Urteil des BVerwG vom 10.12.2014

Unternehmen, Genehmigung, Wettbewerber, Wesentlicher Nachteil

BVerwGE: nein
Fachpresse: ja
Sachgebiet:
Postrecht und Telekommunikationsrecht
Sachgebietsergänzung:
Telekommunikationsrechtliche Entgeltgenehmigung
Rechtsquelle/n:
GG Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 Satz 1, Art. 100 Abs. 1
TKG 2004 § 12, § 25, § 28, § 31, § 33, § 35
VwGO § 113 Abs. 5, § 123 Abs. 1
Stichworte:
Vorlagebeschluss; Mobilfunkterminierungsentgelte; Entgeltanordnung;
Rückwirkung; Verpflichtungsklage; vorläufige Zahlungsanordnung;
Rechtsschutzgewährleistung; Berufsausübungsfreiheit; Verhältnismäßigkeit;
isolierte Vergleichsmarktbetrachtung; Auswahl der Vergleichsmärkte; Zu- bzw.
Abschläge; Beurteilungsspielraum; Begründungsanforderungen;
Sachverhaltsermittlung; Gebot "symmetrischer" Entgelte; Kosten der effizienten
Leistungsbereitstellung; "modifizierte" Bestenbetrachtung;
Vergleichsgruppenbildung; Frequenzausstattung; Markteintrittszeitpunkt;
Marktanteil; UMTS-Lizenzgebühr; "indirekte" Berücksichtigung.
Leitsatz/-sätze:
1. Das Telekommunikationsgesetz räumt der Bundesnetzagentur sowohl bei der
Frage, welche grundsätzlich vergleichbaren Märkte sie im Rahmen der
Vergleichsmarktbetrachtung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG heranzieht, als
auch in Bezug darauf, ob und ggf. in welcher Höhe Besonderheiten der
Vergleichsmärkte Zu- bzw. Abschläge erforderlich machen, einen
Beurteilungsspielraum ein, dessen Ausfüllung vom Verwaltungsgericht auch
darauf zu überprüfen ist, ob die Behörde plausibel und erschöpfend argumentiert
hat.
2. Die in § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG geregelte Rückwirkungssperre findet
auch in den Fällen einer Anordnung von Entgelten gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 5 und 6 TKG entsprechende Anwendung.
3. § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG ist mit der Gewährleistung effektiven
Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) und mit der Berufsausübungsfreiheit
(Art. 12 Abs. 1 GG) nicht vereinbar (vgl. Vorlagebeschluss vom 26. Februar 2014
- 6 C 3.13 - BVerwGE 149, 94).
Beschluss des 6. Senats vom 10. Dezember 2014 - BVerwG 6 C 16.13
I. VG Köln vom 17. Juli 2013
Az: VG 21 K 5164/06
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 C 16.13
VG 21 K 5164/06
Verkündet
am 10. Dezember 2014
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 10. Dezember 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Graulich, Dr. Möller, Hahn
und Prof. Dr. Hecker
beschlossen:
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Bundesverfassungsgericht wird gemäß Art. 100
Abs. 1 GG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 35
Abs. 5 Satz 2 und 3 in Verbindung mit § 25 Abs. 5 Satz 3
des Telekommunikationsgesetzes - TKG - vom 22. Juni
2004 (BGBl. I S. 1190) mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 und
Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar ist.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin betreibt ein digitales zellulares Mobilfunknetz nach dem GSM-
Standard (Global System for Mobile Communications) und dem UMTS-
Standard (Universal Mobile Telecommunications Standard). Sie verwendete
zum Zeitpunkt des hier streitgegenständlichen Beschlusses im GSM-Netz
überwiegend, mit Ausnahme einiger Ergänzungsbänder im Bereich von
1.800 MHz, Frequenzen aus dem Bereich von 900 MHz. Die Beigeladene be-
treibt ein bundesweites Verbindungsnetz und bietet den Festnetzendkunden der
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(früheren) Deutschen Telekom AG Verbindungen in nationale und ausländische
Fest- und Mobilfunknetze im Wege der Betreiberauswahl an. Ihr Netz ist mit
demjenigen der Klägerin auf der Grundlage einer Anordnung vom 25. Juni 2004
zusammengeschaltet.
Mit Regulierungsverfügung vom 30. August 2006 wurde die Klägerin verpflich-
tet, Betreibern von öffentlichen Telefonnetzen die Zusammenschaltung mit ih-
rem öffentlichen Mobiltelefonnetz am Vermittlungsstellenstandort zu ermögli-
chen, über die Zusammenschaltung Verbindungen in ihr Netz zu terminieren
und zum Zwecke dieser Zugangsgewährung Kollokation sowie im Rahmen
dessen Nachfragern bzw. deren Beauftragten jederzeit Zutritt zu diesen Einrich-
tungen zu gewähren. Die Entgelte für die Gewährung der Zusammenschal-
tungsleistungen wurden der Genehmigung nach Maßgabe des § 31 TKG un-
terworfen. Die gegen diese Regulierungsverfügung erhobene Anfechtungsklage
der Klägerin hat der Senat durch Revisionsurteil vom 2. April 2008 - BVerwG
6 C 17.07 - unter teilweiser Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils auch inso-
weit abgewiesen, als das Verwaltungsgericht ihr stattgegeben hatte. Die hier-
gegen eingelegte Verfassungsbeschwerde der Klägerin hat das Bundesverfas-
sungsgericht mit Beschluss vom 21. Dezember 2011 - 1 BvR 1933/08 - nicht
zur Entscheidung angenommen.
Im September 2006 beantragte die Klägerin unter Vorlage entsprechender Kos-
tenunterlagen die Genehmigung der Entgelte für die ihr mit der Regulierungs-
verfügung auferlegten Zugangsleistungen. Mit Beschluss vom 16. November
2006 - BK 3 a/b-06-011/E07.09.06 - genehmigte die Bundesnetzagentur für die
Terminierung im Netz der Klägerin für den Zeitraum vom 30. August 2006 bis
22. November 2006 ein Verbindungsentgelt in Höhe von 11 Cent/Minute (Zif-
fer 1.1) oder - bei Eintritt einer von zwei näher beschriebenen auflösenden Be-
dingungen - in Höhe von 9,78 Cent/Minute (Ziffer 2). Ab dem 23. November
2006 genehmigte die Bundesnetzagentur - befristet bis zum 30. November
2007 (Ziffer 3) - ein Verbindungsentgelt in Höhe von 8,78 Cent/Minute (Zif-
fer 1.2). Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt (Ziffer 4). Die von der Klägerin
hiergegen gerichtete Verpflichtungsklage ist Gegenstand des Revisionsverfah-
rens BVerwG 6 C 18.13.
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Bezüglich der - von dem Genehmigungsantrag nicht erfassten - Terminierungs-
entgelte im Rahmen der angeordneten Zusammenschaltung bot die Klägerin
der Beigeladenen den Abschuss eines Vertrages zu den bei der Beschluss-
kammer zur Genehmigung beantragten Konditionen an. Da ein entsprechender
Vertrag zunächst nicht zustande kam, ordnete die Beklagte auf Antrag der Klä-
gerin mit Beschluss vom 16. November 2006 - BK 3b-06-012/Z 13.09.06 - für
die Leistung V.1, welche die Beigeladene aufgrund der mit Beschluss BK 4c-04-
025/Z 21.04.04 vom 25. Juni 2004 angeordneten Zusammenschaltung bei der
Klägerin nachfragt, mit Wirkung ab dem 23. November 2006 - befristet bis zum
30. November 2007 (Ziffer 4) - ein Entgelt in Höhe von 8,78 Cent/Minute an (Zif-
fer 1). Für den Zeitraum vom 30. August 2006 bis zum 22. November 2006
wurde für diese Leistung unter der aufschiebenden Bedingung, dass die im
Verhältnis zwischen den Parteien mit Beschluss BK 4c-05-071/E 22.09.05 vom
1. Dezember 2005 ergangene Anordnung hinsichtlich der Terminierungsentgel-
te spätestens ab dem 30. September 2006 ihre Wirksamkeit deshalb endgültig
verliert, weil die in ihrer Ziffer 2. enthaltene auflösende Bedingung eingetreten
oder die Anordnung zumindest auch wegen der fehlenden Ausrichtung an den
Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung aufgehoben worden ist, ein Ent-
gelt in Höhe von 9,78 Cent/Minute angeordnet. Die Anordnung erging unter
dem Vorbehalt des Widerrufs für den Fall, dass die Parteien einen schriftlichen
Vertrag über die Entgelthöhe schließen (Ziffer 3). Im Übrigen wurde der Antrag
abgelehnt (Ziffer 5). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass
die Anordnung der von der Klägerin beantragten Entgelte in der im Tenor der
Entscheidung ersichtlichen Höhe auf § 25 Abs. 1, 5 und 6 TKG i.V.m. § 35
Abs. 3, § 31 Abs. 1, § 30 Abs. 1 Satz 1 TKG beruhe. Hinsichtlich der Genehmi-
gungsfähigkeit und der Höhe der beantragten Entgelte wurde auf das Parallel-
verfahren BK 3a/b-06-011/E 07.09.06 Bezug genommen. Nachdem am 7. März
2007 eine Zusammenschaltungsvereinbarung zwischen der Klägerin und der
Beigeladenen in Kraft getreten war, der zufolge für den Verbindungsaufbau und
das Halten einer Verbindung für den Gültigkeitszeitraum vom 23. November
2006 bis 30. November 2007 in den Varianten „Peak“ und „Off-peak“ jeweils ein
Preis von 0,0878 €/min gilt, widerrief die Beklagte die Zusammenschaltungsan-
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ordnung vom 25. Juni 2004 und den Entgeltanordnungsbeschluss vom 16. No-
vember 2006.
Die Klägerin hat am 4. Dezember 2006 Klage erhoben, mit der sie die Verpflich-
tung der Beklagten zur Anordnung höherer Entgelte in dem Zusammenschal-
tungsverhältnis mit der Beigeladenen begehrt. Die Beteiligten haben das Ver-
fahren in der Hauptsache übereinstimmend insoweit für erledigt erklärt, als es
den Anordnungszeitraum ab dem 7. März 2007 betrifft.
Durch Urteil vom 17. Juli 2013 hat das Verwaltungsgericht die Klage, soweit
nicht erledigt, abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Die Klage sei zulässig. Die Rückwirkungssperre des § 35 Abs. 5 Satz 1 bis 3
TKG finde schon deshalb keine Anwendung, weil der streitgegenständlichen
Entgeltanordnung im hier streitgegenständlichen Zeitraum keine vertraglich be-
reits vereinbarten Entgelte zugrunde lägen, sondern die Entgelte für die Leis-
tung V.1, die die Beigeladene bei der Klägerin aufgrund der mit Beschluss vom
25. Juni 2004 angeordneten Zusammenschaltung nachgefragt habe, angeord-
net worden seien. Das Rechtsschutzbedürfnis sei auch nicht im Hinblick auf
den Vertragsabschluss am 7. März 2007 für den hier infolge der übereinstim-
menden Erledigungserklärung nur noch streitgegenständlichen Zeitraum vom
30. August 2006 bis einschließlich 6. März 2007 teilweise entfallen; denn es
seien keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Vereinba-
rung auch für den Zeitraum vor dem 7. März 2007 Wirkung entfalten sollte.
Die Klage sei nicht begründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Ver-
pflichtung der Beklagten zur Anordnung eines höheren als des in Ziffer 1. und 2.
des streitgegenständlichen Beschlusses für die Leistung V.1., die die Beigela-
dene bei der Klägerin nachfrage, angeordneten Entgelts. Dieses betrage
8,78 Cent/Minute für den Zeitraum ab dem 23. November 2006 bis 6. März
2007 und - nach Eintritt der in Ziffer 2 enthaltenen auflösenden Bedingung -
9,78 Cent/Minute für den Zeitraum vom 30. August bis 22. November 2006.
Maßgeblich für die Höhe der angeordneten Entgelte sei der Beschluss der Be-
klagten vom 16. November 2006 - BK 3a/b-06-011/E 07.09.06 -, mit dem das
von der Klägerin beantragte Entgelt für die Anrufzustellung in ihr Mobilfunknetz
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in entsprechender Höhe genehmigt worden sei. Bedenken gegen die Rechtmä-
ßigkeit dieses Beschlusses beständen weder in formeller noch in materiell-
rechtlicher Hinsicht. Es könne offen bleiben, ob er formell rechtswidrig sei, weil
die Beklagte vor der endgültigen Genehmigung der Entgelte kein Konsolidie-
rungsverfahren im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 TKG und kein nationales
Konsultationsverfahren gemäß § 15 TKG i.V.m. § 12 Abs. 1 TKG durchgeführt
habe. Die Klägerin könnte sich nicht erfolgreich auf die Verletzung dieser Ver-
fahrensvorschriften berufen, da diese nicht ihre subjektiven Rechte schützen
sollten, sondern allein öffentlichen Interessen zu dienen bestimmt seien. Mate-
riell seien ebenfalls keine Rechtsfehler zu erkennen. Insbesondere beruhe die
Höhe des genehmigten Entgelts auf der Durchführung einer rechtlich nicht zu
beanstandenden internationalen Vergleichsmarktbetrachtung. Die von der Klä-
gerin mit dem Entgeltantrag vorgelegten Kostenunterlagen hätten zur Bestim-
mung der für die Genehmigung maßgeblichen Kosten der effizienten Leis-
tungsbereitstellung nicht ausgereicht. Die Beklagte habe ihr Ermessen fehlerfrei
dahingehend ausgeübt, den Entgeltantrag der Beigeladenen nicht gemäß § 35
Abs. 3 Satz 3 TKG wegen Unvollständigkeit der Kostenunterlagen gänzlich ab-
zulehnen, sondern auf der Grundlage einer Vergleichsmarktbetrachtung gemäß
§ 35 Abs. 1 Satz 2, Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG zu genehmigen. Die wahlweise
mögliche Heranziehung eines Kostenmodells nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
TKG habe sie nachvollziehbar und ermessensfehlerfrei abgelehnt.
Die im Rahmen der Vergleichsmarktbetrachtung herangezogenen europäischen
Unternehmen böten „entsprechende Leistungen" im Sinne des § 35 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 TKG an. Auch regulierte Märkte könnten als „dem Wettbewerb ge-
öffnete Märkte" als Vergleichsmärkte herangezogen werden. Die monopolisti-
sche Struktur der Mobilfunkterminierungsmärkte stehe der Vergleichsmarktbe-
trachtung nicht entgegen. Die herangezogenen Märkte seien vergleichbar.
Strukturunterschiede schlössen die Vergleichbarkeit nicht grundsätzlich aus,
seien jedoch als „Besonderheiten der Vergleichsmärkte" im Sinne des § 35
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG zu berücksichtigen und könnten bei der abschließen-
den Festlegung des wettbewerbsanalogen Preises zur Notwendigkeit von Zu-
bzw. Abschlägen führen. Bei der Frage, welche Märkte sie für die Preisbildung
heranziehe, stehe der Beklagten ein Auswahlermessen zu. Gemessen an die-
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sen Vorgaben sei die Auswahlentscheidung rechtlich nicht zu beanstanden. Es
sei nicht ermessenshaft, dass die Beklagte keine nationale Vergleichsmarktbe-
trachtung durchgeführt habe und nur die EU-Länder in den Vergleich einbezo-
gen habe, in denen nach der Liberalisierung bereits ein ausreichender Zeitraum
für das Entstehen von Wettbewerbsstrukturen verstrichen sei. Dem „Länderan-
satz" der Beklagten stehe auch nicht entgegen, dass relevante Kosteneinfluss-
größen in den einzelnen Ländern - wie die Einwohnerzahl des Lizenzgebiets,
die Bevölkerungskonzentration, das Verhältnis zwischen Ballungsräumen und
gering besiedelten Gebieten, die geographische Ausdehnung eines Landes
bzw. des Lizenzgebiets sowie die jeweilige Frequenzausstattung der Referenz-
betreiber im Verhältnis zu den vorgenannten Faktoren - keine ausreichende
Berücksichtigung fänden. Es könne ferner nicht als ermessensfehlerhaft ange-
sehen werden, dass die Beklagte ihre Vergleichsauswahl in weiteren Schritten
auf die Länder eingeschränkt habe, in denen die Entgelte originär anhand von
Kostennachweisen bzw. Kostenmodellen, nicht aber anhand von Vergleichs-
marktbetrachtungen bestimmt worden seien, und die Auswahl ausschließlich
auf die Mobilfunknetzbetreiber verdichtet habe, die eine gemeinsame GSM-/
UMTS-Netzinfrastruktur aufwiesen; denn nur so sei gewährleistet, dass bei den
zum Vergleich herangezogenen Tarifen die höheren Kosten für die UMTS-
Netzinfrastruktur Berücksichtigung fänden.
Ferner sei es auch nicht als ermessensfehlerhaft zu beanstanden, dass die Be-
klagte die Unternehmen in den 10 Ländern, die nach den angewandten Aus-
wahlkriterien verblieben seien, in zwei unabhängige Vergleichsgruppen „geclus-
tert“ habe, nämlich in 900 MHz-Netzbetreiber und 1800 MHz-Netzbetreiber.
Dem Einwand, dass es sowohl nach den nationalen als auch nach den europäi-
schen Vorgaben nur symmetrische Terminierungsentgelte geben dürfe, sei
nicht zu folgen. Da jedes Mobilfunkunternehmen für seine Terminierungsleis-
tungen einen eigenen Monopolmarkt bilde, gebe es nicht nur einen einheitlichen
wettbewerbsanalogen Preis. Die Kosten der Leistungsbereitstellung variierten
von Unternehmen zu Unternehmen. Ansatzpunkt für ihre Ermittlung seien dem-
entsprechend gemäß § 33 TKG (a.F.) die Kostenunterlagen des beantragenden
Unternehmens. Die Erwägungen, mit denen die Beklagte die Bildung zweier
unterschiedlicher Vergleichsgruppen - mit der Folge einer Genehmigung der
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Mobilfunkterminierungsentgelte in unterschiedlicher Höhe für D- und E-
Netzbetreiber - begründet habe, hielten rechtlicher Überprüfung stand. Sie habe
erkannt, dass die frequenzausstattungsbedingten Unterschiede bei den Kosten
der Netzinfrastruktur zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr sehr gravie-
rend gewesen seien. Für die Genehmigung nicht-reziproker Terminierungsent-
gelte seien sie nur ein Umstand unter mehreren. Dass die sog. E-Netzbetreiber,
bedingt durch ihren späteren Markteintritt, auch noch im Jahr 2006 gegenüber
den D-Netzbetreibern einen geringeren Marktanteil gehabt hätten und es des-
halb zu vergleichsweise ungünstigen Skaleneffekten komme, sei nachvollzieh-
bar. Um dies auszugleichen, sei es nicht ermessensfehlerhaft, im Sinne der
Erhaltung und Förderung des Wettbewerbs zu Gunsten der E-Netzbetreiber
eine Tarifspreizung vorzunehmen. Auch der vorgenommene europäische Tarif-
vergleich zeige, dass in den meisten zum Vergleich herangezogenen Ländern
eine Differenzierung zwischen den 900- und 1800-MHz-Netzbetreibern erfolgt
sei und die von den europäischen Regulierungsbehörden genehmigten Termi-
nierungsentgelte für die 900-MHz-Netzbetreiber in den ausgewählten Ländern
niedriger lägen als die der 1800-MHz-Netzbetreiber.
Nach Durchführung der dargestellten Auswahlschritte habe die Beklagte die
Referenzgruppe weiter eingeschränkt, indem sie separat für beide Vergleichs-
gruppen das arithmetische Mittel als sog. „efficient frontier'' errechnet und alle
Vergleichsunternehmen ausgeschieden habe, die oberhalb dieses errechneten
einfachen Durchschnitts gelegen hätten. Bei den verbliebenen Unternehmen
mit genehmigten Tarifen auf oder unterhalb der „efficient frontier" sei erneut das
arithmetische Mittel gebildet worden. Auch dieses Vorgehen lasse Ermessens-
fehler nicht erkennen. Die Beklagte sei aus Rechtsgründen auch nicht gehalten
gewesen, den höchsten unverzerrten Wettbewerbspreis als wettbewerbsanalo-
gen Preis festzusetzen.
Bei der Beantwortung der Frage, ob und ggf. in welcher Höhe Besonderheiten
der Vergleichsmärkte besondere Zu- bzw. Abschläge erforderlich machen, ste-
he der Beklagten ein Regulierungsermessen zur Verfügung. Hiervon ausge-
hend stelle sich die Entscheidung der Beschlusskammer, für etwaige Netzinfra-
strukturunterschiede in den zum Vergleich herangezogenen Ländern einen Zu-
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schlag in Höhe von nur 5% zu gewähren, für UMTS-Lizenzgebühren und positi-
ve Netzwerkexternalitäten einen solchen aber abzulehnen, nicht als rechtsfeh-
lerhaft dar. Die Einbeziehung der Mobilfunkunternehmen aus Finnland und
Schweden in die Vergleichsmarktbetrachtung ohne weiteren Korrekturzuschlag
sei nicht zu beanstanden. Unterschiedliche Infra- bzw. Marktstrukturen ständen
jedenfalls bei hinreichend breiter Vergleichsgrundlage, wie sie hier gegeben sei,
einer Vergleichbarkeit nicht entgegen und bedürften insoweit auch keiner Kor-
rektur in Form eines Zuschlags. Dass die Beklagte für die von der Klägerin in
der Vergangenheit gezahlten relativ hohen UMTS-Lizenzgebühren keinen wei-
teren Korrekturzuschlag festgesetzt habe, sei rechtlich ebenfalls nicht zu bean-
standen. Es sei zutreffend, dass durch die getroffene Auswahl der Mobilfunk-
netzbetreiber in den Tarifen implizit Kostenanteile für die UMTS-Lizenzgebühr
gerade in den Ländern Berücksichtigung gefunden hätten, in denen vergleichs-
weise hohe Summen für UMTS-Lizenzen ausgegeben worden seien. Dass in
Großbritannien bei der Entgeltgenehmigung der britischen Regulierungsbehör-
de die UMTS-Lizenzgebühren erst ab April 2007 berücksichtigt worden seien,
mache die Annahme, Kostenanteile für die UMTS-Lizenzgebühr hätten grund-
sätzlich Berücksichtigung gefunden, nicht fehlerhaft. Bei der endgültigen Preis-
bildung seien aufgrund der doppelten Durchschnittsbetrachtung auch die Preise
der britischen Telekommunikationsunternehmen in den Vergleichspreis einge-
flossen.
Aus den genannten Erwägungen sei auch die in Ziffer 2. des Anordnungsbe-
schlusses vom 16. November 2006 festgelegte Entgelthöhe nach der dort for-
mulierten auflösenden Bedingung bezüglich Ziffer 1.1 des Beschlusses von
9,78 Cent/Minute für den Genehmigungszeitraum vom 30. August bis 22. No-
vember 2006 nicht zu beanstanden.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die vom Verwaltungsgericht zugelassene
Revision eingelegt. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend: Die
Bildung der Vergleichsgruppen der 900 MHz- und 1800 MHz-Betreiber durch
die Beklagte verletze die aus dem Effizienzbegriff des § 31 Abs. 1 Satz 1 TKG
abgeleitete Pflicht zur Genehmigung symmetrischer Entgelte. Die Beklagte hät-
te das an den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung orientierte Ver-
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gleichsentgelt nicht getrennt in zwei Gruppen ermitteln, sondern objektive Kos-
tenunterschiede allenfalls in Form von Zu- bzw. Abschlägen zu einem einheit-
lich ermittelten Vergleichsentgelt berücksichtigen dürfen. Die Differenzierung
zwischen 900 MHz- und 1800 MHz-Betreibern sei nicht durch objektive Kosten-
unterschiede gerechtfertigt. Das Verwaltungsgericht habe festgestellt, dass zum
Entscheidungszeitpunkt keine wesentlichen frequenzausstattungsbedingten
Kostenunterschiede mehr vorgelegen hätten. Die Beklagte habe solche Kos-
tenunterschiede jedoch entscheidungserheblich zugrunde gelegt. Die ebenfalls
genannten Kriterien des Markteintritts und des Marktanteils seien für die Bil-
dung der Vergleichsgruppen nicht entscheidungserheblich gewesen. Zudem
führten die Kriterien Frequenzausstattung, Marktanteil und Markteintrittszeit-
punkt nicht zu identischen Vergleichsgruppen. Die Trennung zwischen
900 MHz- und 1800 MHz-Betreibern könne ferner nicht durch vermeintliche
Kostennachteile der 1800 MHz-Betreiber, die sich durch ihren späteren Markt-
eintritt, einem daraus resultierenden geringeren Marktanteil und hierdurch be-
dingten ungünstigeren Skaleneffekten ergeben sollten, gerechtfertigt werden.
Eine Korrelation zwischen Markteintrittszeitpunkt und Marktanteil sei nicht zu
belegen. Zudem könne die Größe des Endkundenmarktanteils - jedenfalls über
eine Übergangsphase direkt nach dem Markteintritt hinaus - nicht als Differen-
zierungsgrund für Vorleistungsentgelte herangezogen werden, da es sich nicht
um einen objektiven Kostenunterschied handele. Die Zusammenstellung der
Vergleichsgruppen für die 900 MHz- und 1800 MHz-Betreiber hätte das Verwal-
tungsgericht als ermessensfehlerhaft beanstanden müssen, weil zum einen
Vergleichsmärkte ohne hinreichende Prüfung und Begründung ausgeschlossen
und zum anderen wesentliche Besonderheiten der Vergleichsmärkte nicht als
Auswahlkriterium berücksichtigt worden seien. Eine individuelle betreiber-,
markt- bzw. länderspezifische Analyse sei nicht durchgeführt worden.
Das angefochtene Urteil verstoße auch deshalb gegen Bundesrecht, weil das
Verwaltungsgericht die Vornahme einer doppelten Effizienzbetrachtung inner-
halb der Vergleichsgruppen und die hierdurch bedingte Ermittlung der Terminie-
rungsentgelte auf der Basis besonders niedriger Vergleichspreise nicht als er-
messensfehlerhaft beanstandet habe. Die Beklagte hätte auf einen einfachen
Durchschnittspreisansatz abstellen müssen. Die doppelte Effizienzbetrachtung
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widerspreche der Grundannahme der Effizienz aller herangezogenen Ver-
gleichspreise und führe nicht zum allgemeinen Ausschluss von „Ausreißern",
sondern lediglich dazu, dass besonders niedrige Vergleichswerte ein stärkeres
Gewicht erhielten. Die Annahme einer vermeintlich höheren Effizienz niedrige-
rer Preise verkenne, dass die internationalen Vergleichswerte von unterschied-
lichen regulatorischen Bewertungsansätzen und länderspezifischen Besonder-
heiten geprägt seien. Die Beklagte habe weder überprüft, ob die von ihr als
vermeintlich besonders effizient erachteten Netzbetreiber im Vergleich zur Klä-
gerin nicht lediglich unter günstigen operativen Rahmenbedingungen arbeiteten
oder die Qualität ihrer Dienste niedriger sei, noch wie sich die Kostenstruktur
der als weniger effizient erachteten Netzbetreiber zu derjenigen der Klägerin
verhalte. Die Heranziehung allein der besonders niedrigen Vergleichswerte
könne auch nicht durch die Annahme steigender Verkehrsmengen einschließ-
lich einer daraus resultierenden Stückkostendegression gerechtfertigt werden;
denn unabhängig davon, ob zum Entscheidungszeitpunkt hinreichende Gründe
für die Annahme eines zukünftigen deutlichen Verkehrsmengenwachstums vor-
gelegen hätten, seien die Vergleichswerte vorausschauend am Maßstab der
Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung genehmigt worden und berück-
sichtigten somit bereits die zukünftige Verkehrsmengenentwicklung.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts verfüge die Beklagte für die
Frage, ob und inwiefern Zu- bzw. Abschläge wegen der Besonderheiten der
Vergleichsmärkte bei der Preisfestsetzung erforderlich seien, über kein Regulie-
rungsermessen. Wie die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zeige, sei es
ungeachtet des Umstands, dass die Besonderheiten der Vergleichsmärkte sich
nicht mathematisch genau im Sinne bestimmter Prozentsätze ermitteln ließen,
möglich und damit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG auch verfassungsrechtlich
geboten, gerichtlich zu überprüfen, ob alle Besonderheiten der Vergleichsmärk-
te bei der Festsetzung der Höhe der Zu- bzw. Abschläge berücksichtigt worden
seien, und zu bewerten, in welchem Umfang eine nicht anderweitig berücksich-
tigte Besonderheit Zu- und Abschläge auf das Vergleichsentgelt erforderlich
mache. Anders als im Rahmen von §§ 21 und 30 TKG hätten die Regulierungs-
ziele bei der Ermittlung der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung nach
§§ 31 ff. TKG keine zentrale Bedeutung. Der Entgeltmaßstab erlaube nur, dass
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die Beklagte solche Kosten, die erwiesenermaßen oberhalb des wettbewerbs-
analogen Niveaus lägen, nicht anerkenne. Es handele sich um eine gebundene
Entscheidung, die auf mathematisch-betriebswirtschaftlichen Berechnungen
unter Heranziehung regulierungsökonomischer und finanzwissenschaftlicher
Methoden basiere, für deren Ergebnisse die Regulierungsziele regelmäßig kei-
ne Anhaltspunkte lieferten.
Schließlich habe das Verwaltungsgericht die Notwendigkeit eines höheren Zu-
schlags verkannt. Den Besonderheiten der Vergleichsmärkte sei unabhängig
von der Breite des Vergleichsmaterials Rechnung zu tragen. Die Annahme des
Verwaltungsgerichts, dass sich die strukturbezogenen Unterschiede in Bezug
auf Finnland und Schweden weitgehend ausglichen, sei unzutreffend, da neben
den mit Deutschland vergleichbaren Ländern keine Länder mit noch höherer
Bevölkerungsdichte und größeren Ballungsräumen in die Vergleichsmarktbe-
trachtung einbezogen worden seien. Ein Korrekturaufschlag sei zudem auf-
grund der Höhe der UMTS-Lizenzkosten erforderlich; denn die Mobilfunknetz-
betreiber in den meisten der von der Beklagten herangezogenen Vergleichslän-
dern hätten nicht annähernd so hohe UMTS-Lizenzgebühren gezahlt wie die
Mobilfunknetzbetreiber in Deutschland. Die lediglich indirekte Berücksichtigung
dieser Kosten greife grundsätzlich zu kurz. Jedenfalls werde ihr dadurch die
Grundlage entzogen, dass die höchsten in einem anderen Land gezahlten
UMTS-Lizenzgebühren gar nicht in die Vergleichspreisermittlung eingegangen,
die eingegangenen UMTS-Lizenzgebühren vergleichsweise niedrig gewesen
und in mehreren einbezogenen Ländern sogar gar keine UMTS-Lizenz-
gebühren angefallen seien. Zusätzlich zu dem aufgrund der Besonderheiten der
Vergleichsmärkte zu gewährenden Korrekturzuschlag sei ein Sicherheitszu-
schlag aufgrund verbleibender Unsicherheiten anzusetzen. Insgesamt seien
Korrektur- und Sicherheitszuschläge in Höhe von mindestens 20 % erforderlich.
Das angefochtene Urteil sei auch nicht aus anderen Gründen richtig. Das Ver-
waltungsgericht habe zutreffend ausgeführt, dass die Rückwirkungssperre des
§ 35 Abs. 5 Satz 3 TKG auf Fälle, in denen das streitgegenständliche Entgelt
nicht bereits vertraglich vereinbart sei, nicht anwendbar sei.
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Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 17. Juli 2013
zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung der Ziffern 1.
und 2. des Tenors ihres Beschlusses vom 16. November
2006 zu verpflichten, für die Terminierungsleistung V.1 der
Klägerin mit Wirkung ab dem 30. August 2006 ein Entgelt
in Höhe von 11 €-Cent/Minute, hilfsweise in einer Höhe
zwischen 8,78 €-Cent/Minute und 11 €-Cent/Minute anzu-
ordnen.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen jeweils,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts. Die Beigeladene
hält den angefochtenen Beschluss der Bundesnetzagentur zwar für rechtswid-
rig. Die Klägerin sei durch das angefochtene Urteil jedoch nicht beschwert, da
ohnehin bereits überhöhte Entgelte genehmigt worden seien. Die beantragte
Erhöhung verstärke die Beeinträchtigung der Wettbewerbschancen der Teil-
nehmernetzbetreiber wie der Beigeladenen. Zwischen den Mobilfunk- und den
Festnetzterminierungsentgelten herrschten starke Asymmetrien, die dem Tele-
kommunikationsgesetz und dem EU-Recht widersprächen. Die Frequenzkosten
dürften bei der Genehmigung der Terminierungsentgelte nicht berücksichtigt
werden. Wegen der nicht prüffähigen Kostenunterlagen hätte die Entgeltermitt-
lung, wie von der Kommission gefordert, anhand eines Kostenmodells durchge-
führt werden müssen, das die Beklagte frühzeitig hätte in Auftrag geben müs-
sen. Das Vergleichsmarktverfahren sei wegen der inhärenten Ungenauigkeiten
grundsätzlich ungeeignet zur Bestimmung der Mobilfunkterminierungsentgelte
im Rahmen der ex-ante-Kontrolle. Zumindest müssten die Ergebnisse anhand
von Kostenmodellen oder internationaler Benchmarks plausibilisiert werden. Die
Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Verweisung aus § 25 Abs. 5 TKG
nicht die Regelung des § 35 Abs. 5 TKG umfasse mit der Folge, dass rückwir-
kende Entgelte auch ohne vorherigen, erfolgreichen Eilantrag möglich seien, sei
unzutreffend. Der für vertraglich freiwillig vereinbarte Entgelte geltende Schutz
eines Rückwirkungsverbots müsse erst Recht für angeordnete Entgelte wirken.
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- 14 -
II
Das Verfahren wird ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht wird gemäß
Art. 100 Abs. 1 GG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 35 Abs. 5
Satz 2 und 3 in Verbindung mit § 25 Abs. 5 Satz 3 des Telekommunikationsge-
setzes - TKG - vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190) mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1
GG und Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar ist.
§ 35 Abs. 5 Satz 3 TKG lautet wie folgt: „Verpflichtet das Gericht die Regulie-
rungsbehörde zur Erteilung einer Genehmigung für ein höheres Entgelt, so ent-
faltet diese Genehmigung die Rückwirkung nach Satz 1 nur, wenn eine Anord-
nung nach Satz 2 ergangen ist.“ Der in Bezug genommene § 35 Abs. 5 Satz 1
TKG bestimmt, dass Entgeltgenehmigungen zurückwirken auf den Zeitpunkt
der erstmaligen Leistungsbereitstellung durch das Unternehmen mit beträchtli-
cher Marktmacht, wenn sie die vollständige oder teilweise Genehmigung eines
vertraglich bereits vereinbarten Entgelts beinhalten. Nach § 35 Abs. 5 Satz 2
TKG kann das Gericht im Verfahren nach § 123 der Verwaltungsgerichtsord-
nung - VwGO - die vorläufige Zahlung eines beantragten höheren Entgelts an-
ordnen, wenn überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Anspruch auf die Ge-
nehmigung des höheren Entgelts besteht; der Darlegung eines Anordnungs-
grundes bedarf es nicht. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
nach § 123 Abs. 1 VwGO kann nur bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Kla-
geerhebung gestellt und begründet werden (§ 35 Abs. 5 Satz 4 TKG). Für den
Fall, dass Entgelte Gegenstand einer Anordnung durch die Bundesnetzagentur
(vgl. § 25 Abs. 5 Satz 1 TKG) sind, bestimmt § 25 Abs. 5 Satz 3 TKG, dass hin-
sichtlich der festzulegenden Entgelte die §§ 27 bis 38 gelten.
1. Auf die Gültigkeit des § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 in Verbindung mit § 25 Abs. 5
Satz 3 TKG kommt es für die Entscheidung des Senats über die Revision der
Klägerin an (Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG, § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).
a) Ist § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 in Verbindung mit § 25 Abs. 5 Satz 3 TKG ver-
fassungsgemäß, so ist die Revision zurückzuweisen. Das die Verpflichtungs-
klage gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 16. November
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- 15 -
2006 - BK 3b-06-012/Z 13.09.06 - abweisende erstinstanzliche Urteil beruht in
diesem Fall zwar auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO),
da der Bundesnetzagentur im Rahmen der Ermittlung der genehmigungsfähi-
gen Entgelte auf der Grundlage einer internationalen Vergleichsmarktbetrach-
tung Rechtsfehler unterlaufen sind (aa). Das angefochtene Urteil stellt sich
dann aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO), weil § 35
Abs. 5 Satz 2 und 3 in Verbindung mit § 25 Abs. 5 Satz 3 TKG den prozessua-
len Anspruch auf Verpflichtung zum Erlass einer rückwirkenden Genehmigung
eines höheren Entgelts ausschließt (bb).
aa) Soweit das Verwaltungsgericht den angefochtenen Entgeltanordnungsbe-
schluss der Beklagten vom 16. November 2006 für rechtmäßig gehalten hat,
beruht das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137
Abs. 1 VwGO). Bleibt § 35 Abs. 5 Satz 3 TKG außer Betracht, hat die Klägerin
auf der Grundlage des § 25 Abs. 5 Satz 3 TKG in Verbindung mit § 35 Abs. 3
Satz 1 in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 3. Mai 2012 (BGBl. I
S. 958) geltenden Fassung, die hier noch maßgeblich ist, einen Anspruch auf
Neubescheidung ihres Antrags auf Anordnung von Terminierungsentgelten für
die Zeit vom 30. August 2006 bis zum 6. März 2007 (§ 113 Abs. 5 Satz 2
VwGO).
(1) Die in § 25 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 und 6 TKG genannten Voraussetzungen
der Entgeltanordnung haben sowohl im Zeitpunkt der Entscheidung der Bun-
desnetzagentur am 16. November 2006 als auch in dem gesamten noch streit-
gegenständlichen Zeitraum bis zum 6. März 2007 vorgelegen. Nach § 25 Abs. 1
Satz 1 TKG ordnet die Bundesnetzagentur nach Anhörung der Beteiligten in-
nerhalb einer Frist von zehn Wochen ab Anrufung durch einen der an der zu
schließenden Zugangsvereinbarung Beteiligten den Zugang an, wenn eine Zu-
gangsvereinbarung nach § 22 TKG oder eine Vereinbarung über Zugangsleis-
tungen nach § 18 TKG ganz oder teilweise nicht zustande kommt und die nach
diesem Gesetz erforderlichen Voraussetzungen für eine Verpflichtung zur Zu-
gangsgewährung vorliegen. Gegenstand einer Zugangsanordnung können, so-
weit nach Maßgabe des § 25 Abs. 1 Satz 1 TKG erforderlich, alle Bedingungen
einer Zugangsvereinbarung sowie die Entgelte sein (§ 25 Abs. 5 Satz 1 TKG),
25
26
- 16 -
wobei gegebenenfalls Teilentscheidungen getroffen werden sollen (§ 25 Abs. 6
Satz 1 TKG). Die Anrufung der Bundesnetzagentur ist nur unter den in § 25
Abs. 3 TKG genannten förmlichen Voraussetzungen zulässig; insbesondere
muss dargelegt werden, dass ernsthafte Verhandlungen stattgefunden haben
oder Verhandlungen vom Anrufungsgegner verweigert worden sind (§ 25 Abs. 3
Satz 2 Nr. 3 TKG).
Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, an die der Senat nach § 137
Abs. 2 VwGO gebunden ist, waren die Klägerin und die Beigeladene zunächst
auf der Grundlage eines Vertrages vom 21. Juni 2001 zusammengeschaltet.
Seit der Kündigung dieses Vertrages bildete die Zusammenschaltungsanord-
nung BK 4c-04-C25/Z 21.04.04 vom 25. Juni 2004 bis zum Vertragsschluss
vom 7. März 2007 die Grundlage der Zusammenschaltung. Nachdem die vo-
rangegangene Entgeltanordnung durch Eintritt der in Ziffer 2 des Anordnungs-
beschlusses vom 1. Dezember 2005 - BK 4c-05-071/E 22.09.2005 festgelegten
auflösenden Bedingung mit Erlass der Regulierungsverfügung vom 30. August
2006 - BK 4c-06-002/R - außer Kraft getreten war, konnten sich die Klägerin
und die Beigeladene über die Höhe der Entgelte für die hier streitgegenständli-
che Leistung V. 1 (Entgelte für die Anrufzustellung im Mobilfunknetz der Kläge-
rin) nicht einigen. Die Klägerin hat daraufhin am 13. September 2006 die An-
ordnung der Entgelte beantragt.
Der Maßstab für die Höhe des anzuordnenden Entgelts wird in § 25 Abs. 5 TKG
nicht unmittelbar vorgegeben. Vielmehr nimmt dessen Satz 3 Bezug auf die
§§ 27 bis 38 TKG. Dabei handelt es sich nach der Senatsrechtsprechung um
eine Rechtsgrundverweisung auf die Regelungen über die Entgeltgenehmigung
(§ 30 Abs. 1 Satz 1, §§ 31 bis 37 TKG) einerseits und über die nachträgliche
Entgeltregulierung (§ 30 Abs. 1 Satz 2, § 38 TKG) andererseits (vgl. BVerwG,
Urteil vom 23. Juni 2010 - 6 C 36.08 - Buchholz 442.066 § 38 TKG Nr. 2
Rn. 20). In dem hier zu entscheidenden Fall sind gemäß § 25 Abs. 5 Satz 3 die
Regelungen über die Entgeltgenehmigung (§ 30 Abs. 1 Satz 1, §§ 31 bis 37
TKG) heranzuziehen. Denn die ex-ante-Regulierung, der die Terminierungsent-
gelte der Klägerin nach Ziffer 3 der Regulierungsverfügung vom 30. August
2006 - BK 4c-06-002/R - unterworfen worden sind, erstreckt sich nicht nur auf
27
28
- 17 -
vertraglich vereinbarte, sondern auch auf nach § 25 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 TKG
angeordnete Entgelte. Maßgeblich sind auch für das Zusammenschaltungsver-
hältnis zwischen der Klägerin und der Beigeladenen die durch den Beschluss
der Bundesnetzagentur vom 16. November 2006 - BK 3 a/b-06-011/E
07.09.06 - genehmigten Entgelte. Für die Terminierung im Netz der Klägerin
wird darin für den Zeitraum vom 30. August 2006 bis 22. November 2006 ein
Verbindungsentgelt in Höhe von 11 Cent/Minute (Ziffer 1.1) oder - bei Eintritt
einer von zwei näher beschriebenen auflösenden Bedingungen - in Höhe von
9,78 Cent/Minute (Ziffer 2) genehmigt. Ab dem 23. November 2006 wird - be-
fristet bis zum 30. November 2007 (Ziffer 3) - ein Verbindungsentgelt in Höhe
von 8,78 Cent/Minute (Ziffer 1.2) genehmigt. Nach den Feststellungen des Ver-
waltungsgerichts ist die in Ziffer 2 des Beschlusstenors genannte Bedingung
zwischenzeitlich eingetreten; denn die im Verhältnis zwischen der Klägerin und
der Beigeladenen mit Beschluss BK 4c-05-071/E 22.09.05 vom 1. Dezember
2005 ergangene Anordnung hat ab dem 30. August 2006 ihre Wirksamkeit des-
halb endgültig verloren, weil die in ihrer Ziffer 2 enthaltene auflösende Bedin-
gung eingetreten ist. Zudem hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass sich
die Genehmigung auch auf das Entgelt für die die Leistung V.1. bezieht, die die
Beigeladene bei der Klägerin nachfragt und die Gegenstand der Entgeltanord-
nung ist.
Ergibt sich danach aus dem Beschluss der Bundesnetzagentur vom 16. No-
vember 2006 - BK 3 a/b-06-011/E 07.09.06, dass für den Zeitraum vom 30. Au-
gust bis 22. November 2006 ein Entgelt in Höhe von 9,78 Cent/Minute und für
den Zeitraum ab dem 23. November 2006 bis 6. März 2007 ein Entgelt in Höhe
von 8,78 Cent/Minute maßgeblich ist, sind die diesen Beträgen entsprechenden
Entgelte, die in dem streitgegenständlichen Beschluss vom 16. November 2006
- BK 3 b-06-012/Z 13.09.06 - angeordnet werden, nur dann rechtlich zu bean-
standen, wenn die - noch nicht bestandskräftige - Entgeltgenehmigung ihrer-
seits rechtswidrig ist. Dies ist jedoch entgegen der Auffassung der Vorinstanz
aus den nachfolgenden Erwägungen der Fall.
(2) Zu Recht hat das Verwaltungsgericht allerdings angenommen, dass der
heranzuziehende Entgeltgenehmigungsbeschluss nicht schon wegen formeller
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- 18 -
Rechtswidrigkeit aufzuheben ist, weil die Bundesnetzagentur vor der Erteilung
der Entgeltgenehmigung kein Konsultations- und Konsolidierungsverfahren ge-
mäß §§ 12, 13 TKG durchgeführt hat. Ein solcher Verfahrensfehler könnte für
sich genommen nicht zum Erfolg der Klage führen. Denn weder die Vorschriften
über das nationale Konsultationsverfahren gemäß § 12 Abs. 1 TKG noch dieje-
nigen über das unionsweite Konsolidierungsverfahren gemäß § 12 Abs. 2 TKG
weisen den erforderlichen individualschützenden Charakter auf. Nach ständiger
Rechtsprechung des Senats geht es bei der Konsultation nicht oder jedenfalls
nicht in erster Linie um die Rechtswahrung konkret betroffener Verfahrensbetei-
ligter, sondern um die Herstellung umfassender Transparenz gegenüber der
interessierten Fachöffentlichkeit. Insbesondere erfolgt die Gewährung rechtli-
chen Gehörs gegenüber dem Regulierungsadressaten bereits ausreichend
dadurch, das ihm nach § 135 Abs. 1, 3 TKG Gelegenheit zur schriftlichen und
zur mündlichen Äußerung zu geben ist. (vgl. BVerwG, Urteile vom 2. April 2008
- 6 C 15.07 - BVerwGE 131, 41 Rn. 42, und vom 29. Oktober 2008 - 6 C
38.07 - Buchholz 442.066 § 10 TKG Nr. 2 Rn. 40; Beschluss vom 28. Januar
2010 - 6 B 50.09 - Buchholz 442.066 § 135 TKG Nr. 1 Rn. 14). Für das in § 12
Abs. 2 TKG geregelte unionsweite Konsolidierungsverfahren gilt im Ergebnis
nichts anderes. Auch dieses Verfahren soll eine über den engen Kreis der Be-
teiligten eines Regulierungsverfahrens hinausreichende Informationssammlung
und Verfahrenstransparenz ermöglichen. Die Beteiligung von Kommission und
übrigen nationalen Regulierungsbehörden dient vornehmlich der Wahrung der
Rechtseinheit und dem Interesse des europäischen Binnenmarktziels (BVerwG,
Beschluss vom 25. Juni 2014 - 6 C 10.13 - NVwZ 2014, 1586 Rn. 50). Dafür,
dass sie daneben unmittelbar auch den rechtlichen Interessen des regulierten
Unternehmens oder seiner Wettbewerber zu dienen bestimmt ist und diesen
unabhängig vom materiellen Recht eine eigene, selbständig durchsetzbare ver-
fahrensrechtliche Rechtsposition gewähren soll, lassen sich weder dem Tele-
kommunikationsgesetz noch den relevanten Bestimmungen des Unions-
rechts - insbesondere Art. 6 bis 8 der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechts-
rahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie)
sowie Art. 8 und 13 der Richtlinie 2002/19/EG des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 7. März 2002 über den Zugang zu elektronischen Kommu-
- 19 -
nikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschal-
tung (Zugangsrichtlinie) - Anhaltspunkte entnehmen.
(3) Dem Erfolg der Klage steht ferner nicht entgegen, dass die auf § 31 Abs. 1,
§ 35 Abs. 3 Satz 1 TKG in der hier noch maßgeblichen Fassung gestützte Ge-
nehmigung der beantragten höheren Entgelte für die Anrufzustellung im Mobil-
funknetz der Klägerin mit § 28 TKG oder anderen Rechtsvorschriften nicht in
Einklang stände und deshalb gemäß § 35 Abs. 3 Satz 2 TKG zu versagen ist.
Die von der Beigeladenen in diesem Zusammenhang erwähnten Unterschiede
zwischen Festnetz- und Mobilfunknetzbetreibern in Bezug auf die Höhe der je-
weiligen Terminierungsentgelte stellen weder eine unzulässige Diskriminierung
im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TKG noch einen Behinderungsmiss-
brauch im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TKG durch das regulierte Unter-
nehmen dar. Der Einwand, die von der Bundesnetzagentur genehmigten Ent-
gelte für die Anrufzustellung in die jeweiligen Netze der Festnetzbetreiber blie-
ben unter Verstoß gegen ein Gleichbehandlungsgebot hinter den für die Anruf-
zustellung in die Mobilfunknetze genehmigten Entgelte zurück, ist im vorliegen-
den Verfahren nicht relevant. Ihm wäre gegebenenfalls im Rahmen einer den
Festnetzbereich betreffenden Genehmigungsentscheidung nachzugehen.
(4) Die Genehmigung höherer Entgelte muss auch nicht nach § 35 Abs. 3
Satz 3 TKG deshalb versagt werden, weil die Klägerin die in § 33 TKG in der für
den fraglichen Genehmigungszeitraum noch maßgeblichen Fassung (jetzt: § 34
TKG) genannten Unterlagen nicht vollständig vorgelegt hat. Nach den nicht mit
Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts haben
die von der Klägerin mit ihrem Antrag vom 12. September 2006 vorgelegten
Kostenunterlagen zwar nicht zur Bestimmung der Kosten der effizienten Leis-
tungsbereitstellung ausgereicht. Anders als bei dem Versagungsgrund nach
§ 35 Abs. 3 Satz 2 TKG handelt es sich bei § 35 Abs. 3 Satz 3 TKG allerdings
um eine Ermessensvorschrift. Dass die Bundesnetzagentur ihr Ermessen da-
hingehend ausgeübt hat, von der (vollständigen) Versagung der Genehmigung
abzusehen, hat das Verwaltungsgericht zu Recht nicht beanstandet.
31
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(5) Der Entgeltgenehmigungsbeschluss ist ferner nicht bereits deshalb materiell
rechtswidrig, weil die Bundesnetzagentur der Genehmigungsentscheidung kein
Kostenmodell im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TKG, sondern eine isolierte
Vergleichsmarktbetrachtung im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG zu-
grunde gelegt hat. Insbesondere war das der Behörde durch § 35 Abs. 1 Satz 2
TKG eingeräumte Auswahlermessen zwischen den zur Verfügung stehenden
Erkenntnisgrundlagen nicht in der Weise auf Null reduziert, dass nur die Heran-
ziehung eines Kostenmodells in Betracht gekommen wäre. Der Gesetzgeber
hat Vergleichsmarktbetrachtung und Kostenmodell als Methoden der
Entgeltüberprüfung prinzipiell als im Verhältnis zueinander gleichrangig ange-
sehen (vgl. Groebel, in: Säcker (Hrsg.), TKG-Kommentar, 3. Aufl. 2013, § 35
Rn. 12; Berger-Kögler/Cornils, in: Geppert/Schütz, Beck’scher TKG-
Kommentar, 4. Aufl. 2013, § 35 Rn. 23; Koenig/Senger, MMR 2007, 290
<291>). Auch das Unionsrecht sieht die Vergleichsmarktbetrachtung als Ermitt-
lungsmethode ausdrücklich vor. Nach Art. 13 Abs. 2 Satz 2 der Zugangsrichtli-
nie können die nationalen Regulierungsbehörden auch Preise berücksichtigen,
die auf vergleichbaren, dem Wettbewerb geöffneten Märkten gelten. Im konkre-
ten Einzelfall hat sich die Beklagte darauf gestützt, dass ein Rückgriff auf Er-
gebnisse eines Kostenmodells im Rahmen des laufenden Verfahrens objektiv
unmöglich gewesen wäre; denn ein solches Kostenmodell habe zum Zeitpunkt
der Verfahrensvorbereitung und -eröffnung noch nicht vorgelegen. Eine umge-
hende Beauftragung zur Entwicklung und erstmaligen Erstellung eines Kosten-
modells durch einen externen Gutachter hätte zu keinen Ergebnissen innerhalb
der zehnwöchigen Verfahrensfrist geführt. Dies hätte jedoch zur Folge gehabt,
dass der Genehmigungsantrag hätte abgelehnt werden müssen. Wie das Ver-
waltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, hätte der hieraus resultierende ge-
nehmigungslose Zustand jedoch weder den Interessen der Beteiligten noch
denen des Wettbewerbs insgesamt gedient.
(6) Die Vorinstanz hat ohne Rechtsfehler festgestellt, dass die im Rahmen der
Vergleichsmarktbetrachtung herangezogenen europäischen Unternehmen „ent-
sprechende Leistungen" anbieten und es sich um „dem Wettbewerb geöffnete
Märkte" im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG handelt. Dass die in Rede
stehenden Terminierungsleistungen der Mobilfunknetzbetreiber auf den jeweili-
33
34
- 21 -
gen räumlichen Vergleichsmärkten sachlich identisch sind, wird von keinem
Beteiligten in Frage gestellt. Nach der Rechtsprechung des Senats, auf die das
Verwaltungsgericht Bezug genommen hat, steht der Anwendung des Ver-
gleichsmarktprinzips nicht entgegen, dass es sich bei den in Betracht zu zie-
henden Vergleichsmärkten um regulierte Märkte mit monopolistischer Struktur
handelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2010 - 6 C 36.08 - Buchholz 442.066
§ 38 TKG Nr. 2 Rn. 24 ff.).
(7) Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass das Telekommunikationsge-
setz der Bundesnetzagentur sowohl bei der Frage, welche grundsätzlich ver-
gleichbaren Märkte sie für die Preisbildung heranzieht, als auch in Bezug da-
rauf, ob und ggf. in welcher Höhe Besonderheiten der Vergleichsmärkte Zu-
bzw. Abschläge erforderlich machen, einen gerichtlich nur eingeschränkt über-
prüfbaren Entscheidungsspielraum einräumt, ist ebenfalls mit Bundesrecht ver-
einbar. Allerdings handelt es sich hierbei entgegen der Auffassung der
Vorinstanz verwaltungsrechtsdogmatisch jeweils nicht um ein (Regulierungs-)
Ermessen auf der Rechtsfolgenseite, sondern um Beurteilungsspielräume auf
der Tatbestandsseite.
Aus der Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) folgt
grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Verwaltungsakte in
rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen. Dies schließt es
jedoch nicht aus, dass durch den Gesetzgeber eröffnete Gestaltungs-, Ermes-
sens- und Beurteilungsspielräume die Durchführung der Rechtskontrolle durch
die Gerichte einschränken. Gerichtliche Kontrolle kann nicht weiter reichen als
die materiellrechtliche Bindung der Instanz, deren Entscheidung überprüft wer-
den soll. Sie endet deshalb dort, wo das materielle Recht in verfassungsrecht-
lich unbedenklicher Weise das Entscheidungsverhalten nicht vollständig deter-
miniert und der Verwaltung einen Einschätzungs- und Auswahlspielraum be-
lässt. Die Annahme eines behördlichen Letztentscheidungsrechts setzt nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts voraus, dass sich dies
- erstens - ausdrücklich aus dem Gesetz ergibt oder durch Auslegung hinrei-
chend deutlich zu ermitteln ist, dass - zweitens - ein hinreichend gewichtiger,
am Grundsatz eines wirksamen Rechtsschutzes ausgerichteter Sachgrund vor-
35
36
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liegt und dass - drittens - den Fachgerichten genügend Möglichkeiten und in
diesem Rahmen auch die Pflicht zu einer substantiellen Kontrolle des behördli-
chen Handelns verbleiben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 2011 - 1 BvR
857/07 - BVerfGE 129, 1 Rn. 68, 73 f.; Beschluss vom 8. Dezember 2011
- 1 BvR 1932/08 - NVwZ 2012, 694 Rn. 40). Diese Voraussetzungen sind so-
wohl hinsichtlich der Frage, welche grundsätzlich vergleichbaren Märkte die
Regulierungsbehörde im Rahmen der Vergleichsmarktbetrachtung nach § 35
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG für die Preisbildung heranzieht, als auch in Bezug da-
rauf, ob und ggf. in welcher Höhe Besonderheiten der Vergleichsmärkte Zu-
bzw. Abschläge erforderlich machen, erfüllt.
Die Annahme eines Entscheidungsspielraums der Bundesnetzagentur in dem
genannten Umfang lässt sich auf den Gesetzeswortlaut stützen. Nach § 35
Abs. 1 Satz 2 TKG kann die Entscheidung der Regulierungsbehörde u.a. auf
einer Prüfung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG beruhen, soweit die der Regu-
lierungsbehörde vorliegenden Kosteninformationen für eine Prüfung der ge-
nehmigungspflichtigen Entgelte nicht ausreichen. § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG
zufolge kann die Bundesnetzagentur neben den ihr vorliegenden Kosteninfor-
mationen Preise solcher Unternehmen als Vergleich heranziehen, die entspre-
chende Leistungen auf vergleichbaren, dem Wettbewerb geöffneten Märkten
anbieten. Der durch die „Kann“-Formulierungen eröffnete Entscheidungsspiel-
raum erstreckt sich nicht nur auf die Frage, ob die Bundesnetzagentur über-
haupt eine isolierte Vergleichsmarktbetrachtung durchführt, sondern auch da-
rauf, welche Märkte und folglich welche konkreten Preise sie in die Vergleichs-
grundlage einbezieht sowie ob und ggf. inwieweit strukturelle Unterschiede der
Vergleichsmärkte durch Zu- oder Abschläge ausgeglichen werden. Allerdings
handelt es sich nicht um den Fall eines auf den Rechtsfolgenausspruch bezo-
genen so genannten allgemeinen Ermessens, das vor allem der Einzelfallge-
rechtigkeit dient. Der durch § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 TKG einge-
räumte Entscheidungsspielraum hat nicht den Zweck, es der Bundesnetzagen-
tur zu ermöglichen, eine dem Einzelfall angemessene und sachgerechte Ent-
scheidung über das „Ob“ und „Wie“ eines Verwaltungsakts zu treffen, bei der
einerseits der Gesetzeszweck und andererseits die konkreten Umstände zu
berücksichtigen sind und in die insbesondere auch Zweckmäßigkeits- und Bil-
37
- 23 -
ligkeitserwägungen einfließen können (vgl. zu diesem typischen Zweck von Er-
messensermächtigungen: BVerwG, Beschluss vom 5. Mai 2014 - 6 B 46.13 -
NVwZ 2014, 1034 Rn. 8). Vielmehr geht es bei der Auswahl der Vergleichs-
märkte und der Entscheidung über Zu- oder Abschläge lediglich um unselb-
ständige Verfahrensschritte im Rahmen der Anwendung der Vergleichsmarkt-
methode. Da der der Bundesnetzagentur in § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2
TKG eingeräumte Entscheidungsspielraum bei der Auswahl der Vergleichs-
märkte und der Entscheidung über erforderliche Zu- und Abschläge in der Sa-
che die Beurteilung der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Entgeltge-
nehmigung betrifft, ist er verwaltungsrechtsdogmatisch als Beurteilungsspiel-
raum einzuordnen.
Für die im Gesetzeswortlaut angelegte Reduzierung der gerichtlichen Kontrolle
in Bezug auf die Entscheidungen der Regulierungsbehörde welche Märkte bzw.
Preise sie als Vergleichsbasis heranzieht und welche Zu- bzw. Abschläge sie
ggf. aufgrund von Besonderheiten der Vergleichsmärkte ansetzt, bestehen trag-
fähige Sachgründe. § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 TKG lassen die isolier-
te Vergleichsmarktbetrachtung als Alternativmethode zur Kostenprüfung zu,
ohne das Entscheidungsprogramm näher auszugestalten. Das Fehlen aus-
drücklicher materiellrechtlicher Entscheidungsmaßstäbe im Gesetzestext ist
verfassungsrechtlich hinnehmbar, weil die vom Verwaltungsgericht zitierte zivil-
rechtliche Rechtsprechung zu der Frage vergleichbarer Märkte im Rahmen der
wettbewerbsrechtlichen Missbrauchsaufsicht Orientierung bieten kann (vgl. et-
wa BGH, Beschlüsse vom 31. Mai 1972 - KVR 2/71 - BGHZ 59, 42 - Stromtarif;
vom 16. Dezember 1976 - KVR 2/76 - BGHZ 68, 23 - Valium; vom 12. Februar
1980 - KVR 3/7 - BGHZ 76, 142 - Valium II; vom 21. Oktober 1986 - KVR
7/85 - NJW-RR 1987, 554 <555> - Glockenheide; vom 22. Juli 1999 - KVR
12/98 - BGHZ 142, 239 - Flugpreisspaltung; vom 28. Juni 2005 - KVR
17/04 - BGHZ 163, 282 - Stadtwerke Mainz; vom 2. Februar 2010 - KVR
66/08 - BGHZ 184, 168 - Wasserpreise Wetzlar). Dem Vergleichsmarktkonzept
liegt danach die Überlegung zugrunde, den Preis, der sich auf dem für die
Missbrauchsaufsicht relevanten Markt bei funktionsfähigem Wettbewerb bilden
würde, dadurch zu ermitteln, dass die auf einem im Wesentlichen vergleichba-
ren Markt im Wettbewerb gebildeten Preise als Beurteilungsgrundlage heran-
38
- 24 -
gezogen werden. Die den Preis beeinflussenden Faktoren, insbesondere Un-
terschiede in der Marktstruktur, müssen dabei mit berücksichtigt und durch ent-
sprechende Zu- oder Abschläge ausgeglichen werden. Die Unterschiede dürfen
jedoch nicht so erheblich sein, dass sich Zuschläge oder Abschläge von einem
solchen Ausmaß ergeben, dass die ermittelten wettbewerbsanalogen Preise
sich im Ergebnis nicht auf konkrete Vergleichszahlen stützen, sondern überwie-
gend auf geschätzten Zu- und Abschlägen beruhen. Den Ansatz von Zu- oder
Abschlägen können nur strukturelle Gegebenheiten rechtfertigen, die jeden An-
bieter treffen und von ihm bei seiner Entgeltgestaltung beachtet werden müs-
sen. Individuelle, allein auf eine unternehmerische Entschließung zurückgehen-
de Umstände haben außer Betracht zu bleiben. Auch der Vergleich mit nur ei-
nem einzigen Unternehmen kann zulässig sein, wenn die wegen der schmalen
Vergleichsbasis bestehenden Unsicherheiten - etwa durch Sicherheitszuschlä-
ge angemessen berücksichtigt werden.
Dies zugrunde gelegt handelt es sich bei der Vergleichsmarktbetrachtung um
ein komplexes, mehrphasiges Verfahren, das erstens mit der bewertenden
Feststellung beginnt, welche Märkte mit dem relevanten Markt im Wesentlichen
vergleichbar sind, auf dieser Grundlage zweitens eine Auswahlentscheidung
hinsichtlich derjenigen Märkte erfordert, welche zur Ermittlung des Vergleichs-
preises heranzuziehen sind, drittens ggf. eine gestaltende Entscheidung dahin-
gehend verlangt, in welcher Höhe der ermittelte Vergleichspreis durch Zu- oder
Abschläge ggf. zu korrigieren ist, um strukturelle Marktunterschiede auszuglei-
chen, und viertens ggf. eine ebenfalls gestaltende Entscheidung verlangt, ob
und ggf. inwieweit der ermittelte Vergleichspreis um einen Sicherheitszuschlag
(weiter) zu erhöhen ist. Die in § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 TKG voraus-
gesetzte Vergleichsmarktmethode verlangt damit in allen Phasen des Verfah-
rens Entscheidungen, die in hohem Maße durch wertende und gestaltende
Elemente geprägt sind und nicht durch gesetzliche Vorgaben gesteuert werden.
Die hierbei zugrunde zu legenden tatsächlichen Annahmen hängen wesentlich
von ökonomischen Einschätzungen in Bezug auf die als Vergleichsbasis in Be-
tracht kommenden Märkte sowie die für die Preisbildung jeweils maßgeblichen
Einflussfaktoren ab. Regelmäßig werden auch Prognosen über die voraussicht-
liche Entwicklung der relevanten Märkte und Preise im Genehmigungszeitraum
39
- 25 -
erforderlich sein. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich diese Einschätzun-
gen und Prognosen innerhalb eines bestimmten Rahmens nicht als eindeutig
„richtig“ oder „falsch“ charakterisieren lassen.
Insbesondere die Entscheidung, ob und ggf. in welcher Höhe ein ermittelter
Vergleichspreis durch Zu- oder Abschläge zu korrigieren ist, um die Besonder-
heiten von Vergleichsmärkten im Sinne von § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG zu
berücksichtigen, weist nicht nur wertende, sondern in hohem Maße gestaltende
Elemente auf. Entgegen dem Revisionsvorbingen ergibt sich die Höhe der Zu-
oder Abschläge offensichtlich nicht aus der bloßen Anwendung mathematisch-
betriebswirtschaftlicher Berechnungen unter Heranziehung regulierungsökono-
mischer und finanzwissenschaftlicher Methoden. Wie die Klägerin selbst aus-
führt, können zu den strukturellen Gegebenheiten der zu vergleichenden Märkte
im Zusammenhang mit den Entgelten für die Terminierung in Mobilfunknetze
nicht nur bezifferbare Kostenfaktoren wie die Höhe der von den Betreibern ge-
zahlten Lizenzgebühren gehören, sondern auch deutlich schwieriger zu erfas-
sende Umstände wie beispielsweise die naturräumliche Gliederung, Bevölke-
rungsdichte und -verteilung oder Netztopografie. Handelt es sich, wie hier, zu-
dem um Märkte, die der ex-ante-Entgeltregulierung unterliegen, sind ggf. auch
unterschiedliche regulierungspolitische Akzente der jeweiligen nationalen Regu-
lierungsbehörden in den Blick zu nehmen. Selbst wenn alle diese Preisbil-
dungsfaktoren mit größtmöglicher Genauigkeit analysiert und sämtliche Abwei-
chungen lückenlos ermittelt und exakt gemessen werden könnten, setzt jeden-
falls die Kompensation der festgestellten strukturellen Unterschiede durch
konkret bezifferbare Zu- und Abschläge eine gestaltende Entscheidung voraus.
Eine wissenschaftlich exakt bestimmbare Relation zwischen einzelnen Markt-
strukturmerkmalen und hieraus resultierenden Korrekturbeträgen ist nicht vor-
stellbar. Selbst wenn die Zu- und Abschläge nicht auf einer bloßen Schätzung
beruhen, verbleibt bei der Feststellung und Bewertung der marktstrukturellen
Abweichungen und ihrer Kompensation durch konkret bezifferbare Zu- und Ab-
schläge ein in der Natur der Sache begründeter Spielraum, innerhalb dessen
verschiedene Entscheidungen gleichermaßen rechtmäßig sind.
40
- 26 -
Die innerhalb dieses durch § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 TKG eröffneten
Spielraums zu treffenden Entscheidungen durfte der Gesetzgeber der Bundes-
netzagentur zuweisen, die insoweit gemäß § 132 Abs. 1 TKG durch ihre Be-
schlusskammern entscheidet. Wie der Senat bereits früher hervorgehoben hat
(vgl. BVerwG, Urteil vom 28. November 2007 - 6 C 42.06 - BVerwGE 130, 39
Rn. 30), ist die Sachkunde der Mitglieder der Beschlusskammern der Bundes-
netzagentur durch fortlaufende wissenschaftliche Unterstützung institutionell
abgesichert (§ 125 Abs. 2 TKG). Die Beschlusskammern treffen ihre Entschei-
dungen zudem im Rahmen eines mit besonderen Antrags- und Beteiligungs-
rechten ausgestatteten, förmlichen Verwaltungsverfahrens (§§ 132 ff. TKG).
Soweit sie gestaltende Aufgaben wahrnehmen, deren Ergebnis weitgehend frei
ist von festen normativen Vorgaben und eine prognostische Beurteilung darüber
voraussetzt, wie die unterschiedlichen Ziele der Regulierung unter Berücksich-
tigung aller abwägungserheblichen öffentlichen und privaten Belange bestmög-
lich zu erreichen sind, ist deshalb von einer gerichtlich nur eingeschränkt nach-
prüfbaren Entscheidungsprärogative für die Beschlusskammern der Bundes-
netzagentur auszugehen. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die Entscheidung über
die Auferlegung von Regulierungsverpflichtungen, die notwendigerweise das
Ergebnis einer umfassenden und komplexen Abwägung ist, bei der gegenläufi-
ge öffentliche und private Belange einzustellen, zu gewichten und auszuglei-
chen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. November 2007 - 6 C 42.06 - BVerwGE
130, 39 Rn. 28), sondern auch dann, wenn bereits im Rahmen der Beurteilung
der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen einer Regulierungsmaßnahme Ab-
wägungsentscheidungen erforderlich sind.
Hiervon ist in Bezug auf die im Rahmen einer Vergleichsmarktbetrachtung nach
§ 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG zu treffenden Entscheidungen, welche Märkte für
die Preisbildung herangezogen werden und ob bzw. in welcher Höhe Beson-
derheiten der Vergleichsmärkte besondere Zu- bzw. Abschläge erforderlich ma-
chen, auszugehen. Soweit diese Entscheidungen gestaltende Elemente enthal-
ten, sind auch die berührten Regulierungsziele sowie sonstige öffentliche und
private Belange zu gewichten und auszugleichen. Eine gerichtliche Vollkontrolle
würde dazu führen, dass die Verwaltungsgerichte diesen Abwägungsvorgang,
bei dem die zuständige Fachbehörde einem besonderen verfahrensrechtlichen
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42
- 27 -
Regime unterliegt, letztlich durch eine eigene Abwägungsentscheidung erset-
zen müssten, ohne auf hinreichend konkrete gesetzliche Vorgaben zurückgrei-
fen zu können.
Durch den in § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 TKG eingeräumten Beurtei-
lungsspielraum der Regulierungsbehörde bei der Entscheidung, welche Märkte
im Rahmen der Vergleichsmarktbetrachtung herangezogen werden sowie ob
und ggf. in welcher Höhe Besonderheiten der Vergleichsmärkte Zu- bzw. Ab-
schläge erforderlich machen, wird schließlich auch nicht die Möglichkeit einer
substantiellen gerichtlichen Kontrolle des behördlichen Handelns in Frage ge-
stellt. Nach den vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätzen, de-
nen der Senat in seiner Rechtsprechung folgt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Sep-
tember 2013 - 6 C 13.12 - BVerwGE 148, 48 Rn. 33), ist die Ausübung eines
Beurteilungsspielraums generell darauf zu überprüfen, ob die Behörde die gülti-
gen Verfahrensbestimmungen eingehalten hat, von einem richtigen Verständnis
des anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen ist, den erheblichen Sach-
verhalt vollständig und zutreffend ermittelt hat und sich bei der eigentlichen Be-
urteilung an allgemeingültige Wertungsmaßstäbe gehalten, insbesondere das
Willkürverbot nicht verletzt hat. Im Hinblick auf die Abwägung widerstreitender
Belange und Regulierungsziele, die die Bundesnetzagentur im Rahmen der hier
in Rede stehenden Entscheidungen zumindest partiell vornehmen muss, hat
das Verwaltungsgericht darüber hinaus nachzuprüfen, ob die Behörde im Hin-
blick auf die Kriterien, die in den relevanten Rechtsnormen ausdrücklich hervor-
gehoben oder doch in ihnen angelegt sind, plausibel und erschöpfend argumen-
tiert hat. Hieraus ergeben sich erhöhte Begründungsanforderungen für die Be-
hördenentscheidung. Denn die gerichtliche Kontrolle eines der Behörde einge-
räumten Gestaltungsspielraums ist grundsätzlich auf diejenigen Erwägungen zu
erstrecken und zu beschränken, die die Behörde zur Begründung ihrer Ent-
scheidung dargelegt hat.
Das Erfordernis einer plausiblen und erschöpfenden Begründung bei der Aus-
füllung des der Regulierungsbehörde zustehenden Spielraums hat der Senat
früher bereits im Zusammenhang mit der Auswahl der Methode für die Berech-
nung des Anlagevermögens als Grundlage für die Ermittlung von Zinsen und
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Abschreibungen im Rahmen der Bestimmung des Genehmigungsmaßstabs der
Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2
Satz 1 TKG angenommen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 2013 - 6 C
13.12 - BVerwGE 148, 48 Rn. 34 sowie zuvor bereits Urteil vom 23. November
2011 - 6 C 11.10 - Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 5 Rn. 38, unter Bezugnah-
me auf Urteil vom 23. März 2011 - 6 C 6.10 - BVerwGE 139, 226 Rn. 38). Der
Entscheidungsspielraum, welcher der Bundesnetzagentur im Rahmen der Ver-
gleichsmarktbetrachtung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 TKG hin-
sichtlich der Fragen zusteht, welche Märkte sie als Vergleichsgrundlage heran-
zieht und welche Zu- bzw. Abschläge sie ggf. vornimmt, ist zwar nicht in glei-
cher Weise bereits im Unionsrecht angelegt, weist jedoch vergleichbare Struk-
turmerkmale auf und unterliegt daher denselben gerichtlichen Kontrollmaßstä-
ben. Durch das Erfordernis einer plausiblen und erschöpfenden Begründung bei
der Ausfüllung der der Bundesnetzagentur im Rahmen der Entgeltgenehmi-
gungsentscheidung zustehenden Spielräume ist jedenfalls eine substantielle
gerichtliche Kontrolle des regulierungsbehördlichen Handelns gewährleistet, die
der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG hinrei-
chend Rechnung trägt.
Der Einwand der Revision, die Regulierungsziele spielten bei der Ermittlung der
Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung nach §§ 31 ff. TKG keine zentrale
Rolle, steht der Annahme eines Beurteilungsspielraums der Bundesnetzagentur
bei der Auswahl der Vergleichsmärkte und der Entscheidung über Zu- oder Ab-
schläge nicht entgegen. Dass die Beklagte die in § 2 Abs. 2 TKG genannten
Regulierungsziele bei der Ermittlung der einzelnen Elemente der Kosten der
effizienten Leistungsbereitstellung berücksichtigen muss, folgt schon daraus,
dass die Regulierungsziele als Leitprinzipien die gesamte Tätigkeit der Bundes-
netzagentur steuern und dem Gesetz neben dem abstrakten Ziel der Ermittlung
der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung keine anderen Maßstäbe zu
entnehmen sind, an denen sich eine Abwägungsentscheidung orientieren kann.
Insbesondere bei der Feststellung und Bewertung der marktstrukturellen Ab-
weichungen als Besonderheiten von Vergleichsmärkten im Sinne von § 35
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG und ihrer Kompensation durch konkret bezifferbare Zu-
und Abschläge verbleibt - wie ausgeführt - ein Spielraum, innerhalb dessen ver-
45
- 29 -
schiedene Entscheidungen gleichermaßen rechtmäßig sind und der deshalb
unter Berücksichtigung der Regulierungsziele auszufüllen ist.
Die Annahme behördlicher Letztentscheidungsbefugnisse im dargelegten Um-
fang hat entgegen dem Revisionsvorbringen nicht zur Folge, dass das Risiko
eventuell verbleibender Unsicherheiten der Entgeltermittlung in sachlich nicht
gerechtfertigter Weise dem regulierten Unternehmen aufgebürdet wird. Denn
das regulierte Unternehmen hat es selbst in der Hand, durch Vorlage ausrei-
chender Kostenunterlagen nach § 33 TKG (jetzt: § 34 TKG) die ausschließliche
Anwendung einer Vergleichsmarktbetrachtung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 TKG
und das mit dieser Methode verbundene höhere Risiko verbleibender Unsicher-
heiten zu vermeiden. Je vollständiger und aussagekräftiger die von dem Unter-
nehmen vorgelegten Kosteninformationen sind, desto geringer werden die Un-
sicherheiten und folglich auch die Abwägungsspielräume sein, über die die Re-
gulierungsbehörde im Rahmen einer Vergleichsmarktbetrachtung verfügt. Die-
ser Zusammenhang stand ausweislich der Gesetzesmaterialien auch dem Ge-
setzgeber vor Augen; denn in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundes-
regierung wird zu der - damals noch als § 33 bezeichneten - Vorschrift ausge-
führt, dass es mit Blick auf bestehende Informationsasymmetrien zwischen Re-
gulierer und regulierten Unternehmen und die natürlicherweise unterschiedli-
chen Zielsetzungen der am Verfahren Beteiligten sinnvoll und zweckmäßig sei,
den Aussagegehalt der vorgelegten Kostenunterlagen durch Vergleichsmarkt-
untersuchungen und gegebenenfalls auch durch Kostenmodelle einer weiteren
Überprüfung zu unterziehen (vgl. BT-Drs. 15/2316 S. 69 re. Sp.). Die Ver-
gleichsmarktbetrachtung soll also gerade Versuchen der entgeltregulierten Un-
ternehmen entgegenwirken, sich durch das Zurückhalten von Kosteninformatio-
nen im Ergebnis einen größeren Spielraum bei der Preisgestaltung zu verschaf-
fen.
Der Annahme, dass der Gesetzgeber der Bundesnetzagentur hinsichtlich der
Auswahl der Vergleichsmärkte sowie der Frage, ob und ggf. in welcher Höhe
Besonderheiten der Märkte Zu- bzw. Abschläge erforderlich machen, in verfas-
sungsrechtlich zulässiger Weise ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbares
Letztentscheidungsrecht eingeräumt hat, kann die Revision darüber hinaus
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47
- 30 -
auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Rechtsprechung des Bundesgerichts-
hofs im Kartell- und Energiewirtschaftsrecht sehe die gerichtliche Kontrolldichte
nicht als beschränkt an. Diese Behauptung trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu.
In seiner neueren energiewirtschaftsrechtlichen Rechtsprechung hat vielmehr
auch der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs Entscheidungsspielräume der
Regulierungsbehörde angenommen, die in einzelnen Aspekten einem Beurtei-
lungsspielraum, in anderen Aspekten einem Regulierungsermessen gleich-
kommen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 21. Januar 2014 - EnVR 12/12 - juris
Rn. 10, 21 ff. - Stadtwerke Konstanz GmbH - in Bezug auf die Auswahl der ein-
zelnen Parameter und Methoden bei der Durchführung des Effizienzvergleichs
nach §§ 12 ff. der Anreizregulierungsverordnung (ARegV), Beschluss vom
22. Juli 2014 - EnVR 59/12 - juris Rn. 12 ff. - Stromnetz Berlin GmbH - in Bezug
auf die Bestimmung des Qualitätselements nach §§ 19, 20 ARegV). Der Bun-
desgerichtshof hat insoweit auf die entsprechende telekommunikationsrechtli-
che Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mehrfach ausdrücklich
Bezug genommen (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. September 2013 - 6 C
13.12 - BVerwGE 148, 48 und vom 23. November 2011 - 6 C 11.10 - Buchholz
442.066 § 24 TKG Nr. 5). Demgegenüber betrafen diejenigen - überwiegend
deutlich älteren - Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, auf die sich die Klä-
gerin stützt, ausnahmslos die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Preis-
gestaltung des jeweils betroffenen Unternehmens einen Missbrauch darstellt,
gegen den die Kartellbehörde einschreiten kann. In dem - von der Klägerin be-
sonders hervorgehobenen - Beschluss vom 28. Juni 2005 - KVR 17/04 - (BGHZ
163, 282 - Stadtwerke Mainz -) ging es um einen Verstoß gegen das Miss-
brauchsverbot des § 19 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 GWB (jetzt: § 19 Abs. 2 Nr. 2
GWB) bei der Erhebung von Netznutzungsentgelten durch ein kommunales
Energieversorgungsunternehmen. Die Festlegung einer Missbrauchsgrenze
unterscheidet sich jedoch substantiell von dem hier vorliegenden Fall der Be-
stimmung des Preises, der dem in § 31 Abs. 1 Satz 1 TKG genannten Geneh-
migungsmaßstab der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung entspricht.
Denn der Vorwurf einer missbräuchlichen Ausnutzung der marktbeherrschen-
den Stellung ist mit einem Unwerturteil verbunden (vgl. BGH, Beschlüsse vom
16. Dezember 1976 - KVR 2/76 - BGHZ 68, 23 = juris Rn. 51 f.; vom 22. Juli
1999 - KVR 12/98 - BGHZ 142, 239 = juris Rn. 24 und vom 28. Juni 2005 - KVR
- 31 -
17/04 - BGHZ 163, 282 = juris Rn. 32). Ob das Wettbewerbsverhalten eines
Unternehmens den Missbrauchsvorwurf rechtfertigt, muss daher rechtlich ein-
deutig bestimmt sein und kann nicht von einer partiell unter Abwägungsge-
sichtspunkten zu treffenden Behördenentscheidung abhängen. Im Zweifelsfall
ist nur diejenige Entscheidung rechtmäßig, die den nach Art. 12 Abs. 1 GG
grundrechtlich geschützten Preisgestaltungsspielraum des Unternehmens am
geringsten begrenzt.
(8) Ausgehend von den dargelegten Grundsätzen ist die Ausfüllung des der
Beklagten bei der Auswahl der Vergleichsmärkte eingeräumten Beurteilungs-
spielraums nicht aus dem Grund rechtlich zu beanstanden, dass sie die Ver-
gleichsmarktbetrachtung in einem ersten Schritt auf internationale Märkte und in
diesem Rahmen pauschal auf die so genannten EU-15-Staaten begrenzt hat.
Die Heranziehung nationaler Vergleichsmärkte kam als Alternative nicht in Be-
tracht, da nach den vom Verwaltungsgericht gebilligten Feststellungen der Bun-
desnetzagentur bis zum Entscheidungszeitpunkt für keinen deutschen Mobil-
funknetzbetreiber kostenorientierte Entgelte quantifiziert werden konnten. Eine
Ausweitung der Vergleichsmarktbetrachtung auf alle Mitgliedstaaten der Euro-
päischen Union war indes rechtlich nicht geboten. Obwohl der Wortlaut des
§ 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG nicht nach der Dauer der Öffnung der Märkte für
den Wettbewerb differenziert, entspricht es jedenfalls dem Sinn und Zweck der
Vergleichsmarktbetrachtung, vorzugsweise solche Märkte heranzuziehen, die
bereits seit längerer Zeit dem Wettbewerb geöffnet sind und bei denen deshalb
eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sich Ansätze von Wettbe-
werbsstrukturen entwickelt haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2010 - 6 C
36.08 - Buchholz 442.066 § 38 TKG Nr. 2 Rn. 30 sowie Groebel, in: Säcker
, TKG-Kommentar, 3. Aufl. 2013, § 35 Rn. 20). Die Gegenauffassung,
es seien alle Preise mit gleichem Gewicht zu berücksichtigen, welche von den
jeweils zuständigen nationalen Regulierungsbehörden im Anwendungsbereich
der europäischen Richtlinien innerhalb des rechtlichen Rahmens eines - im
Wege des Konsultations- und Konsolidierungsverfahrens abgestimmten -
Marktregulierungsverfahrens am Maßstab der Kostenorientierung festgesetzt
worden seien (vgl. Mayen/Lünenbürger, in: Scheurle/Mayen, TKG, 2. Aufl.
48
49
- 32 -
2008, § 35 Rn. 9), vernachlässigt die Vorgabe, dass die herangezogenen Märk-
te hinreichend vergleichbar sein müssen und nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Halbs. 2 TKG zudem „Besonderheiten der Vergleichsmärkte“ zu berücksichti-
gen sind. Hierbei kann nicht ausgeblendet werden, inwieweit sich bereits Wett-
bewerbsstrukturen herausgebildet haben. Je weniger es sich bei den Ver-
gleichspreisen um im Wettbewerb - als dem optimalen Preisfindungsmecha-
nismus - ermittelte Preise, sondern lediglich um künstliche - und möglicher-
weise sogar fehlerhafte Preise anderer Regulierungsinstanzen, handelt, desto
geringer ist ihre Aussagekraft (vgl. Kühling, Sektorspezifische Regulierung in
den Netzwirtschaften, 2004, S. 320 f.; Berger-Kögler/Cornils, in: Geppert/
Schütz, Beck’scher TKG-Kommentar, 4. Aufl. 2013, § 35 Rn. 28; Masing/
Griebel, in: Wilms/Masing/Jochum, TKG, Stand: März 2007, § 35 Rn. 34). Trotz
einheitlicher verfahrensrechtlicher und materiellrechtlicher Vorgaben ist davon
auszugehen, dass sich der bereits erreichte Grad an Wettbewerb auf einem
Vergleichsmarkt bei der Bildung der konkreten Entgelte durch die jeweilige nati-
onale Regulierungsbehörde objektivierend auswirkt. Da eine detaillierte Unter-
suchung des Standes der Wettbewerbsentwicklung auf den Telekommunikati-
onsmärkten in allen EU-Mitgliedstaaten im Rahmen des Entgeltgenehmigungs-
verfahrens und insbesondere innerhalb der zehnwöchigen Entscheidungsfrist
des § 31 Abs. 6 Satz 3 TKG jedoch kaum durchführbar ist, konnte sich die Bun-
desnetzagentur insoweit auf den Zeitpunkt der Marktöffnung und die Dauer der
Geltung der unionsrechtlichen Vorgaben in den jeweiligen Mitgliedstaaten als
Anhaltspunkt stützen.
(9) An der vorgenommenen Trennung in zwei Vergleichsgruppen - Mobilfunk-
netzbetreiber mit 900 MHz-Frequenzausstattung einerseits und mit 1800 MHz-
Frequenzausstattung andererseits - bei der Auswahl der Vergleichsmärkte war
die Bundesnetzagentur im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums nicht bereits
wegen einer aus dem Effizienzbegriff des § 31 Abs. 1 Satz 1 TKG folgenden
Rechtspflicht zur Genehmigung „symmetrischer“ Entgelte gehindert.
§ 35 Abs. 1 Satz 2 TKG bestimmt, dass die Entscheidung der Bundesnetzagen-
tur auf einer Prüfung nach der Vergleichsmarktmethode (§ 35 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 TKG) oder unter Verwendung von Kostenmodellen (§ 35 Abs. 1 Satz 1
50
51
- 33 -
Nr. 2 TKG) erfolgen kann, soweit die der Bundesnetzagentur vorliegenden Kos-
teninformationen für eine Prüfung der genehmigungspflichtigen Entgelte nach
§ 32 Nr. 1 i.V.m. § 33, d.h. auf der Grundlage der vom regulierten Unternehmen
vorgelegten Kostennachweise nicht ausreichen. Hierin kommt zum Ausdruck,
dass Ausgangspunkt für die Ermittlung der Kosten der effizienten Leistungsbe-
reitstellung in jedem Fall die Kostenunterlagen des entgeltregulierten Unter-
nehmens und damit dessen Ist-Kosten sind (vgl. Groebel, in: Säcker (Hrsg.),
TKG-Kommentar, 3. Aufl. 2013, § 35 Rn. 15, 17; Mayen/Lünenbürger, in:
Scheurle/Mayen, TKG, 2. Aufl. 2008, § 35 Rn. 34). Diese Regelungssystematik
verlöre ihren Sinn, wenn die Effizienz der Kosten ausschließlich nach objektiven
Maßstäben zu bestimmen wäre. Wären ohnehin nur symmetrische Entgelte
genehmigungsfähig, könnte auf die in § 31 Abs. 5 und 6, § 33 und § 35 Abs. 3
Satz 3 TKG detailliert ausgestaltete Pflicht des regulierten Unternehmens zur
Vorlage von Kostenunterlagen vollständig verzichtet werden. Diese Möglichkeit
einer Abweichung vom unternehmensspezifisch zu bestimmenden Maßstab der
Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung hat der Gesetzgeber jedoch erst
mit der - hier noch nicht maßgeblichen - Neufassung des § 31 Abs. 2 Nr. 2 TKG
durch das Gesetz vom 3. Mai 2012 (BGBl. I S. 958) geschaffen, der zufolge die
Bundesnetzagentur die Entgelte nunmehr unter bestimmten Voraussetzungen
abweichend von § 31 Abs. 1 TKG auch auf der Grundlage „anderer“ Vorge-
hensweisen bestimmen kann.
Dass die Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung jedenfalls im Aus-
gangspunkt unternehmensspezifisch für jeden Betreiber zu ermitteln sind, hat
der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung vorausgesetzt. So hat er die
Auferlegung der Entgeltgenehmigungspflicht deshalb nicht im Hinblick auf eine
Verkürzung unternehmensindividuell benötigter Einnahmen für abwägungsfeh-
lerhaft gehalten, weil die Bundesnetzagentur in ihrer Regulierungspraxis davon
ausgeht, dass der Kostenmaßstab nicht absolut, sondern in Relation zu den
unternehmensspezifischen Gegebenheiten umzusetzen ist, und dem Effizienz-
kriterium kein fester Kostensatz, sondern eine Kostenfunktion, insbesondere in
Abhängigkeit von der jeweiligen Produktionsmenge entspricht (BVerwG, Urteil
vom 2. April 2008 - 6 C 15.07 - BVerwGE 131, 41 Rn. 75). Den beiden von der
Klägerin genannten Entscheidungen (BVerwG, Urteile vom 24. Juni 2009 - 6 C
52
- 34 -
19.08 - Buchholz 442.066 § 35 TKG Nr. 3 Rn. 18 und vom 25. November
2009 - 6 C 34.08 - Buchholz 442.066 § 31 TKG Nr. 1 Rn. 19) ist keine andere
Auffassung zu entnehmen. Soweit der Senat dort ausgeführt hat, die Aufgabe
der Entgeltgenehmigung am Maßstab der effizienten Leistungsbereitstellung
bestehe darin, einen „Als-ob-Wettbewerbspreis" zu simulieren, d.h. mit dem
regulierten Entgelt den Preis vorwegzunehmen, der sich in einem wirksamen
Wettbewerbsumfeld durch den Zwang zu optimaler Nutzung der vorhandenen
Ressourcen aufgrund der Marktkräfte einstellen würde, folgt hieraus nicht, dass
der simulierte Preis notwendig unabhängig von unternehmensspezifischen Ge-
gebenheiten ist.
Zwar dürfte die von der Klägerin angenommene Rechtspflicht zur Genehmigung
„symmetrischer“ Entgelte dem Ansatz der Kommission entsprechen. Nr. 1 der
Empfehlung der Kommission vom 7. Mai 2009 über die Regulierung der Fest-
netz- und Mobilfunk-Zustellungsentgelte in der EU (2009/396/EG) zufolge soll-
ten nationale Regulierungsbehörden, die Betreiber aufgrund einer gemäß Arti-
kel 16 der Rahmenrichtlinie (Richtlinie 2002/21/EG) durchgeführten Marktanaly-
se als Betreiber mit beträchtlicher Marktmacht auf den Vorleistungsmärkten für
die Anrufzustellung in einzelnen öffentlichen Telefonnetzen einstufen und die-
sen Preiskontroll- und Kostenrechnungsverpflichtungen im Sinne von Art. 13
der Zugangsrichtlinie (Richtlinie 2002/19/EG) auferlegen, Zustellungsentgelte
festlegen, die sich auf die einem effizienten Betreiber entstehenden Kosten
stützen. Im Anschluss hieran heißt es: „Damit müssen diese auch symmetrisch
sein“. Nach Auffassung der Kommission folgt demnach aus dem Maßstab der
Kosten eines effizienten Betreibers zwingend das Gebot symmetrischer Entgel-
te. Diese Verknüpfung erklärt sich daraus, dass sich der Effizienzbegriff der
Kommission - wie sich aus Nr. 3 der Empfehlung ergibt - im Wesentlichen an
einem „Bottom-up-Modell“ orientiert. Empfehlungen der Unionsorgane sind je-
doch nach Art. 288 Abs. 5 AEUV nicht verbindlich. Soweit Empfehlungen der
Kommission nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Uni-
on einer gesteigerten Berücksichtigungspflicht durch nationale Behörden und
Gerichte unterliegen, wenn sie Aufschluss über die Auslegung zur Durchfüh-
rung von Unionsrecht erlassener innerstaatlicher Rechtsvorschriften geben oder
wenn sie verbindliche gemeinschaftliche Vorschriften ergänzen sollen (EuGH,
53
- 35 -
Urteil vom 13. Dezember 1989 - C-322/88, Grimaldi - Rn. 18), setzt eine solche
indirekte rechtliche Wirkung voraus, dass das nationale Recht hierfür Raum
lässt. Dies ist hier nicht der Fall; denn nach der Systematik des Telekommuni-
kationsgesetzes sind - wie ausgeführt - zunächst die vom regulierten Unter-
nehmen vorgelegten Kostennachweise und damit die Ist-Kosten zugrunde zu
legen.
(10) Die Beklagte hat ihren Beurteilungsspielraum bei der Auswahl der Ver-
gleichsmärkte entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht dadurch ver-
letzt, dass sie bestimmte Kosteneinflussgrößen nicht hinreichend als „Beson-
derheiten der Vergleichsmärkte“ nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2 TKG
berücksichtigt hat. Zu diesen Kostenfaktoren zählt die Klägerin Einwohnerzahl,
Bevölkerungskonzentration, Verhältnis von Ballungsräumen zu gering besiedel-
ten Gebieten, geografische Ausdehnung sowie die jeweilige Frequenzausstat-
tung der Referenzbetreiber im Verhältnis zu den vorgenannten Faktoren.
Bei der Vergleichsgruppenbildung im Rahmen der Entscheidung über die Aus-
wahl der Vergleichsmärkte muss die Regulierungsbehörde die in Betracht
kommenden Vergleichsmärkte nicht im Einzelnen darauf untersuchen, welche
Kostenfaktoren der Preisbildung jeweils zugrunde liegen. Grundlage für das
Vergleichsmarktverfahren nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG sind nicht die
Kosten vergleichbarer Unternehmen, sondern ausschließlich die auf den Märk-
ten zu beobachtenden Preise. Eine detaillierte Untersuchung der Kostenstruktu-
ren aller potenziell in die Vergleichsgrundlage einzubeziehenden Unternehmen
in anderen EU-Mitgliedstaaten ist im Rahmen des Entgeltgenehmigungsverfah-
rens praktisch kaum durchführbar; denn dieses muss in der Regel innerhalb der
zehnwöchigen Entscheidungsfrist des § 31 Abs. 6 Satz 3 TKG abgeschlossen
werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2014 - BVerwG 6 C 10.13 -
NVwZ 2014, 1586 Rn. 38). Zudem werden konkrete Kostenparameter der in
den Vergleich einbezogenen Auslandsunternehmen vielfach schon wegen der
Einstufung als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht ermittelbar sein. Hin-
zu kommt, dass - ebenso wie der relevante Markt - auch die Vergleichsmärkte
keinem wirksamen Wettbewerb, sondern der ex-ante-Entgeltregulierung unter-
liegen und die Preisbildung daher maßgeblich von der Regulierungspraxis der
54
55
- 36 -
jeweiligen nationalen Regulierungsbehörden bestimmt wird. Nach den Feststel-
lungen des Verwaltungsgerichts liegen vielen Vergleichspreisen im Wesentli-
chen regulierungspolitische Entscheidungen wie etwa die Festlegung so ge-
nannter Gleitpfade zugrunde. Dies relativiert die Bedeutung der Kostenfaktoren.
Darüber hinaus bestehen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Euro-
päischen Union auch im Rahmen der Bestimmung kostenorientierter Preise
Entscheidungsspielräume der nationalen Regulierungsbehörden (vgl. EuGH,
Urteil vom 24. April 2008 - C-55/06, Arcor - Rn. 116, 151 ff.). Eine kleinteilige
Differenzierung nach einzelnen Kostenfaktoren bereits auf der Ebene der Aus-
wahl der Vergleichsmärkte wäre vor diesem Hintergrund nicht geeignet, die real
wirksamen Unterschiede bei der Preisbildung auf den regulierten Vergleichs-
märkten adäquat abzubilden.
Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass sich der Bundesnetzagentur angesichts
des konkreten Zahlenmaterials nicht aufdrängen musste, näher zu prüfen, ob
die Unterschiede der Vergleichsmärkte in Bezug auf die von der Klägerin ge-
nannten strukturellen Kosteneinflussgrößen eine engere Vergleichsgruppenbil-
dung nahelegen. Ein klarer Zusammenhang etwa zwischen der Einwohnerzahl
oder der Bevölkerungskonzentration und der Höhe der Entgelte ist aus den von
der Beklagten in der Begründung des angefochtenen Beschlusses tabellarisch
zusammengestellten Entgelten nicht erkennbar und wird von der Klägerin auch
nicht substantiiert dargelegt. Insbesondere die Behauptung, Finnland und
Schweden hätten wegen der strukturellen Unterschiede aus der Vergleichs-
marktbetrachtung ausgeschlossen werden müssen, was zu einem höheren
Vergleichsentgelt zu Gunsten der Klägerin geführt hätte, findet in dem vorlie-
genden Zahlenmaterial keine Grundlage. Denn sowohl in der Vergleichsgruppe
der 900 MHz-Netzbetreiber als auch bei den 1800 MHz-Netzbetreibern liegen
die Entgelte der finnischen und schwedischen Betreiber im Durchschnitt nur
ganz geringfügig unter dem Durchschnitt der übrigen Entgelte (900 MHz-
Netzbetreiber: 9,59 Cent/Minute gegenüber 9,71 Cent/Minute; 1800 MHz-
Netzbetreiber: 10,00 Cent/Minute gegenüber 10,45 Cent/Minute). In der Gruppe
der 1800 MHz-Netzbetreiber weist das finnische Unternehmen TeliaSonera mit
6,62 Cent/Minute zwar den niedrigsten, das schwedische Unternehmen Voda-
fone (Telenor Mobil) jedoch sogar den höchsten Tarif auf. Schon diese erhebli-
56
- 37 -
che Bandbreite lässt es ausgeschlossen erscheinen, dass sich die in Finnland
wie in Schweden gleichermaßen zu verzeichnenden strukturellen Gegebenhei-
ten wie geringe Bevölkerungsdichte und kleine Ballungsräume entscheidend
auf die Kostenstruktur ausgewirkt und zu besonders niedrigen Entgelten geführt
haben.
Der von der Klägerin behauptete Zusammenhang erscheint im Übrigen auch
nicht plausibel. Denn mit der Einwohnerzahl und damit der Größe des Marktes
wird regelmäßig das Terminierungsvolumen steigen, so dass die Stückkosten
sinken. Die stärkere Bevölkerungskonzentration in Ballungsräumen im Verhält-
nis zu gering besiedelten Gebieten dürfte vor allem dazu führen, dass
1800 MHz-Mobilfunksysteme, die nach den Angaben der Beklagten in dem an-
gefochtenen Beschluss eine höhere Systemkapazität haben, im Vergleich zu
900 MHz-Mobilfunksystemen ein größeres Terminierungsvolumen und damit
Skalenvorteile generieren. Die Kosten in Ländern wie Finnland und Schweden
müssten in diesem Bereich daher eher höher als in Deutschland sein. Die geo-
grafische Ausdehnung eines Marktes dürfte hingegen eher zu Kostenvorteilen
bei den 900 MHz-Mobilfunksystemen führen, da diese eine deutlich größere
Ausbreitungsreichweite aufweisen. Auch dies lässt sich an den vorliegenden
Zahlen jedoch - jedenfalls was die schwedischen Unternehmen betrifft - gerade
nicht ablesen.
(11) Mit ihrem Vorgehen, für jede Vergleichsgruppe das arithmetische Mittel als
so genannte „efficient frontier“ zu errechnen und anschließend unter Berück-
sichtigung lediglich derjenigen Unternehmen, deren Entgelte auf oder unter
dem Mittelwert liegen, erneut das arithmetische Mittel zu bilden, hat die Bun-
desnetzagentur ebenfalls nicht die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums über-
schritten.
Der der Bundesnetzagentur bei der Auswahl der Vergleichsmärkte eingeräumte
Beurteilungsspielraum erstreckt sich auch auf das Verfahren, mit dem der maß-
gebliche Vergleichspreis auf der Grundlage der durch die Vergleichsmarktbe-
trachtung ermittelten Daten ermittelt wird. Dieses Verfahren ist weder unter
rechtlichen noch unter ökonomischen Gesichtspunkten zwingend vorgegeben.
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- 38 -
In diesem Zusammenhang ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Be-
hörde davon ausgeht, dass weder der kartellrechtliche Maßstab des „höchsten
unverzerrten Wettbewerbspreises“ noch der Preis eines durchschnittlichen An-
bieters („average practice“) den Anforderungen des nach § 31 Abs. 1 Satz 1
TKG geltenden Genehmigungsmaßstabs der Kosten der effizienten Leistungs-
bereitstellung ausreichend Rechnung tragen. Denn bei der Vergleichsmarktbe-
trachtung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG handelt es sich lediglich um eine
Methode zur Ermittlung der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung, die
jedoch nicht gleichzeitig zu einer Änderung des inhaltlichen Maßstabs der Kos-
tenprüfung führt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 2013 - 6 C 13.12 -
BVerwGE 148, 48 Rn. 23). Jedenfalls im Grundsatz wird die Regulierungsbe-
hörde daher auf die günstigsten Preise der Vergleichsmärkte („best practice“)
abstellen müssen (vgl. in diesem Sinne Groebel, in: Säcker , TKG-
Kommentar, 3. Aufl. 2013, § 35 Rn. 22; Masing/Griebel, in: Wilms/Masing/
Jochum, TKG, Stand: März 2007, § 35 Rn. 39; Koenig/Senger, MMR 2007, 290
<293>; a.A. Mayen/Lünenbürger, in: Scheurle/Mayen, TKG, 2. Aufl. 2008, § 35
Rn. 22). Dieser Annahme steht nicht der Einwand der Klägerin entgegen, nied-
rige Kosten sprächen nicht zwangsläufig für eine effiziente Leistungsbereitstel-
lung. Denn jedenfalls bei einer Leistung, die - wie die hier in Rede stehende
Anrufzustellung in das Mobilfunknetz eines Netzbetreibers - allenfalls eine ge-
ringe qualitative Variationsbreite aufweist, besteht insoweit eine Indizwirkung.
Hiervon kann die Bundesnetzagentur auch deshalb regelmäßig ausgehen, weil
ihr - wie bereits erwähnt - innerhalb der zehnwöchigen Entscheidungsfrist des
§ 31 Abs. 6 Satz 3 TKG eine detaillierte Untersuchung der Kostenstrukturen
aller potenziell in die Vergleichsgrundlage einzubeziehenden Unternehmen in
anderen EU-Mitgliedstaaten kaum möglich sein wird und konkrete Kostenpara-
meter der in den Vergleich einbezogenen Auslandsunternehmen vielfach schon
wegen des Schutzes als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht zu ermitteln
sein dürften. Muss die Regulierungsbehörde im Rahmen der Vergleichsmarkt-
methode nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG grundsätzlich auf die günstigsten
Preise der Vergleichsmärkte („best practice“) abstellen, werden die Belange des
entgeltregulierten Unternehmens nicht nachteilig berührt, wenn sich die Behör-
de für ein Verfahren entscheidet, das im Sinne einer „modifizierten“ Bestenbe-
- 39 -
trachtung auch höhere Entgelte rechnerisch in die Vergleichsgrundlage einbe-
zieht.
(12) Ein Fehler bei der Ausfüllung des ihr eingeräumten Beurteilungsspielraums
ist der Beklagten jedoch dadurch unterlaufen, dass sie bei der Bildung separa-
ter Vergleichsgruppen für die 900 MHz- und 1800 MHz-Betreiber in tatsächli-
cher Hinsicht nicht hinreichend aufgeklärt hat, ob zum Entscheidungszeitpunkt
noch wesentliche Kostenunterschiede aufgrund der Frequenzausstattung oder
zumindest eine Korrelation zwischen den Kriterien Frequenzausstattung,
Marktanteil und Markteintrittszeitpunkt bestanden.
Bei ihrer Entscheidung, zwei unterschiedliche Vergleichsgruppen zu bilden, „um
den frequenzbedingten netzinfrastrukturspezifischen Besonderheiten der Netz-
betreiber gesondert Rechnung zu tragen“, hat die Beschlusskammer
- zumindest auch - auf Kostenunterschiede aufgrund der Frequenzausstattung
abgestellt. Diesem Befund lässt sich nicht mit dem Verwaltungsgericht entge-
genhalten, die Beklagte habe in dem angefochtenen Beschluss erkannt, dass
die Unterschiede zum Zeitpunkt der Entscheidung „nicht mehr sehr gravierend“
gewesen seien. In der Beschlussbegründung werden die frequenzausstat-
tungsbedingten Kostenunterschiede zwar relativiert, indem Vor- und Nachteile
beider Mobilfunksysteme, die auf physikalisch bedingte Unterschiede bei der
maximalen Zellgröße zurückzuführen sind, gegenübergestellt werden. In die-
sem Zusammenhang hat die Beschlusskammer ausgeführt, dass bei
1800 MHz-Systemen in ländlichen Gebieten mit geringerer Bevölkerungsdichte
eine höhere Anzahl von Mobilfunk-Basisstationen erforderlich sei. In Regionen
mit höherer Bevölkerungsdichte wiesen hingegen die 1800 MHz-Systeme einen
deutlichen Vorteil gegenüber den 900 MHz-Systemen auf, weil die maximale
Zellgröße dort nicht von der Ausbreitungsreichweite, sondern von der System-
kapazität und daher von der Anzahl der maximal gleichzeitig möglichen Tele-
fongespräche in einer Zelle bestimmt werde. Bei Abwägung der beiden gegen-
läufigen (Kosten-)Faktoren lasse sich daher ein wesentlicher Nachteil der
1800 MHz-Systeme - wie im Ergebnis einer von der ökonomischen Fachabtei-
lung durchgeführten Modellrechnung deutlich werde - nicht erkennen. Ungeach-
tet dieser Feststellung hat die Bundesnetzagentur jedoch ausdrücklich an der
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Annahme frequenzausstattungsbedingter Kostenunterschiede festgehalten und
- unter anderem - hiermit die „Tarifspreizung zugunsten der E-Netzbetreiber“
begründet. Lediglich eine im Entgeltgenehmigungsverfahren geforderte noch
„deutlich höhere Tarifspreizung“ hält sie nicht aufgrund der Kostenunterschiede
der Frequenzausstattung zwischen den nationalen D- und E-Netzbetreibern für
sachlich gerechtfertigt.
Angesichts der erwähnten, auf eine Modellrechnung ihrer eigenen ökonomi-
schen Fachabteilung gestützten Feststellung, dass ein wesentlicher Nachteil
der 1800 MHz-Systeme letztlich nicht erkennbar sei, hätte es sich für die Be-
klagte aufdrängen müssen, zu ermitteln, ob zum Entscheidungszeitpunkt noch
frequenzausstattungsbedingte Kostenunterschiede in einer relevanten Größen-
ordnung zwischen den Netzbetreibern vorgelegen haben, die eine Differenzie-
rung zwischen 900 MHz-Betreibern und 1800 MHz-Betreibern rechtfertigen
konnten. Stattdessen hat sie lediglich auf den indiziellen Charakter der Ergeb-
nisse des internationalen Tarifvergleichs verwiesen. Diese Tarifergebnisse im-
plizierten, „dass im aktuellen internationalen Vergleich die aktuellen und in die
nähere Zukunft gerichteten durchschnittlichen Kosten für die Terminierungsleis-
tungen der 900 MHz-Netzbetreiber offensichtlich unter jenen der 1800 MHz-
Netzbetreiber“ lägen. Diese Beobachtung ist jedoch nicht geeignet, die behörd-
liche Sachverhaltsermittlung zu ersetzen. Selbst die Indizwirkung der in der Ta-
belle aufgeführten Werte ist lediglich schwach. Zwar ist dem tabellarischen
Überblick auf Seite 30 ff. der Beschlussbegründung zu entnehmen, dass die
Tarife der 22 Mobilfunknetzbetreiber mit 900 MHz-Frequenzausstattung im
Durchschnitt unter denjenigen der 11 Mobilfunknetzbetreiber mit 1800 MHz-
Frequenzausstattung liegen und es sich bei den Betreibern mit den niedrigsten
Entgelten durchgehend um Mobilfunknetzbetreiber mit 900 MHz-Frequenzaus-
stattung handelt. Während die Spanne bei den 900 MHz-Netzbetreibern bereits
bei einem Wert von 6,62 Cent/Minute (TeliaSonera aus Finnland) beginnt, liegt
der niedrigste Tarif in der Gruppe der 1800 MHz-Netzbetreiber bei 9,11
Cent/Minute (T-Mobile und Orange aus Großbritannien). Insgesamt liegen die
Tarife von 11 der 22 Netzbetreiber mit 900 MHz-Frequenzausstattung unterhalb
dieses Werts. Andererseits finden sich aber in der Gruppe der Netzbetreiber mit
900 MHz-Frequenzausstattung auch die beiden Unternehmen mit den höchsten
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- 41 -
Entgelten (Vodafone aus Schweden: 14,61 Cent/Minute, sowie
Meteor aus Irland: 14,12 Cent/Minute). Dass die durchschnittlichen Kosten für
die Terminierungsleistungen der 900 MHz-Netzbetreiber offensichtlich unter
jenen der 1800 MHz-Netzbetreiber liegen, lässt sich jedenfalls mit diesen Zah-
len nicht hinreichend belegen.
Der festzustellende Mangel der behördlichen Ermittlung des Sachverhalts in
Bezug auf die Frage, ob zum Entscheidungszeitpunkt überhaupt (noch) Kos-
tenunterschiede zwischen den Netzbetreibern aufgrund der Frequenzausstat-
tung in einer relevanten Größenordnung bestanden haben, ist auch nicht im
Hinblick auf die Annahme des Verwaltungsgerichts unerheblich, dass sich in
den beiden Vergleichsgruppen neben der Frequenzausstattung überwiegend
weitergehende Übereinstimmungen, wie z.B. bei der Gruppe der Mobilfunk-
netzbetreiber mit 1800 MHz-Frequenzausstattung ein - gegenüber den Mobil-
funknetzbetreibern mit 900 MHz Frequenzausstattung - späterer Markteintritt
und damit verbundene geringere Marktanteile zeigten. Zwar ist der Beschluss-
begründung zu entnehmen, dass die Tarifspreizung zu Gunsten der E-
Netzbetreiber nicht nur die „frequenzausstattungsbedingt höheren Kosten der
Netzinfrastruktur“, sondern auch „den späteren Markteintritt sowie den geringe-
ren Marktanteil“ der Klägerin im Vergleich zu den nationalen D-Netzbetreibern
berücksichtigen soll. Ob ein Zusammenhang zwischen den genannten Kriterien
in der Weise besteht, dass eine 1800-MHz-Frequenzausstattung mit einem spä-
teren Markteintritt und in der Folge mit geringeren Marktanteilen einhergeht und
aus diesem Grund zu höheren Kosten führt, hätte jedoch ebenfalls Gegenstand
einer vollständigen und zutreffenden Sachverhaltsermittlung sein müssen, wenn
es hierauf entscheidungserheblich ankam. Dass dies erfolgt wäre, lässt sich der
Begründung des angefochtenen Beschlusses nicht entnehmen.
Die Bundesnetzagentur hat sich im Rahmen der Begründung der vorgenomme-
nen Tarifspreizung darauf beschränkt, den Zusammenhang zwischen den „fre-
quenzausstattungsbedingt höheren Kosten der Netzinfrastruktur“, dem „späte-
ren Markteintritt“ sowie den „geringeren Marktanteilen“ und den „daraus resul-
tierenden ungünstigeren Skaleneffekten“ der nationalen E-Netzbetreiber im
Vergleich zu den nationalen D-Netzbetreibern lediglich zu behaupten. Unprob-
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lematisch und daher nicht weiter aufklärungsbedürftig ist dies jedoch nur in Be-
zug auf das letzte Glied dieser Ursachenkette. Wie das Verwaltungsgericht zu-
treffend ausgeführt hat, führen geringere Marktanteile wegen der damit verbun-
denen geringeren Gesprächsvolumina dazu, dass sich die Netzinfrastrukturkos-
ten auf weniger Terminierungsminuten verteilen. Dies hat höhere Stückkosten
zur Folge, die letztlich in die Kostenrechnung einfließen. Die mit diesen ungüns-
tigeren Skaleneffekten verbundenen Kostennachteile können als ökonomisches
Basiswissen unterstellt werden, ohne dass es hierzu weiterer Ermittlungen be-
darf. Dass die nationalen E-Netzbetreiber (E-Plus und Telefónica) zum Ent-
scheidungszeitpunkt über geringere Marktanteile als die nationalen D-
Netzbetreiber (Deutsche Telekom und die Klägerin) verfügt haben, kann eben-
falls als allgemein bekannt unterstellt werden. Anders verhält es sich jedoch mit
dem von der Bundesnetzagentur angenommenen Zusammenhang zwischen
Marktanteilen und Markteintrittszeitpunkten sowie zwischen Markteintrittszeit-
punkten und Frequenzausstattung. In der Begründung des angefochtenen Be-
schlusses wird dieser Zusammenhang ohne weitere Erläuterung vorausgesetzt.
Soweit das Verwaltungsgericht es für „nachvollziehbar“ hält, dass der geringere
Marktanteil, den die sog. E-Netzbetreiber noch im Jahre 2006 gegenüber den
D-Netzbetreibern zu verzeichnen hatten, „durch ihren späteren Markteintritt“
bedingt sei, ist daher nicht erkennbar, worauf es diese Bewertung stützt.
Auf die im gerichtlichen Verfahren nachgeschobenen Erläuterungen der Beklag-
ten kann nicht abgestellt werden, da - wie oben ausgeführt - für die gerichtliche
Kontrolle des der Regulierungsbehörde eingeräumten Entscheidungsspiel-
raums allein die Begründung der Behördenentscheidung maßgeblich ist. Unab-
hängig davon wird die Feststellung einer unzureichenden Sachverhaltsermitt-
lung durch das Vorbringen der Beklagten in der Revisionserwiderung eher noch
bestätigt. In äußerst allgemeiner Weise wird dort ausgeführt, dass bedingt u.a.
durch die unterschiedlichen Frequenzgrundausstattungen zwischen den D- und
E-Netzbetreibern auch unterschiedliche technische Realisierungsmöglichkeiten
für den erstmaligen Netzausbau mit ebenfalls daraus resultierenden unter-
schiedlichen Kostenstrukturen einhergegangen seien, welche zum Zeitpunkt
der Entscheidungsfindung im Kalenderjahr 2006 noch nicht vollständig angegli-
chen gewesen seien. Bei einer Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse auf
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- 43 -
den Mobilfunkmärkten habe sich gezeigt, dass neben den Frequenzausstattun-
gen auch die unterschiedlichen Markteintrittszeitpunkte und die daraus resultie-
renden Entwicklungen der Marktvolumina (im Sinne von Marktanteilen) von Be-
lang gewesen seien. Eine nähere Beschreibung der betrachteten „tatsächlichen
Verhältnisse auf den Mobilfunkmärkten“ unterbleibt indes ebenso wie eine Er-
läuterung, in welcher Weise sich etwa die unterschiedlichen technischen Reali-
sierungsmöglichkeiten für den erstmaligen Netzausbau auf die Kostenstruktu-
ren konkret auswirken.
Dass ein späterer Markteintritt zwingend zu strukturellen Wettbewerbsnachtei-
len führt, ist im Übrigen auch nicht ohne Weiteres plausibel. Die Beklagte hat in
ihrer Revisionserwiderung in dem parallel terminierten, durch Rücknahme der
Klage in der mündlichen Verhandlung erledigten Verfahren BVerwG 6 C 27.13
selbst ausgeführt, dass die dortige Klägerin aufgrund ihres späteren Marktein-
tritts im Vergleich zu ihren nationalen Mitkonkurrenten von der rechtlichen und
faktischen Verpflichtung einer umfassenden Netzabdeckung und damit des um-
gehenden kompletten Ausbaus ihres Mobilfunknetzes befreit gewesen sei und
durch die Möglichkeit von National Roaming mit T-Mobile die bei ihren Konkur-
renten anfallenden hohen Kosten des „Vollausbaus" deutlich habe absenken
können. Zudem dürften die enormen Risiken, die die Pionieranbieter trügen,
nicht vernachlässigt werden. Gerade in Massenmärkten wie der Telekommuni-
kation seien Pionieranbieter gezwungen, mit niedrigen Preisen den Markt zu
durchdringen. Ein spät eintretender Anbieter könne auch im Hinblick auf seine
u. U. besser ausgereiften Angebote höhere Preise verlangen als ein Pionier.
Zudem habe bereits praktisch erprobte Technik zur Verfügung gestanden.
(13) Mangels hinreichender Ermittlung des erheblichen Sachverhalts hat die
Beklagte darüber hinaus auch bei der Entscheidung über Zu- und Abschläge
ihren Beurteilungsspielraum nicht fehlerfrei ausgefüllt.
Zwar hat die Beschlusskammer nicht verkannt, dass Zuschläge im Rahmen der
Vergleichsmarktbetrachtung sowohl zum Ausgleich von den Preis beeinflus-
senden Faktoren, insbesondere Unterschieden in der Marktstruktur, als auch
zum Ausgleich von Unsicherheiten der Vergleichsbasis in Betracht kommen.
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- 44 -
Auch hält sich die Entscheidung der Bundesnetzagentur, den strukturellen Un-
terschieden zwischen den Vergleichsmärkten, insbesondere in Bezug auf die
geographische Ausdehnung, die Netztopografie, die Bevölkerungsdichte oder
die Ballungsräume, nicht durch einen Korrekturzuschlag Rechnung zu tragen,
im Rahmen des ihr eingeräumten Beurteilungsspielraums. Denn wie bereits
ausgeführt, findet die Behauptung der Klägerin, die von ihr genannten Faktoren
würden die Kostenstruktur und damit die Höhe der Terminierungsentgelte auf
den Vergleichsmärkten erheblich beeinflussen, in dem vorliegenden Zahlenma-
terial keine ausreichende Grundlage. Die von der Klägerin unter Hinweis darauf,
Sachverhaltsungewissheiten dürften nicht zu ihren Lasten gehen, geforderte
Erhöhung des Sicherheitszuschlags musste die Beklagte ebenfalls nicht in Be-
tracht ziehen. Hierfür bestand schon deshalb kein Anlass, weil das regulierte
Unternehmen - wie ausgeführt - durch Vorlage hinreichend aussagekräftiger
Kostenunterlagen verhindern kann, dass die Bundesnetzagentur überhaupt be-
rechtigt ist, eine isolierte Vergleichsmarktbetrachtung nach § 35 Abs. 1 Satz 2
TKG durchzuführen.
Auf einer fehlerhaften Ausfüllung des Beurteilungsspielraums beruht jedoch die
Entscheidung, von einem (weiteren) Zuschlag zur Berücksichtigung der UMTS-
Lizenzgebühr abzusehen. Die Beschlusskammer hat dies damit begründet,
dass durch die getroffene Auswahl der Mobilfunknetzbetreiber in den Tarifen
implizit ein Kostenanteil für die UMTS-Lizenzgebühr berücksichtigt werde. Dem
Ergebnis einer von ihr durchgeführten internationalen Abfrage zufolge seien
UMTS-spezifische Kosten vornehmlich in den Ländern berücksichtigt worden, in
denen vergleichsweise hohe Summen für UMTS-Lizenzen gezahlt worden sei-
en. Die fraglichen Länder - Großbritannien, Frankreich und Italien - seien in den
internationalen Tarifvergleich einbezogen worden. In diesem Zusammenhang
sei darauf hinzuweisen, dass die im Vereinigten Königreich von den dortigen
UMTS-Lizenznehmern bezahlten Lizenzgebühren, die ebenso wie in Deutsch-
land im Rahmen einer Auktion ermittelt worden seien, umgerechnet pro Kopf
der Bevölkerung sogar noch ein geringfügig höheres Niveau als in Deutschland
aufwiesen, die britischen Tarife allerdings noch deutlich unter den im Rahmen
der streitgegenständlichen Genehmigung festgesetzten Tarife lägen. In den
Tarifvergleich seien zudem ausschließlich Mobilfunknetzbetreiber mit gemein-
69
- 45 -
samer GSM-/UMTS-Netzinfrastruktur einbezogen worden. Dadurch werde eine
angemessene Berücksichtigung der Kosten für die UMTS-Netzinfrastruktur in
den Tarifen gewährleistet.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz lässt sich die Entscheidung, keinen
weiteren Zuschlag wegen der in Deutschland gezahlten UMTS-Lizenzgebühren
zu gewähren, mit diesen Ausführungen nicht ausreichend begründen. Die Revi-
sion macht zu Recht geltend, die indirekte Berücksichtigung der UMTS-
Lizenzgebühren sei hier jedenfalls deshalb nicht vertretbar, weil die in Großbri-
tannien angefallenen UMTS-Lizenzkosten in der von der Beklagten berücksich-
tigten Entscheidung der britischen Regulierungsbehörde Ofcom noch gar nicht
eingegangen gewesen seien. Dies entspricht den Feststellungen des Verwal-
tungsgerichts, denen zufolge in Großbritannien bei der Entgeltgenehmigung der
britischen Regulierungsbehörde die UMTS-Lizenzgebühren erst ab April 2007
in mehr oder weniger großem Umfang Berücksichtigung gefunden haben. An-
gesichts dieser Tatsache hätte die Beklagte die Ablehnung eines Korrekturzu-
schlags für UMTS-Lizenzkosten nicht maßgeblich mit dem Hinweis auf die im
Vereinigten Königreich von den dortigen UMTS-Lizenznehmern bezahlten ho-
hen Lizenzgebühren begründen dürfen. Sind diese UMTS-Lizenzkosten nach-
weislich bei der Festlegung der Terminierungsentgelte durch die britische Regu-
lierungsbehörde gar nicht berücksichtigt worden, beruht die Entscheidung der
Bundesnetzagentur insoweit auf einer fehlerhaften Ermittlung des erheblichen
Sachverhalts.
Dieser Feststellung lässt sich nicht mit dem Verwaltungsgericht entgegenhalten,
dass in dem angefochtenen Beschluss Aussagen über die genaue Höhe der
berücksichtigten UMTS-Lizenzgebühren gerade nicht getroffen würden. Dies
trifft zwar zu, ändert jedoch nichts daran, dass der Ansatz der Beklagten, die
UMTS-Lizenzgebühren „indirekt“ zu berücksichtigen, auf der Prämisse beruht,
dass in den in die Vergleichsmarktbetrachtung einbezogenen Ländern ver-
gleichsweise hohe UMTS-Lizenzgebühren nicht nur gezahlt, sondern auch tat-
sächlich in die Bildung der Vergleichspreise eingegangen seien. Dies ist jedoch
hinsichtlich der britischen Netzbetreiber nach den Feststellungen des Verwal-
tungsgerichts jedenfalls zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung der
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Bundesnetzagentur noch nicht der Fall gewesen. Auf die britischen Netzbetrei-
ber kam es aber in besonderem Maße an, da nur sie mit ähnlich hohen UMTS-
Lizenzgebühren wie die deutschen Netzbetreiber belastet waren. Die Klägerin
weist zu Recht darauf hin, dass die Mobilfunknetzbetreiber in den anderen EU-
Mitgliedstaaten sowohl absolut wie auch relativ nicht annähernd so hohe
UMTS-Lizenzgebühren gezahlt haben wie die Mobilfunknetzbetreiber in
Deutschland. Aus allgemein zugänglichen Quellen (vgl. etwa Gerpott, MMR
2007, 83) ergibt sich, dass die absolute Höhe der von UMTS-Lizenznehmern
zwischen 1999 und 2002 gezahlten Lizenzgebühren zwischen 0,- Euro in
Finnland, Luxemburg und Schweden (abgesehen von Gebühren zur Deckung
von Verwaltungskosten) bis zu 50,8 Mrd. Euro in Deutschland und 38,3 Mrd.
Euro in Großbritannien variierte. Unabhängig davon, ob auf die absoluten Li-
zenzpreise oder auf die Preise pro Einwohner abgestellt wird, ist im Ergebnis
eindeutig festzustellen, dass der Unterschied zwischen den in Deutschland und
Großbritannien einerseits sowie den übrigen EU-15-Staaten andererseits ge-
zahlten UMTS-Lizenzpreisen erheblich ist (vgl. Gerpott, MMR 2007, 83). Da die
UMTS-Lizenzgebühren gerade bei den Entgeltgenehmigungen der britischen
Regulierungsbehörde erst ab April 2007 und damit jedenfalls deutlich nach dem
Zeitpunkt der angefochtenen Entgeltgenehmigungsentscheidung Berücksichti-
gung gefunden haben, ist die entscheidungstragende Annahme der Beklagten,
die vergleichsweise hohen UMTS-Lizenzgebühren in Großbritannien könnten
durch die Einbeziehung der britischen Netzbetreiber in die Vergleichsmarktbe-
trachtung „indirekt“ berücksichtigt werden, unzutreffend.
(14) Ob die Bundesnetzagentur bei der Auswahl der Vergleichsmärkte ihren
Beurteilungsspielraum schließlich auch deshalb fehlerhaft ausgefüllt hat, weil
sie die gültigen Verfahrensbestimmungen nicht eingehalten hat, kann im Er-
gebnis offen bleiben.
Dies könnte hier aus dem bereits genannten Grund fraglich sein, dass vor Ertei-
lung der Entgeltgenehmigung kein unionsweites Konsolidierungsverfahren ge-
mäß § 12 Abs. 2 TKG durchgeführt worden ist. Zwar kann sich die Klägerin
- wie oben ausgeführt - nicht unmittelbar auf die Verletzung dieser Verfahrens-
vorschrift berufen, da diese nicht drittschützend ist. Das Gericht ist insoweit je-
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doch nicht an der Feststellung eines auf der Nichtbeachtung der Verfahrensbe-
stimmungen beruhenden Fehlers der Regulierungsbehörde bei der Ausfüllung
ihres Beurteilungsspielraums gehindert. Da die Regulierungsbehörde nach § 12
Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 TKG den im Rahmen dieses Verfahrens abgegebenen Stel-
lungnahmen der Kommission und der anderen nationalen Regulierungsbehör-
den weitestgehend Rechnung zu tragen hat, hätte sich die Durchführung des
Konsolidierungsverfahrens auf die Entscheidung über die Auswahl der Ver-
gleichsmärkte auswirken können. Aufgrund der in § 12 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 TKG
enthaltenen Wertungsvorgabe können die von der Kommission und den ande-
ren nationalen Regulierungsbehörden geltend gemachten Belange in der Ab-
wägung grundsätzlich nur dann überwunden werden, wenn vom europäischen
Standard abweichende nationale Besonderheiten vorliegen oder wenn gegen-
läufige öffentliche oder private Belange zu berücksichtigen sind, denen nach
der besonders zu begründenden Einschätzung der Bundesnetzagentur im kon-
kreten Einzelfall ein so hohes Gewicht zukommt, dass ihr Zurücktreten nicht
gerechtfertigt erscheint (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2014 - 6 C
10.13 - NVwZ 2014, 1586 Rn. 32 m.w.N.).
Letztlich kommt es hierauf aber deshalb nicht entscheidungserheblich an, weil
die Bundesnetzagentur den ihr eingeräumten Beurteilungsspielraum bereits aus
anderen Gründen fehlerhaft ausgefüllt hat. Es bedarf daher hier auch keiner
Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung
der Frage, ob Art. 7 Abs. 3 der Rahmenrichtlinie dahin auszulegen ist, dass ei-
ne nationale Regulierungsbehörde, die einen Betreiber mit beträchtlicher
Marktmacht verpflichtet hat, Mobilfunkterminierungsleistungen zu erbringen,
und die hierfür verlangten Entgelte unter Einhaltung des in der genannten Richt-
linienbestimmung vorgesehenen Verfahrens der Genehmigungspflicht unter-
worfen hat, verpflichtet ist, das Verfahren nach Art. 7 Abs. 3 der Rahmenrichtli-
nie vor jeder Genehmigung konkret beantragter Entgelte erneut durchzuführen
(vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2014 - 6 C 10.13 - NVwZ 2014,
1586).
(15) Im Ergebnis hat die Bundesnetzagentur den ihr zustehenden Beurteilungs-
spielraum bei der Entscheidung über die Auswahl der Vergleichsmärkte und der
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Entscheidung über Zu- bzw. Abschläge jedenfalls deshalb nicht fehlerfrei aus-
gefüllt, weil sie - erstens - nicht ermittelt hat, ob im Zeitpunkt ihrer Entscheidung
überhaupt (noch) in einer relevanten Größenordnung Kostenunterschiede zwi-
schen den Netzbetreibern aufgrund ihrer jeweiligen Frequenzausstattung oder
des hiermit möglicherweise zusammenhängenden Zeitpunkts ihres Marktein-
tritts bestanden haben, und - zweitens - ihre Entscheidung, von einem (weite-
ren) Zuschlag zur Berücksichtigung der UMTS-Lizenzgebühr abzusehen, auf
der unzutreffenden Sachverhaltsannahme beruht, die hohen UMTS-
Lizenzkosten im Vereinigten Königreich seien in die Festlegung der Terminie-
rungsentgelte durch die britische Regulierungsbehörde eingegangen und daher
bei der Vergleichsmarktbetrachtung indirekt berücksichtigt worden. Diese Män-
gel der Entgeltgenehmigungsentscheidung schlagen aus den unter (1) darge-
legten Gründen auf den im vorliegenden Verfahren angegriffenen Entgeltanord-
nungsbeschluss durch. Die teilweise Ablehnung des weitergehenden
Entgeltanordnungsantrags (Ziffer 5 des angegriffenen Beschlusses) ist daher
rechtswidrig und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5
Satz 1 VwGO). Da die Bundesnetzagentur bei ihren im Rahmen der Ver-
gleichsmarktbetrachtung zu treffenden Entscheidungen über die Auswahl der
Vergleichsmärkte sowie über Zu- und Abschläge über einen Beurteilungsspiel-
raum verfügt, dessen Ausübung das Gericht nicht vorgreifen darf, steht dem
begehrten Verpflichtungsausspruch zwar die fehlende Spruchreife der Sache
entgegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hätte die Be-
klagte jedoch gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO zur Neubescheidung unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichten müssen. Soweit es
die Verpflichtungsklage gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur vom
16. November 2006 - BK 3b-06-012/Z 13.09.06 - abgewiesen hat, verletzt das
erstinstanzliche Urteil daher Bundesrecht.
bb) Ist § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 in Verbindung mit § 25 Abs. 5 Satz 3 TKG ver-
fassungsgemäß, stellt sich das angefochtene Urteil jedoch aus anderen Grün-
den als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Gültigkeit des § 35 Abs. 5 Satz 2
und 3 in Verbindung mit § 25 Abs. 5 Satz 3 TKG vorausgesetzt, ist die auf die
Verpflichtung der rückwirkenden Anordnung eines höheren Entgelts für die
Terminierungsleistung V.1 der Klägerin gerichtete Klage jedenfalls deshalb un-
76
- 49 -
begründet, weil eine vorläufige Zahlungsanordnung des Verwaltungsgerichts
nach § 35 Abs. 5 Satz 2 TKG in Verbindung mit § 123 VwGO nicht ergangen ist
und das Gericht die Bundesnetzagentur daher nach § 35 Abs. 5 Satz 3 TKG
nicht zur Erteilung der begehrten Anordnung eines höheren Entgelts für die
Terminierungsleistung V.1 der Klägerin für den bereits abgelaufenen Zeitraum
vom 30. August 2006 bis zum 6. März 2007 verpflichten darf.
Wegen des Ablaufs des Anordnungszeitraums setzt der Erfolg der Verpflich-
tungsklage voraus, dass die begehrte Anordnung höherer Entgelte Rückwir-
kung entfaltet. Die in § 35 Abs. 5 Satz 1 TKG grundsätzlich vorgesehene Rück-
wirkung der Genehmigung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Leistungsbereit-
stellung und damit auf den streitgegenständlichen Genehmigungszeitraum ist
jedoch durch § 35 Abs. 5 Satz 3 TKG ausgeschlossen, wenn die Genehmigung
höherer Entgelte auf ein Verpflichtungsurteil hin ergeht und eine einstweilige
Anordnung nach § 35 Abs. 5 Satz 2 TKG i.V.m. § 123 Abs. 1 VwGO nicht er-
gangen ist. Nach der Senatsrechtsprechung führt § 35 Abs. 5 Satz 3 TKG inso-
weit zwar nicht zum Erlöschen des materiellen Genehmigungsanspruchs,
schränkt jedoch den prozessualen Anspruch auf Verpflichtung zum Erlass des
begehrten Verwaltungsakts und damit die Befugnis der Gerichte ein, die Bun-
desnetzagentur rückwirkend zur Genehmigung höherer als der ursprünglich
genehmigten Entgelte zu verpflichten (BVerwG, Beschluss vom 26. Februar
2014 - 6 C 3.13 - BVerwGE 149, 94 Rn. 19).
Die in § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG geregelte Rückwirkungssperre findet ent-
gegen der Auffassung der Vorinstanz auch in den Fällen einer Anordnung von
Entgelten gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 und 6 TKG entsprechende Anwen-
dung. Zwar wird der Fall einer Anordnung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 TKG von
dem Wortlaut des § 35 Abs. 5 Satz 1 und 3 TKG nicht ausdrücklich erfasst. Im
Hinblick darauf, dass § 25 Abs. 5 Satz 3 TKG „hinsichtlich der festzulegenden
Entgelte“ Bezug auf die §§ 27 bis 38 TKG nimmt, kann dies jedoch nicht maß-
geblich sein. Handelt es sich bei dieser Verweisungsnorm nach der bereits er-
wähnten Rechtsprechung des Senats (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2010
- 6 C 36.08 - Buchholz 442.066 § 38 TKG Nr. 2 Rn. 20) um eine Rechtsgrund-
verweisung auf die Regelungen über die Entgeltgenehmigung (§ 30 Abs. 1
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- 50 -
Satz 1, §§ 31 bis 37 TKG), ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, weshalb
gerade die Regelung des § 35 Abs. 5 Satz 3 TKG hiervon nicht erfasst sein soll-
te. Im Gegenteil spricht alles dafür, dass die Einschränkung der Rückwirkung
nach § 35 Abs. 5 Satz 3 TKG nach dem Konzept des Gesetzgebers auch dann
Anwendung finden soll, wenn das regulierte Unternehmen Leistungen ohne ei-
ne konkrete Entgeltvereinbarung erbringt (vgl. Masing/Griebel, in: Wilms/
Masing/Jochum, TKG, Stand: März 2007, § 35 Rn. 57). Sowohl die Annahme
einer unbeschränkten Rückwirkung als auch die gänzliche Ablehnung der
Rückwirkung könnten in diesen Fällen den vom Gesetzgeber beabsichtigten
Interessenausgleich zwischen den beteiligten Unternehmen erschweren. Würde
ein Scheitern der Verhandlungen zur Verbesserung der Rechtsposition einer
Partei führen, würde zudem der u.a. in § 25 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 TKG zum Aus-
druck kommende Grundsatz des Vorrangs der Verhandlungen zwischen den
beteiligten Unternehmen konterkariert werden.
Der Anwendung der in § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG geregelten Rückwir-
kungssperre steht auch nicht entgegen, dass der vorliegende Fall, dass das
Gericht in der Hauptsache die Regulierungsbehörde nur zu einer Neubeschei-
dung unter Berücksichtigung der Auffassung des Gerichts verpflichten kann, in
§ 35 Abs. 5 Satz 3 TKG nicht ausdrücklich geregelt ist. Eine entsprechende
Anwendung der Rückwirkungssperre auch in diesen Fällen ist nach dem Sinn
und Zweck der Vorschrift geboten. Dieser besteht darin, die Wettbewerber des
regulierten Unternehmens, die mit diesem Zugangsverträge geschlossen und
auf der Basis genehmigter Entgelte Leistungen bezogen haben, vor hohen
Nachzahlungen und dem Erfordernis entsprechender Rückstellungen zu schüt-
zen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Februar 2014 - 6 C 3.13 - BVerwGE 149,
94 Rn. 35). Das bei einer uneingeschränkten Rückwirkung bestehende Risiko
der Wettbewerber, hohe Nachzahlungen leisten zu müssen, und der hieraus
folgende Zwang zu entsprechenden Rückstellungen, wird im Fall von Beschei-
dungsurteilen im Vergleich zu Verpflichtungsurteilen eher noch verschärft, weil
bis zur endgültigen Entscheidung regelmäßig noch weitere Zeit verstreicht.
Gemessen an dem Schutzzweck des § 35 Abs. 5 Satz 3 TKG macht es daher
keinen Unterschied, ob das Gericht die Behörde zur Erteilung der Genehmi-
gung verpflichtet, die höheren Entgelte selbst festlegt oder die Behörde zur
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- 51 -
Neubescheidung verpflichtet (vgl. auch Schuster/Ruhle, in: Beck’scher TKG-
Kommentar, 3. Aufl. 2006, § 35 Rn. 74). Nichts anderes kann gelten, wenn die
Entgelte Gegenstand einer Anordnung nach § 25 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 und 6
TKG sind.
b) Ist § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 in Verbindung mit § 25 Abs. 5 Satz 3 TKG hin-
gegen verfassungswidrig und nichtig, hat die Revision der Klägerin zumindest
teilweise Erfolg. Die Regelung stünde dem von der Klägerin geltend gemachten
Anspruch auf Verpflichtung der Bundesnetzagentur zu einer gemäß § 35 Abs. 5
Satz 1 in Verbindung mit § 25 Abs. 5 Satz 3 TKG rückwirkenden Genehmigung
eines höheren Entgelts nicht entgegen. Sie könnte daher auch nicht dem hier
nur in Betracht kommenden Anspruch der Klägerin auf Neubescheidung ihres
weitergehenden Entgeltgenehmigungsantrags entgegengehalten werden.
2. Der Senat ist aus den bereits im Vorlagebeschluss vom 26. Februar 2014
- 6 C 3.13 - (BVerwGE 149, 94) dargelegten Erwägungen weiterhin davon über-
zeugt, dass § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG (a) und
Art. 12 Abs. 1 GG (b) unvereinbar ist.
a) § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG verletzt die Gewährleistung wirkungsvollen
Rechtsschutzes im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Die durch § 35 Abs. 5
Satz 3 TKG im Ergebnis bewirkte Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung
durch den Ausgang des in § 35 Abs. 5 Satz 3 TKG geregelten Eilverfahrens,
das aus strukturellen Gründen keinen gleichwertigen Rechtsschutz gewährleis-
ten kann, führt zu einer erheblichen Einschränkung des Rechtsschutzes (aa),
die durch Sachgründe nicht gerechtfertigt und deshalb für das entgeltregulierte
Unternehmen unzumutbar ist (bb).
aa) Die Regelung des § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG führt zu einer Einschrän-
kung des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, da sie den Rechtsschutz
des regulierten Unternehmens gegen Entscheidungen der Bundesnetzagentur
über seine Entgeltgenehmigungsanträge wesentlich erschwert.
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- 52 -
Gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG steht demjenigen, der durch die öffentliche
Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen. Diese Vorschrift
gewährleistet neben dem Zugang zu den Gerichten auch eine tatsächliche
wirksame - effektive - gerichtliche Kontrolle (BVerfG, Beschlüsse vom 8. Juli
1982 - 2 BvR 1187/80 - BVerfGE 61, 82 <110 f.> und vom 3. März 2004 - 1 BvR
461/03 - BVerfGE 110, 77 <85>; stRspr). Zur Effektivität des Rechtsschutzes
gehört es, dass das Gericht das Rechtsschutzbegehren in tatsächlicher und
rechtlicher Hinsicht prüfen kann und genügend Entscheidungsbefugnisse be-
sitzt, um drohende Rechtsverletzungen abzuwenden oder erfolgte Rechtsver-
letzungen zu beheben (BVerfG, Beschlüsse vom 8. Juli 1982 a.a.O. und vom
27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106 <123>). Der Rechtsweg,
den Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG dem Einzelnen gewährleistet, bedarf der gesetzli-
chen Ausgestaltung. Hierbei verfügt der Gesetzgeber zwar über einen beträcht-
lichen Gestaltungsspielraum, darf jedoch die Notwendigkeit einer umfassenden
Nachprüfung des Verwaltungshandelns in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht
und einer dem Rechtsschutzbegehren angemessenen Entscheidungsart
und -wirkung nicht verfehlen (BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 a.a.O.
S. 123 f.).
Da § 35 Abs. 5 Satz 3 TKG - wie bereits ausgeführt - den prozessualen An-
spruch auf Verpflichtung zum Erlass des begehrten Verwaltungsakts und damit
die Befugnis der Gerichte einschränkt, die Bundesnetzagentur rückwirkend zur
Genehmigung höherer als der ursprünglich genehmigten Entgelte zu verpflich-
ten, handelt es sich in der Sache um eine Regelung, die in ihrem Anwendungs-
bereich - zumindest auch - den Rechtsweg ausgestaltet. Abweichend von den
nach allgemeinem Verwaltungsprozessrecht (§ 113 Abs. 5 VwGO) geltenden
Regelungen zum Umfang des Verpflichtungsausspruchs darf das Gericht bei
Nichtvorliegen der in § 35 Abs. 5 Satz 3 TKG genannten Voraussetzungen die
Bundesnetzagentur selbst dann nicht zur Erteilung der begehrten Entgeltge-
nehmigung verpflichten, wenn deren Ablehnung rechtswidrig ist, das regulierte
Unternehmen hierdurch in seinen Rechten verletzt wird und die Sache spruch-
reif ist. Soweit der Genehmigungszeitraum in der Vergangenheit liegt, macht
§ 35 Abs. 5 Satz 3 TKG die Erlangung von Rechtsschutz durch ein stattgeben-
des Verpflichtungsurteil davon abhängig, dass das Gericht zuvor im Eilverfah-
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ren nach § 35 Abs. 5 Satz 2 TKG i.V.m. § 123 Abs. 1 VwGO vorläufig die Zah-
lung eines höheren Entgelts angeordnet hat. Fehlt eine solche einstweilige ge-
richtliche Zahlungsanordnung, muss die Verpflichtungsklage allein schon aus
diesem Grund abgewiesen werden, selbst wenn das regulierte Unternehmen
durch die vollständige oder teilweise Ablehnung seines Entgeltgenehmigungs-
antrags in seinem subjektiven Recht auf Genehmigungserteilung verletzt wor-
den ist.
Die durch die Regelung des § 35 Abs. 5 Satz 3 TKG im Ergebnis bewirkte Vor-
verlagerung des Rechtsschutzes in das Verfahren der einstweiligen Anordnung
beeinträchtigt die effektive gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Ent-
geltgenehmigungsbescheids. Das Rechtsschutzdefizit folgt insoweit zwar nicht
zwingend bereits aus der allgemein üblichen und anerkannten Praxis der Ge-
richte, sich in Eilverfahren an den Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren
zu orientieren und dann die Sach- und Rechtslage im Rahmen der Prüfung des
Anordnungsanspruchs lediglich summarisch zu prüfen; denn in solchen Fällen,
in denen das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des
Hauptsacheverfahrens übernimmt sowie eine endgültige Verletzung der Rechte
eines Beteiligten droht und insoweit auch Grundrechtspositionen von Gewicht in
Rede stehen, kann eine umfassendere rechtliche Prüfung des im Hauptsache-
verfahren in Rede stehenden materiellen Anspruchs bereits im Eilverfahren von
Verfassungs wegen geboten sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985
- 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - BVerfGE 69, 315 <363 f.>; Kammerbeschluss
vom 28. September 2009 - 1 BvR 1702/09 - NVwZ-RR 2009, 945 f.).
Eine derartige Steigerung der gerichtlichen Prüfungsintensität im Eilverfahren
zur Vermeidung eines mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbaren Rechts-
schutzdefizits ist grundsätzlich auch im Anwendungsbereich des § 35 Abs. 5
Satz 3 TKG denkbar (vgl. Masing/Griebel, in: Wilms/Masing/Jochum, TKG,
Stand März 2007, § 35 Rn. 59; Gramlich, N&R 2013, 102 <106 f.>). Die Rege-
lung des § 35 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 TKG steht dem nicht entgegen. Danach
kann das Gericht im Verfahren nach § 123 VwGO die vorläufige Zahlung eines
beantragten höheren Entgelts anordnen, wenn überwiegend wahrscheinlich ist,
dass der Anspruch auf die Genehmigung des höheren Entgelts besteht. Mit der
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- 54 -
Forderung einer „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“ verweist die Vorschrift auf
das gegenüber einem Vollbeweis verminderte Beweismaß bei der bloßen
Glaubhaftmachung von Tatsachen (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 9. Februar
1998 - II ZB 15/97 - NJW 1998, 1870 und vom 21. Oktober 2010 - V ZB
210/09 - NJW-RR 2011, 136). Dieser geringere Grad der richterlichen Überzeu-
gungsbildung bei der Ermittlung des Sachverhalts im Eilverfahren, der der Ver-
fahrensbeschleunigung dient und sich bereits aus dem allgemeinen Prozess-
recht (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2, § 294 ZPO) ergibt,
wird jedoch durch die aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG folgende Pflicht des Ge-
richts überlagert, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern ab-
schließend zu prüfen, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen ent-
stehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen
wären (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -
NVwZ 2005, 927 <928>). Diese Voraussetzungen dürften im Anwendungsbe-
reich des § 35 Abs. 5 Satz 3 TKG regelmäßig vorliegen; denn ohne die vorheri-
ge Anordnung nach § 35 Abs. 5 Satz 2 TKG i.V.m. § 123 Abs. 1 VwGO wäre
eine umfassende Prüfung des Genehmigungsbescheides der Bundesnetzagen-
tur in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nach Ablauf des Genehmigungszeit-
raums nur noch im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage möglich, mit
der das regulierte Unternehmen zwar die Rechtswidrigkeit des Bescheids fest-
stellen lassen, jedoch nicht die Beseitigung der darin liegenden Rechtsverlet-
zung erreichen könnte.
Der effektive Rechtsschutz des regulierten Unternehmens gegen teilweise ab-
lehnende Entgeltgenehmigungsbescheide der Bundesnetzagentur ist durch das
Verfahren der einstweiligen Anordnung allerdings aus anderen Gründen im Er-
gebnis nicht gewährleistet. Zum einen modifiziert die Vorgabe des § 35 Abs. 5
Satz 2 Halbs. 1 TKG die allgemein im Anordnungsverfahren nach § 123 VwGO
geltenden Grundsätze in der Weise, dass eine auf die vorläufige Zahlung eines
beantragten höheren Entgelts gerichtete Anordnung nicht auch als Ergebnis
einer Folgenabwägung ergehen kann, falls sich die Sach- und Rechtslage im
Eilverfahren nicht klären lässt. Gelingt dem antragstellenden Unternehmen die
Glaubhaftmachung nicht, so besteht kein Anordnungsanspruch und ist der An-
88
- 55 -
trag abzulehnen, auch wenn die Frage, ob der materielle Anspruch auf das hö-
here Entgelt besteht oder nicht, „offen“ ist (vgl. Berger-Kögler/Cornils, in:
Geppert/Schütz, Beck'scher TKG-Kommentar, 4. Aufl. 2013, § 35 Rn. 124).
Dies wird den besonderen Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht
gerecht, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und
unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die
durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Ist dem Ge-
richt eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren
nicht möglich, verlangt die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes in sol-
chen Fällen, anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, wobei insbesonde-
re grundrechtliche Belange umfassend in die Abwägung einzustellen sind (vgl.
BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005,
927 <928>). Dass die Entgeltgenehmigungsentscheidung der Regulierungsbe-
hörde grundrechtliche Belange des regulierten Unternehmens in erheblichem
Maße berührt, steht außer Frage. Die Pflicht zur Genehmigung von Entgelten
und das damit einhergehende Verbot, ungenehmigte Entgelte zu verlangen,
greift in den Schutzbereich der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ein;
denn das Grundrecht auf freie Berufsausübung schließt die Freiheit ein, das
Entgelt für berufliche Leistungen mit dem Interessenten auszuhandeln (vgl.
BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. Dezember 2011 - 1 BvR 1932/08 - NVwZ
2012, 694 <697 f.>; BVerwG, Urteile vom 21. Januar 2004 - BVerwG 6 C
1.03 - BVerwGE 120, 54 <68>, vom 9. Mai 2012 - BVerwG 6 C 3.11 - BVerwGE
143, 87 Rn. 34 und vom 25. September 2013 - BVerwG 6 C 13.12 - juris
Rn. 39). Die durch § 35 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 TKG im Rahmen des Anord-
nungsverfahrens ausgeschlossene Folgenabwägung könnte dem antragstel-
lenden Unternehmen zumindest in solchen Fällen, in denen seiner grund-
rechtsgeschützten Position keine vergleichbar gewichtigen Belange der Wett-
bewerber gegenüberstehen, die Chance erhalten, seinen Anspruch auf kosten-
deckende Entgelte gerichtlich durchzusetzen.
Die durch die Regelung des § 35 Abs. 5 Satz 3 TKG im Ergebnis bewirkte Vor-
verlagerung des Rechtsschutzes auf das Verfahren der einstweiligen Anord-
nung führt darüber hinaus - und vor allem - deshalb zu einer Beeinträchtigung
des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, weil das Verfahren nach § 35
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- 56 -
Abs. 5 Satz 2 TKG i.V.m. § 123 Abs. 1 VwGO immer dann nicht zum Erfolg füh-
ren kann, wenn die Sache wegen eines Beurteilungsspielraums der Bundes-
netzagentur nicht spruchreif ist (vgl. Berger-Kögler/Cornils, in: Geppert/Schütz,
Beck'scher TKG-Kommentar, 4. Aufl. 2013, § 35 Rn. 127). Über solche Beurtei-
lungsspielräume verfügt die Regulierungsbehörde - wie oben ausgeführt - nicht
nur im Rahmen der Vergleichsmarktbetrachtung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
TKG, sondern beispielsweise auch bei der Auswahl der Methode für die Be-
rechnung des Anlagevermögens als Grundlage für die Ermittlung von Zinsen
und Abschreibungen im Rahmen der Bestimmung der Kosten der effizienten
Leistungsbereitstellung, welche für die telekommunikationsrechtliche Entgeltge-
nehmigung nach § 31 Abs. 1 Satz 1 TKG in der hier noch anwendbaren Fas-
sung (jetzt: § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG) in der Regel maßgeblich sind (vgl.
BVerwG, Urteil vom 25. September 2013 - 6 C 13.12 - BVerwGE 148, 48
Rn. 18 ff.). In diesen Fällen kann das Gericht die für die vorläufige Zahlungsan-
ordnung nach § 35 Abs. 5 Satz 2 TKG erforderliche überwiegende Wahrschein-
lichkeit, dass der Anspruch auf die Genehmigung des höheren Entgelts besteht,
regelmäßig schon deshalb nicht feststellen, weil es einem der Regulierungsbe-
hörde zustehenden Letztentscheidungsrecht nicht vorgreifen darf und deshalb
in der Hauptsache lediglich ein Bescheidungsurteil in Betracht kommt. Dies gilt
jedenfalls insoweit, als sich der der Regulierungsbehörde im Rahmen der Be-
stimmung der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung partiell eingeräum-
te Beurteilungsspielraum aus den unionsrechtlichen Vorgaben zur Preiskontrol-
le ergibt (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 23. November 2011 - 6 C 11.10 -
Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 5 und vom 25. September 2013 - 6 C 13.12 -
BVerwGE 148, 48, jeweils unter Bezug auf EuGH, Urteil vom 24. April 2008
- C-55/06, Arcor -).
bb) Die durch die Regelung des § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG bewirkte Ein-
schränkung des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG für das regulierte
Unternehmen ist in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht durch hinreichend ge-
wichtige Sachgründe gerechtfertigt und deshalb unverhältnismäßig.
(1) Obwohl Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vorbehaltlos formuliert ist, sind gesetzliche
Einschränkungen dieses Grundrechts nicht von vornherein ausgeschlossen,
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91
- 57 -
soweit bei der Ausgestaltung der Rechtsschutzgarantie Belange, die dem Ge-
bot umfassenden Rechtsschutzes entgegenstehen, Beachtung verlangen. Der-
artige Einschränkungen unterliegen aber den Anforderungen, die sich aus dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben. Sie müssen mit den Prinzipien ei-
ner rechtsstaatlichen Verfahrensordnung vereinbar sein und dürfen den
Rechtsschutz nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfer-
tigender Weise erschweren (BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR
385/90 - BVerfGE 101, 106 <124 f.>). Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit
ist im vorliegenden Zusammenhang dem Umstand Rechnung zu tragen, dass
im Zuge der Entgeltgenehmigung eine Konfliktlage in einem mehrpoligen
Rechtsverhältnis zu bewältigen ist (BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 - 1
BvR 2087, 2111/03 - BVerfGE 115, 205 <232 f.>). An diesem Rechtsverhältnis
sind neben der Genehmigungsbehörde und dem regulierten Unternehmen, in
dessen Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) die Entgeltgenehmigungs-
pflicht eingreift, auch die Wettbewerber als potenziell zur Entgeltzahlung Ver-
pflichtete beteiligt, die insoweit ebenfalls in ihrer Berufsausübungsfreiheit aus
Art. 12 Abs. 1 GG betroffen sind. Der Gesetzgeber ist auch bei der Ausgestal-
tung des Rechtsschutzes dazu berufen, die miteinander kollidierenden und ver-
flochtenen Interessen in einen Ausgleich zu bringen, der allen in verhältnismä-
ßiger Weise gerecht wird. Dabei kommt ihm ein Einschätzungs- und Beurtei-
lungsspielraum zu, der sich auf die Beurteilung der Vor- und Nachteile für die
jeweils betroffenen Güter sowie auf die Güterabwägung mit Blick auf die Folgen
für die verschiedenen rechtlich geschützten Interessen bezieht (BVerfG, Be-
schlüsse vom 14. März 2006 a.a.O. S. 233 f. und vom 13. Juni 2006 - 1 BvR
1160/03 - BVerfGE 116, 135 <155>).
Ob besondere Maßgaben aus dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch für
den Gesetzgeber folgen, wenn er den Rechtsschutz in einer Situation ausge-
staltet, durch die unterschiedliche Interessen betroffen sind, lässt sich nur mit
Rücksicht auf die Eigenart gerade der konkret betroffenen Interessenlage beur-
teilen. Der Gesetzgeber hat insbesondere grundrechtliche Schutzaussagen zu-
gunsten des Rechtsuchenden, aber auch zugunsten Dritter, deren Belange
durch den begehrten Rechtsschutz berührt werden, zu beachten und hierbei
bereichsspezifischen Besonderheiten Rechnung zu tragen (BVerfG, Beschluss
92
- 58 -
vom 13. Juni 2006 a.a.O.). Die Einschätzung der für die Konfliktlage maßgebli-
chen ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen liegt dabei ebenso in
seiner politischen Verantwortung wie die Vorausschau auf die künftige Entwick-
lung und die Wirkungen seiner Regelung (BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober
2013 - 1 BvR 1842/11, 1843/11 - BVerfGE 134, 204 ff.). Eine Grundrechtsver-
letzung kann nur festgestellt werden, wenn eine betroffene Grundrechtsposition
gegenläufigen Interessen in einer Weise untergeordnet wird, dass in Anbetracht
der Bedeutung und Tragweite des betroffenen Grundrechts von einem ange-
messenen Ausgleich nicht mehr gesprochen werden kann (vgl. BVerfG, Be-
schluss vom 23. Oktober 2013 a.a.O.).
(2) Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben genügt die Regelung des § 35
Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG nicht.
(a) Mit der Beschränkung der Rückwirkung solcher Genehmigungen höherer
Entgelte, die aufgrund eines Verpflichtungsurteils ergehen, verfolgt der Gesetz-
geber einen legitimen Zweck. Die Wettbewerber des regulierten Unternehmens,
die mit diesem Zugangsverträge geschlossen und auf der Basis genehmigter
Entgelte Leistungen bezogen haben, sollen vor hohen Nachzahlungen und dem
Erfordernis entsprechender Rückstellungen geschützt werden. In der Begrün-
dung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Drs. 15/2316, S. 69 f.) wird
zur Erläuterung darauf hingewiesen, dass sich die Wettbewerber bei einer un-
eingeschränkten Rückwirkung dem Risiko ausgesetzt sähen, Nachzahlungen
für mehrere Jahre, die regelmäßig bis zum rechtskräftigen Abschluss entspre-
chender Gerichtsverfahren vergingen, leisten zu müssen. Für diesen Fall wären
Rückstellungen erforderlich in Höhe der Differenz zwischen den beantragten
und den genehmigten Entgelten, die sich aufgrund der Vielzahl der Vertragsbe-
ziehungen und des Umfangs der bezogenen Leistungen zu ganz erheblichen
Beträgen summieren könnten. Ferner hätten die Wettbewerber - rechtlich oder
tatsächlich - keine Möglichkeit, gegenüber ihren Endkunden Nachzahlungen
durchzusetzen, so dass die Wettbewerber in eine existenzbedrohende Situation
gelangen könnten. Wie die Entgeltregulierung insgesamt (vgl. BVerwG, Urteile
vom 21. Januar 2004 - 6 C 1.03 - BVerwGE 120, 54 <62> und vom 25. Februar
2009 - 6 C 25.08 - Buchholz 442.066 § 37 TKG Nr. 2 Rn. 19) dient damit auch
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94
- 59 -
die Regelung des § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG dem öffentlichen Interesse an
der Förderung chancengleichen und funktionsfähigen Wettbewerbs.
(b) Die Beschränkung der gerichtlichen Durchsetzbarkeit des Anspruchs auf
rückwirkende Genehmigung eines höheren Entgelts ist zur Förderung dieses
legitimen Zwecks geeignet. Bei uneingeschränkter Rückwirkung einer von dem
regulierten Unternehmen mit der Verpflichtungsklage erstrittenen Genehmigung
eines höheren Entgelts wären die entgeltpflichtigen Wettbewerber dem in der
Begründung des Gesetzentwurfs beschriebenen Nachzahlungsrisiko ausge-
setzt. Im Hinblick auf dieses Risiko notwendige Rückstellungen würden die
Wettbewerber auch dann finanziell belasten, wenn sich die von der Bundes-
netzagentur erteilte Genehmigung im Klageverfahren letztlich als rechtmäßig
erweisen sollte (vgl. Masing/Griebel, in: Wilms/Masing/Jochum, TKG, Stand
März 2007, § 35 Rn. 61; Groebel, in: Säcker , TKG-Kommentar, 3. Aufl.
2013, § 35 Rn. 81). Die Berücksichtigung der Rückstellungskosten im Rahmen
der Preiskalkulation würde sich zudem zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit der
Angebote der Wettbewerber auswirken. Die Ungewissheit über das zu zahlende
Entgelt würde den vom Gesetz bezweckten Marktzutritt von Wettbewerbern
spürbar behindern (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2004 - 6 C 1.03 -
BVerwGE 120, 54 <65>). Diesen Nachteilen für das Regulierungsziel der Wett-
bewerbsförderung wirkt § 35 Abs. 5 Satz 3 TKG entgegen, indem die Regelung
die rückwirkende Durchsetzbarkeit höherer Entgelte von der erfolgreichen
Durchführung des Eilverfahrens nach § 35 Abs. 5 Satz 2 TKG i.V.m. § 123
Abs. 1 VwGO abhängig macht. Aufgrund dieser Verknüpfung erlangen die
Wettbewerber bereits vor dem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsachever-
fahrens ein hohes Maß an Planungssicherheit, da sie sich nur in dem Fall einer
vorläufigen Zahlungsanordnung auf die Möglichkeit höherer Entgelte einstellen
müssen.
(c) Die Beschränkung der Rückwirkung solcher Genehmigungen höherer Ent-
gelte, die aufgrund eines Verpflichtungsurteils ergehen, ist auch erforderlich.
Ein gleich geeignetes milderes Mittel zur Erreichung der vom Gesetzgeber ver-
folgten Ziele ist nicht ersichtlich.
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Sähe das Gesetz abweichend von § 35 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 TKG eine voll-
ständige tatsächliche und rechtliche Überprüfung der Entgeltgenehmigung im
Anordnungsverfahren vor, könnte dies zwar die Beeinträchtigung des Grund-
rechts des regulierten Unternehmens auf effektiven Rechtsschutz in den Fällen
abschwächen, in denen die Bundesnetzagentur nicht über einen Beurteilungs-
spielraum verfügt. Da die Kontrolle von Entgeltgenehmigungsentscheidungen
regelmäßig schwierige tatsächliche und rechtlichen Fragen aufwirft, hätte dies
jedoch zwangsläufig eine erhebliche Verlängerung des vorläufigen Rechts-
schutzverfahrens zur Folge und liefe deshalb dem gesetzgeberischen Anliegen,
im Interesse eines funktionierenden Wettbewerbs schnell Rechtsklarheit über
die zu leistenden Entgelte zu schaffen, zuwider (vgl. auch Berger-Kögler/
Cornils, in: Geppert/Schütz, Beck'scher TKG-Kommentar, 4. Aufl. 2013, § 35
Rn. 126; Mayen/Lünenbürger, in: Scheurle/Mayen, TKG, 2. Aufl. 2008, § 35
Rn. 109).
Auch eine Befugnis des Gerichts, die einstweilige Zahlungsanordnung nach
§ 35 Abs. 5 Satz 2 TKG auf der Grundlage einer Folgenabwägung zu erlassen,
wenn eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren
nicht möglich oder die Sache wegen eines Beurteilungsspielraums der Regulie-
rungsbehörde nicht spruchreif ist, wäre kein gleich geeignetes Mittel zur Errei-
chung der vom Gesetzgeber verfolgten Ziele. Wegen der erwähnten Komplexi-
tät der Entgeltgenehmigungsentscheidungen, des in zentralen Punkten unions-
rechtlich vorgegebenen Beurteilungsspielraums und der - im Rahmen einer
Folgenabwägung zu berücksichtigenden - gewichtigen grundrechtsgeschützten
Position des entgeltberechtigten Unternehmens würde dies in einer Vielzahl von
Fällen im Ergebnis dazu führen, dass eine einstweilige Zahlungsanordnung er-
gehen müsste. Dies würde das Ziel des Gesetzgebers, die Wettbewerber des
regulierten Unternehmens vor hohen Nachzahlungen und dem Erfordernis ent-
sprechender Rückstellungen zu schützen, konterkarieren.
Die im Schrifttum erwogene Möglichkeit, dem regulierten Unternehmen für den
Fall der Erfolglosigkeit seiner Klage die Verpflichtung aufzuerlegen, den Wett-
bewerbern durch das Rechtsschutzverfahren erforderlich gewordene Rückstel-
lungskosten zu ersetzen (Masing/Griebel, in: Wilms/Masing/Jochum ,
97
98
99
- 61 -
TKG, Stand: März 2007, § 35 Rn. 61), stellt ebenfalls keine gleich geeignete
Alternative zum Ausschluss der Rückwirkung der gerichtlich erstrittenen Ge-
nehmigung eines höheren Entgelts dar; denn im Unterschied zu der in § 35
Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG getroffenen Regelung wären die Wettbewerber nicht
von der Notwendigkeit befreit, bis zur Rechtskraft eines gerichtlichen Haupt-
sacheverfahrens zunächst Rückstellungen zu bilden. Bereits diese gegebenen-
falls nur vorläufige Belastung beschränkt sie in ihrer Wettbewerbsfähigkeit und
kann - proportional zur Verfahrensdauer - zu den existenzbedrohenden Gefah-
ren führen, denen der Gesetzgeber gerade entgegenwirken will (vgl. Groebel,
in: Säcker , TKG-Kommentar, 3. Aufl. 2013, § 35 Rn. 81).
Die Annahme, dass die in § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG geregelte Rückwir-
kungsbeschränkung zur Erreichung der vom Gesetzgeber verfolgten Ziele er-
forderlich ist, steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats. So-
weit der Senat in seinem Urteil vom 21. Januar 2004 - 6 C 1.03 - (BVerwGE
120, 54 <69>) ausgeführt hat, dass sich eine ausschließlich in die Zukunft ge-
richtete Entgeltgenehmigung zur Zweckerreichung als nicht erforderlich und
damit als unverhältnismäßig erwiese, bezog sich dies auf die Rechtslage nach
dem TKG 1996 und die - vom Senat bejahte - Frage, ob die auf der Grundlage
des § 39 Alt. 1 TKG 1996 erteilte Genehmigung der Entgelte für die vertraglich
vereinbarte Gewährung eines besonderen Netzzugangs auf den Zeitpunkt des
Abschlusses des Vertrages zurückwirkt, in dem diese Entgelte vereinbart wor-
den waren. Diese Erwägungen lassen sich nicht auf die Beurteilung der Verfas-
sungsmäßigkeit von § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG übertragen. Denn durch
§ 35 Abs. 5 TKG hat der Gesetzgeber die zum alten Recht ergangene Recht-
sprechung, nach der die Entgeltgenehmigung auf den Zeitpunkt des Vertrags-
schlusses zurückwirkt, einerseits bestätigt, andererseits aber auch begrenzt. Mit
der neu eingeführten Verknüpfung zwischen einer vorläufigen Zahlungsanord-
nung des Gerichts, die nicht von der Darlegung eines Anordnungsgrundes ab-
hängt, und einer möglichen Rückwirkung der im Hauptsacheverfahren erstritte-
nen (höheren) Entgeltgenehmigung bezweckt das Gesetz eine zwischen dem
Entgeltgläubiger und seinen Wettbewerbern ausgewogene Verteilung des Risi-
kos unrichtiger, später korrigierter Entgeltgenehmigungen (vgl. BVerwG, Urteil
vom 25. März 2009 - 6 C 3.08 - Buchholz 442.066 § 35 TKG Nr. 2 Rn. 30). Ob
100
- 62 -
es der Gesetzgeber zum Schutz der Wettbewerber vor erheblichen Nachzah-
lungen für erforderlich halten durfte, die Rückwirkung solcher Genehmigungen
höherer Entgelte zu beschränken, die aufgrund eines Verpflichtungsurteils er-
gehen, hatte der Senat in dem Urteil vom 21. Januar 2004 nicht zu prüfen.
(d) Die durch § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG bewirkte Einschränkung des
Rechtsschutzes des regulierten Unternehmens gegen Entscheidungen der
Bundesnetzagentur über seine Entgeltgenehmigungsanträge steht jedoch nicht
in einem angemessenen Verhältnis zu den mit der Regelung verfolgten Zielen
(so auch Mayen/Lünenbürger, in: Scheurle/Mayen, TKG, 2. Aufl. 2008, § 35
Rn. 110; Berger-Kögler/Cornils, in: Geppert/Schütz, Beck'scher TKG-
Kommentar, 4. Aufl. 2013, § 35 Rn. 119 ff.; in der Tendenz ferner Höffler, in:
Arndt/Fetzer/Scherer, TKG 2008, § 35 Rn. 48 und Masing/Griebel, in:
Wilms/Masing/Jochum, TKG, Stand März 2007, § 35 Rn. 58, die jedoch die
Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung bejahen; ebenso Gramlich,
in: Heun, Handbuch Telekommunikationsrecht, 2. Aufl. 2007, Teil 2 I, Rn. 92;
ders., N&R 2013, 102 <106>; anderer Auffassung: Groebel, in: Säcker ,
TKG-Kommentar, 3. Aufl. 2013, § 35 Rn. 81 ff.; Scherer, NJW 2004, 3001
<3007>; Schuster/Ruhle, in: Piepenbrock/Attendorn, Beck'scher TKG-
Kommentar, 3. Aufl. 2006, § 35 Rn. 75 ff.).
Der durch die Regelung bewirkte Eingriff in die Rechtsschutzgarantie (Art. 19
Abs. 4 Satz 1 GG) hat hohes Gewicht. § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG errichtet
bei Verpflichtungsklagen, mit denen ein entgeltreguliertes Unternehmen die
Genehmigung höherer Entgelte erstrebt, in zahlreichen Fällen eine praktisch
unüberwindbare Hürde für die gerichtliche Prüfung des Rechtsschutzbegehrens
in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und nimmt dem Gericht die zur Abwen-
dung bzw. Behebung von Rechtsverletzungen erforderlichen Entscheidungsbe-
fugnisse. Denn die gerichtliche Durchsetzbarkeit des Entgeltgenehmigungsan-
spruchs des regulierten Unternehmens ist - wie ausgeführt - nach Ablauf des
jeweiligen Genehmigungszeitraums vom Ausgang des einstweiligen Rechts-
schutzverfahrens abhängig. Dieses ist aufgrund seines summarischen Charak-
ters nur beschränkt geeignet, eine Klärung der Rechtmäßigkeit einer (Teil-)Ab-
lehnung eines Entgeltgenehmigungsantrags herbeizuführen, und wird vielfach
101
102
- 63 -
schon deshalb nicht zum Erfolg führen können, weil die Regulierungsbehörde
im Rahmen der Bestimmung der für die Entgeltgenehmigung maßgeblichen
Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 TKG in
der hier noch maßgeblichen Fassung; jetzt: § 32 Abs. 1 Satz 1 TKG) über uni-
onsrechtlich vorgegebene Beurteilungsspielräume verfügt. Entgeltnachforde-
rungen des regulierten Unternehmens sind damit in zahlreichen Fällen auch
dann nicht gerichtlich durchsetzbar, wenn sich im Hauptsacheverfahren her-
ausstellt, dass das von der Bundesnetzagentur genehmigte Entgelt den gesetz-
lich geregelten Maßstab der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung un-
terschreitet. Im Ergebnis muss selbst ein effizient wirtschaftendes Unternehmen
Leistungen, die es aufgrund der ihm auferlegten Zugangsverpflichtung nicht
verweigern darf, zu nicht kostendeckenden Preisen erbringen, soweit der Ge-
nehmigungszeitraum bis zum rechtskräftigen Abschluss eines verwaltungsge-
richtlichen Verfahrens bereits abgelaufen ist, was bei der in der Praxis der Bun-
desnetzagentur üblichen Befristung auf ein bis zwei Jahre regelmäßig der Fall
sein wird. Auf der anderen Seite sieht sich das regulierte Unternehmen jedoch
immer dann einem Rückzahlungsanspruch ausgesetzt, wenn das Hauptsache-
verfahren zu niedrigeren als den zunächst vereinnahmten Entgelten führt. Hier-
zu kann es nicht nur in den Fällen kommen, in denen eine Verpflichtungsklage
des regulierten Unternehmens nach vorheriger Zahlungsanordnung gemäß
§ 35 Abs. 5 Satz 2 TKG letztlich doch erfolglos bleibt, sondern auch dann, wenn
ein von der Bundesnetzagentur genehmigtes Entgelt auf eine erfolgreiche An-
fechtungsklage eines Wettbewerbers abgesenkt wird. In der praktischen Aus-
wirkung legt § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG damit das Kostenrisiko, das sich aus
klagebedingten Verzögerungen der Feststellung des rechtmäßigen Entgelts
ergibt, einseitig und ausnahmslos dem entgeltberechtigten regulierten Unter-
nehmen auf.
Diesen erheblichen Belastungen des regulierten Unternehmens aufgrund der
Regelung des § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG stehen keine gleichermaßen ge-
wichtigen Belange gegenüber. Auch unter Berücksichtigung des Einschät-
zungs- und Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Güterabwägung
ist die durch die Regelung bewirkte Einschränkung der gerichtlichen Durchsetz-
barkeit des Entgeltgenehmigungsanspruchs für das regulierte Unternehmen
103
- 64 -
unzumutbar. Das vom Gesetzgeber mit der Regelung verfolgte Ziel des Schut-
zes der Wettbewerber vor hohen Nachzahlungen und dem Erfordernis entspre-
chender Rückstellungen kann im Hinblick auf die Anforderungen des Verhält-
nismäßigkeitsgrundsatzes eine derart weitreichende Beeinträchtigung des
Rechtsschutzes des regulierten Unternehmens nicht rechtfertigen. Es fehlt an
einem angemessenen Ausgleich der widerstreitenden Interessen.
Zwar ist das Vertrauen der Wettbewerber in den Bestand der von der Bundes-
netzagentur in dem dafür nach §§ 132 ff. TKG vorgesehenen, besonders forma-
lisierten Verfahren genehmigten Entgelte grundsätzlich schutzwürdig (vgl.
BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2012 - 6 C 3.11 - BVerwGE 143, 87 Rn. 61). Hinzu
kommt, dass die Wettbewerber im Entgeltgenehmigungsverfahren in der Regel
nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten zur Überprüfung der von dem regulier-
ten Unternehmen vorgelegten Kostenunterlagen haben, da ihnen diese zum
Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen nur mit umfangreichen
Schwärzungen zugänglich gemacht werden müssen. Auch ist ohne weiteres
davon auszugehen, dass es den Wettbewerbern durch das Erfordernis, Rück-
stellungen für den Fall einer Nachzahlung zu bilden und die hierfür entstehen-
den Kosten bei der Kalkulation der eigenen Endkundenpreise zu berücksichti-
gen, erschwert wird, wettbewerbsfähige Angebote zu erstellen.
Auf der anderen Seite darf jedoch nicht übersehen werden, dass den finanziel-
len Belastungen, denen die Wettbewerber durch die Entgeltnachforderungen
des regulierten Unternehmens ausgesetzt sind, zunächst der wirtschaftliche
Vorteil einer teilweisen Vorfinanzierung der gewährten Leistungen durch das
marktbeherrschende Unternehmen gegenübersteht (vgl. BVerwG, Urteil vom
21. Januar 2004 - 6 C 1.03 - BVerwGE 120, 54 <66>). Da die Bundesnetzagen-
tur nicht nur die genehmigten Entgelte (vgl. § 35 Abs. 6 TKG in der hier noch
anwendbaren Fassung; jetzt: § 35 Abs. 7 TKG), sondern auch die beantragten
Entgelte veröffentlichen muss (vgl. § 36 Abs. 2 TKG), werden die Wettbewerber
zudem bei der Inanspruchnahme der Leistungen in der Regel Kenntnis davon
haben, dass die von dem marktbeherrschenden Unternehmen beantragten
Entgelte nur teilweise genehmigt worden sind, so dass sie bei ihren Planungen
mit der Möglichkeit einer Erhöhung in Folge eines Klageverfahrens rechnen
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- 65 -
müssen (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2012 - 6 C 3.11 - BVerwGE 143, 87
Rn. 61). Bei dem Erfordernis, Rückstellungen für den Fall einer durch das
marktbeherrschende Unternehmen im Klagewege erstrittenen Genehmigung
höherer Entgelte zu bilden, handelt es sich nicht um einen einseitigen Nachteil
der Wettbewerber; denn auch das regulierte Unternehmen muss gegebenen-
falls Rückstellungen für den Fall bilden, dass seine Verpflichtungsklage nach
vorheriger Zahlungsanordnung gemäß § 35 Abs. 5 Satz 2 TKG erfolglos bleibt
oder das von der Bundesnetzagentur genehmigte Entgelt auf eine erfolgreiche
Anfechtungsklage eines Wettbewerbers abgesenkt wird.
Dem öffentlichen Interesse an der Förderung und Sicherung chancengleichen
und funktionsfähigen Wettbewerbs wird in erster Linie durch die Pflicht des
marktbeherrschenden Unternehmens Rechnung getragen, die Entgelte für die
mit der Zugangsgewährung verbundenen Leistungen genehmigen zu lassen.
Eine faktische Freistellung der Wettbewerber von der Pflicht zur Zahlung kos-
tendeckender Entgelte durch eine den Rechtsschutz des entgeltberechtigten
Unternehmens pauschal verkürzende Regelung wie § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3
TKG wird den Anforderungen an einen angemessenen Ausgleich der wider-
streitenden Interessen hingegen nicht mehr gerecht und führt zu einem unver-
hältnismäßigen Eingriff in die Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG).
In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob und gegebenenfalls inwieweit
der Gesetzgeber den Rechtsschutz des entgeltregulierten Unternehmens ohne
Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz be-
grenzen dürfte, um dem in der Gesetzesbegründung genannten Fall Rechnung
zu tragen, dass entgeltverpflichtete Wettbewerber aufgrund von Nachzahlun-
gen, die bei einer Verpflichtung der Beklagten zur rückwirkenden Genehmigung
höherer Entgelte fällig werden, „in eine existenzbedrohende Situation gelangen"
(BT-Drs. 15/2316, S. 70). Beschränkungen der gerichtlichen Durchsetzbarkeit
eines dem regulierten Unternehmen zustehenden Entgeltgenehmigungsan-
spruchs zur Förderung des chancengleichen und funktionsfähigen Wettbewerbs
sind jedenfalls dann unangemessen, wenn nicht nur besonders schutzbedürfti-
ge Unternehmen, etwa solche, die neu in den Markt eintreten, begünstigt wer-
den, sondern auch solche, die durch die Nachzahlungspflichten bzw. die erfor-
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107
- 66 -
derlichen Rückstellungskosten nicht empfindlicher getroffen werden als das re-
gulierte Unternehmen durch eine ihm auferlegte Pflicht zur Leistungserbringung
zu nicht kostendeckenden Konditionen (vgl. Berger-Kögler/Cornils, in: Geppert/
Schütz, Beck'scher TKG-Kommentar, 4. Aufl. 2013, § 35 Rn. 136; Höffler, in:
Arndt/Fetzer/Scherer, TKG 2008, § 35 Rn. 48). Dass etwa die Klägerin auf dem
bundesweiten Markt für Anrufzustellung in ihr Mobiltelefonnetz über beträchtli-
che Marktmacht verfügt, schließt nicht aus, dass sich unter ihren Abnehmern
vergleichbar finanzstarke Unternehmen befinden, die durch die asymmetrische
Regelung des § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG ebenfalls begünstigt werden (vgl.
Höffler, in: Arndt/Fetzer/Scherer, TKG 2008, § 35 Rn. 48). Mit der Befugnis des
Gesetzgebers zum Erlass generalisierender, typisierender und pauschalieren-
der Regelungen lässt sich dieser Mangel an Differenzierung nicht rechtfertigen.
Der Gesetzgeber darf sich im Rahmen der Typisierung zwar grundsätzlich am
Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch
Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Die gesetzlichen Verallgemeinerungen
müssen allerdings von einer möglichst breiten, alle betroffenen Gruppen und
Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtung ausgehen (vgl. hierzu
BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2010 - 2 BvL 13/09 - BVerfGE 126, 268
<278 f.>). Auf welche Erkenntnisse sich die der Regelung des § 35 Abs. 5
Satz 3 TKG möglicherweise zugrunde liegende Annahme des Gesetzgebers
stützt, die Wettbewerber eines marktbeherrschenden Unternehmens seien auch
beim inzwischen erreichten Stand der Entwicklung der Märkte im Telekommu-
nikationssektor zumindest typischerweise so finanzschwach, dass sie vor
Nachzahlungen geschützt werden müssten, die bei einer gerichtlichen Ver-
pflichtung der Bundesnetzagentur zur rückwirkenden Genehmigung höherer
Entgelte fällig würden, ist nicht erkennbar.
Die Angemessenheit des durch § 35 Abs. 5 Satz 3 TKG bewirkten Interessen-
ausgleichs lässt sich auch nicht damit begründen, dass die Regelung den ent-
geltverpflichteten Wettbewerbern das Risiko auferlegt, im Falle einer stattge-
benden Eilentscheidung aufgrund nur summarischer Prüfung vorläufig ein Ent-
gelt entrichten zu müssen, das sich nachträglich im Hauptsacheverfahren als zu
hoch erweist (so z.B. Groebel, in: Säcker , TKG-Kommentar, 3. Aufl.
2013, § 35 Rn. 83). Dieses Risiko fällt gemessen an den dem regulierten Un-
108
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ternehmen auferlegten Belastungen nicht erheblich ins Gewicht. Wie bereits
ausgeführt, können die Wettbewerber aufgrund einer stattgebenden Eilent-
scheidung geleistete Überzahlungen nach Abschluss des Hauptsacheverfah-
rens zurückfordern, während das regulierte Unternehmen bei ablehnender Eil-
entscheidung einen (höheren) Entgeltanspruch nicht mehr durchsetzen kann.
Die in § 35 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 TKG vorgesehene Freistellung des regulier-
ten Unternehmens von der nach allgemeinen Grundsätzen für den Erfolg eines
Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung an sich erforderlichen Darle-
gung eines Anordnungsgrundes rechtfertigt ebenfalls keine andere Beurteilung.
Eine Vereinfachung der Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes ist hier-
mit nicht verbunden. Denn der Anordnungsgrund, d.h. die Unzumutbarkeit eines
Abwartens der Hauptsacheentscheidung, folgt bereits aus der in § 35 Abs. 5
Satz 3 TKG vorgesehenen Verknüpfung von Genehmigungsrückwirkung und
Ausgang des Eilverfahrens (vgl. Berger-Kögler/Cornils, in: Geppert/Schütz,
Beck'scher TKG-Kommentar, 4. Aufl. 2013, § 35 Rn. 116; Gramlich, in: Heun,
Handbuch Telekommunikationsrecht, 2. Aufl. 2007, Teil 2 I, Rn. 92). Soweit ei-
ne vorläufige gerichtliche Zahlungsanordnung nicht ergeht, kann die Klage in
der Hauptsache trotz materiellen Anspruchs auf Genehmigung eines höheren
Entgelts keinen Erfolg mehr haben. In einer solchen Situation, in der bei einer
Nichtgewährung von Eilrechtsschutz eine endgültige Vereitelung des materiel-
len Anspruchs droht, ist der Anordnungsgrund durch die Bejahung des Anord-
nungsanspruchs indiziert (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. September
2009 - 1 BvR 1702/09 - NVwZ-RR 2009, 945 <947>). § 35 Abs. 5 Satz 2 TKG
hat demnach nur klarstellende Bedeutung, soweit er die Darlegung eines An-
ordnungsgrundes für entbehrlich erklärt.
b) Die Regelung des § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG verletzt zugleich die Berufs-
freiheit des regulierten Unternehmens gemäß Art. 12 Abs. 1 GG.
Ebenso wie die Entgeltgenehmigungspflicht greift auch der Ausschluss der
Rückwirkung einer auf ein Verpflichtungsurteil hin erteilten Genehmigung eines
höheren Entgelts in das von der Berufsausübungsfreiheit umfasste Recht des
regulierten Unternehmens ein, das Entgelt für berufliche Leistungen mit dem
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- 68 -
Interessenten auszuhandeln (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. Dezember
2011 - 1 BvR 1932/08 - NVwZ 2012, 694 <697 f.>, Beschluss vom 23. Oktober
2013 - 1 BvR 1842/11, 1843/11 - BVerfGE 134, 204 ff.; BVerwG, Urteile vom
21. Januar 2004 - 6 C 1.03 - BVerwGE 120, 54 <68>, vom 9. Mai 2012 - 6 C
3.11 - BVerwGE 143, 87 Rn. 34 und vom 25. September 2013 - 6 C 13.12 -
BVerwGE 148, 48 Rn. 39).
Dieser Eingriff ist nicht gerechtfertigt. Zwar verfolgt die Regulierung der Tele-
kommunikationsmärkte nach dem 2. Teil des Telekommunikationsgesetzes ins-
besondere mit dem Schutz der Verbraucherinteressen und der Sicherstellung
chancengleichen Wettbewerbs (vgl. §§ 1 und 2 Abs. 2 TKG) gewichtige Ge-
meinwohlziele. Wird einem marktbeherrschenden Unternehmen eine Entgelt-
genehmigungspflicht auferlegt, ist dies daher im Hinblick auf das Grundrecht
aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden. Dabei ist insbesondere zu berück-
sichtigen, dass dem regulierten Unternehmen angesichts des Maßstabs der
Kosten der effizienten Leistungserbringung nach § 31 Abs. 1 Satz 1 TKG in der
hier noch anwendbaren Fassung (jetzt: § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG) kein fi-
nanzielles Sonderopfer zu Gunsten der Allgemeinheit auferlegt wird (BVerfG,
Kammerbeschluss vom 8. Dezember 2011 - 1 BvR 1932/08 - NVwZ 2012, 694
<698>). Der in § 35 Abs. 5 Satz 3 TKG geregelte Ausschluss der Rückwirkung
der Genehmigung eines höheren Entgelts, die auf ein Verpflichtungsurteil hin
erteilt wird, schränkt das regulierte Unternehmen jedoch unverhältnismäßig in
seiner Berufsausübungsfreiheit ein. Er führt - wie ausgeführt - dazu, dass das
entgeltberechtigte Unternehmen seinen Anspruch auf rückwirkende Genehmi-
gung eines höheren Entgelts ohne eine - praktisch kaum erreichbare - stattge-
bende Eilentscheidung gerichtlich nicht durchsetzen kann. Im Ergebnis wird das
regulierte Unternehmen durch die Beschränkung der Rückwirkung daran gehin-
dert, die dem Maßstab der Kosten der effizienten Leistungserbringung entspre-
chenden Entgelte zu erheben. Es muss damit über die Entgeltgenehmigungs-
pflicht hinaus ein finanzielles Sonderopfer zu Gunsten derjenigen Wettbewerber
112
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erbringen, die die regulierte Leistung in Anspruch nehmen. Dies ist aus den be-
reits dargelegten Gründen unverhältnismäßig.
Neumann
Dr. Graulich
Dr. Möller
Hahn
Prof. Dr. Hecker