Urteil des BVerwG vom 07.07.2008

Bier, Zucht, Kontrolle, Wissenschaft

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 BN 1.08
OVG 5 A 1.06
In der Normenkontrollsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Juli 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Graulich
und Dr. Bier
beschlossen:
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Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsge-
richts Berlin-Brandenburg vom 15. November 2007 wird
zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
1. Die allein auf die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) eines Verstoßes
gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) gestützte Be-
schwerde bleibt ohne Erfolg. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO ist nur dann bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich)
begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert
dargetan wird (vgl. Beschluss vom 10. November 1992 - BVerwG 3 B 52.92 -
Buchholz 303 § 314 ZPO Nr. 5; Weyreuther, Revisionszulassung und
Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesge-
richte, 1971, Rn. 222 m.w.N.). Hinsichtlich des von der Beschwerde behaupte-
ten Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss
dementsprechend substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächli-
chen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und er-
forderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen
wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterblie-
benen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiter-
hin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tat-
sachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme
der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hin-
gewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen
auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (Be-
schluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26).
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Der Beschwerdeführer bringt zum einen vor, aus den Dissertationen von
Andrea Böttjer, Tina Johann und Sandra Bruns und einer Untersuchung von
Struwe/Kuhne ergebe sich, dass die Gefährlichkeit von Hunden nicht an ihrer
Rassezugehörigkeit festgemacht werden könne. Das Oberverwaltungsgericht
sei diesen Erkenntnissen nicht gefolgt, ohne zusätzlichen fachwissenschaftli-
chen Rat einzuholen, was jedoch geboten gewesen sei.
Zum anderen bringt er vor, zum Beweis der Frage, ob zwischen den in der Ver-
ordnung des Antragsgegners als besonders gefährlich eingestuften Hunden der
Rassen bzw. Typen American Staffordshire Terrier, Pitbull-Terrier, Bullterrier
und Kreuzungen mit diesen Rassen bzw. Typen und Hunden anderer, angeb-
lich weniger gefährlicher Hunderassen (k)ein signifikanter Unterschied in Bezug
auf gezeigte Aggressivität festzustellen sei, habe er die Vernehmung des Sach-
verständigen Prof. Dr. Hackbarth angeboten, welche das Oberverwaltungsge-
richt unter Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO unterlassen habe.
Der Beschwerdeführer bleibt mit seinem Vorbringen ohne Erfolg, denn er legt
nicht hinreichend dar, inwiefern das angefochtene Urteil unter Zugrundelegung
der materiellrechtlichen Auffassung des Normenkontrollgerichts auf der unter-
bliebenen Sachaufklärung beruhen kann. Dieses ist davon ausgegangen, dass
der Verordnungsgeber aufgrund der einschlägigen gesetzlichen Ermächtigung,
die neben der Gefahrenabwehr auch die Gefahrenvorsorge einschließt, über
einen erheblichen Prognosespielraum hinsichtlich der von einzelnen Hunderas-
sen ausgehenden Gefahren und über einen weiten Gestaltungsspielraum in
Bezug auf die zu erlassende Regelung verfügt habe; in diesem Rahmen bleibe
er allerdings gehalten, die Gefährlichkeit der gelisteten Hunderassen im Auge
zu behalten und auf etwaige neuere Erkenntnisse durch eine Aktualisierung der
Rasselisten zu reagieren. Vor diesem Hintergrund hat das Normenkontrollge-
richt den in Fachkreisen erhobenen Einwand, es gebe keine gefährlichen Hun-
de kraft ihrer Rassezugehörigkeit, sondern nur individuell und rasseunabhängig
feststellbar aggressive Hunde (UA S. 21 ff.) ausdrücklich dahinstehen lassen.
Stattdessen benennt es multifaktorielle Ursachen für die Gefährlichkeit von
Hunden wie das genetische Potenzial und die körperlichen Merkmale der auf-
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gelisteten Hunderassen, die jedenfalls bei Hinzutreten weiterer Umstände eine
Gefahr ergeben könnten. Überwiegendes spreche dafür, dass mehrere Fakto-
ren, insbesondere Umwelteinflüsse und darunter vor allem diejenigen, die dem
Hundehalter zuzurechnen seien, Hunde gefährlich machen könnten. Allerdings
sei es ebenso unzweifelhaft, dass die Rassezugehörigkeit, die zugrunde lie-
gende Zucht und nicht zuletzt die körperliche Konstitution schon für sich nicht
unbeträchtliche Gefahrenpotenziale enthalten könnten.
Hiernach ist, auch wenn man als zutreffend unterstellt, dass die vom Antrag-
steller ins Feld geführten wissenschaftlichen Untersuchungen die von ihm refe-
rierten Erkenntnisse erbracht haben und dass Prof. Dr. Hackbarth sich gegen-
über dem Oberverwaltungsgericht wie vorgetragen geäußert hätte, gleichwohl
nicht ersichtlich, inwiefern das Oberverwaltungsgericht unter Berücksichtigung
des normativen Prognose- und Entscheidungsspielraums, der dem Verord-
nungsgeber beim Erlass und bei der nachträglichen Kontrolle der umstrittenen
Regelung zukommt, zu einer anderen als der getroffenen Entscheidung hätte
gelangen können. Denn die vom Oberverwaltungsgericht festgestellte und für
die Gefahrenvorsorge als ausreichend erachtete Situation der Ungewissheit
über die Wirkungsweise und Bedeutung des Rassefaktors bei der Gefahren-
entstehung wird durch die Stimmen einzelner Wissenschaftler nicht in der Wei-
se durchgreifend verändert, dass nunmehr von Gefahren, die durch die Rasse-
zugehörigkeit der Hunde bedingt oder mitbedingt sind, zweifelsfrei nicht mehr
die Rede sein könnte. Eine von der Wissenschaft allgemein akzeptierte Gefahr-
losigkeit der Rassezugehörigkeit, die die Rechtmäßigkeit von Rasselisten
grundlegend in Frage stellen könnte, ergibt sich aus dem Vorbringen des An-
tragstellers nicht. Aus der rechtlichen Sicht des Oberverwaltungsgerichts war es
auch nicht etwa entscheidungserheblich, ob zwischen den einzelnen Hunde-
rassen signifikante Unterschiede bezüglich ihrer Aggressivität positiv feststellbar
waren; vielmehr hat sich das Oberverwaltungsgericht mit Anhaltspunkten für
solche Unterschiede begnügt.
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2. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen (§ 154 Abs. 2
VwGO). Der Streitwert bestimmt sich nach § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dr. Bardenhewer Dr. Graulich Dr. Bier
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