Urteil des BVerwG vom 21.01.2003

Absicht, Rüge, Mangel, Prozessrecht

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BESCHLUSS
BVerwG 6 B 78.02
VGH 7 B 02.880
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Januar 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesverwal-
tungsgericht Dr. G e r h a r d t und
V o r m e i e r
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzu-
lassung der Revision in dem Beschluss des
Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom
24. September 2002 wird zurückgewiesen.
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Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerde-
verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Es ist zweifelhaft, ob ein
Revisionszulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2 VwGO in der gebo-
tenen Weise dargelegt worden ist (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
Die Zulässigkeit der Beschwerde kann jedoch unterstellt wer-
den. Denn jedenfalls ist sie unbegründet.
1. Der Beschwerdebegründung lässt sich sinngemäß die Rüge ent-
nehmen, der Verwaltungsgerichtshof habe verkannt, dass bereits
der Schriftsatz vom 27. März 2002 die Absicht des Klägers habe
erkennen lassen, die Zulassung der Berufung zu beantragen. Der
Verwaltungsgerichtshof ist jedoch zutreffend davon ausgegan-
gen, dass ein von einem Rechtsanwalt als Berufung bezeichneter
Schriftsatz, der Berufungsanträge enthält und in der Art einer
Berufung begründet ist, ohne auf die Berufungszulassungsgründe
des § 124 Abs. 2 VwGO einzugehen, nicht als Antrag auf Zulas-
sung der Berufung ausgelegt werden kann. Es entspricht ständi-
ger Rechtsprechung, dass ohne entsprechenden Anhalt die unzu-
lässige Berufung eines anwaltlich vertretenen Rechtsmittelfüh-
rers nicht als (fristwahrender) Antrag auf Zulassung der Beru-
fung angesehen werden kann (vgl. Beschlüsse vom 12. März 1998
– BVerwG 2 B 20.98 –, vom 25. März 1998 – BVerwG 4 B 30.98 –
und vom 3. Dezember 1998 – BVerwG 1 B 110.98 – Buchholz 310
§ 124 a VwGO Nr. 2, 3 und 6 bzw. NVwZ 1998, 1297; 1999, 405
und 641). Der Schriftsatz vom 27. März 2002 enthält keinen An-
halt für die Absicht, die Zulassung der Berufung zu beantra-
gen. Einen solchen Anhalt bildet entgegen der Ansicht der Be-
schwerde insbesondere nicht der Umstand, dass in diesem
Schriftsatz dargelegt wurde, aus welchen Gründen das angefoch-
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tene Urteil nach Ansicht des Klägers fehlerhaft und welche As-
pekte in einem Berufungsverfahren zu prüfen seien. Ohne die
Erörterung dieser Gründe unter dem Gesichtspunkt der Zulas-
sungsvoraussetzungen nach § 124 Abs. 2 VwGO kann nicht auf die
Absicht geschlossen werden, das Zulassungsverfahren durchzu-
führen. Die vom Kläger im Schriftsatz vom 12. April 2002 geäu-
ßerte Ansicht, für die Zulassung der Berufung und für die Be-
rufung selbst seien die gleichen Gründe maßgeblich, trifft
nicht zu.
Der Berufungsschriftsatz vom 27. März 2002 kann jedenfalls un-
ter den hier gegebenen Umständen auch nicht in einen Antrag
auf Zulassung der Berufung umgedeutet werden (vgl. Beschluss
vom 25. März 1998, a.a.O.).
2. Der Kläger macht weiter geltend, sein Prozessbevollmächtig-
ter habe unmittelbar nach Eingang des richterlichen Hinweises
sein Versehen berichtigt und die Anträge des Berufungsschrift-
satzes umgestellt sowie sich für den offensichtlichen Irrtum
entschuldigt. Darin kann die Rüge gesehen werden, der Verwal-
tungsgerichtshof habe dem Kläger zu Unrecht Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand verweigert. Die Voraussetzungen für eine
Wiedereinsetzung liegen indes nicht vor (§ 60 Abs. 1 VwGO).
Die Versäumung der Frist für den Antrag auf Zulassung der Be-
rufung beruht auf einem Verschulden der Prozessbevollmächtig-
ten des Klägers, das er sich gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 85
Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Diese haben die dem Urteil
des Verwaltungsgerichts beigegebene zutreffende Rechtsmittel-
belehrung, in der auch die Gründe, aus denen die Berufung zu-
zulassen ist, aufgeführt sind, entweder nicht zur Kenntnis ge-
nommen oder sich über sie hinweggesetzt. Beides stellt eine
Verletzung der gebotenen Sorgfalt dar.
3. Der Kläger trägt vor, der Verwaltungsgerichtshof hätte den
Kläger bereits "in diesem frühen Stadium" - gemeint ist wohl:
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im zeitlichen Zusammenhang mit dem Schriftsatz vom 12. April
2002 - zur Äußerung auffordern müssen, wenn er die Berufung
als unstatthaft habe zurückweisen wollen; dies habe er jedoch
nicht getan, sondern im Gegenteil noch auf die Umstellung der
Anträge hingewiesen. Der Vortrag geht fehl. Der Verwaltungsge-
richtshof hat in seinem Schreiben vom 11. April 2002 nicht ei-
ne Umstellung der Anträge angesprochen, sondern darauf hinge-
wiesen, dass ein Antrag auf Zulassung der Berufung nicht ge-
stellt worden und die entsprechende Frist - soweit ersicht-
lich - abgelaufen sei. Es lag somit entgegen der Darstellung
der Beschwerde kein "richterlicher Auftrag" ("Verbesserungs-
auftrag") vor, den zu erfüllen dem Kläger hätte ermöglicht
werden müssen. Aus welchen sonstigen Gründen der Verwaltungs-
gerichtshof den Kläger alsbald nach Eingang der Sache gemäß
§ 125 Abs. 2 VwGO hätte anhören müssen, ist nicht erkennbar.
Insbesondere lässt sich dem Beschwerdevorbringen nichts dafür
entnehmen, dass der Kläger durch das Vorgehen des Verwaltungs-
gerichtshofs Rechtsnachteile erlitten haben könnte.
4. Sollte der Kläger einen Mangel der Begründung des angefoch-
tenen Beschlusses darin sehen, dass ihm nicht zu entnehmen
sei, warum der Verwaltungsgerichtshof "die vom Kläger ange-
führten Berufungszulassungsgründe, die der Kläger bereits im
Verfahren vor dem Verwaltungsgericht und darüber hinaus im Be-
rufungszulassungsschriftsatz auf 7 Seiten dargelegt habe,
nicht als Berufungszulassungsgründe werte", bliebe auch diese
Verfahrensrüge ohne Erfolg. Wie erwähnt, ist das Sachvorbrin-
gen nicht in Beziehung zu den Gründen, aus denen die Berufung
gemäß § 124 Abs. 2 VwGO zuzulassen ist, gesetzt worden, wie es
gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 3 VwGO (a.F.) erforderlich gewesen
wäre. Diese offenkundige Tatsache bedurfte über ihre Erwähnung
hinaus keiner weiteren Darlegung im angefochtenen Beschluss.
5. Die Ausführungen des Klägers zur materiellen Rechtslage
sind nicht zu würdigen, weil der Verwaltungsgerichtshof die
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angefochtene Entscheidung allein auf verfahrensrechtliche Er-
wägungen gestützt und ohne Verstoß gegen Prozessrecht die Be-
rufung als unzulässig verworfen hat.
6. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2
VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes aus
§ 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 1 und 3 GKG.
Bardenhewer Gerhardt Vormeier