungsausschuss -, Beschluss vom
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22. Dezember 1976 - 1 BvR 306/76 - NJW 1977, 671). Dies gilt auch für den
durch Verteilung politischer Schriften ausgeübten Betrieb eines Informations-
standes, mit dem den Vorübergehenden ein einseitiges Informationsangebot
gemacht werden soll. Solche Informationsstände zielen auf individuelle Kom-
munikation mit zufällig des Weges kommenden Einzelpersonen ab, nicht auf
Kommunikation vermittels einer eigens zu diesem Zweck veranlassten Grup-
penbildung. Den sich an Informationsständen bildenden Personenansammlun-
gen fehlt die innere Bindung, die das Wesen einer Versammlung ausmacht und
dazu führt, dass die Versammelten sich als überpersonales Ganzes verstehen.
Die jeweils vor und hinter dem Informationsstand ungebunden anwesende Per-
sonenmehrheit stellt lediglich eine Ansammlung, nicht eine Versammlung dar
(vgl. Urteil vom 7. Juni 1978 a.a.O. S. 69). Dass auf einer Veranstaltung auch
Informationen angeboten werden, schließt hingegen die Annahme einer Ver-
sammlung nicht zwingend aus. Eine Versammlung liegt auch dann vor, wenn
das Informationsangebot der Vermittlung des politischen Mottos der Veranstal-
tung dient und darauf zielt, Außenstehende einzubeziehen, damit diese in einen
Prozess der kollektiven Meinungsbildung und -äußerung im Interesse der
Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung eintreten (vgl. Urteil vom 21. April
1989 - BVerwG 7 C 50.88 - BVerwGE 82, 34 <39>). Das Informationsangebot
erweist sich dann als Bestandteil einer aus anderen Gründen zu bejahenden
Versammlung (vgl. Urteil vom 7. Juni 1978 a.a.O. S. 69 f.).
Soweit das Verwaltungsgericht angenommen hat, die streitige Veranstaltung
entspreche mit Blick auf ihr Gesamtgepräge dem Betrieb eines Informations-
standes und stelle deshalb keine Versammlung dar, hat es den Inhalt des bun-
desrechtlichen Begriffs der Versammlung verkannt. Das Verwaltungsgericht ist
davon ausgegangen, dass eine Veranstaltung, wie die von dem Kläger ange-
meldete, wegen ihrer informativen Elemente keine Versammlung, sondern eine
Ansammlung ist. Dies steht nicht mit dem Versammlungsgesetz und der ver-
fassungsrechtlichen Verbürgung der Versammlungsfreiheit im Einklang. Die
streitige Veranstaltung erfüllte nämlich die Voraussetzungen einer Versamm-
lung.
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Der Kläger hat die Konzeption der angemeldeten Veranstaltung im Einzelnen
beschrieben. Diese Darlegungen sind schlüssig und auch im Übrigen nachvoll-
ziehbar. Sie sind nicht als vorgeschoben anzusehen, um den Schutz der Ver-
sammlungsfreiheit zu erlangen. Deshalb sind sie der Beurteilung, ob die streiti-
ge Veranstaltung eine Versammlung darstellt, zugrunde zu legen.
Das Thema der Veranstaltung („Gegen die Militärintervention im Irak und an-
derswo“) betraf eine die Öffentlichkeit berührende politische Fragestellung und
zielte insoweit auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung. Dem Ver-
anstaltungsthema wurde auch durch Hilfsmittel, die in der Veranstaltung Ver-
wendung finden sollten, Ausdruck verliehen. So war beabsichtigt, Schriftbänder
und -tafeln, Fotos, Transparente und Flugblätter zu verwenden. In Holzrahmen
sollten Fotografien von zivilen Kriegsopfern zur Schau gestellt werden. An dem
Ort der Veranstaltung sollten ständig etwa drei Personen aus dem Bereich der
Initiatoren anwesend sein.
Es kann hier dahinstehen, ob bereits die anwesenden Personen aus dem Kreis
der Initiatoren eine Versammlung gebildet hätten. Dafür könnte sprechen, dass
angesichts des Themas der Veranstaltung und der darauf bezogenen Hilfsmittel
wohl deutlich erkennbar gewesen wäre, dass die anwesenden Initiatoren nicht
nur ein einseitiges Informationsangebot im Zusammenhang mit dem Ver-
anstaltungsthema unterbreiten, sondern ihrer kritischen Haltung zu Militärinter-
ventionen Ausdruck verleihen wollten, was als kollektive Meinungsäußerung im
Interesse der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung angesehen werden
könnte. Der (Haupt-)Zweck der Veranstaltung bestand indes nicht darin, den
Initiatoren eine Möglichkeit zu eröffnen, ihre Meinung zu äußern. Die Veranstal-
tung zielte vielmehr darauf, zufällig des Weges kommende Personen und sol-
che, die gezielt den Veranstaltungsort aufsuchten, zu einer Meinungsbildung
und Meinungsäußerung in Gruppenform im Zusammenhang mit dem Thema
der Veranstaltung zu veranlassen. In diesen Prozess der Meinungsbildung und
-äußerung wollten sich auch die am Veranstaltungsort anwesenden Initiatoren
einbringen.
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Die streitige Veranstaltung war nicht als Betrieb eines Informationsstandes an-
zusehen. Die informativen Elemente, die die angemeldete Veranstaltung nach
deren Konzeption aufgewiesen hätte, unterscheiden sich grundlegend von In-
formationsangeboten, wie sie bei einem auf einseitige Informationsvermittlung
angelegten Informationsstand unterbreitet werden. Soweit die Hilfsmittel einen
Informationsgehalt enthalten hätten, wie etwa die Fotografien von Kriegsopfern,
die Flugblätter und die Zeitungen, sollte dieser nicht einseitig gegenüber Au-
ßenstehenden vermittelt werden. Die Informationen sollten vielmehr Mittel zum
Zweck sein, bei den Außenstehenden den angestrebten Vorgang der Mei-
nungsbildung und -äußerung in Gruppenform einzuleiten oder zu fördern. Die
Informationsvermittlung sollte also Bestandteil einer Veranstaltung sein, die der
kollektiven Meinungsbildung und -äußerung, wie sie einer Versammlung eigen
ist, dient. Anders als dies bei einem Informationsstand der Fall ist, war die strei-
tige Veranstaltung auf die Einbeziehung Außenstehender angelegt. Die Einbe-
ziehung sollte auch dadurch geschehen, dass die in dem angestrebten Mei-
nungsbildungsprozess herausgebildeten Meinungen auf bereitgehaltenen Kar-
ten schriftlich niedergelegt und die so beschrifteten Karten an eine vorhandene
Lattenkonstruktion angebracht werden sollten. Dadurch sollte nicht nur das Er-
gebnis der Meinungsbildung in Gestalt einer schriftlichen Meinungsäußerung
dokumentiert werden. Es sollte auch auf den Meinungsbildungsprozess der am
Ort der Veranstaltung sich befindenden Personen Einfluss genommen werden.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sind die beschrifteten und
an der Lattenkonstruktion zur Schau gestellten Karten nicht Unterschriften auf
einer entsprechenden Liste gleichzusetzen. Auf einer Unterschriftenliste werden
Unterschriften unter einen vorgegebenen Text geleistet. Die Meinungsäu-
ßerungen auf den an der Lattenkonstruktion angebrachten Karten sollten hin-
gegen Ergebnis eines vor Ort stattfindenden Meinungsbildungsprozesses sein
und sie sollten - anders als bei einer Unterschriftenliste - den Vorgang der Mei-
nungsbildung am Veranstaltungsort beeinflussen. Dass die beschrifteten Karten
für sich betrachtet individuelle Meinungsäußerungen darstellen, ändert nichts
daran, dass sie ihre Grundlage in einem am Veranstaltungsort stattfindenden
kollektiven Meinungsbildungsprozess finden und dass sie auf den dort
stattfindenden kollektiven Meinungsbildungsprozess zurückwirken sollten. Sie
sind deshalb als integraler Bestandteil eines komplexen Vorgangs anzusehen,
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bei dem Außenstehende untereinander und mit den anwesenden Initiatoren in
einen Vorgang der kollektiven Meinungsbildung und -äußerung eintreten sollten.
Dieser Vorgang ist als Einheit zu betrachten, sodass auch die beschrifteten
Karten als Teil jenes Vorgangs anzusehen sind.
Da die angemeldete Veranstaltung in der soeben dargelegten Weise auf die
Einbeziehung einer möglichst großen Zahl dritter Personen in einen Prozess
der kollektiven Meinungsbildung und -äußerung angelegt war, wären diese, so-
weit sie dem Diskussionsangebot gefolgt wären, untereinander und mit den
Initiatoren durch einen gemeinsamen kommunikativen Zweck, nämlich die ge-
meinschaftliche Beteiligung an dem genannten Prozess, innerlich verbunden
gewesen. Im Gegensatz zu dem gemeinsamen kommunikativen Zweck ist die
Übereinstimmung der Meinungen für eine Versammlung nicht konstituierend
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 1995 - 1 BvR 1564/92 - BVerfGE 92, 191
<203>; BVerwG, Urteil vom 21. April 1989 a.a.O. S. 39). Zwar ist davon auszu-
gehen, dass sich der am Veranstaltungsort anwesende Personenkreis dadurch
verändert hätte, dass Personen den Ort verlassen hätten und andere hinzuge-
kommen wären. Der konzeptionelle Rahmen wäre jedoch trotz dieser Fluktuati-
on bestehen geblieben. In personeller Hinsicht wäre Kontinuität jedenfalls durch
die ständig am Veranstaltungsort anwesenden Initiatoren gewahrt gewesen. Die
sächliche Ausgestaltung der Veranstaltung wäre von der Veränderung des
Personenkreises nicht betroffen gewesen.
Aus den dargestellten Gründen hätte sich die Veranstaltung nach ihrem Ge-
samtgepräge aus Sicht eines sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung an ihrem
Ort befindenden durchschnittlichen Betrachters als Versammlung im Sinne des
Versammlungsgesetzes und des Art. 8 Abs. 1 GG dargestellt. Dem steht nicht
entgegen, dass die Veranstaltung mit Blick auf ihre Konzeption nicht den tradi-
tionellen Arten von Zusammenkünften mit Versammlungscharakter entsprochen
hätte. Deshalb streitet gegen die Annahme einer Versammlung auch nicht der
Umstand, dass die Veranstaltung über einen Zeitraum von mehr als zwei
Wochen stattfinden sollte und sich auch insoweit von typischen Versammlun-
gen unterschieden hätte. Die zeitliche und örtliche Nähe der streitigen Veran-
staltung zum Kirchentag erweist sich entgegen der Auffassung des Verwal-
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tungsgerichts ebenfalls nicht als ein Gesichtspunkt, der gegen das Vorliegen
einer Versammlung ins Feld geführt werden kann.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Dr. Bardenhewer Dr. Hahn Büge
RiBVerwG Dr. Graulich Vormeier
kann wegen Urlaubs
nicht unterschreiben.
Dr. Bardenhewer
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 €
festgesetzt.
Dr. Bardenhewer Dr. Hahn Vormeier
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Versammlungsrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
GG
Art. 8 Abs. 1
VersG
§ 1 Abs. 1
Stichworte:
Versammlungseigenschaft; Informationsstand; Einbeziehung Außenstehender.
Leitsatz:
Soll nach der Konzeption einer geplanten Veranstaltung diese einen Rahmen
bieten, in den Außenstehende zum Zwecke der kollektiven Teilhabe an der öf-
fentlichen Meinungsbildung einbezogen werden sollen, handelt es sich um eine
Versammlung im Sinne des Grundgesetzes und des Versammlungsgesetzes
auch dann, wenn die Veranstaltung informative Elemente enthält.
Urteil des 6. Senats vom 22. August 2007 - BVerwG 6 C 22.06
I. VG Berlin vom 08.03.2006 - Az.: VG 1 A 129/03 -