Urteil des BVerwG vom 26.11.2014

Erde, Sperrfrist, Neuheit, Serie

BVerwGE: ja
Fachpresse: ja
Sachgebiet:
Rundfunkrecht einschl. Recht der Rundfunkanstalten, Filmrecht
einschl. Filmförderungsrecht, Presserecht und Recht der neuen
Medien
Rechtsquelle/n:
FFG 2004 §§ 15, 16, 17, 18, 19, 22, 24, 25, 26, 28 Abs. 1,
§§ 29, 30
VwVfG §§ 48, 49, 49a Abs. 1
Titelzeile:
Keine Anwendbarkeit der Sperrfristenregelung des § 30 FFG
2004 bei fehlender Neuheit eines Films zum Zeitpunkt seiner
regulären Erstaufführung
Stichwort/e:
Auswerten eines Films; Auszahlungsbescheid; Förderungsbescheid; Geförderter
Film; Neuheit des Films; Neuer Film; Referenzfilm; Referenzfilmförderung;
Reguläre Erstaufführung; Rückforderung von Förderungsmitteln;
Zuerkennungsbescheid.
Leitsatz/-sätze:
Ein mit Referenzfilmförderungsmitteln neu herzustellender Film unterfällt nur
dann als geförderter Film der Sperrfristenregelung des § 30 FFG 2004, wenn er
zum Zeitpunkt seiner regulären Erstaufführung im Kino noch neu ist.
Urteil des 6. Senats vom 26. November 2014 - BVerwG 6 C 12.13
I. VG Berlin vom 22. November 2011
Az: VG 21 K 9.10
II. OVG Berlin-Brandenburg vom 5. Juni 2013
Az: OVG 6 B 13.12
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 6 C 12.13
OVG 6 B 13.12
Verkündet
am 26. November 2014
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 26. November 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Graulich, Dr. Möller, Hahn und
Prof. Dr. Hecker
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Ober-
verwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. Juni 2013
wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
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G r ü n d e :
I
Die Klägerin ist eine Gesellschaft, die sich mit der Entwicklung, der Finanzie-
rung, der Produktion und dem Vertrieb von Kino- und Fernsehfilmen befasst.
Sie wendet sich dagegen, dass die beklagte Filmförderungsanstalt einen Be-
scheid über die Auszahlung von Referenzfilmförderungsmitteln, die der Klägerin
unter Bezug auf den Film „Deep Blue“ zuerkannt worden waren und von ihr für
die Herstellung des Films „Unsere Erde“ zu verwenden waren und verwandt
wurden, unter Verweis auf eine Verletzung der gesetzlichen Sperrfrist aufgeho-
ben und die ausgezahlten Mittel zurückgefordert hat.
Den Naturdokumentationsfilm „Deep Blue“ produzierte die Klägerin zusammen
mit der BBC Worldwide Limited (BBCW), die eine Tochtergesellschaft der Bri-
tish Broadcasting Corporation (BBC) und von dieser mit der kommerziellen
Verwertung ihrer Rechte betraut ist. Mit Bescheid vom 31. März 2005 erkannte
die Beklagte der Klägerin als Referenzfilmförderung unter Bezug auf den Film
„Deep Blue“ einen Zuschuss in Höhe von 668 373,47 € für den nach § 28
Abs. 1 FFG vorrangigen Verwendungszweck der Finanzierung der Herstel-
lungskosten neuer programmfüllender Filme im Sinne der §§ 15 und 16 FFG
binnen zwei Jahren zu.
Am 11. Januar 2005 schlossen die BBCW und die Klägerin einen Koprodukti-
onsvertrag zur Herstellung eines weiteren Naturdokumentationsfilms mit dem
vorläufigen Arbeitstitel „Planet Earth - the Movie“. Diese vertragliche Grundlage
für die Entstehung des später in Deutschland als „Unsere Erde“ betitelten Films
ging davon aus, dass die Herstellung des Films mit der Produktion einer Fern-
sehserie mit dem Titel „Planet Earth“ durch die BBC verknüpft war. Es war fest-
gelegt, dass das Bildmaterial für den Film aus einem Pool entnommen werden
sollte, dessen Bestimmung zugleich in der Sammlung des Materials für die
Fernsehserie bestand. Die BBC war für die Produktion der Aufnahmen verant-
wortlich und hatte den Film an die BBCW und die Klägerin zu liefern. Die Fern-
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sehserie „Planet Earth“ wurde im Februar 2006 in Großbritannien ausgestrahlt.
Anfang Mai 2007 war der Film „Unsere Erde“ mit einem Anteil von nicht in der
Fernsehserie enthaltenem Filmmaterial von ca. 30 % fertiggestellt.
Am 27. Juni 2005 beantragte die Klägerin die Auszahlung der für den Film
„Deep Blue“ zuerkannten Referenzfilmförderungsmittel zur Finanzierung des
neuen programmfüllenden Films „Unsere Erde“. Auf diesen Antrag hin beschied
die Beklagte die Klägerin unter dem 29. Juli 2005 dahingehend, dass der mit
dem Bescheid vom 31. März 2005 unter Bezug auf den Film „Deep Blue“ zuer-
kannte Betrag von 668 373,47 € in fünf Raten entsprechend dem Fortschritt der
Herstellung des neuen Films „Unsere Erde“ - die letzte Rate nach Prüfung der
Schlusskosten und der Schlussfinanzierung - ausgezahlt werde. Zur Finanzie-
rung der Herstellungskosten dieses neuen programmfüllenden deutschen Films
seien die Fördermittel in vollem Umfang und unverzüglich zu verwenden. Am
7. Februar 2008 wurde der Film „Unsere Erde“ in den deutschen Kinos regulär
erstaufgeführt.
Folgen der von der BBC, Discovery Channel und NHK in Zusammenarbeit mit
dem Bayerischen Rundfunk (BR) und dem Westdeutschen Rundfunk (WDR)
hergestellten Fernsehserie „Planet Erde“, der deutschen Fassung der Serie
„Planet Earth“, wurden in dem Zeitraum vom 4. September 2006 bis Anfang
April 2007 und damit bereits vor Fertigstellung sowie regulärer Erstaufführung
des Films „Unsere Erde“ von der ARD und in anderen Programmen ausge-
strahlt. In unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Start des Films in
den deutschen Kinos und auch in der darauf folgenden Zeit wurden Folgen der
Fernsehserie in verschiedenen Programmen aufgeführt.
Mit dem hier streitgegenständlichen, auf § 30 Abs. 6 FFG gestützten Bescheid
vom 10. April 2008 hob die Beklagte ihren Bescheid vom 29. Juli 2005 über die
Auszahlung von Referenzfilmförderungsmitteln für die Herstellung des Films
„Unsere Erde“ auf und forderte von der Klägerin die Rückzahlung der bis dahin
in Höhe von 550 000 € ausgezahlten Mittel. Der Film „Unsere Erde“ sei am
7. Februar 2008 im Kino gestartet, sei jedoch in Teilen bereits an diversen Ter-
minen zuvor und damit unter Nichteinhaltung der in § 30 Abs. 1 Nr. 4 FFG vor-
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gesehenen Sperrfrist von 24 Monaten ab regulärer Erstaufführung in Form der
Fernsehserie „Planet Erde“ im nicht verschlüsselten Fernsehen ausgestrahlt
worden. Die Fernsehserie enthalte in großen Teilen Bilder, die mit denjenigen
des Kinofilms identisch seien. Unter dem 11. September 2008 wies die Beklag-
te den Widerspruch der Klägerin gegen den Aufhebungs- und Rückforderungs-
bescheid vom 10. April 2008 zurück und lehnte deren hilfsweise gestellten An-
trag ab, nach § 30 Abs. 7 FFG von Maßnahmen nach § 30 Abs. 6 FFG abzuse-
hen.
Auf die Klage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht den Aufhebungs- und
Rückforderungsbescheid vom 10. April 2008 aufgehoben: Eine nach § 30
Abs. 6 FFG zu sanktionierende Sperrfristverletzung der Klägerin läge selbst
dann nicht vor, wenn man die Fernsehserie „Planet Erde“ als Teil des Kinofilms
„Unsere Erde“ ansähe. Denn die Ausstrahlung der Fernsehserie als - unterstell-
ter - Teil des Films sei nicht im Sinne des § 30 Abs. 1 FFG als ein Auswerten
durch die Klägerin oder ein ihr zuzurechnendes Auswertenlassen zu qualifizie-
ren. Eine relevante Form der Auswertung sei nur gegeben, wenn der Förde-
rungsempfänger die Verwertungsrechte an dem betreffenden Film besitze und
diese entweder selbst auswerte oder an einen Dritten zur Auswertung weiterrei-
che. Eine solche Fallgestaltung sei hier nicht gegeben. Die Klägerin sei nicht
Herstellerin der Fernsehserie „Planet Erde“ und es gebe keinen Anhalt dafür,
dass sie infolge der mit der Herstellung des Films „Unsere Erde“ erworbenen
Verwertungsrechte berechtigt gewesen wäre, auf die Auswertung der Fernseh-
serie Einfluss zu nehmen.
Die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht durch das ange-
fochtene Urteil zurückgewiesen: Es könne dahinstehen, ob § 30 Abs. 6 FFG mit
dem in ihm enthaltenen Begriff des Förderungsbescheids überhaupt zur Aufhe-
bung eines Auszahlungsbescheids und nicht nur eines Zuerkennungsbescheids
ermächtige. Denn für eine Aufhebung des Auszahlungsbescheids vom 29. Juli
2005 fehle es jedenfalls an der erforderlichen Sperrfristverletzung. Durch die
Ausstrahlung der Fernsehserie „Planet Erde“ seien der Film „Unsere Erde“ oder
Teile desselben deshalb nicht im Sinne von § 30 Abs. 1 FFG ausgewertet wor-
den, weil der Film zur Zeit der Produktion und auch der erstmaligen Ausstrah-
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lung der Fernsehserie noch gar nicht existiert habe, sondern im Gegenteil die
Fernsehserie zeitlich vor dem Film hergestellt worden sei. Für die Auswertung
eines Films sei jedoch dessen Existenz begriffsnotwendig. Entsprechend sei die
Vorschrift des § 30 Abs. 1 FFG nach ihrem eindeutigen Wortlaut zu verstehen,
zumal die dort geregelten Sperrfristen erst mit der regulären Erstaufführung des
Films in den deutschen Kinos zu laufen begännen. Dem Umstand, dass im vor-
liegenden Fall das Bildmaterial von Anfang an sowohl für den Film als auch für
die Fernsehserie angefertigt worden sei, komme keine maßgebliche Bedeutung
zu. Denn dieses Material habe noch nicht den Film ausgemacht. So enthalte
auch die Fernsehserie nicht Teile des Films, sondern der Film bestehe über-
wiegend aus Teilen der zuvor produzierten Fernsehserie. Mithin hätten weder
die Ausstrahlungen der Fernsehserie vor der regulären Erstaufführung des
Films noch diejenigen danach Sperrfristverletzungen dargestellt. Eine Identität
von Film und Fernsehserie bestehe nicht. Zwar enthalte der Film zu ca. 70 %
Bildmaterial, das auch in der Fernsehserie verwandt worden sei. Die Serie be-
stehe mit ihrer Gesamtlaufzeit von über acht Stunden aber weit überwiegend
aus Material, das nicht Bestandteil des 99 Minuten dauernden Films sei. Eine
Produktion, die nur zu einem Anteil von etwa einem Siebtel Material verwende,
das auch Gegenstand eines Films sei, stelle nicht lediglich eine andere Schnitt-
fassung desselben Films dar. Bei dieser Sachlage sei es ohne Belang, inwie-
weit Thema und Handlung von Film und Fernsehserie übereinstimmten. Es sei
schließlich nichts dafür ersichtlich, dass Vertragskonstruktion und Produktions-
reihenfolge gewählt worden seien, um die Sperrfristenregelungen zu umgehen
bzw. eine Förderung der nicht förderfähigen Fernsehserie zu erreichen. Eine
Umdeutung des angefochtenen Bescheids in einen Rücknahme- oder Wider-
rufsbescheid nach § 48 bzw. § 49 VwVfG scheitere jedenfalls daran, dass es an
der nach diesen Vorschriften erforderlichen Ermessensausübung der Beklagten
fehle.
Die Beklagte macht mit ihrer von dem Oberverwaltungsgericht zugelassenen
Revision geltend: Eine Sperrfristverletzung nach § 30 Abs. 1 FFG komme nicht
nur dann in Betracht, wenn der geförderte Film zum Zeitpunkt der erstmaligen
Auswertung durch Darbietung aus ihm entnommenen Materials bereits existiert
habe. Vielmehr seien auch weitere Auswertungen nach der regulären Erstauf-
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führung des Films innerhalb der laufenden Sperrfrist relevant. Wiederholungen
von Folgen der Serie in der seit der regulären Erstaufführung des Films am 7.
Februar 2008 laufenden Sperrfrist seien deshalb als fristverletzende Auswer-
tungen zu bewerten. Der Wortlaut des § 30 Abs. 1 FFG biete für das von dem
Oberverwaltungsgericht zu Grunde gelegte Verständnis der Auswertung des
Films als physische Entnahme von Material aus diesem und die Annahme einer
Erschöpfungs- bzw. Verbrauchswirkung der erstmaligen Auswertung keinen
Anhalt. Maßgeblich sei nach dem Wortlaut nur, ob eine Auswertung des geför-
derten Films oder von Teilen desselben überhaupt - und damit gegebenenfalls
auch in Gestalt einer Wiederholung - während des Laufs der Sperrfrist stattge-
funden habe. Gesetzessystematisch habe der Gesetzgeber die Fälle einer von
ihm für geboten erachteten Einschränkung der Sperrfristenregelung in § 30
Abs. 5 und 9 FFG geregelt. Nach ihrem Sinn und Zweck solle die Sperrfristen-
regelung die vorrangige Auswertung von geförderten Filmen im Kino generell
und damit auch in der hier gegebenen Konstellation sicherstellen.
Das sowohl für den Film „Unsere Erde“ als auch für die Fernsehserie „Planet
Erde“ zur Verfügung stehende Bildmaterial sei im Wege einer Gemeinschafts-
produktion für Film und Serie entstanden und sei bereits zu dem von dem
Oberverwaltungsgericht als entscheidend erachteten Zeitpunkt der erstmaligen
Ausstrahlung der Fernsehserie im September 2006 vollständig hergestellt ge-
wesen. Mithin habe bereits zu diesem Zeitpunkt auch das später für den geför-
derten Film verwandte Bildmaterial als Teil desselben existiert. Teile dieses Ma-
terials seien schon durch die erste Ausstrahlung der Fernsehserie ausgewertet
worden und dies in einer von § 30 Abs. 1 FFG erfassten Weise, weil in der Se-
rie 70 % des Bildmaterials des später erstaufgeführten Films gezeigt worden
seien. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts sei entscheidend
in welchem Maß der geförderte Film durch Ausstrahlung der Fernsehserie aus-
gewertet worden sei, und nicht, was die Serie im Vergleich zum Film Zusätzli-
ches enthalte. Das Oberverwaltungsgericht habe gegen den Überzeugungs-
grundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen und sei seiner Aufklä-
rungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO nicht nachgekommen, weil es die bei den
Akten befindlichen Bildträger mit dem Film „Unsere Erde“ und der Fernsehserie
„Planet Erde“ nicht in Augenschein genommen habe.
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Die Klägerin verteidigt das Berufungsurteil: Die Tatbestandsmerkmale des § 30
Abs. 1 und 6 FFG seien wegen der Bedeutung der Vorschrift für grundrechtlich
geschützte Betätigungen eng auszulegen. Deshalb verbiete sich eine erwei-
ternde Auslegung des Begriffs des geförderten Films, die zur Erfassung einer
ein aliud darstellenden Fernsehserie führe. Ebenso wenig unterfalle ein Aus-
zahlungsbescheid dem Begriff des Förderungsbescheids. Ferner bezögen sich
die Sperrfristenregelungen nur auf bereits erstaufgeführte Filme.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält die
Revision der Beklagten für begründet: Das Oberverwaltungsgericht habe ver-
kannt, dass die Sperrfristen des § 30 Abs. 1 FFG bereits und erst recht vor Fer-
tigstellung des geförderten Films einzuhalten seien.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Oberverwaltungsge-
richt hat die Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil
des Verwaltungsgerichts jedenfalls im Ergebnis im Einklang mit Bundesrecht
zurückgewiesen (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der Aufhebungs- und Rückforderungs-
bescheid der Beklagten vom 10. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbe-
scheids vom 11. September 2008 kann nach dem im vorliegenden Fall allein
maßgeblichen revisiblen Recht weder unter dem Gesichtspunkt einer Sperrfrist-
verletzung (1.) noch unter demjenigen einer Verfehlung der Förderungsvoraus-
setzungen (2.) auf eine tragfähige Rechtsgrundlage gestützt werden.
1. Der angefochtene Bescheid wird durch die Rechtsgrundlage des § 30 Abs. 6
des Gesetzes über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films (Filmförde-
rungsgesetz - FFG) in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung
vom 24. August 2004 (BGBl. S. 2277) nicht getragen. Nach dieser Vorschrift ist
bei einer Verletzung von Sperrfristen der Förderungsbescheid zu widerrufen
oder zurückzunehmen; bereits ausgezahlte Fördermittel sind zurückzufordern.
Die Sperrfristen als solche sind in § 30 Abs. 1 FFG ausgeformt. Danach darf
derjenige, der Referenzfilm-, Projektfilm- oder Absatzförderungsmittel nach dem
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Filmförderungsgesetz in Anspruch nimmt, den geförderten Film oder Teile des-
selben zum Schutz der einzelnen Verwertungsstufen vor Ablauf der in den
Nummern 1 bis 4 der Vorschrift umschriebenen Sperrfristen weder durch Bild-
träger im Inland oder in deutscher Sprachfassung im Ausland noch im Fernse-
hen oder in sonstiger Weise auswerten lassen oder auswerten. Nach § 30
Abs. 1 Nr. 1 FFG beträgt die Sperrfrist für die Bildträgerauswertung sechs Mo-
nate nach Beginn der regulären Filmtheaterauswertung im Inland (reguläre
Erstaufführung). Die Sperrfrist für die Auswertung durch nicht verschlüsseltes
Fernsehen beträgt gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 4 FFG 24 Monate nach regulärer
Erstaufführung.
Zwar stellt ein Bescheid, der wie die Verfügung der Beklagten vom 29. Juli 2005
die Auszahlung zuvor zuerkannter Referenzfilmförderungsmittel und deren
Zweckbestimmung für die Herstellung eines neuen Films regelt, ebenso einen
Förderungsbescheid im Sinne des § 30 Abs. 6 FFG dar, wie es sich bei einem
neuen Film um einen geförderten Film im Kontext des § 30 Abs. 1 FFG handelt
(a). Gleichwohl findet der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom
10. April 2008 in § 30 Abs. 6 FFG keine Stütze. Die Beklagte sieht diesen Be-
scheid nicht dadurch gerechtfertigt, dass der Film „Unsere Erde“ als solcher
unter Verletzung der Sperrfrist von 24 Monaten nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 FFG im
Fernsehen gesendet worden wäre. Entsprechende Feststellungen gibt es nicht.
Die Beklagte will vielmehr den Umstand sanktioniert wissen, dass die Fernseh-
serie „Planet Erde“, die sie für identisch mit dem Film „Unsere Erde“ bzw. zu-
mindest mit Teilen desselben hält, bereits vor der regulären (Kino-) Erstauffüh-
rung des Films am 7. Februar 2008 ausgestrahlt und danach innerhalb eines
der Sperrfrist entsprechenden Zeitraums wiederholt worden ist. Diese Fernseh-
ausstrahlungen der Serie stellen jedoch auch dann keine Sperrfristverletzungen
dar, wenn man mit der Beklagten - und insoweit auch deren in diesem Zusam-
menhang erhobene Verfahrensrügen erledigend - von einer (Teil-) Identität von
Film und Fernsehserie ausgeht. Denn geförderter Film und damit Objekt des
durch die Sperrfristen des § 30 Abs. 1 FFG gewährten Schutzes wie auch einer
Sanktion nach § 30 Abs. 6 FFG im Fall einer Sperrfristverletzung kann ein Film,
für dessen Neuheit Referenzfilmförderungsmittel ausgezahlt worden sind, nur
dann sein, wenn er als ein neuer und nicht als ein schon gezeigter und deshalb
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bereits vorhandener Film in die Kinos kommt. Ein Film, der vor seiner Erstauf-
führung in den Kinos schon anderweitig verwertet worden ist, hat bereits die
von § 28 Abs. 1 FFG geforderte Neuheit als Voraussetzung der Referenzfilm-
förderung verfehlt und unterfällt deshalb nicht der Sperrfristenregelung, sondern
allein den Vorschriften, die auch sonst bei anfänglichem Fehlen oder späterem
Wegfall von Förderungsvoraussetzungen anzuwenden sind (b).
a) Der von der Beklagten unter dem 29. Juli 2005 erlassene Auszahlungsbe-
scheid, der bestimmte, dass die mit dem Zuerkennungsbescheid vom 31. März
2005 zugesagten Referenzfilmförderungsmittel für die Finanzierung der Herstel-
lungskosten des neuen Films „Unsere Erde“ zu verwenden waren, ist - jeden-
falls auch und unabhängig von einer entsprechenden Qualifikation des Zuer-
kennungsbescheids - ein Förderungsbescheid im Sinne des § 30 Abs. 6 FFG.
Dies ergibt sich spiegelbildlich aus dem Umstand, dass - jedenfalls auch und
unabhängig von einer entsprechenden Qualifikation des Referenzfilms - ein mit
Förderungsmitteln hergestellter neuer Film von dem Begriff des geförderten
Films gemäß § 30 Abs. 1 FFG erfasst wird.
Der Kerngedanke der Referenzfilmförderung besteht darin, dass demjenigen
Filmhersteller, der bereits einen wirtschaftlich erfolgreichen programmfüllenden
Kinofilm - den Referenzfilm - produziert hat, zum vorrangigen Zweck der Her-
stellung eines neuen solchen Films eine Förderung in der Form eines Zuschus-
ses gewährt wird. Der Zuschuss wird zunächst nach §§ 24, 25 Abs. 1 FFG auf
einen entsprechenden Antrag des Filmherstellers hin durch einen Zuerken-
nungsbescheid in bestimmter Höhe zugesagt, wenn die Vorgaben der in § 22
FFG enthaltenen Referenzpunktregelungen erfüllt sind und der Referenzfilm
den in §§ 15, 16 und 18 FFG geregelten Kriterien genügt. Auf weiteren Antrag
hin ergeht als zweiter Verwaltungsakt ein Auszahlungsbescheid. Dieser
wird - anders als der Zuerkennungsbescheid - in § 25 FFG nicht ausdrücklich
erwähnt, jedoch von § 25 Abs. 3 Satz 1 FFG vorausgesetzt. Er bestätigt hier-
nach, dass die Förderungshilfen eine den Bestimmungen des Gesetzes ent-
sprechende Verwendung finden, wobei allerdings dieser Bestätigung nur eine
Schlüssigkeitsprüfung zu Grunde liegen kann, da die ausgezahlten Mittel erst in
der Folgezeit tatsächlich verwandt werden (vgl. zum Ganzen, wenn auch zu-
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meist auf neuere Gesetzesfassungen bezogen: Hertel/Müller/Schapiro, FFG,
1. Aufl. 2012, vor § 24 Rn. 1 ff., § 24 Rn. 18 ff., § 26 Rn. 1 ff.; v. Have, FFG,
2005, § 24 Rn. 3, § 25 Rn. 1 ff.; v. Have/Schwarz, in: v. Hartlieb/Schwarz,
Handbuch des Film-, Fernseh- und Videorechts, 5. Aufl. 2011, 117. Kapitel
Rn. 2 ff., 17 ff.).
Normgeschichtlich war es über Jahrzehnte erklärter Wille des Gesetzgebers,
einen speziellen filmförderungsrechtlichen Schutz für eine Filmauswertung im
Kino allein im Hinblick auf den Referenzfilm zu gewähren. So verpflichtete die
Ursprungsvorschrift des § 12 Abs. 1 des Gesetzes über Maßnahmen zur Förde-
rung des deutschen Films vom 22. Dezember 1967 (BGBl. I S. 1352) - FFG
1967 - den Filmhersteller, der den seinerzeit als Bestandteil der Referenzfilm-
förderung ausgereichten und nach § 10 Abs. 1 Satz 1 FFG 1967 für die Finan-
zierung neuer programmfüllender Filme zu verwendenden Grundbetrag nach
§ 8 FFG 1967 in Anspruch nahm, das ihm zustehende ausschließliche Inlands-
fernsehnutzungsrecht an dem Referenzfilm gegen Zahlung eines Entgelts für
begrenzte Zeit auf die Filmförderungsanstalt zu übertragen. Auch die Verwer-
tungs- bzw. Nutzungseinschränkung im Sinne einer Sperrfrist, durch die § 12
Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Maßnahmen zur Förde-
rung des deutschen Films vom 9. August 1971 (BGBl. I S. 1251) - FFG 1971 -
die vormalige Pflicht zur Rechteübertragung ersetzte, erfasste ebenfalls explizit
nur den Referenzfilm. Diese ausschließliche Ausrichtung der Sperrfristenrege-
lung auf den Referenzfilm wurde durch das Dritte Gesetz zur Änderung des
Filmförderungsgesetzes vom 6. August 1998 (BGBl. I S. 2046) - FFG 1999 -
beendet. Es verband in seinem § 30 Abs. 1 und 2 mit der Inanspruchnahme von
Referenzfilmförderungsmitteln die Verpflichtung des Filmherstellers, nicht nur
den Referenzfilm, sondern auch den neuen Film nicht vor Ablauf einer Sperrfrist
zur Auswertung durch Bildträger freizugeben oder das ihm zustehende aus-
schließliche Fernsehnutzungsrecht an diesen beiden Filmen nur mit der Maß-
gabe einer zu beachtenden Sperrfrist zu übertragen. In den Gesetzesmateria-
lien wurde für den Referenzfilm und für den neuen Film der Sammelbegriff des
geförderten Films verwandt (BT-Drs. 13/9695 S. 27). In deutlicher Anknüpfung
hieran und damit unter Beibehaltung des Bezugs auch auf den neuen Film defi-
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niert die hier anwendbare Fassung des § 30 Abs. 1 FFG als Schutzobjekt der
Sperrfristen den geförderten Film.
Dieser entstehungsgeschichtlich erreichte Regelungsstand der Einbezie-
hung - jedenfalls auch - des neuen Films in den Schutz der Sperrfristenregelung
wird aus Sicht der Systematik sowie des Sinn und Zwecks des Gesetzes bestä-
tigt. Denn die Bestimmung der Referenzfilmförderungsmittel liegt darin, dass sie
- obgleich mit Bezug auf den Referenzfilm zuerkannt - der Herstellung des neu-
en Films dienen. Gesetzessystematisch und teleologisch rechtfertigungsbedürf-
tig ist deshalb in erster Linie nicht der Sperrfristenschutz für den neuen Film,
sondern derjenige für den Referenzfilm, in dessen Herstellung Förderungsmittel
geflossen sein können, aber nicht geflossen sein müssen (vgl. v. Have, FFG,
2005, § 25 Rn. 11 und § 30 Rn. 1; Radmann, ZUM 2008, 197 <200>).
b) Die Beklagte durfte indes die Ausstrahlung der Fernsehserie „Planet Erde“
bereits vor der regulären Erstaufführung des Films „Unsere Erde“ am 7. Februar
2008 - und in Konsequenz dessen auch die Wiederholungen von Folgen der
Fernsehserie nach dem Kinostart des Films - selbst bei Annahme der von ihr
vertretenen (Teil-) Identität von Fernsehserie und Film nicht auf der Grundlage
des § 30 Abs. 6 FFG als Sperrfristverletzung sanktionieren. Denn der Film „Un-
sere Erde“ war unter Zugrundelegung der besagten Annahme bei seinem Start
in den Kinos nicht mehr neu und damit nicht (mehr) förderungsfähig. Nach dem
Wortlaut (aa), der Systematik (bb) sowie dem Sinn und Zweck (cc) der Sperr-
fristenregelung des § 30 FFG bildet die reguläre Erstaufführung die Grenze, die
im Rahmen der Referenzfilmförderung den Bereich der zu kontrollierenden För-
derungsvoraussetzungen - hier der Voraussetzung der Neuheit des Films - von
dem Schutz des förderungsfähigen und in diesem Sinne geförderten Films
durch die Sperrfristenregelung scheidet. Ein Film, der im Zeitpunkt seiner regu-
lären Erstaufführung im Kino nicht mehr neu ist, wird von der Sperrfristenrege-
lung nicht erfasst.
aa) Nach dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. Nr. 1 FFG beträgt die
Sperrfrist für die Auswertung eines Films durch nicht verschlüsseltes Fernsehen
24 Monate nach regulärer Erstaufführung, das heißt nach dem Beginn der regu-
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lären Filmtheaterauswertung im Inland. Sie beginnt demnach wie die Sperrfris-
ten generell mit dem Kinostart des Films und endet nach der bezeichneten Zeit-
spanne (vgl. Hertel/Müller/Schapiro, FFG, 1. Aufl. 2012, § 20 Rn. 5;
v. Have/Schwarz, in: v. Hartlieb/Schwarz, Handbuch des Film-, Fernseh- und
Videorechts, 5. Aufl. 2011, 116. Kapitel Rn. 18). Die Annahme, die Sperrfristen
könnten bereits vor ihrem Beginn verletzt werden, liegt trotz des Umstands fern,
dass § 30 Abs. 1 FFG Auswertungen „vor Ablauf“ der Sperrfristen untersagt.
Denn auf den Ablauf einer Frist kann nach dem Wortsinn nur abgestellt werden,
wenn ihr Lauf überhaupt begonnen hat. Für eine - wie auch immer einzugren-
zende - Vorwirkung der Sperrfristen findet sich im Wortlaut des Gesetzes kein
hinreichender Anhalt.
An diesem Befund ändert auch eine Berücksichtigung der weiteren normativen
Entwicklung der Sperrfristenregelung des Filmförderungsgesetzes nichts. Zwar
umschreibt der nunmehr einschlägige § 20 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes in sei-
ner Fassung durch das Siebte Gesetz zur Änderung des Filmförderungsgeset-
zes vom 7. August 2013 (BGBl. I S. 3082) - FFG 2014 - die Sperrfristen nicht
mehr mit Hilfe des Verbs „betragen“, sondern benutzt hierfür das Verb „enden“.
Hierdurch soll nach der Gesetzesbegründung klargestellt werden, dass eine
Sperrfristverletzung auch dann vorliege, wenn der Film oder Teile desselben
bereits vor der regulären Erstaufführung im Kino in einer der anderen Auswer-
tungsstufen ausgewertet worden seien (BT-Drs. 17/12370 S. 23). Diese Geset-
zesänderung hat jedoch auch im Sinne einer Klarstellung keinen rückwirkenden
Bezug.
bb) Nach der Gesetzessystematik stellt die Neuheit des Films eine Förderungs-
voraussetzung dar, die bis zum Zeitpunkt der regulären Erstaufführung des
Films gegeben sein muss. Erst danach greift der durch die Sperrfristenregelung
des § 30 FFG gewährte zusätzliche Auswertungsschutz für den zu diesem Zeit-
punkt zu Recht geförderten Film ein.
Gemäß § 28 Abs. 1 FFG besteht der vorrangige Verwendungszweck von Refe-
renzfilmförderungsmitteln in der Herstellung neuer programmfüllender Filme im
Sinne des § 15 oder des § 16 FFG. Die Neuheit der Filme, die in § 15 FFG ge-
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regelten Anforderungen im Hinblick auf ihren programmfüllenden Charakter,
ihre Hersteller, Regisseure, Sprachfassung, Produktions- und Aufführungsorte
und die in § 16 FFG vorgesehenen Bedingungen für förderungsfähige internati-
onale Koproduktionen stellen damit Voraussetzungen der Förderung dar. Hinzu
kommen etwa die Vorgaben des § 18 FFG für die Herstellung der Kopien, die in
§ 19 FFG aufgestellten inhaltlichen Maßstäbe und die in § 26 enthaltenen Maß-
gaben in finanzieller Hinsicht.
Die Förderungsfähigkeit des neuen Films nach diesen Voraussetzungen ist von
der Beklagten zunächst vor Erlass des Auszahlungsbescheids zu prüfen, dies
allerdings, wie bereits erwähnt, nur in Gestalt einer Schlüssigkeitsprüfung. Die-
se hat sich - soweit erforderlich unter Beachtung einer erteilten Bescheinigung
des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle nach § 17 FFG - darauf
zu erstrecken, dass die Förderungsmittel einem bestimmten, nach den genann-
ten Maßstäben förderungsfähigen Projekt zugeordnet werden und eine realisti-
sche Aussicht auf die Durchführung desselben besteht (Hertel/Müller/Schapiro,
FFG, 1. Aufl. 2012, § 26 Rn. 8 f., 19; § 28 Rn. 8 f., 27; v. Have/Schwarz, in:
v. Hartlieb/Schwarz, Handbuch des Film-, Fernseh- und Videorechts, 5. Aufl.
2011, 117. Kapitel Rn. 17 ff., 22; vgl. auch § 2 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie der
Beklagten für die Referenzfilmförderung). Erweist sich bereits zu diesem Zeit-
punkt, dass ein Film, für den die Auszahlung zuerkannter Förderungshilfen be-
antragt wurde, die Förderungsvoraussetzung der Neuheit nicht erfüllt, also be-
reits hergestellt (dazu: Hertel/Müller/Schapiro, a.a.O., § 26 Rn. 23;
v. Have/Schwarz, a.a.O., 116. Kapitel Rn. 8) oder sogar bereits gezeigt worden
ist, ist die Auszahlung nach § 25 Abs. 3 Satz 1, § 26 FFG zu versagen.
Mit der (Schlüssigkeits-) Prüfung der Förderungsfähigkeit vor Erlass des Aus-
zahlungsbescheids hat es nach der Systematik des Filmförderungsgesetzes
nicht sein Bewenden. Das Gesetz selbst sieht in § 29 Abs. 1 Satz 1 FFG für
einige besonders umschriebene Konstellationen, in denen sich erst später zeigt,
dass die Förderungsvoraussetzungen bei Erlass des Auszahlungsbescheids
nicht vorgelegen haben oder danach weggefallen sind, die Verpflichtung des
Filmherstellers zur Rückzahlung der Förderungshilfen vor. Diese Vorschriften
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werden - wie im Folgenden darzulegen sein wird - durch die allgemeinen Vor-
schriften der §§ 48 bis 49a VwVfG ergänzt und erweitert.
Es ist kein Gesichtspunkt ersichtlich, der in systematischer Hinsicht dafür spre-
chen könnte, dass das Filmförderungsgesetz in der hier anwendbaren Fassung
von den Voraussetzungen der Referenzfilmförderung allein die Neuheit des mit
Förderungsmitteln versehenen Films den Vorschriften über die Förderungskon-
trolle entzogen haben könnte, um sie stattdessen in den Anwendungsbereich
der Sperrfristenregelung einzugliedern. Die Sperrfristenregelung ist in ihrer
Ausgestaltung nicht darauf angelegt, den Verwendungszweck der Förderung im
Hinblick auf den entstehenden Film zu sichern. Sie befasst sich vielmehr damit,
den bereits entstandenen und zu Recht geförderten Film nach seiner regulären
Erstaufführung den einzelnen Stufen der sog. filmwirtschaftlichen Auswertungs-
kaskade zuzuordnen. Dies wird insbesondere deutlich an den in § 30 Abs. 2 bis
5 FFG enthaltenen differenzierten Bestimmungen über die Verkürzung der
Sperrfristen. Diese Vorschriften sind, jedenfalls was die verkürzte Frist als sol-
che anbelangt, vollständig auf die Zeit nach der regulären Erstaufführung des
jeweiligen Films ausgerichtet. Ein Zugriff auf die Zeit davor ist ausgeschlossen.
Auch § 30 Abs. 9 FFG, wonach eine geringfügige ausschnittsweise Nutzung
eines Films, insbesondere zu Werbezwecken, nicht als Sperrfristverletzung gilt,
spricht - soweit sie Werbeeinspielungen für demnächst erstaufgeführte Filme
betrifft - gegen eine Ausdehnung der Sperrfristenregelung auf die Zeit vor der
regulären Erstaufführung eines Films.
cc) Schließlich ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Sperrfristenregelung
des § 30 FFG, dass dieser nur Filme unterfallen, die zum Zeitpunkt ihrer regulä-
ren Erstaufführung noch neu und damit in ihrer Förderungsfähigkeit nicht beein-
trächtigt sind.
Die Sperrfristenregelung hat den Zweck, die sog. filmwirtschaftliche Auswer-
tungskaskade mit der für alle weiteren Nutzungen maßgeblichen Auswertung im
Kino an der Spitze zu schützen (BT-Drs. 10/5448 S. 13 und 15/1506 S. 24;
Hertel/Müller/Schapiro, FFG, 1. Aufl. 2012, § 20 Rn. 3; v. Have/Schwarz, in:
v. Hartlieb/Schwarz, Handbuch des Film-, Fernseh- und Videorechts, 5. Aufl.
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2011, 116. Kapitel Rn. 13; Radmann, ZUM 2008, 197 <198>). Sie will, wie es
dem vorrangigen Bezug sämtlicher Instrumente des Filmförderungsgesetzes
auf den Kinofilm entspricht (vgl. für die Filmabgabe nach §§ 66 ff. FFG:
BVerwG, Urteil vom 20. August 2014 - 6 C 15.13 - juris Rn. 28, 53), insbeson-
dere den wirtschaftlichen Erfolg des neuen - und deshalb förderungsfähigen -
Films im Kino sicherstellen und diesen deshalb gegen seine vorzeitige ander-
weitige Verwertung schützen. Nicht umfasst, sondern vorausgesetzt wird hier-
durch, dass der Film sich im Hinblick auf die Voraussetzung seiner Neuheit als
förderungsfähig erwiesen hat und diese Voraussetzung insbesondere nicht
durch eine anderweitige Verwertung vor der regulären Erstaufführung im Kino
entfallen ist. Denn für den von der Sperrfristenregelung bezweckten Schutz gibt
es kein Substrat mehr, wenn ein Film bei seiner regulären Erstaufführung nicht
mehr neu ist.
2. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 10. April 2008 kann in-
des selbst bei einer Übernahme der von der Beklagten vertretenen Annahme
einer (Teil-) Identität des Films „Unsere Erde“ mit der Fernsehserie „Planet Er-
de“ auch nicht unter Verweis auf eine Verfehlung der Förderungsvoraussetzung
der Neuheit des Films „Unsere Erde“ aufrechterhalten bleiben. Dieser Mangel
unterfällt keiner der in § 29 Abs. 1 Satz 1 FFG ausgeformten Rückforderungs-
vorschriften (a). Die Voraussetzungen der allgemeinen Regelungen der §§ 48
bis 49a VwVfG sind nicht erfüllt (b).
a) Die Tatbestände des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FFG (aa) und des § 29 Abs. 1
Satz 1 Nr. 4 FFG (bb), die aus dem Kreis der in § 29 Abs. 1 FFG enthaltenen
Rückzahlungsvorschriften für eine Anwendung im vorliegenden Fall allenfalls in
Betracht kommen, sind nicht erfüllt. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung der
Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang im Fall des Eingreifens einer
dieser Vorschriften für die in jedem Fall erforderliche Aufhebung des zu Grunde
liegenden Förderungsbescheids die §§ 48, 49 VwVfG ergänzend heranzuzie-
hen sind.
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aa) Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FFG ist der Filmhersteller zur Rückzahlung
von Förderungshilfen verpflichtet, wenn diese zur Finanzierung eines Films
verwendet worden sind, der den §§ 15, 16, 18 oder 19 FFG nicht entspricht.
Diese Vorschrift erfasst die hier in Rede stehende Konstellation bereits nach
ihrem Wortlaut nicht, weil die Förderungsvoraussetzung der Neuheit des Films,
wie bereits dargelegt, nicht in den in Bezug genommenen Bestimmungen der
§§ 15, 16, 18 oder 19 FFG, sondern in § 28 Abs. 1 FFG geregelt ist. Erst nach
der Fassung, die § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FFG durch das Fünfte Gesetz zur
Änderung des Filmförderungsgesetzes vom 22. Dezember 2008 (BGBl. I
S. 3000) - FFG 2009 - erhalten hat, besteht eine Verpflichtung zur Rückzahlung
von Förderungen, die zur Finanzierung eines Films verwandt worden sind, der
(den Voraussetzungen) des § 28 Abs. 1 FFG nicht entspricht.
bb) Gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 FFG trifft den Filmhersteller die Verpflich-
tung zur Rückzahlung der Förderungshilfen, wenn er den Nachweis über deren
zweckentsprechende Verwendung nicht erbracht hat.
Trotz des weiten Wortlauts dieser Norm kann ihr der vorliegende Fall aus sys-
tematischen und teleologischen Gründen nicht zugeordnet werden. In der Vor-
schrift spiegelt sich die von der Beklagten seit langem geübte (vgl. dazu:
BT-Drs. 16/10294 S. 33) und auch in dem Auszahlungsbescheid vom 29. Juli
2005 festgeschriebene Praxis wider, die Schlussrate einer Förderung erst nach
Vorlage des Verwendungsnachweises und nach Prüfung der Schlusskosten
sowie der Schlussfinanzierung auszuzahlen. Nur auf dieses regelmäßig erst
geraume Zeit nach der regulären Erstaufführung eines Films stattfindende Ver-
fahren, nicht aber auf bereits zuvor feststellbare Verletzungen von Förderungs-
voraussetzungen bezieht sich die Bestimmung. Hätte ihr der Gesetzgeber die
Bedeutung einer generalklauselartigen Rückzahlungsverpflichtung für jeden Fall
der materiellen Verfehlung des Förderungszwecks beimessen wollen, hätte es
daneben der weiteren, speziell ausgeformten Rückzahlungsvorschriften des
§ 29 Abs. 1 Satz 1 FFG nicht bedurft.
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b) Ist der Anwendungsbereich der in § 29 Abs. 1 Satz 1 FFG umschriebenen
Rückzahlungsverpflichtungen nicht betroffen, steht einem Rückgriff auf die all-
gemeinen Vorschriften der §§ 48 bis 49a VwVfG nichts entgegen. Für eine in
dieser Konstellation bestehende Sperrwirkung der Rückzahlungsvorschriften
des § 29 Abs. 1 Satz 1 FFG gibt es keinen Anhalt.
Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 10. April
2008 wird jedoch den Voraussetzungen nicht gerecht, die er für eine Aufhebung
des Auszahlungsbescheids vom 29. Juli 2005 - hier naheliegend nach § 49
VwVfG - hätte erfüllen müssen, ohne die wiederum ein Erstattungsverlangen
nach § 49a Abs. 1 Satz 1 VwVfG nicht durchdringen kann. Denn die Beklagte
hat jedenfalls ihr Aufhebungsermessen - nach § 49 Abs. 3 Satz 1 VwVfG - nicht
ausgeübt. Sie hat keine Ermessenserwägungen zu einer Aufhebung des Aus-
zahlungsbescheids wegen einer Verfehlung der Förderungsvoraussetzung der
Neuheit des Films angestellt. Die in dem Widerspruchsbescheid vom 11. Sep-
tember 2008 enthaltenen Ermessenserörterungen zu dem von der Klägerin ge-
stellten Antrag nach § 30 Abs. 7 FFG hatten einen vollständig anderen, gesetz-
lich festgelegten Bezug.
Ein Anwendungsfall für ein sog. intendiertes Ermessen, das bei der Aufhebung
von Subventionsbescheiden unter Berufung auf die haushaltsrechtlichen Grün-
de der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit regelmäßig anerkannt wird (BVerwG,
Urteile vom 16. Juni 1997 - 3 C 22.96 - BVerwGE 105, 55 <58> und vom 10.
Dezember 2003 - 3 C 22.02 - Buchholz 316 § 49 VwVfG Nr. 44 S. 20), ist hier
nicht gegeben. Es handelt sich vielmehr um einen komplexen Einzelfall, der
Überlegungen über die Auswirkungen einer Referenzfilmförderung an der
Schnittstelle von Kinofilm und Fernsehproduktion erfordert hätte. Die Ermes-
sensausübung der Beklagten hätte sich insbesondere auf den großen Zu-
schauererfolg des Films „Unsere Erde“ im Kino trotz oder aber gerade wegen
der Vorabausstrahlung der Fernsehserie „Planet Erde“ im Fernsehen und eine
etwaige Vertrauensposition der Klägerin aus dem Ablauf des Förderungsverfah-
rens - auch unter Berücksichtigung des Vorgängerprojekts „Deep Blue“ - bezie-
hen müssen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Neumann
Dr. Graulich
Dr. Möller
Hahn
Prof. Dr. Hecker
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren
auf 614 698,78 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 3 GKG).
Neumann
Dr. Graulich
Dr. Möller
Hahn
Prof. Dr. Hecker
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