Urteil des BVerwG vom 16.04.2014

Staat Und Kirche, Ethik, Religionsunterricht, Schüler

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 6 C 11.13
VGH 9 S 2180/12
Verkündet
am 16. April 2014
Zweigler
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 16. April 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller, Rothfuß, Hahn
und Prof. Dr. Hecker
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwal-
tungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 23. Januar
2013 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass der Beklagte zur Einrichtung des
Fachs Ethik an der Grundschule verpflichtet war.
Die Klägerin ist alleinsorgeberechtigte Mutter dreier nicht konfessionsgebunde-
ner Söhne. Im Februar 2010 befanden sich ein Sohn in der zweiten Klasse und
ein weiterer Sohn in der vierten Klasse der …-Grundschule in F.
Die Klägerin verlangte im Februar 2010 vom Kultusministerium die Einrichtung
des Fachs Ethik an der …-Grundschule. An der Schule gebe es kein adäquates
Ersatzfach für das Fach Religion. Sie habe ein Recht auf ethisch-moralische
Bildung ihrer Kinder. Die Benachteiligung ihrer Söhne aufgrund ihrer weltan-
schaulichen Gesinnung sei nicht verfassungsgemäß. Ethikunterricht solle
gleichberechtigt und parallel zum Religionsunterricht stattfinden.
Das Kultusministerium erwiderte, Ethik sei in höheren Klassen (7. oder 8. Klas-
se) weiterführender Schulen als eigenes Fach eingeführt, das dort von denjeni-
gen Schülern besucht werden müsse, die nicht am Religionsunterricht teilnäh-
men. So sei Sorge getragen, dass auch diese Schüler in der für sie bisweilen
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schwierigen Lebensphase der Pubertät ein Fach hätten, in dem sie über Grund-
fragen des menschlichen Lebens sprechen und nachdenken könnten. Obwohl
in den unteren Klassen Ethik nicht als eigenes Fach vorgesehen sei, seien die-
sem Fach entsprechende Unterrichtsinhalte dort dennoch Teil des Unterrichts.
Die moralisch-ethische Bildung und Erziehung gehöre zum pädagogischen
Kernauftrag der Schulen - auch der Grundschulen -, der fächerübergreifend
auszugestalten sei.
Die im April 2010 erhobene Klage blieb in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg. Der
Verwaltungsgerichtshof hat den zuletzt gestellten Antrag der Klägerin, festzu-
stellen, dass der Beklagte verpflichtet war, eine Rechtsverordnung nach § 100a
Abs. 3 BaWüSchulG zu erlassen, nach welcher Ethikunterricht an der Grund-
schule ab der ersten Klasse zu erteilen ist, für zulässig erachtet. Die Klägerin
verfüge über das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 43 Abs. 1 VwGO), da
ein weiterer Sohn von ihr ab dem Sommer 2013 die Grundschule besuchen
werde und insofern Wiederholungsgefahr gegeben sei. Der Klageantrag sei
aber unbegründet. Weder aus dem Grundgesetz, noch aus der Landesverfas-
sung oder aus der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte
und Grundfreiheiten lasse sich ein Anspruch auf Einrichtung des Fachs Ethik an
der Grundschule ableiten.
Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin vor, bei Fehlen eines schul-
fachlich verselbständigten Ethikunterrichts sei die ethisch-moralische Bildung
konfessionsloser Schüler nicht hinreichend gesichert. Im Vergleich zu konfes-
sionsgebundenen Schülern, die am Religionsunterricht teilnehmen könnten,
liege eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vor. Art. 7 Abs. 3 GG eröffne
den Religionsgemeinschaften Raum zur Unterrichtung ihres Bekenntnisses nur
deshalb, weil sie hiermit für den Staat die ethisch-moralische Bildung der Kinder
übernehmen und so eine staatliche Aufgabe erfüllen sollten. Vor dem Hinter-
grund der zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft könnten die Reli-
gionsgemeinschaften diese Aufgabe nicht länger umfassend erfüllen. Hierauf
habe der Staat allgemein mit der Einrichtung des Fachs Ethik reagiert. Das
Grundgesetz verlange vom Staat, dieses Fach parallel zum Fach Religion in
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allen Jahrgangsstufen einzurichten. Eine Privilegierung konfessionell gebunde-
ner Schüler werde durch Art. 7 Abs. 3 GG nicht gedeckt.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
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Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO).
Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung revisiblen Rechts
(§ 137 Abs. 1 VwGO). Aus revisiblem Recht ergibt sich kein Anspruch der Klä-
gerin auf Einrichtung des Fachs Ethik in den Grundschulklassen. Ihr Feststel-
lungsbegehren findet somit im revisiblen Recht keine Stütze.
1. Gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen keine Bedenken.
Es liegt eine nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit im Sinne von § 40 Abs. 1
Satz 1 VwGO vor. Die Klägerin strebt nicht den Erlass oder die Änderung eines
Parlamentsgesetzes an, sondern eine staatliche Rechtssetzung auf unterge-
setzlicher Ebene. Hierüber zu entscheiden sind die Verwaltungsgerichte auch
dann berufen, wenn der Anspruchsteller sein Begehren auf verfassungsrechtli-
che Gründe stützt (vgl. Urteil vom 3. November 1986 - BVerwG 7 C 115.86 -
BVerwGE 80, 355 <357 f.> = Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 238 S. 11 f.
m.w.N.).
Wegen des dritten Sohnes der Klägerin, dessen Einschulung an der
…-Grundschule mittlerweile für 2014 vorgesehen ist, besteht ein Feststellungs-
interesse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr.
2. Ein Anspruch der Klägerin auf Einrichtung des Fachs Ethik in den Grund-
schulklassen ergibt sich nicht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Nach dieser Vor-
schrift sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern
und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.
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Im Handlungsfeld des öffentlichen Schulwesens stößt das elterliche Erzie-
hungsrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auf den in Art. 7 Abs. 1 GG verankerten
staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Art. 7 Abs. 1 GG vermittelt dem
Staat Befugnisse zur Planung, Organisation, Leitung und inhaltlich-didaktischen
Ausgestaltung des öffentlichen Schulwesens, seiner Ausbildungsgänge sowie
des dort erteilten Unterrichts (vgl. etw
-<303>; BVerwG, Urteile vom 17. Juni 1998
--<78> = Buchholz 421 Kultur- und
Schulwesen Nr. 124 S. 39 und vom 11. September 2013 - BVerwG 6 C 25.12 -
juris Rn. 11). Der Staat verfügt danach über eine umfassende Schulgestal-
tungsmacht in organisatorischer wie inhaltlicher Hinsicht (vgl. Jestaedt, in:
Bonner Kommentar, Stand Dezember 1995, Art. 6 Abs. 2 und 3, Rn. 336). Die-
se ist den Ländern als Trägern der Schulhoheit, also hier dem Beklagten, über-
antwortet (vgl. BVerfG, Urteil vom 26. März 1957 - 2 BvG 1/55 - BVerfGE 6, 309
<354>; stRspr).
Zwar ist das elterliche Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG dem staatli-
chen Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG verfassungsrecht-
lich gleichgeordnet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 1977 - 1 BvL
1/75 u.a. - BVerfGE 47, 46 <72>; stRspr). Hieraus wird ersichtlich, dass das
Grundgesetz die Schule nicht zur alleinigen Staatsangelegenheit erklärt hat
(vgl. BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 1972 - 1 BvR 230/70 u.a. - BVerfGE 34,
165 <182>). Das elterliche Erziehungsrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG macht
also vor der Schule nicht generell halt (vgl. Jestaedt, a.a.O. Rn. 331). Noch er-
schöpft es sich insoweit in denjenigen Ansprüchen, die in Art. 7 Abs. 2 und
Art. 7 Abs. 5 GG ausdrücklich geregelt sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom
21. Dezember 1977 a.a.O. S. 74; stRspr).
Jedoch verbleibt dem Staat bei Festlegung des schulischen Bildungs- und Er-
ziehungsprogramms - dem Kernbereich seiner Schulgestaltungsmacht - Gestal-
tungsfreiheit. Namentlich können Eltern nicht die Einrichtung bestimmter Schul-
fächer verlangen (vgl. Robbers, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz,
6. Aufl., Bd. 1, 2010, Art. 6 Abs. 2 Rn. 227; Uhle, in: Epping/Hillgruber, Beck-OK
GG, Stand 2013, Art. 7 Rn. 28; Badura, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Lfg. Mai
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2013, Art. 6 Rn. 117, 131; Höfling, in: Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl.,
Bd. VII, 2009, S. 517; vgl. auch Geis, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar,
Stand Aug. 2013, Art. 7 Rn. 37; Jestaedt, a.a.O. Rn. 350). Insoweit bedarf es
der Konzentration der Bestimmungsbefugnis auf den Staat schon deshalb, weil
die diesbezüglichen Wünsche der Eltern regelmäßig voneinander abweichen
werden; der Staat kann nicht allen, oft unterschiedlichen Elterninteressen Rech-
nung tragen (Robbers, a.a.O. Rn. 222). Ihrer bedarf es aber auch, weil der Ka-
non der Schulfächer nicht ausschließlich Belange der Eltern und Schüler be-
rührt. Ihre Auswahl kann, je nachdem wie sie vorgenommen wird, Ordnungs-
vorstellungen sowie Qualifikationsmuster der nachwachsenden Generation be-
einflussen. Sie ist insofern von gesamtgesellschaftlichem Interesse. Daher be-
steht ein legitimes Mitsprachebedürfnis auch solcher Bürger, die nicht unmittel-
bar in eigener Person bzw. über ihre schulpflichtigen Kinder von der schuli-
schen Unterrichtsgestaltung betroffen sind. Der herausragenden Bedeutung der
Schule für die Gesellschaft (Urteil vom 30. Januar 2013 - BVerwG 6 C 6.12 -
BVerwGE 145, 333 Rn. 19 m.w.N.) wird nur ein solches Verständnis des Zu-
sammenspiels von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 7 Abs. 1 GG gerecht, das
von einer grundsätzlich ungeschmälerten, ausschließlich demokratisch gebun-
denen Gestaltungsfreiheit des Staates im Hinblick auf die Zusammensetzung
des Fächerkanons ausgeht, d.h. die diesbezüglichen Entscheidungsmöglichkei-
ten des Staates nicht durch elterliche Bestimmungsrechte eingeengt sieht.
Ob die Gestaltungsfreiheit des Staates im Hinblick auf das schulische Bildungs-
und Erziehungsprogramm und gegebenenfalls auch im Hinblick auf die Zu-
sammensetzung des Fächerkanons an Grenzen stößt - jenseits derer dann
ausnahmsweise grundrechtliche Gestaltungsansprüche einzelner Eltern er-
wachsen könnten -, wenn der Staat seine Verantwortung, für ein leistungsfähi-
ges Schulwesen zu sorgen, in flagranter Weise verletzt, bedarf keiner Vertie-
fung. Mit der Entscheidung des Beklagten, in der Grundschule kein Fach Ethik
einzurichten, wäre ein etwaiger verfassungsrechtlicher Mindeststandard nicht
unterschritten, auch wenn man hierin ein Minimum an schulisch betriebener
Wertevermittlung einrechnet. Bereits der Unterricht in anderen Fächern wie et-
wa Deutsch oder Gemeinschaftskunde bringt eine solche Wertevermittlung
stoffbedingt automatisch mit sich (vgl. Urteil vom 17. Juni 1998 a.a.O. S. 79 f.
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bzw. S. 40). Auch unabhängig vom jeweiligen Unterrichtsstoff ist davon auszu-
gehen, dass die Schüler im Schulalltag, unter den Zwängen des schulischen
Gemeinschaftslebens, auf vielfältige Weise mit ethisch fundierten Verhaltens-
und Einstellungsgeboten konfrontiert werden und sie auf diese Weise verinner-
lichen. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs im angefochte-
nen Urteil ist im Land Baden-Württemberg die ethisch-moralische Bildung so-
wohl der konfessionsgebundenen als auch der konfessionslosen Schüler in die-
sem Sinne gewährleistet.
3. Ein Anspruch auf Einrichtung des Fachs Ethik in den Grundschulklassen er-
gibt sich nicht aus Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG; auf die Frage, ob diese Vorschrift
Individualrechte von Eltern begründet, kommt es nicht an.
Gemäß Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG ist der Religionsunterricht in den öffentlichen
Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach.
Satz 2 der Vorschrift bestimmt, dass er unbeschadet des staatlichen Aufsichts-
rechts in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften
erteilt wird. Die Klägerin hat mit ihrer Forderung nach Einrichtung des in § 100a
BaWüSchulG geregelten Ethikunterrichts auch in den Jahrgangsstufen der
Grundschule keinen Religionsunterricht im Auge. Ausweislich von § 100a
Abs. 2 BaWüSchulG orientiert sich der Ethikunterricht „an den Wertvorstellun-
gen und den allgemeinen ethischen Grundsätzen, wie sie in Verfassung und im
Erziehungs- und Bildungsauftrag des § 1 niedergelegt sind“ (Satz 2). Der Ethik-
unterricht soll diese Vorstellungen und Grundsätze vermitteln sowie „Zugang zu
philosophischen und religionskundlichen Fragestellungen eröffnen“ (Satz 3). Er
„dient der Erziehung der Schüler zu verantwortungs- und wertbewusstem Ver-
halten“ (Satz 1). Diesen Vorgaben kann entnommen werden, dass der Ethik-
unterricht nach der Vorstellung des Gesetzgebers - so wie es auch dem Ver-
langen der Klägerin entspricht - auf eine bekenntnisfreie Werteunterweisung
und -vermittlung gerichtet ist. Demgegenüber handelt es sich beim Religions-
unterricht, wie ihn Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG normiert, um eine Veranstaltung zur
Glaubensunterweisung. In ihm sind die Glaubenssätze der jeweiligen Reli-
gionsgemeinschaft als bestehende Wahrheit zu vermitteln. Der Religionsunter-
richt ist in konfessioneller Positivität und Gebundenheit zu erteilen. Er zielt nicht
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auf eine überkonfessionelle vergleichende Betrachtung religiöser Lehren, ist
nicht bloße Morallehre, Sittenunterricht, historisierende und relativierende Reli-
gionskunde, Religions- oder Bibelgeschichte (BVerfG, Beschluss vom 25. Feb-
ruar 1987 - 1 BvR 47/84 - BVerfGE 74, 244 <252>; vgl. auch BVerwG, Urteile
vom 6. Juli 1973 - BVerwG 7 C 36.71 - BVerwGE 42, 346 <350> = Buchholz
421 Kultur- und Schulwesen Nr. 34 S. 14, vom 23. Februar 2000 - BVerwG 6 C
5.99 - BVerwGE 110, 326 <333> = Buchholz 11 Art. 7 Abs. 3 GG Nr. 6 S. 5 und
vom 23. Februar 2005 - BVerwG 6 C 2.04 - BVerwGE 123, 49 <53> = Buch-
holz 11 Art. 7 Abs. 3 GG Nr. 7 S. 16 f.).
Entgegen Überlegungen, wie sie in der Revisionsbegründung anklingen, trifft
Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG nicht die Regelungsaussage, dass der Staat zur mora-
lisch-ethischen Erziehung der Kinder im Rahmen eines gesonderten Schulfachs
verpflichtet wäre und dieser Verpflichtung mit Blick auf die mittlerweile festzu-
stellende Abnahme religiöser Bindungen durch zusätzliche Einrichtung eines
nicht-konfessionell orientierten Ersatzfaches für das Fach Religion nachzu-
kommen hätte. Ein dahingehendes Verständnis liefe der Regelungsabsicht des
Verfassungsgebers zuwider, die er bei dieser Vorschrift verfolgt hat. Wie insbe-
sondere aus der Entstehungsgeschichte von Art. 149 WRV - der Vorgänger-
norm zu Art. 7 Abs. 2 und 3 GG - hervorgeht, steht die verfassungsrechtliche
Garantie des Religionsunterrichts im Zusammenhang mit der Neuordnung des
Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in Deutschland nach dem Ende der
Monarchien. Mit Art. 149 WRV wurde im Rahmen einer umfassenden Kompro-
missbildung zwischen den in der Weimarer Nationalversammlung vertretenen
Parteien dem von größeren Teilen der Bevölkerung unterstützten Anliegen der
Religionsgemeinschaften entsprochen, im Rahmen der Schule eigenen Einfluss
auf die religiöse Kindeserziehung zu behaupten (vgl. Hildebrandt, Das Grund-
recht auf Religionsfreiheit, 2000, S. 202, 204 m.w.N.; ausführlicher Überblick
bei Landé, Die Schule in der Reichsverfassung, 1929, S. 27 ff., 181). Aus den
Beratungen des Parlamentarischen Rates 1948/1949 ergeben sich keine Hin-
weise auf eine veränderte Stoßrichtung der nunmehr ins Grundgesetz über-
nommenen Garantie des Religionsunterrichts. Dort wurde der Vorschlag zur
Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung zunächst im thematischen Zu-
sammenhang mit der vorgesehenen Normierung des Elternrechts behandelt.
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Hiergegen wandte sich in der 24. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfra-
gen der Abgeordnete Dr. H. unwidersprochen mit der Aussage, der Religions-
unterricht sei „keine Ausstrahlung des Elternrechts, sondern institutionell Recht
der Konfessionen“; es handle sich „nicht um Familien- und Elternrecht, sondern
um traditionelles Recht der Kirchen, kirchliches Bildungsrecht, Religionsaus-
übungsrecht“ (Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Akten und Protokolle,
Bd. 5/II, 1993, S. 646; vgl. auch den Bericht in JöR N.F. 1, 1951, S. 101 ff.
<103>). Im späteren Verlauf der Beratungen des Parlamentarischen Rates
wurde die Bestimmung über den Religionsunterricht in den heutigen Art. 7 GG
überführt, ohne dass zutage tritt, dass dies mit einem Wandel des inhaltlichen
Verständnisses der vorgesehenen Normierung verbunden gewesen wäre.
Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG ist vor diesem Hintergrund als eine Norm zu verstehen,
die den Bereich der Schule dem Einwirken von Seiten der Religionsgemein-
schaften öffnet, d.h. diesen als außerstaatlichen Bildungs- und Erziehungsträ-
gern die Möglichkeit schulbezogener Mitwirkung im Interesse der Religionsfrei-
heit einräumt. Dementsprechend ist die Vorschrift in der Rechtsprechung des
Senats als Konkretisierung des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemein-
schaften (Urteil vom 23. Februar 2000 a.a.O. S. 340 bzw. S. 11), als Mittel zur
Entfaltung und Unterstützung der diesen grundrechtlich gewährten Religions-
freiheit bezeichnet worden (Urteil vom 23. Februar 2005 a.a.O. S. 53 bzw.
S. 17; vgl. auch Badura, a.a.O. Art. 7 Rn. 67). Zwar weist Art. 7 Abs. 3 GG den
Religionsunterricht der staatlichen Unternehmerschaft zu, d.h. er entlässt ihn
nicht aus der staatlichen Schulhoheit, sondern regelt ihn als Bestandteil der Un-
terrichtsarbeit im Rahmen der staatlichen Schulorganisation, so dass er zu den
gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche gezählt werden kann (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 1987 a.a.O. S. 251; BVerwG, Urteile vom
6. Juli 1973 a.a.O. S. 347 f. bzw. S. 12 und vom 23. Februar 2000 a.a.O. S. 333
bzw. S. 5). Die staatlichen Befugnisse dienen jedoch neben der Sicherung
schuldidaktischer Qualitätsstandards in erster Linie dazu, die verfassungsim-
manenten Grenzen der Religionsfreiheit sowie die dem kirchlichen Selbstbe-
stimmungsrecht gesetzten Schranken des für alle geltenden Gesetzes (Art. 140
GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) zu wahren und hierbei insbesondere sicherzu-
stellen, dass sich keine Widersprüche zu staatlich definierten Bildungs- und Er-
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ziehungszielen auftun (Badura, a.a.O. Rn. 67; siehe auch Urteil vom 17. Juni
1998 a.a.O. S. 92 bzw. S. 50). Sie ändern nichts daran, dass mit der Garantie
des Religionsunterrichts den Anliegen der Religionsgemeinschaften Raum ver-
schafft werden sollte und diese Garantie insofern in einen verfassungssystema-
tischen Zusammenhang mit weiteren Regelungen des grundgesetzlichen Reli-
gions- und Staatskirchenrechts einzuordnen ist (vgl. Urteil vom 23. Februar
2005 a.a.O. S. 53 bzw. S. 17; Badura, a.a.O. Rn. 63). Für die Forderung nach
Einführung eines nichtkonfessionellen Ethikunterrichts als Ersatzfach für den
Religionsunterricht bietet Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG somit keine Grundlage.
4. Ein Anspruch auf Einrichtung des Fachs Ethik in den Grundschulklassen er-
gibt sich nicht aus Art. 3 Abs. 3 GG.
Nach dieser Vorschrift darf niemand wegen seines Glaubens benachteiligt oder
bevorzugt werden, unabhängig davon, ob eine Regelung hierauf unmittelbar
angelegt ist oder in erster Linie andere Ziele verfolgt (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 25. Oktober 2005 - 2 BvR 524/01 - BVerfGE 114, 357 <364>). Art. 3 Abs. 3
Satz 1 GG verstärkt den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG
(BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 2005 a.a.O.; stRspr). Dieser gebietet, we-
sentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln.
Dem Normgeber ist danach zwar nicht jede Differenzierung verwehrt. Eine Ver-
letzung des Gleichheitssatzes liegt aber vor, wenn Personengruppen anders
behandelt werden, obwohl zwischen ihnen keine Unterschiede von solcher Art
und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtferti-
gen können (vgl. BVerfG, Urteil vom 16. März 2004 - 1 BvR 1778/01 - BVerfGE
110, 141 <167>; stRspr). Erfasst ist auch ein gleichheitswidriger Begünsti-
gungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt,
einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 7. Mai 2013 - 2 BvR 909/06 u.a. - juris Rn. 73; stRspr). Art. 3 Abs. 1 GG
setzt mit diesen Maßgaben der Gestaltungsfreiheit des Normgebers Grenzen.
Aufgrund von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG sind die Grenzen im besonderen Fall von
Differenzierungen, die an das Innehaben eines Glaubens anknüpfen, enger als
im Anwendungsbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes gesteckt (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 2013 a.a.O. Rn. 77; stRspr). Im Lichte von Art. 6
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Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 GG können Eltern aufgrund von Art. 3 Abs. 3
GG verlangen, dass ihre Kinder in der Schule nicht anhand glaubensmäßiger
Kriterien einer anderen Behandlung als andere Kinder unterzogen werden.
Ob der Verzicht auf die Einrichtung des Fachs Ethik in der Grundschule im tat-
bestandlichen Sinne eine Ungleichbehandlung konfessionsloser Schüler ge-
genüber konfessionell gebundenen Schüler darstellt - was angesichts der auf-
gezeigten Unterschiede zwischen Ethik- und Religionsunterricht in Frage ge-
stellt werden könnte -, bedarf keiner Vertiefung. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3
GG scheidet jedenfalls deshalb aus, weil die Einrichtung von Religionsunterricht
als Schulfach durch das Grundgesetz selbst in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 vorgegeben
ist, die Einrichtung eines gesonderten Fachs Ethik hingegen nicht. Bereits der
Verfassungsgeber hat mithin diejenige Differenzierung vorgenommen, welche
die Klägerin für gleichheitswidrig hält. Belässt es der (einfache) Gesetzgeber
bzw. der Verordnungsgeber hierbei, d.h. nimmt er bei Gestaltung der Stunden-
tafeln keine Gleichstellung zwischen beiden Fächern vor, kann ihm dies nicht
als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG angelastet werden. Die Funktion der
Gleichheitssätze des Art. 3 GG besteht nicht darin, Differenzierungen ent-
gegenzuwirken, die bereits durch die Verfassung getroffen sind.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Neumann
Dr. Möller
Rothfuß
Hahn
Prof. Dr. Hecker
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 €
festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG).
Neumann
Dr. Möller
Rothfuß
Hahn
Prof. Dr. Hecker
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Schulrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
GG
Art. 3 Abs. 3
Art. 6 Abs. 2 Satz 1
Art. 7 Abs. 3
Stichworte:
Ethikunterricht; Religionsunterricht; staatlicher Bildungs- und Erziehungsauftrag;
Zusammensetzung des Fächerkanons; elterliches Erziehungsrecht; verfas-
sungsunmittelbare Differenzierung; Anspruch auf staatliche Rechtssetzung.
Leitsätze:
1. Eltern können aufgrund von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG nicht die Einrichtung
bestimmter Schulfächer verlangen.
2. Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG räumt den Religionsgemeinschaften als außerstaatli-
chen Bildungs- und Erziehungsträgern die Möglichkeit schulbezogener Mitwir-
kung im Interesse der Religionsfreiheit ein. Für die Forderung nach Einführung
eines nichtkonfessionellen Ethikunterrichts als Ersatzfach für den Religions-
unterricht bietet die Vorschrift keine Grundlage.
3. Nimmt der Normgeber im Schulrecht bei Gestaltung der Stundentafeln keine
Gleichstellung zwischen den Fächern Ethik und Religion vor, verstößt er nicht
gegen Art. 3 Abs. 3 GG, da bereits auf Ebene der Verfassung (Art. 7 Abs. 3
Satz 1 GG) eine Differenzierung zwischen beiden Fächern vorgenommen wird.
Urteil des 6. Senats vom 16. April 2014 - BVerwG 6 C 11.13
I. VG Freiburg
vom 21.09.2011 - Az.: VG 2 K 638/10 -
II. VGH Mannheim vom 23.01.2013 - Az.: VGH 9 S 2180/12 -