Urteil des BVerwG vom 05.01.2005

Verfahrensmangel, Rüge, Anschluss, Einsichtnahme

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 73.04
VGH 11 UE 1110/03
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Januar 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. H a h n und Dr. G r a u l i c h
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 9. September 2004 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 710 € festgesetzt.
G r ü n d e :
1. Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Berufungsentscheidung von
einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der
obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht
und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird
und vorliegt, auf dem die Berufungsentscheidung beruhen kann. Wird wie hier die
Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten, muss in der Be-
schwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung dargelegt oder die Entschei-
dung, von der das Berufungsurteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet
werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Prüfung des beschließenden Senats ist
demgemäß auf fristgerecht geltend gemachte Beschwerdegründe im Sinne des
§ 132 Abs. 2 VwGO beschränkt. Diese rechtfertigen nicht die Zulassung der Revisi-
on.
a) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie
eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft,
die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher
Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt
die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung er-
heblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grund-
sätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass
und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich
nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen
kann. Daran fehlt es.
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Der Kläger wirft eine Reihe von Fragen zur Auslegung der Satzung des Versorgungs-
werks der Rechtsanwälte im Land Hessen auf und kleidet sie in allgemeine Frage-
stellungen. Auf Rechtsfragen des revisiblen Rechts führt die Beschwerdebegründung
damit nicht. Das gilt auch insoweit, als der Kläger eine Verletzung des Art. 3 GG rügt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vermag die Rüge
der Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Anwendung und Auslegung von Lan-
desrecht eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision allenfalls dann zu
begründen, wenn die Auslegung der - gegenüber dem Landesrecht als korrigierender
Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von
grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (s. Beschluss vom 9. März 1984 - BVerwG 7 B
238.81 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 49; Beschluss vom 15. Dezem-
ber 1989 - BVerwG 7 B 177.89 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 277; Beschluss vom
1. September 1992 - BVerwG 11 B 24.92 - Buchholz 310 § 137 VwGO Nr. 171, Be-
schluss vom 11. Dezember 2003 - BVerwG 6 B 69.03 - Buchholz 422.2 Rundfunk-
recht Nr. 39). Die angeblichen bundesrechtlichen Maßgaben, deren Tragweite und
Klärungsbedürftigkeit im Hinblick auf die einschlägigen landesrechtlichen Regelun-
gen sowie die Entscheidungserheblichkeit ihrer Klärung in dem anhängigen Verfah-
ren wären in der Beschwerdebegründung darzulegen (vgl. Beschluss vom 19. Juli
1995 -BVerwG 6 NB 1.95 - NVwZ 1997, 61). Einer Darlegung dieser Voraussetzun-
gen wird nicht schon dadurch genügt, dass die maßgebliche Norm als verfassungs-
rechtlich bedenklich angesehen wird. Vielmehr ist im Einzelnen darzulegen, gegen
welche verfassungsrechtlichen Normen verstoßen wird und ob sich bei der Ausle-
gung dieser Normen alsdann Fragen grundsätzlicher Bedeutung stellen, die sich
noch nicht auf Grund bisheriger oberstgerichtlicher Rechtsprechung - insbesondere
des Bundesverwaltungsgerichts - beantworten lassen. Daran fehlt es.
b) Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel der Versagung des
rechtlichen Gehörs (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor. Der Kläger rügt, das
Berufungsgericht habe sich auf eine versicherungsmathematische Kalkulation in dem
Gutachten des Büros Prof. Dr. H. vom 8. Mai 1996 und eine Stellungnahme des Ver-
sicherungsmathematikers Prof. Dr. H. vom 19. April 1999 bezogen, die vom Beklag-
ten nicht vorgelegt und vom Verwaltungsgericht nicht in das Verfahren eingeführt
worden seien. Das Berufungsgericht hätte ihm diese Vorgänge zur Kenntnis geben
müssen. Die Rüge geht fehl. Dem Kläger ist entgangen, dass die genannten versi-
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cherungsmathematischen Stellungnahmen zu den vom beklagten Versorgungswerk
vorgelegten Behördenakten gehören, die dem Verwaltungsgericht mit Schriftsatz
vom 28. August 2001 vorgelegt worden sind. Diese Akte ist ausweislich des Proto-
kolls über die mündliche Verhandlung am 21. November 2001, an der der Kläger
teilgenommen hat, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Verwal-
tungsgericht gemacht worden. Insbesondere nachdem der Kläger selbst mit Schrift-
satz vom 28. Juli 2001 an Ausführungen des Prof. Dr. H. Kritik geübt und der Beklag-
te im Anschluss daran die Verwaltungsvorgänge übersandt hatte, gehörten versiche-
rungsmathematische Fragestellungen zum Prozessstoff. Eine Einsichtnahme in die
Verwaltungsvorgänge (§ 100 Abs. 1 VwGO) hätte weitere Gewissheit verschaffen
können. Dass der gesamte Prozessstoff Gegenstand der Entscheidungsfindung
durch den Verwaltungsgerichtshof sein würde, musste sich dem sach- und rechts-
kundigen Kläger aufdrängen. Von einer Versagung des rechtlichen Gehörs kann da-
nach nicht die Rede sein. Ebenso wenig hat das Berufungsgericht seine
Erörterungs- und Aufklärungspflicht gemäß §§ 86, 87 VwGO verletzt.
2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung
des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 3 GKG in Verbindung mit
dem Rechtsgedanken des § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Bardenhewer Hahn Graulich