Urteil des BVerwG vom 16.06.2010

Bier, Genehmigungsverfahren, Hauptsache, Zustellung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 83.09 (6 C 13.10)
VG 1 K 3481/01
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Juni 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier und Dr. Möller
beschlossen:
Unter teilweiser Aufhebung der Entscheidung des Verwal-
tungsgerichts Köln über die Nichtzulassung der Revision
gegen sein Urteil vom 27. August 2009 werden die Revi-
sionen der Beklagten und der Beigeladenen zugelassen,
soweit sie sich gegen die Aufhebung der Genehmigung
der monatlichen Überlassungsentgelte in dem Bescheid
der Regulierungsbehörde vom 30. März 2001 richten. Im
Übrigen werden die Beschwerden der Beklagten und der
Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision zu-
rückgewiesen.
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Die Beklagte und die Beigeladene tragen die Gerichtsge-
bühren, die für die Zurückweisung der Beschwerde ange-
fallen sind, je zur Hälfte; im Übrigen ist das Beschwerde-
verfahren gerichtsgebührenfrei. Von den sonstigen Kosten
des Beschwerdeverfahrens tragen die Beklagte und die
Beigeladene je 1/6. Die Entscheidung über die restlichen
Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenent-
scheidung in der Hauptsache.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren insgesamt auf 5 112 920 €, für den erfolglos
gebliebenen Teil der Beschwerde auf 1 840 652 € und für
das Revisionsverfahren - insoweit vorläufig - auf
3 272 268 € festgesetzt.
G r ü n d e :
1. Die Beschwerden der Beklagten und der Beigeladenen gegen die Nichtzu-
lassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts sind begründet,
soweit sie sich auf die Aufhebung der in dem Bescheid der Regulierungsbehör-
de vom 30. März 2001 ausgesprochenen Genehmigung der monatlichen Über-
lassungsentgelte beziehen. Insoweit hat die Rechtssache grundsätzliche Be-
deutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Sie kann im Anschluss an das Urteil des
Europäischen Gerichtshofs vom 24. April 2008 - Rs. C-55/06 - zur Klärung des
Verhältnisses von „historischen“ Kosten zu „aktuellen“ Kosten bei der Ermittlung
und Beurteilung der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung (§ 24 Abs. 1
TKG 1996, § 31 Abs. 1 TKG 2004) beitragen.
2. Dagegen bleiben die Beschwerden gegen das angefochtene Urteil ohne Er-
folg, soweit sie sich auf die Aufhebung der Genehmigung der einmaligen Ent-
gelte (Bereitstellungs- und Kündigungsentgelte) beziehen.
a) Die Beschwerden sind insoweit nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. In Bezug auf die
einmaligen Entgelte sind den Darlegungen der Beschwerdeführer keine ausrei-
chenden Hinweise auf eine fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfra-
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ge des revisiblen Rechts zu entnehmen, deren Klärung im Revisionsverfahren
zu erwarten wäre.
Die Beklagte will geklärt wissen, ob die Regulierungsbehörde „bei der Geneh-
migung der Einmalentgelte verpflichtet (ist), umfassend die Prozesszeiten und
die Einsparungspotentiale der Beigeladenen zu ermitteln, wenn sich diese nicht
aus den von der Beigeladenen vorgelegten Unterlagen ergeben“. Die Beigela-
dene fragt, ob „die Regulierungsbehörde die Prozesszeiten schätzen (darf),
wenn die Antragstellerin kein Prozesszeitengutachten vorgelegt hat, mit dem
statistisch mängelfrei abgesicherte Zeitwerte nachgewiesen sind“.
Diese Fragen sind, soweit sie sich in dem erstrebten Revisionsverfahren stellen
würden, unmittelbar aus dem Gesetz zu beantworten und rechtfertigen daher
die Zulassung der Revision nicht. Gemäß § 24 Abs. 1 TKG 1996, der auf den
Streitfall noch anwendbar ist, haben Entgelte sich an den Kosten der effizienten
Leistungsbereitstellung zu orientieren. Die Genehmigung der Entgelte ist ge-
mäß § 27 Abs. 3 TKG 1996 zu versagen, wenn die Entgelte mit den Anforde-
rungen dieses Gesetzes nicht in Einklang stehen. Unter dieser rechtlichen Prä-
misse hat das Verwaltungsgericht die Aufhebung der angefochtenen Entgelt-
genehmigung hinsichtlich der Einmalentgelte damit begründet, dass sie nicht
auf ausreichend abgesicherten Zeitwerten beruhten und dieser Mangel nicht
durch pauschale Abschläge auf früher erhobene Zeitwerte ausgeglichen werden
könne. Dem Urteil lässt sich weder entnehmen, dass die Beklagte in jedem Fall
zu einer eigenen exakten Ermittlung der Prozesszeiten verpflichtet wäre, wenn
sich diese nicht aus den vorgelegten Unterlagen ergeben, noch, dass eine
Schätzung der Prozesszeiten in jedem Fall ausgeschlossen wäre. Vielmehr
stützt sich das Urteil des Verwaltungsgerichts auf die Annahme, dass eine
etwaige Schätzung auf einer hinreichenden Datenbasis beruhen muss. Diese
Annahme steht mit der Rechtslage ersichtlich in Einklang. Welche Anforde-
rungen an die Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts und an eine etwaige
Schätzung der Prozesszeiten konkret zu stellen sind, ist ersichtlich eine Frage
des Einzelfalls und entzieht sich damit einer verallgemeinernden Klärung.
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Eine grundsätzliche Bedeutung gewinnen die aufgeworfenen Rechtsfragen
entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer auch nicht im Hinblick darauf, dass
ein Entgeltantrag, über den die Regulierungsbehörde nach § 28 Abs. 2 TKG
1996 fristgebunden zu entscheiden hat, von ihr (lediglich) abgelehnt werden
„kann“, wenn das Unternehmen die maßgeblichen Kostenunterlagen nicht voll-
ständig vorgelegt hat (§ 27 Abs. 4 TKG 1996 i.V.m. § 2 Abs. 3 TEntgV 1996).
Diese Ermessensvorschrift bezweckt, eine Versagung der Genehmigung trotz
unzureichender Kostenunterlagen dann zu vermeiden, wenn sich die Behörde
die erforderlichen Informationen - etwa durch Marktdaten, durch Kostenunterla-
gen aus anderen Genehmigungsverfahren und dadurch Kostennachweise von
dritter Seite - selbst verschaffen kann; sie bezweckt demgegenüber nicht, die
materiellen Anforderungen an die Genehmigungserteilung herabzusetzen
(s. Urteil vom 25. November 2009 - BVerwG 6 C 34.08 - N&R 2010, 40 Rn. 29
zu § 35 Abs. 3 Satz 3 TKG 2004). Daher liegt es auf der Hand und bedarf nicht
der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass über einen Entgeltantrag auch
im Hinblick auf den nahenden Fristablauf nicht positiv entschieden werden darf,
wenn und solange es für die vorgelegten Entgelte an einer ausreichenden Da-
tengrundlage fehlt.
2. Die Revision ist auch nicht deshalb zuzulassen, weil ein Verfahrensmangel
geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann
(§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Beklagte sieht ihren Anspruch auf Gewährung
rechtlichen Gehörs insofern verletzt, als das Verwaltungsgericht ihren in der
mündlichen Verhandlung vom 27. August 2009 gestellten Antrag auf Schrift-
satznachlass (§ 173 VwGO i.V.m. § 283 ZPO) zu der Behauptung, es sei ihr
„möglich gewesen, zwischen den jeweiligen Genehmigungsverfahren für die
Entgelte des Zugangs zur TAL 1999 und 2001 umfassend die Prozesszeiten
und die Kostenansätze zu ermitteln, die den jeweiligen Einmalentgelten zugrun-
de lagen“, übergangen und unmittelbar zur Sache entschieden habe
Diese Rüge genügt nicht den Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO. Ein Beschwerdeführer, der geltend macht, er habe sich zu einer
bestimmten Frage nicht äußern können, muss schlüssig und substantiiert dar-
legen, was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vor-
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getragen hätte und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend ge-
machten Anspruchs geeignet gewesen wäre (stRspr; vgl. nur Beschluss vom
19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26 S. 15 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Die Beschwerde gibt nicht zu erken-
nen, was die Beklagte im Falle eines Schriftsatznachlasses im Einzelnen vorge-
tragen hätte. Davon abgesehen kam es auf die Möglichkeit der Beklagten, die
betreffenden Prozesszeiten und Kostenansätze selbst umfassend zu ermitteln,
nach den Gründen des angefochtenen Urteils nicht an.
3. Die Kostenentscheidung folgt, soweit über die Kosten des Beschwerdever-
fahrens zu entscheiden war, aus § 154 Abs. 2 VwGO. Im Verfahren der Nicht-
zulassungsbeschwerde entsteht eine Gerichtsgebühr nur, soweit die Be-
schwerde verworfen oder zurückgewiesen wird. Die sonstigen Kosten des Be-
schwerdeverfahrens, namentlich die außergerichtlichen Kosten, waren verhält-
nismäßig zu teilen, und zwar in der Weise, dass die Beklagte und die Beigela-
dene die Kosten im Maße ihres Unterliegens tragen und die Entscheidung über
diejenigen Kosten, die dem Anteil der erfolgreichen Beschwerde am gesamten
Beschwerdeverfahren entsprechen, der Kostenentscheidung in der Hauptsache
folgt (s. Beschluss vom 10. November 1980 - BVerwG 1 B 802.80 - Buchholz
310 § 155 VwGO Nr. 7; Beschluss vom 3. April 2006 - BVerwG 7 B 95.05 - juris
Rn. 52). Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren ergibt
sich aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG; die vorläufige Streitwert-
festsetzung für das Revisionsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 i.V.m. § 52
Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Rechtsbehelfsbelehrung
Soweit die Revision zugelassen worden ist, wird das Beschwerdeverfahren als
Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 6 C 13.10 fortgesetzt. Der
Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu
begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simson-
platz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom
26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen.
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Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung
der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von
§ 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO vertreten lassen.
Neumann
Dr. Bier
Dr. Möller