Urteil des BVerwG vom 06.11.2006

Verwarnung, Abberufung, Ermessen, Verfahrensmangel

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 82.06
VGH 6 UE 3256/05
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. November 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hahn
und Dr. Graulich
beschlossen:
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Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 31. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
1. Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Berufungsentscheidung
von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen
Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsge-
richts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel
geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Berufungsentscheidung beru-
hen kann. Wird wie hier die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde
angefochten, muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeu-
tung dargelegt oder die Entscheidung, von der die Berufungsentscheidung ab-
weicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO). Die Prüfung des beschließenden Senats ist demgemäß auf fristgerecht
geltend gemachte Beschwerdegründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO be-
schränkt.
a) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur
zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revi-
siblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des
Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechts-
frage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis
auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen
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soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisi-
onsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworte-
ten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann. Die von der Beschwerde auf-
geworfenen Fragen verleihen der Sache keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung.
Die Beklagte wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf, „ob eine Missbil-
ligung ein rechtlich zulässiges Aufsichtsmittel im Bereich der Bankenaufsicht ist
und ob die Beklagte somit diese Maßnahme in einem bankaufsichtlichen Ver-
warnungsverfahren nach § 36 Abs. 2 KWG im Rahmen ihrer Ermessenserwä-
gungen als milderes Mittel in Betracht zu ziehen hat“. Diese Frage wird vor dem
Hintergrund gestellt, dass der Verwaltungsgerichtshof eine gegenüber dem
Kläger ausgesprochene „Verwarnung“ im Sinne des § 36 Abs. 2 KWG mit der
Begründung aufgehoben hat, die Beklagte habe das ihr in dieser Vorschrift ein-
geräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt, weil sie die „Handlungsmöglichkeit“
einer „einfachen und formlosen Missbilligung“ nicht in Betracht gezogen habe.
Die Beantwortung der aufgeworfenen Frage muss nach den weiteren Ausfüh-
rungen des Berufungsgerichts darauf bezogen werden, dass der Verwaltungs-
gerichtshof, wie er betont, unter der von ihm so genannten Missbilligung eine
einfache und formlose Maßnahme im Sinne einer „Belehrung über die aufgetre-
tenen Verstöße und eines Hinweises auf die Möglichkeit einer Verwarnung (so-
wie eines späteren Abberufungsverlangens)“ versteht, „der ein disziplinarischer
Charakter und eine Makelwirkung … fehlt“.
§ 36 Abs. 2 KWG bestimmt, dass die Beklagte die Abberufung eines Ge-
schäftsleiters verlangen und diesem Geschäftsleiter auch die Ausübung seiner
Tätigkeit bei Instituten in der Rechtsform einer juristischen Person untersagen
kann, wenn dieser vorsätzlich oder leichtfertig gegen die Bestimmungen u.a.
des Kreditwesengesetzes verstoßen hat und trotz Verwarnung durch die Bun-
desanstalt dieses Verhalten fortsetzt. Der Abberufung des Geschäftsleiters geht
danach eine Verwarnung voraus.
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Angesichts des vom Verwaltungsgerichtshof vorausgesetzten Inhalts der mögli-
cherweise missverständlich so genannten „Missbilligung“ können keine Beden-
ken gegen die Zulässigkeit einer derartigen Maßnahme im Vorfeld und ggf. zur
Vermeidung einer Verwarnung bestehen. Dies kann ohne Durchführung eines
Revisionsverfahrens auf der Grundlage des Kreditwesengesetzes und der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts festgestellt werden. Ob eine
solche Maßnahme in die Erwägungen der Beklagten über den Ausspruch einer
Verwarnung nach § 36 Abs. 2 KWG einzustellen ist, hängt von den Umständen
des Einzelfalles ab und entzieht sich grundsätzlicher Klärung.
Es spricht schon vieles dafür, dass die vom Berufungsgericht umschriebene
Maßnahme auf § 6 KWG gestützt werden kann. Denn diese Bestimmung be-
rechtigt die Aufsichtsbehörde nicht nur dazu, die zum Vollzug und zur Durch-
führung der Vorschriften des Gesetzes nötigen Verwaltungsakte zu erlassen
(s. § 6 Abs. 3 KWG sowie zur früheren Rechtslage Urteile vom 30. September
1975 - BVerwG 1 C 2.71 - Buchholz 451.61 KWG Nr. 7 S. 10 und vom 24. Fe-
bruar 1976 - BVerwG 1 C 3.72 - Buchholz 451.61 KWG Nr. 8 S. 24), sondern
auch zu Maßnahmen im Vorfeld des Erlasses von Verwaltungsakten, wenn sie
im Aufgabenbereich der Beklagten liegen und die weiteren Voraussetzungen
des § 6 KWG vorliegen (vgl. Fülbier, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, Kredit-
wesengesetz, 2. Aufl. 2004, § 6 Rn. 23, 55, 61). Zu den Aufgaben der Bundes-
anstalt gehören auch die Entscheidungen nach dem Dritten Abschnitt des Ge-
setzes über die Beaufsichtigung der Institute einschließlich derjenigen nach
§ 36 Abs. 2 KWG. Nach § 6 Abs. 3 KWG kann die Beklagte im Rahmen der
gesetzlich zugewiesenen Aufgaben auch gegenüber den Geschäftsleitern die
dort umschriebenen notwendigen Anordnungen treffen, wenn die weiteren Vor-
aussetzungen dieser Bestimmung erfüllt sind.
Aber auch wenn § 6 KWG nicht herangezogen wird, wäre die vom Verwal-
tungsgerichtshof umschriebene Maßnahme ohne ausdrückliche Ermächtigung
als milderes Mittel gegenüber der Verwarnung nach § 36 Abs. 2 KWG zulässig.
Nach der angeführten Vorschrift liegt die Erteilung einer Verwarnung als Vor-
aussetzung für ein Abberufungsverlangen ebenso wie das Verlangen selbst im
Ermessen der Behörde. Sie steht wie alles Verwaltungshandeln im Bereich der
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Eingriffsverwaltung unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit und Verhältnismä-
ßigkeit. Demgemäß hat das Bundesverwaltungsgericht im Bereich der Versi-
cherungsaufsicht bereits ausgeführt, dass auch ohne ausdrückliche Ermächti-
gung namentlich Belehrungen und Hinweise auf mögliche Anordnungen denk-
bare und zulässige Aufsichtsmaßnahmen sind und unter Verhältnismäßigkeits-
gesichtspunkten sogar geboten sein können (Urteil vom 6. Dezember 1999
- BVerwG 1 A 5.98 - Buchholz 452.00 § 81 VAG Nr. 8 S. 10 = GewArch 2000,
197 <198>). Die vom Verwaltungsgerichtshof umschriebene Maßnahme ent-
spricht im Kern derartigen Belehrungen und Hinweisen. Sie können im Bereich
der Bankenaufsicht in gleicher Weise in Betracht kommen. Beide Aufsichtsbe-
reiche unterscheiden sich insoweit nicht in erheblicher Weise. Es handelt sich
um besondere Gewerbezweige mit erhöhter Aufsichtsnotwendigkeit zum Schutz
der jeweiligen Kunden. Auch im Bereich des allgemeinen Gewerberechts ist
überdies anerkannt, dass etwa vor dem Widerruf einer Spielhallenerlaubnis
wegen Unzuverlässigkeit eine „Abmahnung“ geboten sein kann (Beschluss vom
6. September 1991 - BVerwG 1 B 97.91 - Buchholz 451.20 § 33i Nr. 12 S. 24 f.
= GewArch 1992, 24 <25>).
Angesichts der Umschreibung der vom Berufungsgericht hier vermissten Maß-
nahme kann die aufgeworfene Frage nicht auf die Problematik der Zulässigkeit
einer gleichsam disziplinarischen oder einen „Makel“ bewirkenden Maßnahme
führen (vgl. auch dazu Urteil vom 6. Dezember 1999 a.a.O.). Die umfangrei-
chen Ausführungen der Beklagten zu Maßnahmen disziplinarischen Charakters
gehen angesichts der inhaltlichen Umschreibung der vom Berufungsgericht für
erforderlich gehaltenen Maßnahme fehl.
b) Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung von der Rechtsprechung der
in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte ist ebenfalls nicht gegeben.
Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Divergenz im Sinne der ge-
nannten Vorschrift liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht mit einem seine
Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem ebensolchen
Rechtssatz abgerückt ist, den eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten
Gerichte aufgestellt hat. Dabei müssen die Rechtssätze sich grundsätzlich auf
dieselbe Rechtsnorm beziehen. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3
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Satz 3 VwGO verlangt in diesem Zusammenhang, dass in der Beschwerdebe-
gründung ausgeführt wird, dass und inwiefern das Berufungsgericht seine Ent-
scheidung auf einen in der genannten Weise widersprechenden Rechtssatz
gestützt hat. Daran fehlt es. Der von der Beklagten behauptete Widerspruch
zwischen dem angefochtenen Urteil und dem Urteil des Bundesverwaltungsge-
richts vom 6. Dezember 1999 besteht auch in der Sache nicht, wie sich aus den
obigen Ausführungen ergibt.
2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Fest-
setzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2 GKG.
Dr. Bardenhewer Dr. Hahn Dr. Graulich
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Wirtschaftsverwaltungsrecht
Fachpresse: ja
Kreditwesenrecht
Rechtsquelle:
KWG
§ 36 Abs. 2
Stichworte:
Abberufung; Belehrung; Geschäftsleiter; Hinweis; Verwarnung.
Leitsatz:
Es ist zulässig und unter dem Aspekt des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
unter Umständen geboten, vor einer der Abberufung des Geschäftsleiters eines
Kreditinstituts zwingend vorausgehenden Verwarnung als mildere Maßnahmen
Hinweise oder Belehrungen auszusprechen.
Beschluss des 6. Senats vom 6. November 2006 - BVerwG 6 B 82.06
I. VG Frankfurt am Main vom 16.06.2005 - Az.: VG 1 E 7018/03 (3) -
II. VGH Kassel
vom 31.05.2006 - Az.: VGH 6 UE 3256/05 -