Urteil des BVerwG vom 20.02.2004

Rechtliches Gehör, Verfahrensmangel, Verfügung, Beteiligter

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 9.04
VGH 21 B 00.2049
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Februar 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. H a h n und Dr. G r a u l i c h
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts-
hofs vom 2. September 2003 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 4 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Berufungsentscheidung von
einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der
obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht
und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird
und vorliegt, auf dem die Berufungsentscheidung beruhen kann. Wird wie hier die
Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten, muss in der Be-
schwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung dargelegt oder die Entschei-
dung, von der das Berufungsurteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet
werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Prüfung des beschließenden Senats ist
demgemäß auf fristgerecht geltend gemachte Beschwerdegründe im Sinne des
§ 132 Abs. 2 VwGO beschränkt.
Die Beschwerde wird allein auf den Revisionszulassungsgrund des § 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO gestützt. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel
liegt jedoch nicht vor.
Der Kläger rügt einen Verstoß gegen § 86 Abs. 1 und 3 VwGO und die Versagung
des rechtlichen Gehörs. Er macht geltend, das Berufungsurteil beruhe ausschließlich
auf der Erwägung, ihm fehle die nach Art. 2 Satz 1 Buchst. c des Gesetzes des Frei-
staats Bayern über öffentlich bestellte und beeidigte Sachverständige ((Sachverstän-
digengesetz - SachvG)) vom 11. Oktober 1950 (BayRS 702-1-W) erforderliche Sach-
kunde. Demgegenüber sei im gesamten bisherigen Verfahren darüber gestritten
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worden, ob die Voraussetzungen des Art. 1 SachvG hinsichtlich des abstrakten Be-
darfs an Sachverständigen auf dem Gebiet der Heilpraktikerangelegenheiten oder
der Heilpraktikergebührenangelegenheiten erfüllt seien. Der Verwaltungsgerichtshof
habe eine Überraschungsentscheidung getroffen. Wäre deutlich gemacht worden,
dass die Entscheidung auf den Gesichtspunkt der ungenügenden Sachkunde ge-
stützt werde, hätte er dazu noch vorgetragen, wie er näher ausführt.
Das Berufungsgericht hat dem Kläger nicht in der dargestellten Weise durch den Er-
lass eines Überraschungsurteils das rechtliche Gehör versagt.
Nach § 86 Abs. 3 VwGO hat der Vorsitzende darauf hinzuwirken, dass alle für die
Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben
werden. Die gerichtlichen Hinweise sollen zum einen dazu beitragen, die Vorausset-
zungen für eine richtige, dem Gesetz entsprechende Sachentscheidung zu schaffen
(vgl. BVerfGE 42, 64 <73> zu § 139 ZPO). Die Vorschrift soll darüber hinaus als eine
verfahrensspezifische einfachgesetzliche Konkretisierung des verfassungsrechtlichen
Anspruchs auf rechtliches Gehör Überraschungsentscheidungen vorbeugen (Be-
schluss vom 5. Juni 1998 - BVerwG 4 BN 20.98 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO
Nr. 49 S. 5). Ein Überraschungsurteil liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin
nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner
Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der nach
dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen war (Beschluss vom 25. Mai
2001 - BVerwG 4 B 81.00 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 34 S. 20 f.). Die
Hinweispflicht bezieht sich auf die tragenden ("wesentlichen") Erwägungen des Ge-
richts. Sie verlangt allerdings grundsätzlich nicht, dass das Gericht die Beteiligten
vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozess-
stoffs hinweist, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst
aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (Beschluss vom 28. Dezember 1999
- BVerwG 9 B 467.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51 m.w.N.). So muss
das Gericht die Beteiligten nicht vorab darauf hinweisen, auf welche von mehreren
Gesichtspunkten es seine Entscheidung stützen und wie es sie im Einzelnen be-
gründen werde (Beschluss vom 30. Oktober 1987 - BVerwG 2 B 85.87 - Buchholz
310 § 104 VwGO Nr. 20 m.w.N.). Hat das Gericht in der mündlichen Verhandlung auf
einen bisher nicht erörterten, seine tragenden Erwägungen betreffenden Gesichts-
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punkt hingewiesen und ist ein Beteiligter nicht in der Lage, sich in der mündlichen
Verhandlung dazu zu äußern, ist dieser gehalten, alles ihm Zumutbare zu unterneh-
men, um eine Überraschungsentscheidung zu vermeiden.
Nach diesen Maßstäben liegt weder eine Überraschungsentscheidung noch ein Ver-
stoß gegen § 86 Abs. 3 VwGO vor. Das Berufungsgericht hatte bereits durch Verfü-
gung vom 26. April 2001 den Prozessbevollmächtigten des Klägers gebeten, zu-
sammen mit der Berufungsbegründung Nachweise für die Sachkunde des Klägers
vorzulegen und dabei darauf hingewiesen, dass "sich sonst die schwierige Rechts-
frage der Erforderlichkeit nach Art. 1 BaySachvG nicht stellt". Damit hatte das Gericht
deutlich gemacht, dass die Entscheidung auch auf den Gesichtspunkt fehlender
Sachkunde gestützt werden könnte. Dieser Aspekt ist zudem in der mündlichen Ver-
handlung erneut aufgegriffen worden, ohne dass der Prozessbevollmächtigte des
Klägers geltend gemacht hat, dass er sich dazu nicht äußern könne.
Der Verwaltungsgerichtshof hatte auch keinen Anlass, weitere Ermittlungen hinsicht-
lich der Qualifikation des Klägers vorzunehmen. Ein Verstoß gegen Art. 86 Abs. 1
VwGO liegt daher nicht vor. Das Berufungsgericht hatte bereits durch Verfügung vom
26. April 2001 den Prozessbevollmächtigten des Klägers gebeten, zusammen mit der
Berufungsbegründung Nachweise für die Sachkunde des Klägers vorzulegen. Da-
raufhin hatte der Kläger mit der Berufungsbegründungsschrift zahlreiche Belege ein-
gereicht. In der mündlichen Verhandlung am 2. September 2003 hat der Prozessbe-
vollmächtigte des Klägers auf Befragen durch das Gericht erklärt, dass über die ein-
gereichten Unterlagen hinaus weitere Unterlagen nicht vorgelegt werden könnten.
Unter diesen Umständen hatte das Gericht keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen.
2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung
des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 14, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Bardenhewer Hahn Graulich