Urteil des BVerwG vom 16.08.2010

Verfahrensmangel, Gegenleistung, Bier, Ausschluss

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 BN 1.10
OVG 2 KN 906/06
In der Normenkontrollsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. August 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier und Dr. Möller
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen
Oberverwaltungsgerichts vom 2. Dezember 2009 wird zu-
rückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdever-
fahrens je zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde, die sich auf die Zulassungsgründe des Verfahrensmangels
(§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssa-
che (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) stützt, bleibt ohne Erfolg.
1. Die Beschwerde ist nicht deshalb zuzulassen, weil ein Verfahrensmangel
geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Ein Verfahrensmangel ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO
von der Beschwerde bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) be-
gründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert
dargetan wird (s. nur Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 -
Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14 m.w.N.); daran fehlt es hier.
a) Die Beschwerde wirft dem Oberverwaltungsgericht einen Verstoß gegen die
Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) vor, soweit dieses im Zusammen-
hang mit dem zwischen den Antragstellern und dem gewerblichen Promotions-
vermittler (Institut für Wissenschaftsberatung) geschlossenen Vertrag ausge-
führt hat:
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„… Auch wenn vordergründig lediglich insbesondere die
Hilfe beim Finden eines Doktorvaters, einer geeigneten
Fakultät und eines geeigneten Dissertationsthemas ge-
schuldet ist, die bei der Promotion entscheidende wissen-
schaftliche Leistung hingegen in der Verantwortung des
betreuten Promotionswilligen verbleiben soll, ist eine der-
artige Vertragsgestaltung in hohem Maße dem Verdacht
der Unredlichkeit ausgesetzt. Denn es besteht ersichtlich
ein krasses und auffälliges Missverhältnis von Leistung
und Gegenleistung. Die Antragsteller haben trotz mehrfa-
cher Nachfrage seitens des Senats nicht mitgeteilt, für
welche Gegenleistungen sie die hohen Beträge
von (letztlich insgesamt) 45 000 DM bzw. 21 000 EUR ge-
zahlt haben …“ (S. 23 UA).
Die Antragsteller meinen, das Oberverwaltungsgericht hätte die Frage, ob ein
„krasses und auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung“ be-
steht, näher aufklären müssen, wobei es auf von anderen Promotionsberatern
verlangte Honorare hätte zurückgreifen können. Damit dringen sie nicht durch.
Für die ordnungsgemäße Begründung einer Rüge mangelhafter Sachaufklärung
muss neben den (vermeintlich) aufklärungsbedürftigen Umständen und den für
geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen insbesondere
dargelegt werden, welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung
der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden
wären und inwiefern deren Berücksichtigung auf der Grundlage der Rechtsauf-
fassung der Vorinstanz zu einem anderen Ergebnis hätte führen können, ferner,
dass die Nichterhebung des Beweises vor dem Tatsachengericht rechtzeitig
gerügt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich die unterbliebene
Beweisaufnahme dem Gericht hätte aufdrängen müssen (stRspr, vgl. z.B. Be-
schlüsse vom 19. August 1997 a.a.O. und vom 18. Juni 1998 - BVerwG 8 B
56.98 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 154, jeweils m.w.N.). Derartige
Darlegungen sind der Beschwerde auch nicht ansatzweise zu entnehmen.
Davon abgesehen wäre es nach der Rechtsauffassung des Oberverwaltungs-
gerichts erkennbar nicht darauf angekommen, ob die von ihm für eine reine
Vermittlungs- und Beratungsleistung als unangemessen angesehenen Honora-
re auch von anderen Promotionsvermittlern in einer vergleichbaren Größenord-
nung gefordert werden oder nicht.
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Soweit die Beschwerde im Zusammenhang mit der Annahme eines erheblichen
und evidenten Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung durch das
Oberverwaltungsgericht sinngemäß auch einen Verstoß gegen die Grundsätze
einer ordnungsgemäßen richterlichen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1
Satz 1 VwGO) rügen sollte, zeigt sie einen Verfahrensmangel ebenfalls nicht
auf. Die Feststellung und Würdigung des entscheidungserheblichen Sachver-
halts durch das Tatsachengericht ist regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht,
sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen. Soweit von diesem Grundsatz
Ausnahmen anerkannt sind, verlangt die Behauptung eines Verstoßes gegen
den Überzeugungsgrundsatz die Darlegung, dass das Gericht einen Schluss
gezogen hat, den es ohne Willkür, insbesondere ohne Verletzung von Denkge-
setzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, schlechterdings nicht ziehen konnte
(s. Beschlüsse vom 19. August 1997, a.a.O. S. 15 f., vom 10. Dezember 2003
- BVerwG 8 B 154.03 - NVwZ 2004, 627 und vom 8. Juli 2008 - BVerwG 6 B
25.08 - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 45 Rn. 9). Davon kann hier keine
Rede sein. In Wahrheit wenden sich die Antragsteller (lediglich) gegen die
inhaltliche Richtigkeit der von ihnen für unzutreffend erachteten Sachverhalts-
würdigung durch das Oberverwaltungsgericht; diese kann, mag sie in jeder
Hinsicht zwingend sein oder nicht, durch eine Verfahrensrüge nicht mit Erfolg
angegriffen werden.
b) Soweit die Antragsteller die Behauptung des Oberverwaltungsgerichts, sie
hätten nicht mitgeteilt, für welche Gegenleistungen sie einen Betrag von
45 000 DM bzw. 21 000 € gezahlt hätten, als falsch bezeichnen und auf ihren
Vortrag verweisen, wonach es ausschließlich um das Suchen und Finden einer
geeigneten Fakultät und eines geeigneten Doktorvaters gegangen sei, führt
auch dies nicht auf einen Verfahrensmangel, insbesondere nicht auf einen Ver-
stoß gegen den Überzeugungsgrundsatz. Dieser kann allerdings verletzt sein,
wenn das Gericht einzelne erhebliche Tatsachen nicht zur Kenntnis nimmt oder
nicht in Erwägung zieht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entschei-
dungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen (s. Urteile vom 5. Juli
1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <208 f.> = Buchholz 402.25 § 1
AsylVfG Nr. 174 S. 27 ff. und vom 21. Juni 2006 - BVerwG 6 C 19.06 - Buch-
holz 11 Art. 12 GG Nr. 264 Rn. 28). Das Oberverwaltungsgericht hat das betref-
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fende Vorbringen der Antragsteller ausweislich seiner oben auszugsweise wie-
dergegebenen Urteilsbegründung aber nicht übergangen, sondern nur, wie
oben bereits dargelegt, ohne Verfahrensfehler in einer Weise gewürdigt, die die
Antragsteller in der Sache für unzutreffend halten.
c) Ebenso wenig ist schließlich dargelegt, inwieweit die Feststellung des Ober-
verwaltungsgerichts, eine Vertragsgestaltung wie die hier vorliegende setze sich
in hohem Maße dem Verdacht der Unredlichkeit aus, gegen die Amtser-
mittlungspflicht bzw. den Überzeugungsgrundsatz verstoßen könnte. Die Be-
schwerde legt weder dar, inwiefern - und unter Einsatz welcher Beweismittel -
sich der Vorinstanz eine Beweisaufnahme hätte aufdrängen müssen, noch,
dass es bei seiner Würdigung erheblichen Tatsachenstoff nicht zur Kenntnis
genommen oder nicht in Erwägung gezogen hätte. Insbesondere ist unerfind-
lich, inwieweit dem Umstand, dass der von den Antragstellern in Aussicht ge-
nommene „Doktorvater“, der selbst nicht Vertragspartei des Promotionsvermitt-
lungsvertrages war, nicht nur Rechtsprofessor, sondern auch Richter im Ne-
benamt beim Oberlandesgericht war, auf der Grundlage der materiellen
Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts hätte entscheidungserhebliche
Bedeutung zukommen können.
2. Die Revision ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Be-
deutung der Rechtssache zuzulassen.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine
Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine
konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen
Rechts von Bedeutung war, deren Klärung in einem Revisionsverfahren zu er-
warten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur
Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. In diesem Zusammenhang
wird dem Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht schon
dadurch genügt, dass eine - als solche irrevisible - Norm, hier die Regelung in
der Promotionsordnung der Antragsgegnerin über den Ausschluss bei Inan-
spruchnahme gewerblicher Promotionsvermittlung oder -beratung, als bundes-
rechtlich bedenklich angesehen wird. Vielmehr muss die Auslegung der korri-
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gierend angeführten bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von
grundsätzlicher Bedeutung aufwerfen; die angeblichen bundesrechtlichen
Maßgaben, deren Tragweite und Klärungsbedürftigkeit sowie die Entschei-
dungserheblichkeit in dem anhängigen Verfahren sind im Einzelnen darzulegen
(stRspr; vgl. nur Beschlüsse vom 6. Oktober 2005 - BVerwG 6 BN 2.05 - Buch-
holz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 80 S. 85 f. und vom 8. Mai 2008
- BVerwG 6 B 64.07 - Buchholz 421 Kultur- und Schulwesen Nr. 132 Rn. 5
m.w.N.). Schon weil es daran fehlt, kann die Beschwerde nicht zum Erfolg füh-
ren.
Aber auch abgesehen davon sind die von den Antragstellern angedeuteten
Fragen, soweit sie sich dem Beschwerdevorbringen sinngemäß entnehmen
lassen, nicht zulassungserheblich.
a) Die Antragsteller halten für fraglich, ob in eine Promotionsordnung die Ver-
pflichtung zur Abgabe einer Erklärung aufgenommen werden dürfe, wonach
eine gewerbliche Promotionsvermittlung nicht in Anspruch genommen wurde,
obwohl die Zivilrechtsprechung die Gesetz- oder Sittenwidrigkeit derartiger Ver-
träge in der Vergangenheit verneint habe (s. OLG Köln, Urteil vom 17. Februar
1999 - 2 U 19/98 - MDR 1999, 792).
Diese Frage kann, abgesehen von den oben aufgezeigten Darlegungsmängeln,
die Zulassung der Revision auch deshalb nicht rechtfertigen, weil sie sich dem
Oberverwaltungsgericht so nicht gestellt hat. Rechtsfragen, auf die die Vorin-
stanz nicht entscheidend abgehoben hat, sind regelmäßig nicht zulassungser-
heblich (s. Beschlüsse vom 18. Mai 2006 - BVerwG 6 B 14.06 - juris Rn. 11 und
vom 14. November 2008 - BVerwG 6 B 61.08 - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht
Nr. 47 Rn. 3). Das Oberverwaltungsgericht hat den umstrittenen Ausschluss der
Annahme zur Promotion bei Inanspruchnahme eines gewerblichen Promoti-
onsvermittlers nicht generell, sondern insbesondere auch mit Rücksicht auf die
konkrete Vorgeschichte an der juristischen Fakultät der Antragsgegnerin für
beanstandungsfrei gehalten. Diese Vorgeschichte war nach den Feststellungen
des Oberverwaltungsgerichts geprägt durch das strafbare Zusammenwirken
des von den Antragstellern beauftragten Instituts für Wissenschaftsberatung mit
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dem „Doktorvater“ der Antragsteller, welches dadurch gekennzeichnet war,
dass sich letzterer für die Annahme von zahlreichen Doktoranden in großem
Umfang hat rechtswidrig entlohnen lassen, wobei die ihm zugeflossenen Mittel
aus den vertraglichen Leistungen der ihm von dem Institut vermittelten Dokto-
randen stammten. Ob die Antragsgegnerin - auch vor diesem besonderen Hin-
tergrund - die Annahme von Promotionen im Falle einer gewerblichen Promoti-
onsvermittlung ausschließen darf, hat keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung.
b) Soweit die Antragsteller eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im
Zusammenhang mit dem Fehlen einer angemessenen Übergangsregelung in
der angegriffenen Vorschrift der Promotionsordnung annehmen, führt auch dies
- wiederum ungeachtet der eingangs aufgezeigten Darlegungsmängel - nicht
zum Erfolg.
Das Oberverwaltungsgericht hat die von den Antragstellern vermisste Über-
gangsregelung aus zwei Gründen für entbehrlich gehalten, zum einen, weil vor
Einleitung des (förmlichen) Promotionsverfahrens durch die Antragsgegnerin
- auch bei einem bereits bestehenden Promotionsbetreuungsverhältnis mit ei-
nem „Doktorvater“ - in eine geschützte Rechtsposition der Promotionswilligen
nicht eingegriffen werde, und zum anderen, weil das etwaige Vertrauen der An-
tragsteller wie aller anderen betroffenen Promotionswilligen in den Fortbestand
der bisherigen „unverschärften“ Promotionsordnung nicht schutzwürdig sei. Im
Falle einer mehrfachen, die Entscheidung jeweils selbständig tragenden Be-
gründung des angefochtenen Urteils bedarf es für die Zulassung der Revision
eines Zulassungsgrundes in Bezug auf jede dieser Begründungen (s. Beschluss
vom 19. August 1997, a.a.O. S. 15). Daran fehlt es hier jedenfalls in Bezug auf
die zweite Begründung des Oberverwaltungsgerichts. Ob die Antragsteller und
die übrigen konkreten Normbetroffenen in Anbetracht der Umstände des
vorliegenden Falles, insbesondere der vom Oberverwaltungsgericht als Indiz für
eine „Bösgläubigkeit“ angeführten Größenordnung der von ihnen an das Institut
gezahlten Honorare, auf den (zumindest) übergangsweisen Fortbestand der
früheren Regelung in der Promotionsordnung der Antragsgegnerin vertrauen
durften oder nicht, hat erkennbar keine allgemeine Bedeutung.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfest-
setzung für das Beschwerdeverfahren auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und 3 i.V.m. § 52
Abs. 1 GKG.
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