Urteil des BVerwG vom 15.06.2011

Einberufung, Feststellungsklage, Leistungsklage, Effektivität

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 8.11
VG 23 A 216.08
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Juni 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Graulich und Dr. Möller
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin
vom 15. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) sowie der Divergenz im
Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (2.) - jeweils in Verbindung mit § 34 Satz 1
und 2 WPflG, § 135 Satz 3 VwGO - gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Grundsätzliche Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer
Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche
Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fort-
bildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfor-
dernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkre-
ten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und ei-
nen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam
rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die
Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht be-
antworteten Rechtsfrage mit einer über den Einzelfall hinausweisenden Bedeu-
tung führen kann. Den Darlegungen des Klägers lässt sich nicht entnehmen,
dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.
Der Kläger wirft als grundsätzlich klärungsbedürftig folgende Frage auf: „Wel-
che verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen, wenn die
Einberufung zu Wehrübungen bzw. das nachträgliche Verbot der selbigen
durch das BMVg Referat ES auf einer Verwaltungspraxis beruht, deren Ermes-
sensentscheidungen offensichtlich aufgrund sachwidriger Erwägungen erfol-
gen?“ Dieser Fragestellung kommt eine grundsätzliche Bedeutung nicht zu.
Sie hat zunächst keinen fallübergreifenden Bezug, sondern ist auf die Umstän-
de bezogen, die den von der Vorinstanz entschiedenen Einzelfall nach Auffas-
sung des Klägers kennzeichnen. Der Einzelfallcharakter ergibt sich bereits aus
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der Formulierung der Frage selbst und tritt besonders deutlich in dem Teil der
Beschwerdebegründung (S. 5 - 9) zu Tage, in dem der Kläger unter Verweis auf
mehrere den konkreten Fall betreffende Anlagen seine Auseinandersetzung mit
der Wehrverwaltung im Zusammenhang mit seiner Bereitschaft zur Ableistung
von Wehrübungen schildert. Auch die hieran anschließenden Ausführungen in
der Beschwerdebegründung (S. 9 - 13) zu Art. 19 Abs. 4 GG kreisen durchweg
um diesen Sachverhalt.
Die aufgeworfene Frage vermag die Zulassung der Grundsatzrevision ferner
deshalb nicht zu rechtfertigen, weil das Verwaltungsgericht eine offensichtlich
durch sachwidrige Erwägungen geprägte Verwaltungspraxis der Wehrverwal-
tung, auf die die Frage maßgeblich abstellt, nicht festgestellt hat. In einer Kons-
tellation, in der erst im Revisionsverfahren die Grundlage erarbeitet werden
müsste, an die eine als grundsätzlich bedeutsam beschriebene Problematik
anknüpft, ist eine Zulassung der Grundsatzrevision nach dem Sinn und Zweck
der Revision ausgeschlossen (vgl. Beschluss vom 2. Februar 2011 - BVerwG
6 B 37.10 - NVwZ 2011, 507 <509>).
Schließlich hat die von dem Kläger bezeichnete Fragestellung auch dann keine
grundsätzliche Bedeutung, wenn man sie ihrem Inhalt nach gelöst von den Um-
ständen des Einzelfalls auf die verwaltungsgerichtliche Durchsetzbarkeit eines
Gesuchs auf Ableistung einer Wehrübung gerichtet sieht. Diese Frage lässt sich
ohne Weiteres anhand der einschlägigen gesetzlichen Regelungen und der
vorhandenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten
und bedarf deshalb keiner Klärung in einem Revisionsverfahren.
Die Heranziehung zu einer Wehrübung richtet sich nach § 23 WPflG. Der ver-
fügbare Reservist, der sich auf eine gesetzliche Wehrdienstausnahme nicht
berufen kann, wird im Regelfall zu dem Truppenteil herangezogen, bei dem er
eingeplant ist. Die Einplanung ist ein verwaltungsinterner Vorgang, mit dem das
Kreiswehrersatzamt zusammen mit dem Bedarfsträger die Verwendung des
Reservisten entsprechend seiner militärischen Ausbildung und gegebenenfalls
seinen Wünschen vorsieht. Auf die ebenfalls verwaltungsinterne Anforderung
durch die Truppe hin erlässt das Kreiswehrersatzamt den Einberufungsbe-
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scheid, in dem Beginn und Ende der Wehrübung festgelegt werden (vgl. zum
Ganzen: Steinlechner/Walz, Wehrpflichtgesetz, 7. Aufl. 2009, § 6 Rn. 8, 10 f.
und § 23 Rn. 24 f.). Die Entscheidung über die Einberufung ergeht ausschließ-
lich im öffentlichen Interesse an einer optimalen Personalbedarfsdeckung der
Bundeswehr und dient nicht zugleich auch den privaten Interessen des Reser-
visten. Dieser hat daher kein Recht auf Heranziehung zum Wehrdienst. Ebenso
wenig hat er einen Anspruch darauf, dass die Wehrersatzbehörde das ihr in
diesem Zusammenhang eingeräumte Auswahlermessen rechtmäßig ausübt.
Gleichwohl braucht der Reservist nicht jede Auswahlentscheidung der Behörde
ohne die Möglichkeit der Gegenwehr hinzunehmen. Namentlich kann er verlan-
gen, dass die Behörde über seine Heranziehung oder Nichtheranziehung zum
Wehrdienst frei von Willkür, das heißt ohne die Absicht entscheidet, ihn in
sachwidriger Weise zu benachteiligen. In einem derartigen Fall liegt nicht nur
ein Missbrauch des der Behörde eingeräumten Ermessens und damit eine Ver-
letzung von objektivem Recht, sondern darüber hinaus ein Übergriff in die ver-
fassungsrechtlich geschützte Individualrechtssphäre des Reservisten vor, die
dieser abzuwehren berechtigt ist. Anknüpfungspunkt für ein in diesen Grenzen
ausnahmsweise beachtliches Rechtsschutzbegehren ist eine Entscheidung des
Kreiswehrersatzamts in Gestalt einer (bedingten) Einberufung bzw. der Ableh-
nung oder der Aufhebung einer solchen (vgl. Urteile vom 26. Februar 1993
- BVerwG 8 C 20.92 - BVerwGE 92, 153 <156 f.> = Buchholz 448.0 § 21 WPflG
Nr. 47 S. 14 f., vom 22. Januar 2003 - BVerwG 6 C 18.02 - Buchholz 448.0 § 48
WPflG Nr. 3 S. 5 und vom 17. September 2003 - BVerwG 6 C 4.03 - Buchholz
448.0 § 48 WPflG Nr. 4 S. 8 f.; für die sog. Ausmusterung: Urteil vom 25. April
1979 - BVerwG 8 C 52.77 - BVerwGE 58, 37 <40> = Buchholz 448.0 § 8a
WPflG Nr. 28 S. 50).
2. Die Merkmale einer die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnen-
den Divergenz lassen sich der Beschwerde ebenfalls nicht entnehmen. Dieser
Zulassungsgrund ist erfüllt, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben
Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz
einem ebensolchen Rechtssatz, der in der Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts oder eines anderen in der Vorschrift genannten Gerichts aufge-
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stellt worden ist, widersprochen hat. Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ist die
Abweichung in der Beschwerdebegründung darzulegen.
Der Kläger macht geltend, die Begründung des klagabweisenden verwaltungs-
gerichtlichen Urteils zur Unzulässigkeit einer allgemeinen Feststellungsklage in
dem streitgegenständlichen Verfahren stehe im Gegensatz zu der einschlägi-
gen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwal-
tungsgerichts. Nach dieser sei für die Anwendung der Subsidiaritätsklausel des
§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO wesentlich, dass eine Gestaltungs- oder Leistungs-
klage einen der Feststellungsklage in Reichweite und Effektivität gleichwertigen
Rechtsschutz biete, insbesondere im Hinblick auf weitere Rechtsverhältnisse
und die rechtskräftige Entscheidung von Vorfragen.
Dieser Vortrag zeigt keine divergierenden Rechtssätze auf, die eine Revisions-
zulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtfertigen könnten. Gerügt wird
lediglich eine fehlerhafte Anwendung höchstrichterlicher Rechtsprechung durch
das Verwaltungsgericht. Hierdurch werden die Zulässigkeitsanforderungen ei-
ner Divergenzrüge nicht erfüllt (stRspr, vgl. zum Wehrpflichtrecht etwa: Be-
schluss vom 12. Oktober 2010 - BVerwG 6 B 26.10 - juris Rn. 10, insoweit in
Buchholz 448.0 § 8a WPflG Nr. 73 nicht abgedruckt).
Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall eine Feststel-
lungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO nicht nur wegen der durch § 43 Abs. 2
Satz 1 VwGO angeordneten Subsidiarität dieser Klageart gegenüber einer
Gestaltungs- oder Leistungsklage, sondern auch mangels eines feststellungs-
fähigen Rechtsverhältnisses für unzulässig erachtet hat (UA S. 5). Zu dieser
weiteren Begründung, die das erstinstanzliche Urteil insoweit allein zu stützen
geeignet ist, führt der Kläger keinen Revisionszulassungsgrund an. Im Falle
einer mehrfachen, die angefochtene Entscheidung jeweils selbständig tragen-
den Begründung bedarf es aber in Bezug auf jede dieser Begründungen eines
geltend gemachten und vorliegenden Zulassungsgrundes (vgl. etwa: Beschlüs-
se vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 S. 15 m.w.N. und vom 18. August 2010 - BVerwG 6 B 24.10 -
juris Rn. 2).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52
Abs. 2 GKG.
Neumann
Dr. Graulich
Dr. Möller
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